Archiv für den Monat: Juni 2018

Hubert Delamboye

 

Dutch tenor Hubert Delamboye died on 11 June 2018, aged 72. He made his debut in Wiesbaden, and performed later at major opera houses in New York, Tokyo, Paris, Berlin, Munich, Amsterdam, Brussels, Turin, Vienna, and Zurich. His principal roles were Florestan, Hoffmann, Don José, Samson, Otello, and Tristan. His son Enrico is a conductor, currently working at the theatre in Koblenz, Germany.

Delamboye studied piano at the conservatory of Maastricht and came under the vocal tutelage of Leo Ketelaars. After graduating from the conservatory in 1974, he went on to perform at major theaters in New York, Tokyo, Paris, Berlin, Munich, Amsterdam, Brussels, Turin, Vienna, and Zurich. He was a major figure at Salzburg Festival where he performed through 1990.

Throughout his career, he worked with some of the most prominent conductors, including Nikolaus Harnoncourt, James Levine, Claudio Abbado and Kurt Masur. Among his extensive repertoire was Tamino in “Die Zauberflote,” the title role of “Lucio Silla,” Florestan in “Fidelio,” Hoffmann in “Les Conte d’Hoffmann,” Don José in “Carmen,” Samson in “Samson et Dalila,” Pollione in “Norma,” the title role of “Otello,” and Tristan in “Tristan und Isolde.”  He also worked with some of the best directors in the world including Otto Schenk, Jean-Pierre Ponnelle, Giorgio Strehler, Peter Stein, and Herbert Wernicke.  Among the recordings he left are a DVD performance of “Wozzeck” from the Liceu and “Kata Kabanova” from the Salzburg Festival. Auf youtube ist er in einigen Partien zu hören. (Quelle operawire.com)

Hanns-Martin Schneidt

 

Die Wuppertaler Bühnen und Sinfonieorchester trauern.  Der ehemalige Generalmusikdirektor Hanns-Martin Schneidt verstarb am 28. Mai im Alter von 87 Jahren im Kreise seiner Familie. Von 1963 bis 1985 wirkte Schneidt als Generalmusikdirektor des Sinfonieorchester Wuppertal und war später Chef der Oper Wuppertal. »Wir trauern um einen Künstler, der über einen außergewöhnlich langen Zeitraum das musikalische Leben Wuppertals, des Sinfonieorchesters und der Bühnen geprägt hat. Die Erinnerungen an diesen großen Musiker und Theatermenschen sind an unserem Haus immer noch lebendig und sein Schaffen wirkt immer noch nach.«, so Generalmusikdirektorin Julia Jones und Opernintendant Berthold Schneider. 22 Jahre lang gestaltete er maßgeblich das musikalische Kulturangebot der Stadt Wuppertal. Unvergessen ist u. a. der Zyklus mit den Brandenburgischen Konzerten, die Hanns-Martin Schneidt vom Cembalo aus leitete. Darüber hinaus gestaltete er viele Kammerkonzerte mit Mitgliedern aus dem Sinfonieorchester und etablierte eine Reihe mit Werken der Klassischen Moderne sowie mit zeitgenössischer Musik in Wuppertal. Aufgrund seiner Chorprägung widmete er sich als Opernchef intensiv der Pflege des Opernensembles. 1985, schon von seinem späteren beruflichen Standort München aus, brachte er die langfristig angelegte Produktion von Richard Wagners »Der Ring des Nibelungen« mit der »Götterdämmerung« zu Ende.

Hanns-Martin Schneidt, aus einer Pfarrersfamilie stammend, wurde 1930 im fränkischen Kitzingen geboren und wuchs in Leipzig auf, wo er Mitglied des Thomanerchores wurde. Neben seiner kirchenmusikalischen Tätigkeit widmete er sich nach einem ersten, erfolgreichen Konzert mit den Berliner Philharmonikern zunehmend der großen Sinfonik sowie der Oper.

Im Anschluss an seiner Wuppertaler Zeit leitete er von 1984 bis 2001 als Nachfolger von Karl Richter den Münchener Bach-Chor. Ab 1985 war er zugleich Professor für Orchesterleitung und Kirchenmusik an der Hochschule für Musik und Theater München. Ab 2001 nahm Hanns-Martin Schneidt zudem eine Professur an der Tokyo National University of Fine Arts and Music an und war von 2007 bis 2009 Chefdirigent des Kanagawa Philharmonic Orchestra.

Hanns-Martin Schneidt wurde für seine Arbeit und sein leidenschaftliches Engagement für die Musik mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Eduard von der Heydt-Kulturpreis der Stadt Wuppertal, mit der Medaille ›München leuchtet‹, dem Bundesverdienstkreuz und dem Bayerischen Verdienstorden. Quelle Wuppertaler Bühnen)

 

Dazu ein Auszug aus Wikipedia: (* 6. Dezember 1930 in Kitzingen; † 28. Mai 2018[1]), deutscher Dirigent, Cembalist, Organist und Hochschullehrer.. Seine Kindheit verlebte Hanns-Martin Schneidt in Leipzig. 1940 wurde er Mitglied des Thomanerchores der Thomasschule und Schüler von Thomaskantor Günther Ramin. Sein weiteres Musikstudium absolvierte er von 1949 bis 1952 an der Münchner Musikhochschule. Noch während seines Studiums begann er als Chorleiter und Organist an der Münchner Erlöserkirche zu arbeiten. 1954 gewann er den Richard-Strauss-Preis der Stadt München.

Im Jahre 1955 berief man den gerade erst 25 Jahre alten Schneidt zum Direktor der Kirchenmusikschule in Berlin. 1961–1963 leitete er das von ihm gegründete Bach-Collegium und den Bach-Chor an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Danach wechselte er nach Hamburg und lehrte von 1971 bis 1978 als Professor an der dortigen Musikhochschule. 1963–1985 war Schneidt GMD des Sinfonieorchesters Wuppertal. Von 1984 bis 2001 war er als Nachfolger des 1981 verstorbenen Karl Richter Künstlerischer Leiter des Münchener Bach-Chores, ab 1985 zugleich auch Professor für Orchesterleitung und Kirchenmusik an der Hochschule für Musik und Theater München. 2001 erhielt er den Bayerischen Verdienstorden.

Hanns-Martin Schneidt arbeitete immer wieder mit vielen deutschen Sinfonieorchestern als Gastdirigent, unter anderem mit den Berliner Philharmonikern, den Münchner Philharmonikern oder dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB). Eine umfangreiche Diskografie zeugt von seinem langjährigen künstlerischen Schaffen (Foto oben Wuppertaler Stadtarchiv).

Halévys Oper „La Reine de Chypre“

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Nun endlich, nach so vielen Jahren des Wartens, beschert der Opernhimmel uneingeschränktes Glück: Halévys Grand opéra La Reine de Chypre auf CD (als „Nebenprodukt“ des Konzertes im Pariser Théâtre des Champs-Elysées am 9. Juni 2017 im Rahmen des 5. Palazetto-Opernfestivals, über das in operalounge.de so viel berichtet wurde). Es war die zypriotische Königin (in Volker Tostas Ausgabe von der Edition Nordstern), die das Rennen machte, die damals wie nun heute Ohr und Geist erfreut und die das Genre der Grand opéra zum Besten vorführt. Nun gibt es sie bei Ediciones Singulares im eleganten CD-Booklet und mit den üppigen zweisprachigen Beiträgen zum Werk (2CD ES1032).

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Als im Vorfeld des Konzertes 2017 die Absage nun auch des zweiten Tenors (nach dem originalen Marc Laho wurde dann Cyrille Dubois krank) für die Duprez-Partie des Gérard bekannt wurde, seufzte der angereiste Besucher tief auf, und natürlich konnte Sébastien Droy kein ausreichender Ersatz sein, hatte er die Noten doch erst vormittags bekommen. Aber um der Ehre willen muss man auch sagen, dass er wirklich alles und dies mit Erfolg gab, um die Figur des schmachtenden Liebhabers mit ihren mehr als anspruchsvollen musikalischen Anforderungen (Duprez eben) zu skizzieren. Den vielen fast unmenschlichen hohen Noten kam er geschickt mit starkem Einsatz der Kopfstimme bei und sang an den entscheidenden Stellen und vor allem im 5. Akt mit Engagement und leidenschaftlichem  Elan – eine bewundernswerte Leistung, die den rappelvollen Abend rettete.

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In der neuen Aufnahme ist nun Cyrille Dubois zu hören, der seinen Part mit Glanz versieht. Vielleicht ist die Stimme ein Quentchen zu lyrisch, aber er meistert furchtlos die geforderten Höhen und die gewünschte Emotion. Mich stört gelegentlich der weiche Gaumen (soft palate syndrome) im Stimmansatz, aber das sind unnötige Kritteleien. Dubois, den wir in letzter Zeit in vielen Aufnahmen und Konzerten des französischen Repertoires hören (auch in Berlin in der konzertanten Dinorah) ist eine pure Freude und ein jugendlich-romantischer Vertreter seines Fachs. Chapeau.

Die im Umfeld des Konzertes eingespielte Studio-Aufnahme (wie auch der konzertante Abend) profitiert vor allem vom erstklassigen Französisch der durchweg frankophonen Èquipe – das ist  französische Diktion vom Feinsten. Und das eben führte vor, was französische Oper ist: gesungene Deklamation, wozu die langen Parlandi der Oper ausreichend Gelegenheit gaben, darin La Juive ähnlich. Es ist wunderbar, Franzosen ihre eigene Sprache singen zu hören. Und bevor sich eine Hand des Protestes regt: Dies gilt auch für Christophoros Stamboglis in der Partie des venezianischen Senators Andrea, dessen angedrohter Tod durch den Bösewicht Moncénigo der Auslöser für die Handlung ist. Stamboglis hat viel in Frankreich und viel Französisches gesungen und macht einen erstklassigen Bass-Job. Bemerkenswert ist Eric Huchet mit markantem Tenor in der Partie des erwähnten Fieslings Moincénigo, dessen Erpressung das junge Liebespaar Catarina und Gérard trennt und sie auf den Thron von Zypern bringt, wo König Lusignano unwissentlich dem Konkurrenten erst das Leben rettet und ihm anschließend – von Moncinégo vergiftet – Thron, Frau und Kind übergibt. Was für ein Finale. Mit allem Drum-und-Dran.

Halévys „La Reine de Chypre“ im Konzert 2017/ Foto Gaelle Astier Perret/ Palazetto Bru Zane

Wie in Monte-Carlo als französischer Wolfram beeindruckt als großherziger König der Bariton Étienne Dupuis mit schön geführter Stimme, mit zum Teil wirklich balsamischen Noten und markantem Timbre – eine Besetzung de luxe.

Und sie? La reine même? Ganz wunderbar! Véronique Gens, die Hausprimadonna des Palazetto auf so vielen Aufnahmen und neu mit einem bemerkenswertem Album französischer Arien der Romantik bei Alpha ist in Bestform. Die Stimme weit und im Timbre dunkel, falcon-gleich und absolut ideal für diese Partie der Catarina Cornaro, der sie Drama, Zärtlichkeit und Fraulichkeit verlieh, die Tiefen durchaus auch mal brustig und die Höhen sicher und leuchtend. Zudem ist ihre Deklamation viel prägnanter geworden (naja, weitgehend…). Artavazd Sargsyan und Tomislav Lavoie ergänzen angenehm in den kleinen Partien. Es ist  wirklich ein Erlebnis, eine fast ausschließlich französische Besetzung zu erleben, der Frau Gens die Krone aufsetzte. Vraiment une reine.

Am Pult des schlagkräftigen flämischen Radio-Chores und des Orchestre de chambre de Paris steht Hervé  Niquet, der am Abend selbst launige Zwischenbemerkungen verteilte, Ortsführungen machte und den eingesprungenen Tenor ehrte. Er zeigt eine straffe Hand, treibt die Tempi und das Volumen voran, hat Zeit für die emotionalen Momente (und lässt unverstellt auch die Assoziationen an Halévys Zeitgenossen wie Donizetti/ Dom Sébastien, Meyerbeer/ Les Huguénots und Robert oder auch Offenbach/ La Grande Duchesse zu), aber eben auch den Drive für das Drama – eine mehr als gelungene musikalische Ergänzung zu den hervorragenden Sängern. Das Herz des Melomanen scheint fast zu bersten vor Glück! Stefan Lauter

Ein mythischer Titel: „La Reine de Chypre“ von Halévy war so beliebt, dass sie auf einer Beilagenkarte erschien/ Chocolat Guérin-Boutron/ OBA

La Reine de Chypre von 1841 ist – im Libretto von Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges – als Grand opéra in 5 Akten die Geschichte der Catarina Cornaro, wie wir sie von Donizetti (1843, neben Lachner 1841,  Balfe 1844 und manchen anderen Komponisten der Zeit wie Pacini) kennen. Das Sujet ist – abgesehen von der Musik – insofern bemerkenswert, als Halévy sich wie in La Juive und Charles VI. erneut einer Periode der ferneren Geschichte zuwendet und damit von der akuten sozialen Problemen im Frankreich der Bürgerkriegskämpfe und der erdrückenden Restauration ablenkte oder sie zumindest verklausuliert – Oper wieder einmal als Fluchtpunkt also. G. H.

Dennoch – Diana Hallman schreibt dazu auf der Website vom Palazetto Bru Zane (und im Booklet): Laut seinem Bruder Léon Halévy, dem künstlerischen und biographischen Mitarbeiter des Komponisten, war eine der wichtigsten Inspirationsquellen der“ düstere und mysteriöse Terror“ von Venedig. Dieses Bild der Stadt zeichnete sich in zahlreichen sehr politischen Darstellungen der Republik Venedig, die auf den geheimen Despotismus der herrschenden Patrizier anspielten oder diesen offen verurteilten. Dieser „Terror“, den Léon Halévy erwähnt, entspricht einer üblichen Vorstellung der venezianischen Tyrannei, die in Theaterstücken, Opern und historischen Büchern dargestellt wurde, die auf metaphorische Weise den Machtmissbrauch darstellten.

Zu „La Reine de Chypre“: Rosine Stoltz war die Sängerin der Tirelrolle in der Uraufführung, hier auf einem Foto von 1856/ Nadar/ OBA

Wie der Historiker James H. Johnson betont, wurde dieser Mythos der venezianischen Tyrannei vor allem im Drama Blanche und Montcassin oder in Les Véniciens von Antoine-Vincent Arnault (1798) hervorgehoben. Das Werk enthielt eine ideologische Nähe mit der revolutionären Rhetorik von Napoléon und seinen Militäraktionen um Venedig anlässlich des Italienfeldzugs von 1796 – 1797 vom Rat der Zehn und der staatlichen Inquisition zu befreien. Diese politische Verbindung, die Widmung des Stücks an Napoleon und die Tatsache, dass Arnault den originalen glücklichen Schluss durch ein tragisches Ende ersetzt hat, führte wohl zum Verbot seiner Werke nach den „Zehn Tagen“, zu seinem Ausschluss aus der Académie francaise und seinem Exil fern von Frankreich bis 1819. Das Stück Arnault zeichnet klar einen unterdrückenden Staatsrat: Der Vater von Blanche, der dazu gehört, zwingt sie, ihren geliebten Montcassin, einen Normannen, zu verlassen, um einen politisch brauchbareren Heiratskandidaten zu heiraten. Eine oper, inspiriert vom Stück „Bianca e Falliero, o sia Il Consiglio dei Tre“ von Gioachino Rossini und Felice Romani, uraufgeführt 1819 an der Scala, verkleinert den Despotismus, der im Werk von Arnault so vorherrscht. Dagegen prangert Lord Byron, dem Werk  Arnault viel näher Venedig in seinem Stück von 1821 an, Marino Faliero, wo der Doge des 14. Jhdts. verhaftet und enthauptet wurde, weil er einen Staatsstreich gegen die Aristokraten, die die Stadt regierten, versucht hatte. Marino Faliero von Gaetano Donizetti zeigt eine andere Version der Gesichte des unglücklichen Faliero. Diese Oper von 1835, deren Libretto eher eine Adaption von Giovanni Emanuele Bidera der Tagödie von Casimir Delavigne als des Stücks von Byron  ist, kritisiert die Institutionen von Venedig weniger. Giuseppe Verdi und Francesco-Maria Piave zeichneten die Repression der Stadt in ihrer Adaption des Stücks von Byron “The two Foscari“ unter dem Titel „I Due Foscari“, uraufgeführt in Rom 1844, viel stärker.

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Konform mit der politischen Botschaft vieler solchen venezianischer Dramen, ebenso wie die anti-autoritären Akzente der Juive, der Huguénots und anderen der Reine de Chypre vorangehenden großen Opern, erinnert die Geschichte von Catarina Cornaro, die von  Saint-Georges und Halévy dargestellt wurde, vor dem Hintergrund der Verbindung zwischen Venedig und Zypern, an ähnliche Darstellungen der venezianischen Tyrannei. Die napoleonische Ideologie ist merkbar in der düsteren Art, wie die Oper Pietro Mocenigo, ein Mitglied des Rats der Zehn, darstellt, der den Patrizier Andrea mit dem Tod bedroht, wenn er dem Befehl Venedigs nicht Folge leistet: Er muss die Heirat seiner Nichte Catarina mit den Adligen Gérard de Courcy verhindern. Um die düstere Macht von Mocenigo auszudrücken, erfindet Halévy ein sich wiederholendes Motiv, das auf einem beunruhigenden Ostinato von sich wiederholenden Noten basiert ist, das C-Moll beginnt während seiner Gespräche mit Andrea, der gezwungen wird, die Hand des Mädchens den zypriotischen König Jacques de Lusignan zu geben, wodurch die Herrschaft Venedigs in Zypern gesichert wird. Die Verwandtschaft dieser Behandlung mit den dramatischen Werken vonArnault – diu gebrochene Verlobung und die erzwungene Heirat aus politischen Gründen – lässt vermuten, dass es eine Verbindung mit der Quelle seines Werks von 1798 gibt, eine Möglichkeit, die umso wahrscheinlicher wird, wenn man die enge Verbindung zwischen Arnault und dem Bruder von Halévy, Léon, bedenkt, aber auch den Einfluss, den der Dramaturg am Beginn der Julimonarchie zurückgewann. Es ist interessant eine versteckte Anspielung erkennen zu können bezüglich der repressiven Maßnahmen Frankreichs gegen Arnault, sein erzwungenes Exil und das Verbot seiner Werke. Diana Hallman (Quelle Palazetto Bru Zane/ Übersetzung Ingrid Englitsch)

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Zu „La Reine de Chypre“: Marmorbüste von Caterina Cornaro von Romano in Asolo/ Wiki

Spannend ist das Libretto insofern auch, als hier es die Titelheldin ist, die das Geschick der anderen lenkt, was in den Opern Frankreichs jener Zeit, anders als Italien (bei Rossini, Bellini, Donizetti) eher unüblich war. Angesichts der übrigen zeitgenössischen Opern, in denen wie bei Auber, Donizetti (Dom Sébastien), Niedermeyer (Stradella) oder auch in weiteren Opern Halévys selbst hier die politisch Handelnde eben eine Frau ist, werden sonst die Männer als Agierende gezeigt. Halévys Hinwendung zu einer Frau als politische, sozio-historische Kraft passt zu einer aufkommenden Prominenz starker Frauen in Frankreich, denen die Johanna von Orléans als Leitbild voranschritt (so die Odette in Halévys Charles VI 1840) – die Mitte des Jahrhunderts wird die Zeit der Frauen in der Öffentlichkeit, sogar in Hosen wie Georges Sand. Sängerinnen wie Rosine Stoltz und Pauline Viardot sorgen in der Oper dafür.

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Die Resonanz der Reine de Chypre war enorm – auch Richard Wagner (dem fälschlich immer wieder eine akute Abneigung gegen die französische Oper angedichtet wird, was nicht stimmt, war er doch mit vielen Komponisten in seinen Pariser Jahren befreundet oder bekannt und verdiente er sich ein Zubrot mit dem Erstellen von Reduktionen ganzer Opern für Klavier oder kleine Kammergruppe, so auch La Reine de Chypre oder die bereits vorgestellten anderen Opern von Auber und Halévy) war von der zyprischen Königin eingenommen und schrieb in der Revue et Gazette musicale 1842 ebenso Lustiges wie Lobendes über Halévys Werk und Saint-Georges Libretto (davon nachstehend Auszüge). Man kann sogar Parallelen sehen zu eigenen Wagnerschen Werken, was die Deklamation, Erinnerungsmotive und im musikalischen Bereich die Verwendung des Bleches und der Chromatismen betrifft. Erinnerungsmotive verwendet Halévy im Orchester, wenn die düsteren Pläne des Venezianischen Senats im Libretto oder im Bühnengeschehen Thema werden, dem Lohengrin und Tannhäuser nicht unähnlich. In diesen Opern finden sich auch die Gleichgesinnten der starken Frauen Wagners, die eine Männerwelt aufmischen und in ihrem Beharrungsvermögen einen neuen Frauentyp aufzeigen. Senta im Holländer oder Elisabeth im Tannhäuser sind gute Beispiele dafür.

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Zu „La Reine de Chypre“: Esquisse de décor de l’acte IV (le grande place de Nicosie) de la „Reine de Chypre“ par Charles Cambon/ Gallica/ BNO

Unter allen Opern, die Wagner in seiner Pariser Zeit hörte und kommentierte, kommt die Reine de Chypre am besten weg (wenngleich er La Juive für die wertvollere hält). Er bewundert Halévys Methode, die Stimmen fast nackt und rhythmisch-syllabisch und nicht wie gewohnt virtuos-melismatisch zu präsentieren. Er schätzt den charakteristischen Gebrauch des Orchesters – so die Verwendung des Blechs in der Krönungsszene des IV. Aktes sowohl auf der Bühne wie auch im Graben. Wagner sah Halévy vor allen anderen französischen Kollegen als einen Neuerer unter den Traditionalisten. Und empfiehlt ihn seinen deutschen Kollegen als Vorbild eines Opernkomponisten.

La reine de Chypre von Fromenthal Halévy wurde am 22. Dezember 1841 an der Pariser Oper (Salle Pelletier) uraufgeführt – eine illustre Besetzung wurde von der gefürchteten Pariser Primadonna Rosine Stoltz angeführt, deswegen auch die Beschränkung auf nur eine weibliche Hauptrolle (anders als in La Juive). Die Stoltz war für ihre Intrigen bekannt, wie Donizetti und selbst Verdi leidvoll feststellen mussten. Aber sie war die gefeierte Primadonna ihrer Zeit, ein Publikumsmagnet. Neben ihr traten die Besten der Pariser Oper auf: Gilbert Duprez als Tenorschwarm Gérard und Paul Barrhoilet als fieser Lusignan, beides Größen vergleichbar mit Corelli oder Cappuccilli vielleicht. Auch sie hoch in der Gunst der Besucher und erfahrene Profis. Die prunkvolle Bühne stammte vom Erfolgsteam Cambon & Philastre. Später sang die uns aus Wagners französischem Tannhäuser bekannte Fortunata Tedesco (dort die Vénus) die Titelpartie. Die Oper hielt sich in Paris bis 1878.  G. H.

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Zu „La Reine de Chypre“: Fromenthal Halévy/ Foto Nadar/ Taschen

Nachfolgend ein Text des renommierten Doyen der Musikwissenschaft und Opernforschung Sieghart Döhring zur Bedeutung der Reine de Chypre in ihrer Zeit:  Das auf eine authentische Episode aus der venezianischen Geschichte zurückgehende Libret­to stellt eine romantisch-melancholische Liebeshand­lung der gedämpften Affekte in ein kontrastreiches historisches Ambiente, das ein weites Couleur-locale– Spektrum für Musik und Szene erschließt. Weniger überzeugt, wie schon in Guido et Ginevra (1838), die allzu kopflastige dramaturgische Anlage: Der im I. Akt knapp und prägnant exponierte Konflikt zwi­schen Liebe und Staatsräson wird bereits im II. Akt zugunsten der letzteren entschieden. Das Fehlen einer Peripetie führt in den drei noch folgenden Akten zu einem Spannungsabfall, den auch pittoreske Genre­szenen und repräsentativer Pomp nicht auszugleichen vermögen. Zumal im IV. Akt (Einfahrt der festlich geschmückten venezianischen Staatsgaleere in den Hafen von Nikosia; »Cortege« der Trauungszeremo­nie) erstickt die Handlung unter der Pracht der Szene, die von der Musik nur dekorativ verstärkt, aber nicht dramatisch belebt wird.

Halévys Vertonung zeigt ihre Vorzüge überall dort, wo es die innere Dynamik seelischer Konflikte subtil und spannungsvoll zu ge­stalten gilt. Herausragende Beispiele sind aus dem II.  Akt die große Arie der zwischen Resignation und Hoffnung schwankenden Catarina (»Le gondolier dans sa pauvre nacelle«) und ihr von Theophile Gau­tier als »fort dramatique« bewundertes Duett mit Gé­rard (»Arbitre de ma vie«) sowie aus dem V. Akt die Szenen um den sterbenden Lusignan, für deren unter­gründige Leidenschaftlichkeit Halévy eine differen­zierte musikalische Ausdruckspalette der »gedeckten« Farben aufbietet. Die Melodik der Reine de Chypre erhält ihr Gepräge durch ein an Gaetano Donizettis späten Opern orientiertes italianisierendes Brio, das nicht auf einzelne Nummern beschränkt bleibt, son­dern dem vokalen Idiom insgesamt ungewohnte Ge­schmeidigkeit und Eleganz verleiht. Dies gilt freilich nicht für die populärste Nummer der Oper, das Freundschaftsduett Gerard/Lusignan »Salut à cette noble France« (III. Akt), das musikalisch einen kon­ventionellen Marschtypus ausbeutet und textlich allzu unverhohlen an einen Patriotismus appelliert, den sensiblere Zeitgenossen (Hector Berlioz, Gautier) schon als tendenziell chauvinistisch empfanden.

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Halevys „Reine de Chypre“/ illustrierter Klavierauszug um 1860/ Wikipedia

erbreitung: Mit La Reine de Chypre  gelang es Halévy, an den Erfolg von La Juive (1835) anzuknüpfen. Die schon in Donizettis La Favorite (1840) erprobte Trias Rosine Stoltz (Catarina), Gilbert Duprez (Gérard) und Paul Barrhoilhet (Lusignan), mit der sich die Hauptrollen-Distribution (Mezzo-) Sopran/Tenor/Bariton auch in der Grand opéra verfestigte, dominierte ein Ensemble aus den Spitzenkräften des Hauses. Von verschwenderischer Pracht waren die Bühnenbilder (Charles-Antoine Cambon und Humanite Rene Philastre) und Kostüme; die Mise en scene des IV. Akts gehörte zu den Ausstattungstriumphen der Opera im 19. Jahrhundert. Bis 1858 stand La Reine nahezu jährlich auf dem Spielplan der Opera und erreichte insgesamt 118 Aufführungen. Zu den späteren Inter­preten gehörten unter anderem Fortunata Tedesco, Adelaide Borghi-Mamo (Catarina), Felix Mécène Marie de l’Isle und Gustave-Hippolyte Roger (Gé­rard). In der Salle Garnier kam es 1877 nochmals zu einer Inszenierung (Catarina: Rosine Bloch, Gérard: Pierre Frangois Villaret, Lusignan: Jean-Louis Lassal­le), die es bis 1878 auf 33 Wiederholungen brachte. Auch außerhalb von Paris war La Reine de Chypre jahrzehntelang Erfolg beschieden. Aufführungen gab es in Antwerpen 1843, Brüssel 1844, London, New Orleans und New York 1845 sowie italienisch 1842 in Florenz und, in der Übersetzung von Angelo Zanardini, 1882 in Parma. In der deutschen Übertragung Johann Christoph Grünbaums wurde das Werk 1842 in Leipzig und 1858 in Wien gegebenSieghart Döhring (Quelle s. unten)

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Zu „La Reine de Chypre“: Fortunata Tedesco sang im Verlauf der Aufführungen in Paris die Titelpartie/ Very special thanks to Gary Bryant of operamania ipernity.com, whose phantastic collection of wonderful and incredibly many and well preserved photographs of 19th century opera singers is simply overwhelming and a must-look-at for every discerning opera lover. it´s difficult to imagine a similar collection. We are profoundly grateful for his generosity to be allowed to use some of his pictures

Und nun zu Richard Wagner, dessen Beiträge in der Dresdner Abendzeitung ein ebenso interessantes Licht auf ihn wie auf Halévy werfen. Wobei ironischer Weise anzumerken ist, dass die originalen Dix ecrits sur la Reine de Chypre Wagners in der Revue et Gazette musicale, vol. 9, nos. 9, Februar 1842 mit seinen deutschen Berichten durchaus differieren. Und später, in seinen Erinnerungen Mein Leben, unterschlägt er den Namen Meyerbeers total, der 1841 noch „in Gnade“ war, als Wagner für den Musikverleger Schlesinger in Paris u. a. eine Klavier-Reduktion der Reine de Chypre erstellte… Galeerenjahre eben – undeine amüsante Inhaltsangabe dazu:

(…) Im Buche der Geschichte hatte (der Librettist) Herr St. Georges gelesen, daß in der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts Venedig, in seinen räuberischen Absichten auf die von Königen aus dem französischen Hause Lusignan beherrschte Insel Cypern, sich eines Prinzen dieses Hauses, dessen Thronrecht von seiner Familie bestritten wurde, heuchlerisch annahm, ihm zur Krone verhalf und seinen unheilvollen Einfluss dadurch aufzudringen suchte, daß es ihm Catarina, die Tochter des venetianischen Senators Andreas Cornaro, zum Weibe gab. Bald starb dieser König, und zwar, wie man allgemein vermutete, an Venedigs Gift; denn in der Nacht seines Todes brachen Verschwörungen aus in der Absicht, der Königswittwe die Regentschaft für ihren kleinen Sohn zu rauben; an  Catarina’s hartnäckiger Weigerung, der Regierung zu entsagen, sowie an ihrem muthvollen Widerstande scheiterte aber für dießmal Venedigs Plan. – Dieß ist eine entschiedene Staatsaction, – Keiner wird es läugnen. Sehen wir nun, wie diese geschichtliche Notiz von Herrn St. Georges zu einem fünfaktigen lyrischen Drama benutzt wurde.

Der erste Akt spielt in Venedig, im Palaste des Senators Andreas Cornaro; dieser ist im Begriff, seine Tochter Catarina einem französischen Ritter, Herrn Düprez – ich wollte sagen – Gerard de Coucy, zu vermählen. Gerard und Catarina lieben sich, und versichern sich dessen in einem ziemlich langen Duett von Neuem; – der gute Senator freut sich dieser Liebe und segnet sie: – da tritt ein Mann in rothem Gewande mit einer schwarzen Schärpe ein; Cornaro erkennt ihn als Mitglied des Rathes der Zehn, erschrickt und schickt das Brautpaar hinweg. Moncenigo, so heißt der Friedensstörer, macht den Senator damit bekannt, daß es der Beschluß des Rathes sei, Catarina dem Könige von Cypern zu vermählen, und daß Andreas somit nichts Anderes und Schleunigeres zu thun habe, als sein dem französischen Ritter gegebenes Wort zurückzunehmen und in diese königliche Ehe zu willigen, oder, den Befehlen Venedigs ungehorsam, mit dem Tode zu büßen. Er bewilligt dem Senator eine kurze Bedenkzeit, welche  dieser zu kummervollen Betrachtungen verwendet. Während dem beginnt die Hochzeitsfeier; venetianische Herren, sowie französische Ritter – Gerard’s Freunde – erscheinen als Gäste; nur der Senator bleibt aus; dafür bekommt aber ein hübscher schlanker Mann Gelegenheit, mit zwei seiner äußerst kurzröckigen Freundinnen ein höchst beliebtes Pas de trois auszuführen, welches jedoch sein Ende findet, als der unglückliche Vater hereintritt und allen Anwesenden bekannt macht, daß die Hochzeit nicht stattfinden werde, und daß er sein, Gerard gegebenes Wort zurücknähme. Alles ist wie geschlagen; Fragen, Bestürmungen, Klagen, Drohungen wechseln ab: Gerard’s Freunde schelten den Senator wortbrüchig, die venetianischen Herren vertheidigen ihn, der getäuschte Bräutigam raset, die bejammernswürdige Braut sinkt in Ohnmacht, und der Vorhang fällt. – Könnt Ihr für einen ersten Akt mehr verlangen? –

Zu „La Reine de Chypre“: Gilbert Duprez war der Gérard der Uraufführung/ Foto Nadar/ Taschen

Der zweite Akt führt uns in Catarina’s Betzimmer, welches jedoch nicht unterläßt durch weit offene Fenster auf den großen Kanal auszugehen; der Mond scheint, und Gondoliere singen. Die trostlose Patriziertochter blättert in einem Gebetbuche und findet darin einige Zeilen ihres Geliebten, welche ihr ansagen, daß er um Mitternacht kommen werde sie zu entführen, worüber sie sich denn außerordentlich freut. Schon harret sie des Ritters, als der gebeugte Vater  hereintritt, sich bei der Tochter entschuldigt und sie, seiner und ihrer eigenen Ruhe wegen, zu vermögen sucht, in die Ehe mit Cyperns König zu willigen: so sehr er ihr das Gute dieser Partie anpreist, so wenig vermag er jedoch sie nach seinem Wunsche zu stimmen, und er verläßt sie mit trauerndem Herzen. Kaum sieht sich aber Catarina allein, als sie in ihrem ruhigen Betzimmer auf’s Neue gestört wird: sie hört ihren Namen rufen. Ihr wißt ja recht wohl aus Victor Hugo’s Tyrann von Padua, daß jener heillose Rath der Zehn im Hause jedes Venetianers von einiger Bedeutung geheime, den Bewohnern selbst unbekannte Gänge und Thüren kennt, vermöge welcher seine Spione nach Belieben in das Innerste der wohlverwahrtesten Paläste dringen, um dort ihre Verräthereien ausführen zu können. Solch‘ eine Thüre, und solch‘ ein heimlicher Gang öffnen sich denn nun auch an der einen Wand des jungfräulichen Betzimmers, und wer heraustritt ist Niemand anders, als Signor Moncenigo, Mitglied des Rathes der Zehn. Kurz und bündig erklärt er der erschrockenen Patriziertochter, daß sie ihrem Geliebten, sobald er sich eingefunden haben würde, zu versichern habe, sie liebe ihn nicht mehr, und fühle sich freiwillig von der Krone Cypern angezogen: – nur dadurch könne sie nämlich sein Leben retten. Sie fragt, wer ihn ermorden würde? Er öffnet die geheime  Thür, zeigt ihr mit den Worten: »diese Hände!« eine ansehnliche Versammlung dolchzückender Mörder, und zieht sich in den Gang zurück. – Es schlägt Mitternacht: – der Geliebte läßt sich vernehmen, die Unglückliche vermag nicht ihm entgegen zu eilen. Nun urtheile man, welch‘ ein Duett hier folgen muß! Der Ritter, der zärtlich zur Flucht drängt, – die Geliebte in tödtlicher Angst vergehend, belauscht und bedroht von Mördern. Auf seine Vorwürfe über ihre scheinbare Kälte will sie mit der Wahrheit herausfahren, –da öffnet sich das eine Mal jene abscheuliche Thüre ein klein wenig warnend vor ihrem Blicke; das andere Mal tritt, immer nur ihr sichtbar, Signor Moncenigo mit drohender Gebärde selbst hervor: – in Verzweiflung ruft sie endlich dem Ritter zu, daß sie ihn keinesweges mehr liebe, und daß sie Königin zu werden wünsche. Was Gerard darauf antwortet, läßt sich leicht denken: nach einigem Erstaunen über die Grobheit seiner Geliebten, kündigt er ihr seinen Haß, seine Verachtung an; sie leidet fürchterlich und droht umzusinken, was denn endlich auch nicht ausbleibt, als der getäuschte Geliebte mit einem höchst schmerzlichen »adieu pour ja mais!« davon eilt. Moncenigo und die Mörder brechen hervor und bemächtigen sich der Hingesunkenen, um sie nach Cypern zu schaffen. – Dies ist venetianisch und keinesweges uninteressant.

Zu „La Reine de Chypre“: „Catarina Cornaro spodestata dal regno di Cipro“ von Francesco Hayez, 1842/ Museum Bergamo/ Wiki

Nun aber läßt uns Herr St. Georges ohne alle Kosten nach Cypern reisen, welches uns der dritte Akt in aller Herrlichkeit erschließt: – wir sind in einem »Casino« Nicosia’s; tausend Kerzen erhellen die wohllüstige Nacht, wundervolle Haine und dichte Boskets umgeben den Schauplatz; – hier sitzen cypriotische Herren, dort venetianische, – schöne üppige Frauen mischen sich in das Fest, köstlicher Wein funkelt in den Bechern, – man spielt, man singt, man tanzt: – das Herz lacht Einem, wenn man es mit ansieht. Signor Moncenigo verfehlt nicht auch hier zugegen zu sein: Venedig und sein Rath der Zehn ist überall. Auch hier findet er sogleich Arbeit. Ihm wird gemeldet, daß sich eine verdächtige Gestalt, ganz dem Ritter Gerard de Coucy ähnlich, blicken lasse, worauf er sogleich es für räthlich hält, Befehl zu des Unglücklichen Mord zu ertheilen, da dieser hier leicht große Unannehmlichkeiten verursachen könnte. Als sich das bunte Gewühl der Gäste verzogen hat, hört man denn auch wirklich ganz in der Nähe den Hülferuf des französischen Ritters; dann folgt Schwertergeklirr, und endlich die Flucht der Mörder. Gerard tritt mit einem fremden Ritter auf, dem er für die glückliche Hülfe dankt, durch welche er ihn von den Dolchen der Mörder errettete; der Unbekannte, Niemand anders als Jacques Lusignan, der König von Cypern selbst, behauptet, nur seine ritterliche Schuldigkeit gethan zu haben, verweigert aber seinen wahren Namen zu erkennen zu geben, indem er sich begnügt, Frankreich sein Vaterland zu nennen. Gerard ist entzückt einen Landsmann gefunden zu haben, Lusignan nicht minder: – »Heil Frankreich, dem schönen Lande!« tönt es von Beider Lippen; – ritterliche Freundschaft wird geschlossen. Beide fragen sich so schicklich wie möglich aus; Einer klagt dem Andern so diskret wie möglich sein Leid; Lusignan betrachtet sich als einen armen Verbannten, der genöthigt sei, in fremden Landen sein Recht zu wahren; Gerard aber bekennt, daß ihn ein großer Gram und die Begierde, sich an dem Räuber seines Glückes zu rächen, nach Cypern führe. Beide geloben sich Beistand, schwören sich Hülfe und Treue. Da tönen Kanonen vom Hafen her: – das Schiff der Königin naht sich Cypern! Lusignan athmet auf in Freude und Entzücken: sein guter Stern soll ihm aufgehen! – Gerard, von ganz anderen Gefühlen bestürmt bei dem Donner der Kanonen, klagt über Untreue und wüthet nach Rache! –

So gelangen wir in den vierten Akt: da giebt es Festlichkeiten und Pomp sonder Gleichen! Wir sind am Hafen und erwarten mit dem jauchzenden Volke die Ankunft des Schiffes der Königin: – es naht, sie betritt auf kostbaren Teppichen das Land; Lusignan, als König, kommt ihr aus dem Schlosse entgegen, – Geschützdonner, Glockengeläute, Trompeten-Geschmetter begleiten den prunkenden Zug in die Kathedrale. – Die Scene ist leer und öde geworden, da tritt er auf, der unglückselige Gerard, und brütet über den Vollzug seiner Rache: er weiß, daß er sich selbst in den unausbleiblichen Tod stürzt; dennoch will er sich rächen, und dann den schmachvollsten Tod erleiden. Er will in die Kirche, wird aber durch den wiederkehrenden Zug zurückgetrieben; an einer Mauer des Schlosses nimmt er seinen Stand ein, erwartet den König, und als Catarina an dessen Hand naht, stürzt er sich mit gezücktem Dolche auf ihn los. Da erkennt er seinen Landsmann und Retter: entsetzt über sein Vorhaben, prallt er zurück, die Wachen aber ergreifen ihn. Das Volk verlangt wüthend seinen Tod; der König wirst ihm voll Verwunderung und Entrüstung den Treubruch vor: »Mich, der dich von Mörderhänden errettete, wolltest du tödten?« – Dennoch wehrt er dem mordlustigen Volke, und übergiebt ihn den Händen der cypriotischen Justiz.

Zu „La Reine de Chypre“: Paul Barroillet war der Lusignan der Uraufführung/ Wiki

Der fünfte Akt spielt nun zwei Jahre später. Die geschichtliche Zwischenzeit beläuft sich eigentlich auf vier Jahre; mit großem Geschick hat jedoch Herr St. Georges eine so peinliche Pause um die Hälfte zu verkürzen gewußt. Der König, vor der Zeit gealtert, liegt an einer schleichenden tödtlichen Krankheit darnieder. Catarina, ergeben in ihr Loos, und von Achtung für ihren Gatten erfüllt, wacht am Krankenbette. Lusignan dankt ihr für ihre Güte und Treue, und entdeckt ihr, daß er um ihr früheres Verhältniß zu Gerard wisse; als er diesen nämlich von dem Tode durch Henkersbeil heimlich gerettet, habe er ihm aus Dankbarkeit Alles vertraut, und er, weit entfernt deßhalb seiner Gattin zu zürnen, sei vielmehr von Bewunderung für ihre Treue und Standhaftigkeit durchdrungen, und wünsche ihr Glück, daß durch seinen baldigen Tod, der nicht mehr lange ausbleiben könne, sie der gezwungenen Bande entledigt werden würde. – Ein Maltheserritter in wichtigen Aufträgen für den König, läßt sich melden: Lusignan befiehlt, er solle seiner Gattin vorgeführt werden; denn er fühlt, daß seine letzte Stunde herannahe, und will seinem Weibe die Verwaltung der Regierung für seinen Sohn übergeben. Der Maltheserritter, Niemand anders als Gerard de Coucy, tritt ein, und wird von der Königin empfangen: das führt denn einen peinlichen Auftritt herbei, – Schmerzen der Erinnerung werden wach. Gerard kann nicht umhin, seine Vorwürfe der Treulosigkeit zu erneuen, welche Catarina jedoch dadurch zurückzuweisen versteht, daß sie ihm die entsetzlichen Umstände angiebt, unter welchen sie ihm erklären mußte, sie liebe ihn nicht mehr. Gerard, befriedigt, eilt nun der Königin seine Aufträge auszurichten: – er ist von dem in Reue gestorbenen Senator unterrichtet worden, daß Lusignan an Gift darniederliege, welches ihm Venedig, erzürnt über des Königs Unfolgsamkeit und nicht vermutheten Selbstständigkeitswillen, bereitet habe; er sei gekommen, um Lusignan zum Lohne seiner gegen ihn bewiesenen Großmuth von dem höllischen Komplotte zu benachrichtigen, und wo möglich noch zu retten. »Zu spät!« donnert der heimlich eingetretene Moncenigo. »Niemand vermag den König mehr zu retten; in diesem Augenblicke erliegt er der Strafe, die Venedig, erzürnt über den Trotz, den er seinem Einflusse entgegenzusetzen wagte, über ihn verhing! Und dir, Catarina, – willst du dein eigenes Leben erhalten, – befiehlt Venedig, die Zügel der Regierung in seine Hände zu legen.« – »Niemals!« versetzt entrüstet die Königin: »ich werde regieren für meinen Sohn und um den Gatten zu rächen!« – »Auf wen bauest du, um uns zu trotzen?« – »Auf mein Volk, dem ich zur Stunde Venedigs schändlichen Verrath kund machen will!« – »Niemand wird dir glauben, denn ich werde erklären, daß du, im ehebrecherischen Einverständniß mit jenem Ritter dort, deinem Gatten den Tod gabst: wer wird mich Lügen strafen?« – »Ich!« – ruft der hier eintretende, bereits todt geglaubte König, bleich, von heftigen Leiden verzehrt, sterbend seine letzte Kraft zusammennehmend, mit der er sich an den Eingang des Gemaches geschleppt und Moncenigo’s schändliche Rede gehört hat. – Dieser Moment ist von außerordentlicher Wirkung. – Der König erklärt, die letzten Augenblicke seines Lebens dazu verwenden zu wollen, Venedigs niederträchtigen Verrath zu vereiteln, und dem Volke die Unschuld seiner Gattin zu versichern. Da giebt der unerschütterliche Moncenigo zum Fenster hinaus mit seiner Schärpe ein Zeichen, – Kanonendonner, Aufruhr läßt sich vernehmen: zu spät wird der Verräther von des Königs Wachen ergriffen. Man eilt zum Kampfe, zur Unterdrückung der venetianischen Rebellion; Gerard, froh, Lusignan dienen zu können, treibt mit seinen Rittern die Venetianer aus dem Arsenal: Catarina stellt sich an die Spitze des Volkes, das sie schnell für sich begeistert hat: Venedig wird geschlagen, und der sterbende König übergiebt die unheilvolle Krone in seiner Gattin Hände. Diese nimmt ihr Söhnlein auf den Arm, welches übrigens, auf Herrn St. Georges‘ wohlthätige Zeitverkürzung nicht achtend, sich streng geschichtlich als ein tüchtiger Knabe von wenigstens drei Jahren ausweist; das Volk schwört Treue, und der Maltheserritter, seines Ordensgelübdes eingedenk, trennt sich von seiner Frühgeliebten auf ewig. –

Zu „La Reine de Chypre“: Dekors für den 5. Akt der Uraufführung von Charles Cambon/ Gallica/ BN

Wer wird nun läugnen, daß dieß ein Operntext sei, wie man ihn sich unter Umständen gar nicht besser wünschen kann? Da ist eine Handlung, welche den Zuschauer von Akt zu Akt fesselt, spannt und unterhält, rührend – wo es hingehört, entsetzlich – wo es  sich gut ausnimmt, – dem Komponisten hundert Gelegenheiten bietend, all‘ seine Fähigkeiten und Fertigkeiten an das Licht zu bringen.(…)

Herrn Halévys (…) Musik ist anständig, gefühlvoll, an manchen Stellen sogar von bedeutender Wirkung. Eine Anmuth, die ich an Halévy’s Talente früher noch nicht kannte, liegt in den vielen hübschen Gesangstellen, zu denen der Text reichlichen Stoff bot, und vor Allem fiel mir in der Bearbeitung des Ganzen ein gutes Streben nach Einfachheit auf. Es wäre ein wichtiges Moment für unsere Zeit, wenn dieses Streben von der Pariser großen Oper ausgehen sollte, in einer  Epoche, wo unsere deutschen Opernkomponisten eben erst angefangen haben, dem französischen Luxus und Pompe nachzueifern; wir hätten dann nichts Gescheidteres zu thun, als auf halbem Wege wieder umzukehren, um wenigstens in dieser rückgängigen Bewegung den Franzosen zuvorzukommen. Mit Glück hat Halévy nach Vereinfachung jedoch nur in der Vokal-Partie seiner Oper gestrebt, aus der er alle jene perfiden Kunststückchen und unausstehlichen Primadonnen-Zierrathen verbannt hat, welche (allerdings zum großen Entzücken der glorreichen Pariser Dilettanten) aus den Partituren Donizetti’s und Consorten in die Feder manches geistreichen Komponisten der französischen Oper geflossen waren. Viel weniger ist ihm dieß dagegen in der Instrumental-Partie gerathen. Wollen wir – Gott weiß aus welchen Gründen – die moderne Anwendung der Blechinstrumente aufgeben, so müssen wir nothwendig auch die Kompositionsweise verlassen, die jene Anwendung hervorgerufen hat; in Wahrheit ist aber die z.B. Halévy eigenthümliche Auffassung der dramatischen Musik viel eher als ein Fortschritt, denn als ein Rückschritt zu betrachten, und die – ich möchte sagen – historische Richtung, die in derselben vorwaltet, muß als eine gute Basis angesehen werden, auf welcher wir weiter, zur Lösung vielleicht noch ganz unausgesprochener Aufgaben gelangen dürften. Daß diesem historischen  Charakter die geistvolle Anwendung, zumal der modernen Blechinstrumente, wie wir sie z.B. in Halévy’s Jüdin kennen, sehr gut entspricht, ist nicht in Abrede zu stellen, und hat sich dieser talentvolle Komponist, vielleicht durch die Gewahrung des scheußlichen Misbrauches, den neuere italienische Opernmacher und Pariser Quadrillen-Komponisten von dieser Instrumentationsweise machen, von ihrer ferneren Anwendung abschrecken lassen, so befindet er sich jedenfalls in einem Irrthume, der zumal mit der Festhaltung seiner Kompositionsweise in vollem Widerspruche steht. Denn, ich wiederhole es, von seiner früheren Art der Auffassung dramatischer Musik hat Halévy auch in diesem seinem neuesten Werke nicht abgelassen, und so kommt es denn, daß sich zumal in den beiden ersten Akten Stellen vorfinden, die ihrem Charakter nach durchaus anders, ich will sagen »moderner« hätten instrumentirt werden müssen, um die jedenfalls beabsichtigte Wirkung hervorzubringen; dadurch ist Halévy in den Fehler gerathen, z.B. Clarinetten und Hoboen dieselbe Wirkung zuzumuthen, die nur von Hörnern und Ventiltrompeten zu erwarten steht; und so kommt es, daß diese Stellen den Eindruck einer völlig schülerhaften Instrumentation machen. Im Verlaufe der Oper hat der Komponist seine Grille aber fahren lassen, und instrumentirt, wie es nun einmal in seiner Natur liegt. Abgesehen von die- sem (im Ganzen doch nur Neben-) Punkte, sind überhaupt die letzteren Akte wirkungsreicher als die ersten: in jeder Nummer stößt man auf große Schönheiten, und es ist in diesem Bezuge namentlich der letzte Akt zu nennen, dem der Komponist wirklich einen hochpoetischen Duft zu geben gewußt hat: der sterbende König erhält dadurch eine rührende, ergreifende Bedeutung, und von wahrhaft erschütternder Wirkung ist ein Quartett, welches jener Situation angehört, die ich schon bei der Besprechung des Textes als schön anführte. Eine gewisse schauerliche Erhabenheit, durch elegischen Hauch verklärt, ist überhaupt ein charakteristischer Zug in Halévys besseren, aus dem Herzen geflossenen Produktionen.

Zu „La Reine de Chypre“: Dekors für den 1. Akt von Charles Cambon/ Gallica/ BN

Sage ich nun noch in der Kürze, daß, wenn diese Oper nicht an die Höhe der »Jüdin« reicht, dieß gewiß nicht einer Schwächung der Schöpfungskraft des Komponisten, sondern einzig dem Mangel eines großen, hinreißenden, oder allgemein erschütternden poetischen Hauptzuges in der Dichtung, wie er in jener »Jüdin« wirklich vorhanden ist, zur Last gelegt werden muß. Die Pariser große Oper kann sich aber immerhin zu der Geburt dieses Werkes gratuliren. (…) Richard Wagner, Paris den 31. Dezember 1841.

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Interessante Parallelen zwischen Halévys Reine de Chypre und Donizettis Oper Caterina Cornaro sieht der Belcanto-Spezialist Alexander Weatherson in seinem Artikel, der im Newsletter der Londoner Donizetti Society zum Pariser Konzert 2017 erschien, hier ein Auszug: „How much did (Caterina Cornaro) owe to Halévy?“

La Reine de Chypre des französischen Komponisten, eine Grand Opéra in fünf Akten mit einem Text von Jules-Henri Vernoy de Saint Georges, hatte einige Monate zuvor Paris in Atem gehalten. Sie enthielt genau die Hauptdarsteller, die er für sein Eigentum hielt – La Stoltz, Duprez und Barroilhet – sowie dieselbe Handlung und historische Bedeutung, aber obwohl Halévys imposante Partitur noch immer nachhallt, sind die wirklichen Ähnlichkeiten zwischen den beiden Opern erstaunlich gering. Die gallischen Akzente der französischen Tour-de-Force machen sich nur insofern bemerkbar, als sich diese Saga einer vereitelten Liebe und einer undurchsichtigen venezianischen Intrige in zwei Teile teilt: Donizettis in Paris begonnener Eröffnungsgambit flirtet kurz mit Halévys ausladender Szenegiatur – während der dramatische Kern seiner inbrünstigen Antwort auf die Handlung, Frucht seiner Rückkehr ins polyglotte Österreich, eine orchestrale Breite, eine reiserelevante Neugier und eine Reihe exotischer Bilder aufweist, die einer anderen Kultur angehören. Linda und Pasquale spielen hier keine Rolle, orientalische Würze aus dem maghrebinischen Dom Sébastien roi de Portugal wurde in die Mischung gerührt.

Vergleiche sind illusorisch, Träume von einem brüderlichen Klon sind illusorisch, die gleichen Begegnungen lösen in beiden Partituren ähnliche Reaktionen aus, aber die Hoffnung auf einen Durchschlag ist vergebens. Mit einem Fuß in zwei europäischen Hauptstädten und mit eigenen Grand Opéras hat Donizetti mindestens die Hälfte seiner Oper von einem Standardrezept aus seinem eigenen Portfolio abgeleitet. (…)

Das letzte Duett der großzügig angelegten Oper von Halévy – der proaktive emotionale Höhepunkt von La Reine de Chypre – befindet sich, wie man sieht, noch im ausufernden und eher diskontinuierlichen ersten Akt des italienischen Komponisten, und es markiert einen Begriff, Mit diesen gallischen Momenten verschwindet Halévy mehr oder weniger, sein Acte 4 wird ignoriert und sein Acte 5 zerstückelt, obwohl viele Aspekte der Handlung an Ort und Stelle verbleiben, bietet sein produktiver Zeitgenosse ein Atto Secondo nach seinem Geschmack, dessen Substanz mit Zähnen und Klauen meridional ist. Sobald Donizetti in seine kaiserliche Pfründe zurückgekehrt und das Schicksal der Oper gesichert war, brachte er die Handlung zu einer energischen Auflösung: Eingeleitet durch einen großen Moment für den Tenor, gefolgt von einer Gran’scena der Heldin vor der Bühne – eine zweiteilige Arie, die vom Coro eingeleitet wird, in deren Mittelpunkt eine Preghiera steht, die durch eine tränenreiche Todesszene des Baritons im Off in Form eines Tempo-di-mezzo unterbrochen wird, und das Ganze gekrönt von einer synkopierten Cabaletta-con-coro mit einem Abschiedsschrei (von Gerardo) und einer vollständigen Reprise. Alles in allem eine beredte, wenn auch alles andere als neuartige Sequenz mit der Absicht, den Vorhang für die eifrige Zustimmung seiner Mitbürger fallen zu lassen. (…) Diese Opern von Halévy und Donizetti entstanden, wie man sieht, aus gegensätzlichen Philosophien wie auch aus unterschiedlichen Schauplätzen. Das Publikum der grandiosen Opéra war blasiert, es ließ sich bezaubern und ablenken, aber es war stolz auf seine eifersüchtig bewahrte Désinvolture. Die Grand opéra war für ihr heiteres Gemüt gedacht, sie bot gehobene Themen mit einer gemächlichen Entfaltung in akribisch nachgebildeten historischen Kulissen mit bilderbuchmäßiger Wahrhaftigkeit und Kostümen, hyperreale voire grausame oder verstörende Spektakel als eine Hauptstärke, ein Ballett-Divertissement als leichte Erleichterung und eine dünne Streuung von vernünftig verteilten Gesangsstücken. Ungezügelter Enthusiasmus war den weniger bekannten Aufführungsorten vorbehalten. Übersetzt mit www.DeepL.com/.

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Die beiden Artikel von Sieghart Döhring entnahmen wir – in Auszügen – mit sehr liebenswürdiger Genehmigung des Autors dessen Beitrag in Pipers Enzyklopädie der Oper, Band 2, (München 1987, ISBN 3-02412-2). Wagners Text entnahmen wir mit starken Kürzungen seinen Gesammelten Schriften und Dichtungen. / 1: Bericht über eine neue Pariser Oper (La reine de Chypre, von Halévy), C. F. W. Siegel, Leipzig 1907. Alexander Weathersons Aufsatz erscheint im Juni-Newsletter 2017 der Londoner Donizetti Society:  http://www.donizettisociety.com/ – Foto oben:  Bild der Caterina Cornaro von Bordone, Paris 1520/ Wiki/ Wiki

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Wiederbelebte Rose

 

Angeblich ist die deutsche Spieloper fast ausgestorben, und Komponisten wie Lortzing, Flotow und Co. so gut wie vergessen. Doch 2016  gab es eine Martha  in Frankfurt am Main, die Aufsehen erregte. Und die ist nun bei Oehms auf CD erschienen. Das Aufregende an dieser Martha ist, dass sie vom alternativen Wagner-Hügel kommt. Wer Wagner liebt und Bayreuth hasst, der wallfahrt zur Frankfurter Oper. Hier hat Dirigent Sebastian Weigle nicht nur einen sehr spannenden Ring dirigiert, sondern auch alle drei Jugendopern, die in Bayreuth nicht laufen dürfen (und die gerade wieder aufgelegt in einer 3-Opern-Box bei Oehms erschienen sind). Und ausgerechnet Weigle widmet sich einer der vernachlässigten Spielopern. In einer erstaunlich guten Besetzung.

Solide besetzt: Wir Journalisten neigen mitunter zu knappen Formeln – doch die Vornamen des Tenors AJ Glueckert schreibe ich wirklich deshalb nicht aus, weil ich sie nicht kenne (und er findet sich nicht einmal auf der website seiner Agentur). Glueckert ist ein Tenor, der wenig Persönliches von sich preisgibt. Er verheimlicht uns nicht nur seine Vornamen, sondern auch seine Herkunft. Auf keiner Internet-Seite, nicht einmal seiner eigenen, gibt er seine Nationalität preis. Auch im Booklet schweigt man sich aus. Wer oder woher AJ Glueckert auch immer ist, eines ist kein Geheimnis: Er kann was! Er ist singt den Lyonel mit Delitakesse und Fingerspitzengefühl. Sogar mit der Leichtigkeit, die es hier trotz aller Schwerblütigkeit der Figur musikalisch braucht.
Ein weiterer Grund, sich diese Aufnahme zuzulegen, ist die Schwedin Maria Bengtsson, in der – fast hätte ich gesagt Titelpartie. Aber der Witz ist ja, dass es gar keine Martha gibt, sie ist ein Alias der reichen Lady Harriet, die einen Tag lang Magd spielt. Die Sängerin der Lady also ist nicht nur ein Hingucker, sondern auch ein akustisches Ereignis. Ihre Koloraturen sind etwas angestrengt, aber man muss bis in die Vierziger- und Fünfzigerjahre zurückgehen, um eine Martha mit wirklich flotten Koloraturen zu hören, zu Erna Berger oder Wilma Lipp. Das große Pfund, mit dem Frau Bengtsson wuchern kann, ist ein strahlend silbernes, anmutig klingendes Timbre. Marthas berühmte irische Strophen habe ich so bewegend selten gehört. Mal nicht die große Kitschkiste, sondern bewegender Lyrismus – so soll es sein. Auch Katherina Magiera (Nancy) und Njörn Bürger (Plumkett) als Buffo-Paar sind auf Augenhöhe mit dem seriösen Fach.

Der Held ist der Dirigent: Die Handlung der Inszenierung wurde in die Gegenwart verlegt. Und es gibt ein paar kleine Textretuschen. Die dem Werk ganz gut bekommen, wenn mir solche Eingriffe auch grundsätzlich Magenschmerzen bereiten. Nicht weil ich da Purist bin, sondern weil ich Feigheit wittere. Wenn man das bei Wagner machte, wäre der Lärm groß. Und da lohnte es sich wirklich. Es sind immer die kleinen Komponisten, die keine Lobby haben, die unter Eingriffen leiden. Eigentlich agieren die Regisseure da genau wie gewisse Typen damals auf dem Schulhof.
Unterm Strich treibt Sebastian Weigle das Spiel temperamentvoll und fast wütend voran. Dadurch bekommt das alles eine Seriosität, ein Feuer, was ich mitunter in den fluffig dahinhüpfenden Einspielungen von Wallberg oder Heger vermisse. Hier macht sich bemerkbar, dass das ein Dirigent ist, der den ganz jungen Wagner der 1840er Jahre gut kennt, das ist ja dieselbe Zeit. Deswegen: Trotz Bühnengerumpel und kleiner Abstriche in der Interpretation eine markante Aufnahme, die in ihrer wagnerschen Stringenz den Komponisten Flotow noch einmal ganz neu gewichtet.

Tolle Ausstattung: In weiteres Mal kann ich die haptisch-optische Seite der Oehms-Opern-CDs nur preisen. Schöne Verpackung, übersichtliche Tracklisten, vollständiges Libretto im Schuber, interessanter Einführungstext – und das zu einem fairen Preis. Ich weiß, ich klinge wie ein Teppichhändler beim Ausverkauf – aber da diese Art von Service so selten geworden ist, klinge ich gern so. (Friedrich von Flotow: Martha oder der Markt zu Richmond; mit AJ Glueckert, Maria Bengtsson, Björn Bürger, Katharina Magiera; Chor und Orchester der Oper Frankfurt/Main; Sebastian Weigle; Oehms Classics, 2 CD OC 972).  Matthias Käther

Auf 15 CDs: Warners  Gounod Edition

 

Passend zum Jubiläum des Komponisten 2018: Wehmütig, entsagungsvoll blickt Gretchen, im rosa Kleid auf der Gartenbank sitzend, am jungen Edelmann vorbei. Sie werden nicht zusammenkommen. Das Foto, für das Edda Moser und Nicolai Gedda anlässlich der Aufnahmesitzungen zu dieser frühen Faust-Quadrophonie-Aufnahme der Electrola 1973 in der Berliner Grunewaldkirche eigens in Fotostudio geeilt sind, sagt alles. Der Querschnitt, der zur Unterscheidung zum französischen Faust unter dem lange in Deutschland gebräuchlichen Namen Margarethe Eingang in The Gounod Edition von Warner Classics (15 CDs 0190295648890) gefunden hat, kann dem internationalen Publikum vorführen, wie originell deutsche Querschnitte in den 70er Jahren besetzt und konzipiert wurden. In 15 Nummern und fünfzig Minuten erzählt der von Helmut Storjohann und Christfried Bickenbach produzierte „Große Querschnitt in deutscher Sprache“ von Gretchen und Faust. Nicolai Gedda ist in jeder Phrase der promovierte Gelehrte, singt klug und eloquent, hochkultiviert und farbenreich, aber auch ein bisschen stocksteif, wodurch er Edda Mosers gezierte Margarethe nicht richtig aus der Reserve zu locken vermag. Kurt Moll ist ein wunderbarer Bass, doch nicht der abgefeimteste aller Mephistos, Dietrich Fischer-Dieskau ein doch sehr passender Valentin; Giuseppe Patané dirigierte das Radio-Symphonie-Orchester Berlin mit feuriger Zugkraft. In gleicher Besetzung entstand übrigens auch ein quadrophoner Don Carlos (sic).

Die etwas eklektische Gounod-Edition bei Warner

Die deutsche Margarethe ist eines der Petits Fours, mit der die Herausgeber die opernschwache Edition verzuckerten. Zu den Zuckerl gehören Saphos „Héro sur la tour solitaire“, das einer Entdeckung gleichkam, als die Erato-Aufnahme mit Marilyn Horne in den 1980er Jahren (unter dem entdeckungsfreudigen Lawrence Foster) herauskam. Wer das gehört hat, muss natürlich die gesamte Aufnahme mit der Grande-Duchesse, Dalila und Aubers Zerline haben. Die andere Sapho ist, mehr als Vierteljahrhundert zuvor aufgenommen, Régine Crespin mit „O ma lyre immortelle“. Auf CD 10 und 11 prallen bei Opera Arias und Songs Auffassungen und Generationen aufeinander, begegnen sich ausgewiesene Stilisten und Stimmbesitzer. Pierre Bernac, der Doyen des französischen Liedgesangs, ist mit „Au Rossignol“ vertreten (er wurde 1945 von Francis Poulenc belgeitet), dabei ist auch Gérard Souzay mit neun in den frühen 70er Jahren aufgenommenen Liedern (mit seinem Freund Dalton Baldwin), Dietrich Fischer-Dieskau steuert „Solitude“ bei, der ähnlich wie Souzay nahezu ausschließlich als Liedsänger tätige, aber kaum noch bekannte (bei Philips wurden einst seine schönen Fauré-, Duparc- und Ravel-Aufnahmen wiederveröffentlicht) hellbaritonal-feinsinnige Camille Maurane singt  u.a. „Venise“; José van Dam fällt im Vergleich fast etwas ab. Stärker das Gefälle bei den Tenören: Rolando Villazón, 2004 noch gut bei Stimme, breitbeinig und pauschal als mit Polyeucte und La Reine de Saba, José Carreras, 1994 traurig und live aus dem Wiener Musikverein, mit zwei kurzen Liedern, dazu der unvergessene Laurence Dale. Neben Horne und Crespin, ist die leuchtende Françoise Pollet mit La reine de Saba und Cinq-Mars vertreten – welche Diktion bei Crespin und Pollet (Texte gibt es im schmalen Beiheft, das uns mehr über die Aufnahmen und ihre Hintergründe als über Gounod erzählen könnte, natürlich nicht); Felicity Lott und Anna Murray erinnern mit drei Beiträgen an die schöne Zeit ihrer gemeinsamen Liederabende, und mit Gounods berühmtester Nummer, dem „Ave Maria“, ist auch Barbara Hendricks mit dünner Stimme dabei. Im Großen und Ganzen bewahrheitet sich die Aussage eines britischen Autors, “The voices Gounod knew were types particular to France, and the language he set with such lyrical eloquence and declamatory force is one that equally combines these qualities: French“.

 

Leider nicht dabei: die erste vollständige „Faust“_Einspielung bei EMI mit de los Angelkes und Gedda

Gounods Ruf verbreitete auch die Cäcilienmesse, die Messe solenelle de Sainte Cécilie, die in der Edition in einer Aufnahme von 1963 unter Jean-Claude Hartmann vertreten ist. Da hätte es im Erato-Katalog auch Neueres gegeben, doch die Besetzung vor allem mit Pilar Lorengar (gegenüber Barbara Hendricks) – dazu Heinz Hoppe, Franz Crass –  spricht für sich. Hendricks kommt aber mit dem nicht sehr anspruchsvollen Sopranpart im viktorianisch-frommen Oratorium Mors et Vita zu Wort, wo Michel Plasson mit Nadine Denize, John Aler und José van Dam eine opernhaft-leidenschaftliche Aufführung leitet. Plasson begegnet uns wieder bei den beiden Sinfonien von 1855. Zu diesem Zeitpunkt war Gounods Karriere trotz der überschaubaren Erfolge der Sapho und der Nonne sanglante 1851 und 1854 die entscheidende Abbiegung zur Oper genommen.

 

Man kann bedauern, dass Plasson bei Faust, den er allüberall dirigierte, mit seiner Einspielung von 1991 nicht zum Zuge kommt, auch nicht Gedda (welche schöne Gegenüberstellung hätte das ermöglicht), de los Angeles und Christoff unter Clytens 1958. Stattdessen hat man sich für die 1978 in der Pariser Salle Wagram entstandene Aufnahme unter Georges Prêtre mit Mirella Freni, Plácido Domingo und Nicolai Ghiaurov entschieden. Von Prêtre hätte man sich eine leidenschaftlichere, idiomatischere als diese von Nummer zu Nummer springende, gelegentlich triviale Aufführung erwarten dürfen; das Ballett ist angehängt, Plasson nahm übrigens zusätzlich drei vor der Uraufführung gestrichene Passagen auf. Domingo gibt eine seiner leidenschaftlichen Instant-Interpretationen, Ghiaurovs Mephisto bietet eine gute Verbindung von Witz und Bosheit, Freni vermittelt das Pathos der Marguerite und ist berührend in „Il était un roi de Thule“, bei Thomas Allen hört man gerne hin, sein grobkörniger Valentin ist mustergültig.

Und leider auch nicht dabei: die atmosphärische und erste Einspielung der „Mireille“ aus Aix-en-Provence unter Cluytens bei EMI

Auch im Fall der Mireille wäre die ältere Cluytens-Aufnahme von 1954 möglicherweise die bessere Wahl für diese provenzalische Liebesgeschichte gewesen. Dafür ist die Plasson-Aufnahme aus Toulouse von 1979 vollständiger. Freni ist als Mireille, die in Liebe zum armen Korbflechter Vincent entbrennt, ganz in ihrem Element, Alain Vanzo singt mal wieder den Vincent mit viel Stil und Stimme, als sinisterer Gegenspieler Ourrias gibt José van Dam eine vielschichtige Interpretation und mit Jane Rhodes, Gabriel Bacquier, Christine Barbaux , Michèle Command sind erste Sänger aus der zweiten Reihe versammelt. 1983 war José van Dam in Toulouse wieder mit dabei. Diesmal als nobler Frère Laurent in der sehr lohnenden Roméo et Juliette, wo Alfredo Kraus als Romeo mit eminenter Kultiviertheit und Technik, perfekter Atemführung und zauberischen Pianissimi eine seiner besten (wenngleich vielleicht nicht unbedingt idiomatischsten) Interpretationen gibt. Catherine Malfitano ist eine mehr als ausreichende Juliette. Michel Plasson, der gut zehn Jahre später nochmals Alagna und Gheorghiu auf den berühmtesten Balkon der Literaturgeschichte schickte, integrierte erstmals die Ballettmusik im fünften Akt und versammelte wieder ein französisches Ensemble.  Rolf Fath

 

Foto oben/  Gounod: Szene aus der Pariser Produktion von „Mireille“, 2010 im  Palais Garnier/ Foto A. Pouteney/ Opéra National de Paris;dazu auch die ausführliche  Rezension im italienischen Online-Magazin Tutti

 

Rätsel um Zerbinetta

 

Mit den angeblichen Erstveröffentlichungen ist das oft so eine Sache, zumal bei Hänssler Profil. Auf dem Recital von Ruth-Margret Pütz bei Profil Edition Günter Hänssler (PH18012) ist die Arie der Zerbinetta „Großmächtige Prinzessin“ aus der Ariadne auf Naxos von Richard Strauss als eine derartige Neuigkeit ausgewiesen. Genau besehen stammt sie aus einem Mitschnitt, der bereits vor vier Jahren bei Cantus Classics erschienen und noch im Handel ist. Auch das Hamburger Archiv für Gesangskunst, auf dessen Autor Klaus Ulrich Spiegel sich im Booklet berufen wird, hatte just diese Szene im Rahmen einer der Sängerin gewidmeten Edition (Vol. 1) ebenfalls im Programm. Von Erstveröffentlichung kann also nicht die Rede sein. Dafür stellen sich die Umstände dieser Produktion als umso spannender dar. Sie sind das eigentliche Highlight. Am 6. Oktober 1962 wurde im Stuttgart das im Krieg zerstörte Kleine Haus der Württembergischen Staatstheater als Neubau eingeweiht. Und zwar mit jenem Werk, das dort fünfzig Jahre zuvor bei seiner Uraufführung nicht den erhofften Erfolg einfuhr: Ariadne auf Naxos. Oper in einem Aufzuge. Zu spielen nach dem „Bürger als Edelmann“ des Molière – so der etwas sperrige Titel der Urfassung des Werkes. Es gab von der Reprise eine Übertragung im Radio. SWR 2 hat das historische Band 2014 erneut gesendet und damit für viel positives Aufsehen gesorgt. Für die damalige Zeit war die Besetzung außerordentlich luxuriös. Leonie Rysanek sang die Ariadne, Jess Thomas den Bacchus. Und die Pütz die Zerbinetta. Stuttgarter Prominenz – darunter Friederike Sailer, Hetty Plümacher, Alfred Pfeifle und Gerhard Unger – war auch für die kleineren Partien aufgeboten. Am Pult waltete Ferdinand Leitner. Der Schauspieler Max Mairich gab den Herrn Jourdain, Hilde Weissner die Marquise Dorimene. Unter dem tat man es damals nicht im wohlhabenden Ländle.

Warum allerdings Ruth-Margret Pütz ihre Arie aus der zweiten und bis heute gängigen Fassung sang und nicht in der mit noch mehr Koloraturen gespickten Originalfassung wie einst Margarethe Siems, fand ich bisher nirgends erklärt. Auch im Booklet der Profil-CD wird nicht darauf eingegangen. Hätte sie diese Herausforderung am Ende nicht bestanden? Das kann ich mir nicht vorstellen. Dafür gelingt ihr die Arie in der endgültigen Fassung zu zu sicher und zu rasant. Da wäre im wahrsten Sinne des Wortes noch Luft nach oben gewesen. Insofern war es eben doch nicht ganz das Original, was 1962 in Stuttgart ausgegraben wurde. Letztlich spricht dieses Manko aber nicht gegen das neue Recital, das schon dadurch eine Gewinn ist, weil vier Titel aus einer Columbia-Schallplatte übernommen wurden, die inzwischen Seltenheitswert hat. „Gualtier Maldé! Teurer Name“ (Gilda) aus Rigoletto, „Ach, unter allen Blicken / Auch ich versteh’ die feine Kunst“ (Norina) aus Don Pasquale, „Nun eilt herbei, Witz heit’re Laune“ (Frau Fluth) aus den Lustigen Weibern von Windsor sowie die beseelte Konzertarie „Mia speranza adorata! Ah non sai qual pena sia“ von Mozart. Dabei werden die Berliner Symphoniker von Berislav Klobucar geleitet. Die beiden Arien der Konstanze „Welcher Kummer herrscht in meiner Seele – Traurigkeit ward mir zum Lose“ und „Martern aller Arten“ führen zu den Salzburger Festspielen 1961, wo die Pütz neben Fritz Wunderlich in einer Neuinszenierung der Entführung aus dem Serail auftrat. Mit der Szene „Ach, Belmonte! Ach mein Leben“ aus einer Stuttgarter Aufführung – hier singen Josef Traxel den Belmonte und Gerhard Unger den Pedrillo – werden die Auszüge aus dieser Oper wirkungsvoll ergänzt.

Auf mich wirkt die Stimme durchsichtig und klar, als würde Licht hindurch scheinen. Ihre Koloraturen schwingen mühelos und wirken niemals nur technisch. Sie brilliert bei ihren Soloauftritten und passt sich mit der gleichen Disziplin ins Ensemble ein. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass mit der Neuerscheinung auch das Geburtsjahr von Ruth-Margaret Pütz, die – wie im Booklet weiter zu lesen ist – „zurückgezogen aber geistig wach“ in einem Stift bei Stuttgart lebt, um ein Jahr nach hinten datiert wird. Sie sei 1930 und nicht – wie oft zu lesen – 1931 geboren. Rüdiger Winter

„Mich interessiert Theater…“

 

Kurz vor Ende der ersten Spielzeit des neuen GMD und Operndirektors des TfN (Theater für Niedersachsen) Florian Ziemen ergab sich vor einer Vorstellung der „Blume von Hawaii“ die Gelegenheit, mit ihm ein Gespräch zu führen. Er hatte durch seinen besonders vielseitigen Spielplan und die Entdeckung der nahezu unbekannten „Adelia“ von Gaetano Donizetti überregionale Aufmerksamkeit erregt. Darüber und anderes mehr sprach Marion Eckels mit dem neuen Chef in Hildesheim.

 

Florian Ziemen/ Foto IVA KLjuce

Zunächst nach seinem Werdegang befragt, begann er äußerst lebhaft zu berichten:  Als gebürtiger Münchner habe ich auch dort studiert, war während des Studiums als Chorassistent an der Bayerischen Staatsoper beschäftigt und durfte in der damals frisch gegründeten August Everding Akademie viele Produktionen musikalisch leiten. Nach zwei weiteren Jahren an der Londoner Royal Academy of Music machte ich dort meinen Master im Dirigieren.

Musikalisch prägend waren Begegnungen mit Sir Colin Davis, Peter Maxwell Davis, Roger Norrington sowie Reinhard Goebel, mit dem er bis heute verbunden ist. Meine ersten Berufsjahre führten mich als Solorepetitor an das Aalto-Theater in Essen zu Stefan Soltesz, von dem ich sehr gefördert wurde; innerhalb der sieben Jahre stieg ich zum 2. Kapellmeister auf und durfte sehr viel dirigieren. Danach war ich 1. koordinierter Kapellmeister in Bremen und ging 2012 mit Michael Hofstetter als 1. Kapellmeister und stellvertretender GMD ans Stadttheater nach Gießen, also eine ganz klassische Kapellmeister-Laufbahn. Seit 2015 bin ich nebenbei Dozent für Orchesterdirigieren an der Hochschule der Künste in Bern.

Nach Hildesheim kam Ziemen praktisch durch seinen dortigen Vorgänger Werner Seitzer, der auf seine Arbeiten aufmerksam wurde, die sich durch aufführungspraktische Entdeckungslust und musikalische Frische auszeichneten. Seitzer lud ihn – quasi als Bewerbung – zur „Boccaccio“-Produktion ein. Alle waren sehr angetan – bis auf das Orchester, was zunächst zu großem Wirbel führte, als er trotzdem ernannt werden sollte. Das war natürlich sehr unangenehm und man überlegt sich dann eine Entscheidung eher zweimal. Ich bin meinem Gefühl gefolgt, dass ich es dennoch tun sollte – und das hat sich bestätigt. Jetzt bin ich unglaublich dankbar, dass das inzwischen alles Schnee von gestern ist. Wir haben uns noch im Vorfeld konstruktiv und vorsichtig angenähert und einen sehr guten Prozess durchlaufen, was dafür entscheidend war, dass es vom ersten Tag an hier ein wunderbares Zusammenwirken war. Die Arbeit macht viel Freude, das Arbeitsklima ist sehr gut. Wir haben einen ganz tollen Start gehabt; natürlich wird man sich gelegentlich wieder mal reiben, aber das gehört dazu. Mein Vertrag geht zunächst bis 2020, aber jetzt nach einem knappen Jahr fühle ich mich immer noch an einem Anfang.

Florian Ziemen in Aktion/ Foto: © TfN (Theater für Niedersachsen)

Florian Ziemen hatte bislang nebenbei noch etliche sinfonische Gastdirigate sowie Opern- und Operetten-Produktionen übernommen, bei den Grands Ballett Canadiens in Montreal war er seit vielen Jahren ständiger Gast. Wie sieht das jetzt neben der Doppelfunktion am TfN aus? In der Richtung mache ich im Moment gar nichts! Ich habe hier ein Gebilde übernommen, das Werner Seitzer in 33 Jahren aufgebaut hat. Es ist eine unheimlich anspruchsvolle Aufgabe, dies einerseits gut weiter zu führen und andererseits vielleicht auch einige Dinge mit neuen Impulsen zu versehen. Das ist absolut abendfüllend, da bleibt keine Zeit für anderes.

Impulsiv schließt er gleich eine lange Erklärung an, was er am Theater in Hildesheim weiter vorantreiben möchte:  Mich interessiert die Institution Theater sehr. Man kann die Frage stellen, ob eine Stadt wie Hildesheim ein Theater braucht. Meine Antwort ist natürlich: Ja!! Man muss das aber auch füllen. Was haben wir den Leuten zu bieten, die heutzutage mobil überall hinfahren können, und wie kann man ein Theater so entwickeln, dass es ein gemeinschaftlicher Ort ist und bleibt? Ich habe z. B. in London sehr stark erlebt, wie Oper dort etwas Fremdes, Exklusives ist, das nicht unbedingt zur Allgemeinheit dazugehört wie hier in Deutschland. Hier haben wir natürlich auch einen Erosionsprozess; es gibt nicht mehr so ein Bildungsbürgertum; auch die Generation wird schon älter, die gar nichts mehr mit klassischer Musik am Hut hat, sondern sich lieber Karten für das x-te Rolling-Stone-Revival kauft als für die Oper. Da muss man eine Antwort finden, wie die Faszination dafür zu wecken ist, dass sich eine Gemeinschaft, eine Stadt ein Theater leistet mit diesen großartigen Künsten, die zugänglich für alle sind, und was sich da in der Zukunft entwickeln kann.

Meine Antwort liegt gewissermaßen im Spielplan. Für mich kann es nicht der Weg sein, wenn wir das Gleiche machen wie Braunschweig oder Hannover, nur in „klein“. Dann ist man schnell überflüssig. Wir müssen unbedingt eine Ergänzung sein, d.h. gültig sein, so dass wir uns mit allen anderen vergleichen können. Wir müssen also Stücke bringen, die nicht gerade in der Nähe laufen, also auch seltene Stücke und solche, die per se interessant sind. Darüber möchte ich auch einen Stolz der Hildesheimer – selbst derer, die nicht kommen – auf ihr Haus ermöglichen, wenn hier Dinge geschehen, die es nur hier gibt und für die auch Menschen nach Hildesheim kommen.

 Mit den gelungenen Produktionen dieser Saison (2017/2018) von Weills „Mahagonny“, Telemanns „Orpheus oder die Beständigkeit der Liebe“ und Donizettis „Adelia“ bis zu Abrahams „Blume von Hawaii“ braucht sich Hildesheim wahrlich nicht zu verstecken. Für die neue Spielzeit stehen Mozarts „Hochzeit des Figaro“ in einer deutschen Singspiel-Fassung aus dem 18. Jahrhundert, Tschaikowskys „Pantöffelchen“, Offenbachs „Prinzessin von Trapezunt“ und Brittens „Tod in Venedig“ auf dem Plan. Das sind alles reizvolle Stücke, die in den nahe gelegenen Opernhäusern nicht gezeigt werden oder wurden.  Die Hoffnung wäre, auch als ein „kleines“ Haus einen Nimbus zu entwickeln, indem wir schlagkräftig  und kraftvoll sind und die Menschen gewinnen. Eine Sache, über die ich mich zum Beispiel ganz extrem freue: Ein kostenloses Hildesheimer Wochenblatt mit großem redaktionellem Teil neben den Anzeigen veröffentlichte immer nur Schauspiel- und Musical-Kritiken, aber keine von Opern, da sie dafür keinen Redakteur hatten. Gemeinsam hatten wir die Idee, doch eine Serie mit Leuten zu machen, die noch niemals in einer Oper waren. Das war ein fulminanter Erfolg, denn die „Erst-Gänger“ schrieben bisher eigentlich ausnahmslos, das sei ganz toll gewesen, das sei viel spannender als erwartet, das sollte man viel öfter machen etc.! Das ist genau die Botschaft die ich verbreiten möchte: den Leuten diesen Schatz, den sich eine Stadt mit 100 000 Einwohnern mit diesem Theater leistet, bewusst zu machen – denn sowas gibt es in dieser Dichte in keinem anderen Land der Welt. Ob wir das eine große Opernland in der Welt bleiben, hängt davon ab, ob wir ein Bewusstsein für diesen Schatz, dieses Erbe entwickeln; und insofern viel mehr von der Zukunft von Häusern wie Hildesheim als von Berlin – ein wahnsinnig spannender Gedanke.

Im Konzertbereich ist Florian Ziemen ebenfalls sehr aktiv. Zwar hat er in der letzten Saison nur zwei von fünf großen Sinfoniekonzerten dirigiert, dazu aber noch das Neujahrskonzert mit sieben Wiederholungen. Hier wollten wir etwas Neues wagen und haben das Konzert unter das zwiespältige Motto „Spiel, Zigeuner!“ gestellt. Der Anlass zu dieser Idee war, dass hier in Hildesheim die älteste Sinti-Ansiedlung Deutschlands war. Im ersten Teil gab es dann süffige Operetten-Highlights mit Orchester und Sängern und Sängerinnen des Theaters, nach der Pause hat Balogh Kalman, ein Roma aus Budapest und vor allem unglaublich guter Cymbalom-Spieler mit uns Brahms‘ ungarische Tänze und eigenen Stücke musiziert. Außerdem kamen dann noch die Gitarristen Kussi und Sascha Weiss vom Django Reinhardt-Festival, zwei Lokalstars, die dann alle zusammenspielten – das war ein Riesenerfolg.

Das Stadttheater Hildesheim/ Foto Andreas Hartmann/ fotoaha@aol.com/ © TfN (Theater für Niedersachsen)

Ein besonderes Anliegen ist Ziemen die stilistische und aufführungspraktische Wiedererschließung der Operette, was zu mehreren geradezu spektakulär aufgenommenen Produktionen führte. So bekamen wir auch noch eine fachgerechte Einführung in seine Gedanken zur „Blume von Hawaii“.   Paul Abraham hat sich sehr dafür interessiert, das Orchester zu demokratisieren und Dinge aus dem Jazz zu übernehmen. Er hat in der original notierten sogenannten „Zentralpartitur“ den Song so aufgeschrieben, dass alle Instrumente immer spielen, aber mit der Idee, dass man spontan mit den Instrumentengruppen variieren kann. Bisher gab es hier nur eine zwar rekonstruierte, ausgesetzte also quasi „vorgekaute“ Version vom Verlag. Ich habe gefragt, ob wir das nicht in dieser Freiheit, wie Abraham es gemeint hat, machen können, und wir haben jetzt als Erstaufführung einer Version machen können, die vieles davon miteinbringt und die wir in einem Werkstattprozess entwickeln konnten. Also wenn man die Ohren öffnet, hört man ganz besondere Orchesterklänge, mit Schlagzeug, improvisatorischen Elementen und vielen unterschiedlichen Orchesterfarben. Wahnsinnig schwierig ist es mit der Balance, denn wir machen das ohne Mikroports – meines Wissens sind wir da auch die Ersten. So ist es bei jeder Vorstellung ein großer Kampf, ob wir das auch leise genug hinbekommen, so dass die Bühne gut zu verstehen ist. Aber ich finde, dieses Ringen hat eine Kraft, die man von einem bequem laut spielenden Orchester und mikrofonierten Stimmen niemals bekommt. Insofern ist es, denke ich, etwas sehr Eigenes, was wir mit der „Blume von Hawaii“ entwickelt haben. Da man die „Zentralpartitur“ in der Nachkriegszeit nicht verstanden hat, wurde alles neu im Stil der Zeit bearbeitet, so gab es diese verkitschten Filme und Aufführungen. Die Bearbeitung merkt man auch am Gesangsstil. Der Beruf des Operettendarstellers, für den das geschrieben ist, ist ja ausgestorben. Ich finde es fast immer richtig, mit Sängern zu besetzen, denn Schauspieler sind mit ihrer Singstimme meist einfach nicht vertraut und versiert genug. Die Opernsänger aber müssen dann auch einen eigenen, persönlichen Weg finden, mit den Mitteln von Singen, Sprechen und Rufen ihre individuelle Art finden. Gleichzeitig muss die Stimme tragen, um mit Saxophon, Banjo, Schlagzeug und massivem Orchester mitzuhalten. Mit diesen Dingen beschäftige ich mich seit 10 Jahren sehr intensiv, das besondere und wunderbare ist ja, dass man hier eine ‚historische Aufführungspraxis‘ betreiben kann und dazu – anders als bei älterer Musik – Tondokumente hat!

 

Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“

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Die Oper Erfurt mit Gaspare Spontinis musikalischen Schlachtgemälde Agnes von Hohenstaufen. Im Sauseschritt geht es durch die preußisch-deutsche Geschichte. Vor und zurück. Von den Gräben des Ersten Weltkriegs im komplizierten Dreischritt ins frühe 19. Jahrhundert und von dort weiter ins 12. Jahrhundert. Dann wieder vom Mittelalter in umständlichen Windungen ins Kriegsgetümmel des frühen 20. Jahrhunderts. Wie soll man da noch die Übersicht behalten, hat man doch schon bei der Erzählung des Kaisers jeglichen Mut verloren, dem Feststück, das Gaspare Spontini und der Hohenstaufen-Chronist Ernst Raupach für gleich zwei Berliner Fürstenhochzeiten mit umständlicher Historie aufluden, einigermaßen folgen zu können. Zuerst 1827 die Hochzeit Carls, des drittgeborenen Preußenprinzen, mit der weimarischen Prinzessin Marie, zwei Jahre später die Hochzeit seines älteren Bruders Wilhelm, des späteren Kaiser Wilhelm, mit Maries Schwester Auguste. Immer taugte Spontinis in unterschiedlichen Entwicklungsstadien vorliegende Agnes von Hohenstaufen und die Geschichte der Agnes und ihrer Liebe zu Heinrich perfekt auf den Hochzeitstisch. Zum einen, weil sie – wie es für Carl und Marie tatsächlich zutraf – eine Liebesheirat mit einer heimlich geschlossenen Ehe erzählt, zum anderen, weil für die aus dynastischen Zwecken geschlossene Ehe des Bruder sich die Verbindung der Staufertochter mit dem Welfenspross und der Zusammenschluss zweier rivalisierender Familien trefflich in den große Bogen vom Aufstieg der Hohenstaufen und Preußen Glanz und Gloria einbauen ließ. Wie in den musikalischen Festgaben und Seria-Opern des 17. und 18. Jahrhunderts vermischt sich in der Liebesgeschichte zwischen der Cousine Heinrich VI. und dem Sohn des Braunschweiger Löwen sowie der Auseinandersetzung zwischen Welfen und Staufern Privates und Politisches. Wobei wir hier den Eindruck haben, dass das Politische und die entsprechenden Manifestationen, mit denen sich der seit 1820 in Berlin als Generalmusikdirektor amtierende Spontini in die Diskussionen um eine deutsche Nationaloper einschaltete, deutlich überwiegen. Mit seinem in Musik gesetzten Klassizismus und der Glorifizierung historischer Ereignisse machte Spontini Berlin kurzzeitig zu einem Musikzentrum, aus dem er zwanzig Jahre später vertrieben wurde.

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Die seit ihrer Fernand Cortez-Ausgrabung 2006 als deutsches Spontini-Hochburg geltende Erfurter Oper spielt wiederum eine andere Fassung. Jene von 1837. Für die textlichen Veränderungen tauschte Spontini den mit einem 16teiligen Hohenstaufen-Zyklus beschäftigten Raupach gegen seinen Assistenten Carl August von Lichtenstein, er selbst hat umfangreich und neu komponiert. Überlebt das das Stück freilich in Italien, wo es nach seiner Ausgrabungen 1954 beim Maggio Musicale als Agnese di Hohenstaufen wenige Male einstudiert wurde. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Oper nach den Aufführungen im November 1986 in Rom (mit Montserrat Caballé als Agnese) nochmals erleben würde. Agnes und Agnese unterscheiden sich gravierend. Erfurt spielt nicht nur eine erstmals seit 180 Jahren wohl ungekürzte Fassung, sondern auch die Ouvertüre, die irgendwie verloren gegangen war und den Ausführenden durch glückliche Zufälle kurz zuvor in die Hände gespielt wurde.

Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“ in Erfurt 2018/ Probenfoto/ Szene/Lutz Edelhoff

Diese Ouvertüre mündet in Marc Adams Inszenierung gleich in den Ersten Weltkrieg. Zum  Hoftag in Mainz 1194 schleppen sich die Gäste wie zerlumpte Opfer an den Kriegsbildern vorbei, die Ausstatterin Monika Gora auf die Schenkel ihrer spitzwinklig sich nach hinten verengenden Bühne projiziert hat. Die Zuversicht ist ungebrochen. „Es schwebe der Adler des heiligen Reiches“ insistiert der Chor. Tatsächlich fliegt plötzlich ein solcher Adler auf die Bühne. Dem Kaiser Heinrich VI. auf Arm, den der Vogel vermutlich genauso irritiert, wie er den Zuschauer davon abhält, des Kaisers Suada zu lauschen. Damit sind die Parameter gesetzt. Das Wappentier kehrt in unterschiedlichen Variationen in den Hintergrundprojektionen zurück. Das Werk, die deutsche Agnes, klingt zunächst arg eckig, befremdlich ungelenk fast, Raupachs brave und gut gemeinte Verse scheinen sich gegen die Musik zu sträuben, und Máté Sólyom-Nagy macht mit seinem schlotternden, wackeligen Bariton aus dem ohnehin schwächlichen Heinrich VI., für den es eines wackeren Heldensängers bedarf, gleich zu Beginn eine Karikatur.

Erst langsam entfaltet die Agnes im langen ersten Akt eine Wirkungskraft, die Spontini der deutschen Oper mit seinem letzten Bühnenwerk verleihen wollte. Das zeigt sich in den Ensemble-Einwürfen der Irmengard, die sich beim Kaiser für ihre Tochter einsetzt, bei ihren heldischen Appellen, „Ja, tragt die Fahnen“, die die Norwegerin Margarethe Fredheim, die mir vor drei Jahren in Rudolstadt als Frau Fluth aufgefallen war, mit großer Eloquenz in die Massen wirft. Das wurde von Spontini der Sängerin nicht immer gefällig und gut singbar in die Kehle geschrieben, doch Fredheim singt die Mutter, häufig im Kostüm der Kaiserin Auguste, mit stoischer Sicherheit und stimmlichem Aplomb. In diese kriegerisch-zackige Welt fällt mit dem Erscheinen Heinrichs ein freundlicher Donizetti-Strahl. Das kleine Troubadour-Liedchen und die Romanze „Ihr Blick soll nicht mehr für mich taugen“ wirken noch anämisch, wie denn überhaupt Spontini seinen Figuren kaum Rouge ins Gesicht zaubert, doch im Zwiegesang mit dem auf seiner Seite stehenden Kaiser-Bruder Philipp gewinnt die Oper an Belcanto-Drive. Bernhard Bechtold, der sich u. a. in Chemnitz am italienischen Nicolai erprobt hat, ist der richtige Mann für diesen deutschen Spontini. Insgesamt hat man aber den Eindruck, dass das Ensemble etwas probenmüde matter und erschöpfter klingt, als es sein müsste, so auch Bechtold, dessen sämiger Tenor die Mischung aus Koloratur und markanter Erzählung gut umsetzt, aber stets etwas verhangen und gebremst agiert. Auch die patente Claudia Sorokina kann sich bei der Romanze „Als der Zephyr flog vorüber“ noch nicht ganz in die Agnes einfühlen, aber auch diesmal löst Spontini das Geschehen im folgenden Gespräch mit Irmengard in sinnliches Duettieren auf. Dabei rasch vom Biedermeier ins Mittelalter. Das Verkleidungsstück funktioniert inklusive barocker Gassenbühne, welche  Ausstatterin Gora mal zentralperspektivisch verengt oder durch Zwischenwände in Szenen zerlegt, im fleißigen Kostümwechsel der Choristen und Solisten vom mittelalterlichen Fürstenzug über Empire und Biedermeier bis zum 20. Jahrhundert.

Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“ in Erfurt 2018/ Probenfoto/ Szene/Foto wie oben Lutz Edelhoff

Rechtzeitig, wenn es etwas länglich wird, reißt Spontini das Ruder mit Sturm- und Kampfszenen und mehrfach gestaffelten Ensembles und heftigen Szenenkontrasten in den ausgedehnten Finali herum. Das ist generalstabsmäßig in großen Dimensionen gedacht und wie ein napoleonischer Festaufzug inszeniert. Höhepunkt sicherlich der zweite Teil des zweiten Aktes. Mehr an klanglicher Raffinesse ist kaum denkbar. Französische Revolutionsoper und Schinkelscher Ordnungssinn: vom Orgelklang des Nonnenchors – der zum zweiten Finale vom Rang erklingt – und des Orchesters in einer Steigerung über die heimliche Hochzeit bis zum Sturmgeläute und dem großen Ensemble mit Solistensextett. Davor steht die bekannteste Arie der Oper, „O re dei cieli“, die einst Anita Cerquetti als atemstockende Demonstration aus schierem Material und jugendlicher Stimmschönheit verewigt hatte. Bei der Russin und „Nein, König droben“ stockt uns der Atem nicht, doch Sorokina singt mit hell schlankem, etwas hartem, sich in Spontinis vertrackter Gebets-Girlande leuchtkräftig durchsetzendem Sopran mit respektabler Bravour. Im dreiviertellangen Hochzeitskleid könnte sie sich ins Berliner Nachtleben der 1920er Jahre stürzen. Siyabulela Ntlale besitzt als inkognito reisender französischer König Philipp August die rechte baritonale Majestät, Todd Wilanders qualliger Tenor als Heinrichs Bruder Philipp gewinnt im Lauf des Abends an Gelöstheit, Juri Batukov gibt Heinrich den Löwen mit der Bassgewalt des kriegerischen Haudegens und ungelenkem Deutsch und Kakhaber Shavidze war als der das Liebespaar heimlich trauende Mainzer Bischof von sympathischer Souveränität.

Als Imperatorin am Pult war Zoe Tsokanou mehr damit beschäftigt, die Materialschlacht aus großem Orchester – Philharmonisches Orchester Erfurt, Mitglieder der Thüringen Philharmonie Gotha Eisenach, Mitglieder der Stadtharmonie Erfurt – und Doppelchor aus dem Opernchor Erfurt und Mitgliedern des Philharmonischen Chores Erfurt sicher in das martialische Finale zu steuern als den Figuren vokales Relief zu vermitteln. Der Klang wirkte manchmal verwaschener als es Spontini in seinem rauschhaften, keinesfalls nur effektvoll äußerlichen Mischklang vorgeschwebt haben mag, doch in der gewaltigen Anstrengung war deutlich zu erkennen, weshalb Wagner für Spontini entflammte.

Inständig und vergeblich bitten Volk und Fürsten Heinrich VI., den Welfen-Prinzen frei zu lassen,  „Übt Gnade, Herr“. Da erscheint Heinrich der Löwe, senkt seine Knie vor Heinrich, der somit ungewollt zum Friedensstifter und als Denkmal verklärt wird: „Heil, dem erhabenen Kaiser, Heil“. Der Kampf kennt kein Innehalten: „Erhebet die Fahnen …… zum blutigen Tanz“ jubelt die Masse. Die Umrisse des Adlers sind zu erkennen. Agnes und Heinrich rücken bei so viel befremdlicher Begeisterung ins Abseits. Wir sind beim Ausgangspunkt des dreieinhalbstündigen, heftig bejubelten Abends (1. Juni 2018) angelangt. Der Erfurter Oper ist eine Großtat zu danken, ein Stück fürs Repertoire konnte sie nicht retten.   Rolf Fath

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.Fairerweise muss man für weitere Aufführungen ein enthusiastischeres Bild konstatieren- die am 16. Juni im DLR-Radio übertragene Vorstellung vom 3. Juni (korrigiert mit weiteren Nachaufnahmen) ließ Chor und Orchester in newundernswerter Bestform hören, brachte packende dynamische Tempi und Orchsterbeherrschung vom Feinsten – ganz offenbar war die Premiere zu früh angesetzt worden und weitere Proben/ Aufführungen hatten ein unglaublich intensives Ergebnis erzielt. Auch die Solisten hatten deutlichst gewonnen (namentlich der Tenor!), so dass ein hervorragender Gesamteindruck entstand, der Spontinis Oper in ihrer ganzen Macht und Größe erstehen ließ – bravo Erfurt, ich war wirklich enorm beeindruck. G. H.

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Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“: Bühne zur Aufführung 1837 von Karl Jacob Gerst/ Foto aus Dahlhaus  (aus finanziellen Gründen verzichten wir auf Reproduktionen der bekannten originalen Schinkel-Entwürfe für die Premiere 1829; die Forderungen des Berliner Kupferstichkabinetts sind für ein privat finanziertes Online-Magazin nicht zu leisten. Zudem finden wir solche finanzielle Forderungen für die von uns Steuerzahlern erworbenen Abbildungen indiskutabel). G. H.

So, und nun nochmal Geschichtliches zum Werk, auch wenn sich manches wiederholen mag, aber der die Aufführung begleitende Artikel wurde vor der Rezension  konzipiert: Anlässlich der Hochzeit von Prinzessin Marie von Sachsen-Weimar-Eisenach mit Prinz Carl von Preußen am 18. Mai 1827 kam es zu einer ersten Darbietung der vollendeten Teile der Partitur der Agnes, die als „lyrisches Drama“ bezeichnet wurde. Die Berliner Öffentlichkeit und die Presse nahmen diese aufgrund der feindseligen Stimmung gegen Spontini zunächst recht zwiespältig auf, denn man akzeptierte es nicht, dass er die Oper noch nicht vollständig fertiggestellt hatte. Für die Hochzeit der Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach mit Prinz Wilhelm von Preußen (das waren die Geschwister des Brautpaares von 1827) erstellte Spontini eine zweite Fassung, die am 12. Juni 1829 uraufgeführt wurde. Bei den Uraufführungen dieser beiden Fassungen in der Königlichen Oper Berlin sangen Heinrich Blume (Kaiser Heinrich VI.), Josephine Schultz (Costantia), Heinrich Stürmer (Philipp), Julius Eberhard Busolt (Conrad), Anna Milder-Hauptmann (Irmengard), Karoline Seidler bzw. Pauline von Schätzel (Agnes), Eduard Devrient (Philipp August), Carl Adam Bader (Heinrich) und Joseph Reichel (Hauskaplan). Eine dritte Fassung als „Große historisch-romantische Oper in drei Aufzügen“ mit einem von Carl August von Lichtenstein überarbeiteten Libretto wurde am 6. Dezember 1837 wiederum an der Berliner Hofoper uraufgeführt. Es sangen Joseph Fischer (Kaiser Heinrich VI.), Carl Adam Bader (Philipp), Auguste von Faßmann (Irmengard), Caroline Grünbaum (Agnes), Louis Bötticher (Philipp August), Heinrich Blume (Heinrich der Löwe), Josef Eichberger (Heinrich) und August Zschiesche (Erzbischof) (Wiki). Insgesamt hat die Oper ihre drei Fassungen am Berliner Königlichen Opernhaus von 1827 bis 1837 durchlaufen. 1829 findet sich neben Berlin eine Aufführung in der Domkirche zu Halle (der 2. Akt konzertant), und für 1840 sind noch zwei weitere in Berlin als Debüt der Damen Hussack  und Hoffkuntz in der Titelrolle vermerkt. Das war´s in Deutschland und in Deutsch.

Spontinis „Agnese von Hohenstaufen“: der Librettist der ersten beiden Fassungen Ernst Benjamin Salomo Raupach/ OBA

Von nun an ging´s in Italienisch weiter: 1954 bzw 1974 folgte Florenz mit Tebaldi bzw. Udovich bzw. Gencer und Corelli unter Gui bzw. Muti, 1970 und 1986 Rom bzw. Mailand konzertant an der RAI bzw. an der Scala mit Caballé und Muti. Unerreicht allerdings bleibt für Sammler und Stimmenliebhaber die Arie der Agnese von Anita Cerquetti („Oh re die cieli“) auf ihrer Decca-LP/CD. Nun also kehrt Agnes erstmals seit 1840 in ihr angestammtes deutsches Idiom zurück, in Erfurt.

Im Folgenden eine Einführung zur Oper selbst und ihrem Geschick sowie zwei historische Wertungen von Richard Wagner sowie Philip Spitta in deren  Erinnerungen an Spontini, die wir dem außerordentlich informativen Programmheft zur Erfurter Aufführung entnommen haben (anfordern, unbedingt!). Die Rezension zur Aufführung selbst folgt umgehend an dieser Stelle. G. H.

Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“: Bühne zur Aufführung 1837 von Karl Jacob Gerst/ Foto Dahlhaus (s. unten)

Warum hat sich die Oper nur in ihrer italienischen Version gehalten? Es ist ja ein Phänomen, dass sich die französischen Opern der Napoleon-Zeit besonders in Italien so lange und immer wieder auftauchend gehalten haben. Das liegt vor allem an dem französischsprachigen Hof des Napoleonbruders Joseph (dann Murat) auf dem Thron von Neapel, der für eine Übernahme des Pariser Repertoires in Italienisch für das San Carlo sorgte. In der Landesprache gingen viele der Ttitel wie MedéeLes AbenceragesOlimpie und andere mehr in das nationale Repertoire ein, anders als im heimischen Frankreich, wo sie von der Romantik und den Nachfolgenden der Wagnerbeeinflussten verdrängt wurden, während Wagner im Ganzen keinen wirklichen Nachruck auf italienische Komponisten bis 1900 ausübte.

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Im Jahre 1819, nach sechzehn erfolgreichen Jahren in Paris, wurde Gaspare Spontini vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. nach Berlin eingeladen, um dort Musikdirektor am Hofe und am Königlichen Theater zu werden. Spontini gelang es, sich neunzehn Jahre auf diesem schwierigen Posten zu halten, trotz eines ihm extrem feindlich gesonnenen Milieus, ständiger Auseinandersetzungen mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten Graf Brühl und der wüsten Angriffe durch die Kritiker, angeführt von Ludwig Rellstab, die in ihm einen Antagonisten zur aufkeimenden deutschen Oper erblickten, einer Entwicklung, an welcher der Italiener ironischerweise einen bedeutsamen Einfluss hatte. Diese Epoche, zwischen Neuschöpfungen und der Neubearbeitung vorhergehender Werke, sah ebenso die Komposition der Bühnenmusik zu Thomas Moores Lalla Rookh (1821); Nuramhal, oder das Rosenfest von Kaschmir (1822), eine Oper in zwei Akten; die dreiaktive Fantasieoper Alcidor, komponiert anlässlich der Heirat von Prinzessin Louise mit Prinz Friedrich der Niederlande (1825); eine grandiose Kantate mit Versen von Ernst Raupach zu Ehren des Besuches von Zar Nikolaus I. in Berlin sowie die historisch-romantische Oper in drei Akten Agnes von Hohenstaufen zu einem Libretto, welches derselbe Raupach seiner eigenen Tragödie Kaiser Heinrich VI. entnahm. Diese monumentale Oper, Spontinis letztes Bühnenwerk, erlebte ihre Uraufführung, begrenzt auf den ersten, bereits zweieinhalbstündigen Aufzug, im Königlichen Theater zu Berlin am 28. Mai 1827. Die vollständige Oper hatte am 21. Juni 1829 Premiere und kam zur musikalischen Untermalung der Heirat Kronprinz Wilhelms mit Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach zustande. Eine radikale Überarbeitung führte zur Letztfassung (Erstaufführung am 6. Dezember 1837). Das Werk stieß größtenteils auf Unverständnis, wobei besonders das mittelmäßige Libretto von Raupach viel Tadel auf sich zog. Dies führte dazu, dass die Oper bald von den Spielplänen verschwand und erst über ein Jahrhundert später wiederaufgeführt wurde.

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Spontinis „Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ OF 007, 2 CD

Die erste moderne Produktion 1954 hängt mit der Tradition des Maggio Musicale zusammen, vergessene Werke wieder auf die Bühne zu bringen. Dieses Verdienst gebührt hier, wie in anderen Fällen, Francesco Siciliani, künstlerischem Direktor der Florentiner Oper zwischen 1948 und 1957, einem Mann von vollendeter Kultur und Intuition. So brachte Siciliani bereits 1950 die italienische Premiere von Spontinis Olimpia zustande. Niemand Geringerer als Renata Tebaldi sang die Titelrolle; am Pult stand Tullio Serafin. Die von der RAI mitgeschnittene Aufführung von 1954 bietet dann unerreicht Franco Corelli neben einer Crew erster Sänger jener Zeit – nur eben in Italienisch (operalounge.de hat einen längeren Artikel zur Wiederauflage der Aufnahme durch das Florentiner Opernhaus in sensationellem Klang). Zwei weitere Versuche fanden in Rom statt – 1970 konzertant und 1986 szenisch (TV-übertragen) an der römischen Oper mit Montserrat Caballé neben wechselnden Besetzungen, mutig für damals und unbefriedigend durchweg, auch klanglich.

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2018 – Die Wiederentdeckung des Originals. Riccardo Muti war sehr darum bemüht, irgendwann die Oper in ihrer deutschen Originalfassung aufzuführen. Voraussetzung dafür war eine Neuedition der Oper (bei Bärenreiter), und nachdem die Originalpartitur Spontinis in Paris wiederentdeckt wurde, erschien 2001 eine kritische Ausgabe in deutscher (und italienischer) Sprache, die der in Berlin 1837–40 gespielten letztgültigen Fassung entspricht, wobei die bis vor kurzem verschollen geglaubten Ouvertüre nicht enthalten war. Auf der Basis dieser Partitur entstand unter Verwendung der entsprechend angepassten Instrumentalstimmen aus dem Archiv des italienischen Rundfunks das Notenmaterial für die Erfurter Neuproduktion. Erstmals seit 1840 erklingt hier dann auch die Ouvertüre, deren Partitur aus den historischen Instrumentalstimmen rekonstruiert werden konnte. Der MDR Figaro brachte kurz nach der Premiere ein Feature zur Erfurter Aufführung, Deutschland Radio Kultur die Übertragung dann am 12. Juni 2018. Ob´s einen CD-Mitschnitt geben wird?

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Und nun zu Richard Wagner und seinen Erinnerungen an Spontini.Unvergeßlich bleibt mir ein Gastmahl bei der Schröder-Devrient, in Folge dessen wir mit Spontini und seiner Frau (einer Schwester des berühmten Pianofortefabrikanten Erard) lange unter sehr anregenden Gesprächen zusammen waren. Seine gewöhnliche Theilnahme an der Unterhaltung war ein vornehm ruhiges Anhören der Gespräche Anderer, welches die Erwartung, um seine Meinung ersucht zu werden, auszudrücken schien. Sobald er dann sprach, geschah es mit rhetorischer Feierlichkeit, in scharf präzisirten Sätzen von kategorischer Tendenz und mit dem Accent, der jeden Widerspruch als eine Beleidigung erklärte. In steigende Aufregung gerieth er jedoch, als wir nach dem Diner näher zusammenrückten. So weit ihm dieß möglich war, schien er mir wirklich seine besondere Zuneigung geschenkt zu haben; er erklärte offen, daß er mich lieb habe und dieß mir nun dadurch bezeugen wolle, daß er mich vor dem Unglück bewahre, in meiner Carrière als dramatischer Komponist fortzufahren. Er glaube wohl, daß es ihm schwer fallen werde, mich von dem Werthe eines solchen Freundschaftsdienstes zu überzeugen; da er es aber für wichtig halte, auf diese Weise für mein Glück zu sorgen, werde es ihn nicht verdrießen, zu diesem Zwecke ein halbes Jahr in Dresden zu verweilen, welche Gelegenheit wir ja zugleich dazu benützen könnten, seine übrigen Opern, namentlich auch Agnes von Hohenstaufen, unter seiner Leitung zur Aufführung zu bringen. Um seine Ansicht des Verderblichen der Carrière eines dramatischen Komponisten als Nachfolger Spontini’s zu bezeichnen, begann er mit einem seltsamen Lobe für mich; er sagte: „quand j’ai entendu votre Rienzi, j’ai dit, c’est un homme de génie, mais déjà il a plus fait qu’il ne peut faire“. [„Als ich Ihren Rienzi hörte, sagte ich, das ist ein Mann mit Genie, aber er hat schon mehr gemacht, als er auf dem Gebiet vermag.“] Um nun zu zeigen, was er unter diesem Paradoxon verstehe, holte er folgendermaßen aus: „après Gluck c’est moi qui ai fait la grande révolution avec la Vestale; j’ai introduit le ‚Vorhalt de la sexte‘ dans l’harmonie et la grosse caisse dans l’orchestre, avec Cortez j’ai fait un pas plus avant; puis j’ai fait trois pas avec Olympie. Nurmahal, Alcidor et tout ce que j’ai fait dans les premiers temps de Berlin, je vousles livre, c’était des oeuvres occasionnelles; mais puis j’ai fait cent pas en avant avec Agnes de Hohenstaufen, où j’ai imaginé un emploi de l’orchestre remplaçant parfaitement l’orgue.“ [„Nach Gluck war ich es, der mit der Vestale die große Revolution gemacht hat; ich habe den ‚Sextvorhalt‘ in die Harmonik eingeführt und die Große Trommel ins Orchester, mit Cortez habe ich einen weiteren Schritt gemacht; dann drei Schritte mit Olympie. Nurmahal, Alcidor und alles, was ich in der ersten Zeit in Berlin gemacht habe, im Vertrauen gesagt, das waren Gelegenheitswerke; aber dann habe ich hundert Schritte vorwärts gemacht mit Agnes von Hohenstaufen, wo ich eine Verwendung des Orchesters vorgestellt habe, das perfekt denKlang einer Orgel ersetzt.“]

Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“: Pauline von Schätzel sang die ersten Agnesen in Berlin/ OBA

Seit dieser Zeit habe er sich abermals mit einem Süjet les Athéniennes zu beschäftigen gesucht; er sei sogar dringend vom Kronprinzen, dem jetzigen Könige von Preußen, zur Vollendung dieser Arbeit aufgefordert worden, – und zugleich zog er aus seinem Portefeuille zum Zeugniß der Wahrheit einige Briefe dieses Monarchen hervor, welche er uns zu lesen gab. Erst nachdem dieses sorgfältig unsererseits geschehen war, fuhr er fort, daß er trotz dieser schmeichelhaften Aufforderung die musikalische Bearbeitung des übrigens sehr guten Süjets aufgegeben habe, weil es ihm zu Sinnen gekommen sei, daß er unmöglicher Weise seine Agnes von Hohenstaufen übertreffen, und etwas Neues erfinden können würde. […] „Dans la Vestale j’ai composé un sujet romain, dans Fernand Cortez un sujet espagnol-mexicain, dans Olympie un sujet grecmacédonien, enfin dans Agnès de Hohenstaufen un sujet allemand: tout le reste ne vaut rien.“ [„In der Vestale habe ich ein römisches Sujet vertont, in Fernand Cortez ein spanisch mexikanisches, in Olympie ein griechischmazedonisches, und schließlich in Agnes de Hohenstaufen ein deutsches Sujet: Alles andere taugt nichts.“] Er hoffe doch nicht, daß ich etwa das sogenannte romantische Genre „à la Freischütz“ im Sinne habe? Mit solchen Kindereien gebe sich kein ernster Mann ab; denn die Kunst sei etwas Ernstes, und allen Ernst habe er erschöpft. (aus Richard Wagner, Erinnerungen an Spontini, Gesammelte Schriften und Dichtungen, Leipzig 1907, Band 5)

Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“: Anna Milder-Hauptmann sang die ersten Irmengarden in Berlin/ OBA

Verpflichtung zur Wiederaufführung. Die Composition […] verdient mit seinen Pariser Opern in eine Linie gestellt zu werden. In der Größe der Conception kommt „Agnes von Hohenstaufen“ der „Olympia“ ziemlich gleich, ja in einzelnen Partien übertrifft sie diese noch. Die zweite Hälfte des zweiten Actes ist eine Leistung, deren Uebergröße kein Seitenstück in der Opern=Literatur hat. Der Ausdruck der Leidenschaften, welche diese Scenen durchtosen, dürfte ebensowenig zu überbieten sein, wie die gigantische Aufthürmung der Massen. Bewundernswert ist die Neuheit des Localcolorits […] Spontini hat sich der Art deutscher Musik in dieser Oper so weit genähert, wie es seine Eigenthümlichkeit nur gestattete: die Harmonisirung ist reicher und gesättigter, den Melodien fehlt nicht ein gewisser nationaler Zug […] Etwas Stilgemäßeres als den deutschen Walzer im Finale des ersten Actes kannn man sich nicht wünschen. Die französischen Ritter und Troubadours sind im Gegensatz zu den Deutschen nicht weniger gelungen charakterisirt. Durchweg ist die Musik das Ergebniß eines tiefen Eindringens in die dramatische Situation und die Charaktere […] Der Strom der Melodie fließt so frei wie je zuvor, und es finden sich einige Gesänge von einer Breite, einem Schwung, einem Feuer, wie sie ihm in seinen früheren Opern nur selten geglückt sind […] Die Kritiker jener Tage behandelten die Oper mit einer unglaublichen Ungerechtigkeit: nur leidenschaftliche Verblendung oder absichtliches Verkennen konnte solche Beurtheilungen zu Tage fördern, wie Rellstab’s Bericht über die Aufführung des ersten Actes im Jahre 1827 […] die handschriftliche Partitur existirt, und ihre Prüfung würde zeigen, daß ich des Lobes nicht zu viel gesagt habe. Es sollte niemals zu spät sein, sich ein unparteiisches Urtheil zu bilden; einem solchen würde die Ueberzeugung folgen, daß wir die Verpflichtung haben, eine Wiederaufführung zu versuchen; denn „Agnes von Hohenstaufen“ ist die einzige Oper, die an Größe der Anlage und Macht der Gestaltung jener großen Zeit deutscher Geschichte würdig ist, aus der sie ihren Stoff entnimmt. Aus: Philipp Spitta, Spontini in Berlin, in: Ders., Zur Musik, Berlin 1892

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Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“: Carl Adam sang den Sohn Heinrich in Berlin/ OBA

Und der Inhalt in Kurzfassung: 1. Akt/ Bei einem Hoftag in Mainz 1194 ruft Kaiser Heinrich Vl. Die deutschen Ritter und Fürsten zu einem Kriegszug nach Italien auf. Zugleich bekräftigt er die Reichsacht gegen den Welfenherzog Heinrich den Löwen und dessen Familie. Heinrich der Jüngere ist der Verlobte der Cousine des Kaisers, Agnes von Hohenstaufen. Deshalb bittet deren Mutter Irmengard um Gnade für ihn, ebenso vergeblich wie auch des Kaisers Bruder Philipp, den eine alte Waffenbrüderschaft mit dem jungen Heinrich verbindet. Eine französische Gesandtschaft trifft ein, denn der Kaiser beabsichtigt, Agnes dem französischen König zur Frau zu geben. Maskiert befindet sich auch Heinrich unter den Franzosen, deren Gefanger er war, aber entfliehen konnte. Es gelingt ihm, Agnes heimlich zu treffen. Währenddessen wird bekannt, dass sich die Truppen Heinrichs des Löwendem Rhein nähern. Bei abendlichen Fest treffen die beiden Rivalen um Agnes aufeinander: Heinrich in Maskierung und der französische König, der sich als sein eigener Gesandter ausgibt. Heinrich beschimpft aus Eifersucht den Franzosen und wird zum Duell gefordert, doch als die Anwesenden ihn als den geächteten Welfensohn wiedererkennen, lässt ihn der Kaiser einkerkern.

2. Akt/ Um ein offizielles Todesurteil zu vermeiden, will der Kaiser Heinrich im Kerker heimlich ermorden lassen. Dies verhindert der französische Gast, der auf seinem Duell besteht. Bis dahin übergibt der Kaiser den Gefangenen in Philipps Obhut. Um Trost im Gebet zu finden, hat Agnes sich in eine Klosterkirche begeben, wohin auch Heinrich kommt. Um ihre Tochter vor einer Zwangsehe zu bewahren, initiiert Irmengard eine heimliche Trauung durch den Erzbischof von Mainz. Die Franzosen sind Heinrich in die Kirche gefolgt und die beiden Rivalen geraten erneut aneinander. Zugleich strömt Volk in die Kirche, um Schutz vor einem Unwetter zu finden. Einen offenen Kampf in der Kirche verhindert der Erzbischof.

Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“: der berühmte Eduard Devrient sang den Philipp August in Berlin/ OBA

3. Akt/ Irmengard drängt Heinrich und Agnes zur Flucht. Doch Heinrich will sich dem Duell stellen und fordert Agnes auf, allein über den Rhein zu seinem Vater zu fliehen. Beide werden jedoch aufgegriffen und zum Turnierplatz gebracht, wo der Zweikampf stattfindet. Als Heinrich seinen Gegner zu überwinden droht, enthüllen die Franzosen die Identität ihres Königs. Als dann auch noch Irmengard berichtet, dass Agnes bereits mit Heinrich verheiratet ist, verweigert der Kaiser eine Begnadigung des Welfen. Dies wiederum wollen die Fürsten nicht hinnehmen, doch Heinrich unterwirft sich dem Kaiser, um eine Rebellion zu verhindern. Plötzlich erscheint Heinrich der Löwe, dessen Truppen die Stadt besetzt haben. Auch er unterwirft sich und zwingt den Kaiser damit, in eine Versöhnung einzuwilligen. (aus dem Programmheft zur Aufführung in Erfurt 2018)

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Die vorstehenden Artikel beruhen in Teilen auf Auszügen aus der Beilage zur CD-Ausgabe des Maggio Musicale Fiorentino 1954 und aus dem hochinformativen Programmheft zur Erfurter Aufführung 2018 unter der Hand des dortigen Chefdramaturgen Arne Langer, dem wir besonders danken. Die beiden Abbildungen zur Bühne von 1837 stammen aus Carl Dahlhaus/ Norbert Miller, Die europäische Romantik in der Musik, Bd. 2, Metzler Verlag 2007. Foto oben: Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“ in Erfurt 2018/ Probenfoto/ Szene/Lutz Edelhoff

Zum Anlass der modernen Erstaufführung fand in Erfurt um die Premiere am 1. Juni 2018 herum ein hochbesetztes Symposium zu Spontini und seiner Agnes von Hohenstaufen in Zusammenarbeit mit der Gutenberg-Universität Mainz statt. Jasmin Saib, Till Gerrit Weidelich, Fabian Kolb, Arne Langer, Matthias Brzoska, Klaus Pietschmann, Anno Mungen und Arnold Jacobshagen referierten zu Aspekten des Komponisten und Dirigenten sowie auch des Theaterlebens in dessen Umfeld. Eine schriftliche Ausgabe der Texte ist zu wünschen. Und als Literatur zum Thema: Anno MungenMusiktheater als Historienbild. Gaspare Spontinis Agnes von Hohenstaufen als Beitrag zur deutschen Oper (= Mainzer Studien zur Musikwissenschaft, Bd. 38). Verlag Schneider, Tutzing 1997, ISBN 3-7952-0892-0; zugl. Dissertation, TU Berlin 1995.

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Die Aufführung in Erfurt wurde in der Inszenierung von Marc Adam gezeigt (Bühne Monika Gora, Florian Hahn), Dirigentin Zoi Tsokanou; mit Mate Solyom-Nagy/ Heinrich IV, Todd Wilander, Margarethe Fredheim/ Irmengard, Claudia Sorokina/Agnes, Siyabuleta Ntlale/ Philipp August, Juri Batukov, Berhard Berchtold/ Heinrich und anderen mehr. Weitere Termine bis zum 10. Juni 2018. Am 16. Juni 2018 eine akustische Übertragung im DLR.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Hochsolide und wunderbar „normal“

 

„Nein, bitte nicht!“ schickt man als Stoßseufzer gen Himmel, wenn vor Beginn von Puccinis La Fanciulla del West die Intendantin des Teatro San Carlo von Neapel zur Kenntnis gibt, nie sei das Thema dieser Oper so aktuell gewesen wie heute. Damit meint sie die Selbstbehauptung von Frauen in einer von Männern geprägten Welt, und man sieht vor dem entsetzten geistigen Auge bereits einen Jack Rance als Frauenbedränger Weinstein und eine Minnie als me-too-Opfer aufmarschieren. Aber da schließlich Hugo De Ana Regisseur ist, ist solches nicht zu befürchten, eher eine Überfüllung der Bühne à la Hollywood-Schinken, wie sie der Arena di Verona oft schon gut anstand, weniger aber einem konventionellen Theater. Ehe es aber losgeht, dürfen noch die wichtigsten Mitwirkungen jeweils einen Satz zur Aufführung sagen und werden die schönsten Ecken von Neapel ins Bild gerufen, und natürlich verfehlt der Blick in das prachtvolle Riesenopernhaus seine Wirkung auf den Zuschauer nicht. Im Foyer der gewaltige, wild blinkende und blitzende Weihnachtsbaum allerdings kündet von einer eher befremdlichen Auffassung vom Fest der Feste.

Pompös ist es dann tatsächlich trotz des ärmlichen Milieus, in dem das Stück spielt, mit La Polka, dem Häuschen Minnies und dem Lager der Minenarbeiter vor einem mal grauen, mal schneeweißen Rundhorizont, mit echter Postkutsche und phantasievollen Kostümen, so bereits Burberry für Jack Rance. In Minnies Hüttchen aber könnte man einziehen, und es würde an keinem einigen Utensil für eine Haushaltsführung mangeln. Sorgfältig wie die Requisiten sind die einzelnen Typen von Goldsuchern ausgesucht, unverwechselbar und sehr eindrucksvoll in ihren kurzen solistischen Auftritten, nicht ohne eine allerdings durchaus vertret- und ertragbare Romantisierung, zu der eine Gruppe von Knäblein einiges beiträgt.  Da bei den länger währenden Auftritten der drei Protagonisten die anderen zu lebenden Bildern erstarren, wirkt die Bühne oft wie ein naturalistisches Gemälde.

Optisch am meisten Freude bereitet der Jack Rance von Claudio Sgura von dunkler Dämonie und mit einem entsprechenden Bariton, der das Ersetzen des g im Namen durch ein c voll rechtfertigen ließe, vor allem, weil die eindrucksvolle Färbung der Stimme sich bis in die höchste Höhe bewahren lässt. Harmlos wirkt dagegen Roberto Aronica als pummliger Dick Johnson, und man muss unwillkürlich lächeln, wenn davon die Rede ist, man habe ihn bereits „bei den Haaren gepackt“. Der Tenor ist recht hell, kann durchdringend sein und ist am Schluss zu einem flammenden Appell fähig, so wie bereits die Zartheit bei „Minnie, non piangete“ gefallen konnte. Emily Magee ist inzwischen recht korpulent geworden, wirkt deshalb für die Minnie zu matronenhaft und hat wohl zu lange auf den ersten Kuss gewartet. Vokal kann sie eher überzeugen mit einem angenehmen Vibrato, nur leicht scharfen Höhen, einem schönen Leuchten in den lyrischen Teilen. Für den Schluss sammelt sie noch einmal mit Erfolg alle stimmlichen und darstellerischen Kräfte und vermag den Zuschauer mitzureißen wie ihre gerührten Freunde auf der Bühne.  Aus der Reihe der Comprimari ragen Bruno Lazzaretti als mitfühlender Nick in einer schönen Charakterstudie, Gianfranco Montresor als seinem Namen Ehre machender Sonora und John Paul Huckle als würdiger Ashby hervor. Am Dirigentenpult  waltet Juraj Valcuha umsichtig seines Amtes. Man hat zwar nicht Stemme/Kaufmann erlebt, aber eine hochsolide, das Interesse wachhaltende Aufführung (Dynamic DYN-57816). Ingrid Wanja