„Du bist die Ruh´..“

 

 

Das englische Label SOMM Recordings veröffentlicht mit Kathleen Ferrier remembered eine CD der unvergessenen britischen Altistin mit Liedern und Songs, die zwischen 1947 und 52 als Rundfunkaufnahmen entstanden und die hier zum großen Teil erstmals auf CD erscheinen (SOMMCD 264). Mehr als 60 Jahre nach dem Tod der viel zu früh verstorbenen Sängerin muten diese Aufnahmen trotz  eingeschränkter akustischer Qualität kostbar an und erinnern an diese einzigartige Stimme mit ihrem unverwechselbaren Timbre, ihrem magischen Leuchten und dem warmen, tröstenden Klang.

Die frühesten Einspielungen stammen aus dem Jahre 1947 und beinhalten ein Programm mit britischen Kompositionen. Edmund Rubbras 1946 entstandene   „Three Psalms op. 61“ wurden der Interpretin gewidmet, sie singt sie hier mit Frederick Stone am Klavier. In purer Schönheit und transzendentem Geheimnis entfaltet sich die Stimme bereits in diesen frühen Dokumenten. Mit Maurice Jacobson war die Ferrier seit 1937 eng befreundet. Seinen „Song of Songs“ komponierte er gleichfalls im Jahre 1946 als introvertierte Betrachtung über Natur und Liebe. Die 1947 im BBC Maida Vale Studio V, London, außerdem produzierten Titel von Holst und Moeran haben sich leider nicht erhalten.

Ein Jahr später, ebenfalls mit Stone am Flügel, sang Ferrier in diesem Studio zwei Schubert-Lieder ein – „Der Musensohn“ und „Wandrers Nachtlied“. Den munteren Duktus des ersten trifft die Sängerin perfekt, die getragene, geheimnisvolle Stimmung des zweiten ebenso. Die Stimme ruht in sich, strömt und verbreitet Tröstliches. Weitere sieben Lieder dieses Komponisten stammen aus einem BBC Studio in Edinburgh in Aufnahmesitzungen von 1951 und 1952. Genau getroffen sind die Stimmungsumschwünge in „Lachen und Weinen“, und auch die gegensätzliche Gefühle in „Suleika II“ erfahren eine plastische Umsetzung.

Wie Schubert ist auch Johannes Brahms mit neun Titeln vertreten, eingespielt zwischen 1949 und 1952 mit Stone bzw. Bruno Walther als Begleiter. Diese Lieder in ihrer leisen Melancholie, ihrer Schwermut, darunter „Sonntag“, „Botschaft“ und „Nachtigall“ (alle von 1949), liegen der Sängerin ganz besonders. „Wir wandelten“ von 1951 ist als inniges Liebesgeständnis sehr anrührend, „Auf dem See“, „Es schauen die Blumen“ und „Der Jäger“ von 1952 umspannen das Ausdrucksspektrum vom erhabenen Naturgemälde bis zur koketten Schwärmerei. Mit „Ruhe, Süßliebchen“ aus der Schönen Magelone, wo sich die Stimme in erhabener Schönheit verströmt, gibt es auch einen Titel aus Brahms’ Liedzyklus, ebenso mit „Wasserfluss“ einen aus Schuberts Winterreise, was die Frage stellt, ob Ferrier möglicherweise die beiden Zyklen komplett aufnehmen wollte, was ihr früher Tod verhinderte.

In einem einzigen Track, Parrys „Love is a bable“ von 1948 live aus Edinburgh, wirkt der große Liedbegleiter Gerald Moore am Flügel. Dieser Song steht für Ferriers Affinität zum britischen Folksong und markiert den Ausklang der Anthologie, die auch je eine Komposition von Wolf („Auf einer Wanderung“) und Mahler („Urlicht) verzeichnet, die zu deren Höhepunkten zu zählen sind. Vor allem letztere (aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“) ist in ihrer der Welt abgewandten Stimmung von ergreifender Wirkung. Wie aus mystischem Urgrund erhebt sich die Stimme bei „O Röschen rot!“, fast ängstlich geflüstert sind die folgenden Textzeilen. Einen ähnlich magischen Effekt haben auch „Der Vollmond strahlt“ aus Schuberts Rosamunde und dessen „Junge Nonne“ als unvergängliche Zeugnisse  der Kunst einer Jahrhundertsängerin. Bernd Hoppe