Heiteres aus der zweiten Reihe

 

Komische Opern, die auf den Bühnen überlebt haben, sind meist Exportschlager aus Italien oder Frankreich. Englische Exemplare sind dagegen hierzulande kaum bekannt. Jetzt ist eine Comic Opera erschienen – in hochkarätiger Einspielung mit den BBC Singers und dem BBC Concert Orchestra: The Montebanks (Die Scharlatane). Den Komponisten Alfred Cellier muss man nicht kennen. Den Librettisten schon: Sir William Gilbert, der berühmte Textdichter der Werke von Gilbert & Sullivan.

Die Scharlatane – das ist ein Stoff, den Gilbert immer von Sullivan vertont haben wollte und den Sullivan so bescheuert fand, dass sich schließlich eben jener Cellier erbarmt hat. Das Ergebnis klingt fast wie Sullivan. Kein Wunder: Cellier kannte den Mann, den er imitieren sollte, nur zu gut. Er war Sullivans Schatten und dirigierte die meisten seiner großen Erfolge, nachdem der Maestro nach dem Premierenabend den Stab an ihn abgab. The Mountebanks – das ist eigentlich der übliche amüsante Schwachsinn von Gilbert. In diesem Fall aber ist alles so kompliziert, dass ich Sullivan durchaus verstehen kann, wenn er hier die Finger davon ließ.

Ein Zaubertrank hat die Fähigkeit, alle als das erschienen zu lassen, was sie sein wollen oder vorgeben zu sein. Und in diesem Fall verstört das Gesöff eine Gasthausgesellschaft, in der jeder das Motiv hat zu schwindeln. Frauen geben vor, irgendwelche Männer zu lieben, eine weibliche Hauptperson simuliert Wahnsinn. Andere geben sich als Personen aus, die sie nicht sind. Man kann sich vorstellen, was für ein heilloses Chaos entsteht, wenn der Zaubertrank die Leute wirklich verliebt oder wahnsinnig macht.

Nicht schlecht für einen Ersatzmann: Interessant wird das Ganze dennoch, wenn man genauer hinhört. Vor allem musikalisch. Denn im Prinzip ist dies eine Sullivan-Oper für Leute, die Sullivan nicht mögen. Cellier hat grandiose Einfälle, die sich als echte Über-Sullivans herausstellen. Glanznummern wie das Terzett „When Gentlemen are Eaten Up with Jealousy“ klingen, als hätte Chabrier Sullivan parodiert.
Erfreulicherweise kann Cellier einige Schwächen in der Musik seines Vorbilds erstaunlich souverän ausbügeln. Er hat zum Beispiel auch schöne lyrische Einfälle (ich bin immer noch verzweifelt auf der Suche nach einer wirklich großen melancholischen Melodie bei Gildert & Sullivan), und kann lebendige, abwechslungsreiche Chöre schreiben – bessere als das Vorbild, dessen Manierismen besonders in den nähmaschinenartig dahinrasselnden Chören ärgerlich auffallen.
Leider gibt es aber auch bei Cellier Songs von der Stange und jede Menge musikalische Beschäftigungstherapien fürs Ensemble, um die Zeit herumzukriegen. Ich fürchte, das liegt daran, dass hier ein im Grunde hochbegabter Komponist seine große Chance zu spät bekommen hat – er war todkrank, als er das schrieb, und starb kurz vor der Premiere. Allerdings muss man zu seiner Verteidigung sagen: Die Schwächen wären weniger auffällig, wenn man hier die Dialoge nicht komplett gestrichen hätte und so alles ohne Pause hintereinander hören muss.
Die Interpretation selbst ist wirklich hochrangig und liebevoll umgesetzt, mit einem sorgfältigen John Andrews am Pult und durchweg soliden Sängern. Ich wünschte, alle deutschen Spielopern auf CD wären so erstklassig eingespielt worden. Ich möchte keinen der zehn Sänger einzeln hervorheben – wir kennen hier in Deutschland kaum einen von Ihnen. Die sehr britische gute Ensembleleistung lässt keinen besonders herausragen – und das meine ich diesmal durchaus als Kompliment (Alfred Cellier: „The Mountebanks“/ „Die Scharlatane“: Mit Soraya Mafi, Thomas Elwin, James Cleverton; BBC Singers; BBC Concert Orchestra John Andrews; Dutton Vocalion; 2CD CDEA7349) Matthias Käther