Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Düster-düsterer-am düstersten

 

Versuchen üblicherweise Regisseure und Bühnenbildner im Sferisterio von Macerata die unglücklichen Bühnenmaße zu kaschieren , so wählten 2013 Francisco Negrin und Louis Désiré für Il Trovatore den entgegengesetzten Weg und betonten sie durch ebenso lange und schmale Tische und Bänke, rot bei Momenten des Hasses und der Rache und weiß bei denen der Liebe beleuchtet. Eine Art Wachturm im Hintergrund, auf dem sich der Tod im il rogo mehrfach wiederholt und vielmals Nonna bzw. Madre wie Nipotino bzw. Figlio in verbrannten Gewändern und selbst schlimm zugerichtet umhergeistern, machen dem Zuschauer deutlich, mit welchen Traumgespinsten die unglückliche Azucena zu kämpfen hat. Aber auch die Getreuen des Conte oder die Zingari wirken wie Untote, die Kostüme sind durchweg in Schwarz, selten blitzt Rot auf, gehalten, und der Tod ist allgegenwärtig, wie der Kampf ausgerechnet mit Sensen nahelegt. Wird es besonders dramatisch, also oft, geraten die Kandelaber an der Rückwand ins Flackern, erscheinen die Bewegungen des Chores stark ritualisiert. Geschickt wird von einem Bild ins nächste übergeleitet, und so kommt man, was bei ohnehin spät beginnenden Vorstellungen im Freien wohltuend ist, mit einer Pause aus. Regie und Bühne gelingt es, die Düsternis, die bereits in Handlung und Musik angelegt ist, noch erheblich zu verstärken.

Verdis Oper „Il Trovatore“ aus Macerata bei Dynamic

Die DVD von Dynamic zeigt eine Wiederaufnahme von 2016 in abgesehen von der Azucena neuer Besetzung, aber man findet unter YouTube auch Ausschnitte von 2013 und stößt zwangsläufig dabei auf die Aufnahme von dem „echten“ Schuss auf Cavaradossi Fabio Armiliato und seine Tosca Raina Kabaivanska, die verzweifelt Aiuto und nach einem Medico ruft.

So dramatisch ging es beim Trovatore weder 2013 noch 2016 zu, die Sängerbesetzung allerdings lässt sich durchaus hören und sehen, auch wenn der Manrico ein noch unerfahrener Debütant in seiner Partie ist. Piero Pretti ist ein stattlicher Bursche mit einer bereits zum tenore eroico tendierenden Stimme, etwas hart klingend, aber mit sicherer Höhe auch in der Stretta und dem begehrten Squillo die Ensembles überstrahlend. Von ähnlicher Stimmqualität ist der Luna von Marco Caria, ein dunkler, kerniger Bariton mit Brunnenvergiftertimbre, der sich in den rasanten Cabaletten wohler fühlt als im Balen del suo sorriso, das Dirigent Daniel Oren, ansonsten sicher und routiniert, sehr langsam interpretiert. Auch 2013 dabei war Enkelejda Shkosa, deren Azucena durch einen runden, warmen Mezzosopran von schönem Ebenmaß erfreut. Eine echte Verdi-Stimme, auch für die frühen Opern geeignet, hat Anna Pirozzi für die Leonora, eine hochpräsente Mittellage und atemberaubende Piani und Schwelltöne, aber leider zuweilen mit einem unangenehmen Klirrklang in der Extremhöhe. Höchst achtbar meistert Alessandro Spina die schwierige Partie des Ferrando mit all ihren Finessen. Gern weilt die Kamera auf der Ines von Rosanna Lo Greco, denn sie ist weitaus hübscher als die eher einem älteren Divenideal huldigende Sängerin der Leonora und hat dazu einen angenehmen Mezzo. Die bewährte Qualität von Chor und Orchester, siehe Otello von dort, lässt sich auch auf dieser DVD bewundern, und über unbekanntere, aber tüchtige Sänger freut man sich sowieso mehr als über die altbekannten (Dynamic 37769Ingrid Wanja      

Für flotte Beine

 

Er gehört zu den bekanntesten Wiener Operetten-Komponisten überhaupt – Carl Millöcker. Vor allem sein Bettelstudent ist berühmt geworden. Nun ist eine CD erschienen bei cpo mit Orchestermusik von ihm, und das ist – wie könnte es bei einem Wiener Operettenkomponisten anders sein – vor allem Tanzmusik. Anders als Strauß oder Ziehrer war Millöcker kein Leiter einer Tanzkapelle, sondern ein Theaterpraktiker. Er war in Sachen Tanzmusik kein Routinier. Was nicht heißt, das er keine amüsante Stücke schreiben konnte, die sich auf ähnlich hohem Niveau bewegen. Im Gegenteil. Seine Instrumentierung weist eine erstaunliche Sorgfalt auf, die sich in ihrer Durchsichtigkeit und Eleganz an den Wiener Klassikern orientiert.  Erstaunlich, dass man seine Musik so wenig spielt – er hatte nicht den Hang, seine Zeitgenossen mit rasselnder und lärmender Musik zu blenden, er war kluger Komponist, der sich oft mehr Gedanken gemacht hat über die Wirkung von Operetten und Tanzmusik als viele berühmte Kollegen. Nicht selten finden sich ganz zarte, getupfte oder sensible Töne in dieser doch eigentlich für handfeste Zwecke gedachten Gebrauchsmusik Dieser seltsam sphärische Zauber, der über manchen Kompositionen schwebt (etwa dem Pizzicato-Walzer), erinnert mitunter an den jüngeren Hellmesberger.

Ob Ouvertüre, Marsch oder Walzer – diese Auswahl dürfte Freunden Wiener Operettenmusik höchst willkommen sein! Denn erstaunlicherweise gibt es von einem so begabten Komponisten wie Millöcker wenig Orchesterwerke auf Tonträgern. Außer einigen alten Boskowsky-Einspielungen und diversen, meist gräßlich uminstrumentierten Piecen in den Kellern unserer Rundfunkanstalten existiert so gut wie nichts. Insofern ist diese CD eine Pioniertat, für die man nur dankbar sein kann.

Christian Simonis‘ Art, dieses Musikgenre zu dirgieren habe schon immer gemocht seit seiner sensationell pointierten und leichtfüßigen Hellmesberger-CD mit den Göttinger Sinfonikern vor fast 20 Jahren.

Er ist kein Haudrauf- Dirigent, sondern immer ein bißchen verhalten-distanziert, aber das bekommt diesen fragileren Tanzmusiken wie Hellmesberger und Millöcker sehr gut, und grade hier passt sein Stil, der es mit der lauten Fröhlichkeit nicht übertreibt, wieder perfekt. Alles federt, manches wirkt fast kammermusikalisch. Nach der hübschen Gung’l – Album mit den Nürbergern  (auch bei cpo) ist auch dies wieder mal keine überflüssige, sondern erfreuliche, wenn nicht sogar notwendige Ergänzung des Repertoires in Sachen Leichte Klassik. (Carl Millöcker: Waltzer – Märsche – Polkas; Nürnberger Symphoniker ; Christian Simonis cpo 555004-2)

 

 Jerome Kern gehört zu den wichtigsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts – von 1905 bis in die 40er Jahre hinein haben seine Operetten, Musicals und Filmmusiken das Land geprägt. Jetzt ist beim Label Nimbus Records eine pralle Doppel-CD erschienen mit 51 großen Jerome-Kern-Songs.

„His 51 finest“ – diese Ankündigung ist sicher etwas vollmundig, denn der Superlativ vermittelt den Eindruck, man könne von diesem exzellenten Muiscalkomponisten wirklich so etwas wie einen Extrakt erstellen, der auf 2 CDs die tatsächlich besten Aufnahmen präsentiert. Das ist bei einem so fruchtbaren Songwriter, der in seinem Leben mehr als 700 Musiknummern verfasst hat, einfach unmöglich.

Der eigentliche Kanon der Aufnahmen allerdings die Interpretion inzwischen unlöslich, zwingend und makellos mit der Komposition verwoben ist, bleibt tatsächlich so überschaubar, das er vermutlich bequem auf eine einzelne CD passt – die Astaire-Songs aus „Swing-Time“, Paul Robeson singt „Ol’man river“ und Frank Sinatra „The song is you“. Der Rest ist im wahrsten Sinn des Wortes Interpretationssache und dem Geschmack des Kompilators überlassen – viele klassische Songs sind so oft so gut interpretiert worden, dass schwer zu entscheiden ist, wer die beste Einspielung produziert hat.

Eigenwillig überzeugend: Die hier getroffene Auswahl ist recht eigenwillig, aber überzeugend. Mal kein Paul Whiteman and his Orchestra und kein Kern höchstselbst am Klavier, dafür Ikonen wie Dinah Shore, Bing Crosby, Howard Keel und eine Menge gute Dancebands der Dreißiger, die in meinen Augen viel zu unbekannt sind in Deutschland. Und sogar britische Tanzensemble wurden berücksichtigt wie Ambrose and his Orchestra – die noble zurückgenommene Art der Briten passt überraschend gut zur distinguierten Eleganz vieler Nummern Kerns.

Vielleicht also nicht die ultimative Auswahl an Kern-Musical-Songs – die wird es nie geben, es sei denn, man wagte sich an eine 100-CD-Box. Aber doch eine sehr kurzweilige, deren Akzent zu Recht auf den 30er und 40er Jahren liegt, der glücklichsten Kern-Ära. Einige wichtige frühe und späte Beispiele interessanter Kern-Interpretationen sowie einige wenige Film-Ausschnitte runden das Album ab (The song is you – Music of Jerome Kern mit Fred Astaire | Bing Crosby | Frank Sinatra | Paul Robeson u.v.a. Nimbus Records RTS 4310). Matthias Käther

Enzo Dara

 

Keinem Rossini-Fan ist der Name Enzo Dara unbekannt – der bedeutende italienische Bass-Buffo (geboren 19. Oktober 1938) starb am 25 August 2017 und bleibt als wunderbarer Vertreter eines köstlichen Humors und genialer Darstellung in Erinnerung.  Sein Debüt in der Opr erlebte er 1960 in Fano als Colline in Puccinis „La Bohéme“. In Reggio Emilia hingegen entdeckte er 196 als Don Bartolo in Il „Barbiere di Siviglia“ seine Eignung für komische Partien. Beim Festival dei Due Mondi in Spoleto ist er 1969 Mustafa in „L’Italiana in Algeri“, und an der Scala zwei Jahre später ist er wieder Don Barolo in der Produktion des Barbiere di Siviglia, dirigiert von Claudio Abbado. Ebenfalls mit der Scala ist er auf deren Tournee am Royal Opera House von London 1976 als Dandini in „La Cenerentola“.

Enzo Dara in „Il viaggio á Reims“ an der Scala/ Foto Lelli e Masotti/ Teatro alla Scala

Er ist wiederum Don Bartolo an der Met in New York im Jahre 1982. Andere Theater, an denen er gesungen hat, sind die Staatsoper Wien,  die Nationaloper von Paris, das LIceu von Barcelona, die Oper von Monte Carlo, das Opernhaus von Houston. Er war der erste Barone di Trombonok in der modernen Version von „Il viaggio a Reims“ in Pesaro und an der Scala sowie Wien.
Seine besten Gaben waren die vokale Beweglichkeit (agilità vocale), sei es im canto vocalizzato, sei es vor allem in der sillabazione veloce, und ein angeborener Sinn für das Komische, der nie übertrieben wurde. Dank der Interpretation von Rollen wie Don Pasquale, Don Bartolo, Don Magnifico, beginnend mit den Siebzigern, verkörpert er „eine Säule bei der Wiedergeburt des Belcanto“.  Seit dem Ende der Achtziger widmete er sich vorzugsweise der Regie.
Enzo Dara war auch Schriftsteller und Journalist. 1994 veröffentlichte er sein erstes Buch „Auch der Buffo in aller Bescheidenheit“, eine Sammlung von Erinnerungen, Anekdoten und Betrachtungen über die Welt des Operntheaters,  das er erst als Liebhaber und Student, dann als Sänger in den verschiedenen Abschitten der Karriere erlebt hatte. (Quelle italienische Wikipedia/ Übersetzung Ingrid Wanja/ Foto oben: Enzo Dara als Don Magnifico/ allmusic)

Zu selten aufgeführt

 

Nicht aus dem Sichwundern heraus kommt man beim Genuss der Aufführung von Berlioz‘ Opéra Comique Béatrice et Bénédict von Glyndebourner Festival 2016, dem Staunen darüber, dass dieses zauberhafte Werk nicht öfter aufgeführt wird. Seine Verehrung für Shakespeare brachte der Komponist, verheiratet mit einer berühmten Shakespeare-Schauspielerin, dazu, als Libretto das Lustspiel Much Ado about nothing zu wählen, wobei viel von den geistreichen Dialogen, den Wortspielen, mit denen sich die beiden Titelfiguren beharken, im gesprochenen Text erhalten blieb, während die Arien, Duette und Terzette, aus neun wurden im Verlauf der Zeit fünfzehn Nummern, freier gestaltet  und  musikalisch von atemberaubender Schönheit sind, so das Duett zwischen Héro und Ursule, das es an Sinnlichkeit und romantischem Flair durchaus mit der Nuit d’ivresse aus den Trojanern aufnehmen kann.

Das Stück spielt in Messina, das die siegreich aus einem Feldzug zurückkehrenden Kämpfer, darunter Bénédict und sein Freund Claudio, erwartet. Claudio liebt glücklich und erwidert Héro, Bénédict liegt im Dauerstreit mit Béatrice, den er sofort nach seiner Rückkehr wieder aufnimmt. Durch eine List ihrer Freude werden die beiden Streithähne davon überzeugt, dass sie einander lieben, so dass am Ende nicht eine, sondern zwei Hochzeiten gefeiert werden.

Zum Vorspiel, das einige der später verwendeten Themen aufgreift, werden viele weiße, aus den verschiedensten Stilepochen stammende Stühle über die Bühne geschleppt. Trotz des Handlungsortes Messina wird die Bühne nie bunt, sondern Kulissen (Barbara de Limburg) und Kostüme (Laurent Pelly, der zugleich Regisseur ist) sind in verschiedenen Grautönen gehalten, letztere im Stil der Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts. Schachteln und Schubladen, in die sich die beiden Titelhelden auch symbolisch nicht wollen stecken lassen, sind die einzigen Kulissen, die sich beliebig aus- und zuklappen, verschieben und verstellen lassen, so dass Bewegtheit nicht durch Farbenspiel, sondern Beweglichkeit erzeugt wird.

Die Regie weiß nicht nur die Solisten espritreich zu führen, sie macht auch aus den vorzüglich singenden Chormitgliedern (Leitung Jeremy Bines) einfallsreiche Schauspieler, hält stets die Waage zwischen Poesie und Komik und lässt den Himmel im Hintergrund heiter strahlen oder düster dräuen.

Stéphanie d’Oustrac ist die quirlige, kratzbürstige Béatrice mit apart timbriertem Mezzosopran feiner Konturen, der sich im zweiten Akt zu schöner Fülle entfaltet. Die Zerrissenheit der Figur zwischen Emanzipationsstreben und dem nach Liebesglück weiß sie perfekt mitzuteilen. Eine blonde Schönheit ist Sophie Karthäuser, die der Héro nicht nur viel sanfte Anmut verleiht, sondern sie auch mit warmem, rundem Sopran singen lässt. Katarina Bradić ist beider Freundin Ursule mit sattem Mezzo. Blasser als die Damen bleiben die beiden Liebhaber: Paul Appleby, der zunächst zwischen Tenor und Bariton nagesiedelt erscheint, im zweiten Akt in seiner großen Arie aber mit einer strahlenden Höhe brillieren kann. Claudio ist der etwas konturenlos bleibende Philippe Sly. Zwei köstliche Typen gibt es mit dem Chorleiter Somarone und seiner als Parodie auf die Gattung angelegten Fuge (Lionel Lhote) und dem Herrscher Léonato, dem Georges Bigot viel Bühnenpräsenz verleiht. Der Chor glänzt außer mit der bereits erwähnten Fuge noch mit einem ebenso köstlichen Trinklied. Antonello Manacorda sorgt mit dem London Philharmonic Orchestra dafür, dass es im Orchestergraben ebenso brillant, spritzig und elegant zugeht wie auf der Bühne. Die DVD  ist purer, knappe zwei Stunden dauernder Genuss (Opus Arte 1239 D). Ingrid Wanja    

Das Archiv der Firma Ricordi

 

Wer noch immer den schönen und gutsortiertern Geschäften von Ricordi, einst nicht nur in jeder größeren italienischen Stadt eine Fundgrube für den Musikfan, nachtrauert, der erhält durch einen prachtvollen Bild- und Textband mit dem Titel Eine Kathedrale der Musik – Das Archivio Storico Ricordi Aufklärung über die Geburt, Entwicklung und Erfolge und schließliche Zerschlagung des einstigen Familienbetriebs über vier Generationen von Verlegern, die von 1808 bis 1919 nicht nur das italienische Musikleben entscheidend beeinflussten. Der Vergleich des Archivs mit dem kirchlichen Bauwerk stammt übrigens vom Komponisten Berio, und der Leser und Betrachter der zahlreichen Fotos ist zunehmend geneigt, ihm in seinem Urteil zuzustimmen.

Ein schöner Bild- und Textband: „Eine Kathedrale der Musik – Das Archvio Storico Ricordi“ im Prestel Verlag

Es fällt auf, dass auf dem Cover des Bandes kein Verfassername zu finden ist, erst ganz hinten innerhalb des Impressums ist Caroline Lüddersen als „Autorin“ genannt, als Verlage Bertelsmann und Prestel, da erstere Besitzer des Archivs, das sich jedoch in Mailand befindet, sind, obwohl sie den Verlag Ricordi einige Jahre nach seinem Erwerb 1994 wieder verkauften. Eine stärkere Hervorhebung des Verfasserinnen-Namens wäre durchaus angebracht gewesen, denn ihre Ausführungen sind hochinteressant, umfassend und angenehm zu lesen.

Die Autorin erläutert in einer Einleitung ihr Vorgehen, das den Leser von einer Geschichte des Verlags bis 1994 über dessen Bedeutung für die Weltkulturgeschichte führt und schließlich im Anhang eine Auflistung der Dokumente bietet, zu denen allein 8000 handschriftliche Partituren und 10 000 Libretti gehören. In einer „Kleinen Geschichte des Verlags Ricordi“ wird diese nach dessen jeweiligen Besitzern gegliedert, deren jeder einen Beinamen, so wie man es von den Medici kennt, zugeteilt bekommt. So verläuft die Entwicklung des Verlags aus kleinsten Anfängen von Giovanni- dem Fleißigen über Tito I. den Geselligen, Giulio das Genie und Tito II. den Kosmopoliten ehe dessen nach Meinung des Vaters missratener Sohn die Reihe abbricht und von da an (1919) eine Doppelspitze das Unternehmen führt.

Tito Ricordi/ Archivio storico, Prestel

Die Verlagsgeschichte ist natürlich zugleich Kulturgeschichte, die Ricordis profitieren vom Blühen der Hausmusik, kämpfen um das Urheberrecht und gegen die Freiheiten, die sich Interpreten „ihrer“ Komponisten nehmen, setzen sich mit der Konkurrenz Sonzogno auseinander, sind Komponisten wie Verdi und Puccini nicht nur Geschäftspartner, sondern Freunde und Förderer. Sie müssen nicht nur Geschäftsleute, sondern können durchaus auch künstlerisch tätig sein. Verdienstvoll ist, dass das Buch auch die vielen heute nicht mehr allseits bekannten Komponisten wie Catalani, Boito, Franchetti, Alfano oder Montemezzi berücksichtigt, ebenso Korngold, der ebenfalls von Ricordi verlegt wurde.

Ein besonderes Interesse gilt natürlich dem Verhalten der Verlagseigentümer während der faschistischen Epoche, die in Italien bekanntlich wesentlich länger dauerte als in Deutschland, weil früher begann. Der Krieg verschonte auch das Archiv nicht, seine Räume wurden am 13.8.43 zerbombt, aber man hatte die größten Schätze zuvor in Sicherheit gebracht, wozu allerdings offensichtlich nicht Aldo Finzi gehörte, dessen Werk verschollen ist.

„La Casa Ricordi“, ital. Spielfilm von Carmine Gallone 1954/ Szene/ RAI TV

War es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert die Kammer- und Hausmusik gewesen, die im Mittelpunkt des Verlagswesens stand, so wurde es zunehmend die Oper, nach 1945 aber sicherten die Cantautori der populären Musik und das Schallplattengeschäft das Überleben der Firma. Über die Jahre hinweg konnte man erleben, wie die klassische Musik in den Ricordi-Läden aus dem Zentrum der Verkaufsräume in immer abgelegenere Ecken verbannt wurde. Bertelsmann begann mit der Katalogisierung und Digitalisierung, machte aus der Sammlung, die als Wirtschaftsarchiv gegründet worden war, ein Forschungsarchiv, zeigte bereits 2013 in der Berliner Repräsentanz und auch in anderen Städten besonders wertvolle Stücke und begann 2016 mit dem Erstellen einer Collezione Digitale.

Nur staunen kann man über die Fülle interessantesten Fotomaterials, seien es Gegenüber-Stellungen von handschriftlicher und gedruckter Partitur, Autographe von Rossini, Bellini, Donizetti, Libretti und deren Änderungen durch die Zensur, Regiebücher oder der Briefwechsel zwischen Komponist und Verleger über Otello, sogar Anmerkungen über Dauer und Stärke des Beifalls bei der Uraufführung. Viele Szenenfotos erstrecken sich über eine Doppelseite und man bewundert  Bühnenbild und Kostüme vergangener Zeiten, über die damit mehr ausgesagt wird, als ihr Schöpfer beabsichtigt hatte, d.h., sie legen Zeugnis ab für 200 Jahre Kulturgeschichte und wecken im Betrachter den Wunsch, nun auch einmal im Internet zu begutachten, wieweit die oben erwähnte Collezione bereits gediehen ist (Prestel Verlag, 225 S., Register, Personenverzteichnis, Bibligraphische Hinweise, Fotonachweis,  ISBN 978 37913 5624 2; oben ein Ausschnitt aus dem Rocordi-Poster zu „Turandot“/ AR). Ingrid Wanja

Felicia Weathers zum 80.

 

1977 sang Felicia Weathers im Bremer Theater am Goetheplatz eine Reihe von „Salome“-Vorstellungen, die ich fast alle gesehen habe. Ich war fasziniert von ihrer Ausstrahlung, von ihrer Bühnenpräsenz und von ihrer schlanken, unverwechselbaren Stimme. Wir sind ins Gespräch gekommen, insbesondere über ihre Dalibor-Aufnahme mit Sándor Kónya unter Rafael Kubelik. Aus diesem ersten Kontakt hat sich eine nun schon vierzig Jahre währende Freundschaft ergeben. Ich habe sie später in zahlreichen Liederabenden und Recitals erlebt – auch als Schauspielerin, als sie vor gut zehn Jahren in dem Stück „I Have A Dream – Die Martin Luther King Story“  von Gerold Theobalt zusammen mit Ron Williams auftrat.

Jede Begegnung mit Felicia Weathers, die auf eine sehr erfolgreiche Karriere zurückblicken kann, ist ein Gewinn. Ihr Charme, ihre Herzlichkeit und ganz besonders ihr ansteckender Humor haben mich bis heute bezaubert. Und von ihrer klugen Sicht der Dinge – egal ob es um Musik, um Politik, um Philosophie oder um Lebensweisheit geht – kann man nur profitieren. Es ist kaum zu glauben: Felicia Weathers ist am 13. August 2017 stolze 80 Jahre geworden. ich gratuliere herzlichst!

 

Felicia Weathers: Spirituals & Folksongs bei Decca

Felicia Weathers, Tochter eines Juristen aus St. Louis, begann ihre Ausbildung an den Universitäten von Washington und Indiana, wo Dorothea Manski und Charles Kullmann ihre Gesangslehrer waren. „Mein Studium in Amerika war viel breiter als man es hier kennt“, sagt sie. „Hier ist man beschränkt auf das Singen, man studiert Oper oder Lieder. Bei uns muss man alles machen: also auch Bühnentechnik, Bewegung auf der Bühne, Regie-Kursus usw.“. Daneben hat sie auch Psychologie studiert und erhielt zweimal die Ehrendoktorwürde verliehen.

Ihre eigentliche Karriere bekann, wie bei vielen amerikanischen Sängern, in Europa. 1961 war sie Preisträgerin eines internationalen Sängerwettbewerbs in Sofia, wurde anschließend von Herbert Graf nach Zürich geholt, wo die Königin der Nacht und die Zerlina (Don Giovanni) ihre ersten Rollen waren. Noch im selben Jahr ging sie für eine Spielzeit ein festes Engagement in Kiel ein, wo sie bereits die Salome sang. Von Kiel aus entwickelte sich die Karriere der jungen Sängerin, die innerhalb von zwei bis drei Jahren zum Weltstar aufstieg, in schwindelerregendem Tempo. Sie war schnell Gast an der Bayerischen Staatsoper,  wo sie in Rudolf Hartmanns Salome-Inszenierung sensationelle Erfolge hatte. Bald eroberte sie sich die großen deutschen Opernhäuser wie Köln, Frankfurt, Stuttgart, Berlin und Hamburg, wo ein Glanzpunkt ihre aufregende Teena in Schullers The Visitation war.

Schon 1962 lud Karajan sie ein, neben Birgit Nilsson und Franco Corelli in Wie die Liu in Turandot zu singen. Daneben war sie an der Wiener Staatsoper u.a. als Butterfly und Aida zu hören, Partien, die sie sehr häufig gesungen hat. „Dabei hatte ich überhaupt nicht vorgehabt, in Deutschland oder Europa zu bleiben. Schließlich befand sich meine ganze Familie drüben.“

Bald war sie Gast an den großen Bühnen der Welt: In London sang sie Elisabetta (Don Carlo), in Chicago die Renata in Prokofieffs Der feurige Engel, Jenufa in San Francisco. An der Metropolitan Opera debütierte sie 1965 als Lisa in Pique Dame. Sehr häufig sang Felicia Weathers, die auch in den Opernhäusern in Paris, Budapest und Edinburgh zu hören war, in Italien, wo sie u.a. in der Hindemith-Oper Sancta Susanna auftrat.

Daneben wurde schnell die Schallplatten-Industrie auf sie aufmerksam. Für Decca sang sie mehrere Recitals ein, deren Spannweite von italienischen Opernarien, Strauss-Liedern über Musicals bis hin zu ungarischen Volksliedern von Kodaly und Spirituals reicht. Besonders herausragend sind ihre Arien von Verdi und Puccini sowie ihr Recital mit italienischen Opernarien. Wolfgang Denker

 

Felicia Weathers: Verdis Elisabetta/ Foto WD

Vor einiger Zeit führte ich mit Felicia Weathers ein Interview, das hier noch einmal in Erinnerung gerufen werden soll. Anfang der siebziger Jahre wurde es plötzlich stiller um Sie. Was waren die Gründe? Es gab in meinem Leben private Einschnitte durch meine Scheidung. Ich habe mich in dieser Zeit sehr zurückgezogen, wollte in dieser Zeit auch mehr für meinen Sohn da sein. Und ich wollte endlich einmal ‚Felicia’ kennenlernen. Meine Karriere ging ja so schnell, dass ich nie dazu kam, mich selbst zu analysieren. Für mich persönlich war das eine hervorragende Zeit, denn ich bin wirklich bis zu den Grundlagen meines Seins gegangen. Vielleicht war es auch eine besondere Form von Eitelkeit. Und dann passierte es, dass meine Eltern beide auf einmal starben, was für mich ein Schock war. All diese Sachen waren für mich so stark, dass ich einfach psychologisch und seelisch nicht mehr weiter konnte. So habe ich etwa von 1970 bis 1975 fast nichts von mir hören lassen. Aber in dieser Zeit habe ich kennenlernen müssen, wer meine Freunde waren, wer meine Feinde waren und sind, wer für mich etwas tun würde und wer nicht – all diese Dinge kamen heraus. Und sofort kamen die Gerüchte: Ah! Kann sie nicht mehr singen? Und sogar mein New Yorker Manager hat mich angerufen: ‚Bist Du noch da? Wir haben gehört, dass Du im Irrenhaus bist. Jemand hat gesagt, Du seiest eingeliefert worden.’

Dies nur zur Anschauung, wie die Sachen laufen können. Die Leute wollen immer etwas Sensationelles hören. Ich kann den Leuten aber leider Gottes nichts Sensationelles bieten, da müssen sie auf die Stars vom Film schauen. Aber bei mir werden sie es nicht finden. Ich bin stockbürgerlich und  ein ganz einfacher Mensch…

Wie und wo wurde der Faden der Karriere wieder aufgenommen? Nach einer gewissen Zeit war mein Sohn alt genug. Und ich hatte auch wirklich das Gefühl, wieder arbeiten zu müssen. Und so habe ich wieder angefangen, peu a peu, aber ohne große Publicity. Denn mir war auch in der Publicity früher vieles passiert. Man hat viel über mich geschrieben, von dem vieles stimmt, aber eben viele dieser Jet-Set-Geschichten auch nicht. Auf alle Fälle: Ich wollte einfach arbeiten und sehen, ob ich es noch kann. Zuerst habe ich in Bern gesungen, dann verschiedene Gastvorstellungen in Deutschland. Und sehr viel in Italien und Frankreich.

Welche Rollen, welches Repertoire standen da im Vordergrund? Ich habe z. B. in Frankfurt Suor Angelica gesungen oder meine erste Minnie  in Toulouse. Ich will nicht sagen, dass meine Liebe nicht der Oper gehört; es ist eine wunderbare Sache, eine Rolle zu interpretieren. Aber ich bin auch zu sehr vielen Liedern gekommen. Und da liegt mir stimmlich, ob Lied oder Oper, Strauss sehr gut. Daher setze ich auch meistens Strauss, aber auch Brahms auf das Programm. Und ich habe eine Neigung zu Hugo Wolf, der komischerweise in Deutschland nicht so viel gehört wird. Schubert liegt mir als Mensch weniger, obwohl er wirklich, wirklich schöne Lieder geschrieben hat. Aber Schumann ist mir von beiden doch der liebere. Dann, wo ich mich sehr wohl fühle, sind alte Lieder von Dowland, Rameau, Händel, Purcell. Das ist Reinigung für die Stimme.

Felicia Weathers: Verdi- und Puccini-Arien bei Decca

Sie haben auch viele Spirituals bei Auftritten mit deutschen Männerchören gesungen. In der Zeit als ich wieder angefangen hatte zu singen, hatte ich viele Auftritte deutschen Männerchören zu verdanken. Es waren sehr herzliche Menschen mit einer Liebe zur Musik, die zwar laienhaft, aber doch ehrlich, echt und schön war. Das hat mir sehr geholfen, Musik und Publikum auch von einer anderen Seite zu betrachten. Nun begegnete ich bei diesen Chören immer Arrangements von Spirituals, die zwar sehr schön waren, aber von der harmonischen Struktur, vom Kontrapunkt und Rhythmus, von der ganzen Idee her nicht zu unserer Musik passten. Es war vielleicht eine Melodie von uns, aber es hat nichts mit dem zu tun gehabt, was diese Musik für uns bedeutet. So musste ich mich immer mit einem Arrangement zurechtfinden, was total europäisch war. Dabei haben Spirituals mit dem afrikanischen Rhythmus der Sprache zu tun, mit Geben und Zurückgeben, mit Predigt und Antwort. Das ist alles ein Spiel, eine Geschichte, die in einem Lied abläuft. So kann z. B. das Klavier oder andere Stimmen den Rhythmus der Arbeit und der Arbeitsgeräte enthalten. Es erschien mir sehr reizvoll, für diese Männerchöre, die schöne Stimmen und auch begeisterte Sänger haben, Arrangements zu schreiben, damit sie traditionelle Spirituals richtig singen können. Meine Absicht war, zwei Dinge zu tun, was andere Arrangeure nicht getan haben: Das sind die Akzente und einen phonetischer Text unter den englischen zu setzen – deutsch phonetisch, sodass es für die Sänger problemlos lesbar ist. Denn wenn wir z. B. Konsonanten weglassen, dann hat das eine Bedeutung bei uns. Das ist wie ein Dialekt, ist auch Tradition. Und dass diese Tradition respektiert wird, darum bitte ich, das ist mein Anliegen.

Felicia Weathers: Schicksalsrolle Salome/ WD

Warum gibt es überhaupt so wenig europäische Sänger, die Spirituals singen? Wahrscheinlich haben sie es nicht versucht. Bis auf Fischer-Dieskau, der hat es schon versucht und gut gesungen. Also, sie können es schon. Aber das hängt auch mit einer anderen Tradition zusammen, die hier Gott sei Dank allmählich gebrochen wird. In Deutschland denkt man bei Liederabenden nur an klassische deutsche Lieder. Wir sagen „Recital“. Das heißt alles, eine bunte Palette. Nicht zu bunt, aber wir singen Lieder, wir singen Chansons von Faure oder Duparc oder Debussy. Wir singen auch spanische Lieder, z. B. de Falla und Granados. Dann werden auch schöttische, russische oder ungarische Volkslieder auf das Programm gesetzt. Oder auch antike Arien. Aber auch das ändert sich in Deutschland durch die Programme internationaler Sänger, die eben nicht nur Lieder bringen.

Sie sind auch als Regisseurin hervorgetreten.  Ich bin jetzt wieder aus meinem Schneckenhaus gekommen. Aber ich hoffe, ich werde verstanden, dass ich nicht nur herauskomme, um zu singen. Sondern ich will das tun, was ich tun muss, wo ich etwas geben kann. Und das hat nicht nur mit singen zu tun. Ich singe sehr gern noch und werde es auch weiter tun. Aber ich bin jung und gesund genug, um mehr als eine Sache zu tun. Ein Ponnelle kann Regie, Bühnenbild und Kostüme machen; ein Karajan kann dirigieren und inszenieren – und es wird bewundert.  Und niemand hat gefragt: „Wie kommen Sie dazu, zwei Dinge auf einmal zu machen?“ Aber wenn ein Sänger etwas anderes macht, denkt man sofort: Hoppla, es muss etwas los sein mit seiner Stimme. Das liegt wahrscheinlich an der weitverbreiteten Auffassung, dass ein Sänger zu dumm ist, etwas anderes außer singen zu machen. Das ist natürlich nicht der Fall. Sehr oft trifft man einen Sänger, der auch Arzt ist, oder der Psychologie oder Chemie vorher oder gleichzeitig studiert hat. Ich habe sogar auch etwas Naturwissenschaft studiert, was auch zur Musik passt. Denn ich glaube, Musik ist auch eine mathematische Frage. Also war mein Entschluss: Warum sollte ich einfach nur singen, wenn ich jetzt die Energie habe, auch etwas anderes zu tun.

Ihre erste Regiearbeit war Madama Butterfly 1980 in Heidelberg? Ja, dann habe ich in Amerika zwei Projekte gemacht: Zum einen einzelne Opern-Szenen an einer Universität im Rahmen von Meisterklassen. Dann für die National Opera in New York und Philadelphia Il Trovatore.

Ich glaube, heutzutage muss man sich selber kümmern, wenn man ernsthaft etwas machen will. Man kann nicht irgendwo oben sitzen und sagen: Hier bin ich, Leute, jetzt mache ich dies oder das. Ich glaube nicht, dass ich solch ein Mensch bin. Ich möchte viel lieber die Leute animieren, mir solche Dinge anzubieten, die mich fordern, bei denen ich mein Können zeigen kann.

Felicia Weathers: Arien bei Decca

Würde Sie nicht eine Salome-Inszenierung reizen? Ja und nein. Ich habe in einer solchen Vielfalt von Salome-Inszenierungen gesungen: Salome im Pop-Stil mit kurzem Rock, Salome mit Polizisten auf der Bühne… – mein Gott, was alles noch! Für mich waren die Inszenierungen in München von Hartmann, von Rennert an de Met und von Marherita Wallmann in Rom die wichtigsten. Mir fehlt in den meisten Inszenierungen immer das Gefühl von heißem Wind über Wüstensand. Ein Wind geht durch das ganze Stück, ist in der Musik. Man spürt, dass die Wüste nah sein muss. Das ist etwas, was der Hartmann damals gemacht hat. Bei Margherita Wallmann hat alles pulsiert. Sie hatte die ganze Bühne in Rot, mit blutroten Teppichen, alles strahlte Hitze aus. Man brauchte nur auf der Bühne zu stehen, dann war es schon sehr erotisch.

Wenn ich Salome inszenieren sollte, ich glaube, ich würde das Bühnenbild ganz sandfarben machen, dann mit roten Feuerfarben, Sonnenuntergangsfarben. Wenn ich an die Inszenierung selbst denke, würde ich vielleicht, wie Ponnelle, alles in zwei oder drei Dimensionen machen; mit Hintergrundszenen, Seitenszenen. Es würde bestimmt nicht alles auf der vorderen Bühne spielen. Aber meine Inszenierungsideen sind nicht komplett, sind wahrscheinlich auch nicht meine eigenen. Ich habe ein Stückchen von hier, ein Stückchen von da. Ich kann das nicht total ausschalten, um zu sagen, wie würdest du, Felicia, für dich das machen.

Felicia Weathers mit dem Sänger Ron Williams/ WD

Welche Erfahrung haben Sie selbst mit Regisseuren gemacht, was ist für Sie besonders wichtig? Für mich ist es am schlimmsten, wenn ich mit einem Regisseur arbeite, und wir fangen gleich an – und es gibt überhaupt keine Erklärung. Als ob der übersieht, dass er mit intelligenten Menschen arbeitet. Wir müssen eine gewisse Intelligenz haben, sonst würden wir diese Noten und diese Musik nicht interpretieren können.

Und eine Geschichte zum Schluss: Bei einer Salome ist mir mit einem Regisseur folgendes passiert: Er kam vom Schauspiel, hat dieses Stück als Schauspiel gesehen und es auch zwei Wochen als Schauspiel inszeniert. Bis er nicht mehr weiterkonnte und er irgendwie zugeben musste, dass da doch wohl auch ein paar Noten dabei sind. Und er musste fast total wieder von vorne anfangen. Dann hat er es aber recht gut gemacht und wir sind gute Freunde geworden. (Wolfgang Denker)

Bahnfahren mit Barry

 

Da wäre man gerne mitgefahren. Es muss eine recht kurzweilige Zugfahrt gewesen sein, auf der Rainer Simon, mit Verstärkung durch Felix von Böhm, seinen Chef Barrie Kosky von Berlin nach Bayreuth begleitete. Rund fünf Stunden dauert die Fahrt, die wie im Fluge vorbeigegangen sein muss und die sie anschließend dokumentierten: Nächster Halt: Bayreuth. Eine Zugfahrt mit Barrie Kosky (Wolff Verlag; ISBN-10: 3941461230, ISBN-13: 9783941461239). Das auf 80 Seiten gestreckte Ergebnis liest sich wie von selbst. Freilich nichts, was der auskunftsfreudige Kosky nicht schon irgendwo einmal erzählt hätte; auch die Hinweise zu seiner Meistersinger-Inszenierung, dem Grund der Reise, las man im Vorfeld der Bayreuth-Premiere. Sie lassen sich natürlich auch hinterher nochmals gut nachlesen und sind überhaupt ein guter Einstieg in die Inszenierung und Koskys differenziertes Wagner-Bild, einerseits „der Soundtrack des Dritten Reiches“, „andererseits war er nicht für das Dritte Reich verantwortlich. Verantwortlich ist er allerdings für all die schrecklichen Dinge, die er über Menschen gesagt und geschrieben hat“. Die ihm von Katharina Wagner vorgeschlagenen Meistersinger waren kein Wunschstück,Tannhäuser und Parsifal hätte ich mir vorstellen können. Aber Die Meistersinger! Auf keinen Fall. Das Stück handelt so sehr von deutscher Nationalität und deutscher Kultur, dass ich immer das Gefühl hatte, ich müsse davor fliehen“. Und was hat ihn zur Zusage bewogen: „Und dann … bin ich auf etwas sehr Spannendes gestoßen… gestoßen, dass für mich zum Auslöser für alles Weitere wurde: Wagner hat sich mit Hans Sachs identifiziert. Er hatte großes Mitgefühl für die Figur und nennt sich in ein paar Briefen an Cosima sogar selbst Hans.“  Und schon hat man Koskys Inszenierung: „im Kern dreht sich das Stück um Wagner selbst. …Wagner schreibt nicht nur über deutsche Traditionen, deutsche Musik und deutsche Lieder, sondern behandelt auch seine eigene Rolle innerhalb dieser Tradition… Im Zentrum … steht also Wagners Eigenliebe. Dazu kommt noch die Liebe zu Cosima, die er später heiraten wird und die sich in Eva widerspiegelt“. Das weitere zentrale Thema ist für Kosky Gericht und Urteil: „Wer urteilt über wen? Wer legt fest, wie Kultur zu sein hat… Und auf welche Art und Weise wird gerichtet?“ und dadurch der Bezug zu den Nürnberger Prozessen, in denen „vor einer weltweiten Öffentlichkeit auch ein ganzes Land, dessen Gesellschaft und Kultur angeklagt (wurde) – wie kein anderes Land zuvor“.

Kosky Bahnfahren Wolff Verlag

Kosky spricht über die Kunst des Regieführens, über Musik und Theater als Droge, über die Komische Oper, über die von jüdischen Komponisten geprägte Geschichte der Berliner-Operette – und Hingabe. Immer wieder kommt er dabei auf die ungarische Großmutter zu sprechen – mit dem Akzent „wie Bela Lugosi in seinen amerikanischen Horrorfilmen“ und ihrer Mischung aus Judith und Blaubart und Gräfin Mariza – die mit Madama Butterfly Barries Liebe zur Oper entfachte. Kálmán und Bartók, Leichtes und Ernstes prägten fortan seinen Musikgeschmack, eine eminente Vielfalt der Stile und Richtungen, mit denen er sich wohlfühlt und die er von Ball im Savoy bis zu den Meistersingern virtuos beherrscht und bedient, „Am Mittwoch möchte ich Tristan und Isolde hören, am Donnerstag Carmen, am Freitage Adele, am Samstag Schostakowitsch und am Sonntag besuche ich ein Rockkonzert. … Ich würde mich zu Tode langweilen, stets nur die großen Werke des 19. Jahrhunderts zu inszenieren“. Kosky ist bekennender Zugfahrer. Die Gespräche lassen sich bequem fortsetzen. Das kann also noch nicht alles gewesen sein. R. F.

Ambiance und Impression

 

Die große Nadia Boulanger war Pianistin, Organistin, Dirigentin, Komponistin und eine legendäre Pädagogin und Kompositionslehrerin. Als sie 1979 im Alter von 92 Jahren starb, soll sie während ihrer langen Tätigkeit ca. 1200 Schüler unterrichtet haben, darunter finden sich Namen wie George Gershwin, Aaron Copland, Astor Piazzolla, Quincy Jones, Philip Glass, Dinu Lipatti, Daniel Barenboim, Idil Biret, Leonard Bernstein, Igor Markevitch, John Eliot Gardiner u.v.a.m. Sie begann früh, Unterricht zu erteilen, 1921 wurde sie Professorin am Conservatoire américain de Fontainebleau, ab 1948 bis zu ihrem Tod war sie dessen Direktorin. Fast 60 Jahre hielt sie mittwochs in ihrer Wohnung Kompositionsanalysen. Der Regisseur Bruno Monsaingeon besuchte sie dort und drehte in den 1960er und frühen 1970ern einen Dokumentarfilm über Boulanger, den er „Mademoiselle“ betitelte, denn so ließ sich die zeitlebens unverheiratete Französin von ihren Schülern ansprechen, und der das von der Lehrerin und Persönlichkeit Boulangers ausgehende Charisma einfangen sollte. Mademoiselle heißt auch die Doppel-CD des amerikanischen Labels Delos, die sich der Komponistin Nadia Boulanger widmet. Ihr eigens kompositorisches Schaffen entstand bevor sie sich ihrer akademischen Laufbahn widmete. Sie selber tat es als unbedeutend ab, obwohl sie 1908 einen zweiten Preis beim renommierten Rom-Wettbewerb gewann. Ihre jüngere, früh verstorbene Schwester Lili (1893-1919) galt als talentierte Komponistin, sie gewann als erste Frau 1913 dem Rom-Preis, beider Vater gewann in 1835 mit 19 Jahren. Von den hier 37 eingespielten Werken sollen 13 Ersteinspielungen sein, elf unveröffentlichte Kompositionen (acht Lieder und drei Klavierstücke) wurden aus Boulangers Manuskripten transkribiert. Insgesamt kann man von einer Gesamteinspielung ihres Schaffens in den Genren Lied, Solo-Klavier, Orgel sowie Cello mit Klavier sprechen. Boulangers eigenen musikalischen Vorlieben waren persönlicher ästhetischer Natur, sie bewunderte Debussy und Ravel, setzte sich für Stravinsky ein, aber nicht für Schönberg und die Wiener Schule und hatte auch nie einen deutschen Schüler. Sie war auch eine Pionierin der alten Musik, die Monteverdi, Bach und Rameau spielte. In Nadia Boulangers Musik hört man die Einflüsse von Debussy und Fauré, ein französischer Klang zwischen Spätromantik und Impressionismus mit vielen chromatischen Elementen, durchaus originell, farbig und oft Stimmungen beschwörend. Die Lieder entstanden zwischen 1901 und 1922, ihr erstes Lied „Extase“ schrieb sie vierzehnjährig, ihr letztes Lied “J’ai frappé” mit 35. Ein Text stammt von Boulanger – „Soir d’hiver“ handelt von einer sitzengelassenen Mutter mit Kind, dazu namhafte Lyrik, u.a. von Victor Hugo, Verlaine, Materlinck sowie Heinrich Heine, den Boulanger in deutscher Lied-Tradition vertonen wollte.

Die Lieder sind in in Deutsch eingespielt, alle drei „O schwöre nicht“, „Was will die einsame Thräne“, „Ach, die Augen sind es wieder“ singt Tenor Alek Shrader, der in den USA bereits den David in den Meistersingern und den Alfred in der Fledermaus gesungen hat und mit sehr guter Aussprache fast durchgängig überzeugt. Mit Shrader, dem Sopran von Nicole Cabell und vor allem dem französischen Bariton Edwin Crossley-Mercer hat man sich für renommierte Sänger entschieden, die das Zuhören leicht machen. Boulanger zeigt unterschiedliche Ansätze, es gibt glückliche und ekstatische Liebeslieder, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, Erwartung und Zurückweisungen, oft fragil, melancholisch, traurig und dissonant, das Klavier kontrastiert oder untermalt, sie umspielt zurückhaltend den Text oder läßt keine Zweifel. Angeordnet hat man die Lieder nicht nach Entstehungszeit, sondern in freier Variation mit dem Zweck, eine abwechslungsreiche Programmabfolge für die Zuhörer zu präsentieren, die den intimen Charakter der Salonmusikaufführungen nachahmen will. Die Orgel-Werke wurden in Paris auf der Cavaillé-Coll Orgel in der Madeleine aufgenommen, eine Orgel, die Boulanger selber spielte. Der eingefangene Orgelklang ist nicht optimal, man steht vor einer zweidimensionalen Klangwand, wie man sie aus alten Aufnahmen kennt. Organist François-Henri Houbart spielt die „Trois improvisations“ von 1911 und „Pièce sur des airs populaires flamands“ von 1915. Zwei Klavierwerke sind vorhanden, „Vers la vie nouvelle“ aus dem Jahr 1917 fand seinen Anlaß im 1. Weltkrieg, beginnt düster und gewinnt zunehmend Zuversicht, die „Trois pièces pour piano“ sind drei Miniaturen von ca. jeweils einer Minute mit unterschiedlicher Tönung zwischen Nachdenklichkeit und Unbekümmertheit. Die „Trois pièces“ für Cello und Klavier stammen aus dem Jahr 1914, „Modéré“, “Sans vitesse et à l’aise” und “Vite et nerveusement rythmé” klingen, wie sie heißen, Cellist Amit Peled und Pianistin Lucy Mauro fangen diese Stimmungen mit schönem Klang ein. Bis auf die Orgelwerke wurde alle Musik in der Bloch Hall der West Virginia University mit sehr gutem Klangbild aufgenommen. Ein ausführliches Beiheft in englischer Sprache wertet die interessante und sehr gut gemachte Einspielung zusätzlich auf. (2 CDs, Delos, DE3496) Marcus Budwitius

Halbszenisch und voll musikalisch

 

Wesentlich mehr Freude als an der Calixto-Bieito-Traviata einige Jahre zuvor dürften die Hannoveraner 2016 an der unter einer Glaskuppel hinter dem Rathaus ihrem Tode entgegen fiebernden Violetta gehabt haben, während die des katalanischen Regisseurs mit einem höhnischen „Oh, gioia“ kerngesund und mit Taschen voller Geld die Bühne des Opernhauses verlassen hatte. Halbszenische Aufführungen scheinen zunehmend in Mode zu kommen, denn sie setzen die Regie nicht dem Vorwurf aus, sich nichts Revolutionäres haben einfallen zu lassen, und bewahren das Publikum davor, sich fragen zu müssen, ob ihm wirklich die Oper geboten würde, die auf dem Spielplan stand.

2000 Zuschauer konnten im vergangenen Jahr (2017 gab es Rigoletto) auf Stühlen vor der Bühne, weitere 20 000 am Masch-See picknickenderweise am von Gudrun Schröfel geschickt arrangierten Opernspiel teilnehmen, festlich verhielt sich auch der Park mit einem schüchternen Feuerwerk beim Fest im ersten Akt, und die Lichtregie bezog sogar den prächtigen Bau des Rathauses in die Produktion mit ein. Einige Möbelstücke wie Spiegelkommode („Come son mutata“), Kandelaber, Schreibtisch oder Lagerstätte geben den Sägern die Möglichkeit zum sinnvollen Agieren. Die Dirigentin Keri-Lynn Wilson geht gemeinsam mit der NDR Radiophilharmonie sorgsam mit ihnen um und steuert außerdem zwei sensible Vorspiele zum gelungenen Abend bei, und das Schlussduett Violetta- Alfredo wird mit aufgemachten Strichen gesungen.

Ein hochkarätiges Sängertrio ist der Garant für eine auch den DVD-Betrachter in ihren Bann ziehende Aufführung. Thomas Hampson hat mit dem Padre Germont seine beste Verdi-Partie gefunden, legt ihn als zunächst wie einen Finsterling und Wüterich strafenden Racheengel an, findet in seinen Zweifeln zu immer  differenzierterer Haltung, und ist für „Di provenza il mar“ ein die Klischees meidender Interpret, der zur Cabaletta zusätzlich noch viel szenische Aktion bietet. Nur beim ersten Registerwechsel sind Unsicherheiten hörbar, sein Eingreifen im zweiten Teil des zweiten Akts ist von großer vokaler Autorität und Legato und Phrasierung die eines Italieners.

Einen auch optisch sehr überzeugenden, jungenhaften Alfredo spielt der sardische Tenor Francesco Demuro mit noblem Timbre, fein abgedunkelten Spitzentönen und perfektem canto elegiaco. Die Diktion ist beispielhaft, und zu allem Guten kommt noch eine nach oben gesungene Cabaletta.

Geschmackssache dürfte das Timbre von Marina Rebeka sein, einer Lettin, in deren Sopran doch auch Slawisches mitschwingt, die recht nuancenlos beginnt und den hohen Ton am Schluss des ersten Akts vermeidet. Sie ist eine Violetta-Spezialistin, auch als Einspringerin in dieser Rolle gern gesehen und oft gefordert, und im Verlauf des Abends werden Spiel und Gesang auch immer variationsreicher wie die Abendkleider, von denen das erste durchaus an das Zweite Kaiserreich erinnert. Ein sehr schönes Piano hat der Sopran für „Dite alla giovine“, feine Schwelltöne und ein zu Herzen gehendes „Amami, Alfredo“, und sehr agogikreich gelingt „Addio del passato“, so dass man auch die zweite Strophe noch gern hört, und die Dumpfheit des „Ma se tornando“ ist gewollt und besonders eindrucksvoll.

Einen angenehmen Mezzosopran zeigt Sharon Carty als Flora, spitz bleibt Ania Vegry als Annina, Bassbalsam verströmt Martin-Jan Nijhof als Doktor Grenvil.

Obwohl nur halbszenisch und obwohl nur DVD, erreicht diese Traviata das Herz des Konsumenten und stellt den Kritiker zufrieden. Weiter so, auch 2018 (Naxos 2.110568). Ingrid Wanja 

 

In diese musikalische Lobeshymne stimmte auch der Rezensent des Rigoletto 2017 in operalounge.de ein!

Beschwingt

 

Von Rossinis Gazza Ladra über den Ring bis zu Reimanns Medea reichen die CDs oder gar DVDs, mit denen die Oper Frankfurt ihre künstlerische Arbeit dokumentiert. Als erste Operette gibt es nun die Aufzeichnung der konzertanten Aufführung von Léhars Der Graf von Luxemburg vom Jahreswechsel von 2015 zu 2016. Erstaunlich ist, dass es das neben der Lustigen Witwe und dem Land des Lächelns populärste Werk des Komponisten vorher in Frankfurt nie zu erleben gab, es sich also um eine echte Erstaufführung für die Stadt handelt.

Durchweg mit gestandenen Opernsängern besetzt sind die sechs Rollen, die des hohen, hier allerdings ebenfalls leichtfertigen Paars, des Buffopaars und die beiden komischen Alten. Daniel Behle findet wie seine Kollegen den angemessenen leichten Ton für die auf den beiden CDs aufgezeichneten Gesangsnummer, hat eine präzise Diktion, die Lust an voll ausgekosteten Acuti, so im „So liri, liri, lari“, den Schwung und die Leichtigkeit und viel Schmelz, aber ohne die Gattung oft kompromittierendes Schmalz. Beinahe noch mehr staunen macht Camila Nylund, auf der Opernbühne nicht gerade im leichten Fach zu Hause, die viel Zuckerguss auf den Stimmbändern zu haben scheint, deren Sopran voller Süsse und Geschmeidigkeit ganz schlank geführt wird und zu Beginn des 2. Akts auch zu sehr innigen Tönen findet. Angemessen hebt sich das Buffopaar akustisch ab, sie, Louise Alder mit feinem Zwitscherstimmchen als Juliette, er, Simon Bode als Armand, mit flexiblem Pedrillo-Tenor.  Sonor klingt Sebastian Geyer als Fürst Basilowitsch, seine ewige Geliebte und schließlich doch Ehefrau wird von Margit Neubauer köstlich im urkomischen Sprechgesang zum Highlight des dritten Akts.

Mit hörbarer Lust ist der Chor unter Tilman Michael bei der ungewohnten Sache, die Koreanerin Eun Sun Kim lässt das Orchester bei Polka und Mazurka auftrumpfen, sich aber auch einer raffinerten Agogik, so in den Introduktionen zur  Arie zu Beginn des zweiten Akts, befleißigen. Nicht überhören lässt sich, wie animiert das Publikum auf die ungewohnte Kost reagiert, ehe es auf den musikalischen Übermut des Schlusses mit ebenso emphatischem Beifall reagiert (Oehms  Classics 968). Ingrid Wanja  

Nicht nur „Martha“…

 

Wer hat nicht alles Lionels Arie aus der der Flotow-Oper Martha gesungen! Jeder Tenor von Rang von Caruso bis Kaufmann tat es. Aber auch jedes Wunschkonzert im Radio oder in Bodenmulden wurde damit bis in die Sechziger beglückt. Und die Liste der Gesamteinspielungen und Querschnitte ist eine Reise durch die Aufnahmegeschichte. Aber eben – nicht nur Martha beweist Flotows Können auf dem Gebiet der gehobenen Unterhaltung des mittleren 19. Jahrhunderts. Auch die (drei weiteren dokumentierten) Opern Alessandro Stradella (u. a. hinreißend Werner Hollweg bei Gala und dem BR – leider wie auch die Capriccio-Einspielung mit Jörg Dürrmüller vergriffen), Zilda (bei Line als Fatme angeboten mit Ingeborg Hallstein, dto. BR) sowie die heitere Witwe Grapin (dto. Line mit Franz Fehringer vom HR) sprechen von Flotows Gespür für das Heitere. Und Alessandro Stradella ist einen eigenen Artikel in naher Zukunft in operalounge.de wert. Und bei youtube gibt´s ein bizarres Dokument aus Indra – einen Marsch nach Motiven der Oper von Carl Neumann, der beim Berliner Gardeschützen-Battalion war und die Musik zur Parade eingerichtet hatte…

Orchestermusik von Flotow bei Sterling

Aber kennt jemand noch den Titel seiner Pariser Oper  von 1844, L´esclave de Camoens? Seine schmissige Bühnenmusik zu Wilhelm von Oranien in Whitehall  von Gustav Edler Gans zu Putlitz? „I´m not making this up!“ würde Anna Russell jetzt sagen, denn den Dichter mit dem putzigen Namen wie den Titel gibt’s wirklich, die Musik auch. Eine nicht mehr ganz neue CD von Sterling (2007/ CDS 1070-2) vereint nicht nur die schmissigen zwei Klavierkonzerte (Hans Wiesheu dirigiert das Pilsener Philharmonische Orchester mit dem fabelhaften Pianisten Carl Peterson am Klavier) mit der ebenfalls kaum bekannten „Jubel-Ouvertüre“ und eben der Bühnenmusik zu Wilhelm von Oranien.

Die andere CD von Sterling ist ein kammermusikalisches Schatzkästchen voller  Petitessen von Offenbach und Flotow für Klavier und CelloCarl Petersson und Estera Rajnicka spielen so abenteuerliche Titel wie eben den Sklaven des Camoens, einen hinreißenden Galop de Servantes, eine  Valse de Greewich und zwei weitere Variationen aus Martha neben Köstlichkeiten von Offenbach (Au bord de la mer, Souvenir du bal, La prière du soir, Ballade du Pâtre, La retraite und einen bezaubernden Danse norvegiénne – letztere mit akutem Cello-Einsatz/2012/ Sterling CDS 1668-2). Sehr schmissig.

Duette für Klavier und Cello von Flotow und Offenbach bei Sterling

Mehr zu Friedrich von Flotow gibt es im Booklet zur ersten CD vom Dirigenten, dem Orchesterwerk unter Hans Peter Wiesheu, der den Komponisten aus der Sicht eines Musikers beschreibt. Es zeigt sich, dass Flotow eben kein Ein-Opern-Komponist war und dass sein übriges recht umfangreiches Werk (nachzulesen bei Wikipedia) zu Unrecht vergessen ist.  G. H.

 

Ein näherer Blick auf den unterschätzten und nur für die Martha verantwortlich gemachten Flotow lohnt sich. Informationen zu Flotows Leben aus dem wie stets (fast) unersetzlichen Wikipedia: Friedrich von Flotow (Nr. 258 der Geschlechtszählung) gehört zu den bekanntesten Vertretern der seit 1241 urkundlich nachgewiesen Familie Flotow, die zum mecklenburgischen Uradel gehört. Er wurde 1812 geboren als zweites von vier Kindern und ältester Sohn des Gutsbesitzers und preußischen Rittmeisters Wilhelm von Flotow (1785–1847; Nr. 174) auf Teutendorf (heute ein Ortsteil von Sanitz) und Wendfeld und dessen Frau, Caroline Sophie Rahel von Böckmann (1792–1862). Beide Eltern waren musikalisch gebildet. Der Vater spielte Flöte, die Mutter Klavier. Von seiner Mutter erhielt Flotow im Privatunterricht seine ersten Musikkenntnisse.

M.me Darcier, rôle de Griselda dans L’esclave de Camoens, Théâtre de l’opéra comique, Galerie dramatique/ BNO

Sein Vater hatte für Flotow eigentlich eine diplomatische Laufbahn geplant, doch als sein musikalisches Talent offenbar wurde, ließ sein Vater ihn auf Empfehlung des Klarinettenvirtuosen Ivan Müller die Laufbahn eines Musikers einschlagen. Von 1828 an studierte er am Conservatoire de Paris Komposition bei Anton Reicha und Klavier bei Johann Peter Pixis. Dort freundete er sich unter anderem mit Charles Gounod und Jacques Offenbach an.

Dazu schreibt Hans Peter Wiesheu in seinem lesenswerten Artikel: (…) Im  Sommer 1830 trifft er wieder in Teutendorf ein, im Gepäck eine Vielzahl von Kompositionen, darunter eine fragmentarisch erhaltene Messe. Neben der Oper Pierre et Catherine schrieb Flotow auch ein Klavierkonzert in c-moll, dessen „Uraufführung“ unter kuriosen Verhältnissen bei den Proben kurz vor Weihnachten 1830 im Theater in Güstrow über die Bühne ging. Die in der Partitur vorgeschriebe­nen Bläser waren nicht besetzt, nur einige Streicher waren anwesend. Dann kam es zu klein­städtischen Streitereien, der Cellist verließ die Probe, die daraufhin abgebrochen wurde. Nach­dem man sich wieder versöhnte, gab es eine weitere Probe am nächsten Tag. Der Konzertabend kam, das Haus war – wie Flotow schreibt – brillant besetzt. Am Schluss des ersten Satzes sprang eine Klaviersaite. Die Reparatur hätte beinahe zu Streitereien zwischen den beiden rivalisierenden Klavierverkäufern in Güstrow geführt. Einer von beiden hatte aber schon kräftig dem Rotwein zu­gesprochen, sodass ihn ein Nachtwächter nach Hause bringen musste. Das Konzert endete – so Flotow – ohne weiteren Zwischenfall zur allge­meinen Befriedigung.

Im Jahr 1830 war Flotow für kurze Zeit nach Deutschland zurückgekehrt. Hier komponierte er seine ersten dramatischen Werke: Pierre et Cathérine, Rob Roy und La duchesse de Guise, die er dann in Paris nicht ohne Mühe zur Aufführung brachte. Die Frische der Melodien und der heitere Sinn, der sich in diesen Werken aussprach, fanden Anklang, und unaufgefordert übertrug ihm 1838 der Direktor des Théâtre de la Renaissance die Komposition des zweiten Aktes der Genreoper Le Naufrage de la Méduse, die binnen Jahresfrist 54 Mal aufgeführt wurde.

Friedrich von Flotow: Illustration zur Uraufführung von „Alessandro Stradella“/ BNO

Dazu auch Hans Peter Wiesheu: (…) Ein zweites Klavierkonzert entstand 1831, das bis heute ohne Uraufführung im Konzertsaal blieb. In der Thematik nicht unbeeinflusst von Carl Maria von Weber, wartet dieses Konzert mit der Beson­derheit der Viersätzigkeit (Scherzo als 2. Satz) auf. Lange vor Brahms (geboren erst 1833!) kompo­nierte Flotow also bereits ein viersätziges Klavier­konzert und übernimmt damit die Form der Symphonie für das Solokonzert. Das Thema der langsamen Streichereinleitung des ersten Satzes wird im 4. Satz als Klammer maestoso durch das ganze Orchester wiederholt, bevor eine kurze Coda zum Ende führt. (…)

Durch seine Studienjahre bei Reicha war Flotow u.a. mit Adolphe Adam, Charles Gounod, Hector Berlioz, Giacomo Meyerbeer und Francis Auber befreundet. Rossini lernte er eben­so wie Victor Hugo, Honore de Balzac, Prosper Merimee und Heinrich Heine in den musikalischen Salons kennen. Heine war kein großer Freund dieser gelegentlich doch recht dilettantischen Dar­bietungen. Manche Musiker nannte er „Leute, die zu den schlimmsten Hoffnungen Anlass boten.“ (…)

Auf die oben genannten  Opern folgten in kurzen Zwischenräumen Le forestier (1840), L’esclave de Camoëns (1843) und das in Gemeinschaft mit Friedrich Burgmüller und Edouard Deldevez komponierte Ballett Lady Harriet (1844).  Das Jahr 1838 sollte zwei entscheidende Begegnungen bringen. Er hört zum ersten Mal Frederic Chopin spielen und begegnet der Zigarre rauchenden Dichterin Georges Sand.

Hans Peter Wiesheu zitiert: „Die Gesellschaft brach auf, auch ich empfahl mich, ent­zückt, in dem Gastgeber einen vollendeten Kavalier kennengelernt, den berühmten Chopin gehört und die berühmteste Schriftstellerin Frankreichs rauchen gesehen zu haben.“ Und weiter:

Friedrich von Flotow: „Alessandro Stradella“ mit Werner Hollweg vom BR bei Gala

Etwa zeitgleich lernte Flotow einen jungen Deutschen kennen, der sich Jakob Eberscht nannte, ausgezeichnet Cello spielte und sehr arm war. Flotow versprach ihm, Zutritt zu den Salons zu ver­schaffen. Gemeinsam komponierten sie 12 Baga­tellen für Cello und Klavier. Bei einer Soiree hatten sie Gelegenheit, ihre Kompositionen der Öffent­lichkeit vorzustellen. Die beiden Musiker waren mit ihren Stücken so erfolgreich, dass sie diese im Winter 1838/39 über 100 Mal in diversen Salons spielen mussten. Eberscht lernte dabei das Pariser Leben kennen, das Grundlage seiner späteren Operettenerfolge werden sollte. Die Freundschaft hielt lebenslang, zuletzt trafen sich die beiden Freunde 1878 in Paris. Eberscht entstammte einer jüdischen Kantorenfamilie aus Köln. Indirekt verdankt die Musikwelt also der Hilfsbereitschaft Flotows die Welterfolge des Komponisten, der sich in Frankreich Jacques Offenbach nannte. 1839 schrieb Flotow das Trio de Salon, das von Jules Offenbach (Violine. Bruder von Jacques), Jacques Offenbach (Violoncello) und Flotow (Klavier) in einem Pariser Salon uraufgeführt wurde. (…)

1844 konnte er mit der in Hamburg uraufgeführten Oper Alessandro Stradella seinen ersten großen Erfolg vermelden. Zusammen mit seiner in Wien uraufgeführten Oper Martha oder Der Markt von Richmond bildet sie den Grundstock für Flotows hohen Bekanntheitsgrad. Die Libretti der beiden Opern stammten von Friedrich Wilhelm Riese (Pseudonym: Wilhelm Friedrich), der beim Schreiben auf ältere Werke, die unter der Mitarbeit von Flotow entstanden, zurückgriff. So basiert der Text von Martha auf Lady Harriet.

(…) 1855 übernahm Flotow die Intendanz des Theaters in Schwerin. Er komponierte für seine Musiker u.a. zwei Streichquartette, wovon eines bei einem Brand verloren ging, sowie eine Violin­sonate und mehrere Melodramen auf Texte von Franz Freiherr von Gaudy. Zur Wiedereröffnung des Schweriner Schlosses 1857 schrieb er die Jubel- Ouverture und die mecklenburgische Gelegen­heitsoper Johann Albrecht. Ebenfalls für Schwerin komponierte Flotow 1861 für die Aufführungen des Schauspiels Wilhelm von Oranien in Whitehall von Gustav Edler Gans zu Putlitz eine Introduktion und 4 Zwischenaktsmusiken. Vorurteile, Antisemi­tismus und Schikanen der Hofbürokratie veranlassten Flotow seine Stelle als Intendant aufzu­geben. Sein Freund Gustav zu Putlitz wurde sein Nachfolger. Erneut zog Flotow nach Wien.(Wiesheu)

Friedrich von Flotow: Frontespiece des Librettos zur Oper „L´esclave du Camoens/ OBA

Von Flotows spätere Opern, wie zum Beispiel Die Großfürstin (1850, Libretto von Charlotte Birch-Pfeiffer), Rübezahl (1853, Libretto von Gustav Gans zu Putlitz) oder Albin (1856, Salomon Hermann Mosenthal), konnten keinen nachhaltigen Erfolg erringen und erscheinen nur als blasse Reproduktionen der früheren Werke.

1848 kehrte Flotow wieder nach Mecklenburg zurück, um das Erbe seines Vaters anzutreten. Am 21. August 1849 heiratete er Elisabeth von Zadow (1832–1851).[3] Im November 1855 heiratete er nach dem frühen Tod Elisabeths die Tänzerin Anna Theen (1833–1872), die ihm drei Kinder, Wilhelm (1855–1872), Friedrich (1857–1918) und Karoline (1851–1864), gebar.

Inzwischen war Flotow 1855 zum Hoftheaterintendanten in Schwerin berufen und zum großherzoglich mecklenburgischen Kammerherrn ernannt worden. Zur Einweihung des Neuen Schweriner Schlosses komponierte er 1857 die Oper Johann Albrecht, Herzog von Mecklenburg. Aus dieser Schaffensperiode stammt auch La Veuve Grapin. 1863 gab er seinen Posten auf und zog nach Wien, wo er in die Künstlergemeinschaft Die grüne Insel eintrat, für die er viele Lieder komponierte.

Später beteiligte sich Flotow an der Gründung der deutschen Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten, die, ähnlich der heutigen GEMA, die Urheberrechte der Komponisten schützen sollte. Nachdem von Flotow sich in Wien 1867/68 von seiner Frau Anna hatte scheiden lassen, heiratete er am 9. August 1868 ihre Schwester Rosina Theen (1846–1925). Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor.

Grab von Friedrich von Flotow auf dem Alten Friedhof in Darmstadt/ wiki

Von 1880 an lebte Flotow bei seiner Schwester Bernhardine Rößner in Darmstadt, wo er eine Villa erworben hatte. Dort starb er fast gänzlich erblindet am 24. Januar 1883 drei Wochen vor Richard Wagner. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Darmstadt.

Von seinen übrigen Kompositionen sind unter anderem eine ansprechende Musik zu Shakespeares Wintermärchen, einige Ouvertüren, Klaviertrios, zwei Klavierkonzerte und etliche Lieder anzuführen (eine Auflistung findet sich bei Wikipedia).

Und zum Schluss doch noch „Martha“: Adelina Pattia als Lady Hariett/ Dover Books

Von Flotow kann nicht als bahnbrechender Tondichter gelten. Er lehnte sich unter anderem an Komponisten der Opéra comique – namentlich Auber und Boieldieu, aber auch Offenbach – an, deren geistreiche Grazie er sich bis zu einem bestimmten Grad aneignete. Gemeinhin eignete sich Flotow jedoch keinen ausgeprägten Personalstil zu, sondern komponierte eklektizistisch. So verweisen liedhafte Elemente auf das deutsche Volkslied. Charakteristisch am auffälligsten sind jedoch die am italienischen melodramma orientierten Solistenthemen, die stark an Donizetti erinnern.

In den Opern Flotows finden sich keine gesprochenen Dialoge. Allerdings sind sie nicht etwa wie Wagners Opern durchkomponiert, sondern bestehen aus einzelnen, aneinandergereihten Gesangsstücken, die durch Rezitativpassagen verbunden werden.

Alles in allem ist seinen Werken eine gewisse Originalität nicht abzusprechen, und selbst der strengere Kritiker muss die leichte, lebendige Bewegung, den anmutigen Melodienfluss, die geschickte und effektvolle Instrumentierung derselben anerkennen, die Flotows Opern leicht konsumierbar machen. Nicht ohne Grund war Martha die meistgespielte Oper in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Quelle Wikipedia)

Visuelle An- und Abreize

 

Vor ca. dreißig Jahren war das Schleswig-Holstein Musikfestival im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu guten Sendezeiten vertreten. Ein Festival im Sommer, für das man neben Konzertmitschnitten auch schöne Landschaftsaufnahmen und Berichte vom Sommer am Meer produzierte, die den Reiz und die Attraktivität von Kultur und Kulturlandschaft kombinieren sollten. Wer mit solchen Erwartungen zu der bei Dynamic erschienenen DVD mit dem Mitschnitt des Eröffnungskonzerts des Veneto Festival 2014 greift, wird wahrscheinlich enttäuscht. Kulturlandschaften gibt es überhaupt nicht, die knapp 69-minütige Aufnahme zeigt lediglich wenige Ausschnitte der Chiesa degli Eremitani in Padua. Die  Fresken von Andrea Mantegna haben den Lauf der Zeit nicht unbeschadet überstanden und sind nur teilweise restauriert, aber das war es auch schon, hier gilt’s trotz DVD nur der Musik. Doch auch für einen  Konzertmitschnitt  wirkt die Bildregie bestenfalls routiniert, man schaut und hört zu und irgendwie schaut man bald nicht mehr so oft hin und schweift ab. Musikalisch wartet die DVD immerhin mit der Ersteinspielung einer Messe von Baldassare Galuppi auf. Galuppi (1706-1785) ist überwiegend als Opernkomponist überliefert, in der Spätphase seines Schaffens war er in Venedig als Kirchenmusiker tätig und komponierte 27 Messen, dazu Glorias, Kyrien, Magnificate sowie Psalmen und Motteten.

Die Missa per il riscatto degli schiavi von 1765 hat einen ungewöhnlichen Anlass, die Fürbitte für venezianische Bürger, die von Piraten entführt wurden und denen ein Schicksal als Sklaven im Orient drohte. Die Wohlhabenden konnten mittels Lösegeldzahlungen befreit werden, für ihre glückliche Heimkehr wird hier musiziert. Eine lediglich dreiteilige Messe – Kyrie, Credo und Gloria, ohne Sanctus, Benedictus und Agnus dei. Der Zweck der Messe wird ansonsten ganz formal im üblichen Rahmen ausgedrückt, musikalisch ist die Messe nur von formalem Reiz. Da die DVD kein besonders aussagekräftiges Beiheft hat, bleibt der Betrachter über die weitere Einordnung des Werks im Unklaren. Bei Mozarts Krönungsmesse KV317 weiß man dann, woran man ist und wird auch nicht richtig glücklich. Mit I Solisti Veneti unter seinem Gründer Claudio Scimone hat man ein Ensemble und ein Dirigenten von Rang, doch die Vorzüge des Orchesters werden akustisch nicht hervorgehoben. Es mag eventuell am technischen Equipment des Verfassers dieser Zeilen liegen, dass der besondere Klang der Solisti Veneti nicht zur Geltung kommt und er lieber auf CDs zurückgreifen würde. Die Solisten Roberta Canzian, Laura Polverelli, Aldo Caputo, Marco Bussi sowie der Lege Artis Chor aus dem russischen Sankt Petersburg bieten eine ordentliche Leistung. In der Summe bleibt der Verdacht, dass diese Aufnahme nur als Erinnerung für Publikum und Teilnehmer taugt. (1 DVD, Dynamic, 37740)

Das britische Ensemble The Sixteen unter seinem Gründer und Leiter Harry Christophers hat sich in seiner Diskographie bereits ausführlich Claudio Monteverdis Werk gewidmet. Unter anderem liegt die Messa in illo tempore (1610) vor, ebenso auf drei CDs die Selva morale e spirituale von 1641 und die posthume Messa a quattro voci et salmi. Monteverdis Marienvesper Vespro della Beata Vergine von 1610 wurde von The Sixteen 2014 eingespielt und aufgrund der tadellosen Stimmleistungen für einen Grammy in der Kategorie „Best Choral Performance“ nominiert, es gelingt dem britischen Ensemble, die Vesper schlank und transparent, aber manchen vielleicht etwas zu protestantisch-nüchtern zu interpretieren. Die Konkurrenz ist allerdings groß, Gardiner (die DG-Aufnahme wurde dieses Jahr bei Archiv mit umfangreichem Booklet neu aufgelegt), Harnoncourt, Savall und Alessandrini – die beste Interpretation kann man ausführlich abwägen. Bei der BBC erschien eine Sonderedition Monteverdi in Mantua – The Genius of the Vespers. Diese enthält die beiden CDs der Marienvesper und zusätzlich eine DVD mit einer Dokumentation der BBC über Monteverdi, die nur in englischer Sprache vorliegt. Moderiert von Simon Russel Beale sieht man eine informative und gut gemachte ca. einstündige Sendung mit schönen Aufnahmen aus Mantua, The Sixteen singen Beispiele aus Montverdis Werk. Als Kennenlern-Set für kulturbeflissene Monteverdi- und Italien-Fans kann diese Zusammenstellung reizvoll sein und stellt einen schönen Beitrag zum Monteverdi-Jahr dar (2CD + 1DVD, CORO, COR16237) Marcus Budwitius

Ars gallica im Konzertsaal

 

Um das Oeuvre von Camille Saint-Saens steht es im Moiment mehr als gut – der künstlerische Direktor des Palazetto Bru Zane, Alexandre Dratwicki, frönt seiner Leidenschaft für eben diesen Komponisten, dessen Oper Le Timbre d´Argent gerade (2017) in Paris aufgeführt und für die CD (Ediciones Singulares) festgehalten wurde. Lieder von Saent-Saens erschienen bereits zum Klavier unter der Schirmherrschaft des Palazetto (Tassis Christoyannis bei APARTÉ AP 132/ harmonia mundi), nun also die Orchesterlieder bei Alpha Classics (Alpha 273) unter Markus Poschner und dem Orchester der Italienischen Schweiz. Mit den beiden herausragenden Solisten Yann Beuron/ Tenor und Tassis Christoyannis/ Bass stehen wieder zwei Säulen der Palazetto-Aktivitäten vor uns, die exzellente Diktion und erstklassigen Stimmeinsatz garantieren und die mit dieser hoch interessanten CD ein so seltenes Programm vorstellen, das zu Unrecht vergessen ist. Orchesterlieder gibt es eben nicht nur von Strauss oder Reger, sondern auch von den französischen Komponisten wie Berlioz, Gounod oder Saint-Saens. Im Folgenden dazu ein Artikel von Sebastién Foerster vom Palazetto Bru Zane aus der Beilage der Alpha-Classics-CD.

 

Camille Saint-Saens 1875/ Wiki

«Wenn Sie für Ihr Lied Lust auf ein Orchester haben, tun Sie sich keinen Zwang an, das Orchesterlied ist eine soziale Notwendigkeit; gäbe es welche, so würde man in den Konzerten nicht dauernd Opernarien singen, die dort oft einen jämmerlichen Eindruck erwecken.» (Camille Saint-Saens, Brief an Marie Jaell, 1876)

Mit den Genies ist es wie bei manchen Leuchttürmen: Ihr starkes Licht blendet oft mehr, als es den Weg weist. Im Bereich des französischen Liedes schienen die Meisterwerke Faurés, Duparcs, Chaussons, Debussys und Ravels manchmal wie eine spontane, wunderbare Generation aus dem Nichts hervorzuquellen. Die Aufmerksamkeit nur auf diese Höhepunkte zu beschränken, hieße ein ganzes Jahrhundert von Überlegungen und Kämpfen in Frankreich rund um die Frage des Liedes und besonders des von einem Orchester begleiteten Liedes zu verschmähen: Seit den orchestrierten Romanzen zu Beginn des 19. Jh. über die ersten Orchesterlieder von Hector Berlioz und Félicien David bis schließlich zur Jahrhundertwende das bekannte Goldene Zeitalter erreicht wurde, steuert das Korpus der Lieder von Camille Saint-Saens unbestreitbar zur Geschichte und Entwicklung dieser Gattung bei.

Saint-Saens widmet sein Genie sehr früh der Komposition von Liedern für Gesang und Klavier und nutzt manchmal seinen Elan, um sie gleich auch zu orchestrieren: So schreibt er L’Enlevement über ein Gedicht von Victor Hugo erst für Klavier, dann für Orchester im Jahre 1848, als er erst dreizehn Jahre alt ist; das Gleiche gilt für Reverie (wieder Hugo), das er 1851 vertont und orchestriert, und 1852 für Le Pas d’armes du Roi Jean (Hugo), das als eines seiner Meisterwerke betrachtet wird. Darauf folgen 1853 Feuille de peuplier überein Gedicht von MmeAmableTastu, dann 1855 L’Attente und La Cloche (Hugo) sowie Plainte (Tastu). Unter den fünfundzwanzig Orchestermelodien, die in seinem Katalog verzeichnet sind, wurden bis heute neunzehn aufgenommen: Die Zeitspanne zwischen den Kompositionen bezeugt allein schon das Engagement des Komponisten, da siebzig Jahre zwischen L’Enlevement und Papillons (Renée de Leche) und Angelus (Pierre Aguetant) liegen, wobei beide 1918 und Aimons-nous (Theodore de Banville) 1919 komponiert wurden.

Bemerkenswert ist, dass dieses echte Engagement oft bei weitem nicht von rein musikalischen Gründen motiviert scheint In der Mitte eines Jahrhunderts, in dem die Begeisterung des Publikums für die Oper und das Theater über allem steht, in dem der Einfluss der deutschen Musik immer größer wird und die französischen Komponisten Mühe haben, ihre neuen Werke in Konzerten zu Gehör zu bringen, ist die Entwicklung der Liedgattung ein ebenso künstlerisches wie politisches, ja nationalistisches Anliegen. In diesem Kontext scheinen Saint-Saens‘ Motivationen drei Hauptanliegen zu entsprechen.

Das erste: Der Kampf gegen die erdrückende Vorherrschaft der Opernarien in den Konzertprogrammen, wobei die Opern meist von ausländischen Komponisten stammen. Saint-Saens‘ quasi systematische Widmungen an Sängerinnen und Sänger zielen also darauf ab, dass sich diese an der Förderung des neuen Repertoires beteiligen.

Das zweite Motiv ist die Behauptung, das Gedicht sei der Musik überlegen, was den Komponisten dazu veranlasst, die Verse auf die Melodie zu schmieden „wie ein Goldschmied einen Edelstein fasst“. In seiner gesamten Korrespondenz und seinen zahlreichen Schriften trifft man immer wieder auf einen Camille Saint-Saens, der es für seine Mission hält, für ein klassisches Verständnis des Verses und der Prosodie einzutreten. Unpassende Akzente, falsche Silbentrennungen und Zeilensprünge, wie sie zeitgenössische Operetten- und Opernkomponisten verwenden – vor allem wenn sie wie Offenbach und Flotow aus anderen Ländern stammen – liefern ihm Stoff zu einem permanenten Kampf und nicht weniger häufigen Klagen.

Drittens geht es ihm darum, durch seine Arbeit und Überlegungen zu einer echten Ars gallica beizutragen, wie es sich die Societé nationale de musique ab ihrer Gründung im Jahre 1871 im Zusammenhang mit der Niederlage gegenüber Preußen zur Aufgabe gemacht hatte. Untersucht man den besonderen Fall des Orchesterliedes, so wird klar, dass sich dieses spezifisch französische Genie voll und ganz der hier auf das Lied angewandten Instrumentationsarbeit widmete, das heißt dem, was man Orchesterfarbe nennt.

All diese Nuancen und Motivationen sind im oben zitierten Brief an Maire Jaell erkennbar, wobei die Verwendung des deutschen Wortes „Lied“ unbestreitbar daran erinnert, dass sich der französische Komponist mit der Tradition des deutschen Liedes verbunden fühlt: So drücken L’Enlevement, Extase (Victor Hugo), La Feuille de peuplier und Reverie, deren Strophenformen nur von einem melodischen Motiv begleitet werden, einen einzigen Zustand aus, während gebrochene Akkorde und Arpeggios vorherrschen, die für eine für Klavier konzipierte Begleitung typisch sind.

Aber auch Besonderheiten von Saint-Saens‘ Kunst treten zutage: ein gewisser Sinn für Pittoreskes und (manchmal schwarzen) Humor, ja für Fantastisches durchzieht den Danse macabre (Henri Cazalis), Les Fées und Le Pas d’armes du Roi Jean. In letzterem und in mehreren anderen Liedern (Les Cloches de la mer, Desir d’amour, Aimons-nous, Papillons, Souvenances) erreicht die Kunst des Koloristen Außerordentliches: Jede Strophe hat ihre eigene Textur, jedes Bild seine Klangatmosphäre.

Die Präzisionsarbeit der beiden Interpreten Yann Beuron und Tassis Christoyannis hinsichtlich der Eloquenz wird dem ästhetischen Projekt des Komponisten vollkommen gerecht: Das Wort hat die Vorherrschaft, das Orchester dient.

Camille Saint-Saens im Konzert 1913/ efemeridespedrobeltran.com

Letzter charakteristischer Aspekt: die Exotik, deren Verfechter Saint-Saens unbestreitbar ist und die die drei orchestrierten Stücke der Mélodies persanes op. 26 für Singstimme und Klavier prägt. La Splendeur vide, Au cimetière und La Brise verwenden jedes auf seine Art alte Tonarten, Ostinato-Rhythmen, die ein Gefühl von Wehmut hervorrufen, und Melismen im Gesang. Genau das Richtige, um ein Publikum zu betören, das auf unbekannte Sinnlichkeiten besessen ist.

Die Experimente, die am französischen Lied danach vorgenommen wurden, sind zweifellos in der Nachfolge von Camille Saint-Saens‘ Kompositionen zu verstehen: sowohl als akzeptiertes Erbe, als auch als Ablehnung bestimmter, als rückläufig beurteilter Konzeptionen. So war das Terrain frei für eine außerordentliche Vertiefung der Arbeit über die Orchesterfarbe, aber auch für die unausweichliche Emanzipation der Musik jenseits der Sphäre der Poesie. Sébastien Troester/ Übersetzung Palazetto Bru Zane/ Silvia Berutti-Ronet/ Alpha Classics/ Foto oben: Camille Saint-Saens/ Wikipedia

Märchentante

 

Nun auch ein Buch geschrieben wie bereits viele ihrer Kollegen und Kolleginnen hat Katia Ricciarelli und setzt damit nicht in Erstaunen, weil sie es überhaupt tat, sondern ob des Sujets, das sie gewählt hat. Nicht ihre erfolgreiche Karriere als Sängerin, nicht ihr Wirken als Direttore artistico des Festivals in Macerata, das ihr einige der interessantesten Spielzeiten zu verdanken hat, und nicht die leidenschaftliche Liebesgeschichte, die sie mit José Carreras verband, noch die Ehe mit dem Fernseh-Superstar Pippo Baudo und der unerfüllte Kinderwunsch, an dem eine ganze Nation dank vieler Illustriertenberichte Anteil nahm, sind Gegenstand der ca. 150 Seiten, sondern „Vi canto una storia“ (Ich singe euch eine Geschchte) ist der Titel des Buches mit dem Zusatz „L’opera racontata ai ragazzi“ (Die Oper den Kindern erzählt).

Katia Ricciarelli präsentierte ihr neues Buch „Vi canto una storia“ in ganz Italien, hier in Brindisi/ Brindisi.time.it

Wie viele italienische Musiker macht sich La Ricciarelli offensichtlich Sorgen über den Mangel an musikalischer Erziehung in italienischen Schulen, über den Niedergang der klassischen Musik in ihrem Heimatland, der Riccardo Muti erst unlängst äußern ließ, Italien sei nicht mehr das Land der Musik, sondern das der Musikgeschichte.

Offensichtlich ist es das Ziel der Autorin und ihres Mitautors Marco Carrozzo, Kinder für den Besuch von Opern zu gewinnen, und sie erfindet dazu eine Rahmenhandlung, in der sie nacheinander vier Kindern mit unterschiedlicher Skepsis gegenüber  der Gattung die Handlung von Opern als fiabe speciali (besondere Märchen) erzählt und schließlich mit allen Vieren die Oper „Hänsel und Gretel“ besucht und damit einen Riesenerfolg erzielt.

Skeptisch macht den erwachsenen und wohl auch den jugendlichen Leser die Menge von Zufällen, die die Sängerin immer genau das richtige Kind, die richtige Situation und die passende Opernhandlung zusammenfinden lassen. Auch geht es ausschließlich um Inhaltsangaben, nie um die Musik, und da zudem noch das Libretto nicht spannend nacherzählt wird, sondern Inhaltsangaben im Präsens geboten werden, die von Fragen und Bemerkungen unterbrochen werden, der Bezug zum Märchen als roter Faden sich durch das Buch zieht, wird suggeriert, dass  der Wert einer Oper sich an ihrer Nähe zum Märchen bemessen lässt. Geht es, selten genug, wirklich um die Oper, so um die Stimmgattungen, dann werden nur die Bezeichnungen, also Sopran usw. genannt, aber nicht einmal erwähnt, dass es um die Höhe der jeweiligen Stimme geht. Dass auch einmal ein Pamino erwähnt wird oder  der Inhalt vom Barbiere nicht ganz korrekt wiedergegeben wird und Hänsel und Gretel ohne Taumännchen und Engelsschar auskommen müssen, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Auch Kinder dürften die Rahmenhandlung als zu betulich-neckisch-sentimental ansehen, und sie werden dazu gebracht zu glauben, dass Opern, wie der Text mehr als nahelegt, besondere Märchen sind, nur weil Ricciarelli  diejenigen ausgewählt hat, die das mehr oder weniger glauben machen wie Elisir, Falstaff, Barbiere, Cenerentola, Zauberflöte und Barbiere.  Il Canto, der doch im Titel zumindest in Verbform vorkommt, spielt so gut wie keine Rolle außer im Anhang, in dem CDs und  DVDs, möglichst mit dem Sopran unter den Mitwirkenden, empfohlen  werden. Hübsch ist das Cover mit einer von Opernfiguren umgebenen jugendlichen Katia Ricciarelli, ansprechend sind auch die Zeichnungen von Desideria Guicciardini im Buch (Edizione Piemme, Mailand 2016, ISBN 978-88-566-5248-2). Ingrid Wanja

Die Geburt der Oper am Hof der Medici

 

Die Uraufführung von L‘Orfeo des Komponisten Claudio Monteverdi 1607 in Mantua war nicht die erste Oper, aber der frühe erste Höhepunkt der Gattung, die in Florenz ihre Geburt erlebte. Wie konnte dieses Meisterwerk entstehen? Der junge französische Barockexperte Raphaël Pichon und sein Ensemble Pygmalion bieten nun im Jahr von Monteverdis 450. Geburtstag ihre ganz eigene Recherche zu den frühesten Zeiten der Oper am Hof der Medici. Auf 2 CDs vereint Stravaganza d’Amore! rekonstruierte Musik aus Intermedien, musikalische Zwischenspiele bei fürstlichen Festivitäten und des Karnevals, die als Vorform der Oper schon vieles enthalten, was Monteverdi dann verdichtete. Zu hören ist Musik von  Lorenzo Allegri, Antonio Brunelli, Giovanni Battista Buonamente, Giulio Caccini, Emilio de‘ Cavalieri, Girolamo Fantini, Marco da Gagliano, Cristofano Malvezzi,  Luca Marenzio, Alessandro Orologio, Jacopo Peri und Alessandro Striggio, die zwischen 1589 (La pellegrina) und 1608 (Gaglianos Dafne) in Florenz aufgeführt wurde und die von Pichon zu vier neuen, imaginären Intermedien kombiniert wurden. Das Schauspiel La pellegrina von Girolamo Bargagli wurde anlässlich der Hochzeit zwischen Ferdinando I. de Medici und Christina von Lothringen aufgeführt, deren Festlichkeiten mehrere Wochen dauerten. Sechs Komponisten schufen musikalische Zwischenspiele, die Bühnentechnik, Kostüme  und Choreographie erforderten. Das Publikum war anscheinend so verzaubert, dass das Schauspiel zur Nebensache wurde. Florenz wurde das Laboratorium, in dem Komponisten neue Formen entwarfen und sich die Zwischenspiele zu eigenständigen Spektakeln entwickelten konnten.

Stravaganza d’Amore! bei harmonia mundi france

Diese Entwicklung will die vorliegende Einspielung aufzeigen. Die Zusammenstellung ist wirkungsvoll, es ist keine Musik, die man noch nie gehört hat, aber Musik, die man so noch nie gehört hat und den Ausdrucks- und Ideenreichtum der frühen Schöpfer in größerem Kontext hervorhebt und würdigt. Pichon gelingt diese phantasievolle Zusammenstellung (fast) durchgängig sehr überzeugend – se non è vero, è ben trovato, man glaubt beim ersten unvoreingenommenen Zuhören, dass die Intermedien real sind. Das erste Intermedium „All’imperio d’Amore“ beginnt mit der Toccata La Renuccini von Girolamo Fantini, Zinken und Posaunen leiten die Festlichkeiten ein, die die Liebe feiern. Das zweite Intermedium „La Favolla d’Apollo“ hat pastorale Momente, Hirten und Nymphen  treten auf, Dafne entzieht sich den Nachstellungen Apollos durch die Verwandlung in einen Lorbeerbaum. An dritter Stelle folgt „Le Lagrime d’Orfeo“ – die Tränen des Orpheus beinhalten die Liebe des Sängers zu Eurydike (und hier ist die Balance mit zu viel Lamentos nicht ganz gelungen), musikalisch konzentriert man sich auf L’Euridice von Peri (1600, anlässlich der Heirat zwischen Maria de Medici und dem französischen König Henri IV) und Caccini (1602). Zum Abschluss ist dann „Il Ballo degli reali Amanti“ zu hören. Emilio de‘ Cavalieri war Musikdirektor für La pellegrina und komponierte auch selber eine der sechs Intermedien, den Ballo – ein rhythmischer Tanz über einem ostinaten Bass, der damals überregional bekannt wurde und den andere Komponisten später aufgriffen, beschließt die Aufnahme, die 37 Nummern und ca. 100 Minuten Musik bietet. 12 Solisten, 24 Chorsänger und 27 Musiker sind beteiligt und bestens disponiert, sie alle gestalten sorgfältig und engagiert. Man hört Instrumentalstücke, Chöre und Vokalsolisten, das Ergebnis ist opulent und festwürdig, aber mit einer großen Schwäche: die Aufnahme aus der Versailler Chapelle Royal hat zu viel Hall, der Klang verliert an Dichte und wird breiig. Wäre der Klang klarer, hätte man hier eine herausragende Einspielung frühbarocker Operngeschichte. Stravaganza d’Amore! ist nicht einfach der Titel einer Doppel-CD, sondern eines kleinen Buchs mit Texten, Libretto und Abbildungen, in dem Pichon sowie zwei Musikwissenschaftler dreisprachig auf ca. 150 Seiten (davon ca. 23 Seiten in deutscher Übersetzung) über Historie und Auswahl referieren. Wer sich für Monteverdis Musik und frühe Opern begeistert, wird bei dieser gelungenen Rekonstruktion fündig. (Stravaganza d’Amore!, harmonia mundi, HMM902286.87) Marcus Budwitius