Archiv für den Monat: Juli 2017

Resteverwertung

 

Die 1976 im lettischen Riga geborene Elina Garanča ist in den besten Jahren und in einem für Sänger noch so jungen Alter, dass man fragen darf, wohin es geht, welche Rollen geplant sind und welche Aufnahmen veröffentlicht werden. 2017 singt sie hochdramatische Rollen, u.a. Carmen, La Favorite/ Lénor, Eboli, Santuzza und Dalila an den großen Opernhäusern der Welt. Garanča gehört zweifellos zu den vielseitigsten, beliebtesten und gefragtesten Mezzosopranistinnen unserer Zeit, seit einigen Jahren ist sie bei der Deutsche Grammophon unter Vertrag.

Umso überraschender scheint es, dass bei Erato nun eine CD mit ihr erschienen ist. Es handelt sich dabei aber um bereits bekannte Aufnahmen aus den Jahren 2004 und 2005, die wieder veröffentlicht wurden. Schlicht Mozart Vivaldi heißt die eigenwillige Zusammenstellung, die Arien aus zwei CDs kombiniert, die beide noch erhältlich sind und beide von der Kritik beim Erscheinen hoch gelobt wurden. Aus der Mozart-CD „Opera & Concert Arias“ (2005), die mit der Camerata Salzburg unter Louis Langrée eingespielt wurde, sind sechs der damals zehn veröffentlichten Arien vertreten. Garančas Stimme klingt hörbar jung und frisch, ihr Timbre war damals schon kühl und herb, ihr Ansatz für Mozart ist extrovertiert – ein kaltes Feuer unter Hochspannung. Aus Cosi fan tutte singt Garanča jeweils eine Arie von Fiordiligi und Dorabella. Man kann diskutieren, ob ihr Dorabellas „Ah, scostati!… Smanie implacabili“ oder Fiordiligi „Temerari! … Come scoglio“ besser liegt, die Spannweite zwischen unnahbar und sinnlich kann man in beiden Figuren erkennen. Sehr schön klingen auch die Arie der Vitellia „Deh, se piacer mi vuoi“ aus La clemenza di Tito, zwei Arien des Ramiro aus Aus La finta giardiniera: „Se l’augellin sen fugge“ und „Va‘ pure ad altri in braccio“ sowie die Konzertarie „Ch’io mi scordi di te… Non temer, amato bene“, bei der  Pianist Frank Braley unterstützt.

Zwischen jeweils drei Mozart-Arien zu Beginn und am Ende hat man Auszüge aus Vivaldis Bajazet gepackt und zwar alle vier Arien des Andronicus mit Rezitativen sowie das Opernfinale. Vivaldis Oper entstand 1735 für den Karneval in Verona und ist eines der originellsten und komplettesten Pasticcio-Werke. Mit prominenter Besetzung wurde es 2004 aufgenommen und erregte viel Aufmerksamkeit, Dirigent Fabio Biondi hatte sich gründlich mit der Partitur auseinander gesetzt, Europa Galante spielte rasant, in Kombination mit den Sängern wirkt die Einspielung noch heute wie ein auf Effekt setzendes Feuerwerk. An der Seite von Elina Garanča singen Größen wie Vivica Genaux, Patricia Ciofi, Marijana Mijanovic, David Daniels sowie Ildebrando d’Arcangelo in der Titelrolle. Für alle Freunde der Barockoper ist diese Vivaldi-Oper noch immer ein Maßstab und auch erneut als Gesamtoperneinspielung auf Scheibe gepresst erhältlich. Wie bereits im letzten Jahrzehnt enthält die Box weiterhin eine Bonus-DVD mit Aufzeichnungen der Aufnahme – jeder Sänger wird beim Singen einer Arie gezeigt. Wer Elina Garanča mag, sollte sich sowohl die Mozart-CD als auch Vivaldis Bajazet in Gänze besorgen, die Sinnhaftigkeit von Mozart Vivaldi erschließt sich kaum. (Erato 0190295905996 / Vivaldi – Bajazet, 2 CD + 1 DVD, Erato 5099945645921) Marcus Budwitius

Die Macht und die Kunst

 

Zwei Ansätze gibt es, sich dem neuen Band über Spontini und die napoleonische Oper zu nähern, beide sind ebenso politisch wie äthetisch belegt. Oper als Propaganda-Instrument Napoleons ist uns als Erscheinung in unserer Zeit eine interessante Paralelle zum faschistischen Kunstverständnis, wenngleich das napoleonische Zeitalter noch nicht über die totalitären Mittel der späteren Epoche verfügte oder sie anwenden wollte.

Wilhelm Titel (1784-1862). Double portrait of the composer Gaspare Spontini (1774-1851) and his wife Celeste (1790-1878). The landscape through the window is of Maiolati, Spontini’s birthplace near Ancona in Italy (now called Maiolati-Spontini). Signed, ‘G. Titel Sueco Pomerania Pinxit 1813’. (The ‘G’ is for the Italian version of Wilhelm; ‘Sueco Pomerania’ is Swedish Pomerania, Titel’s birthplace)/ Wikipedia/Pommersches Landesmuseum

Wilhelm Titel (1784-1862). Double portrait of the composer Gaspare Spontini (1774-1851) and his wife Celeste (1790-1878). The landscape through the window is of Maiolati, Spontini’s birthplace near Ancona in Italy (now called Maiolati-Spontini).
Signed, ‘G. Titel Sueco Pomerania Pinxit 1813’. (The ‘G’ is for the Italian version of Wilhelm; ‘Sueco Pomerania’ is Swedish Pomerania, Titel’s birthplace)/ Wikipedia/Pommersches Landesmuseum

Und natürlich war Oper wie Theater stets ein geeignetes Vehikel zur Vermittlung politischer Inhalte (vergl. Friedrich der Große/Montezuma oder Gustav Adolf/ Eneas i Carthago). Zum anderen gibt es in diesem Buch eine opern-ästhetische Diskussion über Form und Musik in der Folge der barocken Oper hin zur Grand Opéra, die ganz unmissverständlich auf Spontinis Beitrag und der von ihm vorangetriebenen Entwicklung der Oper fußt. Berlioz, Meyerbeer, Wagner wären ohne ihn nicht möglich gewesen.  Und die Geschichte es Dirigierens hat nachhaltig von ihm profitiert.

Gaspare Spontini zählt zu den am meisten verleumdeten Gestalten der  Musikgeschichte, vielleicht noch mehr als Salieri. Seine Herrschsucht, seine Neigung zum Pomp, seine vielen übertrieben scheinende Akribie, seine Vorstellungen von einem „modernen“ Orchester und dessen Disziplin ebenso wie dessen Effekte, seine angebliche Feindschaft Weber und deutschen Komponisten gegenüber und vieles mehr aus seiner  Berliner Zeit sind als Legenden in die Literatur eingegangen und nur selten widerlegt worden. Was also ist „dran“ an Spontini, dem „Hofkomponisten“ Napoleons?

spontini und die oper im napoleonischen zeitalterDer vorliegende Band in der Reihe Musik und Theater, No. 11 im Weimarer Studiopunkt-Verlag (Hrsg. Detlev Altenburg) vereinigt die Beiträge der internationalen musikwissen­schaftlichen Konferenz „Gaspare Spontini und die Oper im Zeitalter Napoleons“, die in Kooperation mit dem Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena anlässlich der Wiederaufführung der Oper Fernand Cortez am Theater Erfurt vom 26. bis 28. Mai 2006 im Rahmen des „Deutsch-Französischen Jahres“ in Thüringen zum 200. Jahrestag der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt stattfand. Der nachfolgende Auszug aus dem Vorwort der Herausgeber Detlef Altenburg, Arne Jacobshagen, Arne Langer, Jürgen Maehder und Saskia Woyke beschreibt die Spannbreite des avsierten Projektes:

Gaspare Spontini (1774-1851) war der führende Repräsentant der französischen Oper in der Epoche Napoleons. Wie kaum ein zweiter Komponist seiner Zeit verkörperte er im frühen 19. Jahrhundert die europäische Dimension des Musik­theaters: In Italien geboren und mit der italienischen Theater- und Musikkultur aufgewachsen, diente er sowohl französischen als auch preußischen Monarchen und vermochte eine ganze Epoche künstlerisch zu beeinflussen. Nach ersten Erfol­gen auf dem Gebiet der italienischen Oper wirkte er von 1803 bis 1820 in Paris, wo er mit französischen Werken zunächst im Genre der Opera-comique reüssier­te (1804 Milton, 1805 Julie). 1807 gelang ihm mit der Tragedie lyrique La Vestale ein sensationeller Erfolg an der Pariser Opéra (Academie Imperiale de Musique). In der Verbindung von statuarisch-klanglicher Monumentalität und einem mo­dernen Verständnis von psychologischer Dramatik im Medium der Musik reprä­sentiert La Vestale exemplarisch die Opernkultur der Napoleonischen Epoche. Der Kaiser selbst gab daraufhin den Anstoß für die Komposition der zweiten Tragedie lyrique Spontinis, Fernand Cortez ou La Conquete du Mexique (1809), de­ren Sujet, die spanische Eroberung des Aztekenreiches im 16. Jahrhundert, als Reflex der damals aktuellen Spanienfeldzüge Napoleons verstanden werden musste. Als zweites Hauptwerk der Oper des Empire markiert Fernand Cortez den Über­gang von klassizistischen zu neuzeitlich-historischen Sujets exotischer Couleur und zugleich zu einer romantischen Bühnenästhetik. Das zugrunde liegende Hand­lungsmodell einer in einem historischen Konflikt eingebetteten tragischen Liebes­geschichte zwischen europäischem Eroberer und eingeborener Frau wurde in den folgenden Jahrzehnten für die Dramaturgie der französischen Grand Opera ebenso prägend wie die von Spontini ins Werk gesetzten musikalischen Innova­tionen.

 

Tela raffigurante il momento più drammatico dell’opera "La Vestale"/Museo Sponbtini/Maiolati Spontini

Tela raffigurante il momento più drammatico dell’opera „La Vestale“/Museo Spontini/Maiolati Spontini

Die Beiträge sind vielfältig und mehrsprachig. Anno Mungen schreibt zu Beethoven und Spontini und stellt die offensichtlichen Parallelen her. Rüdiger Hillmer lässt uns einen Blick auf das komplexe Aufgabengebiet der napoleonischen Theaterpolitik werfen, auf die Entwicklung der Pariser Theater, auf die staatlichen und zunehmend auch privaten Unternehmungen vor und nach der Gesetzgebung von 1806/1807 und die politische wie gesellschaftliche Funktion der Theater in dieser postrevolutionären Zeit. Olivier Bara lässt sich über Funktion und Bedeutung des Librettos aus (in Französisch – ich erinnere mich an heftige Schlafanwandlungen bei den französischen Beiträge im Meyerbeer-Syposium in Berlin an der Deutschen Oper – aber Französisch muss man eben für Spontini und Meyerbeer können, da hilft nichts).

Tela raffigurante l’opera "Fernando Cortez" andata in scena al Teatro dell’Accademia Imperiale di Musica il 28 Novembre 1809/Museo Spontini/Maiolati Spontini

Tela raffigurante l’opera „Fernando Cortez“ andata in scena al Teatro dell’Accademia Imperiale di Musica il 28 Novembre 1809/Museo Spontini/Maiolati Spontini

Ein spannender Beitrag ist der von Matthias Brzoska über die Finaldramaturgie bei Spontini, also das lieto fine und das dramatische Finale, der überraschende deus ex machina und die „véritée historique“, auch im Gegensatz zu Meyerbeer, wo´s meistens tödlich endet, während bei Spontini ja doch das zwar überraschende, aber glückliche Ende angesagt ist. Julia wird befreit, die exotische Amazili kriegt ihren Helden – dies alles auch im Gegensatz zum Sprechdrama, das immer noch im Fahrwasser der alten tragédie steht. Arne Langer widmet sich dem „Künstlerdrama“ Milton, das nur scheinbar im Gegensatz zur heroischen Tragödie steht und das ein anderes Ideal des locus amoenus, das  der Kunst und der Zürückgezogen heit, propagiert, wie Napoleon und Josèphine es mit ihrem Landsitz Malmaison vorgaben. Spannend ist auch der Beitrag von Claudio Toscani: „La Vestale – una cornice classice per un conflitto borghese“, also: ein klassischer Rahmen für einen bürgerlichen Konflikt, begleitet von informativen Abbildungen der schleierumflorten Vestale von Corradini bis Canova, ein Topos der bildenden Kunst der Zeit.

Tela raffigurante l’opera "Milton" andata in scena all’Opéra-Comique il 27 novembre 1804

Tela raffigurante l’opera „Milton“ andata in scena all’Opéra-Comique il 27 novembre 1804/Museo Spontini/Maiolati Spontini

Wie propagandistisch ebenso wie stilbildend Spontinis Vestale im französischen Königreich Neapel (1806 – 1815) wirkte belegt Arnold Jacobshagen. Paisiello (Proserpine), Sacchini (Oedipe a Colonne) und vor allem Spontini mit seiner Vestale und später dem Cortez sind hier die Grundfesten des von Murat, später dem Bonaparte-Schwager Joseph und dessen Frau Caroline geförderten französischen Programms an San Carlo. Wie sehr sich die Vestale als feste Größe durchsetzte zeigt die Tatsache, dass sogar Rossini sie in Neapel unter Barbaja dirigierte. Einschneidend und wichtig ist vor allem auch die Entscheidung Josephs, keine Kastratenstimmen für die soprani und Frauen für die musici zuzulassen. Mit Andrea Nozzari als Tenor-Licinius/Licinio  auf der Bühne gab es eine ganz entscheidende Wendung im Opernleben Italiens. Man spielte die Übersetzung von Giovanni Schmidt, wie überhaupt namentlich Spontinis Opern in Italienisch gegeben wurden (in dieser Form waren sie lange in Italien verbreitet und länger als in Frankreich zu hören, bis heute). So stand nun ab 1810 erstmals der jugendliche Held als strahlender Tenor im Mittelpunkt und nicht mehr der Kastrat (wie vorher Vellutti im Oedipe).

Tela raffigurante l’opera "Olimpia" andata in scena al Teatro dell’Accademia Reale di Musica il 22 Dicembre 1819/Museo Spontini/Maiolati Spontini

Tela raffigurante l’opera „Olimpia“ andata in scena al Teatro dell’Accademia Reale di Musica il 22 Dicembre 1819/Museo Spontini/Maiolati Spontini

Dass die Verbreitung der Vestale im italienischen Settecento viel häufiger war als bislang angenommen, beweist Saskia Maria Woiyke in ihrem akribisch auflistenden Aufsatz. Parallel dazu schreibt Herbert Schneider über Spontinis Vestale in ihren deutschen Editionen, woran sich gut nach Axel Schröters Ausführungen zur Vestale und dem Fernand Cortez  im Goetheschen Weimar der gegen Ende des Bandes erscheinende Artikel von Anne Henrike Wasmuth anschließt, die im Rahmen ihrer Dissertation über die stürmische Rezeptionsgeschichte der Spontini-Opern in Berlin (E. T. A. Hoffmann, Rellstab, Weber, Graf Brühl etc.) viele Fehlurteile und Überlieferungen beleuchtet und korrigiert, auf den akribischen Dirigenten Spontini hinweist, über Werktreue und Zustand des preußischen Musikwesens der Zeit referiert,. Sehr eindrucksvoll.

Parigi 15 Dicembre 1807. Prima recita de "La Vestale", bozzetto del costume di Giulia interpretato dal soprano Branchu/Museo Spontini/Maiolati Spontini

Parigi 15 Dicembre 1807. Prima recita de „La Vestale“, bozzetto del costume di Giulia interpretato dal soprano Branchu/Museo Spontini/Maiolati Spontini

Dazu passen auch die Ausführungen von Thomas Betzwieser über die Bedeutung des Metronoms in Spontinis Musik: Die Verwendung des Metronoms hat unzweifelhaft zu einer weitergehenden Differen­zierung von Spontinis Partituren geführt, welche sich auch auf andere Parameter des musikalischen Satzes erstreckte. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Spontini deutlich von seinen französischen Komponistenkollegen, deren Werke eine kaum vergleichbare Qualität hinsichtlich des musikalischen Notats aufweisen. Gleichwohl stellt sich vor dem Hintergrund immer ausgefeilter und dichter werdender Anweisungen zu Tempo, Dynamik und Deklamation die Frage nach der Realisierbarkeit dieser Vorschriften.

Joachim Herz steuert einen Aufsatz zu Spontinierlebt von Richard Wagner – bei. Emilio Sala behandelt eine Parallel-Oper von Persuis, Nina ou la folle par armour von 1813 (die Paisiellos Nina assoziiert) und fügt umfangreiches Notenmaterial zur Dramaturgie des „Ri-uso musicale“ bei. Aber es sind – last but in keinem Falle least – die beiden Aufsätze von Sieghard Döhring und Jürgen Maehder, die in profunder Weise die Thematik des Symposiums erfüllen.

Parigi 15 Dicembre 1807. Prima recita de "La Vestale", bozzetto del costume di Licinio interpretato dal tenore Lainez

Parigi 15 Dicembre 1807. Prima recita de „La Vestale“, bozzetto del costume di Licinio interpretato dal tenore Lainez/Museo Spontini/Maiolati Spontini

Döhring, Grand-Seigneur der Meyerbeer- und Belcanto-Forschung an der Uni Bayreuth, schreibt über „Spontinis Cortez im Vergleich zu Cherubis Abencérages als musiktheatralischer Spiegel von Napoleons Spanienpolitik“, schreibt über die Wichtigkeit und den Wandel der Bedeutung des Balletts in diesen Opern, über Montage-Strukturen, über die exotische Heldin (wie sie später auch bei Berlioz und Meyerbeer auftritt) und über den Wandel des Ästhetischen zum Politischen  und das Aufkommen der romantischen Stimmung. Das Zusammenspiel von gezielter Propaganda angesichts der Eroberungszüge Napoleons mit der sich verändernden Naturauffassung findet hier eine dertailreiche Ausbreitung. Jürgen Maehder, der bedeutende Musikwissenschaftler gerade in diesem Feld, schreibt über die „Eroberung Mexikos im Übergang von der opera seria des Settecentos zur Oper des Empire“. Er streift Grauns Montezuma auf dem Wege zum Fernand Cortez (der Topos des Edlen Wilden, die exotische Heldin, Rousseau und die Folgen etc.), beleuchtet den Zusammenprall der Kulturen und die Kenntnisse Europas von der amerikanischen Welt und deren Rezeption (Marmontel, Voltaire, Vivaldi etc.). Auch dies ein außerordentlich gebildeter Beitrag zu einem spannenden, bis heute gültigen Thema.

 

Alexandrine Caroline Branchu, nata Chevalier, fu nel 1807, all'età di 27 anni la prima protagonista de "La Vestale"/Musero Spontini, Maiolati Spontini

Alexandrine Caroline Branchu, nata Chevalier, fu nel 1807, all’età di 27 anni la prima protagonista de „La Vestale“/Musero Spontini, Maiolati Spontini

Angesichts der bekannten Schwierigkeiten, Beiträge zu einem Symposium dieser Art überhaupt zu publizieren, wiegt die kleine Mäkelei, keinen Index/Glossar zu finden, geringer, wenngleich die Wiederauffindung bestimmter, wiederkehrender Begriffe dadurch erleichtert würde. So ist man als interessierter Leser dankbar für diesen Sammelband der Vielfalt (sehr viele weiterleitende Fußnoten!) und hofft auf Gleiches von der Deutschen Oper in Sachen Meyerbeer-Syposium, was als Begleitung zum Vasco da Gama im Herbst ebendort versprochen wurde! Diese Sammelbände sind wie gute Ausstellungskataloge: kompakter bekommt man´s wirklich nicht. G. H.

 

Altenburg/ Jacobshagen/ Langer/ Maeder/ Woyke (Hrsg): Spontini und die Oper im Zeitalter Napoleons, Musik und Theater 11, 288. S.; Studiopunkt-Verlag, ISBN 978-3-89564-150-3.

Grandioser Testlauf

 

Nun also doch! Zunächst deutete nicht viel darauf hin, dass der Dresdner Lohengrin so schnell auf DVD erscheinen würde. Ein Verzicht auf die Veröffentlichung wäre schade, sehr schade gewesen. Nicht wegen der Inszenierung aus DDR-Beständen, nicht zwingend wegen Christan Thielemann am Pult – sondern einzig wegen Anna Netrebko als Elsa und Piotr Beczala als Lohengrin. Im Booklet der von Deutsche Grammophon / Unitel vorgelegten Neuerscheinung (00440 073 5319) ist denn auch von „Operntraum“ die Rede, der in Dresden in Erfüllung gegangen sei. Ein Wort, das es im deutschen Sprachgebrauch nicht gibt und das auch nicht im Duden steht. Es ist eine Erfindung der Presse, um der atemlosen Begeisterung, die auch anders zu beschreiben wäre, kompakten Ausdruck zu verleihen. In diesem Falle ist Begeisterung durchaus angebracht. Nach den Aufführungen in der Semperoper soll die „Opernwelt Kopf“ gestanden haben, weiß das Booklet. Zitiert werden Zeitungen, die sich mit Wortschöpfungen regelrecht überschlagen. Der „Münchner Merkur“ fiel dem „Schwahnsinn“ anheim, und die „Welt“ will gar einen „der besten Logengrins aller Zeiten“ gehört haben.

„Das süße Lied verhallt; wir sind allein.“ Elsa (Anna Netrebko) und Lohengrin (Piotr Beczala) im Brautgemach. Foto:Daniel Koch/ Booklet. zur DVD

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mit der spektakulären Besetzung eine der belanglosesten Operninszenierungen der DDR, in der sich in Wohlgefallen aufzulösen scheint, was einst Felsenstein, die Berghaus, Kupfer oder Herz an Veränderungen anstießen, für die Zukunft bewahrt wird. Sie stammt von Christine Mielitz und erlebte bereits 1983 ihre Premiere – noch vor Eröffnung der Semperoper – im Schauspielhaus. Die Handlung wurde in das wilhelminische Deutschland verlegt. Solche Zeitverschiebungen waren seinerzeit angesagt. Für die Aufführungen im Mai 2016 wurde die Inszenierung von Angela Brandt („Director of Performance“) aufgefrischt. Sie wird nicht ihrer selbst wegen in die Operngeschichte eingehen, sondern einzig aufgrund der Tatsache, dass die Netrebko darin ihre erste Elsa sang. Sozusagen als Einstimmung auf Bayreuth 2018, wo sie kurzzeitig in der Rolle gemeinsam mit Roberto Alagna als Lohengrin gehandelt worden war. Davon ist keine Rede mehr. „Sechs Stunden deutsch singen! Nein, ich glaube wirklich nicht, dass ich den Wagner-Weg weitergehen will“, hatte sie wenige Wochen nach dem Dresdner Gastspiel in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen“ gesagt. So dürfte diese erste Elsa auch die letzte gewesen sein. Um Beczala, der in Dresden erstmals den Lohengrin sang, muss man sich nicht sorgen. Der wird in dieser Rolle gewiss an anderen Häusern wiederkehren. Und vielleicht nicht nur in dieser.

Wenn nicht gestanden oder gesessen wird in Dresden, wird geschritten. Wände an drei Seiten machen die Bühne unnötig klein und eng. Vergleiche mit der Singschule der Meistersinger drängen sich auf. Für Elsa wird ein Tritt herbeigerückt. So etwas wie ein Zeugenstand. Kündigt sich endlich der Schwanenritter an, setzt ein geschäftiges Umräumen ein. Im letzten Moment wird auch der Tritt energisch wieder zur Seite geschafft. Türen im Hintergrund öffnen sich wackelnd und outen sich dabei ungewollt als Theaterpappe. Und weil der von der langen Reise etwas zerfledderte Schwan nicht durch die Öffnung passt, verlässt Lohengrin sein schwankendes gefiedertes Gefährt und legte die letzten Meter zu Fuß zurück. Der Chor stiebt auseinander, wie nur Chöre in der Oper auseinander stieben können. Plötzlich fällt auf, dass die Kostüme der Damen mit ihren Hauben dem Fundus für Zar und Zimmermann entliehen worden sein dürften. Frau Antje lässt grüßen. Nun gut, beide Opern spielen bekanntlich nicht weit voneinander entfernt. Wie von Geisterhand gelenkt, ist auch das Gestell mit der Trittfläche wieder aufgetaucht. Wunder sehen anders aus. Und weil die Musik in diesem Moment so zügig vorwärtsdrängt, muss der markige Georg Zeppenfeld als stimmgewaltiger König in den wenig männlichen Trippelschritt wechseln, damit er aus dem Hintergrund pünktlich an der Rampe ankommt, wo er gebraucht wird. Von der musikalischen Pracht, mit der dieser Aufzug schließt, ganz überwältigt, heben plötzlich kurz entschlossen die kräftigsten Chorsänger das Meistersinger-Podest samt Elsa und Lohengrin in die Höhe, damit das gefeierte Paar über der Menge schweben kann.

Spätestens mit dem Beginn des zweiten Aufzuges, regen sich Zweifel, ob tatsächlich einer der „besten Lohengrins aller Zeiten“ im Player liegt. Die Regisseurin Mielitz, die auch bei Kupfer gelernt hat, scheint – wie jener – besonderen Gefallen daran gefunden zu haben, die Akteure unvermittelt in die Waagerechte zu befördern. Sowohl Telramund und als auch seine stolze Gemahlin, Tochter eines Fürsten, liegen gern herum, wenn sie denn nicht dazu verurteilt sind, auf dem Boden zu sitzen oder zu knien. Ortrud wird von Evelyn Herlitzius dargestellt. Sie sieht sehr gut aus, weiß sich angemessen zu bewegen, wenn sie das denn darf. Im ersten Aufzug hat es diese Figur sehr schwer. Sie kommt nur im Ensemble musikalisch zum Einsatz und muss sich, weil ständig auf der Bühne, durch Präsenz behaupten. Ich kann mich an Aufführungen erinnern, in denen die stumme Ortrud die meiste Aufmerksamkeit auf sich zog. Wagner hat sich das gut ausgedacht. Erst im Parsifal wiederholt er dieses Mittel im dritten Aufzug mit der stummen Kundry. Die Herlitzius macht etwas daraus und greift dabei wohl auch in den reichen Schatz ihrer eigenen Bühnenerfahrung. Von der Regie wirkt sie allein gelassen. Und man muss ihre Stimme mögen, die gelegentlich scharf wie ein Schwert niederfährt. Für die Ortrud ist das eine gestalterische Möglichkeit. Zwischentöne sind nicht die Stärke von Frau Herlitzius. Die „Entweihten Götter“ und der letzte hoch auffahrende Auftritt, wenn sie dem scheidenden Lohengrin ihre Verwünschungen hinterher giftet, machen jedoch großen Eindruck. So gehört sich das. Die Herlitzius hat viele Verehrer. Fans reisen ihr nach. In dieser Produktion kommen sie voll auf ihre Kosten. Ihr dröger Gatte Friedrich von Telramund, der gegen den Gottgesandten machtlos bleibt, bekommt durch Tomasz Konieczny eine Gefährlichkeit, die auf eisernem Stolz, nicht aber auf Intellekt beruht.

Und wieder wird geschritten, diesmal gegen das Münster. Ortrud, der Elsa beim nächtlichen Zusammentreffen unter dem Söller versprochen hat, sie mit „prächtigen Gewanden“ zu schmücken, blieb offenbar doch keine Zeit, sich umzuziehen. Auf einem undefinierbaren Kleinmöbel, wie es  meine alte Tante Helene für ihre Clivia in der Wohnstube benutzte, steht die Krone unter einem durchsichtigem Stück Stoff. Was dann folgt, hat sich die Regisseurin offenkundig bei den britischen Krönungsfeierlichkeiten abgeguckt, um es in die Optik eines Laienspiels zu verwandeln. Ein bisschen so, als spielten Kinder König und Prinzessin. Obwohl der Heerrufer – passabel Derek Welton – kurz vorher ausdrücklich verkündet hatte, so deutlich verkündet hatte, dass es auch gut zu verstehen war, dass nämlich der König „den fremden, gottgesandten Mann … mit Land und Krone von Brabant belehnt“ – wird die Krone Elsa aufs Haupt gesetzt. Die muss sich mit dem unbequemen majestätischen Kopfputz auch noch umschauen und sieht gar nicht glücklich dabei aus. Dass der Chor dabei wieder mal flach liegt, muss eigentlich nicht nochmals herausgestellt werden.

„Fahr heim! Fahr heim, du stolzer Helde!“ Evelyn Herlitzius (hier auf einem Screenshot aus der DVD) fährt als Ortrud stimmlich gewaltig auf/ Screenshot

Ich habe schon in manchen Aufführungen gesessen und mich vor dem endlosen Brautgemach gefürchtet, weil die Sänger im bisherigen Verlauf der Oper nicht viel hermachten. Diesmal habe ich mich darauf gefreut. So soll es ja auch sein. Nach allem, was Anna Netrebko und Piotr Beczala, bisher hatten hören lassen, musste die kommende halbe Stunde zum sängerischen Höhepunkt geraten – und wurde es auch, mit dem berühmten glanzvollen Vorspiel durch Thielemann schmissig eingeleitet. Nachdem der Brautchor ausgeschritten hatte, endlich die Szene, in der Sänger ihr Können und Vermögen ausbreiten können. Beide machten davon verschwenderisch Gebrauch. Obwohl die Netrebko auch alle lyrischen Spielregeln beherrscht, behält sie den dramatischen Ansatz bei und steigerte ihn sogar noch. Von Anfang an ist klar, worauf es hinaus läuft – auf die Frage nach Lohengrins Herkunft. Ihre Elsa ist eine betont selbstbewusste Frau. Eigentlich ist Lohengrin ihr nicht gewachsen. Er hat keine Chance. Beczala ist im Vergleich mit seinem Gegenüber viel sanfter. Er hat Angst, nicht sie. Ich scheue mich nicht vor der Feststellung, dass er schöner singt. Damit sollen die Qualitäten von Anna Netrebko nicht geschmälert werden. Ganz im Gegenteil. Während sie als Sängerin einen fast schon hochdramatischen Weg beschreitet, bleibt er bei seinem Leisten als jugendlicher lyrischer Tenor mit einem deutlichen italienischen Einschlag, der besonders in der betörenden Gralserzählung an einem seiner bedeutendsten Vorgänger als Lohengrin, Sandor Konya erinnert. Er ist ein Glücksfall, weil er den Lohengrin vermenschlicht. Indem die Figur glaubhafter und natürlicher wird, büßt sie aber an überirdischem Flair ein. Beides geht wohl nicht. Das Werk, auch durch Thielemann am Pult befördert, ist den blauen Sphären entrückt und auf der Erde angekommen.

Über weite Strecken sind alle Sänger sehr gut zu verstehen. Das deutet auf intensive Probenarbeit hin und gehört zu den Stärken der Produktion. Am Ende erweist sich diese altbackene Inszenierung als nicht die schlechteste Wahl, weil sie die Mitwirkenden als das herausstellt, was sie sind – Sänger. Insofern wäre es auch eine Überlegung wert gewesen, die Aufführung nur als Tonspur auf CD zu veröffentlichen. Oder zusätzlich. Die Solisten, der gut studierte Chor und die glänzend aufgelegte Staatskapelle kommen zu ihrem Recht. Sie werden nicht verwickelt in verwirrende oder komplizierte szenische Aktionen. Ihnen wird nichts zugemutet, sieht man von den gelegentlichen Beförderungen in die stabile Seitenlage einmal ab. Sie müssen nicht herumrennen, Purzelbäume schlagen oder auf Gerüsten herumturnen. Sie müssen sich auch nicht ausziehen bis auf die Unterwäsche. Es geht anständig zu in Dresden bei Christine Mielitz. Regietheater? Was war denn das mal schnell? Rüdiger Winter

Das große Foto oben ist ein Ausschnitt aus dem Cover der DVD. Es zeigt die Solisten der Lohengrin-Produktion aus Dresden. Von links: Evelyn Herlitzius (Ortrud), Georg Zeppenfeld (König Heinrich), Piotr Beczala (Lohengrin), Anna Netrebko (Elsa) und Tomasz Konieczny (Telramund).

Streng

 

Noch gar nicht so lange ist es her, da ist der Decca mit Händels unbekannter Oper Arminio einen Überraschungserfolg gelungen. Jetzt, ein Jahr später, legt sie nach mit einer weiteren Händel-Entdeckung, Ottone. Wieder mit dabei: Countertenor Max Emanuel Cencic und Dirigent George Petrou. Die Decca setzt auf den Fortsetzungsgedanken, nicht nur die Titelhelden sind gleich besetzt, auch thematisch knüpft man an den Arminio an; er geht auch hier wieder um einen deutschen Helden, diesmal um Otto den Zweiten, einen frühen deutschen Kaiser.

Faktisch ist Ottone ein Meisterwerk, trotzdem gehört er zu den langweiligsten Opern, die ich je gehört habe. Glucks Iphigenien nehmen sich dagegen aus wie James-Bond-Thriller.  Würde man einen Querschnitt extrahieren aus den besten Nummern, wäre das Ganze  eine spitzenmäßige Händel-Platte: Es gibt in dieser Dreistundenoper eine Handvoll äußerst genialer Arien und Duette. Aber in diesem Fall sind diese Highlights mit den restlichen Stücken sehr ungeschickt kombiniert worden. Das Werk hat insgesamt einen starken Hang zur depressiven Stimmung, es gibt nur wenige lebhafte Nummern. Oft, wie zu Beginn des dritten Aktes, folgen drei große Arien gleichen Charakters (largissimo!) aufeinander. Das widerspricht eigentlich den Gesetzen der klassischen Nummernoper überhaupt. Kein Wunder, dass die Cuzzoni, Händels erste Teofane, das so nicht singen wollte, und Händel sie deshalb beinahe aus dem Fenster geworfen hätte. Früher in der Schule, als ich diese Anekdote zum ersten Mal hörte, fand ich die Cuzzoni sehr zickig und Händel mit seiner Einschüchterungstaktik ziemlich cool. Inzwischen neige ich zu der Ansicht, dass die Cuzzoni eine sehr kluge Frau war. 

Weil der barocke Schwung fehlt, der für viele Händel-Opern typisch ist, hält sich die Popularität des Werks in bescheidenen Grenzen. Bezeichnenderweise ist diese Gesamtaufnahme erst die dritte des Werkes überhaupt. Wenn auch manchmal angesichts so viel edler Langweile die Gähnmuskeln im Kinn rebellieren,  an der Einspielung hat´s nicht gelegen. Ich bin zwar immer noch der Meinung, das eine gute Mezzosopranistin oder Sopranistin, je nach Stimmlage, Besseres leistet als ein sehr guter Spitzencounter, aber wenn man schon unnötigerweise die Barockopern mit Falsettisten in Kastratenpartien besetzt (Händel wäre entsetzt gewesen und hätte jede Mezzosopranistin vorgezogen), dann sollten es wenigstens Männer wie Cencic sein. Er macht einen sehr guten Job,  und das, obwohl ihm eigentlich die ruhigen, langsam temperierten Stücke nicht ganz so liegen wie die feurigen Koloraturkaskaden. Nicht alle Arien finde ich gleichermaßen überzeugend gesungen, aber Respekt vor seiner Leistung; das ist alles sehr genießbar , nichts gegreint und gebellt – was man vom zweiten Counter Xavier Sabata nicht immer sagen kann.

 Aber mehr Damen bitte! In einer schwachen Stunde werde ich mich wohl irgendwann den Decca-Verantwortlichen vor die Füße werfen und sie anflehen, pro Oper immer nur einen Counter zu besetzten. Das lässt sich gut aushalten, mehr wird anstrengend und am Ende auch stilistisch allzu schräg. Zumal alle Damen hier exquisit besetzt sind. Der Mezzo Ann Hallenberg (Gismonda): wie immer voluminös und fast rossinisch souvrän. Anna Starushkevych als Matilda: ebenfalls ein sehr gut besetzter und beachtenswert junger ukrainischer Mezzosopran.

Die große Entdeckung für mich war aber Laureen Snouffer in der Rolle er Teofane, der eigentlichen Heldin des Stücks; eine junge amerikanische Sopranistin, die zum Ensemble in Karlsruhe gehört, und von der man wohl noch einiges hören wird. Eine, allürenlose, klare Sopranstimme mit prächtiger silberner Mittellage.  Matthias Käther

Georg Friedrich Händel: Ottone, Re di Germania mit Max Emanuel Cencic, Lauren Snouffer, Ann Hallenberg, Xavier Sabata; Il Pomo d’oro; Leitung: George Petrou; 3 CD Decca 4831814

Wagner mit Sogwirkung

 

In Bayreuth folgt in diesem Sommer 2017 auf die Neuinszenierung der Meistersinger durch Barrie Kosky Tristan und Isolde. In dieser Koppelung kommt das nicht oft vor. Sinnvoller wäre es natürlich umgekehrt. Denn mit den Meistersingern von Nürnberg lässt Wagner seinen Tristan hinter sich. „Mein Kind, von Tristan und Isolde / Kenn‘ ich ein traurig Stück: / Hans Sachs war klug und wollte / Nichts von Herrn Markes Glück.“ Sachs macht seinen Verzicht auf Eva, die er heimlich geliebt hat, öffentlich. Er überwindet sich, indem er einem neuen Glück den Weg bahnt. Eva bekommt ihren Walther, noch bevor das Wettsingen überhaupt begonnen hat. Es wird Formsache. Ein Konflikt löst sich auf. Mitten am Tage. Selig wie die Sonne! Dazu zitiert Wagner sich selbst. Im Orchester erklingt – wie aus dem Dunkel der Nacht – der berühmte Tristan-Akkord. Dieser musikalische Einfall voller Schmachten und Sehnen, nicht ganz eindeutig in seiner musikalischen Struktur, sondern eher unbestimmt und vage, hat ganze Generationen von Wissenschaftlern, Dirigenten und Musikkritikern beschäftigt. Literatur zuhauf hat sich angesammelt. Auch im Internet – das heute als wichtige Quelle dazugehört – ist dieser Akkord, der gleich zu Beginn des Tristan-Vorspiels erklingt, ein nicht enden wollendes Thema. „Der Akkord entzieht sich wegen seiner harmonischen Undurchsichtigkeit bis heute einer einfachen bzw. allgemein akzeptierten Deutung. Es hat immer wieder sehr unterschiedliche Versuche gegeben, ihn funktionsharmonisch zu interpretieren. Seine Vieldeutigkeit ist zudem typisch für die extrem chromatische und tonal unstete Harmonik der Tristan-Partitur, in der Ernst Kurth eine Krise der romantischen Harmonik sah“, heißt es im Wikipedia-Artikel. Der zitierte Kurth (1886 bis 1946) war ein renommierter Musiktheoretiker und Musikpsychologe aus der Schweiz.

Wer sich eine Gesamtaufnahme des Werkes anhören und auch den Akkord auf sich wirken lassen will, hat die Qual der Wahl. Sogar ein von Christian Thielemann dirigierter Mitschnitt der Inszenierung von Katharina Wagner, die in diesem Jahr wieder im Spielplan steht, liegt bereits auf DVD vor. Wie das Werk 1966 in Bayreuth geklungen hat – also vor mehr als einem halben Jahrhundert – das hat ein Mitschnitt der Deutschen Grammophon bewahrt, der jetzt in neuer Überspielung herausgekommen ist (479 7291). Es handelt sich um eine besondere Edition. Neben dem Remastering der originalen Gesamtaufnahme gibt es eine Blu-ray-Audio-Disc, die das lange Werk platzsparend aus einer Scheibe versammelt. Dieses Format verlangt einen geeignetes Abspielgerät, lässt sich aber auch in einem für Blu-ray-DVD’s ausgelegten Player am Fernseher abspielen. Auf dem Bildschirm erschient dann eine bebildertes Menü, mit dem sich die einzelnen Tracks bequem ansteuern lassen. Ist ein Verstärker mit guten Lautsprechern oder Kopfhörern zugeschaltet, erfüllt sich das Versprechen einer besonders hohen Klangtreue. Letztlich kann aber technisch nur verbessert werden, was auch vorhanden ist, interpretatorisch vorhanden ist. Keine noch so ausgeklügelte Technik könnte Unterlassungen und Versäumnisse von Dirigent und Solisten ausgleichen. In diesem Falle sind die Voraussetzungen für die Nacharbeit am Computer glänzend. Experten dürften ein leichtes Spiel gehabt haben. Denn schon bei ihrem ersten Erscheinen auf Langspielplatten klang die Aufnahme sehr gut. Die Grammophon hatte damals hineingelegt, was möglich war und dafür auch den Grand Prix du Disque, den international begehrten französischen Plattenpreis, bekommen.

Auf dem Bild der ersten CD-Ausgabe waren Tristan und Isolde links positioniert. Dieses Seitenverhältnis entspricht dem originalen Bühnenbild, wie es in der Dokumentation „Die Geschichte der Bayreuther Festspiele“ von Oswald Georg Bauer, Band 2, Seite 147 wiedergegeben wird.

Jetzt also tönt es noch brillanter, leuchtender, wo es leuchten muss, dunkler, wo Wagner die Nacht hernieder sinken lässt. Vom Klangbild her scheint die historische Distanz wie aufgehoben. Dass es sich aber doch nur um eine alte Produktion handeln kann, wird durch die sängerischen Leistungen offenbar. So rollendeckend, so deutlich und wissend zugleich singt heute kaum einer mehr. Birgit Nilsson war die Isolde, Wolfgang Windgassen der Tristan. Jung klingen sie beide nicht. Die Nilsson ging auf die fünfzig zu, Windgassen, zum Kehligen neigend, hatte sie überschritten. Erste Verschleißerscheinungen kündigten sich an. Sie überzeugen durch gestaltendes Singen. Es gibt für mich nicht einen Moment, in dem ich ihnen die Rollen nicht abnehmen würde. Dabei gehörte ich nie zu den leidenschaftlichsten Parteigängern dieser Interpreten. Mit den Jahren und in Ermangelung überzeugender Rollenvertreter haben sie in meiner Wahrnehmung an Bedeutung gewonnen. 1966 ging die Inszenierung von Wieland Wagner in ihr fünftes Jahr – ein Schicksalsjahr für Bayreuth. Noch während der Festspiele erkrankte der Enkel Richard Wagners schwer, musste zur Behandlung ins Krankenhaus. Er starb im Oktober desselben Jahres. Tristan wurde zu seinem Vermächtnis. „Vollendung der Leidenschaft im Tod: dieses mystische Moment deckt die tiefe Bedeutung des Tristan-Mythos auf, der in der Überlieferung der Sagen und Legenden durch die Jahrhunderte – nicht anders als der Mythos im Ring und im Parsifal – durch gesellschaftlich bedingte epische, malerische und moralische Zutaten verunklart und verdunkelt worden ist“, hatte er noch für das Booklet der Aufnahme geschrieben. Der Text wurde auch in alle späteren Ausgaben übernommen. Es sei deshalb kein Zufall, so Wieland Wagner weiter, dass der „Tristan- wie der Don-Giovanni-Mythos erst in der Oper, erst durch die Musik, ihren endgültigen, ja ihren vollendeten Ausdruck gefunden“ hätten.

In ihren Memoiren lässt sich Birgt Nilsson ausführlich darüber aus, wie sie doch noch zur Isolde in der Inszenierung von Wieland Wagner gekommen ist. Das Buch ist bei Krüger erschienen, ISBN-10: 3810513105. 

Birgit Nilsson war für Wieland nicht die erste Wahl. In ihrer unverwechselbaren Offenheit kommt sie auf das Thema auch in ihren Memoiren „La Nilsson – Mein Leben für die Oper“ zu sprechen. Er habe sich eine „jungfräuliche Isolde vorgestellt, eine, die niemals zuvor die Partie gesungen hatte“. Die Schwedin hingegen hatte die Rolle nach eigenem Bekunden bereits 87-mal gesungen und konnte nicht nachvollziehen, dass sie ihr nicht angeboten wurde. Befürchtete Wieland, sie können „nicht mehr für neue Ideen empfänglich“ sein? Schließlich kam das Angebot doch noch, und sie willigte „nach einer halben Sekunde Bedenkzeit“ ein. Die Isolde wurde zu einem der Triumphe der Nilsson in Bayreuth. Bis 1970 blieb die Inszenierung im Spielpan. Mit der letzten Vorstellung verabschiedete sie sich gemeinsam mit Wolfgang Windgassen von den Festspielen. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie wir im Kreis von Gleichgesinnten gebannt am Radio saßen. Uns war sehr wohl bewusst, dass eine Ära zu Ende gehen würde .

Doch zurück in das Jahr 1966. Christa Ludwig war neu in Bayreuth, sang lediglich in einer Vorstellung die Brangäne und kehrte nur für einen Sommer zurück, nämlich 1967 als Kundry im Parsifal. Mit ihrer Brangäne erweckte sie gelegentlich den Eindruck, selbst Anlauf auf die weibliche Titelrolle nehmen zu wollen. Selten dürfte die treue Dienerin so hochdramatisch angelegt worden sein. Es ist vorstellbar, dass Wieland daran Anstoß nahm. Beide kannten sich aus einer Berliner Aida-Produktion von 1961. Schon damals hatte es Unstimmigkeiten gegeben, aus denen die Ludwig in ihren Erinnerungen “ … und ich wäre so gern Primadonna gewesen“ gar keinen Hehl macht. Sie spricht von „Hassliebe“, die aber eine große Achtung vor seiner „überwältigenden Weitsicht“ nicht ausschließt. In diesem Buch lässt die Ludwig ihren ausführlichen Briefwechsel mit Wieland abdrucken, in dem sich beide Seiten höchst professionell begegnen. Diese Briefe, in denen um die bestmöglichste Wirkung des Werkes gerungen wird, geben eine Einblick der besonderen Art in die Werkstatt Bayreuth.

Nobel und jungmännlich klingt Eberhard Wachter als Kurwenal. Es war ebenfalls sein erster Festspielsommer. Waechter ließ seine gestandenen Vorgänger, darunter auch der gelegentlich murmelnde und ältlich wirkenden Hans Hotter, zurück. Martti Talvela, der Bilderbuchfinne mit dem mächtigen Bass, war 1966 zwar kein Neuling, den König Marke aber sang er zum ersten Mal. Als Debütant wirkte der hochattraktive Claude Heater, der außerhalb Bayreuths in Heldenpartien auftrat, als Melot mit. Erwin Wohlfahrt, war der Hirt im dritten Aufzug. Gerd Nienstedt, der bereits den Donner und den Biterolf gesungen hatte, war sich – auch das eine der Bayreuther Besonderheiten – für den Steuermann nicht zu schade. Wohl mit Blick auf die Plattenproduktion stellte sich Peter Schreier, damals mit großen Aufgaben weltweit unterwegs, als junger Seemann zur Verfügung, der im Stück das erste Wort hat. Er war ein Glücksfall. Seine Mitwirkung 1966 blieb eine Episode in seiner langen erfolgreichen Karriere.

Christa Ludwig hat die Brangäne nur einmal in Bayreuth gesungen. In ihren Erinnerungen, die bei Henschel herausgekommen sind (ISBN 978-3894871918), schildert sie die Probleme in der Zusammenarbeit mit Wieland Wagner, zollt dem Regisseur aber grundsätzlich großen Respekt.

In Bayreuth wurde in dieser Saison nicht herumgesessen. Windgassen sang neben den drei Tristan-Vorstellungen in drei Ring-Durchläufen alle Siegfriede, die Nilsson alle Isolden und neun Mal die Brünnhilde. In dieser Rolle alternierten mir ihr Astrid Varnay und Ludmila Dvorakova. Ob die Tristan-Aufnahme, die hinter den Kulissen schon ein Thema gewesen sein dürfte, den Solisten im Nacken saß, ist nicht überliefert. Bisher war ich immer davon ausgegangen, dass diese Einspielung unter ganz einmaligen Umständen zustande kam. Jeder Aufzug sei an drei verschiedenen Tagen einzeln vor ausgesuchtem und diszipliniertem Publikum, das dazu verpflichtete worden ja, nur nicht zu husten, aufgenommen worden. Die Sänger sollten sich verausgaben können, ohne an die folgenden Strapazen denken zu müssen. Das machte Sinn. In Wirklichkeit ist es auch so geschehen, wie der Musikwissenschaftler Franzpeter Messmer im Booklet bestätigt. „Doch bei den dann mitgeschnittenen zwei regulären Aufführungen vor dem großen Festspielpublikum war die musikalische Qualität höher als bei den einzelnen aufgenommenen Akten.“ Messmer zitiert in diesem Zusammenhang auch den Dirigenten Karl Böhm aus seiner Autobiographie: „Gerade bei einem Werk wie dem Tristan, der ein einziges Crescendo vom ersten sehnsüchtigen a-f der Celli bis zum letzten Liebestod-Akkord, erfüllt vom ungeheuerster Leidenschaft, sein muss, kann dies alles nur in einer Live-Aufnahme erreicht werden.“ Denn dieser letzte „entscheidende Ausdruck und die große Linie“ seien bei einer noch so minuziösen „Flickarbeit“ im Studio nicht möglich. Also wurde die Plattenproduktion doch aus dem Material der offiziellen Aufführungen bestritten? Es ist wohl so.

Die Plattenausgabe enthielt einen Bonus, der beim Umschnitt auf CD keinen Platz mehr fand. Jetzt kehrt er zurück, allerdings nur auf der Blu-ray-Scheibe. In diesen dreißig Minuten probt der Dirigent Vorspiel und erste Szene des dritten Aufzugs. Wer erwartet hat, Böhm erkläre den Musikern das Stück inhaltlich, philosophisch und bedeutungsschwer, wird enttäuscht. Er näherte sich der Musik einzig aus der Partitur mit Notenwerten oder Tempoangaben. Ein typische Zitat: „Jetzt muss das dritte Horn weich übernehmen, gel, auf drei.“ Mitunter wurde er laut, unwillig, sang eine Passage mich krächzender Stimme vor, schlug hörbar den Takt gegen das Pult. Die Probenarbeit ist streng und kleinteilig. Und daraus soll nun der Tristan werden? Das Wunder gelingt, wie es die Hörer an den Lautsprechern nachvollziehen können. Sie werden regelrecht hineingezogen, können diesem musikalischen Sog nicht entgehen. Zumindest mir ist es so ergangen. Nach mehr als fünfzig Jahren offenbart diese Aufnahme, was für ein bedeutender Wagner-Dirigent Karl Böhm doch gewesen ist. Rüdiger Winter

 

„O sink hernieder, Nacht der Liebe.“ Das große Foto oben ist ein Ausschnitt aus dem Cover der neuen Auflage von „Tristan und Isolde“ als Mitschnitt von den Bayreuther Festspielen 1966 bei der Deutschen Grammophon. Es hält eine Szene aus dem Liebesduett des zweiten Aufzugs fest und stammt von Siegfried Lauterwasser. Das Paar ist links positioniert. Auf früheren CD-Ausgaben war das Seitenverhälnis umgekehrt: Tristan liegt Isolde nicht mehr zur Rechten, sondern zur Linken zu Boden. Auch das zur Silhouette stilisierte Schiff im Hintergrund hat die Richtung gewechselt. 

Gipfelstürmerin

 

Mit ihrem Konzert in der Hallenser Ulrichskirche hatte Ann Hallenberg für einen Höhepunkt der diesjährigen Händelfestspiele gesorgt. Carnevale 1729 nannte sich das Programm der schwedischen Mezzosopranistin, denn es stellte ausschließlich Werke vor, die in der Karnevalssaison 1729 in Venedig erklungen waren. Wie schön, dass man es nun dank einer Initiative der Firma Pentatone auf 2 CDs nachhören kann (PIC 5186 678).

Gegenüber dem Konzert ist die Reihenfolge der Arien in der Einspielung verändert und deren Anzahl noch erweitert. Die Auswahl auf CD 1 beginnt mit einer Arie des Cosrovio, „Mi par sentir la bella“, aus Giacomellis Gianguir, die in Venedig Senesino gesungen hatte. Mit diesem zärtlich kosenden Siciliano (konzertierend die Oboe) kann auch Ann Hallenberg betören. Die Stimme klingt hier besonders schmeichelnd, weich und warm. Später gibt es aus dieser Oper noch eine an Modulationen reiche Arie der Semira, „Vanne, si“, mit der bei der venezianischen Premiere die große Faustina Bordoni brilliert hatte. Dazwischen finden sich vier Beispiele aus Orlandinis Adelaide, die am 8. Februar 1729, wieder mit der Bordoni in der Titelrolle, aus der Taufe gehoben wurde. Deren Arie aus dem 3. Akt, „Non sempre invendicata“ ist in ihrem energisch-kämpferischen Duktus und der furiosen Koloraturattacke ein starker Kontrast zu der aus dem 2. Akt, „O del mio caro sposo“, die eine schier endlose schmerzlich schwebende Klage in getragenem Tempo darstellt. „Scherza in mar“ ist dann wieder eine effektvolle Primadonnen-Nummer, während das letzte Beispiel, „Vedrò più liete e belle“, ein  Solo des Ottone vorstellt, mit dem Senesino triumphiert hatte. In diesem Stück mit Solovioline in französischem Stil sind vor allem delikate Empfindung und sublime Pianokultur gefragt – Hallenberg vermag alle diese Anforderungen und Stimmungen imponierend zu erfüllen.

CD 2 beginnt mit zwei Auszügen aus Albinonis Filandro, der am 24. Januar 1729 herauskam – als Wiederaufnahme eines früheren Erfolgsstückes von 1727 (L’incostanza schernita), wegen der zahlreichen Veränderungen aber wie eine Premiere gehandelt wurde. Die Primadonna Teresa Peruzzi sang die weibliche Hauptrolle der Corina, deren Arien „Il tuo core“ aus dem 1. und „Fior, che a spuntar“ aus dem 3. Akt hier zu hören sind. Ist die erste von zärtlich-kokettem Charakter, gibt sich die zweite energisch auftrumpfend mit virtuosen Koloraturgirlanden. Aus Porporas Semiramide riconosciuta (12. Februar 1729) erklingen die Arie der Titelheldin aus dem 2. Akt („Il pastor“) sowie zwei Soli des Mirteo, mit dem der Kastratenstar Farinelli in Venedig triumphiert hatte. „Bel piacer“ stammt aus dem 1., „In braccia a mille furie“ aus dem 3. Akt. Letzteres ist ein von vielen Sängern dieses Repertoires gern gegebenes cavallo di battaglia wegen seiner immensen Anforderungen an stimmliche Bravour und die einzige Arie dieser Zusammenstellung von insgesamt 14 Nummern, welche keine Weltersteinspielung darstellt. Hallenberg singt die Arie der Semiramide in ihrem wiegenden siciliano-Rhythmus mit schmeichelnder Tongebung, die erste des Mirteo gleichfalls in betörender Sanftheit. Einem Vulkanausbruch gleicht dagegen„In braccia a mille furie“ mit dem furiosen Ausdruck und den halsbrecherischen Koloraturrouladen. Hallenberg klopft damit an die Pforte des Mirakulösen.

Leos Catone in  Unica hatte im Teatro San Grisostomo die Karnevalssaison eröffnet – in einer Gipfelbesetzung mit drei Kastraten. Hallenberg interpretiert eine Arie des Cesare („Soffre talor“) und eine der Emilia („Ombra cara“). Erstere ist eine jener beliebten Sturmarien, hier jedoch in einem ungewöhnlich getragenen Tempo, freilich gespickt mit höchsten Schwierigkeiten. Die zweite ist ein klagender Gesang der Witwe des von Caesar besiegten Pompeus von bewegender Größe.

Mit Vincis Pasticcio L’abbandono di Armida, in welchem auch Musik von Porpora und Albinoni zu hören war, endet das Programm. Die Arie „Nave altera“ stammt aus seinem Sigismondo und wurde vom Komponisten von der Tenor- in die Sopranlage verändert. Mit dieser lebhaft bewegten und an Zierwerk reichen Nummer sorgt Ann Hallenberg für einen imponierenden Ausklang ihrer wunderbaren Platte.

Wie in Halle ist auch hier Il pomo d’oro das begleitende Ensemble und ein Glücksfall für die Produktion. Denn unter dem Leiter Stefano Montanari werden die Schönheiten der Musik – ihre Affekte und lyrischen Gefühlsäußerungen – mit inspirierendem Einsatz und höchster Kultur zum Leben erweckt. Ich stehe nicht an zu sagen, dass diese Veröffentlichung die Sängerin auf dem Höhepunkt ihrer Kunst zeigt und unbedingt einen  Schallplattenpreis verdient – ob in der Kategorie Vokales oder Alte Musik. Am besten gleich in beiden. Bernd Hoppe

Von Tür zu Tür

 

In der langen Reihe der Aufnahmen von Bela Bartóks Herzog Blaubarts Burg rangiert die Einspielung unter der Leitung von Walter Süsskind ganz vorn. Sie entstand 1953. Davor ist lediglich die von Georges Sebastian geleitete Einspielung von 1951 nachweisbar. 1953 war ein guter Jahrgang für den symbolistischen Einakter des ungarischen Komponisten. Neben Süsskind, der aus Prag stammte und später britischer Staatsbürger wurde, ist der Ungar Ferenc Fricsay mit seiner ersten Aufnahme, einem deutsch gesungenen Rundfunkmitschnitt aus Schweden mit Birgit Nilsson und Bernhard Sönnerstedt dokumentiert. Dazu kommt, ebenfalls in deutscher Fassung, die Produktion des österreichischen Dirigenten Herbert Häfner mit den Wiener Symphoniker und den Solisten Ilona Steingruber und Otto Wiener. Es war Häfners letzte Platte. Er starb noch vor der Veröffentlichung mit nur sechsundvierzig Jahren den Herztod am Dirigentenpult. Häfner, der auch Bergs Lulu mit der Steingruber einspielte, galt als Spezialist für die Moderne. Seine Spuren sind verweht. Nicht einmal das sich gern als allwissend gebende Internet weiß viel über ihn.

Zurück zu Süsskind, auf dem CD-Cover Susskind geschrieben. Seine Einspielung aus London mit dem New Symphony Orchestra ist bei Praga Digitals (Praga PRD 250 349) neu aufgelegt worden, Zuvor war sie bei Arlecchino zu haben. Gesungen wird in der Originalsprache, also ungarisch. Für die Veröffentlichung wurde aber der international gebräuchliche englische Titel Bluebeard’s Castle gewählt. Wer kann sich schon A kékszakállú herceg vára merken. Europäisch zeitgemäß wäre es schon, sich langsam an den originalen Namen zu gewöhnen. Zumal auf den Opernbühnen und in Studios inzwischen fast nur noch originalsprachlich agiert wird. Süsskind stellt bei seiner Aufnahme erstmals den gesprochenen Prolog voran, der mit den letzten Worten – einem Melodram gleich – in die Musik überleitet (Ernö Lorsy). Er ist wie ein gesprochenes Vorspiel, wird aber meisten weggelassen, was einem tiefen Eingriff in die Struktur des Einakters gleichkommt. Der Text stimmt auf das Werk ein. Mehr noch, er zieht Hörer und Zuschauer hinein in die Geschichte von den sieben Schreckenskammern, die Blaubart auf das Geheiß von Judith öffnet. Die letzte wird sie selbst für immer aufnehmen. „Das Spiel kann beginnen. Aufgeschlagen sind die Wimpernvorhänge meiner Augen. Klatscht Beifall, wenn sie sich wieder senken“, heißt es in der deutschen Fassung des Prologs von Wilhelm Ziegler. Von Mal zu Mal steigert sich der musikalische Ausdruck, um sich mit der fünften Tür, hinter der sich ein Ausblick ins weite Reich von Blaubarts Schreckensherrschaft auftut, gigantisch und bedrohlich zu entladen. In konzertanten Aufführungen fällt an dieser Stelle die Orgel machtvoll ein, die es bei Süsskind aber nicht gibt.

Judith Hellwig, 1906 geboren und keine Deutsche, wie es der Name vermuten lässt, singt die Judith. Sie stammt aus der Slowakei und wurde in Brünn ausgebildet. Sprachlich dürfte mit dem Ungarischen vertraut gewesen sein, ist im Ausdruck sogar klarer und deutlicher als der gleichaltrige Muttersprachler Endre Koreh als Blaubart. Beide sind ihren Aufgaben vortrefflich gewachsen, auch deshalb, weil sie sich als Teil der Musik verstehen und keine herausgehobenen eigenen Wege gehen. Es ist, als ob sie sich dem Werk unterwerfen. Aufgefüllt ist die CD mit Bartóks Cantata Profana, in der unter der Leitung von Süsskind der Tenor Richard Lewis und der Bariton Marko Rothmüller auftreten. Damit wird die übliche Kapazität einer CD um gefährliche fast zwei Minuten übertroffen. Rüdiger Winter 

 

In die Spitzenränge der Aufführungsstatistiken hat es Bartóks Herzog Blaubarts Burg nie geschafft, ganz und gar nicht seiner Bedeutung für die Musik des 20. Jahrhunderts entsprechend. Diese Bedeutung ist an der Vielzahl der Einspielungen abzulesen, darunter viele, einige der besten, von ungarischen bzw. ungarisch stämmigen Dirigenten wie Fricsay, Dorati, Kertész, Solti, Fischer, wobei ich besonders die alte unter Georges Sébastien von 1951 mit Mihaly Székely schätze. Die neue Aufnahme unter Esa-Pekka Salonen bei Signum classics wird man fraglos zu den besten Aufnahmen zählen (SIGCD372). Entstanden ist sie im Wiener Konzerthaus im Rahmen der Konzerte, die das Philharmonia Orchestra in 2011 in einigen europäischen Metropolen gab.

Auffallend gleich – nach der leider flachen englischsprachigen Erzählerin, auf die man unbedingt hätte verzichten müssen – das klare und runde Klangbild mit den deutlich in den Vordergrund gerückten Protagonisten, die nie in den Klangfluten untergehen und bei ziemlich gutem Ungarisch, einer bemühten Artikulation, der auch ein Ungarisch-Anfänger folgen kann, einen einstündigen Spaziergang von Tür zu Tür bieten, der einer psychoanalytischen Sitzung gleichkommt. Vor allem der zum Zeitpunkt der Aufnahme 65jährige John Tomlinson, dessen Stimme schon lange Zeichen des Verfalls trägt, vermag durch eine ansprechende und noble Interpretation zu fesseln. Tomlinsons Blaubart ist natürlich ein reifer, sogar alter Mann, schwankend zwischen Trauer, Resignation und Wut, der beim Öffnen jeder Tür, die eines seiner Geheimnisse enthüllt, zunehmend gebrochen, doch nicht kraftlos wirkt. Zum spannenden Miteinander zweier gleich starker, sich umschleichender und belauernder Menschen wird der Einakter durch die mehr als zwanzig Jahre jüngere Michelle DeYoung, die sich als ausgezeichnete, sinnlich und klangvoll in allen Registern singende Judith nachdrücklich in Erinnerung bringt. Salonen gibt beiden Raum sich zu entfalten, was heißt, dass er gelegentlich bedächtig und langsam ist, dabei um so skrupulöser und dichter in der Aussage, wobei das Philharmonia Orchestra selbst in den größten Klangmassen nie breiig, sondern immer geballt, wuchtig und prächtig klingt. Rolf Fath

 

1-CD Blaubart (Kubelik)Der Regisseur Ernst Lert, der 1922 die deutsche Erstaufführung des Werkes in Frankfurt betreute, sprach von einem „Drama der abstrakten Ideen“. Es handele sich nicht um einen „Kampf zwischen Menschen“. Vielmehr sei Bartóks Blaubart eine „spektakuläre Kantate oder eine Symphonie mit Gesang“. Wer sich den von Audite vorgelegten Mitschnitt von 1962 aus Luzern genau anhört, bekommt eine musikalische Vorstellung von Lerts gedanklichem Ansatz (95.626).Darin sehe ich den interessantesten Wert dieser Veröffentlichung in packender Tonqualität. Bei diesem Label ist Verlass darauf, dass Rundfunkbänder zugrunde liegen. Es handelt sich um eine konzertante Aufführung unter Rafael Kubelik, der für den schon schwer erkrankten Ferenc Fricsay einsprang. Gesungen wird in deutscher Sprache, deutlich und vernehmbar, was dem Verständnis für das schwierige Opus entgegen kommt. Bei allem Respekt für das ungarische Original. Blaubart ist eines der Werke, dem niemand mit einem Blick in den Opernführer etwas abgewinnen kann, denn es gibt eigentlich keine simple Handlung.

Die Überraschung ist Irmgard Seefried als Judith. Bei der Ankündigung der Neuerscheinung ging ich von einem Irrtum aus. Die Seefried, eine ausgewiesene Mozartsängerin, mit der vornehmlich lyrischen Liedliteratur bestens vertraut, in dieser Partie, die gemeinhin als sehr dramatisch, wenn nicht gar hochdramatisch gilt? Irrtum ausgeschlossen, es ist die Seefried, unverkennbar mit ihrem samtigen Sopran, der stets einen Schuss Naivität hat – und nicht nur, weil ihr Name schwarz auf weiß gedruckt ist. Das Booklet macht schlau. Es berichtet, dass die Seefried vier Jahre nach dem Konzert, also 1966 die Judith auch auf der Bühne der Wiener Volksoper gegeben hat.

Ich gebe es gern zu, immer der Öffnung der fünften Tür entgegen zu fiebern, hinter der sich unter dem lauten Aufschrei der Judith, Blaubarts großes Reich in strahlendem Licht ausbreitet – soweit die Blicke reichen. Orgelklänge türmen sich auf, als wollten sie dem Bild zusätzlich Bedeutung und Feierlichkeit verleihen. Nicht so hier. Kein Schrei, keine Orgel. Judith entfährt das „Ah!“ ehr beiläufig. Sie ist so beeindruckt nicht – und es ist ein starker Moment, in dem Blaubart plötzlich keine Macht über sie hat. Mir ist keine Aufnahme bekannt – und es dürfte inzwischen so an die dreißig geben – in der diese Szene, die sich als symptomatisch für die gesamte Aufführung erweist, so zwingend gelingt. Im Verein mit der mitunter fast lakonischen Seefried kann mich Dietrich Fischer-Dieskau als Blaubart mehr überzeugen als in seinen anderen beiden Studio-Aufnahmen. Der Einsatz der Orgel ist in dieser Konzertfassung nicht zwingend, der Verzicht auf den gesprochenen Prolog, von dem es deutsche Übersetzungen gibt, unverständlich. Verfasser ist Bartók selbst. Der Prolog bildet in der Struktur des Werkes den inhaltlichen Einstieg – auch wenn es kein musikalischer ist. Er zieht das Publikum hinein. Erst daraus ergibt sich die starke Wirkung des geheimnisvollen Beginns im Orchester. Rüdiger Winter

Return

Louis Niedermeyers „Marie Stuart“

.

Louis Niedermeyer? Der Name klingt wie der eines Marzipanfabrikanten oder eines Handtaschenherstellers. Aber nein – gerade ist bei Alpha ein Recital von Véronique Gens erschienen, auf dem sie eine Arie aus einer Oper  von Niedermeyer singt, zumal aus seiner erfolgreichsten, Stradella. Und Rossini-Fans werden sicher den Mitschnitt des Robert Bruce (nach Rossini) aus Martina Franca 2002 im Regal haben. Also: Louis Niedermeyer ist ein heute kaum mehr bekannter, aber zu seiner Zeit sehr renommierter Bonvivant des französischen Musiklebens gewesen, sicher kein so genialer wie manche seiner berühmteren Zeitgenossen, aber doch ein ebenso fleißiger wie erfinderischer.

Louis Niedermeyer/ OBA

Das Festival von Martina Franca, das ja stets an Raritäten interessiert ist, stellte im Sommer 2002 eben diesen Robert Bruce vor, ein Pasticcio nach Rossini (mit dessen Wohlwollen), das von Louis Niedermeyer realisiert wurde, einem Komponisten und Pädagogen, dessen 200. Geburtstag in dasselbe Jahr fiel. Dieser, vor allem als Reformer der religiösen Musik und besonders durch seine nach ihm benannte Schule bekannt, komponierte auch Opern, Lieder und Stücke für Klavier – Facetten, die das Festival 2002 damals ebenfalls würdigte.

.

Und wer war nun Louis Niedermeyer? Am 27. April 1802 tatsächlich im schweizerischen  Nyon geboren, lebte er mehr als sechsunddreißig Jahre in Paris. Als Freund von Rossini und vom Theater besessen, war er dort allerdings eher glücklos. Obwohl protestantisch getauft, tat er sich durch die Wiederbelebung der katholischen Kirchenmusik hervor. Seine strenge Lehre erinnert zwar an Fauré, besitzt aber auch schon die Verve späterer Operettenkomponisten – etwa Messager oder Audran. Seine Leidenschaft für die Musik der Renaissance und den Kirchengesang hielt nicht an einer erstarrten Vergangenheit fest, sondern wirkte nachhaltig auf Spätere wie Ravel , Debussy, Dukas, Schmitt, Fauré oder Messiaen.

.

Herkunft und Weg: Die Niedermeyers stammten aus Bayern. Der Großvater war Baron Niedermeyer von Altenbourg und Singenbach. Einer geplanten geistlichen Karriere widersetzte sich der ältere der beiden Söhne, indem er nach Genf floh, wo er vom Cembalo-Unterricht lebte und mit 32 eine Protestantin heiratete. Er trat dann die Nachfolge seines Schwiegervaters an der Spitze der Porzellanmanufaktur von Nyon an. Sein ältester Sohn wiederum war Louis, der später eine Protestantin heiratete, während dessen Enkelkinder wieder zur katholischen Kirche zurückkehrten. Religion war also wichtig in dieser Familie.

Illustration zu Niedermeyers Oper „Stradella“/ OBA

Mit 17 Jahren vollendete der frühbegabte Louis seine musikalische Ausbildung in Wien, bei Moscheles für Klavier und bei Förster für Harmonielehre und Komposition. Danach begab er sich 1820 nach Rom zum Studium bei Fioranvanti, dann nach Neapel bei Zingarelli. In diese Zeit fällt seine Freundschaft mit Rossini. Mit dessen Ratschlägen komponierte er seine erste Oper II reo per amore, am Teatro del Funde in Neapel uraufgeführt und heute verschollen. Aber das Zentrum des Opernlebens war damals unzweifelhaft Paris. Als Niedermeyer dort 1825 eintraf, befand sich Rossini in den Vorbereitungen für seinen Viaggio a Reims am Theätre Italièn anlässlich der Krönung von Charles X. Auch gab man an der Opéra Liszts Don Sanche, während in der Opéra-Comique La Dame blanche von Boieldieu ihre triumphale und unendlich scheinende Herrschaft antrat. Niedermeyer, der von liebenswerter und diskreter Wesensart war, suchte anfangs nicht den Beifall eines Zirkustreibens (i. e. die Oper), sondern wählte ein Genre,  das in den königlichen salons beliebt war, die Romanze. Mit Beziehungen erreichte er beim Verleger Pacini (nicht verwandt mit dem Komponisten, aber ebenfalls bekannt als Bearbeiter der Partituren anderer) die Publizierung seiner originellen und dramatischen Partitur auf das Gedicht Le Lac von Lamartine, mit sofortigem Erfolg in Paris und in ganz Europa. Eine umfangreiche Zahl von mélodies folgte, von denen etwa dreißig durch die Verleger Pacini und Choudens herausgegeben und durch Chöre und Szenen vervollständigt wurden . Zu den vertonten Autoren gehörten Hugo, Millevoye, Deschamps, Delavigne, Pacini Sohn, Racine und  andere.

Saint-Saens, der sich rühmte, bei Niedermeyer Schüler und dann Professor gewesen zu sein, urteilte, dass dieser es verstanden habe, den traditionellen Rahmen  des  Klavierliedes  zu  sprengen und „ein neues Genre von hoher Kunst, ähnlich dem deutschen Lied“ geschaffen und so den Weg für Gounod und seine Nachfolger gebahnt zu haben, was zu beurteilen heute schwierig ist, da man so gut wie nichts aus diesem Bereich des Schaffens Niedermeyers (und wenig von anderen) kennt, aber sein rein mengenmäßiger Ausstoß an Kompositionen ist erstaunlich .

.

Zu Niedermeyer: Teresa Stoltz als Marie in „Robert Bruce“/ BNO/ Programmheft Martina-Franca

Opern: Es ist ebenso schwierig, etwas über die theatralischen Verdienste des Wahl-Parisers zu sagen. Wo hört man heute schon auf der Bühne Stradella, Marie Stuart oder La Fronde? Dennoch war seine Opern-Karriere auch darin relativ erfolgreich und begann am 15. Juli 1828 im Théâtre Italien mit der Uraufführung von La casa nel bosco. Die Kritik lobte den Einfluss Mozarts und die Eleganz der Instrumentation. Niedermeyer legte aus familiären Gründen eine Pause in der Schweiz ein, heiratete und präsentierte 1833 zurück in Paris seine Oper Stradella auf das Libretto von Emilien Pacini  (Arrangeur von Ivanhoé nach Rossini – zwei Aufführungen des Ivanhoé aus Montpellier und Martina Franca kursieren unter Sammlern) und Emile Deschamps auf die durch von Flotow bekannte Geschichte. Man geizte nicht an Kostümen und den sieben von vier verschiedenen Malern entworfenen Bühnenbildern und kündigte einen musikalischen Stil an, „der der italienischen Schule, die Rossini vorangegangen war, angehörte“. Adolphe Nourrit sang glanzvoll den Stradella. Cornelie Falcon, bereits triumphal erfolgreich neben ihm in La Juive und Les Huguenots, sang die Léonor.

.

Zu Niedermeyer: „Robert Bruce“ ist bei Dynamic erschienen

Der MusikerKollege und Schriftsteller Castil-Blaze meinte, dass die Partitur „sehr schöne Teile enthalte, die ein besseres Schicksal verdient hätten.“ Andere vermissten mehr Nähe zum Originalkomponisten Stradella.  Der Tenor Duprez,  der danach die Rolle übernahm, sagte, dass „das Werk schön, melodisch und dramatisch ist. Es hat die wichtigsten Elemente jeder Musik, Melodie, Harmonie und Rhythmus, die die Neuen heute durch eine sinnlose und lärmende orchestrale Wissenschaft ersetzen“. Ab 1840 auf drei Akte reduziert und zusammen mit Balletten gegeben, blieb Stradella bis 1845 auf dem Spielplan. Das finanzielle Ergebnis war nicht unbeachtlich – die durchschnittlichen Einnahmen waren beispielsweise 6900 Francs – also höher als die der ersten zwölf Vorstellungen von Guillaume Tell, die sich durchschnittlich auf 6800 Francs beliefen.

.

Niedermeyer gründete 1840 die „Gesellschaft für vokale und religiöse Musik“, um Werke für Gesang, mit oder ohne Orgelbegleitung, hauptsächlich von italienischen, deutschen, belgischen und französischen Komponisten des 16. und 17. Jahrhunderts mit begabten Amateuren aufzuführen. Ende 1843 schlug der Direktor der Opera, Leon Pillet, Niedermeyer das Libretto für ein neues Werk vor: Marie Stuart, ein drâme lyrique „in fünf Morden und sechs Kostümen für Madame Stoltz“ (Castil-Blaze). Die erste Vorstellung wurde durch die Anwesenheit des Königs Louis-Philippe geehrt; und die Tränen der Königin Marie-Amelie bei der Romanze  „Les Adieux brachten dem Komponisten das Kreuz der Ehrenlegion ein. Theophile Gautier fand die Musik „voll von Kunst, Wissenschaft, Anmut und Melodie“, warf Niedermeyer  aber vor, zu wenig Schwungwie auch zu häufig die Molltonart eingesetzt  zu haben,  was  der  Musik gelgentlich eine  etwas glanzlose Farbe gebe. Der Erfolg hielt dennoch drei Jahre an, dann wurde die Oper auf den Spielplan des Königlichen Theaters Stuttgart (!!!) gesetzt.

.

Zu Niedermeyer: Szene aus „La Fronde“/ BNO/ Programmheft Martina-Franca

Die Freundschaft mit Rossini hatte während des Aufenthaltes in Neapel begonnen und führte zu einem merkwürdigen Ergebnis. Nach Marie Stuart forderte die Musikakademie eine neues Werk von Rossini. Dieser stimmte dann zu, einige Werke zu adaptieren, und vertraute Niedermeyer die undankbare Aufgabe an, die Teile zusammenzufügen. Im Jahr 1845 ließ sich Niedermeyer also in Bologna bei Rossini nieder und machte sich an die Arbeit für Robert Bruce. Es wurden nicht weniger als fünf Opern – Zelmira, La donna del lago, Torvaldo e Dorliska, Bianca e Falliero und Armida – „geplündert“. „Wir haben nicht den Mut, Skandal zu rufen, da diese Nachahmung das französische Repertoire mit sehr schönen Melodien aus Opern, die man nicht mehr spielt, bereichert hat“, schrieb die Kritik. Die Premiere am 30. Dezember 1846 – dasselbe Jahr wie das von La Damnation de Faust von Berlioz – verlief stürmisch. La Stolz, von den Logisten bepöbelt, lief wütend über die Bühne und zerriss ihr Taschentuch mit den Zähnen. Skan­dal!!! Castil-Blaze beurteilte die Ausführung als lächerlich in jeder Hinsicht. Er erzählte, dass Rossini sich selbst über „diesen edlen Abklatsch“ lustig gemacht habe.

.

Niedermeyer hatte kaum mehr Glück mit seinem letzten  Opern-Versuch auf ein Libretto von Auguste Marquet und Jules Lacroix La Fronde mit einem historischen Thema. Denn trotz der vielen Intrigen, die zum Misserfolg führten, findet man auch viele Stellen, die aus anderen Opern der Zeit abgeschrieben sind.

.

Zu Niedermeyer: Szene aus „Marie Stuart“ auf einer Beilage der Firma Chcolat Guèrin-Boutron/ OBA

Nein, das Interesse am opernnahen Werk Niedermeyers orientiert sich eher an der Unzahl der Klavierfassungen von Arien und Szenen für Klavier und andere Instrumente. Im Alter von 59 Jahren wurde er durch eine Angina pectoris dahingerafft und hinterließ seine Familie in Armut. Der Zauber des Melodikers wie auch der des Theatermannes wurde durch die Umstände der Zeit überschattet. Er war jedoch der erste, der das Modalsystem in der modernen Musik einführte, dank seiner Arbeit über die Begleitung des (gregorianischen) Chorals. Seine theoretische und praktische Lehrtätigkeit, die durch die Abhandlung von Lefevre konkretisiert wurde, bildete den Fokus der Harmonik von Fauré, Méssager, Chabrier, Debussy und Ravel. Schließlich erlaubte die bemerkenswerte Popularisierung der Werke des 16. und 17. Jahrhunderts einer großen Anzahl von Menschen, sie ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu hören, zu verstehen, sie zu verbreiten und so der Musik einen weiten Forschungsbereich zu öffnen. Stefan Lauter

.

.

(Der Artikel von Stefan Lauter orientiert sich an einem Aufsatz von Benedicte Palaux Simonnet in der französischen Zeitschrift Opera International/Juli 2002; Dank an Ingrid Englitsch für die Übersetzungshilfen und Wolfgang Denker für die Archivarbeit; Robert Bruce erschien bei Dynamic, weitere kleine Werke von Niedermeyer gibt es bei youtube, und eine Arie aus Stradella gesungen von Véronique Gens bei Alpha. Das Foto oben zeigt Maria Stuart in der Illustration für Schillers Drama von Ramberg 1859/ OBA)

.

.

Seit dem Jahr 2000 bringt die Oper im Knopfloch Zürich Jahr für Jahr ein Stück vernachlässigten Musiktheaters auf die Bühne, von Barock bis Gegenwart, von Hasse über Hahn zu Heggie, von zwei Vertonungen von The Importance of Being Earnest (Paul Burkhard und Castelnuovo-Tedesco) über Prestami tua moglie von Leoncavallo zu Offenbachs Geneviève de Brabant, Sullivans Zoo und Waltons Bear nach Tschechov, um nur das Feld abzustecken – stets mit mehr Einfallsreichtum und Charme als Platz und Mitteln. 2018 hat diese Pêcheuse de perles unter den freien Opernkompanien der Deutschschweiz sich nichts Geringeres als eine Grand Opéra vorgenommen, die 1844 uraufgeführte Marie Stuart von Louis Niedermeyer (Première am 20.10. 2018). Dem Nichtspezialisten ist der 1802 in Nyon am Genfersee geborene Komponist mit bayerischen Wurzeln, der ab 1825 bis zu seinem Tode 1861 in Paris lebte und wirkte, am ehesten noch ein Begriff als Gründer und Direktor der École Niedermeyer daselbst, zu deren Zöglingen u.a. Saint-Saëns, Fauré und Messager zählen.

Diese Grand Opéra nun also im rund 80 Plätze zählenden Kellertheater Stok in Zürich, vom Publikum für die Atmosphäre, die Steinmauern, Pfeiler und Gewölbe geliebt, von der Regie für die maximal 24 m2 Spielfläche ohne Hinterbühne, dafür mit Publikum auf drei Seiten, gefürchtet. Ohne Chor, ohne Ballett, mit sechs Sängerinnen und Sängern und einem dirigentenlosen Holzbläserquartett – zweifellos ein kühnes Unterfangen, aber im vorliegenden Fall gewusst wie. Angefangen bei dem gelungenen Bläserarrangement von Jiří Slabihoudek, ein Klangkörper, der sich für den aufgrund der Mauern resonanzreichen Raum, wo schon ein Flügel überakustisch werden kann, ausgezeichnet eignet. Ob die Oboe Hornrufe imitiert oder die Flöte mit Flatterzunge Streichertremolos ersetzt – Isabell Weymann (Flöte), Elena Gonzalez (Oboe), Gurgen Kakoyan (Klarinette) und Alessandro Damele (Fagott) sind ein fabelhaft farbenreiches Orchester, von Kateryna Tereshchenko bestens einstudiert, und begleiten die Sänger/-innen mit aller gebotenen Aufmerksamkeit.

Regisseur Yaron David Müller-Zach findet ebenfalls einen überzeugenden Weg, die für eine Ausstattungsschlacht konzipierte Grand Opéra als Kammerspiel in Bild und Szene zu setzen. Fünf Stühle, Herbstlaub auf dem Boden und einige markante Requisiten reichen. Eine Krone (die im Lauf des Abends ebenso oft auf Köpfen wie auf dem Boden zu sehen ist), ein Kranz aus weißen Rosen als ihr Gegenstück (Macht und Liebe…), ein Dolch, je eine Fahne für die drei Spielorte Frankreich, Schottland und England – ach ja, die Oper beginnt mit Marie Stuarts Abschied von Frankreich, von wo sie aufbricht, um Königin von Schottland zu werden. Etwas französische Erde nimmt sie in der gefalteten französischen Lilienfahne mit, wo sie sie zuletzt im englischen Kerker wiederfindet. Weitere Stationen der Handlung: Maries Hochzeit mit Lord Darnley; dessen Verschwörung mit Maries missgünstigem Halbbruder Murray zu Ermordung von Rizzio, dem Sekretär und Liebhaber der Königin; Marie in Hausarrest nach der Ermordung ihres Gatten, wo sie zur Abdankung zu Gunsten Murrays gezwungen wird; schließlich die Begegnung mit Elizabeth I. im englischen Kerker – anders als die Akte davor nun zweifellos von Schiller inspiriert, auch ohne figlia impura di Bolena.

Oper im Knopfloch, Zürich: „Marie Stuart“ von Louis Niedermeyer/ Szene/ Foto wie auch oben  Bernard Fuchs

Auch die große Geste verbietet sich in der intimen Theatersituation – sie wird ersetzt durch konzentriertes, psychologisch glaubwürdiges Spiel im eben stets angedeuteten Bühnenbild. Rosina Zoppi, die künstlerische Leiterin der Oper im Knopfloch, vollbringt darin eine großartige Leistung mit sparsamer, aber ausdrucksstarker Gestik und Mimik. Ihre Marie Stuart ist frei von falschem Pathos, glaubwürdig in jeder Lage und hoheitsvoll durch die selbe Schlichtheit, mit der sie z.B. das Adieu von Frankreich auch musikalisch tiefempfunden gestaltet. Bothwell, der sich noch in Frankreich in sie verliebt und bis zur misslingenden Flucht aus der schottischen Haft ihr treu bleibt, ist Raimund Wiederkehr mit geschmeidig geführtem Tenor, dem die Eleganz der lyrischen Nummern ebenso zu Gebote steht wie die Intensität für die heldischen Momente. Mit seinem lebendigen Spiel ist er schon als Verliebter eine interessante Figur; packend in dem Duett, wo er Marie sowohl gestehen muss, dass er bei Rizzios Ermordung mit von der Partie war, als auch Fluchthilfe anbieten will. Im A-capella-Trio der Herren ist er die klangschöne Stütze. Den schmierigen Intriganten Murray portraitiert der Bariton Fabrice Raviola vom ersten Moment an plastisch; in seiner zweiteiligen Arie zeigt er unerwartet differenzierte Aspekte (von Niedermeyer komponiert, von Raviola eindringlich interpretiert): im langsamen Teil Gewissensbisse Marie gegenüber, im schnellen die wütende Gier nach der Krone, durch seine Demütigung als Bastard der Stuarts motiviert. Den andern beiden tiefen Männerpartien – Maries Gatten Darnley und ihrem Widersacher Lord Ruthven – leiht Aram Ohanian seinen kernigen, angemessen dunkleren Bariton. Die Rollen wechselt er z.T. auf offener Bühne per einfachem Jackettwechsel. Bei der Gelegenheit ein Lob an die kleidsamen und die drei Nationalitäten mit Einzelelementen anzeigenden Kostüme von Antonia Stadlin.

Als Page Georges erfreut Nicole Hitz mit höhensicherem und agilem Sopran. Im Duett mit der Königin stellt sie offenbar auch den gleich danach gemeuchelt werdenden Hofmusiker und Favorit Rizzio dar. Ob die Ensemblenummer, die den Mord an Rizzio (und zugleich die Pause) rahmt und auf Auld lang syne beruht, auch originaler Niedermeyer ist, der sich einer schottischen Melodie bedient, entzieht sich meiner Kenntnis.

Erst im letzten Akt tritt Elizabeth I. auf – Stephanie Bühlmann, die zunächst als Figur überraschend jung und unsicher wirkt, bezieht Autorität aus ihrem schön gerundeten Sopran und erlangt in der Auseinandersetzung mit Marie auch szenisch Postur. Die Szene ist kraftvoll komponiert, eine echte Alternative zu Donizettis Version. Überhaupt wirkt Niedermeyers Musik auf mich melodisch inspiriert und voller verschiedener Tonfälle für die Stimmungen von lieblich-idyllisch bis zu dramatischen Konflikten und Racheensembles. Vergleiche fallen mir nach einmaligem Anhören schwer, aber der Rossini des Tell und Auber scheinen mir am nächsten zu sein. Bei einer Spielzeit von rund 2 Stunden (ohne die Pause) ist sicher einiges gestrichen worden (wohl vor allem Chöre, Ballette und andere Massennummern), aber selbst wenn das Gestrichene alles schwächer als das Gehörte sein sollte, würde ich diese inspirierte und bühnenwirksame Komposition sehr gern vollständig an einem großen Haus hören. Bis zum 28. Oktober kann man diese Rarität noch in der gelungenen Fassung der Oper im Knopfloch kennen lernen (www.operimknopfloch.ch) – nichts wie hin! Samuel Zinsli

.

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Neue Recitals

 

 

Classic Vienna klingt irgendwie nach André Rieu. Nicht doch. Dahinter verbirgt sich ein anspruchsvoll ausgewogenes Programm, das Lena Belkina auf ihrem zweiten Album vorlegt (Sony Classics 88985441842). Die in Taschkent geborene, in der Ukraine aufgewachsene und in Kiew sowie in Leipzig ausgebildete Mezzosopranistin war ab 2009 für drei Jahre Ensemblemitglied der Oper Leipzig und sang dann Kleines an der Wiener Staatsoper (Flora und die Zweite Elfe), aber auch die Zweite Dame und Cherubino. Sie trat in Pesaro auf, war häufig Rossinis Aschenputtel und wird im Herbst in Genf die Rosina und 2018 in Lausanne die Elena in La donna del lago singen. Bereits im Frühjahr 2015 hat sie in Wien mit dem Radio Sinfonieorchester des ORF unter dem 33jährigen Noch-GMD des Gerhart-Hauptmann-Theaters Andrea Sanguinetti, die gleich mit der Così-Ouverture aufhorchen lassen (es folgen noch Glucks Armide-Ouverture und die Sinfonia aus Haydns Acide e Galatea) das stilsichere Mozart-Gluck-Haydn-Programm aufgenommen. Mit ihrem klangvoll dunklen, weich abschattierten, bruchlos durchgebildeten Mezzosopran gibt Belkina dem Sesto („Parto, ma tu ben mio“) und Idamante („Il padre adorato“) ein Gesicht und singt Szene und Rondo „Ch’io mi scordi di te“ ebenso brillant wie in den lyrischen Passagen erfüllt. Belkina ist eine geschmackvolle und kultivierte Sängerin, deren Vortrag Eleganz und Ausdruck verbindet und deren Stimme sich in den lyrisch-elegischen Gluck-Szenen (Orfeos „Che puro ciel“ und Parides „Oh, del mio dolce ardor“) und Haydns freilich auch leidenschaftlich geschärfter Szene der Berenice („Berenice, che fai?“), wo sie manchmal von verhangener Grobkörnigkeit ist, am schönsten entfaltet. Temperament zeigt sie in Costanzas „Se non piange un’ infelice“ aus Haydns Isola disabitata.

 

Bei ihrem Bayreuth-Debüt 2013 als Freia in Castorfs Ring hatte die damals 37jährige Schwedin Elisabet Strid wenig Fortune. Noch einmal kehrte sie im folgenden Jahr zurück, dann suchte sie, die in ihrer Geburtsstadt Malmö und in Stockholm ausgebildet wurde und ihren Durchbruch 2006 als Rusalka hatte, ihr Glück andernorts. Als Senta in Düsseldorf, Chrysothemis in Helsinki, Salome und Siegfried-Brünnhilde in Leipzig. Oder es zog sie nach Sofia, wo sie im Mai 2016 mit dem Bulgarian National Radio Symphony Orchestra unter Ivan Anguelov Leuchtende Liebe aufnahm, eine Leistungsschau in Sachen Wagner von der Ada in Die Feen über Elisabeth, Senta, Elsa, Isolde und Sieglinde bis zu Brünnhildes „Ewig war ich“, der sie Leonores „Abscheulicher! Wo eilst hin? vorangestellt hat (Oehms Classics OC 1882). Die Fidelio-Leonore gerät ihr noch zögerlich, ein wenig flach in der Tiefe und vorsichtig in der Höhe, doch bereits ihrer Senta merkt man die Bühnenerfahrung an. Strid singt mit heller, klarer, jugendlich-dramatisch zupackender Attacke und rechter Durchschlagskraft, ohne jedoch besonders individuell zu wirken. In der sauber austarierten „Hallenarie“ der Elisabeth ist der Klang raumgreifend groß und leuchtend, doch in der Höhe auch unstet flackernd; bei „Allmächt’ ge Jungfrau“ wirkt sie, wie auch bei Elsas „Einsam in trüben Tagen“, nicht sehr involviert bzw. fehlt es der Stimme an Wärme und Innigkeit. Ein wenig davon zeigt sie in Isoldes „Liebestod“, als Sieglinde („Der Männer Sippe“ und „Du bist der Lenz“), aber auch in Brünnhildes zartem „Ewig war ich“, doch insgesamt scheinen ihr die dramatischen Höhepunkte eher zu liegen. Da ist man dann auch zufrieden, dass die Aufnahme mit 53 Minuten nicht übervoll ausgefallen ist.

 

Fast schon ein Altmeister mit einer umfangreichen Diskographie ist der Erfurter Stephan Gentz, der bereits seit zwei Jahrzehnten im Geschäft ist bzw. auf den Konzertprodien, seltener auf der Opernbühne, aber als Lehrer auch am Pariser Conservatoire anzutreffen ist. Ebenso lange währt die Partnerschaft mit Michel Dalberto, mit dem er im Frühjahr 2017, ergänzt um das Klavierstück D 946, Schuberts Schwanengesang aufnahm (aparté music AP 151) und die André Tubeuf im Beiheft (frz., engl. und dt.) sehr schön beleuchtet. In der posthum als Schwanengesang veröffentlichten Sammlung von 14 Liedern auf Texte von Rellstab, Heine und Seidl zeigen Gentz und Dalberto wie eng und meisterhaft sie als Duo verschmolzen sind, wie gleichermaßen instinktiv und klug beobachtend sie auf einander reagieren und Momente von theatralischer Intensität erzeugen. Das zeigt sich in den behutsam und dicht ausgebreiteten Rellstab-Liedern, deren Texte nicht das Niveau Heines erreichen – und die bei der Aufnahme von den restlichen Liedern durch das zweite Klavierstück D 946 getrennt wurden. Das Duo beschwört eine feine, grau getönte, intensive Winterreise-Atmosphäre, die den Schwanengesang aber nicht duster einebnet, sondern auch das heitere „Ade! Du muntere, du fröhliche Stadt“ zur Geltung bringt. Genz singt mit fahlen Farben, gebrochen im Ausdruck, sehr zurückgenommen im Klang, behutsam, leise, fast flüsternd und uneitel, Die Diktion ist fabelhaft. Wie gekonnt er über die gesamte Palette an Klangfarben und einen schönen Ton verfügt, zeigt Genz mit seinem hier kraftvoll und energisch eingesetzten Bariton beispielsweise in „Am Meer“ und „Der Doppelgänger“.

 

Einen leichteren Spaziergang unternimmt die französische Harfenistin Sandrine Chatron, die sich für A British Promenade durch die englische Musik des 20. Jahrhunderts die Cellistin Ophélie Gaillard und den Tenor Michael Bennett als Begleiter geholt hat (aparté music AP 140). Der Spaziergang führt vorbei an Bedeutendem und (viel) weniger Bedeutendem. Im (nur englischsprachigen) Beiheft wird darauf hingewiesen, dass die Mehrzahl der ausgewählten Komponisten an den Hochschulen des Königreiches ausgebildet wurde und einige später wiederum hier lehrten – Herbert Howells, Eugène Goossens, Edmund Rubbra und Britten am Royal College of Music, Granville Bantock und York Brown an der Royal Academy of Music; Die Stücke entstanden in den 1920er bis 60er Jahren und dürften für interessierte Hörer eine Fundgrube sein. Wann hört man schon Werke von Cyrill Scott und Grace Williams, die allerdings insofern eine Ausnahme darstellen, da sie in Frankfurt und Wien ausgebildet wurden. Rolf Fath