Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Valentina Levko

 

Mit Bedauern hörten wir vom Tode der großen russischen Mezzosopranistin Valentina Levko, die am 18. August 2018 im Alter von 92 Jahren verstarb.  Der unersetzliche Kutsch-Riemens schreibt zu ihrer Biographie: Levko, Valentina (Nikolajewna), Mezzosopran, * 13.8.1926 Moskau; sie wurde an der Gnesin-Musikhochschule in Moskau ausgebildet und war auch Schülerin des Moskauer Konservatoriums. Ursprünglich studierte sie Violin- und Violaspiel, ließ dann aber ihre Stimmr ausbilden. Sie erregte das Aufsehen der berühmten russischen Altistin Maria Maxakowa, die ihr Unterricht erteilte und sie in ihrer Karriere förderte. 1957 begann sie ihre Bühnenlaufbahn am Akademischen Musiktheater in Moskau, nachdem sie dort einen Gesangwettbewerb gewonnen hatte. 1959 wurde sie an das Bolschoj Theater Moskau berufen und gehörte bald zu den bedeutendsten Künstlern dieses Opernhauses. Zahlreiche Gastspiele brachten ihr in Rußland wie in aller Welt großes Ansehen. So gastierte sie an der Mailänder Scala, an Opernbühnen in Deutschland, Frankreich und in Nordamerika. 1968 und 1970 unternahm sie ausgedehnte Konzerttourneen in Westdeutschland, bei denen sie vor allem das russische Volks- und Kunstlied zum Vortrag brachte. Auf der Bühne bewältigte sie neben den großen Altpartien aus dem russischen Opernrepertoire zahlreiche Rollen aus der gesamten Opernliteratur. Sie galt als hervorragende Darstellerin; sie wurde zur verdienten Künstlerin der UdSSR ernannt. Viele Schallplattenaufnahmen der staatlichen sowjetrussischen Produktion (Melodiya), darunter zwei vollständige Aufnahmen von »Pique Dame« von Tschaikowsky (als alte Gräfin, eine von 1966, die zweite von 1974), einiges davon auf Eurodisc (»Pique Dame«, als Gräfin in eben dieser Oper ist sie oben abgebildet/ centerlevko.ru) und auf Philips übertragen.  [Lexikon: Levko, Valentina. Großes Sängerlexikon, S. 14275  (vgl. Sängerlex. Bd. 3, S. 2058) (c) Verlag K.G. Saur]

Lindpaintners „Vespro siciliano“

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Noch eine Sizilianische Vesper? Nicht von Verdi? Aber Ja!. Nämlich Il vespro siciliano von 1843! Von dieser großen und bedeutenden Oper  Peter Joseph Lindpaintners – die in Bad Wildbad 2015 in der italienischen Fassung gespielt wurde – konnte man erstmals 2011 zwei beeindruckende Stücke in einem Konzert in Wildbad hören, wo die Oper zu Teilen komponiert wurde. Nun präsentiert Naxos den bei „Rossini in Wildbad“  aufgenommenend und heute fast gänzlich unbekannten Komponisten, der das Stuttgarter Hoftheater auf hohem Niveau leitete, mit einem vom Vormärz befeuerten Revolutionsstoff, lange vor Verdi. Ein Ereignis, dirigiert von Federico Longo! In dieser groß besetzten Oper singen Silvia Dalla Benetta, Ana Victoria Pitts, Danilo Formaggia und Cesar Arrieta, es spielen und singen  die Camerata Bach Choir Poznan und die Virtuosi Brunensis unter Federico Longo, Naxos 4 CD 8660440-43).

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Lindpaintner: „Die sizialinische Vesper“ – Theaterzettel der Uraufführung in Stuttgart 1843/Tosta

Erstmal die Rezension von Matthias Käther: Fast jeder berühmte Opern-Stoff ist mehr als einmal vertont worden, und inzwischen machen sich eine Menge Festivals und Opernhäuser den Spaß, unbekannte Opern mit bekanntem Inhalt aufzuführen. Nun liegt ein Mitschnitt vor von einer „Sizilianischen Vesper“, und zwar nicht von Verdi, sondern von Peter Joseph von Lindpaintner. (…) Lindpaintner war – zumindest in dieser Oper – kein Mann der Reform. Die Oper folgt den gängigen Belcanto-Mustern. Anders als in der kürzlich erschienenen „Catharina Cornaro“ seines Landsmannes Franz Lachner blitzt kaum so etwas wie ein Personalstil auf.

Nun muss das bei einer gut gebauten – und dieses Werk ist bis ins kleinste Detail gut gebaut! – Oper nicht immer ausschlaggebend für den Erfolg sein. Man kann, wie wir von zahlreichen zweitklassigen Opernpräsentationen auf diversen Festivals wissen, auch an solchen Spektakeln durchaus seinen Spaß haben. Doch hier ist diesmal viel falsch gemacht worden.  Dabei hatte man mit Volker Tostas kritischer Edition eine Steilvorlage für einen großen Abend beim Rossini-Festival in Bad Wildbad, das in den letzten Jahren immer wieder mit originellen bis genialen Ausgrabungen für Furore sorgte.

Doch diesmal war es ein Rohrkrepierer. Zunächst wurde mit der Übersetzung ins Italienische dieser deutschen Oper noch der letzte Anschein einer nationalen Anmutung geraubt, die Akustik der Trinkhalle wurde dem monströsen Werk nicht gerecht, und der Camerata Bach Choir klang eindeutig zu dünn. Auch die Sänger bleiben hinter den Anforderungen zurück. Sicher ist Danilo Formaggia ein akzeptabler Tenor – in kleinen Werken. In Buffe wäre er entzückend. Hier geht er als Fondi schon im Auftrittslied unter. Eine Spur souveräner und nobler, aber eigentlich auch zu klein besetzt: Mtija Meic als Carlo d’Anjou. Einzig Silvia Dalla Benetta als Eleonora und Ana Victoria Pitts als Page Albino waren dem gigantischen Werk stimmlich gewachsen. Für mich ein Flop – und doch muß man den Mut Wildbads bewundern, sich immer wieder solcher Werke anzunehmen. Vielleicht klappt es beim nächsten wieder besser. Matthias Käther

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 Zum Komponisten und Werk: Der 14. Februar 1844 ist ein großer Tag im Leben des 1791 in Koblenz geborenen, königlich württembergischen Kapellmeisters Peter Joseph Lindpaintner. Genau 25 Jahre nach seinem Dienstantritt im Jahr 1819 wird Lindpaintner mit dem „Ritterkreuz der Württembergischen Krone“ ausgezeichnet, mit dessen Verleihung die Erhebung in den persönlichen Adelsstand verbunden ist. Damit würdigt König Wilhelm I. die Verdienste Lindpaintners um die Stuttgarter Hofoper, die dieser wieder auf das künstlerische Niveau der legendären Zeit Jomellis (1753-1769) an der Hofbühne des Herzogs Karl von Württemberg geführt hat.

Der Komponist Peter Joseph Lindpaintner/Wiki

Der Komponist Peter Joseph Lindpaintner/Wiki

Insbesondere das Orchester entwickelt er zu einem der besten Klangkörper Deutschlands. Felix Mendelssohn schreibt: „Der Lindpaintner ist glaub‘ ich jetzt der beste Orchesterdirigent in Deutschland, es ist als wenn er mit seinem Taktstöckchen die ganze Musik spielte“, und er lobt weiterhin das „vortreffliche Orchester, das so vollkommen schön und genau zusammengeht, wie man es nur erdenken kann.“ Lindpaintner kam als erst 28-jähriger Mann aus München nach Stuttgart, und mit seinem Amtsantritt setzte das Aufblühen der Oper nach einer langen Zeit des Niedergangs ein. Er verdankt dies in erster Linie der strengen Disziplin, die er bei Orchester und Sängern einführt. Aber er sieht sich nicht in erster Linie als Dirigent und Organisator, als den man ihn nach vielen Jahren häufig wechselnder Direktionen angeworben hat, sondern als Komponist, und seine Zeitgenossen sehen das auch so. Der Stuttgarter Hofkapellmeister wird von maßgeblichen zeitgenössischen Musikern (Spohr, Schumann) und Theoretikern (Marx) in der Hochzeit seines Wirkens als Hoffnungsträger unter den deutschen Opernkomponisten geachtet; Mendelssohn müht sich sogar persönlich um eine Aufführung seiner Musik in den Gewandhauskonzerten, und in den populären Gattungen Instrumentalkonzert und Ouvertüre gilt er unbestritten als Koryphäe.

Lindpaintner: Herzog Carl Eugen von Württemberg (1737–1793)

Lindpaintner: Herzog Carl Eugen von Württemberg (1737–1793)

Sein Verhältnis zu Stuttgart bleibt über die Dauer seines 38-jährigen Wirkens jedoch stets ambivalent. Er ist sich bewusst, dass das lutherisch geprägte und in künstlerischer Sicht provinzielle Stuttgart einen schlechten Ausgangspunkt für eine Komponistenkarriere darstellt, vor allem wenn es um die Oper geht. Seinem Freund Bärmann in München gesteht er, dass eine erfolgversprechende Karriere als Opernkomponist eigentlich nur von Berlin, Dresden, München oder Wien ausgehen könne. König Wilhelms nüchterne Sinnesart, seine mäßigen Leidenschaften, seine Abneigung gegen jeglichen Prunk und seine ganz auf das Pragmatische gerichtete Religiosität; all diese Eigenschaften wirken wie ein Spiegel der geistigen Atmosphäre, die das alltägliche Leben in der Residenzstadt prägt. Ein Enthusiasmus für die Kunst ist nicht auszumachen; das Publikum sitzt für gewöhnlich auf seinen Händen. Doch Lindpaintners Amt in Stuttgart ist gut honoriert, und seine Stellung ist viele Jahre lang dank seiner ausgezeichneten Beziehung zum König unangefochten. Tatsächlich hat Lindpaintner mehrfach die Gelegenheit, nach Berlin, Dresden, München oder Wien zu wechseln. Er ist ein umworbener Musikdirektor und unterhält gute Beziehungen zu den in Frage kommenden Intendanzen. Mehrfach steht ein Wechsel kurz vor dem vertraglichen Abschluss, aber stets setzt sich sein Hang zur Bequemlichkeit und Sesshaftigkeit durch. Stuttgart wird für ihn zum goldenen Käfig.

Trotz der hohen Belastungen durch den Dienst am Hoftheater arbeitet er mit Feuereifer an seiner Komponistenkarriere, vor allem auf dem Gebiet der Oper. So kommen bis zum Ende seines Lebens (1856) einundzwanzig Opern verschiedenster Gattungen zustande, ein ganzes Kompendium der zu seinen Lebzeiten im Trend liegenden Opernformen, von der Opera seria (Demophoon 1810, später unter dem Einfluss der Erfolge Rossinis umgearbeitet in Timantes 1819) über die deutsche romantische Oper (Sulmona 1823, Der Bergkönig 1825, Der Vampyr 1828), die deutsche Spieloper (Die Macht des Liedes 1836, Libella 1855), die große historische Oper (Die Genueserin 1838, Die sizilianische Vesper 1843, Giulia oder die Korsen 1853) bis zur repräsentativen Festoper zur Einweihung des umgebauten Hoftheaters (Lichtenstein 1846), die nichts weniger darstellt als den Versuch, auf der Basis eines Romans von Wilhelm Hauff eine württembergische Nationaloper zu schaffen.

Lindpaintner;: „Il vespro sicialino“ (Naxos 4 CD 8660440-43)

Die Vielseitigkeit der Opernproduktionen Lindpaintners ist unter anderem auch Ausdruck für das Dilemma, in dem die deutschen Komponisten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stehen: Welchen Weg zu einem spezifisch deutschen Opernwerk sollen sie einschlagen? Das Publikum, an dessen Vorlieben das Repertoire weitestgehend ausgerichtet ist, bevorzugt hauptsächlich Opern französischen oder italienischen Ursprungs, die zu Dreivierteln die Spielpläne beherrschen. Die Kritik und verbreitete theoretische Schriften verlangen dagegen einen eigenen deutschen Weg, der letztlich immer wieder in Werke mündet, die die sinnlichen Bedürfnisse der Zuhörerschaft ignorieren. Auch Lindpaintner muss, etwa mit seiner Sulmona, die Erfahrung machen, dass allzu großer Anspruch einem Erfolg eher im Wege steht. Er geht danach andere Wege; mit seinen historischen Opern versucht er, im Gefolge Aubers, Rossinis und Meyerbeers „den großen Haufen“ anzusprechen, wie Spohr es eher verächtlich meint. Lindpaintner schreibt: „Ich unternahm es, meine Hand an ein Werk der größeren Gattung zu legen, und wollte es versuchen, des deutschen Volkes Herz und Ohr durch populär-fassliche Melodien zu gewinnen.“ Das Werk, über das er hier schreibt, ist seine Große heroische Oper in 4 Akten Die sizilianische Vesper, die den erfolgreichen Aufstand der Sizilianer gegen die Herrschaft der Franzosen unter Karl von Anjou im Jahr 1282 zum Thema hat.

Lindpaintner: Bühnenbild zur "Sizianischen Vesper" in der Stuttgarter Aufführung/Tosta

Lindpaintner: Bühnenbild zur „Sizianischen Vesper“ in der Stuttgarter Aufführung/Tosta

Das Werk: Tatsächlich liegt der Typus der in Paris zur Blüte gekommenen Großen historischen Oper bei den führenden deutschen Opernkomponisten am Ausgang der 1830er Jahre voll im Trend, und auch Lindpaintner ist damit bestens vertraut, da er alle maßgeblichen Opern dieses Typs schon in Stuttgart auf die Bühne gebracht hat. Die relativ liberale Theaterzensur des Verfassungsstaates Württemberg  ermöglicht es, die Werke entsprechend dem Original unverändert auf die Bühne zu bringen, auch wenn darin die Revolution zum Thema gemacht wird. Insbesondere die Werke Meyerbeers, noch dazu eines Landsmannes, werden in den 1840er Jahren für die führenden deutschen Opernkomponisten zum Vorbild, von dem man sich Impulse für die Schaffung einer modernen deutschen Oper erhofft. Und so schreiben Marschner, Lachner, Lindpaintner und Wagner alle ihre Versionen der Großen historischen Oper. Von diesen dürfte Lindpaintners Oper dem Meyerbeer’schen Modell am entschiedensten gefolgt sein, was in einer grundlegenden, stilkritischen Analyse noch zu belegen wäre. Spezifisch deutsche Elemente sind in diesem Werk in seiner nach dem damaligen Verständnis avancierten Harmonik, der durch Durchführungselemente stark angereicherten Orchestersprache und den immer wieder auftauchenden, volksliednahen Strophenliedern auszumachen, die beim deutschen Publikum sehr beliebt sind. Trotzdem bleibt der Eindruck einer im Gesangsmelos eher französisch-italienisch grundierten Oper bestehen. Neben Meyerbeer muss auch Aubers Muette de Portici als Vorbild genannt werden, mit der die Oper die in Italien angesiedelte Revolutionsthematik gemein hat, was zu ähnlichen musikalischen Formulierungen führt, ohne jedoch Aubers stilistische Anleihen bei der Opéra comique zu übernehmen, wie er überhaupt genau darauf achtet, keine bloßen Kopien seiner Vorbilder abzuliefern. Somit gelangt Lindpaintner trotz einer eklektischen Grundhaltung zu einem durch individuelle Abänderungen der verwendeten Modelle überzeugenden Ergebnis, bei dem er die von der jeweiligen dramatischen Situation erforderlichen modernen Stilmittel seiner Zeit einsetzt.

Lindpaintner: Der Librettist Heribert Rau/Freie Religiöse Gesellschaft Offenbach

Lindpaintner: Der Librettist Heribert Rau/Freie Religiöse Gesellschaft Offenbach

Das Libretto stammt von dem opernunerfahrenen Literaten Heribert Rau und muss trotz einiger Mängel zu den besseren deutschen Operntexten seiner Zeit gerechnet werden. Mit seiner direkten Sprache, die die lyrische Blumigkeit vieler deutscher Libretti vermeidet, stellt es sich den Anforderungen einer bühnenwirksam zu komponierenden Vorlage. Zudem gelingen Rau in den Auftritten Karls fesselnde Charakterportraits eines Machtmenschen, der bei Eleonores Heraufbeschwörung des Geistes des von ihm hingerichteten Konradin von Hohenstaufen sogar Macbeth-hafte Züge zeigt. Lindpaintner erhält Raus Buch Anfang 1842 und beginnt sofort mit Skizzen zur Oper. Die eigentliche Komposition schreibt er im Juli und August 1842 während der Theaterferien in Langenargen am Bodensee, wo er regelmäßig seinen Sommer verbringt. Daheim in Stuttgart instrumentiert er die Oper im Winter 1842/43 und schließt die Partitur am 29. Januar 1843 ab. Die Ouvertüre schreibt er erst wenige Wochen vor der Premiere; sie trägt das Datum vom 24. April 1843. Die Uraufführung findet am 10. Mai 1843 statt. Die Rezension der AMZ von der Premiere belegt den enthusiastischen Erfolg der Oper: „Stuttgart, den 10. Mai. Gestern wurde hier im königl. Hoftheater zum ersten Male Lindpaintners neue Oper: Die sizilianische Vesper gegeben. Wenn nicht zu leugnen ist, dass Lindpaintner früher stets eine ziemlich mächtige Opposition fand und dass das Stuttgarter Publikum im Allgemeinen ein sehr kühles ist, das sich nur selten aus seiner teilnahmslosen Ruhe heraus begibt, so bringt es dem verdienstvollen Autor doppelt Ehre, wenn seine neue Oper mit einem Beifall, mit einer Wärme aufgenommen wurde, die bisher hier unerhört war und sich während der ganzen Aufführung erhielt und steigerte, so zwar, dass, was hier überhaupt noch nicht vorgekommen, der Komponist am Schlusse des Werks stürmisch hervorgerufen ward.“ Allein im Premierenjahr kommt es in Stuttgart zu vier weiteren Aufführungen, einer für die damalige Spielplangestaltung vergleichsweise hohen Zahl. Andere Städte folgen: München, Hamburg, Kassel, Braunschweig, Coburg, Breslau und Dresden. Das Werk wird der größte Erfolg Lindpaintners nach seinem Vampyr (1828). Doch nachdem die Oper die ersten Schritte einer erfolgversprechenden Karriere gemacht hat, wird es aus bisher unerforschten Gründen still um sie.

De gauche à droite : Lindpaintner, Spohr, Molique, Berlioz et Ella, partie d'une intéressante lithographie (où figure également Vieuxtemps) exécutée en 1853 d’après un dessin de Charles Baugniet (1814-1886), intitulée L’Analyse. Souvenir de la Musical Union (Neuvième Saison) et reproduite sur une page du riche site Hector Berlioz/mvnm.org

Im Kreise der Kollegen/De gauche à droite : Lindpaintner, Spohr, Molique, Berlioz et Ella, partie d’une intéressante lithographie (où figure également Vieuxtemps) exécutée en 1853 d’après un dessin de Charles Baugniet (1814-1886), intitulée L’Analyse. Souvenir de la Musical Union (Neuvième Saison) et reproduite sur une page du riche site Hector Berlioz/mvnm.org

Die Zeit des Vormärz läuft auf die Revolution 1848/49 zu; da sind Stücke mit einer Revolutionsthematik bei den Behörden nicht opportun. In Stuttgart kommt es zu insgesamt acht Aufführungen bis zum Jahr 1845, eine gute Zahl für ein neues Werk in dieser Zeit. Danach tritt im Theaterbetrieb aufgrund des Neubaus des Hoftheaters eine Pause ein, und das wiedereröffnete Theater wird 1846 wiederum mit einer neuen Oper Lindpaintners – Lichtenstein – eingeweiht. Darüber gerät Die sizilianische Vesper in Vergessenheit. Die Jahre danach sehen Lindpaintners Karriere mit Beginn der Intendanz von Ferdinand von Gall bereits im Abstieg begriffen. Es kommt zu Differenzen mit dem neuen Intendanten. Seine Kompetenzen werden beschnitten. Ein Absprung aus Stuttgart gelingt dem gebrochenen Lindpaintner nun nicht mehr; sein Pensionierungsgesuch wird abgelehnt. Lediglich sein weiter gutes Verhältnis zum König und seine Autorität als erfahrener Orchesterleiter bewahren ihn vor einem tieferen Abstieg. Lindpaintner stirbt am 21. August 1856 in Nonnenhorn am Bodensee, wo er auch begraben liegt. In Stuttgart kommt es noch zu einer Gedenkfeier, bei der sein Vampyr 1856 zum letzten Mal erklingt. Danach wird hier keine seiner Opern mehr gespielt.

Lindpaintner: Die Sopranistin Haus als Eleonore/Tosta

Lindpaintner: Die Sopranistin Haus als Eleonore/Tosta

Wildbad: Lindpaintners Arbeitseifer bleibt nicht ohne Folgen für seine Gesundheit. Im Oktober 1833 erkrankt er schwer, vermutlich an einem rheumatischen Fieber im Nackenbereich. Noch Jahre später leidet er des Öfteren an einem „Rheumatism im Genike, der so heftig ist, daß er mich manchmal zum Schreyen nötigt.“ Wie später sein berühmter, italienischer Komponistenkollege reist Lindpaintner nach Wildbad, wo er sich Heilung und Entspannung erhofft, so auch kurz nach den aufreibenden Wochen der Vorbereitungen zur Premiere der Sizilianischen Vesper. Belegt ist dies durch handschriftliche Eintragungen Lindpaintners im autographen Klavierauszug, den er im Mai und Juni 1843 in Wildbad fertigstellt und somit der Oper die Gestalt gibt, in der sie im weiteren in Stuttgart und anderswo aufgeführt wird. Aber nicht nur diese lokalgeschichtliche Kuriosität prädestiniert gerade dieses Werk zu einer Aufführung 2015 beim Belcanto-Festival Rossini in Wildbad. Wir können daran erleben, wie viel Belcanto in der deutschen Oper der vorwagnerschen Epoche steckt, die in ihrer Vielfalt im heutigen musikalischen Bewusstsein völlig unbekannt und durch Fidelio und Der Freischütz absolut nicht adäquat in den Spielplänen repräsentiert ist. Lindpaintner ist ein großer Rossinikenner und ist entscheidend an der Etablierung der Opern Rossinis im Repertoire des Stuttgarter Hoftheaters beteiligt. Wie ein roter Faden zieht sich durch Lindpaintners Opern eine Neigung zur Italianità. Über die Komposition seines Bergkönigs schreibt er, er habe bei der Niederschrift stets „Zeit, Mode, Deutsch u. Italienisch im Auge behalten“. Das italienische Melos seiner Sizilianischen Vesper ist also nicht nur als durch den Stoff bedingtes Lokalkolorit zu verstehen, sondern ist offenbar ein Grundzug seines persönlichen Stils. Nicht zufällig erscheinen die Klavierauszüge einiger seiner Opern mit deutschem und italienischem Text.

Lindpaintner: Der Bass Rauscher als Fondi/Tosta

Lindpaintner: Der Bass Rauscher als Fondi/Tosta

Rossini in Wildbad hat sich dazu entschieden, Lindpaintners Sizilianische Vesper als Il Vespro Siciliano in der italienischen Übersetzung Wilhelm Häsers, eines literarisch ambitionierten Sängers am Stuttgarter Hoftheater und Logenbruders Lindpaintners, zu spielen. Hiermit wird nicht nur der spezifischen künstlerischen Ausrichtung des Festivals Rechnung getragen; das italienische Sprachmelos unterstreicht auch die ohnehin in der Partitur angelegte Italianità von Lindpaintners Komposition, die in dieser Form mit einiger Wahrscheinlichkeit zum ersten Mal gespielt wird. Mit der Produktion von Lindpaintners Oper bereichert Rossini in Wildbad seine sehr verdienstvollen Entdeckungsreisen in das zeitgenössische und stilistische Umfeld Rossinis um eine lokale Facette, die die Überlappungen italienischer, französischer und deutscher Musikgeschichte in ein neues, bislang unbekanntes Licht taucht. Neben den gebotenen lokal- und musikgeschichtlichen Erkenntnissen ist das Werk aber auch ein wahrer Leckerbissen für den Opernfreund. Es bietet viel Eingängiges, Spannendes, melodisch Süffiges und in der hier gebotenen Zusammenstellung sogar Neues. Lindpaintner hält die Sizilianische Vesper für einen Höhepunkt seines Opernschaffens. Lassen wir uns also mit seiner Beurteilung des Werkes schließen, mit der er die Oper dem bayerischen König Ludwig I. empfiehlt: „Mein Bestreben aber, die Erfahrungen meines Kunstwirkens wie in einem Brennpunkt zusammenzufassen, war einzig darauf hingezeichnet nach meiner besten Ueberzeugung dem Vocale wie dem Instrumentale nur das Würdige, Wirksame, Eigenthümliche zu bieten und das Solide mit dem Modernen zu verbinden.“ (Foto oben: Michele Rapisardi: „I vespri siciliani“/ Wiki) © Volker Tosta, Stuttgart im Oktober 2014

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Dänische Klangbilder von 1867 bis 2017

 

Auf den Flügeln der Phantasie  – Dänische Klangbilder von 1867 bis 2017: Über 150 Jahre hat sich die Königliche Akademie der Musik in Kopenhagen als die große Institution im Musikleben Dänemarks erwiesen. Eine Abfolge großer Namen des dänischen Musikgeschehens – Schöpfer wie Interpreten – haben an der RDAM gewirkt. Eine beispiellose 12-CD-Ausgabe bei Dacapo malt ein einzigartiges Klang-Portrait der RDAM und wichtiger Aspekte des dänischen Musiklebens von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis in unsere Gegenwart. Nur wenige sind einem nicht-dänischen Musikliebhaber bekannt und zeigen eine verblüffende Vielfalt an Stilen und Formen. Neben solchen wie Niels Gade, Carls Nielsen  finden sich Komponisten wie  J. E. Hartman, Knudage RiIsager, Vagn Holmboe, Finn Höffding, Hermann D. Koppel, Per Nörgard, Hans Abrahamsen, Erik Höjsgaard, Niels Rosing-Schow, Svend Westergaard, Ib Nörholm und viele, viele mehr mit ebenso historischen wie neueingespielten Aufnahmen. Eine wichtige weitere Abteilung ist den Interpreten gewidmet, die einem Kontinentaleuropäer oft meistens unbekannt geblieben sind, namentlich die Sänger der Vergangenheit wie Else Paaske, Helene Gjerris, Otta Brönnum.  Natürlich kennt der aufgeklärte Vokalfan Tonny Landy und Kim Borg (wenngleich doch auch manche wichtige Namen fehlen – die Kriterien der hier vorgestellten Auswahl sind  etwas unübersichtlich – Oper ist nur mit Tonny Landys Beitrag aus Lucia di Lammermoor vertreten.). Daneben viele Instrumentalisten von Rang. Die 12-CD-Box bei Dacapo (8.201202) ist ein Cornocupium an akustischen Fundsachen, ein Who-is-Who in der dänischen Musik (mit Lücken). Sie ist allen anzuraten, die sich mit der bei uns wirklich so gut wie unbekannten Musik unseres nördlichen Nachbarlandes beschäftigen wollen.

Die alte Königliche Dänische Musik-Akademie am Andersen Boulevard in Kopenhagen/ Foto Booklet Dacapo

Meine alte und leider 2008  verstorbene Freundin, die Sängerin Inga Nielsen, hat mich immer wieder auf ihre nationale Musik hingewiesen – auf  Kunzen und dessen wunderbare Oper Holger Danke (die wir später vorstellen werden und die auch bei Dacapo eingespielt wurde), auf Nielsens Maskerade oder Saul og David und Heises spannende Königsoper Drot og Marsk, auf Friedrich Kuhlau oder Johann Adolf Scheibe. Dänemark ist ein Land mit reicher musikalischer (auch Opern-)Vergangenheit. Diese prachtvolle Box bei Dacapo hilft dem Suchenden auf die Sprünge und eröffnet ein Blick in ein anderes Land. Im Folgenden geben wir den Artikel von Toke Lund Christiansen aus dem Booklet in seiner englischen Übersetzung bei Dacapo wider. Eine starke Empfehlung. G. H.

 

Toke Lund Christiansen: There is a time to compose, to have work performed and published, a time to rehearse and perform, and finally there is a time to stop and take stock. For the composers and musicians of the Academy it is now an anniversary year, after 150 years of music.

The first audible tracks we have of the music surrounding the Royal Danish Academy of Music are recordings of instrumentalists and singers presenting themselves in the black grooves of old 78s. Today too, with a little good will, we can get an impression of how Dan­ish musical life unfolded from the 1890s and throughout the subsequent decades. We just have to accept a little ‚crackle‘ from the early recordings.

But there was also music before that. We can only guess how it sounded. From Carl Nielsen we hardly even have his voice. We know he spoke with a melodious Funen accent, but no one thought, in those days when it was possible, to preserve the voice of our na­tional composer. A single track is full of noise, and in the background we can hear Nielsen playing the piano, but the quality is just as technically poor as the unique recording that exists of Brahms playing a Hungarian fantasy.

Before Carl Nielsen, too, there was music in Denmark, although we cannot hear Gade’s violin or Hartmann’s organ playing. Part of the Academy’s celebration on the CDs consists of presentations of the music of the Golden Age composers played by among others the teachers of the Academy – past as well as present.

It is inherent in the Danish name of the Academy – Konservatoriet or the Conservatoire – that something is worth conserving. Much music and musical activity builds on tradi­tion, but a ‚conservatoire‘ also has an obvious obligation to take care of the more recent and not least the brand new music and tendencies. For that reason too, in the present box set you will also find a number of CDs which primarily present recent and the brand new music as it has developed in association with the Academy; a bouquet of composers who have been employed at the Academy for a short or long period, each of whom has helped to influence both the placing of the new sounds on the musical scene and the artistic milieu at the Academy.

From the past as from the present, when all is said and done, this will only be a fly­ing visit to the innumerable recordings that the instrumental and singing teachers of the Academy\have produced in the course of these many years. In this respect the aim has been to weave a ‚musical tapestry‘ in which the selected works visit the various musical spaces that together make up the pulsating life of the Academy, both as echoes from bygone times and as the sounds heard around the institution today. Not least, the students‘ own great achievement, the anniversary concerts in November 2015 and 2016, with Nielsen’s Fourth and Pelle Gudmundsen-Holmgreen’s percussion concerto Triptykon , tell us that music at the Academy is alive and kicking.

150 Jahre Königliche Dänische Musikakademie bei Dacapo: Kim Borg ist mit der „Schöpfung“ vertreten/ Wiki

Those who sang, and those who played: If we are to meet the musicians of the past at the Academy, we must build a memory palace or rather let our thoughts and imagination carry us back to the stately building on H.C. Andersens Boulevard. There it lies, not so easy to enter today, now that it is the Chinese Cultural Institute, which has wrapped the building in scaffolding and is rebuilding it for its Chinese purposes. First there was one building, then the neighbouring building was added, but at the beginning it was Niels W. Gade’s vision that became a temple of music here. Five floors were linked by a wrought iron staircase decorated with a wealth of con­volutions and ornaments, a staircase that is said to have come from the old royal palace of Christiansborg, burnt down in 1884. It is not so strange that in Jutland, where they have their own Academy, they call ours Kongekons (‚Kingcons‘).

With some difficulty we push the heavy oak main door open – the beginning of a small journey through the times. We ascend the marble steps only to be reminded on both sides that this was also Carl Nielsen’s domain. Here he had his daily workplace and here he end­ed up, although for a short period, as President of the whole caboodle. His daughter, Anne-Marie Telmanyi, has decorated the side walls of the main staircase with colourful frescoes; scenery with absolutely appropriate figures from ancient Greek culture and mythology – Apollo, Sappho, Athene, in light robes, all welcoming us.

Up in the narrow hall things are immediately more down-to-earth. N.W. Gade him­self sits a little ceremonially, captured in cool, chalky-white marble -even though he was not like that at all, but had unruly locks and ruddy cheeks. But here he is slightly tired, or so a young person might think, seated on his black plinth, a foundation that takes up more space than the Golden Age composer himself. But he is not the man we are to meet. How Gade played his music is something we can only read about. We are interested in the sounds from down through the ages that have been captured by technology. We hasten past him, for now we go up to the place where the music is playing.

The first person we meet on the stairs is a stocky figure. His head is large, his brow domed, he has dark wispy hair. Niels Viggo Bentzon has a jutting lower lip. He is forging ahead at full speed and is not very old, somewhere around 23. He has just played his Tocca­ta  up in the locality on the third floor, which was once called C2. Koppel was there. They were all there. It caused a furore. The composition, yes, but not least his incredible dexterity and conviction in the piano playing. He had refined his playing with the aid of his chum, the Hungarian-born visiting piano virtuoso Georg Vasarhelyi. We shall be hear­ing him too. Before that it was Christian Christiansen who had been Niels Viggo’s piano teacher. Niels Viggo found him, and „all the other bandits“, completely „knocked out with enthusiasm for Carl Nielsen“. Bentzon acknowledged his legacy from Nielsen, but he was preoccupied not least with Arnold Schönberg and in 1949 studied and recorded the latter’s short but compact Six Piano Pieces CD 9 For Bentzon the Academy, along with the publisher Edition Wilhelm Hansen, the newspaper Politiken and the publisher Gyldendal, were focal points more or less throughout life. He never became professor of composi­tion, and this prompted Arne Skjold Rasmussen to exclaim: „Damned if he needs to do anything but go around and be Niels Viggo Bentzon!“. Skjold Rasmussen had taken his diploma the same year as Bentzon, allegedly with a grade just under the composer’s. On the other hand, over the following years Skjold Rasmussen was to develop into one of the country’s most admired chamber musicians, and a Nielsen interpreter on the grand scale, while Bentzon’s piano playing gradually declined – just as it had done with Brahms. Skjold Rasmussen demonstrates his mastery in Nielsen’s Three Piano Pieces, recorded in 1952, but also in small pieces by Schumann and Mendelssohn.

150 Jahre Königliche Dänische Musikakademie bei Dacapo: Tonny Landy singt aus „Lucia di Lammermoor“/ Wiki

We proceed up to the first floor, and there we step into the ‚piano passage‘. Before the Academy President Poul Birkelund took the initiative to build the unfortunate bridge that connected the two almost identical mansions, there was only the one building for all the ac­tivities, and the ‚piano passage‘ was more of a ‚professorial passage‘ for the use of strings and singers as well as pianists. The individual localities were acoustically protected by white- painted, beautifully profiled double doors, and from inside the first room we hear Skjold Rasmussen’s characteristic, slightly hoarse but loud voice. Phrasing above all, and timbre!

We fly like airy spirits a little back and forth in time, and from the same room, through the double doors, comes the sound of similar stern words. Then there is a bang. The minor- subject student lb Hermann has had Beethoven’s 32 (bound!) thrown at him. That was my grandfather, Holger Lund Christiansen, taking the music in hand. Much more sensitively later in the day, and undeniably also a few years before (1942), when he practiced with his close friend the violinist Erling Bloch. It could have been the Kreutzer Sonata, but it wasn’t on that day. What I do hear is the Spring Sonatas languishing first subject. We ease the outermost door open a little, for we would like to listen too. During the war these two had held afternoon concerts at Geelsgard, up in Holte, of all Beethoven’s violin sona­tas. There was a curfew, and you had to be home before the night fell.

Yes, and Herman D. Koppel was impressed by Bentzon’s youthful daring. Koppel was some ten years older than Bentzon, and later generations dwelled mostly on Koppel’s many, often large-scale, compositions. In his younger years, however, Koppel was a piano- pounder of the first order. Later he once said to me that „it’s hard to keep your piano play­ing up to that high standard when you sit for so many hours with a pencil in your hand.“ In 1953 we hear Koppel at the Concertgebouw in Amsterdam – he got around as a concert pianist. Often, as here with the Third Piano Concerto, in his own compositions, but just as often with more or less the whole central piano repertoire in his baggage.

It is as if a light mist descends, and here in the ‚piano passage‘ a small but erect figure looms out of the fog: Johanne Stockmarr. A curious gaze, and with the years also small spectacles perched on her pointed nose. Her hair is elaborately put up, and she frequents the biggest European stages with ease. The ‚Royal Court Pianist‘ is dressed in white airi­ness, so it is probably summer. Johanne Stockmarr, along with Agnes Adler, was first lady of the piano in the time between the world wars. She had taken lessons with both Gade and Hartmann. At the other end of her long life she taught among others Skjold Rasmus­sen and Esther Vagning. Yes, the tradition leaves its footprints. As an echo from 1930 we hear Miss Stockmarr’s sensitive attack. It seems to be something by Chopin.

Well, hello maestro! I am undeniably somewhat flustered, for here comes Holger Gil­bert-Jespersen with his French Louis Lot flute case under his arm. My grandfather is fin­ished for the day and is soon on his way back to Klampenborg with a lit cigar in his mouth, dressed in plus-fours, all topped by a brown beret. He nods curtly without recognizing his grandchild, but then I haven’t been born yet. A cellist appears, Torben Anton Svendsen. He was not a teacher at the Academy, but was busy heading out for his new artistic field as drama director at the Royal Theatre. And then I really prick up my ears, for Gilbert- Jespersen was the maestro who made the solo flautist of the Vienna Philharmonic exclaim: „By God, I don’t know how you do it, Jespersen!“ Riisager’s extremely difficult Serenade is on the programme. This too, as well as the Spring Sonata, is to be recorded on HMV, His Masters Voice (the one with the doggy!), and it is to become a reference record­ing that the performers still have to relate to today. And what a piece! You can almost reel them off: „Ravel, Riisager, Roussel“. It’s in that class. I can only heave a deep sigh, but am drawn as if by magnetism over to the door just opposite.

150 Jahre Königliche Dänische Musikakademie bei Dacapo, das Domizil heute/ Wikipedia

Sometimes it is the double-basses that you hear rumbling in there, but right now (in 1949), it is unbelievably virtuoso cello figures that reach the ear. Boccherini’s Cello Sona­ta with an effortless ease that could come from a dexterous violinist. Erling

Blondal-Bengtsson is rehearsing with Vasarhelyi, and the former remains here in the local­ity (a few years earlier, now that we are flitting like angels or demons through time), and Vasarhelyi is replaced at the piano by a serious-looking fellow who has stuck his hands deep in his jacket pockets without bending his arms. The professor has close-set, dark eyes, a piercing gaze and greets me with a clear but nasal voice. I bow like the 16-year-old student I also am, well aware that the pianist Victor Schioler is also a trained medical doc­tor and is halfway through studying for a law degree, in order for him to manage the job as chairman of the Soloists‘ Society of 1921. A shiver goes up my spine. I can neither play the piano nor make diagnoses, and yet I am his successor in that venerable society.

One man is missing. Here he comes – Hoist. Cheerful, bare-headed, blinking a little, his violin case swinging back and forth as he walks. They are to play Schubert’s B-flat Trio and boy can they play, these three! The door stands ajar. Victor (what a name for a piano-tamer!), the young Blondal and then the leader of the Berlin Philharmonic for eight years, Henry Hoist. I remain standing and listen to all of it. And it continues, and I can’t get enough of it. Now (1955?) Blondal and Schioler are also practicing Brahms‘ in­tricate F major Cello Sonata, and you understand why they were both high­fliers on the international music scene. Hoist had spent the whole war and a subsequent decade in England, and had played the great violin concertos, including Walton’s, which he gave its first European performance. When he went to Berlin as a very young man from his birthplace Saeby in Denmark, and played his way to the lead violinist post, he even did the ‚Gypsy‘ scene in Berlin. That has been captured in a matchless recording of Sarasate’s violin magic, Zigeunerweisen with Heifetz – no, Hoist! Serguei Azizian nods. Yes, he was incomparable, the young Hoist. Serguei is not from Saeby, but from St. Petersburg. There they have proud traditions of violin playing. With the Copenhagen Philharmonic, his Danish orchestra, before he was hauled in by the Academy, he recorded Britten’s de­manding Violin Concerto.

So are we done with the violinists? No, not quite, for there was this folk-musician fam­ily from the Brorup area in South Jutland, whose third generation fostered a lead violinist and quartet player touched by God. He is most often seen with a violin under his chin. Above his Guadagnini violin, a face in living colour, crowned by chalky-white hair. Tongue in the corner of his mouth, and his sea-blue eyes wandering around and observing in a split second what has to be the focus right now in the music. Peder Elbaek was above all a Nielsen player, and here we hear him in a recording (1979) of the demanding solo pieces Prelude and Presto.

A little melody in perfect balance: That must be the Norwegian Robert Rifling. He could do it all, played everywhere, but we are listening to something as modest as Harald Saeveruds national hits back in 1950, Rondo amoroso and Koempeviseslatten (Ballad of revolt) ) 9 [13]-0. Even a little is not to be sneezed at, and what is highest, the Round Tower or a  thunderclap? The long ‚piano passage‘ resounds with high as well as low notes, chords and tirades, and I want to get it all in. We hear both song and piano playing, and I am enchanted by Debussy’s Suite bergamasque.  But wait, it’s time for my piano lesson! If only Blyme doesn’t get miffed. My Haydn sonata is not great art. Anker Blyme rises absent- mindedly from the Steinway grand, pushing his glasses up his forehead. He is tall and im­pressive. Should probably be president of some major country but it is also quite natural (hat he becomes the President of the Academy for a period. My lesson is shortened a little (and it’s short to begin with), for Niels Viggo Bentzon comes bursting in, and soon it’s all over with the delicate sounds of Debussy, for the two of them, NVB and Blyme, plunge into a hell-for-leather duet. Afterwards they talk about Bentzon’s Third Piano Sonata. Well, Blyme might well think it’s both difficult and worth rehearsing. It has been called „one of the twentieth century’s great piano sonatas“ (John Damgaard), and in the USA a whole PhD thesis has been written about its Hindemith-like structure.

I must take a break from the intense atmosphere of the ‚piano passage‘ and its many sounds. One floor up and straight ahead: the Banqueting Hall. There you can fall back on the high-backed chairs with the fine lyre carved in the back and enjoy the silence, bro­ken only by the clang of the trams and the screech of traffic from down on the boulevard. But no. Sound wells down from the organ up on the balcony. I know it, I think: Nielsen’s twilight work Commotion, acid test for all Danish organists. It is Bine Bryndorf who is mistress of the many pipes. The Academy’s small organ isn’t the one we can hear captured on CD, instead she chose the organ in the Nikolai Church (now Art Hall) in Copenhagen. Bine has studied Nielsen’s original stoppings and she here plays the organ, still unchanged today, that Nielsen could listen to in the early summer of 1931.

Well hello, Grethe! Commotio is also Grethe Krogh’s signature work. Fortunately re­corded and admired by both professionals and laymen. Grethe has just come from Paris. She has long since retired from the old Academy, but just watch whether she can control herself. A biography is in the pipeline, and down in Paris on Bastille Day (2004) she is premiering Fuzzy’s (Jens Wilhelm Pedersen’s) Cadences et tremblements a Notre-Dame. Refreshing and youthful, and with the Paris sound captured in a concert recording.

Fresh air! As I stride in towards Gammel Strand and Stroget, it is as if everything changes. The cars fade, a horse and carriage is followed by several more. Here it does not smell of gas and petrol, but of horse droppings and soot from Norrebro’s industrial chimneys. A funeral procession has gathered on its way towards the Cathedral. Inside sound the notes of the or­gan – the organ on which Weyse, Gade and later J.P.E. Hartmann played throughout almost 100 years. It is March 1900, and now he is dead, old Hartmann, even though people thought it would never happen. In the same month, and during a memorial service for Hartmann in London, Otta Bronnum’s clear soprano rings out in the church interior. Two years before this she has recorded among other thing Hartmann’s Flyvfugl, flyv (Fly bird, fly), under the more commercially euphonious stage name Otta Brony. Otta Bronnum was one of the Academy’s first singing teachers, but in her younger years she had an international career. As of December 1898, and for a year, she recorded no fewer than 16 tracks in London. These recordings are among the oldest preserved on lacquer discs anywhere.

Further back in time I cannot travel, and, slightly dizzy, I find a bench at the Glyptotek’s gardens. Can one have better company than two marvellous singers, the tenor Tonny Landy and the bass-baritone Kim Borg? We talk about anything but vocal technique, but I do ask Tonny about the recording of the aria from Nielsen’s opera Saul and David.

Yes, it was supposed to be with John Frandsen conducting, but that particular evening it was Ole Schmidt who stepped in. And then of course there is the Bel Canto tradition, which in this country probably goes all the way back to the singing-master Siboni. And Tonny hums a little something from Lucia di Lammermoor. Kim Borg, in tweed . heck, broad-shouldered and puffing on his pipe: „Oh yes, Haydn’s Creation“ , and the aria (“Nun scheint in vollem Glanze”) you mention were performed and recorded in Berlin in 1958, and that was with the ballet master Nijinsky’s son-in-law, Igor Markevitch, as conductor.“ And then we talk on about Nijinsky and Stravinsky, for both Tonny and Kim Borg have many interests, also outside the singing profession.

Who were the lucky audience in Roskilde that magical afternoon when the contral­to Else Paaske, along with the pianist (and later Academy President) Friedrich Giirtler, dreamed their way through Mahler’s Des Knaben Wunderhorn. One wishes one had been there, but fortunately the microphone was open, so special moments were captured like a drop of liquid resin that is later transformed into shining amber.

150 Jahre Königliche Dänische Musikakademie bei Dacapo: das RDAM-Orchester unter Michael Schönwandt/ Foto Booklet Dacapo/ s. dort die Fotografennamen

But we must go back to the old Academy on the boulevard, and we trudge up to the third floor, where the woodwinds are located. First he was an oboist and achieved a short but glorious career in the USA. Then back home in Copenhagen, Svend Christian Felumb became a member of the famous Wind Quintet, which also boasted talents like the flautist Holger Gilbert-Jespersen and the clarinettist Age Oxenvad. This variety of Danish oboe playing had its origins in Paris. The timbre is bright and perhaps a little on the nasal side. But that it how it was with timbre. The aesthetic expression is moulded in the training. Felumb was on a friendly footing with Carl Nielsen, so it is only natural that we should hear the Fantasy Pieces, opus 2, and it is even with another friend of Nielsen, Chris­tian Christiansen, at the piano. Later in life, as conductor of the Tivoli orchestra, Felumb became a tireless champion of the young composers in particular, while Christian Chris­tiansen was for many years President of the Academy.

It can be difficult to ignore the brass players. In the old Academy they were often ban­ished to the remoter localities, but that does not change the fact that here too music of the highest standard was played. Listen for example to Palmer Traulsen in Asger Lund Christiansen s opus 1, Concertino for trombone and large orchestra; a first per­formance in Tivoli on 4 May 1959 with the composer at the head of the Tivoli orchestra. I was there, and many people were especially enthusiastic about the cadenza, which it was thought Traulsen himself improvised. It was not the case, however. It was all carefully no- tated in the score by my 31-year-old father.

It may well seem that my time travels are on the nostalgic side, but listen: all that is happening today, you can yourselves go out in the city and hear. It’s happening here and now, and one day that too will become historic and will be studied with both magnifying glasses and ear trumpets! And by the way, it is wonderful that the old woodwinds from the Radio got together in 1947 and played Mozart’s little Divertimento in B flat major for the select six: two oboes, two bassoons and two horns, so we also have the opportunity to make the acquaintance of the icons Professor Ingbert Michelsen (French horn) and Carl Bloch (bassoon). The sound is bright and to our modern taste a little dry, but that’s how it was.

More up-to-date is Poul Birkelund’s spirited performance ofVagn Holmboe’s Solo Sona­ta for Flute CD. This is an unedited recording from Icelandic radio, and Poul himself was exceedingly happy about what he had achieved that afternoon in 1970 up on the volcan­ic island.

And recordings from our own time? Well, you have to listen for those, either here among the recordings or out on the musical scene of today. Oh, yes, we should just mention that the inimitable Bjorn Carl Nielsen’s sensual oboe is represented on this journey through time. A slow movement for oboe and chamber orchestra by the Czech Krommer.

It is a special pleasure that the Academy’s own symphony orchestra – without a sin­gle assistant from the ranks of the established professionals – fills a whole CD. First with Gudmundsen-Holmgreen’s Triptykon in the hands of the person it was writ­ten for, the percussion professor Gert Mortensen, and then an inextinguishable Nielsen’s Fourth, with no editing or other hocus pocus, and all under the baton of Michael Schonwandt.

So what is missing? Oh well, all the others are missing, for this is like a dream where everything passes before our eyes and ears. Many names do not feature in this spin of the kaleidoscope, this Laterna Magica, but those it was not possible to present in this CD box are not forgotten, for the singing and instrumental music at the Academy are interwoven in a pattern that is constantly changing, but always with respect for what came before. The art is thus also in showing respect for what is here right now, and what is on its way. But that’s a quite different story. Toke Lund Christiansen, Associate Professor at RDAM and flutist (Übersetzung James Manley/ Dacapo)

Marschners Oper „Der Bäbu“

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2018 brachte die Neuburger Kammeroper unter ihrem langjährigen Intendanten Horst Vladar eine echte Opernrarität zur Aufführung: Der Bäbu von Heinrich Marschner. Diese komische Oper – im Jahr 1838 in Hannover uraufgeführt – war bereits die 50. Produktion  im Stadttheater von Neuburg an der Donau und neuerlich ein großer Publikumserfolg.

Heinrich Marschner (1795 – 1861) wandte sich schon früh mit Kompositionen der Musik zu, wobei der Thomaskantor Johann Gottfried Schicht sein Mentor war. 1817 wurde er Musiklehrer des Grafen Zichy in Preßburg, wo er seine ersten Opern schrieb und bald zu einem der führenden deutschen Komponisten seiner Zeit wurde. Im Jahr 1824 wurde Marschner Musikdirektor der Semperoper in Dresden und von 1827 bis 1831 war er musikalischer Leiter der Oper in Leipzig, wo er mit seinen Werken Der Vampyr und Der Templer und die Jüdin große Erfolge erzielte. Von 1831 bis 1859 war Marschner Hofkapellmeister der Oper in Hannover. Zu einem Schlüsselwerk der deutschen romantischen Oper wurde1833 Hans Heiling. Marschners Hoffnungen, in Berlin die Nachfolge von Gaspare  Spontini anzutreten, zerschlugen sich allerdings. Der Ruhm Meyerbeers und Wagners überstrahlte ihn, in seinen letzten Jahren war er fast vergessen.

Die Handlung der Oper Der Bäbu, deren Libretto Wilhelm August Wohlbrück verfasste und Horst Vladar für die Neuburger Kammeroper bearbeitete,  spielt  im Jahr 1820 in Britisch-Ostindien. Der gerissene Bäbu, ein selbstgefälliger Guru und Yogalehrer, ist ein Gauner und Betrüger. Nachdem er den Besitz des adeligen Ali Khan ergaunert hat, will er dessen Tochter Ranijana zur Frau. Sie liebt jedoch Captain Forester, der aus gesundheitlichen Gründen nach England zurückkehren musste. Um ihn dazu zu bewegen, täuschte sie sogar einen Selbstmord vor. – In England verlobt sich Forester mit Eva, der Nichte des Gouverneurs von Kalkutta. Wieder gesund, reist er nach Indien, da er sich seiner Gefühle unsicher ist. Als er Ranijana heil vorfindet, erwacht seine alte Liebe wieder. Eva, die den von ihm ausgestreuten Gerüchten von seinem Tod misstraute, taucht ebenfalls in Indien auf. Es wird chaotisch. Doch als Forester entdeckt, dass sein Freund Mosely und Eva einander lieben, scheint sich alles zum Guten zu wenden. Da bringt Ali die Nachricht, dass seine Tochter entführt wurde. Alle sind der Meinung, dass Bäbu dahinterstecken müsse. Tatsächlich finden sie Ranijana bei ihm. Es war ihr gelungen, den betrunkenen Guru in den Schlaf zu „tanzen“. Man überwältigt den völlig Verstörten und übergibt ihn der weltlichen Gerichtsbarkeit. Glücklich fallen sich die Paare unter dem Applaus der Freunde in die Arme.

Trotz dieser komplizierten und teils verworrenen Handlung der Oper gelang Horst Vladar – er war im Jahr 1969 Mitbegründer der Neuburger Kammeroper und ist seitdem auch ihr künstlerischer Leiter – eine treffliche und humorvolle Inszenierung. Im übrigen darf er als „Seele der Kammeroper“ und Tausendsassa bezeichnet werden, spielt er doch in dieser Produktion sogar drei Rollen: In der ersten Szene den Richter Muton, später zusätzlich Sir Tynebutt und einen der vier vermummten Räuber, die Ranijana entführen. Als Produktionsassistentin wirkte auch seine Frau Annette Vladar mit. Das kreativ gestaltete Bühnenbild, das auch das indische Flair äußerst anschaulich zur Wirkung brachte, schuf Michele Lorenzini. Für die Beleuchtung zeichneten Bernhard Kugler und Mario Liesler verantwortlich.
In der Titelrolle des Bösewichts Bäbu überzeugte der Bassbariton Stephan Hönig sowohl stimmlich wie auch durch seine starke Bühnenpräsenz. Immer wieder spielte er sein komisches Talent wirkungsvoll aus – wie auch der Chor als Gefolgschaft und Anhänger des Guru, die mit Mimik und Gestik großartig ihre kritiklose Treue spielten (Einstudierung: Norbert Stork). Der adelige Händler Jussuf Ali Khan wurde vom schlanken, großgewachsenen Bariton Joachim Herrmann dargestellt, der seine stärksten Szenen als liebender Vater hatte. Eine erstklassige Leistung bot die in Italien geborene Sopranistin Alessia Schumacher (Foto oben/ Kammeroper Neuburg) als seine bezaubernde Tochter Ranijana. Mit ihrer kräftigen Stimme meisterte sie nicht nur jede Höhe, sie brillierte auch darstellerisch, wobei sie als Gefangene des Bäbu auf köstliche Art den beschwipsten Guru schwindlig tanzte! Einige „Brava“-Rufe aus dem Publikum waren ihr verdienter Lohn. Ein gelungenes Debüt in der Neuburger Kammeroper! Man darf auf ihre weitere Karriere gespannt sein.

Marschner: „Der Bäbu“/ Szene mit Joachim Herrmann, Horst Vladar, Elmar Göbel/ Foto Kammeroper Neuburg

Ebenso erstklassig war die Leistung des Tenors Karsten Münster in der Rolle des Captain Henry Forester. Seine kräftige Stimme überstrahlte alle anderen Darsteller. Auch gelang es ihm, seine Liebesprobleme mimisch eindrucksvoll wiederzugeben. Stimmlich gut auch der kroatische Tenor Goran Cah in der Rolle seines Freundes Mosely, der sich in Eva verliebt und als Sänger gleichfalls ein gelungenes Debüt in Neuburg feierte. Als Eva Eldridge überzeugte die Ingolstädter Sopranistin Laura Faig sowohl stimmlich wie darstellerisch. Mit großem Temperament und köstlich-humorvoller Mimik gestaltete sie ihre Rolle auf glänzende Art. Ihr gegenüber blieb die elegante Sopranistin Ulrike Johanna Jöris als Lady Wrengthon, die Frau des Gouverneurs, ein wenig blass. In der komödiantischen Rolle des Gosain, Bäbus Vertrauten, konnte der Bariton Michael Hoffmann zur Freude des Publikums sein komisches Talent voll ausspielen. Sehr humoristisch legte auch Elmar Goebel in der Gerichtsszene die Rolle des Anwalts Butun Ghos an. Die musikalische Leitung des Orchesters des Akademischen Orchesterverbandes e. V. lag in den bewährten Händen von Alois Rottenaicher. Es gelang ihm, die vielschichtige Partitur des Komponisten, deren romantische Melodien immer wieder ins Ohr gingen, in allen Facetten  wiederzugeben.

Das begeisterte Publikum, das immer wieder den Sängerinnen und Sängern Szenenbeifall zollte, dankte am Schluss der fast dreistündigen Vorstellung allen Mitwirkenden mit nicht enden wollendem Beifall. Verdiente „Bravo“-Rufe gab es für Horst Vladar, dem man zu dieser neuerlichen Ausgrabung einer in Vergessenheit geratenen Oper gratulieren muss (28. 7. 2018). Udo Pacolt

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Den Artikel entnahmen wir mit besonderen Dank an den Autor und den onlinemerker für die freundliche Genehmigung! Fotos Kammeroper Neuburg.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Grosse kleine Kunst

 

Auf ihrem eigenen Label bringt die Wigmore Hall ein Recital mit der renommierten italienischen Sopranistin Anna Caterina Antonacci heraus (WHLive0054). Aus dem Jahre 2011 stammt dieser Live-Mitschnitt mit dem Titel „L’ alba separa dalla luce l’ombra“, der einer Liedgruppe von Tosti entnommen ist. Diese Quattro canzoni d’Amaranta, komponiert 1907, bilden den zweiten Programmschwerpunkt. Der ernste, bedrückende Auftakt mit starker Steigerung („Lasciami“) zeigt die expressive Gestaltungskraft der Sängerin, die folgende Titel-Canzone mit ihrem leidenschaftlichen Aufschwung führt die Sopranistin  an Grenzen und zeigt auch eine gewisse Freizügigkeit in der Intonation. „In van preghi“ und „Che dici“ werden in ihrem introvertierten Charakter dagegen ohne Probleme bewältigt.

Eröffnet wird der Abend mit fünf Chansons en dialecte vénetien von Reynaldo Hahn aus dessen 1901 entstandener Sammlung Venezia. Im ersten, „Sopra l’ acqua indormenzada“, und zweiten, „La barcheta“, erklingt die Stimme reizvoll verschattet und in sanfter Melancholie. Von delikater Koketterie erfüllt sind „L’ avertimento“ und „La biondina in gondoleta“, während das abschließende „Che peca!“ resolute Töne hören lässt.

Danach gibt es einen bunten Reigen von italienischen Kompositionen, die drei Jahrhunderte umspannen. Das älteste Stück ist Cestis „Intorno  all’ idol mio“ von 1656, womit die Sängerin an ihre bedeutende Interpretation der Monteverdischen Poppea erinnert, das jüngste Refices „Ombra di nube“ von 1935, das in seiner verhangenen Stimmung den Schatten einer Wolke suggeriert. Drei Titel stammen aus der Feder Cileas („Serenata“, „Nel ridestarmi”,Non ti voglio amar“) und werden in feinen Schattierungen zu Gehör gebracht. Lediglich in der exponierten Lage gibt es herbere Momente. Mit Respighis „Sopra un’ aria antica“ endet das offizielle Programm, aber mit ihrem Encore, dem populären „Marecchiare“, kehrt die Solistin noch einmal zu Tosti zurück und lässt den Abend in fröhlicher neapolitanischer Stimmung ausklingen.

Auch dieser Auftritt bestätigt  den Ruf der Sängerin als eine der vielseitigsten Sopranistinnen unserer Zeit, in deren Repertoire sich so gegensätzliche Partien wie Cassandre, Carmen. Medea und La Femme in Poulencs La Voix humaine finden. Zuverlässig begleitet von Donald Sulzen am Flügel, führt sie das begeisterte Publikum auf eine abwechslungsreiche Reise durch die Landschaft italienischen Liedgutes. Bernd Hoppe

Wiederbelebter Kassenschlager

 

Nicht alle großen Kassenschlager der Oper haben die Zeiten überlebt, manche einstigen Dauerbrenner sind vergessen worden. Doch zuweilen graben kleine Theater oder Festivals sie aus. Genau das ist geschehen mit einer alten Lieblingsoper der Italiener: Che Originali! („Was für Originale!“). Der Livemitschnitt vom Donizetti-Festival in Bergamo in der Edition von Chiara Bertini der Fondazione Donizetti von 2017 ist nun beim Label Dynamic zu haben (optisch auch als DVD in der Regie von Roberto Catalono und der sehr bunten Ausstattung von Emanuele Sinsi/Ilaria Ariemme; angekoppelt ist wie auch auf der CD Donizettis selten gespielter Pigmalione in der Edition von Alessandro Murzi mit Antonio Siragusa und Aya Wakizono in den beiden Gesangspartien).

Ein Donizetti-Festival-Mitschnitt aus Bergamo vom Mayr? Warum nicht! Mayr hat nun wirklich alle Berechtigung, dort gespielt zu werden. Er war Donizettis Lehrer und hat in Bergamo gewohnt. Mayr, als junger bayrischer Illuminat auf der Flucht in Italien ankernd, hat zwar nicht die italienische Politik subversiv untergraben, wohl aber die Operntradition. Genau genommen hat er keinen Stein auf dem anderen gelassen und das 19. Opernjahrhundert in Italien mit einem Paukenschlag eröffnet.

Auch wenn Che Originali! schon die vierte Mayr-Buffa ist, war sie doch die erste mit durchschlagendem internationalem Erfolg. Mayr nimmt hier den musikalischen Dilettantismus aufs Korn. Ein Adliger, der völlig besessen ist von Musik, kein anderes Thema kennt und seine beiden Töchter dazu zwingt, den ganzen Tag Musik zu machen – das bietet Gelegenheit zu bitterbösen Seitenhieben auf den damaligen Musikbetrieb. Ein sehr lustiges Stück, das auch heute noch Spaß macht. Und die Strukturierung der Nummern ist extrem vorausweisend!

Mayr hat hier bereits 1798 mit seinem Librettisten Gaetano Rossi so etwas kreiert wie die erste moderne Opera Buffa des 19. Jahrhunderts. Der Librettist war später auch immer zur Stelle, wenn es darum ging, Rossinis frühe bahnbrechende Visionen umzusetzen. Sowohl Rossinis erste Komische Oper stammt aus der Feder Rossis als auch Tancredi.
Che Originali! ist erst Rossis zweites Libretto, doch das Team Mayr & Rossi hat hier erstmals eine Art Werkstatt ausgerüstet, die bald extrem erfolgreich sein sollte – etwa 20 Opern haben die beiden zusammen ausgeheckt. Hier ist zum ersten Mal ausgeprägt der typische Buffa-Stil zu hören, den wir von Rossini her kennen.

Sympathisch und idiomatisch umgesetzt: Ich habe erst vor kurzem eine andere Produktion dieser Provenienz ziemlich verrissen, aber hier ist dann doch erfreulich viel erfolgreich. Die Aufschrift World Premiere Recording ist genaugenommen falsch, denn es gibt bereits Aufnahmen mit diesem Titel. Tatsächlich kann man hier von der ersten wirklich ernstzunehmenden Umsetzung auf CD sprechen.

Auch als DVD: Mayrs Buffa „Che Originali“ und Donizettis „Pigmalione“ aus Bergamo 2017 bei Dynamic (37811)

Die Ersteinspielung von 1999 unter Franz Hauk (nun bei Guild) hatte sich vor allem Münchner Gesangsstudenten bedient, die aber dem Werk nicht gerecht werden konnten. Das ist eben kein unkompliziertes Singspiel, das ist schon anspruchsvollster Belcanto. Und selbst jetzt, da viele Profis dabei sind wie Bruno di Simone oder die großartige Mezzosopranistin Chiara Amaru, spürt man, dass die Sänger an ihre Grenzen kommen.

Angela Nisi als Donna Rosina hat zwar nur eine große Koloraturarie, aber die setzt sie leider in den Sand. Das ist natürlich schmerzlich, einer der wenigen Momente dieser Aufnahme, in denen man die Stirn dann doch in Falten legt. Aber vielleicht fällt das gerade deswegen so unangenehm auf, weil sonst fast alles perfekt ist. Sogar die extrem schwierige Rolle des Don Caralino (schon ein kleiner Almavia) ist hier mit Leonardo Cortellazzi zumindest so fachgerecht besetzt, dass man ahnt, wie das ganze vom Komponisten gemeint ist.

Gianluca Capuano hält sein Ensemble gut zusammen, was bei diesen Buffe ja extrem wichtig ist, denn dieser Teamgeist, die Freude an der albernen Handlung, den grotesken Figuren muss mit dabei sein, wenn wir uns auch freuen sollen. Hier sind ausschließlich Italiener auf der Bühne, die sich im doppelten Sinne verstehen – sprachlich und untereinander (Johann Simon Mayr: Che Originali!; mit Bruno de Simone, Chiara Amaru, Leonardo Cortellazzi, Angela Nisi; Accademia Teatro alla Scala Orchestra; Gianluca Capuano; Dynamic, 2 CD CDS 7811.02)Matthias Käther

Sempre le donne…

 

Eines rennomierten Fürsprechers kann sich das gerade erschienene Buch Le donne di Gioachino Rossini von Roberta Pedrotti, bekannt auch durch ihre Beiträge in L’ape musicale rühmen. Kein Geringerer als Gianfranco Mariotti, Leiter der Rossini-Festspiele in Pesaro, hat das Vorwort zu ihrem Werk geschrieben, dessen Untertitel fast schon feministisch „Nate per vincere e regnar“ lautet. Bereits als Dreizehnjährige war die Autorin durch ihre engagierten und kenntnisreichen Beiträge in Leserbriefen aufgefallen, es hatte sich ein reger Briefwechsel zwischen Pedrotti und Mariotti entwickelt und eine Freundschaft, die auch heute noch Bestand hat.

Im ersten Kapitel des Buches geht es allerdings zunächst um Kastraten, die Frauenrollen singend durch ihre imposante Erscheinung auf sich aufmerksam machten, denn ihre Knochen wurden durch die Kastration zu längerem Wachstum angeregt. So dominierten Frauen, zwar von Männern gesungen, schon einmal optisch noch zu Rossinis Zeiten die Bühne. Ob allerdings das einer der Gründe dafür ist, dass auch von Frauen gesungen das weibliche Geschlecht sich auf der Rossini-Bühne heldenhaft schlägt, darf angezweifelt werden, nicht aber dass es bei ihm zwei Archetypen von Heldinnen gibt: die majestätische Frau und das unschuldige Mädchen. Und ein Rätsel wird gelöst: Rossini schreibt seinen Vornamen selbst mal mit einem, mal mit zwei C, wobei zunehmend die erste Schreibweise dominierte.

Vom Einfluss der Mutter, der Verstrickung in Politisches, den Musen, d.h. den Sängerinnen, denen der Komponist seine Rollen auf die Stimmbänder schreibt, wird berichtet, wobei natürlich die erste Gattin, Isabella Colbran eine besondere Rolle spielt, auf deren nachlassendes Stimmpotential er bei der Kreierung der Semiramide Rücksicht nehmen musste.

An erster Stelle stehen jedoch die fünf Farsen, die Rossini für Venedig komponiert und in denen samt und sonders die Frauen, zwei davon verheiratet und damit sessualmente attiva, die Handlung vorantreiben.

Spätestens hier wird eine Schwäche des Buches sichtbar, in dem seitenweise aus den Libretti zitiert wird, aber nicht eine einzige Note, es sei denn als Schmuckelement, zu sehen ist, auch in nur extrem wenigen Fällen, so wenn ein Tonartwechsel angeführt wird, die Musik überhaupt erwähnt wird. So handelt es sich eigentlich nicht um Rossinis Frauen, sondern um die des jeweiligen Librettisten. Dabei wäre es ohne weiteres möglich gewesen, den Charakter der jeweiligen Person auch verbunden mit deren Musik zu erklären, selbst in den recht komischen Fällen, in denen ein und dieselbe Melodie höchst unterschiedlichen Charakteren zugeordnet wird. Das Buch liest sich also eher als eines einer Literaturwissenschaftlerin als einer Musikologin.

Das Kapitel Tre donne per Maria Marcolini, eine Primadonna und berühmte Altistin, die gern Frauen, die sich als Männer verkleiden, spielte,  befasst sich dementsprechend mit  L’equivoco stravagante und La pietra di paragone, aber auch mit L’italiana in Algeri, wo Isabella immerhin die Frauen zur Emanzipation aufruft. Hier wie an vielen anderen Stellen zitiert Pedrotti aus Stendhals Vie de Rossini.

Interessant ist der Vergleich der Rosine von Rossini, Paisiello und Beaumarchais, allerdings auch wieder nur der Libretti bzw. des Schauspiels, nicht die jeweilige musikalische Gestaltung der Partie, die wohl nicht die Sympathie der Autorin genießt. Eher gelingt das Angelina, die selbst die Initiative ergreift und nicht nur ihren Schuh verliert, oder von Ninetta, die ihrem Vater das Leben rettet.

Viel gibt das Kapitel Figli (aber eher figlie), madri e spose her, dessen Brisanz die Autorin auf den Wandel im Erbrecht zurückführt. Selbst wenn Frauen auf der Verliererstraße zu sein scheinen, sind sie die eigentlich Überlegenen, so Desdemona (in der Version ohne lieto fine), wenn sie Otello auffordert: „Uccidimi, t’affretta!“ oder Zelmira und Amenaide, deren Heldentum im Schweigen besteht.

Relativ spät taucht die erste Königin in einer Komposition Rossinis auf, oft sind die Herrscherinnen zugleich guerriere, Fidelio-nah ist Dorliska, zur Revolutionären wird Mathilde in der Vertonung von Schillers Wilhelm Tell, der zum Vergleich herangezogen wird.

Eine Sonderstellung nimmt Il viaggio a Reims ein, in dem alle damals verfügbaren Stimmtypen in einem Werk miteinander vereint sind – und zugleich die wichtigsten Frauentypen, an der Spitze Corinna als „ideale kosmopolitische Figur eines vereinten Europa“.

Es gibt zwar kein Register, wohl aber am Schluss des Buches kurze Inhaltsangaben aller Rossini-Opern. Das Buch liest sich gut, gibt manche Anregung, enttäuscht aber durch das fast völlige Fehlen einer musikalischen Analyse. (Verlag Odoya 2018, 412 Seiten, ISBN 978 88 6288466 2/ Foto oben: Maria Malibran als Desdemona in Rossinis „Otello“/Bouchot/OBA ). Ingrid Wanja      

OPERNHAFT SAKRAL

 

Es gibt keinen Mangel an Einspielungen des beliebten Gloria RV589 von Antonio Vivaldi. Und doch ist es ähnlich wie bei Pergolesis Stabat Mater reizvoll, verschiedene Interpretationen zu kennen und zu vergleichen, denn beide Werke vereinen Sakralmusik, deren Theatralik opernhaft wirkt und bei der die Interpreten vor der Frage stehen, ob und wie sie Kontemplation und religiöse Inbrunst in weltliche Leidenschaft und Begeisterung sowie Zeremonie in Show übersetzen sollen. Vivaldi komponierte für jede Textpassage des Gloria einen eigenständigen Satz und schuf damit ein wunderbar melodiöses Werk, das hinsichtlich Affekten, Tempo, Tonarten, Metrik und Orchestrierung starke Kontraste zeigte. Dirigent Diego Fasolis steht als renommierter Experte für individuelle Ansätze, seine neue Vivaldi-Aufnahme ist beredt, eingänglich und stets anregend, ohne aufregend oder überraschend zu klingen. Die 25 Musiker seines Ensembles I Barocchisti spielen einen direkten, zupackenden Vivaldi – flink, ohne über die Maßen forsch zu sein, bspw. sehr schön in der melodiös ausgekosteten Einleitung mit Laute und Oboe zu „Domine Deus, Rex coelestis“. Es handelt sich um eine Studioaufnahme vom Juli und November 2016, der Detailreichtum bewegt sich im üblichen Rahmen guter Aufnahmen. Der Coro della Radiotelevisione Svizzera zeigt eine ansprechende Leistung, bspw. im spirituell hoffenden, von Traurigkeit durchzogenen „Et in terra pax“ oder dem lobpreisenden „Cum Sancto Spiritu“. Das Zugpferd der Neuaufnahme sind allerdings zwei Stars der Barockszene, die vor allem für virtuosen, ornamentierten sowie farbenreichen, ausdrucksstarken Gesang stehen und sich hier quasi einen stimmartistischen Wettbewerb bieten. Die junge Julia Lezhneva kann ganz schlicht klingen, um dann wieder bravourös zu jubilieren, sie kann in schattiertem Ausdruck flehen und ist dann wieder engelsgleich entrückt. Neben der solistischen Partie im Gloria singt sie noch das Nulla in mundo pax sincera RV 630, eine von ca. zwanzig erhaltenen Solo-Motetten Vivaldis. Es wirkt mit seinen Kontrasten ebenfalls opernhaft, beginnt friedlich, entwickelt sich bangend und strebend, um letztendlich bei der instrumental konzipierten Gesangslinie des Alleluia stimmartistisch alles zu fordern. Franco Fagioli singt auf der Höhe seiner Kunst: flexibel und agil, mit sicherer Höhe mit farbigem Fundament und seinem typisch individuellen Timbre. Das „Agnus Die“ ist gequält, das „Qui sedes ad dexteram Patris“ markant. Beide Stimmvirtuosen harmonieren und ergänzen sich im Duett „Laudamus te“. Fagioli übernimmt zusätzlich das Nisi Dominus RV607 – ein Psalm für die Marienvesper und ebenfalls mit deutlicher Dramatik mit einem von Fagioli gottesfürchtig beklommen „Cum Derit“, einem schwebenden „Gloria Patri, et Filio“ und dem kompliziert koloraturreichen „Amen“. Eine gute und ergänzende Aufnahme, die vor allem für Fans der beteiligten Künstler attraktiv ist (Decca 8125547). Marcus Budwitius

„Du bist die Ruh´..“

 

 

Das englische Label SOMM Recordings veröffentlicht mit Kathleen Ferrier remembered eine CD der unvergessenen britischen Altistin mit Liedern und Songs, die zwischen 1947 und 52 als Rundfunkaufnahmen entstanden und die hier zum großen Teil erstmals auf CD erscheinen (SOMMCD 264). Mehr als 60 Jahre nach dem Tod der viel zu früh verstorbenen Sängerin muten diese Aufnahmen trotz  eingeschränkter akustischer Qualität kostbar an und erinnern an diese einzigartige Stimme mit ihrem unverwechselbaren Timbre, ihrem magischen Leuchten und dem warmen, tröstenden Klang.

Die frühesten Einspielungen stammen aus dem Jahre 1947 und beinhalten ein Programm mit britischen Kompositionen. Edmund Rubbras 1946 entstandene   „Three Psalms op. 61“ wurden der Interpretin gewidmet, sie singt sie hier mit Frederick Stone am Klavier. In purer Schönheit und transzendentem Geheimnis entfaltet sich die Stimme bereits in diesen frühen Dokumenten. Mit Maurice Jacobson war die Ferrier seit 1937 eng befreundet. Seinen „Song of Songs“ komponierte er gleichfalls im Jahre 1946 als introvertierte Betrachtung über Natur und Liebe. Die 1947 im BBC Maida Vale Studio V, London, außerdem produzierten Titel von Holst und Moeran haben sich leider nicht erhalten.

Ein Jahr später, ebenfalls mit Stone am Flügel, sang Ferrier in diesem Studio zwei Schubert-Lieder ein – „Der Musensohn“ und „Wandrers Nachtlied“. Den munteren Duktus des ersten trifft die Sängerin perfekt, die getragene, geheimnisvolle Stimmung des zweiten ebenso. Die Stimme ruht in sich, strömt und verbreitet Tröstliches. Weitere sieben Lieder dieses Komponisten stammen aus einem BBC Studio in Edinburgh in Aufnahmesitzungen von 1951 und 1952. Genau getroffen sind die Stimmungsumschwünge in „Lachen und Weinen“, und auch die gegensätzliche Gefühle in „Suleika II“ erfahren eine plastische Umsetzung.

Wie Schubert ist auch Johannes Brahms mit neun Titeln vertreten, eingespielt zwischen 1949 und 1952 mit Stone bzw. Bruno Walther als Begleiter. Diese Lieder in ihrer leisen Melancholie, ihrer Schwermut, darunter „Sonntag“, „Botschaft“ und „Nachtigall“ (alle von 1949), liegen der Sängerin ganz besonders. „Wir wandelten“ von 1951 ist als inniges Liebesgeständnis sehr anrührend, „Auf dem See“, „Es schauen die Blumen“ und „Der Jäger“ von 1952 umspannen das Ausdrucksspektrum vom erhabenen Naturgemälde bis zur koketten Schwärmerei. Mit „Ruhe, Süßliebchen“ aus der Schönen Magelone, wo sich die Stimme in erhabener Schönheit verströmt, gibt es auch einen Titel aus Brahms’ Liedzyklus, ebenso mit „Wasserfluss“ einen aus Schuberts Winterreise, was die Frage stellt, ob Ferrier möglicherweise die beiden Zyklen komplett aufnehmen wollte, was ihr früher Tod verhinderte.

In einem einzigen Track, Parrys „Love is a bable“ von 1948 live aus Edinburgh, wirkt der große Liedbegleiter Gerald Moore am Flügel. Dieser Song steht für Ferriers Affinität zum britischen Folksong und markiert den Ausklang der Anthologie, die auch je eine Komposition von Wolf („Auf einer Wanderung“) und Mahler („Urlicht) verzeichnet, die zu deren Höhepunkten zu zählen sind. Vor allem letztere (aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“) ist in ihrer der Welt abgewandten Stimmung von ergreifender Wirkung. Wie aus mystischem Urgrund erhebt sich die Stimme bei „O Röschen rot!“, fast ängstlich geflüstert sind die folgenden Textzeilen. Einen ähnlich magischen Effekt haben auch „Der Vollmond strahlt“ aus Schuberts Rosamunde und dessen „Junge Nonne“ als unvergängliche Zeugnisse  der Kunst einer Jahrhundertsängerin. Bernd Hoppe

Franz Lachners „Catharina Cornaro“

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Gerade erst schlug mit Halévys Reine de Chypre aus Paris bei den Ediciones Singulares/ Palazetto Bru Zane das Herz des Opernfans höher. Nun ist bei cpo auf denselben Stoff wieder mal eine der vergessenen Opern des 19. Jahrhunderts herausgekommen, mit denen das Münchner Rundfunkorchester (meist unter Ulf Schirmer, diesmal unter Ralf Weikert eingesprungener Maßen) in der jüngeren Vergangenheit den Opernliebhaber zum Jubeln bringt. So auch hier. Im BR-Konzert von 2012 gelangte Franz Lachners Catharina Cornaro in originaler deutscher Sprache zur Aufführung. (Franz Lachner ist der, der die Cherubinische Medée 1854 eingedeutscht und mit Rezitativen versehen hat; erstmals in moderner Zeit durch die Callas 1953 in der italianisierten Arditi/ Frazzi-Fassung und nun fest im Repertoire internationaler Bühnen verankert, sein Bruder Ignaz ist der Komponist der Regenbrüder, im Schubertschen Umkreis, der dritte Bruder Vinzenz wirkte als Geiger und Kapellmeister in Wien, wie das Lachner-Museum in Rain Auskunft gibt G. H).

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Catharina Cornaro (mit deutschem – h -) war 1841 in München ein enormer Hit, nicht zuletzt durch die Mitwirkung der fulminanten Berta Moreno in der Titelpartie, spätere Isolde,  Elsa, Brünnhilde von Rang. Eine deutsche Oper im Wettstreit mit den Italienern und vor allem Donizetti (dessen Caterina Cornaro erst danach erschien, 1844 in Neapel): Das ist uns einen  langen Beitrag wert, in diesem Falle wieder einen von Florian Heurich, dessen Text wir uns mit – wie stets – sehr liebenswürdiger Genehmigung des Autors und des Münchner Rundfunkorchesters aus dem Programmheft „ausborgten“. Die Ausstattung bei cpo (2 CD cpo 777 812-2) ist vorbildlich, das Libretto sogar wie immer zweisprachig. Heureka also. G. H.

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„Catharina Cornaro“ von Franz Lachner bei cpo 0761203781225

ie Rezension zur Aufnahme selbst von Matthias Käther: Viele Nationen sind grade auf dem großen Entdeckungskurs, was ihre musikalische Vergangenheit angeht, ob Frankreich, England oder Polen – uns erreichen viele Einspielungen von Komponisten, von denen wir früher nur wenig oder gar nichts gehört haben. Aber ich Deutschland tut sich einiges, und nun ist beim Label cpo  Franz Lachners Oper Catharina Cornaro  erschienen. Lachner (1803-90) war einer der letzten großen Hofkomponisten alten Stils – und zwar für München; ein enger Freund Schuberts, später ein energischer Gegner Wagners – aber doch auf seine Weise ein höchst eleganter Romantiker, mit einer Musiksprache, die es wirklich wiederzuentdecken gilt. Er gehört zu den wenigen deutschen Komponisten, die zu schwärmerischen deutscher Romantik fähig waren, und trotzdem der französischen und italienischen Opernmusik nicht ablehnend gegenüberstanden.   Was im 19. Jahrhundert im Nationalwahn als halber Landesverrat erschien, wirkt heute geradezu befreiend. Lachners Art, nicht fanatisch nach dem deutschen reinen Stil neuen Typus zu suchen, wie es Wagner oder Schumann taten, macht seine Musik zwar anfällig für stilistische Flickenteppiche, aber auch amüsant und kurzweilig. Weben Anleihen bei Weber und Marschner finden sich französische und italienische Züge im Werk. Cherubini, Spontini, Donizetti und Meyebeer lassen grüßen.

Seidig gespielt und exzellent gesungen: Musikalisch ist diesmal wieder fast alles richtig gemacht worden bei cpo, was man nun wahrlich nicht von jeder Opernaufnahme dieses unendlich verdienstvollen Labels sagen kann. Zuallererst lobend zu nennen sind Chor des Bayerischen Rundfunks und das Münchner Rundfunkorchester. Beide zeigen ihre Bestform. Man merkt, dass der langjährige Orchester-Chef Ulf Schirmer das Ensemble durch vielseitiges Repertoire und Mut zur vergessenen Kostbarkeit geformt hat, es kann dieses Repertoire zwischen den Stühlen nun perfekt zelebrieren und spielt es so selbstbewußt,  als wäre es Weber oder Wagner. Ralf Weikert ist nicht der schlechteste Dirigent in den Fußstapfen von Schirmer und kann durchaus eigene Nuancen setzen, besonders die Seidigkeit  und Durchsichtigkeit des Klangs und ist mir hier aufgefallen. Kristiane Kaiser in der Titelrolle ist durchaus adäquat besetzt, und auch wenn Daniel Kirch die belcantohaften Elemente nicht so elegant in den Griff bekommt wie den deklamatorischen deutschen Stil, bleibt er doch über weite Strecken ein souveräner erster Tenor – dies ist sicher die beste deutsche Operneinspielung von cpo seit der Goldmarks Königin von Saba von 2016 (Franz Lachner: Catharina Cornaro mit Kristiane Kaiser, Daniel Kirch, Mauro Peter, Simon Pauly; Chor des Bayrischen Rundfunks; Münchner Rundfunkorchester; Ralf Weikert; 2 CD cpo 777 812-2). Matthias Käther

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In diesem Zusammenhang empfahl Matthias Käther bei seiner beigeisterten Besprechung der obigen Aufnahme im rbb Radio auch die 3. Sinfonie von Franz Lachner (op.41), die zeitgleich bei cpo herausgekommen ist und die unter Gernot Schmalfuss mit dem Evergreen Symphony Orchestra für Überraschungen und mit ihren opernhaften Wendungen für Begeisterung sorgt, angekoppelt ist Lachners Festouvertüre. Beides empfiehlt der Rezensent seinen Hörern und nun auch unseren lesern (cpo 555081-2). G. H.

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Die Musiker Vinzenz, Franz und Ignaz Lachner, Holzstich nach Fotografie, aus: Gartenlaube 1891/ Wikipedia

Und nun der Artikel von Florian Heurich: Anlässlich des 25-jährigen Dienstjubiläums von Franz Lachner als Münchner Hofkapellmeister würdigt der Maler Moritz von Schwind 1862 dessen Verdienste mit einer Reihe von satirischen Zeichnungen. Er hält die wichtigsten Stationen aus Lachners Leben auf einer rund zwölf Meter langen, auf Leinwand aufgezogenen Papierrolle fest. Dieses überdimensionale Kunstwerk, die sogenannte Lachner-Rolle, die sich heute im Besitz der Städtischen Galerie im Lenbachhaus befindet, ist nur eines der Zeugnisse für die kaum zu überschätzende Bedeutung Franz Lachners für das Münchner Musikleben Mitte des 19. Jahrhunderts. Als er 1836 unter Ludwig I. die Stelle des Hofkapellmeisters antritt, findet er Orchester, Chor und Sängerensemble des Hof- und Nationaltheaters in einem eher desolaten Zustand vor. Innerhalb weniger Jahre macht er jedoch aus München ein Musikzentrum von internationalem Ansehen. Er kultiviert nicht nur das Opern-, sondern auch das kirchenmusikalische und das symphonische Repertoire, indem er als ausgewiesener Beethoven-Spezialist insbesondere diesem an der Isar noch weitgehend unbekannten Titanen der Wiener Klassik einen festen Platz im Konzertleben verschafft. 1852 wird er von König Maximilian II. mit dem eigens für ihn geschaffenen Ehrentitel des Generalmusikdirektors ausgezeichnet, sodass er als erster Münchner »GMD« in die Geschichte eingeht.

Moritz von Schwind: Schubertiade (1868) aus dem Gedächtnis gezeichnet, zu sehen sind Franz Schubert am Klavier, sowie Josef von Spaun, Johann Michael Vogl, Franz Lachner, Moritz von Schwind, Wilhelm August Rieder, Leopold Kupelwieser, Eduard von Bauersfeld, Franz von Schober, Franz Grillparzer.an der Wand das Bild der Gräfin Caroline Esterházy/ Wikipedia

Geboren 1803 in Rain am Lech, macht Lachner zunächst in Wien eine steile Karriere als Dirigent. Er wird Erster Kapellmeister der dortigen kaiserlich-königlichen Hofoper am Kärntnertor und schließt sich dem Freundeskreis um Franz Schubert an, zu dem auch Moritz von Schwind gehört. Die persönliche Begegnung mit dem tief verehrten Beethoven hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Nach einem zweijährigen Intermezzo als Hofkapellmeister in Mannheim beginnt Lachners höchst produktive und fruchtbare Arbeit in München, ein Wirken, das fast 32 Jahre lang andauern wird. Schließlich räumt er das Feld, als sich mit seinem Kunstgegner Richard Wagner eine neue, moderne Musik- und Theaterästhetik durchsetzt. Nach seinem letzten Dirigat am Münchner Hoftheater 1868 – Aubers La muette de Portici – sind ihm noch 22 Jahre als Pensionär vergönnt. Er stirbt am 20. Januar 1890, sein Grab befindet sich auf dem Alten Südlichen Friedhof in München. Lachner darf als Musterbeispiel für den komponierenden Kapellmeister gelten – eine umfassend gebildete Musikerpersönlichkeit, bei der das Komponieren niemals Hauptbeschäftigung ist, sondern immer Teil der Stellung am Theater, neben dem Dirigieren, der Orchesterpflege und auch der Kompositionslehre. Im Rahmen seiner Tätigkeit schreibt Lachner Werke für die ihm unterstehende Hofkirchenmusik, aber auch mehrere Symphonien und Orchestersuiten, ein Requiem sowie die drei Opern Alidia (1839), Catharina Cornaro (1841) und Benvenuto Cellini (1849). Sein erstes Bühnenwerk Die Bürgschaft war bereits 1828 in Budapest uraufgeführt worden.

„Catharina Cornaro, Königin von Cÿpern“ große tragische Oper in vier Akten von St. Georges ins Deutsche übertragen von Alois Büssel/Libretto zu Lachners Oper, Therese von Bayern gewidmet/Frontespiece ZVAB

Stilistisch bewegt sich Lachner ganz im Spannungsfeld zwischen Wiener Klassik und Frühromantik, wie sie insbesondere durch die Ästhetik seines Freundes Franz Schubert repräsentiert wird, sowie dem sogenannten musikalischen Fortschritt eines Richard Wagner. Im Vergleich dazu muss sich Lachner bereits zu Lebzeiten dem Vorwurf des Traditionalismus stellen. Seine Kompositionsweise ist jedoch nicht nur ein Ausdruck der deutschen Romantik, vielmehr absorbiert er das musikalische Umfeld von ganz Europa, lässt sich vom Klassizismus eines Cherubini oder Spontini genauso inspirieren wie von der Grand Opéra eines Meyerbeer oder Halévy. Letzterer vertont sogar zeitgleich mit Lachner dasselbe Libretto von Jules Henri Vernoy Marquis de Saint-Georges über die zypriotische Königin Caterina Cornaro. Unter dem Titel La reine de Chypre wird Halévys Version am 22. Dezember 1841 in Paris uraufgeführt. Lachners Oper Catharina Cornaro, für die Alois Joseph Büssel das französischsprachige, ursprünglich fünfaktige Libretto bearbeitet, auf vier Akte verkürzt und ins Deutsche überträgt, wird bereits am 3. Dezember desselben Jahres in München aus der Taufe gehoben. Somit verweist Lachners Hauptwerk einerseits schon durch die literarische Vorlage und den Untertitel »Große tragische Oper in vier Akten« auf Modelle aus Frankreich und löst sich durch das Sujet von einem allzu dogmatisch deutschen Kontext, andererseits kann jedoch die Musiksprache auch Anklänge an Lachners einige Jahre ältere Zeitgenossen Carl Maria von Weber, Louis Spohr oder Heinrich Marschner nicht verhehlen.

Die Musikerbrüder Vinzenz, Franz und Ignaz Lachner (von links) im Jahre 1883/ Lachner-Museum Rein

In der Münchner Operngeschichte des 19. Jahrhunderts nimmt Catharina Cornaro eine Schlüsselstellung ein. Es ist eines der erfolgreichsten Werke dieser Zeit, das sich durchgehend im Repertoire hält, mehrere Male neu inszeniert und später in überarbeiteter Form noch einmal in Berlin gespielt wird, dort jedoch mit weniger großem Erfolg als am Ort der Uraufführung. »Mit voller Überzeugung sprechen wir es aus: Mit dieser Oper ist die deutsche Schule um ein dramatisches Werk reicher geworden, welches unter den ihr angehörigen zu den genialsten und gediegensten gezählt zu werden verdient«, urteilte die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung nach der Uraufführung, und wenn es in Max Zengers 1923 erschienener Geschichte der Münchner Oper heißt, Catharina Cornaro sei »förmlich zum Wahrzeichen Münchens gleich den beiden Frauentürmen geworden«, dann bezeugt dies die bahnbrechende Wirkung dieser Oper.

Aus den Fliegenden Blättern 1865: Richard Wagner und Franz Lachner/ Wiki

Zu einer Zeit, in der die deutschen Komponisten mehrheitlich von der Oper zum wesentlich kleiner dimensionierten Singspiel zurückkehren, führt Lachner mit seinem Werk die große historische Oper weiter. Merkmale dieser Gattung sind etwa Rezitative anstelle von gesprochenen Dialogen, ein reales, der Geschichte entnommenes Sujet, wobei in einem konkreten historischen Umfeld private und politische Handlungsstränge miteinander verwoben sind, und ausladende Tableaus im Stil der Grand Opéra. Dies spiegelt nicht zuletzt die französische Ausrichtung des Münchner Opernbetriebs unter der Leitung des damaligen Hoftheaterintendanten Karl Theodor von Küstner wider, der sehr schnell die Pariser Erfolgsopern von Meyerbeer, Rossini, Auber und Halévy an die Isar brachte und zudem versuchte, die gattungsspezifischen Charakteristika dieser Stücke auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen. Küstner ist auch maßgeblich an der Stoff- und Librettowahl sowie an der Konzeption von Catharina Cornaro beteiligt.

Diese Programmatik geht auf und verschafft der Münchner Oper unter Küstners Leitung, mit Lachner als Hauskomponisten und Kapellmeister und mit Catharina Cornaro als zentralem Werk des Repertoires, für kurze Zeit eine Spitzenstellung unter den deutschen Bühnen. Lachner selbst wird dadurch nicht nur zu einer kulturpolitisch wichtigen Persönlichkeit, sondern auch zu einem der bedeutendsten deutschen Komponisten zwischen der Weber’schen romantischen Oper und dem Wagner’schen Musikdrama.

Lachners „Catharina Cornaro“: Berta Moreno sang die Titelpartie (hier als Halévys Rachel)/ Foto Isoldes Liebestod

Seine Oper über die venezianische Adelige, die aus Gründen der Staatsraison gezwungen wird, den König von Zypern zu heiraten, und schließlich in ein perfides Komplott der Republik Venedig hineingezogen wird, ist bestes Beispiel dafür, wie in solch eine politische Handlung mit konkretem historischen Hintergrund eine private Liebeshandlung mit persönlichen Konflikten der Titelheldin integriert wird. Catharina befindet sich nämlich in dem Dilemma, ihre Liebesbeziehung mit dem Venezianer Marco Venero zugunsten einer politischen Verpflichtung opfern zu müssen. Mit dem daraus sich ergebenden Nebeneinander von intimen Szenen, wie etwa dem gesamten II. Akt, der in Catharinas Gemächern spielt, und öffentlichen Szenen, die sich etwa in der großen Hochzeitsszene im III. Akt zu breit angelegten Tableaus entfalten, bedient sich Lachner direkt der Dramaturgie der aktuellen französischen Oper. Gerade die auf dem Markusplatz spielende Hochzeitsszene wurde für die Uraufführung vom Bühnenbildner Simon Quaglio, Vater des berühmten, von Wagner favorisierten Münchner Theatermalers Angelo Quaglio, mit großer Opulenz und Detailtreue ausgestattet. Dieser szenischen Couleur locale entspricht ein gewisses musikalisches Lokalkolorit mit dem Marsch einer Banda auf der Bühne, der aus der Markuskirche tönenden Orgel mitsamt einem Chorgebet sowie dem Tanz der Gondolieri, deren Gesang Lachner auch schon zu Beginn des II. Akts von ferne ertönen lässt. Das so geschaffene historische Umfeld ist dabei jedoch vor allem eine ästhetische Kategorie – ein malerischer Rahmen, der nur auf den ersten Blick realistisch wirkt und der fiktiven Handlung eine gewisse Authentizität zu geben scheint. Der geschichtlichen Wahrheit entspricht er allerdings nur zu einem geringen Teil, auch wenn die handelnden Figuren tatsächlich existiert haben.

Dass Lachner trotz seiner Bezüge zu Romantik und Grand Opéra kompositorisch durchaus noch im Klassizismus verwurzelt ist, kommt insbesondere in der Ouvertüre zu Catharina Cornaro zum Tragen. Fast schon losgelöst vom Rest der Oper, wirkt dieses einleitende Stück satztechnisch eher konventionell und lässt Anklänge an Lachners großes Vorbild Luigi Cherubini durchschimmern. Bezeichnenderweise erstellt Lachner später sogar eine Bearbeitung von dessen Medea, durch die das Werk erst zu einer allgemeinen Popularität kommt.

Der Autor: Florian Heurich ist freier Autor und Musikjournalist, schreibt und produziert Radiofeatures und Reportagen für BR-Klassik und gestaltet das Online-Format Opern.TV sowie die Audio-Podcasts der Bayerischen Staatsoper. Dabei versucht er immer seine Opernleidenschaft, seine Reiselust nach Asien und Lateinamerika und seine Arbeit unter einen Hut zu bringen/ Quelle Bayr. Staatsoper

Auch in den Solonummern orientiert sich Lachner oftmals an klassischen Formmodellen, gliedert Arien und Duette in einen langsamen und einen schnellen Teil mit einem den Tempowechsel motivierenden Affektumschwung. Dass die Musik jedoch immer aus dem dramatischen Kontext heraus entsteht, zeigt insbesondere die große Arie der Titelheldin im II. Akt, die vielleicht raffinierteste und komplexeste Nummer der ganzen Oper. Auf einen langsamen einleitenden Satz folgt Catharinas Gebet, das dem Satztypus einer klassischen italienischen »Preghiera« nachempfunden ist und das abrupt abbricht, wenn sie im Gebetbuch auf eine Nachricht Marcos stößt. Nachdem sie diese deklamatorisch vorgelesen hat, mündet die Nummer in einer furiosen Finalstretta in Catharinas Vorfreude auf die Begegnung mit dem Geliebten. Demgegenüber wirkt ihre zweite Arie im IV. Akt in ihrer liedhaften Schlichtheit wesentlich einfacher. Gerade dadurch wird jedoch eine weitere Facette ihres Charakters zum Vorschein gebracht, und wiederum entsteht die musikalische Nummer aus der Situation heraus, wenn die Titelheldin als nunmehr unglückliche Ehefrau ihr Schicksal beklagt. Lachner zeigt also großes musikdramatisches Gespür: Er entwickelt seine Musik direkt aus der Werkdramaturgie und vermag die Figuren und Situationen somit genauestens zu charakterisieren.

Traditionelle Kompositionsmuster treffen auf eine aktuelle Stückdramaturgie, sodass Catharina Cornaro bezeichnend ist für die Umbruchstimmung des deutschen Musiktheaters Mitte des 19. Jahrhunderts. Und mit diesem seinem Hauptwerk hat Lachner, als zentrale Münchner Musikerpersönlichkeit, der Münchner Operngeschichte ein ebenso zentrales Bühnenstück geschenkt. Florian Heurich

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Dank an den Autor, den Musikwissenschafter und -journalisten Florian Heurich, dem wir zahlreiche operngeschichtliche Artikel verdanken. Dank auch an Doris Sennefelder vom Münchner Rundfunkorchester für die wie stets liebenswürdige Genehmigung zur Übernahme des Textes. Foto oben: „Sbarco di Caterina Cornaro a Venezia“/ Andrea Vasillachi/ Wikipedia

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Vladimir Stoyanov

 

Vladimir Stoyanov wird von der Kritik als “Verdibariton par excellence” bezeichnet („uno dei più eccellenti baritoni dei nostri giorni“ schreibt das online-magazin ierioggidomaniopera) . Eleganz, scheinbar endlose Legatobögen, viel Ausdruck und ein sonores, sehr persönliches Timbre zeichnen die Stimme des bulgarischen Bariton aus. Zu Gast ist er an allen großen Bühnen, von der Mailänder Scala über die MET, Wiener Staatsoper, Zürich, Paris, Madrid bis zur Arena di Verona. Er ist auch in Deutschland kein Unbekannter und feierte unter anderem als Pêre Germont an der Bayerischen Staatsoper Erfolge, an der Berliner Staatsoper war er in der Titelpartie von Macbeth und als Gérard  zu erleben. Nun steht ein wichtiges Rollendebüt an. Im Juli singt Stoyanov seinen ersten Carlo Gérard in Andrea Chénier, die erste Verismo-Opera im Repertoire des Künstlers, im  Open-Air-Theater in Lajatico (Toscana). Andrea Bocelli wird in den beidenAufführungen sein Rollendebüt in der Titelpartie geben. Dieter Schaffensberger  hat  mit Vladimir Stoyanov unter anderem über die Partie des Gérard, seine Lieblingsrollen und seinen wichtigsten Lehrer, Nikola Ghiuselev, gesprochen.

 

Wie kamen Sie zum Gesang und zur Oper? Und wo haben Sie studiert? Ich kam erstmals mit Gesang in Berührung, als ich fünf Jahre alt war. In diesem Alter begann ich in meiner Heimatstadt in Bulgarien, im Kinderchor des dortigen Theaters zu singen. Meine Mutter erzählt, dass ich von klein auf tanzte und sang und mir Opern im Radio und Fernsehen ansah. Gleichzeitig zu den Erfahrungen im Kinderchor begann ich, Klavier und Musiktheorie zu lernen. Anschließend studierte ich an der Hochschule “Popkov” und schloss meine Ausbildung an der Musikakademie von Sofia “Pancho Vladigerov” ab. Mein formales Training endete mit einer Meisterklasse von Nikola Ghiuselev, der dann mein Lehrer und Mentor an der Boris Christoff Akademie in Rom wurde.

Was können Sie uns über den Anfang Ihrer  Karriere in Bulgarien erzählen? Meine Arbeitserfahrungen in den Staatstheatern von Burgas und Plovidiv, Theater mit großer Tradition, waren nur kurz. Die ersten Jahre meiner Karriere in Bulgarien waren nicht einfach. Vielleicht wissen Ihre Leser ja, dass Bulgarien über eine großartige Gesangsschule verfügt, die international renommierte Namen wie Ghena Dimitrova, Boris Christoff, Nikola Ghiuselev (mein Lehrer), Raina Kabaivanska, Nikolai Ghiaurov, Anna Tomowa-Sintow, Elena Nikolai und viele andere hervorgebracht hat…
Als ich ein junger Mann war, galt es als undenkbar und verrückt auch nur davon zu träumen, es diesen “Heiligen” des Operngesangs gleichzutun. Meine Lehrer an der Akademie waren alle sehr streng. Ich hörte niemals einen von ihnen sagen: “Gut Vladimir, du kannst es schaffen!” Niemand gab mir diese Bestätigung…  Bis ich Nikola Ghiuselev kennenlernte.
Ich traf ihn durch Zufall, in Sofia. Zu dieser Zeit war Ghiuselev auf dem Höhepunkt einer internationalen Karriere und kehrte selten nach Bulgarien zurück. Ich hatte von einem Freund an der Akademie gehört, dass er junge Sänger vorsingen ließ. Mein Schicksal änderte sich in diesem Moment. Die Größe dieses Mannes hat mein ganzes künstlerisches und persönliches Leben zutiefst geprägt. Abgesehen davon, dass er ein großartiger Lehrer war, wurde er ein guter Freund für mich. Es ist unmöglich, diesen Mann in ein paar Sätzen in einem Interview zu beschreiben. Sein Charisma, seine Eleganz, seine Geduld und seine technische Vorbereitung waren von fundamentaler Wichtigkeit für mich. Leider verstarb er im Jahr 2014. Das war ein großer Verlust für mich und ich vermisse ihn sehr.

Vladimir Stoyanov als Renato/ „Un ballo in maschera“ am Teatro Regio Parma/ Foto Unitel/Ricci; auch als DVD bei Unitel Classica

Eine Produktion von Macbeth am Teatro San Carlo von Neapel war elementar wichtig für die Entwicklung Ihrer Karriere. Wie kam es zu diesem bedeutsamen Engagement zu Beginn Ihrer Karriere? Ich hätte mir als junger Mann nicht im Traum vorstellen können, eine Vorstellung an einem Theater wie dem San Carlo in Neapel, oder an der Scala, in Wien, Berlin, an der Met usw. als Zuschauer zu sehen. Der Traum, dort sogar auftreten zu dürfen, wurde – einem ganz normalen Vorsingen sei Dank – wahr. Man glaubte an mich und vertraute mir eine wichtige Baritonpartie wie den Macbeth an. Dafür werde ich immer dankbar sein. Ich arbeitete sehr hart, um mich auf dieses Debüt vorzubereiten.

Wie wichtig ist Italien für Ihre Karriere? Mein Debüt am Teatro San Carlo in Neapel war einer der schönsten und wichtigsten Momente meines Lebens. In Italien zu singen ist der Traum eines jeden Opernsängers. Italien ist der Ort, an dem der Belcanto geboren wurde. Man hat Oper und Gesang dort in den Genen. Es war wichtig für mich, dort als Verdisänger wahrgenommen zu werden. Das gab mir viel Mut und Selbstvertrauen für die Zukunft. Das ist wie Wagnerrepertoire zu singen und dann Erfolge in Bayreuth zu feiern. Es fühlt sich einfach gut an.

Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie zu sich gesagt haben: “Ich glaube, ich habe es geschafft”? Ich finde, man kann in einer Karriere nie sagen: “Es ist vollbracht!”. Singen heißt immer zu versuchen, sich zu verbessern, verschiedene Charaktere zu vertiefen, Rollen technisch weiterzuentwickeln. Aber ich habe mir persönliche Ziele gesetzt. Lassen Sie mich das erklären. Ich hatte entschieden, nicht als Rigoletto zu debütieren, bevor ich 40 wurde. Es war nicht so, dass ich keine Angebote für diese Rolle bekommen hätte… Aber für den Rigoletto, ein Meilenstein für einen jeden Bariton, wollte ich das so. Mir gefällt es, fast schon über meine Rollen zu meditieren, über Details nachzudenken. Meinen Job möchte ich mit Seriosität und Geduld machen. Jedenfalls dachte ich mir bei Rigoletto: “Wenn du diese Rolle gut machen kannst, dann kannst du vielleicht sagen: Ich bin ein Sänger”. Und das ist die Antwort auf Ihre Frage.

Vladimir Stoyanov als Posa in „Don Carlo“ in Parma/ Foto Unitel aus der DVD bei Unitel Classica, die auch in operalounge.de besprochen wurde.

Ihre drei Lieblingsrollen? Ich liebe alle meine Rollen! Aber wenn ich drei auswählen müsste, würde ich sagen: Rigoletto, Macbeth und Vater Germont. Ich liebe Rigoletto, weil das eine Rolle ist, die viele Möglichkeiten, sich auszudrücken eröffnet. Wie Verdi erklärte: “Hier haben wir einen Charakter, der zu den großartigsten gehört, den man im Theater sehen kann.“ Rigoletto ist ein unglücklicher Mann, der tausend Facetten hat. Am Anfang ist er zynisch, bösartig, herrisch, korrupt. Dann gibt es zugleich noch seine zarte Seite. Die obsessive Liebe zu seiner einzigen Tochter Gilda, die Geschichte seiner Schwäche, seines Schmerzes, seiner Einsamkeit, die von wunderbaren Melodien begleitet wird. Obwohl sich Rigoletto größte Mühe gibt, seine Tochter von der Welt da draußen abzuschirmen, hat sie den Duca getroffen und sich in ihn verliebt. Als die Männer von Duca Gilda entführen, ist Rigoletto am Boden zerstört. Dann ist da noch ein mystischer Aspekt. Der Fluch. Dieser wird zu einer Obsession für Rigoletto. Er versucht, dem Schicksal mit allen Mitteln zu entfliehen, aber am Ende wird zu verstehen gegeben, dass niemand seinem Schicksal entkommen kann. Er konnte Monterones Fluch nicht entkommen und seine geliebte Tochter retten. Rigoletto ist ein Charakter, den man zur selben Zeit liebt und hasst. Man hasst ihn für die Boshaftigkeit, zu der er fähig ist. Und man liebt ihn, weil er ein liebevoller Vater ist, der seine Tochter ungemein liebt. Und… Was soll man zur Musik sagen?!? Es handelt sich um himmlische Musik, die fähig ist, jeden Menschen zu berühren. Verdi wusste, wie man die Herzen erreicht.

Was soll ich zu Macbeth sagen? Auch diese Rolle liebe ich sehr. Verdi wollte den emotionalen Realismus in seinen Opern unterstreichen, und Macbeth ist ein großartiges Beispiel hierfür. Der moralisch ambige Macbeth wird in diesem Fall einem Bariton anvertraut. Baritonrollen können loyal oder heimtückisch sein, die besten Charaktere auf der Bühne oder die schlimmsten. Verdi war in der Lage, all das aus der Baritonstimme zu machen. Diese Stimmlage ist perfekt für Macbeths schwankenden Charakter, der sehr reich an Nuancen ist, musikalisch wie szenisch. Hier ist Macbeth auch ein König, ein Mann der Macht, aber im selben Moment ein Opfer seiner selbst und seiner Frau. Wieder sind mystische Elemente und das Schicksal präsent. Vorhersagen, Hexen, Flüche. Ich genieße es wirklich sehr, diese Art von Rollen zu spielen.
Und dann hatte ich noch Vater Germont genannt, der sehr anders als Rigoletto und Macbeth ist, den ich aber nicht weniger liebe! Verdis Art und Weise, den Konflikt zwischen Germonts bürgerlichen Empfindsamkeiten und seine Sympathie für Violetta musikalisch zu behandeln, ist eine elementare Komponente des Stücks, und für die Entwicklung einer erweiterten Vaterrolle. Indem er die Rolle des Vaters erweiterte, schuf Verdi ein Sopran-Tenor-Bariton Dreieck von Hauptrollen. Der böse Bariton versucht, die Liebesgeschichte zwischen Sopran und Tenor zu verhindern (lacht). Ich liebe diese Rolle wirklich sehr, sie ist wunderbar und ich singe sie immer mit großer Freude.

Vladimir Stoyanov als Macbeth am Teatro Colón/ Foto TC

Eine Rolle, die Sie gesungen haben, aber nie wieder singen werden, und warum. Die gibt es nicht. Wie ich schon erklärte habe ich auf jede Rolle, in der ich debütiert habe lange gewartet, sie in jedem Detail studiert und geliebt. So bin ich eben. Ich lasse mich nicht zu leichtfertigem Enthusiasmus hinreißen, den ich dann später bereue.

Eine Rolle, die Sie gerne singen würden und wahrscheinlich auch singen werden; und eine Rolle, die Sie gerne singen würden, aber vielleicht nie singen werden. Die Rolle, die ich gerne singen würde, aber noch nicht interpretiert habe, ist der Simon Boccanegra und die Rolle, die ich wohl nie singen werde, der Falstaff.

Können Sie uns mehr über Ihr anstehendes erstes Mal als Carlo Gérard in Andrea Chénier in Lajatico sagen? Was ich sagen kann ist, dass ich verschiedene Gefühle habe, was diesen Charakter betrifft. Carlo Gérard ist ein Mann, der mit den Gepflogenheiten seiner Zeit kämpft, in einem Frankreich, das von der Revolution zerfressen ist. Schon am Beginn der Oper erzählt er von seinem Leben als Sklave, von endlosen Tagen, die er hungrig vor Rache verbracht hat (in der Arie “Son sessant’anni”). Dann zeichnet sich die Rolle des Gérard durch seine Liebe zu Maddalena aus, die weibliche Hauptrolle der Oper. Ich würde sagen, es handelt sich bei ihm um einen komplexen Charakter… Ein Mann der liebt, leidet, betrügt und sich letztendlich rehabilitiert und Gutes tut.

In the photo, young Vladimir Stoyanov with Nikola Ghiuselev (in the center) in „Don Carlo“ / Foto wie oben Stoyanov

Der Ort für dieses Rollendebüt ist ein recht ungewöhnlicher: das Open-Air-Theater in Lajatico, wo Sie an der Seite von Andrea Bocelli auftreten werden. Ich habe einen Film über sein Leben gesehen, bei dem mir klar geworden ist, dass Andrea Chénier das Stück ist, das Bocelli sein Leben lang geliebt hat und das ihm sehr am Herzen liegt. Viele meiner Kollegen sind bereits auf der Bühne in Lajatico aufgetreten. Italienische aber auch ausländische Opern- und Popsänger. Das Schicksal hat mich also wieder einmal an einen magischen Ort gebracht und ich bin mir sicher, dass das sehr ergreifende Vorstellungen werden.

OPÉRA POUR LA PAIX

 

Der Frieden von Aachen beendete 1748 den achtjährigen österreichischen Erbfolgekrieg, der von verschiedenen europäischen Mächten an Schauplätzen weltweit ausgefochten wurde. Der französische König Ludwig XV. ließ diesen Frieden ab Februar 1749 mit viel Aufwand feiern. In England entstand aus diesem Anlaß Händels Feuerwerksmusik. Der damalige Direktor der Académie Royale de musique Joseph Guénot de Tréfonatine gab zur Feier eine Oper, die die aktuelle politische Situation aufgreifen sollte, bei den führenden Künstlern in Auftrag. Jean-Philippe Rameau und seinem langjährigen Librettisten Louis de Cahusac war bereits im Jahr zuvor mit Zaïs ein großer Erfolg gelungen. Innerhalb von ca. fünf Wochen beendeten sie ihre neue Oper: Naïs bekam den Untertitel Oper für den Frieden. Tréfonatine scheute keine Kosten und produzierte eine aufwändige Operninszenierung mit den Stars ihrer Zeit, aufwändigen Kostümen und Bühnenbildnern sowie Verwandlungen und pyrotechnischen Effekten. Im April 1749 war Premiere im Palais Royal, es folgten 48 Aufführungen in Folge. Naïs wurde ein eindeutiger Erfolg. Doch Tréfonatine hatte die Akademie schon zuvor so hoch verschuldet, dass der König seine Amtsführung als unzufriedenstellend betrachtete, ihm das Opernprivileg entzog und es der Stadt Paris übertrug. Naïs erzählt eine mythologische Geschichte. Im Prolog revoltieren Giganten und Titanen gegen die Olympier. Jupiter (also Ludwig XV) verbündet sich mit anderen Göttern, um die Welt zu befrieden und teilt seine Macht auf: er beherrscht Himmel und Erde, Neptun das Meer und Pluto die Unterwelt. Die dreiaktige Haupthandlung beginnt bei den in Korinth abgehaltenen Istmischen Spielen, bei der der anonym auftretende, verkleidete Neptun hofft, auf die Nymphe Naïs zu treffen, in die er verliebt ist und die seine Liebe erwidern wird. Doch es gibt Konkurrenten, die eifersüchtigen Astérion und Télénus begehren ebenfalls Naïs und interpretieren einen Orakelspruch von Naïs‘ Vater Teiresias über den drohenden Zorn Neptuns als Aufforderungen, den Rivalen (also Neptun) zu töten, um den Meeresgott zu besänftigen. Naïs warnt den immer noch unbekannten Verehrer vor den Attentätern, deren angreifendes Schiff wird vom Meer verschlungen, die Prophezeiung an Astérion und Télénus erfüllt. Neptun offenbart sich als Gott und macht Naïs zu seiner Frau. Verwendet wird als Partitur eine neue kritische Ausgabe der Sammlung Opera omnia de Rameau.

Das Orfeo Orchestra unter György Vasheghi setzt auf Opulenz, Effekte und Kontraste, die 36 Musiker des Orfeo Orchestras spielen abwechslungsreich und farbig bei oft hohem Tempo, es gibt eine historische Sackpfeife, Flöten und Piccolo-Flöten, Oboen, Fagotte, Trommel, Pauke und Trompeten – Rameaus Musik will klangmalerisch, fesselnd und entfesselt sein und so wird es auch von Orchester und Dirigent umgesetzt. Die Ouvertüre ist in kriegerischer Aufruhr, der folgende Prolog ist spannend und von herrschaftlichem Selbstverständnis. Immer wieder gibt es Divertissements, eine lange Chaconne mit Balletteinlage repräsentiert die Sportler, man hört im Verlauf der Oper Menuette, Sarabande, Gavotte und eine Pastorale. Es gibt Vogelgezwitscher und eine Orakelszene im pastoral wirkenden 2. Akt, der dramatischere 3. Akt mit Seeschlacht endet mit einem Ballett. Naïs ist ein originelles Werk Rameaus, das vom Dirigenten expressiv aufgeladen wird und oft aufregend klingt. Die Sänger haben virtuose Airs mit viel duftender französischer Lyrik, die überwiegend von renommierten Muttersprachlern und Barockexperten über ein große Bandbreite an Stimmungen authentisch dargeboten wird. Chantal Santon-Jeffery singt Naïs mit flexibler Stimme und starkem Ausdruck zwischen Hoffen und Bangen, Reinoud van Mechelen ist mit seiner geschmeidigen Stimme ein charmanter Neptun, sein kultivierter Tenor überzeugt vom Auftakt des 1. Akts mit „Je ne suis plus ce Dieu volage“ ebenso wie bei seinem großen Monolog „La jeune nymphe que j’adore“ zu Beginn des dritten Akts. Der argentinische Tenor Manuel Nuñez-Camelino hat als Astérion mit „Les ennuis de l’incertitude“ eine der schönsten Arien, die er hingebungsvoll interpretiert. Beide Baritone sind eine tadellose Wahl, Thomas Dolié hat mit Pluton und Télénius die dunklen Rollen, Florian Sempey ist in der Doppelrolle als Jupiter und Tirésie zu hören. Der ungarische Purcell Choir ist schwungvoll engagiert und stets präsent. Der englische Musikwissenschaftler Cuthbert Girdlestone hat in seiner 1957 erschienenen maßgeblichen Werkbiographie Rameaus nur wenig über Naïs geschrieben und es quasi als weniger interessantes Nebenwerk abgetan. Wenn man sich diese Neuaufnahme anhört, will man widersprechen: ein Klangerlebnis mit beredter Musik und zupackend dargeboten! (2 CDs, Glossa, GCD 924003). Marcus Budwitius

Akustische Resteverwertung?

 

Viele Firmen haben in der Vergangenheit versucht, mit den Mitschnitten von den Bayreuther Festspielen Geld zu verdienen – von den legendären „offiziellen“ der EMI, der Decca, Testament, Philips über die ebenfalls mythischen der Nachkriegszeit bei grauen Labels zu den ungemein lobenswerten Veröffentlichungen bei orfeo (der wunderbare Tristan mit der Mödl damals als einzig hinreißend aufbereiteter Auftakt der stattlich gewachsenen Reihe, über die wir stets berichten), als Videos bei DG, Unitel Classica et al. Und nun bringt die Firma opus arte die Bayreuther Früchte der jüngsten Jahre heraus, als Videos bereits bis 2015, nun auf CD als eine neue Offensive mit Aufführungen ab 2008, die alle bereits live und vom Ort besprochen wurden und an deren Meriten oder Kritikpunkte sich viele Wagnerfreunde noch erinnern. Vieles erscheint bei reiner Akustik offensichtlicher als durch die Optik kompensiert (oder umgekehrt). Man wird aber den nagenden Zweifel nicht los, ob es sich bei den CDs nicht doch um die Soundtracks der 2015 bereits auf 12 DVDs herausgebenen Opernbox/OA1194BD handelt… eine Resteverwertung also? Was hört man also wirklich? Im Folgenden die ersten CD-Besprechungen in diesem bunten opus-arte-Früchtekorb aus Bayreuth, weitere folgen. Ingrid Wanja hört sich tapfer durch die Dokumente. Das Foto oben zeigt eine Teilansicht der bekannten Wagner-.Büste in Bayreuth/ Foto Winter.

 

Die Meistersinger“ von Nürnberg, Bayreuth 2008, bei opus arte (3 CD QACD9031 D)

Optik gegen Musik: Überrascht ist der Hörer der Meistersinger von Nürnberg aus dem Bayreuth von 2008, dem zweiten Durchgang nach der Premiere im Jahr zuvor, von den mit den letzten Takten von Musik einsetzenden Buh-Rufen: So schlecht war die Aufführung doch nicht! Aber bei einem Blick auf die spärlichen Fotos, einem Walther in unsäglich hässlichem Kostüm und einem auf weißem Ledersofa aus der Bierflasche trinkenden Sachs wird klar, dass die Unmutsbezeigungen wohl der Optik, nicht dem Gehörten galten. Und da ist man froh, es nicht sehen zu müssen.

Den allerstärksten Kontrast dürften beide sich im Quintett des dritten Akts in der Schusterstube liefern, das Michaela Kaune mit einer wunderbaren Süße in der Stimme, innig, beseelt, mit schön aufblühender Höhe, dabei noch sehr mädchenhaft und reicher Agogik  anführt und damit ihr Engagement rechtfertigt, nachdem im Jahr zuvor Amanda Mace die Partie gesungen hatte.. Ebenfalls tadellos ist Michael Volle als Beckmesser, eigentlich bereits ein Sachs und fast schon zu markant für den Stadtschreiber. Artur Korn ist ein Pogner mit angenehmer Wärme in der Stimme, singt „Das schöne Fest“ mit fast italienischem Legato, phrasiert wissend und ist vorbildlich textverständlich. Eigentlich männlicher als der Stolzing wirkt der Tenor von Norbert Ernst als David, der viel akustische Abwechslung in die langen Belehrungen des Ritters bringt, viel Munterkeit, gewandt und wendig bei beachtlicher Textverständlichkeit. Eine jungstimmige Magdalene ist Carola Gruber, manchmal etwas zu soubrettig zwitschernd.

Einen Riesenerfolg soll Klaus FlorianVogt als Stolzing beim Bayreuther Publikum errungen haben. „Am stillen Herd“ vermeint man einen Knaben sitzen zu hören, die Erzählung klingt wie ein Märchen für Kinder, die Mittellage des Tenors war damals noch weniger präsent als in letzter Zeit. Das Preislied wird mit strahlender Höhe, aber insgesamt zu monoton gesungen, auch hier irritiert besonders am Anfang die Knabenstimme.

Einen recht grobkörnigen, knorrigen Sachs gibt Franz Hawlata. Sein Fliedermonolog zeigt wenig akustischen Duft, die Stimme ist nicht farbig, geschmeidig und warm genug, was besonders beim Wahn-Monolog auffällt. „Verachtet mir die Meister nicht“ hat wenig vokale Autorität, klingt unangenehm grimmig, und „deutsch“ wird fast verschluckt, was jedoch kein Wunder ist bei all dem Wesens, was um diese damals noch ganz unschuldige Vokabel gemacht wird. Jedes Regisseurs Pflicht sollte es sein, einen Blick in die Geschichtsbücher zu wagen, ehe er sich graue Haare über dem Grübeln darüber wachsen lässt, wie man das Wörtlein desinfizieren, eliminieren, entnazifizieren kann.

Das Orchester unter Sebastian Weigle zaubert stimmungsvoll im Vorspiel zum 3. Akt, lässt flüssig und leichtfüßig, wenn angebracht mit schönem Ernst  den Reichtum der Partitur zu ihrem Recht kommen. Machtvoll stimmt der Chor unter Eberhard Friedrich das „Wach auf!“ an (3 CD QACD9031 D). Ingrid Wanja    

 

„Lohengrin“ aus Bayreuth 2011 bei opus arte/ daraus oben ein Ausschnitt (3 CD QA CD9034 D), daraus Foto oben eine Vergrößerung aus dem Cover

Vogt anstelle von Kaufmann: Recht froh ist man bei der Betrachtung des Covers für die drei CDs des Bayreuther Lohengrin von 2011, dass man nur hören darf und nicht sehen muss, handelt es sich doch um den Ratten-Lohengrin von Hans Neuenfels, der 2010 seine Premiere in Bayreuth erlebte. Waren damals Jonas Kaufmann als Lohengrin und Evelyn Herlitzius als Ortrud zu erleben, so gab es ein Jahr danach als Alternativ-, wenn nicht gar Kontrastbesetzung Klaus Florian Vogt und Petra Lang. Geblieben ist Andris Nelsons mit beherztem Dirigat schöner Steigerungen und der Lust an extremen Tempi. Als vorzüglich erweisen sich Frauen-, Männer- und gemischter Chor (Eberhard Friedrich) bei ihren vielfältigen Eingriffen ins Geschehen.

Süßstimmig und knabenhaft, wie man ihn kennt, erledigt sich Klaus Florian Vogt auch dieser Aufgabe, wobei der Lohengrin aus bekannten Gründen die geeignetste Partie für den höhensicheren Tenor, dem das Fundament zu fehlen scheint, ist. Allerdings ist er völlig unheldisch, wenn nicht wesenlos, tadellos nur im Piano, aber wenig heischend im Frage-Verbot, und „du fürchterliches Weib“ würde selbst zaghaftere Damen, als Ortrud eine ist, nicht in Verlegenheit bringen. „Heil dir, Elsa“ wird monoton gehaucht, und wenn es in der Brautnacht nicht klappt, glaubt man den Schuldigen schnell gefunden zu haben, so unerotisch werden die „süßen Düfte“ beschworen. Vor sieben Jahren war die Mittellage noch wenig präsent, so dass der Beginn der Gralserzählung farblos bleibt, die erste Erwähnung der Taube als Fermate manieriert klingt, und obwohl der Sänger sich um eine reiche Agogik bemüht, wechselt die Stimme oft nur zwischen knabenhaft und greinend. Zärtlich allerdings hört sich das „und bei dem Ringe soll er mein gedenken“ an und setzt so einen schönen Schlusspunkt.

An ihrer schlechten Diktion leidet die Elsa von Annette Dasch, das Vibrato hält sich damals noch in tolerierbaren Grenzen, die Stimme klingt frisch, aber „Es gibt ein Glück“ enttäuscht, weil ausgesprochen salbungsvoll dargeboten, nichts ist von Entrücktheit zu vernehmen.

Petra Lang  hat wenig von der düsteren Ortrud, und ihr „Gott“ klingt längst nicht so schrecklich, wie der Gatte meint. Deswegen schickt sie ihm wohl auch noch eine grässliche Lache hinterher. Ihr „Entweihte Götter“ allerdings lässt deren Thron wackeln, und sie wirkt durch die ungefährdeten Schärfen in der Höhe, während die Mittellage blass bleibt. Unverständlich bleibt sie leider vor dem Dom, hat davor, in der nächtlichen Szene, aber eine feine Falschheit in der Stimme.

Einen echten Heldenbariton kann Jukka Rasilainen für den Telramund einsetzen, der im Unterschied zu Kollegen auch noch vor dem Dom eine urgesunde, unangefochtene Stimme vernehmen lässt. Besonders seine gute Diktion erfreut den Hörer. Er hätte es nicht nötig, seinen Bariton durch Vokalverzerrungen bösartiger erscheinen zu lassen. Markant und ebenfalls durch Textverständlichkeit beeindruckend ist der Heerrufen von Samuel Youn. Zwar könnte man sich einen jünger und heller klingenden Bariton wünschen, aber das ist Geschmackssache (3 CD QA CD9034 D). Ingrid Wanja     

 

Frisch vom Friseur: Kaum zu glauben, dass die beiden Herrschaften mittleren Alters in Tristan und Isolde, sie im braven kanariengelben Kleidchen mit frischer Dauerwelle, er mit Schlips und Kragen ihr scherzend einen Handschuh zum Hineinbeißen hinhaltend, sich den Wonnen des Herniedersinkens der Nacht hingeben können. Allzu spießig und eher einer guten Tasse Kaffee als dem Liebestrank zugetan hatte 2009 Christoph Marthaler das unsterbliche Liebespaar in seiner Bayreuthinszenierung gesehen, und der Hörer tut gut, das Cover beiseite zu legen und sich  beim Hören auch nicht von der Rückseite der CD-Kassette mit obligatem Lazarettbett irritieren zu lassen.

Hörenswert ist vor allem Robert Dean Smith, optisch immer ein bisschen phlegmatisch wirkend, aber hier mit einem grundsoliden Tenor aufwartend, mit sehr guter Diktion, angenehmem Timbre, einem Tenor, der in allen Lagen gleich gut anspricht, auch im dritten Akt keine Ermüdungserscheinungen zeigt und am Ende des ersten Akts den Taumel, in den die Liebenden geraten, nachvollziehbar macht. Wunderschön gesungen ist „O sink‘ hernieder“ (gehört denn nach „sink“ ein Apostroph?) Emphatisches gelingt dem Sänger ohne hörbaren Druck auf die Stimme, die stellenweise im dritten Akt- und dies als Ausdrucksmittel, wie erloschen klingt. Eine ergreifende Studie liefert  Robert Holl als König Marke mit tiefdunklem Bass, in dem viel Trauer liegen kann. Im ersten Akt noch dröge, im dritten dann angemessen knorrig und Kernig ertönt der Kurwenal von Jukka Rasilainen, der mit einem zarten „Lebst du noch?“ rühren kann. Sehr dunkel besetzt ist der Melot mit Ralf Lukas, dessen Stimme sehr schön ist, aber nicht das eifernd Geifernde bringen kann, was die Partie verlangt. Den jungen Seemann lässt Clemens Bieber mit immerjungem Tenor seine Sehnsucht ausdrücken.

Sehr wenig versteht man dem, was die Isolde von Iréne Theorin zu singen hat, nicht einmal „Er sah mir in die Augen“, und so kann nur der ihre Leistung genießen, der textsicher ist. Sehr schön ist die farbige Mittellage, die ihre ist eine bedeutende, wissende Stimme, der man die starke Frau, die sie darstellt, abnimmt. Geheimnisvoll klingt „Kennst du der Mutter Künste“, schön ist das Piano vor „O sink hernieder“, leider häufig schrill die Höhe insbesondere im Forte. Auch in den Liebestod schleicht sich Scharfes und Spitziges ein. Eine sanfte Wächterin ist die Brangäne von Michelle Breedt, deren Gesang sich mit warmem Timbre und sehr kontrolliertem Singen der Habenseite der Aufnahme zuordnen lässt. Diese wurde nicht von mehreren Aufführungen zusammengeschnitten, sondern stammt zu Gänze vom 9.August 2009, einer Vorstellung, in der das Orchester unter Peter Schneider eine solide, aber keineswegs mitreißende Aufnahme ermöglichte (3 CD opus arte OA 9033). Ingrid Wanja 

Ausgrabungen mit akustischer Gräue

 

Peter Tschaikowski gehört zu den berühmtesten russischen Komponisten, und auch einige seiner Opern sind überall auf der Welt populär. Genauer gesagt, zwei: Eugen Onegin und Pique Dame. Jetzt ist eine Box beim Label hänssler herausgekommen, die sämtliche Opern von ihm präsentiert – auf 22 CDs mit karger Beilage.

Es gibt acht vollständige Opern von Tschaikowski, einige davon wahrlich zu Recht vergessen, bei anderen wundert es mich, dass sie nicht häufiger auf den Bühnen zu finden sind, wie etwa die Jungfrau von Orleans, eine „Schiller“-Oper im Fahrwasser der Pariser Grand Opéra mit Ballett, großen Chören, Duetten und kaum einer langweiligen Minute. Sie ist hier zu finden neben Raritäten wie dem Leibwächter, der Zauberin und den Pantöffelchen. Ja sogar die Opern-Fragmente hat hännsler aufgetrieben! Endlich kann der Tschaikowsky-Fan die erhaltenen Noten aus dem Vojewoden, Undine und Mandragora hören. Abgerundet wird das Ganze – als wäre das nicht genug – durch die Schauspielmusiken zu Schneeflöckchen und Hamlet. (Fast alle Aufnahmen stammen vom russischen Radio, ganz wenige aus dem sehr historischen Bestand der Melodya, alles sehr antik. Deshalb auch rechtefrei für hänsslers  Resteverwertung. Und das gibt es in Teilen woanders akustisch besser. G. H.)

Viele Aufnahmen in verstörender Qualität: Grund zum Jubeln, sollte man denken. Doch weit gefehlt – die hier versammelten historischen russischen Gesamt-Aufnahmen (meist kommen sie vom Ensemble des Bolschoi-Theaters) der 1930er bis 60er Jahre sind in einem sehr unterschiedlichen Zustand auf die CD gekommen.  Manches (weniges!) erstaunlich klar und kristallin, wie die Pantöffelchen. Anderes ist selbst für Rausch-Hust-und Knister-Kummer gewöhnte Klassik-Fanatiker kaum zu ertragen. Das sind größtenteils – man verzeihe das harte Wort – saumäßig aufbereitete Aufnahmen. (Allerdings hat man endlich alle drei Szenen der Zara Dolukhanova aus Schneeflöckchen beisammen, das ist ja was. G. H.)

Ausgerechnet Pique Dame und Eugen Onegin sind kaum anhörbar. Es gibt Edinsonsche Rollen der Jahrhundertwende, die dagegen klingen wie Kunstkopf-Stereo. Angesichts dieser entsetzlichen Qualität habe ich mich gefragt, was man eigentlich tun muss, um Schellacks so unwürdig zu präsentieren. Das scheint mir gar nicht so einfach zu sein. Der Kopfhörer und die Anayse am Computer zeigt es – hier wurden alte Platten mit analogen Umschnitten noch einmal umgeschnitten. Das entspricht – um es höflich auszudrücken – nicht mehr den Standards des 21. Jahrhunderts.

Doch der Preis – 50,00 Euro bei 22 CDs – samt der schönen Idee, hier den kompletten Opern-Tschaikowsky in authentischen Aufnahmen zu präsentieren, besänftigt den Zorn des Kritikers etwas. Netter Versuch. Dennoch wäre es schön gewesen, genau diese Box noch einmal, meinetwegen fürs doppelte Geld zu gekommen – dann bitte mit professionell restaurierten Aufnahmen (Peter Tschaikowski: Sämtliche Opern und Opern-Fragmente: Voyevoda, Undina, Mandragora, Oprichnik, Chervichki, Eugen Onegin, The Maid of Orleans, Mazeppa, The Enchantress, The Queen of Spades, Iolanta, Romeo & Julia, The Snow Maiden, Hamlet mit Vladimir Atlantov, Alexei Ivanov, Andrei Ivanov, Nikander Khanaev, Ivan Kozlovsky, Sergei Lemeshev, Maria Maksakova, Georgi Nelepp, Elizaveta Shumskaya, Bolshoi Theatre Orchestra, Alexander Gauk, Nikolai Golovanov, Boris Khaikin, Vasily Nebolsin; hänssler Classic; PH17053). Matthias Käther

Heiteres aus der zweiten Reihe

 

Komische Opern, die auf den Bühnen überlebt haben, sind meist Exportschlager aus Italien oder Frankreich. Englische Exemplare sind dagegen hierzulande kaum bekannt. Jetzt ist eine Comic Opera erschienen – in hochkarätiger Einspielung mit den BBC Singers und dem BBC Concert Orchestra: The Montebanks (Die Scharlatane). Den Komponisten Alfred Cellier muss man nicht kennen. Den Librettisten schon: Sir William Gilbert, der berühmte Textdichter der Werke von Gilbert & Sullivan.

Die Scharlatane – das ist ein Stoff, den Gilbert immer von Sullivan vertont haben wollte und den Sullivan so bescheuert fand, dass sich schließlich eben jener Cellier erbarmt hat. Das Ergebnis klingt fast wie Sullivan. Kein Wunder: Cellier kannte den Mann, den er imitieren sollte, nur zu gut. Er war Sullivans Schatten und dirigierte die meisten seiner großen Erfolge, nachdem der Maestro nach dem Premierenabend den Stab an ihn abgab. The Mountebanks – das ist eigentlich der übliche amüsante Schwachsinn von Gilbert. In diesem Fall aber ist alles so kompliziert, dass ich Sullivan durchaus verstehen kann, wenn er hier die Finger davon ließ.

Ein Zaubertrank hat die Fähigkeit, alle als das erschienen zu lassen, was sie sein wollen oder vorgeben zu sein. Und in diesem Fall verstört das Gesöff eine Gasthausgesellschaft, in der jeder das Motiv hat zu schwindeln. Frauen geben vor, irgendwelche Männer zu lieben, eine weibliche Hauptperson simuliert Wahnsinn. Andere geben sich als Personen aus, die sie nicht sind. Man kann sich vorstellen, was für ein heilloses Chaos entsteht, wenn der Zaubertrank die Leute wirklich verliebt oder wahnsinnig macht.

Nicht schlecht für einen Ersatzmann: Interessant wird das Ganze dennoch, wenn man genauer hinhört. Vor allem musikalisch. Denn im Prinzip ist dies eine Sullivan-Oper für Leute, die Sullivan nicht mögen. Cellier hat grandiose Einfälle, die sich als echte Über-Sullivans herausstellen. Glanznummern wie das Terzett „When Gentlemen are Eaten Up with Jealousy“ klingen, als hätte Chabrier Sullivan parodiert.
Erfreulicherweise kann Cellier einige Schwächen in der Musik seines Vorbilds erstaunlich souverän ausbügeln. Er hat zum Beispiel auch schöne lyrische Einfälle (ich bin immer noch verzweifelt auf der Suche nach einer wirklich großen melancholischen Melodie bei Gildert & Sullivan), und kann lebendige, abwechslungsreiche Chöre schreiben – bessere als das Vorbild, dessen Manierismen besonders in den nähmaschinenartig dahinrasselnden Chören ärgerlich auffallen.
Leider gibt es aber auch bei Cellier Songs von der Stange und jede Menge musikalische Beschäftigungstherapien fürs Ensemble, um die Zeit herumzukriegen. Ich fürchte, das liegt daran, dass hier ein im Grunde hochbegabter Komponist seine große Chance zu spät bekommen hat – er war todkrank, als er das schrieb, und starb kurz vor der Premiere. Allerdings muss man zu seiner Verteidigung sagen: Die Schwächen wären weniger auffällig, wenn man hier die Dialoge nicht komplett gestrichen hätte und so alles ohne Pause hintereinander hören muss.
Die Interpretation selbst ist wirklich hochrangig und liebevoll umgesetzt, mit einem sorgfältigen John Andrews am Pult und durchweg soliden Sängern. Ich wünschte, alle deutschen Spielopern auf CD wären so erstklassig eingespielt worden. Ich möchte keinen der zehn Sänger einzeln hervorheben – wir kennen hier in Deutschland kaum einen von Ihnen. Die sehr britische gute Ensembleleistung lässt keinen besonders herausragen – und das meine ich diesmal durchaus als Kompliment (Alfred Cellier: „The Mountebanks“/ „Die Scharlatane“: Mit Soraya Mafi, Thomas Elwin, James Cleverton; BBC Singers; BBC Concert Orchestra John Andrews; Dutton Vocalion; 2CD CDEA7349) Matthias Käther