In der langen Reihe der Aufnahmen von Bela Bartóks Herzog Blaubarts Burg rangiert die Einspielung unter der Leitung von Walter Süsskind ganz vorn. Sie entstand 1953. Davor ist lediglich die von Georges Sebastian geleitete Einspielung von 1951 nachweisbar. 1953 war ein guter Jahrgang für den symbolistischen Einakter des ungarischen Komponisten. Neben Süsskind, der aus Prag stammte und später britischer Staatsbürger wurde, ist der Ungar Ferenc Fricsay mit seiner ersten Aufnahme, einem deutsch gesungenen Rundfunkmitschnitt aus Schweden mit Birgit Nilsson und Bernhard Sönnerstedt dokumentiert. Dazu kommt, ebenfalls in deutscher Fassung, die Produktion des österreichischen Dirigenten Herbert Häfner mit den Wiener Symphoniker und den Solisten Ilona Steingruber und Otto Wiener. Es war Häfners letzte Platte. Er starb noch vor der Veröffentlichung mit nur sechsundvierzig Jahren den Herztod am Dirigentenpult. Häfner, der auch Bergs Lulu mit der Steingruber einspielte, galt als Spezialist für die Moderne. Seine Spuren sind verweht. Nicht einmal das sich gern als allwissend gebende Internet weiß viel über ihn.
Zurück zu Süsskind, auf dem CD-Cover Susskind geschrieben. Seine Einspielung aus London mit dem New Symphony Orchestra ist bei Praga Digitals (Praga PRD 250 349) neu aufgelegt worden, Zuvor war sie bei Arlecchino zu haben. Gesungen wird in der Originalsprache, also ungarisch. Für die Veröffentlichung wurde aber der international gebräuchliche englische Titel Bluebeard’s Castle gewählt. Wer kann sich schon A kékszakállú herceg vára merken. Europäisch zeitgemäß wäre es schon, sich langsam an den originalen Namen zu gewöhnen. Zumal auf den Opernbühnen und in Studios inzwischen fast nur noch originalsprachlich agiert wird. Süsskind stellt bei seiner Aufnahme erstmals den gesprochenen Prolog voran, der mit den letzten Worten – einem Melodram gleich – in die Musik überleitet (Ernö Lorsy). Er ist wie ein gesprochenes Vorspiel, wird aber meisten weggelassen, was einem tiefen Eingriff in die Struktur des Einakters gleichkommt. Der Text stimmt auf das Werk ein. Mehr noch, er zieht Hörer und Zuschauer hinein in die Geschichte von den sieben Schreckenskammern, die Blaubart auf das Geheiß von Judith öffnet. Die letzte wird sie selbst für immer aufnehmen. „Das Spiel kann beginnen. Aufgeschlagen sind die Wimpernvorhänge meiner Augen. Klatscht Beifall, wenn sie sich wieder senken“, heißt es in der deutschen Fassung des Prologs von Wilhelm Ziegler. Von Mal zu Mal steigert sich der musikalische Ausdruck, um sich mit der fünften Tür, hinter der sich ein Ausblick ins weite Reich von Blaubarts Schreckensherrschaft auftut, gigantisch und bedrohlich zu entladen. In konzertanten Aufführungen fällt an dieser Stelle die Orgel machtvoll ein, die es bei Süsskind aber nicht gibt.
Judith Hellwig, 1906 geboren und keine Deutsche, wie es der Name vermuten lässt, singt die Judith. Sie stammt aus der Slowakei und wurde in Brünn ausgebildet. Sprachlich dürfte mit dem Ungarischen vertraut gewesen sein, ist im Ausdruck sogar klarer und deutlicher als der gleichaltrige Muttersprachler Endre Koreh als Blaubart. Beide sind ihren Aufgaben vortrefflich gewachsen, auch deshalb, weil sie sich als Teil der Musik verstehen und keine herausgehobenen eigenen Wege gehen. Es ist, als ob sie sich dem Werk unterwerfen. Aufgefüllt ist die CD mit Bartóks Cantata Profana, in der unter der Leitung von Süsskind der Tenor Richard Lewis und der Bariton Marko Rothmüller auftreten. Damit wird die übliche Kapazität einer CD um gefährliche fast zwei Minuten übertroffen. Rüdiger Winter
In die Spitzenränge der Aufführungsstatistiken hat es Bartóks Herzog Blaubarts Burg nie geschafft, ganz und gar nicht seiner Bedeutung für die Musik des 20. Jahrhunderts entsprechend. Diese Bedeutung ist an der Vielzahl der Einspielungen abzulesen, darunter viele, einige der besten, von ungarischen bzw. ungarisch stämmigen Dirigenten wie Fricsay, Dorati, Kertész, Solti, Fischer, wobei ich besonders die alte unter Georges Sébastien von 1951 mit Mihaly Székely schätze. Die neue Aufnahme unter Esa-Pekka Salonen bei Signum classics wird man fraglos zu den besten Aufnahmen zählen (SIGCD372). Entstanden ist sie im Wiener Konzerthaus im Rahmen der Konzerte, die das Philharmonia Orchestra in 2011 in einigen europäischen Metropolen gab.
Auffallend gleich – nach der leider flachen englischsprachigen Erzählerin, auf die man unbedingt hätte verzichten müssen – das klare und runde Klangbild mit den deutlich in den Vordergrund gerückten Protagonisten, die nie in den Klangfluten untergehen und bei ziemlich gutem Ungarisch, einer bemühten Artikulation, der auch ein Ungarisch-Anfänger folgen kann, einen einstündigen Spaziergang von Tür zu Tür bieten, der einer psychoanalytischen Sitzung gleichkommt. Vor allem der zum Zeitpunkt der Aufnahme 65jährige John Tomlinson, dessen Stimme schon lange Zeichen des Verfalls trägt, vermag durch eine ansprechende und noble Interpretation zu fesseln. Tomlinsons Blaubart ist natürlich ein reifer, sogar alter Mann, schwankend zwischen Trauer, Resignation und Wut, der beim Öffnen jeder Tür, die eines seiner Geheimnisse enthüllt, zunehmend gebrochen, doch nicht kraftlos wirkt. Zum spannenden Miteinander zweier gleich starker, sich umschleichender und belauernder Menschen wird der Einakter durch die mehr als zwanzig Jahre jüngere Michelle DeYoung, die sich als ausgezeichnete, sinnlich und klangvoll in allen Registern singende Judith nachdrücklich in Erinnerung bringt. Salonen gibt beiden Raum sich zu entfalten, was heißt, dass er gelegentlich bedächtig und langsam ist, dabei um so skrupulöser und dichter in der Aussage, wobei das Philharmonia Orchestra selbst in den größten Klangmassen nie breiig, sondern immer geballt, wuchtig und prächtig klingt. Rolf Fath
Der Regisseur Ernst Lert, der 1922 die deutsche Erstaufführung des Werkes in Frankfurt betreute, sprach von einem „Drama der abstrakten Ideen“. Es handele sich nicht um einen „Kampf zwischen Menschen“. Vielmehr sei Bartóks Blaubart eine „spektakuläre Kantate oder eine Symphonie mit Gesang“. Wer sich den von Audite vorgelegten Mitschnitt von 1962 aus Luzern genau anhört, bekommt eine musikalische Vorstellung von Lerts gedanklichem Ansatz (95.626).Darin sehe ich den interessantesten Wert dieser Veröffentlichung in packender Tonqualität. Bei diesem Label ist Verlass darauf, dass Rundfunkbänder zugrunde liegen. Es handelt sich um eine konzertante Aufführung unter Rafael Kubelik, der für den schon schwer erkrankten Ferenc Fricsay einsprang. Gesungen wird in deutscher Sprache, deutlich und vernehmbar, was dem Verständnis für das schwierige Opus entgegen kommt. Bei allem Respekt für das ungarische Original. Blaubart ist eines der Werke, dem niemand mit einem Blick in den Opernführer etwas abgewinnen kann, denn es gibt eigentlich keine simple Handlung.
Die Überraschung ist Irmgard Seefried als Judith. Bei der Ankündigung der Neuerscheinung ging ich von einem Irrtum aus. Die Seefried, eine ausgewiesene Mozartsängerin, mit der vornehmlich lyrischen Liedliteratur bestens vertraut, in dieser Partie, die gemeinhin als sehr dramatisch, wenn nicht gar hochdramatisch gilt? Irrtum ausgeschlossen, es ist die Seefried, unverkennbar mit ihrem samtigen Sopran, der stets einen Schuss Naivität hat – und nicht nur, weil ihr Name schwarz auf weiß gedruckt ist. Das Booklet macht schlau. Es berichtet, dass die Seefried vier Jahre nach dem Konzert, also 1966 die Judith auch auf der Bühne der Wiener Volksoper gegeben hat.
Ich gebe es gern zu, immer der Öffnung der fünften Tür entgegen zu fiebern, hinter der sich unter dem lauten Aufschrei der Judith, Blaubarts großes Reich in strahlendem Licht ausbreitet – soweit die Blicke reichen. Orgelklänge türmen sich auf, als wollten sie dem Bild zusätzlich Bedeutung und Feierlichkeit verleihen. Nicht so hier. Kein Schrei, keine Orgel. Judith entfährt das „Ah!“ ehr beiläufig. Sie ist so beeindruckt nicht – und es ist ein starker Moment, in dem Blaubart plötzlich keine Macht über sie hat. Mir ist keine Aufnahme bekannt – und es dürfte inzwischen so an die dreißig geben – in der diese Szene, die sich als symptomatisch für die gesamte Aufführung erweist, so zwingend gelingt. Im Verein mit der mitunter fast lakonischen Seefried kann mich Dietrich Fischer-Dieskau als Blaubart mehr überzeugen als in seinen anderen beiden Studio-Aufnahmen. Der Einsatz der Orgel ist in dieser Konzertfassung nicht zwingend, der Verzicht auf den gesprochenen Prolog, von dem es deutsche Übersetzungen gibt, unverständlich. Verfasser ist Bartók selbst. Der Prolog bildet in der Struktur des Werkes den inhaltlichen Einstieg – auch wenn es kein musikalischer ist. Er zieht das Publikum hinein. Erst daraus ergibt sich die starke Wirkung des geheimnisvollen Beginns im Orchester. Rüdiger Winter