Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Saint-Saëns: „Le Timbre d’argent“

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Das sei keine Oper, das sei Alptraum, meinte selbst ihr Autor. An keinem seiner Werke hatte Camille Saint-Saens so lange herumgedoktert wie an seiner ersten Oper Le Timbre d‘argent, mit der er sich, längst als Organist und Pianist ein anerkannter Virtuose, den Durchbruch erhoffte. Und dieser war nur auf der Bühne zu erreichen. Das silberne Glöckchen, ein Gegenstand, wie man ihn einst in großbürgerlichen Haushalten oder an Hotelreceptionen zum Herbeirufen des Personals benutzte, ist eine Totenglocke, die, wäre ihm nicht der Erfolg der im gleichen Jahr uraufgeführten Oper Samson et Dalila hilfreich zur Seite gesprungen, durchaus auch das Ende des Opernkomponisten Saint-Saëns hätte einläuten können. Nachdem Le timbre d’argent eine einigermaßen erfolgreiche Uraufführung und immerhin 18 Aufführungen erlebt hatte, der sich Produktionen in Brüssel, Elberfeld, Köln, Berlin, Monte-Carlo und 1914 abermals in Brüssel anschlossen, folgte das endgültige Aus für das Silberglöckchen. Mehr als hundert Jahre später versuchte jetzt die nach 18monatiger Sanierungen wiedereröffnete Opéra-Comique im Verbund mit dem koproduzierenden Palazzetto Bru Zane, der die Opern-Ausgrabung in sein fünftes „Festival Palazzetto Bru Zane à Paris“ 2017 einbettete, dem Stück Leben einzuhauchen. Die gut gemeinte Reaktion der Premierenbesucher kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Saint-Saëns’ „Alptraum“ vermutlich für immer verstummen würde, wenn Palazzetto Bruno Zane, wie auch von den anderen Opern des Festivals, nicht eine CD (BZ 1041, 2 CD mit vielen zweisprachigen Aufsätzen und dto. Libretto, alles nur englisch-französisch, wogegen sich der deutschsprachige Fan wieder einmal wehrt, sind denn die drei deutschsprachigen Länder Europa der größte Kaüferblock…) folgen ließe. Und hört sich das nun prickelnder an?

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Saint-Saëns‘ „Le Timbre d’argent“ an der Pariser Opéra-Comique/ Szene/ Foto Pierre Grosbois

Es ist ein großer Stoff. Halb Faust, halb Pygmalion. Ein Ringen des Teufels mit dem Künstler. Gold und Verführung, Tod und Leid, Sinnenlust und kleines Glück. Alles in einem, ein Kunstgewebe aus deutscher Romantik, dunklem Teufelspiel, Theaterglanz, Phantasmagorien und Künstlertragödie, und der Begeisterung der Franzosen für dunkle, alptraumhafte Szenarien, wie sie auch durch Edgar Allen Poe nach Frankreich gelangten und nicht nur bei Maupassant auf literarische Resonanz stießen. Der Maler Conrad liegt am Weihnachtsabend elend danieder. Er wird vom Freund Bénédict, seiner Geliebten Hélène und dem Arzt Spiridion umsorgt, den er beschuldigt, ihn nicht zu heilen. Haltlos verliebt er sich in die Tänzerin Fiammetta, die lebendig geworden Circé seines Gemäldes, die ihn in vielerlei Gestalt umwirbt und der er immer wieder erliegt. Ebenso wie den teuflischen Verführungen Spiridions, der ihn lockt, das Silberglöckchen zu läuten, um Wohlstand, Gold und Glück im Spiel und in der Liebe zu finden. Bei jedem Läuten stirbt ein Mensch. Was soll’s, meint Spiridion. Als der Vater von Hélène und ihrer Schwester Rosa stirbt, dann auch der gute Bénédict, sträubt sich Conrad, will den teuflischen Gegenstand beseitigen. Spiridion greift zu immer stärkeren Mitteln der Verführung, bis Conrad endlich nach Hélène ruft, wie Tannhäuser nach Elisabeth, „Chère Hélène, c’est toi, toi seule que j’ adore“. Er wirft die verdammte Glocke von sich. Zurück an den Anfang: Alles nur ein Alptraum. Conrad ist geheilt. Der Chor macht alles gut, „Dieu clément jette un regard paternel! Alléluia!“. Der accentusChor serviert diese Bitte um Vergebung wirkungsvoll aus dem Auditorium, wie mehrfach an diesem Abend. Die Chöre, harmonisch raffiniert gebaut, gehören zu den zentralen Momenten der Oper. Ein reiner Opernchor hätte ihnen vielleicht mehr theatralischen Zunder gegeben, gleichwohl singen die accentus-Sänger gerade und klangreich. La damnation de Faust, Les contes d’ Hoffmann, Faust sie alle umgeistern diese Oper, die keinen eigenen Ton findet.

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Es scheint, als ob man Saint-Saëns bewusst ins Messer laufen ließ. Zweimal hatte man ihm den Prix de Rom verwehrt. Einmal war er zu jung, einmal zu alt. Auber soll sich für Saint-Saens eingesetzt haben, so dass ihm Léon Carvalho, Direktor des Théatre-Lyrique, 1864 einen Stoff von Jules Barbier und Michel Carré anbot, den wohlweislich bereits drei andere abgelehnt hatten, darunter Gounod. Saint-Saëns griff natürlich zu. Die Umgestaltung der ursprünglichen Opéra comique in eine Opéra und abermalige Rückführung in eine Opéra comique usw. hing mit den in Aussicht gestellten Uraufführungsorten zusammen. Das Unternehmen platzte. Dann kam der Krieg von 1870. Als die Oper schließlich am 23. Februar 1877 herauskam, waren dreizehn Jahre seit den Anfängen verstrichen. Saint-Saëns war kein Anfänger mehr, sondern ein gestandener Mann von 42 Jahren. Selbstkritisch genug, nahm er bis zu letzten Brüsseler Produktion von 1914, deren Version jetzt an der Opéra-Comique gespielt wurde, über ein halbes Jahrhundert Modifizierungen vor. Das dürfte einzigartig sein. Saint-Saëns wollte alles richtigmachen, packte alles in das Stück hinein. Das ist souverän, meisterhaftes Handwerk, orchestral von ausladender Kunstfertigkeit, etwa die ausgedehnte Ouvertüre, die mit ihren ländlerisch derben und walzend eleganten Anklängen – das Stück spielt in und um Wien – nachvollziehen lässt, weshalb die Zeitgenossen sich auch an Weber erinnert fühlten.

Francois-Xavier Roth und das Orchester Les Siècles spielen den langen Vorspann, dessen Reiz sich auch erschöpft, mit einer magistralen Hingabe, die sie auch während des zwei-einhalb-stündigen Abends im Juni 2017 (aufgenommen wurde am 26 und 27. ) nicht verlässt. Doch nun muss man schon wie Aschenputtels Tauben anfangen, das Gute herauszupicken, die auffallenden Nummern hervorheben. Das sind einige, das keusche Lied des Bénédict „Demande à l’oiseau“, das ebenso schlichte sinnfällige Hochzeitsduett mit Rosa, das rührende, fast einfältige Lied der Hélène „Le bonheur est chose légère“, die elegisch leidenschaftlichen Gesänge des Conrad, deren Anlage und Tessitur genau zwischen Faust und Hoffmann ausgependelt ist, vor allem aber zwei Szenen des Spiridion, die vergessen machen, dass er Bösewicht auch viel Ödes zu singen hat, das coupletgewitzte springlebendige „De Naples à Florence, et de Parme à Vérone“ (klingt das nicht schon nach „We open in Venice“ in Porters Kiss me Kate!) und seine Ballade „Sur le sable brille“. Wenn man anfängt aufzuzählen, zeigt dies auch, wie dürftig die Oper musikdramatisch zusammengeleimt ist, wie es ihr an vokaler Dringlichkeit, an Feuer und Leidenschaft fehlt. Man sehnt sich nach Faust und Hoffmann. Dabei ist eigentlich alles drin, schillernde Orte, eine kräftige Handlung, Figuren, die nach Musik rufen – Fiammetta freilich ist wie in Aubers La muette de Portice eine Tänzerin. Und doch springt der Funke nicht über. Man ist durchgehend interessiert, aber auch gelangweilt.

Saint-Saëns‘ „Le Timbre d’argent“ an der Pariser Opéra-Comique/ Szene/ Foto Pierre Grosbois

Und die vokale Seite?  Anfangs will der graue, schlierige und erschöpfte Gesang von Edgaras Montvidas gar nicht gefallen. Nicht der Einheitston, nicht die gespreizten und angestrengten Höhen und dramatischen Bemühungen; und das Französisch finde ich auch nicht impeccable. Doch die Stimme des litauischen Tenors hat ein Gesicht, als Conrad überzeugt er durch Persönlichkeit. Alles was man sich von einem leichten französischen Tenor an flüssiger Tongebung und Süße der Phrasierung erwartet, kann Yu Shao als Bénédict aufbieten, der zusammen mit der koloratursauberen Edelsoubrette Jodie Davos als Rosa ein bezauberndes Paar abgibt; als Hélène hat die stimmlich etwas steif gewordene Hélène Guilmette fast das Nachsehen. Tassis Christoyannis, wie Montvidas eine Säule der Bru Zane-Produktionen, hat als Spiridion, ein bisschen Mephistophélès, ein bisschen Les contes d‘Hoffmann-Bösewicht, eigentlich eine Paraderolle, die er mit Nonchalance ausfüllt, doch fast auch wie nebenbei. Aber für den Opernfan, namentlich den am französischen Repertoire interessierten, ist es doch gut, diese Aufnahme gehört zu haben – wiederum einmal mehr chapeau für den tüchtigen Palazetto Bru Zane. Rolf Fath

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Hommage an einen Vergessenen

 

Friedhöfe sind – namentlich an heißen Sommertagen – nicht nur für die Erholung unter alten Bäumen in würdiger Ruhe ein Gerwinn (selbst wenn mir da nicht alle zustimmen  werden…). Auch für die Bildung vermitteln sie überraschende Aha-Effekte. Wie unser Daniel Hauser nachstehend schreibt: Wer kennt den Komponisten Woldemar Bargiel, dessen Grab auf dem Friedhof an der Berliner Bergmannstrasse (nähe Südstern, dem Haupteingang)  zu finden ist? Wie manche seiner Kollegen nicht nur auf diesem Friedhof liegt Bargiel versteckt und vergessen.

Woldemar Bargiels Grabstein auf dem Berliner Friedhof an der Bergmannstrasse/ Wiki

Da ragen in Berlin nur Mendelssohns am Mehringdamm und wenige andere heraus (so Leon Jessel auf dem Friedhof an der Berliner Strasse in Berlin-Wilmersdorf), die kennt man wenigstens. Von Leo Blechs Grab bewahrte die Witwe des Literaturwissenschaftlers Wapnewski wenigsten den Stein, der nun diskret neben dem von Peter Wapnewski auf dem Friedhof am Olympiastadion seine Heimstatt behalten hat, nachdem er aus der Reihe der Berliner „Ehrengräber“ getilgt (!!!) wurde. Woldemar Bargiel war uns einen Artikel wert. Und seine Musik stößt bei Daniel Hauser auf Begeisterung. Die Firmen Toccata und Sterling (auch cpo und einige andere Labels) haben seiner, wie manchem anderen Vergessenen, gedacht. Wir auch. G. H.

 

 

Wer kennt heute noch Woldemar Bargiel? Selbst klassik-affinen Zeitgenossen dürfte dieser exotisch klingende Name wenig sagen. Dass Bargiel, immerhin der Halbbruder von Clara und somit der Schwager von Robert Schumann, im 19. Jahrhundert als einer der bedeutendsten akademischen Komponisten aus Deutschland betrachtet wurde, ist genauso Expertenwissen wie die Tatsache, dass zu seinen Schülern u. a. auch der Komponist und Dirigent Leo Blech sowie der spätere langjährige Präsident der Reichsmusikkammer Peter Raabe gehörten. 1828 in Berlin als Sohn eines Gesangs- und Klavierlehrers sowie einer Pianistin und Sängerin geboren, war im das musikalische Gen gleichsam in die Wiege gelegt worden. Er arbeitete als Musiklehrer in seiner Heimatstadt, unterrichtete ab 1859 am Konservatorium in Köln und übernahm 1864 die Musikschule der Tonkunst in Rotterdam, wo er auch seine spätere Frau Hermine Tours kennenlernte. Erst 1874 kehrte er schließlich abermals nach Berlin zurück und folgte einem Ruf zum Professor für Komposition. Diese Tätigkeit übte er in den 23 Jahren bis zu seinem Tode 1897 aus und galt als einer der wichtigsten Kompositionslehrer seiner Zeit.

 

Woldemar Bargiel 1885/ Wiki

Lange hatte die Musikwelt Werke Bargiels vergessen. Erst im letzten Jahrzehnt kam etwas Bewegung in die Sache. cpo legte zwischenzeitlich seine vier Streichquartette sowie das Streichoktett vor, und beinahe zeitgleich brachten Toccata (TOCC 0277) und Sterling (CDS 1105-2) die wichtigsten seiner Orchesterwerke auf den Markt. Dies sind die viersätzige Sinfonie in C-Dur op. 30 (1864), die Ouvertüren zu Prometheus op. 16 (1852; rev. 1854 u. 1859), zu einem von Shakespeares Romeo und Julia inspirierten Trauerspiel op. 18 (1856) sowie zu Medea op. 22 (um 1861) und ferner das Intermezzo für Orchester op. 46 (1880), womit ein knapp 30-jähriger Rahmen abgedeckt ist. Zeitlich lässt sich das Gros der Stücke tatsächlich in die Lücke zwischen Schumanns überarbeiteter vierter Sinfonie (1851) und Brahms‘ erster Sinfonie (1876) einordnen, eine Zeit, in welcher weniger die klassische Sinfonik als vielmehr die sinfonische Dichtung á la Liszt tonangebend war. Bargiel war gewiss kein Neuerer und bewegte sich innerhalb der bis dahin üblichen Formen, insgesamt klassizistischer ausgerichtet als sein Schwager Schumann und mit deutlicheren Anklängen an Mendelssohn und insbesondere Beethoven. Gleichwohl gelang ihm zwischen all diesen Titanen eine eigene Tonsprache, eingewoben in eine handwerklich tadellose Orchestrierung. Die Melodie steht bei Bargiel, hierin nicht unähnlich Beethoven, weniger im Mittelpunkt als ihre thematische Verarbeitung. Während die Sinfonie womöglich den spannendsten Beitrag zur deutschen Sinfonik in den 1860er Jahren darstellt, sind die genannten Ouvertüren (von denen vor allem Medea herausragt) im Grunde genommen und trotz anders lautender Bezeichnung Tondichtungen im Liszt’schen Geiste.

Dass Bargiels Musik durchaus hörenswert und auch aufführungswürdig ist, belegen die genannten Produktionen durchaus. Es ist freilich ein Wermutstropfen, dass sowohl die CD von Toccata (die 2014 als Vol. 1 einer kompletten Einspielung sämtlicher Orchesterwerke Bargiels angekündigt wurde, der bis dato allerdings nichts nachfolgte) als auch jene von Sterling interpretatorisch und klanglich ihre Schwächen haben. Weder das Sibirische Sinfonieorchester unter Dmitry Vasilyev (Toccata) noch das mexikanische Orquesta Sinfónica de San Luis Potosí unter José Miramontes Zapata (Sterling) können auf ganzer Linie überzeugen; in letzterem Falle werden die orchestralen Defizite noch deutlicher. Findet sich denn kein deutsches Symphonieorchester? Genauso problematisch ist allerdings die in beiden Fällen nicht ideale Tontechnik. Während die Toccata-Ausgabe klanglich zwar bassstark, aber teils zu verschwommen und wenig detailreich daherkommt (Aufnahme: Philharmonie, Omsk, Juni/Juli 2014), klingt die Sterling-Einspielung (Aufnahme: Teatro de la Paz, San Luis Potosí, Juni 2014) dünn und schrill und weist im stereophonen Klangbild mittig eine seltsame Leere auf, die fast an die Stereo-Frühzeit erinnert. Hier wurde an der falschen Stelle gespart. Trotz dieser ärgerlichen Einschränkungen liefern die Interpretationen ein Plädoyer für eine ausgedehntere Pflege des Œuvre dieses Komponisten, wobei der Toccata-Einspielung trotz der genannten Makel der Vorzug gegeben werden muss. Mit einem Spitzenorchester in klangtechnisch ausgereifterer Präsentation wäre hier gewiss noch deutlicher Spielraum nach oben. Die Textbeilagen sind durchaus brauchbar. Daniel Hauser

Lieder aus Argentinien, Russland und Frankreich

 

Welch wunderliche Beinamen es gibt. Den „Schubert der Pampas“ nannte man den argentinischen Komponisten Carlos Guastavino (1912-2000). Vor allem wohl wegen seiner mehr als 150 Lieder, die einen Großteil seiner 500 Kompositionen bilden. Anders als sein 16 Jahre jüngerer Landsmann Ginastera zeigte sich der in seiner Geburtsstadt Santa Fe de la Vera Cruz und Buenos Aires ausgebildete Guastavino unbeeindruckt von der Moderne, pflegte auch in den Kammermusikwerken und den sinfonischen Stücken einen luziden, lokal gefärbten, folkloristisch romantischen Stil, so dass seine Lieder, die Einfluss auf die Popularmusik hatten, wie eine andere Seite der populären Tangos wirken. Es war deshalb recht geschickt von der italienischen Sopranistin Letizia Calandra und ihrem kubanischen Pianisten Marcos Madrigal ihre im März 2018 in Lugano entstandenen Auswahl von Liedern Guastavinos in einen Sepiaklang wie bei den Gardel-Aufnahmen der 1940er Jahre zu hüllen (Brillant Classics 95798), was dem Unternehmen eine gefällige nostalgische Klangkulisse gibt. Guastavino vertonte bedeutende lateinamerikanische Poeten, darunter Neruda, Borges, Alberti und Benaros, dazu gehören die das Programm eröffnenden 12 Lieder nach Leon Benaros Flores Argentinas (1969), die einen unmittelbaren morbiden Reiz besitzen, sehr melodiös und sanft verführerisch sind, wobei Calandra mit Farben und Vokalen spielt und mit einem modernen Recitarcandando-Stil sehr eindringlich gestaltet und Madrigal seinen klingend klöpfelnden, perkussiven Part mit Verve und  Eleganz versieht. Ein früherer Zyklus, die sieben Lieder “Sobre poesias de Rafal Alberti“, stammt aus dem Jahr 1946, ein Jahr bevor Guastavino mit einem Stipendium für zwei Jahre nach London ging. Ansonsten scheint er sein Leben in Argentinien verbracht zu haben, wo er mit seinen argentinischen Themen in Ballett- und Orchestermusik, zu einer Größe wurde und sich seine Musik eine Unberührtheit bewahrte. Es fehlen auch nicht das von Calandra mit Leidenschaf gesungene „La rosa y el sauce“, die bekannte „Elegia para un gorrion“ und sein, so sagt man, berühmtestes Lied „Se equivocó la paloma“, die unbedingt als Volkslieder durchgehen können (Brilliant 95798). Eine Entdeckung.

 

Kein Unbekannter ist Nikolai Medtner (1880-1951), der deutsche und skandinavische Verfahren hatte, nach der Oktoberrevolution nach Deutschland emigrierte, in Berlin und Paris lebte und sich nach ausgedehnten Konzertreisen, die er als Pianist unternahm, 1935 in England niederließ, wo er als Pianist und Komponist seine treueste Anhängerschaft fand. Anfangs als Avantgardist betrachtet, kultivierte Medtner über die Jahrzehnte einen gleichbleibend klassisch-romantischen Stil, der sich auch in den mehr als hundert Liedern zeigt, viele darunter, entsprechend der im Elternhaus gepflegten deutschen Kultur, auf deutsche Gedichte, vor allem die drei Goethe-Sammlungen op. 6., 15. und 18. In der aus den Jahren 1903 bis 1914 stammenden Auswahl der Mezzosopranistin Ekaterina Levental und des Pianisten Frank Peters (Brillant Classics 96056), also aus Medtners russischen Jahren, findet sich nur das Goethe Gedicht „Auf dem See“, wobei Medtner hier ausnahmsweise eine Übersetzung von Afanasy Fet benutzte, von dem er auch einige Gedichte vertonte. Alle anderen Lieder, darunter die acht Gedichte op. 24 und die sieben Gedichte op. 28, benutzen russische Vorlagen, größtenteils Gedichte Fets und Tyutchevs, und als bekannteste die sieben Puschkin-Gedichte op. 29. Medtner wurde als Pianist in einem Atemzug mit seinen Landsmännern Rachmaninoff, Hofmann, Lhevinne und Scriabin genannt. Entsprechend gewichtig ist der virtuose Klavierpart in den schönen gefühlvollen, melodiösen Liedern, dem eigentlich die dominierende Rolle zufällt. Die Stimme hat sich in den im Stile von Rachmaninoffs Romanzen gehaltenen Liedern quasi unterzuordnen, wodurch in den silbisch vertonten Versen eine verinnerlichte, subtile Gestaltungskunst gefragt ist. Ekateria Levental muss mehr malen und andeuten, Ausdruck und Bilder unterschwellig entwerfen, um einer gewissen Monotonie zu entgehen.

 

Die Pianistin Anna Cardona und der Bariton Victor Sicard haben im Herbst 2019 in Paris Mélodies von Maurice Ravel aufgenommen, die einmal mehr Ravels immense Fähigkeit der Anverwandlung und seinen spielerischen Umgang mit Stilen, Sprachen und Regionen zeigen ( Harmonia Mundi LMU 020). Ausgewählt wurden die bekannten Zyklen von den Don Quichotte-Liedern über die Deux mélodies hébraïques, Chansons madécasses (mit Aurélien Pascal und Mathilde Calderini als Instrumentalsolisten), Cinq chants populaires und Cing Mélodies populaires grecques bis zu den fünf Histoires naturelles. Sicard reizt dieses Panorama vollkommen aus, lädt im Versuch, jedem Lied einen eigenen Charakter zu geben, seinen dunklen Spielbariton vielfach über Gebühr auf, ist oft mehr ausdruckvoll knarzend als subtil und verführerisch oder spielerisch locker und will den Hörer nicht aus seinen Fängen lassen, was auf die Dauer etwas strapaziös gerät. Dass das erste der Lieder aus Madagaskar, Nahandove, ein Liebeslied ist, vermittelt sich beispielswiese nicht unbedingt. Das umfangreiche Kaddisch gerät dagegen zu einer wuchtig eindrucksvollen Szene. Rolf Fath

Franz Lehár: Von Pula nach Wien

 

Nach einer ersten Runde an Publikationen zur Feier des 150. Geburtstags 2020 (* 30. April 1870 in Komorn, Österreich-Ungarn/heute: Komárno, Slowakei); † 24. Oktober 1948 in Bad Ischl, Österreich G. H), kommt nun die zweite Runde, und zwar aus einem überraschenden Ort: Pula in Istrien (Kroatien). Lade Duraković und Marijane Kokanović Marković haben dort am 3. Juli 2020 im Castello Pula-Pola ihr neues Buch vorgestellt.

Wie die Autorinnen schreiben: Dieses Buch ist der Beitrag des Autors zum 150. Geburtstag des Kapellmeisters und Komponisten Franz Lehár (1870-1948) und widmet sich seinem weniger bekannten Lebenskapitel in Pula. Während er heute vor allem als Autor erfolgreicher Wiener Operetten bekannt ist, begann Lehár seine Karriere als Militärmusiker. Er besuchte die Schule in Budapest und Sternberg und schrieb sich mit zwölf Jahren am Prager Konservatorium ein. Er studierte Geige in der Klasse von Antonín Bennewitz und Theorie bei Joseph Förster.

 

Der junge Franz Léhar in Uniform zu Beginn seiner Laufbahn/ ORCA

Lehár erhielt Unterstützung und Ermutigung zum Komponieren von niemandem Geringeren als Antonín Dvořák. Im Herbst 1888 fand er eine Anstellung als Theaterviolinist in Barmen-Elberfeld (heute Wuppertal) und trat ein Jahr später der Militärkapelle des Infanterieregiments Nr. 50 in Wien unter der Leitung seines Vaters bei. 1890 erhielt er eine Position als Kapellmeister in Lučenec (IR 25, 1890-1894), womit seine zwölfjährige Karriere als Kapellmeister begann, in welcher er dreimal seinen Wohnort wechselte.

Nach Lučenec war er in Pula stationiert, dem zentralen österreichisch-ungarischen Militärhafen an der Adria. Dort lebte er zwei Jahre (1894-1896) als Orchesterdirigent der k. u. k. Kriegsmarine. Anschließend leitete er die Orchester der Infanterieregimenter in Triest (IR 87, Dezember 1896-1898), Budapest (IR 3, 1898-1899) und Wien (IR 26, 1899-1902).

Seine Position als Militärkapellmeister bestimmte maßgeblich die Wahl des Genres und des Stils seiner Werke aus dieser Zeit, zusammen mit seiner klar zum Ausdruck gebrachten Ambition, ehrgeizigere und komplexere Meisterwerke zu komponieren, die es ihm ermöglichen würden, den Militärkapellmeisterdienst zu verlassen und seine Präsenz in der europäischen Opernszene zu unterstreichen.

Im Einführungskapitel wird nach der Themenpräsentation des Buches ein kritischer Rückblick auf frühere musikwissenschaftliche Forschungen in der kroatischen und ausländischen Literatur sowie ein Überblick über die verwendeten Quellen gegeben.

Ankündigung der Buchpräsentation „Franz Léhar: Von Pula in die Welt“

Da Lehárs Aktivitäten als Kapellmeister bei der k. u. k. Kriegsmarine in Pula wenig erforscht sind, konzentrierten sich die Autoren des Buches hauptsächlich auf Archivmaterial: Artikel in der Tagespresse in italienischer und deutscher Sprache sowie Manuskripte und veröffentlichte Kompositionen aus dieser Zeit seines künstlerischen Schaffens.

Ziel war es, seinen Gesamtbeitrag zum kulturellen Leben von Pula in dieser Zeit durch analytische Einblicke in seinen Militärkapellmeister- und Komponieraktivitäten zu überprüfen.

Die Rekonstruktion des Repertoires des Marineorchesters unter der Leitung Lehárs war besonders herausfordernd, da sich praktisch keine Konzertprogramme erhalten haben. Durch Auszüge aus der lokalen Presse, hauptsächlich aus der Zeitung L’Eco di Pola, wurde eine Liste der gespielten Kompositionen erstellt, die später systematisiert und in genrespezifisch analysiert wurde. Schwierigkeiten bei der Festlegung der genauen Namen der Kompositionen stellten eine besondere Herausforderung dar, da sie in der Presse auf Italienisch angegeben waren, d. h. ins Italienische übersetzt wurden, häufig mit unvollständigen oder kreativ übersetzten Titeln.

Es war auch von großer Bedeutung festzustellen, inwiefern Pula und seine Bewohner Einfluss auf Lehárs Kompositionswerk aus dieser Zeit hatten, und die genaue Liste der Werke zu bestimmen, die er in Pula komponierte, da sich in der Literatur widersprüchliche Informationen zu diesem Thema finden.

 Im zweiten Kapitel mit dem Titel Franz Lehár in Pula wurden die Aktivitäten des Musikers im Kontext des soziokulturellen Milieus der 1890er Jahre beleuchtet. Mitte des 19. Jahrhunderts erklärte der Wiener Hof Pula zum wichtigsten Seehafen der österreichisch-ungarischen Monarchie. Infolgedessen war das dort ansässige Marineorchester, das Lehár als Kapellmeister der k. u. k. Kriegsmarine dirigierte, von beträchtlicher Größe und bestand aus mehr als 110 Musikern.

Die Arbeit des Orchesters war dynamisch – es trat regelmäßig im Marine-Casino sowie bei Bällen und Nachmittags- und Abendkonzerten auf, die der Unterhaltung dienten. Die Stadtkapelle gab fast jeden Sonntag Konzerte im Freien. Dieses Kapitel widmet sich Lehárs in Pula geknüpften Freundschaften, hauptsächlich mit dem Marineleutnant Felix Falzari, der ihm das Libretto für die Oper Kukuška schrieb und für dessen Verse er einen Liederzyklus Weidmannsliebe op. 26 komponierte.

 Neben der Freundschaft mit Falzari hatte Lehárs Bekanntschaft mit dem aus Pula stammenden Opernkomponisten Antonio Smareglia ebenfalls einen großen Einfluss auf seinen Komponierstil. Smareglia war ein großer Bewunderer Richard Wagners und machte Lehár mit den Opern Tristan und Isolde und der Tetralogie Der Ring der Nibelungen bekannt.

 Das folgende Kapitel Die Konzerte des Marineorchesters unter Lehárs Leitung – Repertoiremerkmale widmet sich der Überprüfung der Rolle des Marineorchesters im kulturellen Leben von Pula während Lehárs Amtszeit. Die Werke sind nach Genres aufgelistet und systematisiert (Märsche, Tänze, Fantasien und Potpourris, Stücke mit programmbezogenen Titeln, Auszüge aus Opern und geistliche Kompositionen).

Die Bedeutung des Marineorchesters in dieser Zeit für das musikalische und kulturelle Leben von Pula spiegelte sich in der Verbreitung und Popularisierung eines breiten Repertoires an Kompositionen und in der musikalischen Ausbildung großer Teile der Bevölkerung wider.

Dies war insbesondere deshalb so, weil die Aufführungen des Marineorchesters für viele Einwohner Pulas die erste Gelegenheit waren, sich mit dem ernsten musikalischen Repertoire vertraut zu machen.

Lehár (r.) mit seinem Kollegen Heinrich Reinhardt, dem Komponisten des Hits der 1910er Jahre, “Das Süße Mädel.” (Photo aus dem Buch “Dein ist mein ganzes Herz” im Böhlau Verlag ISBN: 9783205209638 / 320520963X)/ ORCA

Das Kapitel Lehárs Kompositionen in Pula ist den Werken gewidmet, die in dieser Zeit der schöpferischen Aktivitäten des Künstlers entstanden sind. Lehárs Kompositionen in Pula umfassen neben Militärmusik (Märsche, Tänze) und der Sonatine all’antica op. 27 auch den Liederzyklus Weidmannsliebe op. 26, das sinfonische Gedicht Il Guado und die Oper Kukuška.

Bereits in den genrebezogenen Überlegungen zu Lehárs Schöpfungen in Pula gibt es eine offensichtliche Trennung zwischen Werken eines „einfachen“ Genres, das unter dem Label der sogenannten Unterhaltungsmusik kategorisiert werden könnte, und komplexeren Bemühungen wie dem erwähnten Liederzyklus, sinfonischen Gedichten und Opern, die auf den Wunsch des jungen Musikers hinweisen, dadurch einen Schritt in Richtung ehrgeizigerer Unternehmungen zur Bestätigung als Komponist und somit zur Befreiung vom Gewicht seiner Tätigkeit im Dienste des Militärs zu erreichen.

Wie stark diese Bestrebungen waren, zeigt sich am besten in einem Brief Lehárs an seine Eltern, in dem er den Dienst als Militärkapellmeister eindeutig mit Sklaverei gleichsetzt, auf einen Durchbruch in der Theaterszene hofft und alle seine Hoffnungen auf seine Oper Kukuška setzt. Es war eben Lehárs Operndebüt, das seine jugendlichen Ambitionen und seinen Wunsch symbolisierte, sich ausschließlich dem Komponieren zu widmen. In diesem und dem folgenden Kapitel wird dem daher in Bezug auf seine anderen Leistungen besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Zur Bestellung des Lehar-Buches: ppmi@ppmi.hr Geschichts- und Schifffahrtsmuseum Pula.

Im fünften Kapitel Von Pula in die Welt: Die Rezeption der Oper Kukuška (Tatjana) und der ersten Operetten wird Lehárs Werk nach seinem Weggang aus Pula besprochen und der Versuch, seine Oper Kukuška auf die Bühne zu bringen, um seine Ambitionen als Komponist zu verwirklichen.  Kukuška wurde am 27. November 1896 am Stadttheater in Leipzig uraufgeführt. Später folgten Aufführungen in Budapest, Brünn und Wien. Nach mangelhaftem Erfolg und schwierigen Erfahrungen mit dieser Oper beschloss Lehár, sich der Operette zuzuwenden. Das erste Libretto für die Operette Arabella, die Kubanerin (1901) stammte von Gustav Schmidt, der ihm als Kapellmeister des Marineorchesters von Pula nachfolgte. Das Werk wurde nicht vollendet, doch verwendete Lehár später zwei Nummern aus dieser Operette, die er in seine erste tatsächlich aufgeführte Operette Wiener Frauen (1902) einbaute.

Erst mit zweiunddreißig Jahren konnte Lehár seinen Militärkapellmeisterdienst aufgeben und vom Franz LéharKomponieren und Dirigieren leben. Damit endete seine zwölfjährige Karriere als Militärmusiker und er schlug ein neues Kapitel schlug auf, in welchem er als Operettenkomponist Weltruhm erlangen sollte.

 

Zur Bestellung des Buches:  ppmi@ppmi.hr Geschichts- und Schifffahrtsmuseum. Eine Ausstellung Lehár in Pula im Museum wurde wegen Covid-19 verschoben; es handelt sich um eine Kooperation mit dem Lehár-Museum in Bad Ischl. Sie könnte im Jahr 2021 realisiert werden, teilte Kuratorin Katarina Maric mit. Foto Pula/ Booking.com/ Quelle ORCA (Übersetzung Daniel Hauser)

Biblisches aus Frankreich

 

Erst kürzlich besprachen wir auf diesen Seiten eine Einspielung des schweizerisch-argentinischen Dirigenten Leonardo García Alarcón (Antonio Draghis El Prometeo), der die Musikwelt immer wieder mit der  Wiederentdeckung vergessener Werke des Barock überrascht. Aber natürlich widmet er sich auch den Klassikern dieser Musikepoche. 2010 übernahm er die künstlerische Leitung des Choeur de Chambre de Namur, mit dem er im Juli 2018 Händels Oratorium Samson für das Label Ricercar aufnahm (RIC 411, 2 CD). Es handelt sich um eine Live-Aufführung vom Festival Musical de Namur in der Kirche Saint-Loup mit dem Millenium Orchestra in der Fassung von Nikolaus Harnoncourt, welche Alarcón unter den vielen existierenden Versionen für die beste hält.

Matthew Newlin ist der Titelheld, der nach der energischen Overture gleich in der ersten Szene mit seinem Air „Torments, alas“  auf sich aufmerksam macht. Der Tenor steht ganz in der Tradition legendärer britischer Oratorien-Interpreten, auch korrespondiert sein Klageton perfekt zur Figur. Souverän absolviert er die Koloraturläufe, so im vehementen Duett mit Harapha „Go, baffled coward“.

Seinen Freund Micah gibt der erfahrene Countertenor Lawrence Zazzo, der auch nach langer Karriere noch immer über schönes Material und technische Kompetenz verfügt. Sein Auftritt, das Air „Oh, mirror“, beweist zudem die starke Gestaltungskraft des Sängers.

Zwei Soprane finden sich in der Besetzung – Klara Ek als Dalila mit klangreicher Stimme sowie Julie Roset mit lieblichem Ton als Philistine bzw, Israelite Woman. Sie kann vor allem im berühmten Air „Let the bright seraphim“ am Ende des Werkes brillieren. Im furiosen Duet mit Samson, „Traitor to love!“, überrascht Ek mit lautmalerischem Angriff.

Als Samsons Vater Manoah bringt der Bass Luigi Di Donato tiefe Töne ein. In seinem ersten Air „Thy glorious deeds“  imponiert er mit resolutem Einsatz und vehementer Koloraturattacke. Kontrastierend dazu das sanft wiegende AirHow willing my paternal love“ im 3. Akt, das die Stimme in all ihrer Schönheit ausstellt. Der Tenor Maxime Melnik komplettiert den Cast als Messenger und Philistin. Großen Anteil am der starken Wirkung des Konzertes hat der grandiose Choeur de Chambre de Namur, welcher in den Chören der Israelites, Philistines und Virgins mit begeisterndem Einsatz am Werk ist und dem mit dem jubelnden„Let their celestial concerts all unite“ auch das letzte Wort gebührt. Bernd Hoppe

Mit nobler Überzeugungskraft

 

Karneval in Venedig. Selbst die Toten steigen, wie es der steife Text von Hans Müller vorgibt, aus ihren Gräbern und tanzen. Ganz so ausgelassen und hemmungslos geht es in der Inszenierung des 90jährigen Pier Luigi Pizzi nicht zu, der schon bei meinen frühen Opernaufführungen in Italien vor Jahrzehnten, den Status eines Altmeisters innehatte und in diesem Jahr kurz vor dem Corona-Lockdown am Teatro Regio von Turin die italienische Erstaufführung von Korngolds zweiter Oper Violanta herausbrachte (wenngleich bereits eine erste Gesamtaufnahme 1989 unter Marek Janowski bei ehemals CBS erschien, dort sind Eva Marton und Siegfried Jerusalem die Protagonisten) . Rot in rot hat er einen üppigen Salon mit vielen schweren Vorhängen auf die Bühne des Teatro Regio gestellt mit einem runden Durchblick, zwar nicht auf den im Text erwähnten Giudecca-Kanal, aber immerhin doch auf eine nächtliche Barke mit einem Gondoliere. Pizzi rückt den 1916 in München uraufgeführten Einakter, der mit Opern von Schillings, Zemlinsky und Schreker, aber der italienischen Veristen und ihrem Umkreis wie Zandonai und Montemezzi, die Vorliebe für die italienische Renaissance teilt, in die Entstehungszeit, ohne die schöne Violanta auf dem geschwungenen Sofa auf die Analysecouch Freuds zu legen (Blu-ray Dynamic 57876, auch als Nur-Audio 2 CD CDS7876).

Zurückhaltung kennzeichnet Pizzis geschmackvolle Fin-de-siècle Inszenierung, in der er die Männer in feschen Uniformen, den Maler Giovanni im Nero-Gewand, und die Damen in den wie die mit Harfen und Celesta glisssandierende Musik schimmernd fallenden Roben elegant drapiert. Violanta will sich an dem Verführer Alfonso, der ihre Schwester in den Tod getrieben hat, rächen. Gatte Simone, dem sich Violanta seither verweigert hat, soll Alfonso töten. Doch es kommt, wie wir es ahnten. Violanta verliebt sich in Alfonso und wirft sich schützend vor ihn, nachdem sie mit dem das Werk quasi umklammernden Karnevalslied („Aus den Gräbern selbst die Toten tanzen“) ihrem Mann das Zeichen für den Mord gegeben hat.

Annemarie Kremer singt diese liebende Rächerin mit den Tönen einer Isolde, verschwenderisch verteilten und sicheren Höhen, die in ein tragfähig elegantes Piano abfallen, Durchhaltekraft und Ausdruck, Salome, Isolde alles in einem. Jeritza hat Violanta in Wien und an der Met zum Erfolg geführt, Emmy Krüger, die in München die Violanta und im folgenden Jahr ebenfalls unter Bruno Walter den Silla in Palestrina kreiert hatte, hatte der Figur weniger Aufmerksamkeit verschafft. Es wäre Kremer zu wünschen, ihren Turiner Erfolg andernorts wiederholen zu können. Prägnante Vignetten dienen zur Beschreibung Violantas, Matteos Schwärmerei (Juan Folqué), Szenen Violantas mit ihrem Gatten, dem sinisteren Michael Kupfer-Radecky als venezianische Militärführer Simone, der Amme Barbara, der erdigen Anna Maria Chiuri, und in der umfangreichsten Szene der Oper mit der Versuchung in Gestalt des Verführers, dem mit der Serenade „Der Sommer will sich neigen“ erscheinenden Alfonso, dessen Bacchus-Höhenglanz der vielseitig einsetzbare Amerikaner Norman Reinhardt zwischen Todessehnsucht („Sterben wollt ich oft“) und sinnlichem Verlangen in Duett („Reine Lieb’ die ich suchte“) vorzüglich drauf hat. Ähnlich der ins größere Fach drängende Peter Sonn in der charaktertenoralen Partie des Giovanni; gut auch die übrigen Sänger der kleineren Partien.

Die Musik Korngolds, der mit seiner Toten Stadt erst im Vorjahr an die Mailänder Scala fand, zeichnet sich durch eine geschmeidige spätromantisch instrumentale Zauberkraft zwischen Strauss und Mahler aus, spannend in ihrer illustrativen Pracht und Üppigkeit und eminent theatertauglich in ihrer Pianissimo-Silbrigkeit und den lauernden dramatischen Zwischenspielen. Ihre schmelzende Sinnlichkeit mag ein anderes Orchester sicher noch cremiger aufschlagen, doch das Orchester des Teatro Regio spielt das rund eineinhalbstündige Stück unter dem in dieser Musik vorzüglichen Pinchas Steinberg mit nobler Überzeugungskraft. Die auf mehreren Tonträgern greifbare Aufführung steht der Einspielung mit Eva Marton unter Marke Janowsky ins nichts nach. Nach Casellas La donna serpente von 2016 erneut eine tolle Aufführung eines unbekannten oder wenig bekannten Werkes aus Turin. Man bekommt große Lust, sich wieder den während des Vorspanns im Theater einfindenden Besuchern im großzügigen Teatro Regio anzuschließen.   Rolf Fath

Zwei Klassiker der Moderne

 

Im Frühjahr 2017 entstand in Graz, wohin seine Familie verbannt worden war und der 13jährige Luigi Dallapiccola nach einer Aufführung des Fliegenden Holländers den Wunsch Komponist zu werden fasste, eine Einspielung seines Einakters Il Prigioniero (Chandos). Im kurzen zeitlichen Abstand folgt nun die von Chandos im September 2019 Kopenhagener Koncerthuset (CHSA 5278) zur weiteren Abrundung seines Dallapiccola-Katalogs mit Noseda eingespielte Wiedergabe des Stücks.

Das entspricht der neuerlichen Wertschätzung des Werkes, das nach seiner konzertanten Uraufführung bei der RAI in Turin 1949 und der ersten szenischen Produktion im folgenden Jahr in Florenz zum ersten internationalen Erfolg der italienischen Oper der Nachkriegszeit geworden war und in New York und London, Deutschland und Frankreich gespielt wurde bevor es 1962 an die Mailänder Scala gelangte. Dies hat vermutlich mehr mit dem Stoff und der Vorlage, der um eine Episode aus de Costers Ulenspiegel ergänzten Erzählung Folter durch Hoffnung von Villiers de l’Isle-Adam als mit der bei ersten Hören schwer fasslichen Verbindung aus der auf Zwölftonreihen fußenden melodiösen Gesangsdeklamation und mittelalterlichen Requiem-Ausschnitten zu tun. Die Mutter besucht ihren von der Inquisition gefangenen gehaltenen Sohn, ahnend, dass sie ihn um letzten Mal sehen wird, da ihr im Traum der sich in den Tod verwandelnden Philipp II. erschien. Nach diesem Prolog gelingt es dem Kerkermeister den Gefangenen endlich in einer trügerischen Sicherheit zu wiegen, so dass dieser durch die offene Gefängnistür in die Freiheit stürzt. In einem Garten fällt er schließlich seinem Kerkermeister in die Arme, der sich als der Großinquisitor herausstellt. Die Hoffnung auf Freiheit war die letzte Folter vor der Hinrichtung. Gianandrea Noseda treibt das Stück mit großer Leidenschaft und dem Gespür des Theaterpratikers voran, macht kein neoklassisches Mysterienspiel daraus, sondern lädt es bei gerade mal 43 Minuten Spieldauer mit einer atemberaubenden Expressivität und Dringlichkeit auf, dass man den Protagonisten an den Lippen hängt. Darunter leidet vielleicht die große in der Tradition der italienischen Oper angesiedelte Szene der Mutter mit der dunklen Anna Maria Chiuri. Doch die Zwiegespräche des Gefangenen mit dem Carceriere geraten zu krimihaft dichten Momenten, in denen der anfangs auffahrend, vielleicht zu vital und gesund klingende Michael Nagy den zunehmenden psychischen Verfall des Gefangenen und Stephan Rügamer mit gleichbleibend einlullender Tenorsanftheit den Carceriere geben, während Adam Riis und Steffen Bruun die beiden Priester vor dem mystischen Hintergrund abheben. Mit dem Danish National Symphony Orchestra und dem Danish National Choir gelingen Noseda auf bestechende Weise die Brechungen des Stückes zwischen sublimem Klangreiz und Verdichtung des Dramas in den Intermezzi, der Erlösung durch die Rolandsglocke in den Schlagzeughöhepunkten und den irrwitzigen Allelujah-Fantasien des Gefangene, den unsichtbaren Chören und der lapidaren Klangrede bis zum gesprochenen „La liberta?“, mit dem sich der Prigioniero ergibt.

Drei knappe Chorwerke, der Lobgesang auf den mittelmeerischen Sommer für Männerstimmen Estate aus dem Jahr 1932 und die beiden Werke für gemischten Chor zu Versen von Michelangelo Buonarroti, dem Großneffen des „großen“ Michelangelo, von 1933 sind als Fortbeschreibung italiensicher Madrigalkunst eine plausible Ergänzung zum Gefangenen.   

 

„Miss Julie is crazy, utterly crazy“ stellt Jean nach der kurzen, walzenden Sommernachts-Introduction fest, „She was leading the dance in the gamekeeper’s arms“. Derweil der Midsummer-Walzer sich weiterdreht, beschreibt Diener Jean aus der Küchenperspektive mit zynischen Kommentaren die Gäste des gräflichen Festes, verführt dann die Tochter des Hauses, weist sie bei der nahenden Heimkehr des Hausherrn kaltherzig ab („Je vous en prie, mademoiselle“), drängt sie zum Selbstmord und nimmt wieder seine alte Stelle ein.

Der 1922 in Triest geborene und seit 1956 als norwegischer Staatsbürger in Larvik lebende Antonio Bibalo hat mit seiner Adaption der Strindberg Tragödie das Feld bestellt. An seiner effektvollen, vielfach kompatiblen Kammeroper Fräulein Julie kam in den ersten zwei Jahrzehnten nach ihrer Uraufführung 1975 in Aarhus keiner vorbei. Ganz unbemerkt hatte daneben der vor allem durch seine rund zweihundert Filmmusiken, Wikipedia gesteht im nur 70 zu, bekannte William Alwyn (1905-85) ebenfalls eine Fräulein Julie-Oper, Miss Julie, komponiert – Ned Rorem hatte bereits 1965 eine Miss Julie vorgelegt und Philippe Boesmans sollte 2005 mit Julie das Quartett vervollständigen – die 1977 von der BBC uraufgeführt und 1997 in Norwich eine einzige Produktion unter Benjamin Luxon, dem ersten Interpreten des Jean, erlebte (mit Jill Gomez als Julie, Della Jones als Kristin und Anthony Rolfe Johnson als Ulrik war bei der Uraufführung die erste Garde britischer Sänger aufgeboten).

Die konzertante Aufführung 2019 in der Londoner Barbican Hall, die Chandos (CHSA 5253/2, engl., dt., frz. Beiheft, engl. Libretto) anschließend in Croydon aufnahm, fand eine überaus dankbare Aufnahme, worauf die Times fragte, „Warum ist dieses intensive, brillant orchestrierte und auf klaustrophobische Weise packende Meisterwerk seit seiner Premiere im Jahr 1977 derartig vernachlässigt worden?. Das stimmt natürlich. Jeder der beiden rund 60minütigen Akte ist brillant konstruiert, bietet dankbare Szenen, darunter die mit Girlanden in hoher Lage verzierte erste Arie der Julie „Midsummer Night, O, night of magic, when the world can forget“, mit der die lyrische Koloratursopranistin Anna Patalong als kapriziöse Julie Akzente setzt, oder ihre sinnlich leidenschaftliche Szene „If you want to climb“, mit der sie Jean herausfordert, die den Interpreten ariose und psychologische Eindringlichkeit abverlangen. Als Resümee seiner bis in die 1960er Jahre währenden Auseinandersetzung mit dem Film, gelangte Alwyn für die Oper zu diesem Schluß: Die Handlung solle ohne Bezugnahme auf eine detaillierte Synopse oder ein Programmheft unmittelbar verständlich sein; Arien sollten einem dramatischen Zweck dienen anstatt nur der stimmlichen Zurschaustellung; um des dramatischen Zusammenhangs sollten die Figuren einander immer direkt ansingen und nicht beiseite zum Publikum oder im Monolog; die Verwendung des Ensembles sollte minimiert werden, um klangliche Klarheit zu wahren, und vor allem sollte der Text so vertont werden, dass die Gesangslinien Rhythmus und Tonfall der Sprache wiedergaben. Das alles erfüllt Alwyn in Miss Julie getreulich. Der von Alwyn eingerichtete Text bleibt immer klar und durchsichtig, die Handlung ist unmittelbar nachvollziehbar, die vom Walzerrhythmus durchzogene Musik, vom BBC Symphony Orchestra und seinem finnischen Chefdirigenten Sakari Oramo mit Überzeugungswucht wiedergeben, unterstreicht mit halluzinierenden Tremoli auf nachdrückliche Weise die Handlung und kreiert wie in einem urzeitlichen Radio-Thriller vielfache Suspense-Momente. Auf nicht unliebeswürdige Weise ist Alwyns Miss Julie mit ihrer passgenauen Orchestrierung so old fashioned wie das Reisekleid, das Julie für ihre Flucht mit dem Diener überstreift: eine solide Literaturoper, die auch als Hörtragödie gute Figur macht. Die Akteure, der von dem wenig wandlungsfähigen Bassbariton Benedict Nelson hinreichend dumpf gestaltete Jean, der willfährige Wildhüter Ulrik des heldentenoralen Samuel Sakker und Rosie Aldridge als Kristin, bieten alles an professioneller Nuanciertheit auf, um diese in Julies Selbstmord endende Midsummer Night zum Thriller werden zu lassen. Rolf Fath

 

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BAROCKE MORDE

 

In der Pflege des Barockrepertoires ist das Label cpo ein Vorreiter mit immer neuen und innovativen Aufnahmeprojekten. Jetzt erschienen zwei Einspielungen aus den Jahren 2016 und 2018.

Im September 2018 erfolgte in Raven die Einspielung von Carl Heinrich Grauns erstmals in der Moderne aufgeführter Oper in fünf Akten Polydorus (555 266-2, 2 CDs). 1726 wurde sie in Braunschweig uraufgeführt. Das Libretto stammt von Johann Samuel Müller, der einen italienischen Text von Agostino Piovene ins Deutsche übertragen hatte, welcher auf Ereignissen der Hecuba des Euripides basierte.

Nach Virgil ist Polydorus, wie Vollmers Mythologie der Völker so hilfreich schreibt, der jüngste Sohn des Priamus von Laotho oder von Hecuba. Iliona, seine älteste Schwester, war Polymestor, einen thracischen König, vermählt, welchem Priamus den Polydorus zur Erziehung sandte. Polymestor aber, den siegreichen Waffen Agamemnons huldigend, ermordete den ihm anvertrauten Jüngling und bemächtigte sich der von demselben mitgebrachten Schätze. Aeneas kam zu der Stelle, wo dies geschehen war, wollte von den Myrten eines Hügels Aeste nehmen, um einen Altar zu schmücken; doch wie er sie abreisst, ertönt ein jammervolles Geächze und eine Stimme rief ihm zu: schone doch meiner im Grabe, ich bin Polydorus; hier deckte mich Durchbohrten die Speersaat, hier wuchs aus den Schäften der Wald auf. (Virgil.) Die Tragiker erzählen, dass später sich Hecuba fürchterlich rächte, indem sie dem verrätherischen Polymestor die Augen ausgekratzt habe. Anders wird die Sache von Hygin erzählt: Iliona soll, da sie ihren Bruder auf das Zärtlichste liebte, denselben mit ihrem eigenen Sohne gleichen Alters verwechselt haben, wovon selbst ihr Gatte nichts wusste; er lieferte nun den vermeinten Polydorus den Griechen aus, welche denselben im Lager, Angesichts des Priamus, steinigten; Iliona rächte mit Polydorus diese Schandthat, indem sie dem Bruder seine wahre Abkunft enthüllte, und beide den Polymestor ermordeten. Soweit die antike Dichtung.

In Raven war das von der israelischen Dirigentin Ira Hochman 2007 gegründete barockwerk hamburg künstlerisch tätig. Das Ensemble hat sich vor allem um die Wiederbelebung Hamburger Werke von Johann Mattheson, Carl Philipp Emanuel Bach und Georg Philipp Telemann verdient gemacht. Die Dirigentin rechtfertigt mit dieser lebendigen Aufnahme ihren Ruf als Barock-Spezialistin, bringt Grauns muntere, melodische Musik zu starker Wirkung.

In der Titelrolle ist der israelische Altus Alon Harari zu hören, der sogleich in seiner ersten Arie, „Ein ausgehärt’ter Mut“, mit ausgeglichener Stimme und sinnlichem Timbre für sich einnimmt. Auch die virtuosen Anforderungen von „Laß, mein Freund“ im 2. Akt bewältigt er souverän. Sanft formt er das kantable „Ruhe sanft“ zu Beginn des 4. Aktes.

Hanna Zumsande ist seine älteste Schwester Ilione, für die der Komponist die schönsten Arien seiner Oper erdachte. Die Sopranistin kann mit ihrem innigen Ausdruck den Konflikt der Figur, den eigenen Sohn den Griechen übergeben zu müssen, eindrücklich vermitteln. Davon zeugt auch „Strenger Himmel“ im 3. Akt. Als ihr Gatte, der thrakische König Polymnestor, steuert Fabian Kuhnen profunde Basstöne bei. Auch der griechische Abgesandte Pyrrhus ist eine Bassrolle, der das erste Solo des Werkes,„Tausend Zepter“, zufällt. Ralf Grobe füllt sie zuverlässig aus. Die hoch notierte Tenorrolle des Deiphilus, die Graun einst selbst gesungen hatte, ist eine Herausforderung für Mirko Ludwig. Furchtlos stellt er sich dieser in seiner ersten Arie „Mich sucht der Götter Rache“, bewältigt deren Tessitura sowie das Zierwerk beachtlich. Auch „Ich will sterben“ im 2. Akt überzeugt durch den zunächst schmerzlichen Ausdruck und dann den beherzten Zugriff im Mittelteil der Arie.

In einer Nebenhandlung des Werkes tritt Andromache auf, in die sich Pyrrhus verliebt hat und deshalb von Polymnestor ihre Herausgabe fordert. Santa Karnite lässt in ihrer ersten Arie, „Nichts soll mich von ihm trennen“, einen klaren, instrumental geführten Sopran hören, der am Ende des 2. Aktes bei „Tyrann, du suchest Liebe“ im Ausdruck zu verhalten bleibt. Ungleich besser steht der Stimme das innige „Komm denn, du angenehmer Tod“ am Ende des 4. Aktes. Am Ende vereint sie ihre Stimme mit der des Titelhelden jubelnd in der Aria à 2 sowie dem Schlusschor „Der Himmel lässt nach langem Weinen“.

 

2016 entstand in Koproduktion mit Radio Bremen in Thedinghausen-Lunsen und widmet sich einem Oratorium des komponierenden Kaisers Leopold I. mit dem Titel Il Sagrifizio d’Abramo (555 113-2). Damit hat das renommierte Ensemble WESER-RENAISSANCE Bremen, das sich vorrangig der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts widmet, im 25. Jahr seines Bestehens einen weiteren Fund vorgelegt, der sich in die Zahl der Entdeckungen durch den Klangkörper würdig einreiht. Die Leitung hat Manfred Cordes, der seit 1985 künstlerisch in Bremen wirkt. Ihm ist eine authentische Wiedergabe der Musik, die heute als ein Grundstein der Wiener Klassik gilt, zu danken. Mit den weihevollen Klängen einer Sonata setzt sie ein und ist dann vorrangig dem recitar cantando verpflichtet.

Das Werk wurde 1660 uraufgeführt, im Libretto von Conte Caldano wird erstmals die Figur des Isaak/Isac als des Christi Urbild beschrieben. Die Sopranistin Monika Mauch gibt ihr einen keuschen Umriss. Die Titelfigur singt Julian Podger mit klangvollem Tenor, der auch über gebührend klagende Töne verfügt. Darüber hinaus erscheinen als Allegorien die Penitenza (Buße), Ubidienza (Gehorsam) und Humanità (Menschlichkeit). Sie werden interpretiert von Marnix de Cat/Altus, Margaret Hunter/Sopran und Nele Gramß/Sopran. Der Bassist Harry van der Kamp komplettiert die Besetzung als Servo und Peccator.

Das Programm der CD wird ergänzt von einer weiteren Komposition des Kaisers – dem Miserere per la settimana santa à 4 voci –, in welcher sich sein ausgeprägter Sinn für Ordnung spiegelt, denn die vier Solisten (Mauch, de Cat, Podger, van der Kamp) sowie Streichinstrumente wechseln sich in jedem Vers in einer festgelegten Reihenfolge ab. Nur der jeweils fünfte Vers wird im Tutti gesungen. Bernd Hoppe

Bernard Ładysz

 

Mit Bedauern hörten wir vom Tode des polnischen Bassbaritons Bernard Ładysz, der am 25. Juli in Warschau im hohen Alter von 98 Jahren starb.  Ładysz war der Normanno neben Maria Callas in deren zweiter Aufnahme der Lucia di Lammermoor und auch in Deutschland durch seine Auftritte in Berlin und Düsseldorf bekannt. Zudem ist er auf zahlreichen Aufnahmen polnischer Opern vertreten (so Halka etc). Nachstehend das bewährte Wikipedia mit einer Würdigung. G. H.

 

Bernard Ładysz (* 24. Juli 1922 in Wilna; † 25. Juli 2020 in Warschau[1]) war ein polnischer Opernsänger (Bassbariton), Schauspieler sowie ehemaliger Soldat. Ładysz begann sein Gesangsstudium 1940 in Wilna. Er wurde Sergeant der polnischen Heimatarmee, nahm 1944 an der „Aktion Burza“ (Gewittersturm) teil und wurde nach und wegen der Einnahme Wilnas durch die Rote Armee vom NKWD festgenommen und 1944 bis 1946 in der Sowjetunion, in Kaluga, inhaftiert. Ładysz kehrte 1946 nach Polen zurück und setzte sein seit 1941 unterbrochenes Gesangsstudium am Warschauer Konservatorium fort. Zuerst war er im Gesangs- und Tanzensemble der polnischen Armee tätig, 1950–1979 war er Solist im Warschauer Operntheater.

1956 erhielt er im Gesangswettbewerb in Vercelli den ersten Preis „Il primo premio assoluto“. Danach wurde er vom Teatro Massimo in Palermo engagiert. Es folgten Erfolge weltweit – von Australien, Nord- und Südamerika bis zur Volksrepublik China. Für Columbia Records sang er mit Maria Callas in der Gesamtaufnahme von Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor unter Tullio Serafin, sowie eine Schallplatte mit Opernarien von Giuseppe Verdi und russischen Komponisten.

Als Opernsänger trat er in den Titelrollen von Eugen Onegin, Das Gespensterschloss, Halka, Faust, Barbier von Sevilla, Don Giovanni, Don Carlos, Die sizilianische Vesper, Die Macht des Schicksals, Aida, Rigoletto, Fürst Igor, Boris Godunow und Jolanthe auf.

Er trat auch bei den Uraufführungen von Krzysztof Pendereckis Werken Die Teufel von Loudun und der Lukas-Passion auf. Er wirkte zudem im Unterhaltungsrepertoire, unter anderem in Anatevka. Er spielte die Titelrolle bei den Ton- und Filmaufnahmen von Domenico Cimarosas Buffo-Oper Il maestro di cappella.

Bernard Ładysz war auch als Filmschauspieler erfolgreich. Zwischen 1965 und 1999 wirkte er an elf Filmen mit, darunter Das gelobte Land (1975), Der Kurpfuscher (1982) und Mit Feuer und Schwert (1999).

Im Laufe seiner Karriere wurde er mit dem Komturkreuz mit Stern, Offiziers- und Ritterkreuz des Polonia-Restituta-Ordens ausgezeichnet. Er wurde im Mai 2008 mit der Ehrendoktorwürde der Fryderyk-Chopin-Universität für Musik geehrt. Im Dezember 2012 erhielt er die Beförderung zum Oberstleutnant im Ruhestand für seine Tätigkeit im Gesangs- und Tanzensemble der polnischen Armee.

Bernard Ładysz starb  einen Tag nach seinem 98. Geburtstag. (Foto oben youtube/ Quelle Wikipedia)

Olivia de Havilland

 

Olivia de Havilland  starb mit 104 Jahren am 27. 7. 2020. Sie war eine der schönsten Frauen des amerikanischen Films und eine der bezauberndsten Diven Hollywoods. Sie lebte zum Schluss in Paris (seit 1953) und feierte dort 2016 ihren 100. Geburtstag im Kreis ihrer Familie, bzw. der Familie ihres vierten Mannes, Pierre Galante. Nachstehend ein Auszug aus einem Artikel des Santa Monaca Observers zu diesem Anlass. Wir als Fans von Film und Musik trauern, auch wenn Olivia de Havilland unseres Wissens nicht gesungen hat und eigentlich nicht in unsere Sparte „fällt“… G. H.

 

After romantic relationships with Howard Hughes, James Stewart, and John Huston, de Havilland married author Marcus Goodrich, with whom she had a son, Benjamin. Following her divorce from Goodrich in 1953, she moved to Paris and married Pierre Galante, an executive editor for the French journal Paris Match, with whom she had a daughter, Gisèle. In 1962 she published Every Frenchman Has One, an account of her life in France. De Havilland and Joan Fontaine are the only sisters to have won Academy Awards in a lead acting category. A lifelong rivalry between the two resulted in an estrangement that lasted over three decades (Joan Fontaine starb mit 96 2013).

Olivia Mary de Havilland (born July 1, 1916) is a British-American actress whose career spanned from 1935 to 1988. She appeared in forty-nine feature films, and was one of the leading movie stars during the golden age of Classical Hollywood. She is best known for her early screen performances in The Adventures of Robin Hood (1938) and Gone with the Wind (1939), and her later award-winning performances in To Each His Own (1946), The Snake Pit (1948), and The Heiress (1949). Born in Tokyo to English parents, de Havilland and her younger sister, actress Joan Fontaine, moved to California in 1919. They were raised by their mother Lillian, a former stage actress who taught them dramatic art, music, and elocution. De Havilland made her acting debut in amateur theatre in Alice in Wonderland and later appeared in a local production of Shakespeare’s A Midsummer Night’s Dream, which led to her playing Hermia in Max Reinhardt’s stage production of the same play and a movie contract with Warner Bros.

De Havilland made her screen debut in Reinhardt’s A Midsummer Night’s Dream in 1935. She began her career playing demure ingénues opposite popular leading men, including Errol Flynn, with whom she made eight films. They became one of Hollywood’s most popular romantic on-screen pairings. She achieved her initial popularity in romantic comedy films, such as The Great Garrick (1937), and in Westerns, such as Dodge City (1939). Her natural beauty and refined acting style made her particularly effective in historical period dramas, for example Anthony Adverse (1936), and romantic dramas, such as Hold Back the Dawn (1941). In her later career, she was most successful in drama films, such as Light in the Piazza (1962), and unglamorous roles in psychological dramas including Hush… Hush, Sweet Charlotte (1964).

As well as her film career, de Havilland continued her work in the theatre, appearing three times on Broadway, in Romeo and Juliet (1951), Candida (1952), and A Gift of Time (1962). She also worked in television, appearing in the successful miniseries, Roots: The Next Generations (1979), and television feature films, such as Anastasia: The Mystery of Anna, for which she received a Primetime Emmy Award. During her film career, de Havilland won two Academy Awards, two Golden Globe Awards, two New York Film Critics Circle Awards, the National Board of Review Award for Best Actress, and the Venice Film Festival Volpi Cup.

Olivia de Havilland/ de.necropedia.org

Olivia de Havilland/ de.necropedia.org

For her contributions to the motion picture industry, she received a star on the Hollywood Walk of Fame. For her lifetime contribution to the arts, she received the National Medal of Arts from President George W. Bush, and was appointed a Chevalier of the Légion d’honneur by French President Nicolas Sarkozy.

Gone with the Wind had its world premiere in Atlanta, Georgia, on December 15, 1939, and was well received. Frank S. Nugent of The Times wrote that de Havilland’s Melanie „is a gracious, dignified, tender gem of characterization“, and John C. Flinn, Sr., in Variety called her „a standout“. The film won ten Academy Awards, including Best Picture, and de Havilland received her first nomination for Best Supporting Actress.

In 2003 she appeared as a presenter at the 75th Academy Awards. In 2004 Turner Classic Movies produced a retrospective piece called Melanie Remembers in which she was interviewed for the sixty-fifth anniversary of the original release of Gone with the Wind. In June 2006 she made appearances at tributes commemorating her 90th birthday at the Academy of Motion Picture Arts and Sciences and the Los Angeles County Museum of Art. On November 17, 2008, at the age of 92, de Havilland received the National Medal of Arts, the highest honor conferred to an individual artist on behalf of the people of the United States. The medal was presented to her by President George W. Bush, who commended her „for her persuasive and compelling skill as an actress in roles from Shakespeare’s Hermia to Margaret Mitchell’s Melanie. Her independence, integrity, and grace won creative freedom for herself and her fellow film actors.“ The following year, de Havilland narrated the documentary I Remember Better When I Paint (2009), a film about the importance of art in the treatment of Alzheimer’s disease. On September 9, 2010, de Havilland was appointed a Chevalier (knight) of the Légion d’honneur, the highest decoration in France, awarded by French President Nicolas Sarkozy, who told the actress, „You honor France for having chosen us.“ In February the following year she appeared at the César Awards in France, where she was greeted with a standing ovation (Foto oben de Havilland als Melanie in „Gone with the wind“/Warner/oliviadehavillandonline.com). 

Franz von Suppé: „Il Ritorno del Marinaio“

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Wer im Werkverzeichnis von Franz von Suppé nach einer Oper mit dem Titel Il Ritorno del Marinaio sucht, wird vergeblich etwas finden. Über das Uraufführungsjahr 1885 wird er dann feststellen können, dass es sich um Suppés letzte Oper Die Heimkehr des Matrosen handeln muss, die am Hamburger Stadttheater unter der Direktion des hoch geschätzten Direktor Bernhard Pollini herausgekommen ist. So sehr man der Firma cpo auch dankbar sein muss, ein recht unbekanntes Werk Suppés auf CDs verfügbar gemacht zu haben, so sehr darf man sich aber wundern, warum das Werk nicht in Originalfassung, sondern in italienischer Übersetzung vorgestellt wird.

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Pollini kann sich nur in Unkenntnis des Librettos einen italienischen Holländer erhofft  haben. Das Werk konnte trotz eines Hamburger Uraufführungserfolges im deutschsprachigen Raum nicht reüssieren, es schaffte es nicht einmal nach Wien, so angesehen und hoch verehrt Suppé dort auch war. Interesse erregte der Matrose aber in der damals noch zur Habsburger-Monarchie gehörenden kroatischen Heimat Suppés. Denn das Stück spielt 1816 in Lesina, dem heutigen Hvar. Schon zu Lebzeiten des Komponisten wurde mit einer italienischen Übersetzung begonnen, denn diese findet sich zum Teil in der handschriftlichen Partitur der Oper. Vollständig existiert sie aber nur in dem von Cranz herausgegebenen Klavierauszug, wo auch der italienische Titel Il Ritorno di Marinaio aufscheint.

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Während der 200. Geburtstag von Franz von Suppé   (* 30. April 1870 ;† 24. Oktober 1948 ) im deutschsprachigen Raum kaum zur Kenntnis genommen wurde, erinnerte sich die Oper von Rijeka des Marinaio, der von ihr verständlicherweise als Bekenntnis des Komponisten zu seiner kroatischen Heimat verstanden wurde, nicht nur wegen des Handlungsortes Lesina, sondern auch wegen einer großen Balletteinlage im zweiten Akt mit kroatischen Nationaltänzen und einer Kavatine mit dem Titel La Dalmatina. Es kam im Jubiläumsjahr zu einer open-air Aufführung des Stückes, die auch vom Fernsehen übertragen wurde. Die Aufzeichnung war auf you tube zu sehen, Auf sie greift die Aufnahme von cpo zurück (davor gab es ebenfalls auf youtube noch 2013 eine frühere Videoaufzeichnung aus Split unter Loris Voltilini, beide sind bemerkenswerter Weise gelöscht/ G. H.).

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Wer die italienische Fassung des deutschen Librettos von Anton Langer verfasst hat, ist bis heute nicht feststellbar. Aber selbst diese italienische Fassung konnte aus dem Stück Langers, das mehrere Jahre in einer der Suppéschen Schreibtischladen gelegen hatte und erst nach des Autors Tod einer Vertonung für würdig befunden wurde, keine packende „romantische Oper“ machen, wie der Komponist das Werk bezeichnete. Anton Langer gehörte zur Gruppe der „Dichter“, für die in Wien die Sentenz „Weltberühmt in Wien“ benutzt wird: Er schrieb viele Stücke für die Wiener Theater, die nur einen Zweck hatten: das sich emanzipierende bürgerliche Publikum der rasch wachsenden Stadt zu unterhalten. Die eigentliche Stärke Langers lag in seiner Herausgebertätigkeit einer angesehenen satirischen Zeitschrift. Opernlibrettist war nicht seine Sache. Das könnte auch Suppé so empfunden haben, denn sonst hätte er das Stück nicht so lange „schubladiert“.

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Die Geschichte handelt vom Matrosen Pietro, der nach 20 Jahren vom Kriegsschiff Delfino abrüstet. Er hatte sich freiwillig zum Militärdienst verpflichtet, als ihm seine Braut Jela von einem Wüstling „geraubt“ wurde. Jela ist in der Zwischenzeit gestorben. An ihrem Lieblingslied erkennt er ihre Tochter, die ebenfalls Jela heißt. Der Podestà Quirino möchte sie heiraten, obwohl sie Nicolò liebt. Um diesen außer Gefecht zu setzen, will Quirino ihn zum Militärdienst auf dem Schiff verpflichten. Pietro beschließt, sich für die Liebe der Jungen zu opfern und kehrt wieder als Ersatz für Nicolò zum Dienst auf dem Kriegsschiff zurück.

Der Dirigent des „Marinaio“ bei cpo und in Rijeka: Adriano Martinolli d’Arcy/ cpo

Suppé konnte aus dieser sentimentalen Handlung nur lyrische Funken schlagen. Dramatisches Feuer war da nicht herauszuholen. Er hat sich aber hörbar bemüht, den Ton seiner Operettenproduktionen zurückzunehmen und „opernhaft“ zu schreiben. Das gelang nur beschränkt, denn immer wieder blitzen im „hohen Ton“ Walzer und Märsche auf. Natürlich gibt es auch großartige Musik, wie es bei einem Meister wie Suppé, der sein Handwerk gründlich beherrschte, gar nicht anders möglich ist. Allein der formale Aufbau von großen Ensembleszenen – wie das Finale des zweiten Akts – beweist die Meisterschaft des Komponisten, ebenso die lyrischen Solonummern. Merkwürdigerweise wirken die Buffo-Arien des Bürgermeisters seltsam uninspiriert. Verstörend sind auch die ziemlich platten Kopien von Formelementen anderer Komponisten: Da klingen die Märsche wie junger Verdi, da ist der Bürgermeister eine humorlose Kopie van Betts aus dem Zar und Zimmermann von Albert Lortzing, der eine kurze Zeit lang Suppés Dirigentenkollege am Theater an der Wien gewesen war, da lässt der Ausklang des ersten Finales sofort an das erste Finale der Nacht in Venedig mit der aus dem off erklingenden Barkarole Caramellos denken.

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Franz Suppé Oper „Des Matrosen Heimkehr“ auf das  Libretto von Arnold Langer für die Uraufführung in Hamburg/ lov.gov

Das kurze Werk (beide Akte dauern zusammen nicht einmal 90 Minuten, weshalb bei der Uraufführung der dritte Akt von Il trovatore inklusive Verdischer Ballettmusik gespielt wurde!) wird vom Dirigenten Adriano Martinolli d’Arcy mit dem Orchester der Ivan-Zajc-Oper von Rijeka (dem damaligen Fiume) zu schwer angegangen. Die Ensembles bleiben auch nicht durchsichtig. Am besten gelingt das auch von der Komposition her bemerkenswerte Vorspiel zum zweiten Akt und die Balletteinlage. Von den Sängern erfreut der bewegliche Sopran von Marjukka Tepponen als Jela und der international tätige Bariton Ljubomir Puškariḉ. Giorgio Surian als Quirino vermag nur seinen schönen Bass beizutragen. Die Figur konnte er damit nicht zum Leben erwecken. Das ist aber allein Schuld des Komponisten.

So dankbar, wie schon gesagt, man cpo sein muss, dieses Spätwerk Suppés musikalisch zugänglich gemacht zu haben, so sehr bedauert man doch, dass cpo sich nicht vorerst großen Werken Suppés angenommen hat. Wie gern wäre man dem Teufel auf Erden, der Donna Juanita, dem Gascogner oder der Afrikareise begegnet. Und außerdem liegt bis heute keine Aufnahme der Originalfassung von Boccaccio mit einem Mezzosopran in der Titelrolle vor. Hans-Dieter Roser   

 

Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei  https://www.jpc.de/jpcng/classic/home;

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Massenets „Don César de Bazan“

 

Opernreisende erinnern sich mit Freuden an die glorreichen Zeite des elegantens Théâtre Imperial im nordfranzösischen Compiegne – was gab es da nicht an unbekannten, wunderbaren Titeln zu sehen: Meyerbeers Dinorah (die Sache mit der Ziege, weit vor der konzertanten Wiedererweckung in Berlin), Halevys Charles VI, Mignon von Thomas (mit der hoffnungsvollen Lucille Vignon, Le Songe de la nuit dété von Thomas (mit der entzückenden Ghislaine Raphanel), Bizets Noé, Aubers Domino noir (mit dem jungen Alain Gabriel) sowie die Königsmord-Oper Gustave III, auch dessen Diamands de la couronne, ebenso seine Haydée,  und viele, viele mehr.

Frédric Boyer (1849 – ?) war der Don César Massenets bei der Uraufführung/ Pinterest

Nicht zu vergessen die wirkliche Erstaufführung in moderner Zeit: die ungekürzte Medee Cherubinis (mit der robusten Michele Command und allen Dialoge Hofmans, hocheffektvoll von Schauspielern der Académie Francais gesprochen) – ein Meilenstein und ein absolut unvergesslicher Moment meines Opernglücks, zumal Compiegne unter dem damaligen Intendanten Louis Jourdan nur francophone Sänger verwendete, mit Gewinn. Viele diese Aufführungen wurden als Video festgehalten und waren zumindest in Frankreich bei kleinen Firmen (DOM, Kultur) lange im Handel, aber inzwischen vergriffen.

Nun ist bei Naxos diese Tradition französischer unbekannter Opern aus Compiegne mit Aubers Sirène (bei operalounge.de bereits besprochen) wieder aufgenommen worden, was den Liebhaber dieses Genres außerordentlich freut und die Hoffnung auf mehr weckt. Und vielleicht kann Naxos auch die oben erwähnten und lange verschwundenen Videos neu herausbringen. Sie wären ebenso eine Bereicherung wie nun Massenets Don César, den Kollege Rolf Fath nachstehend bespricht. Dank an Naxos und das Théâtre Imperial, diese wie so viele andere Raritäten (nicht nur) des Opernrepertoires zugänglich zu machen. G. H.

 

Der Stoff bietet alles für einen ernsten Fünfakter. Doch nach dem Willen der Autoren wurde aus Victor Hugos 1838 in Paris uraufgeführter Tragödie Ruy Blas (der als Kompoistion Marchettis 1998 in Jesi das Licht dere modernen Welt erblickte und bei Bongiovanni veröffentlicht wurde) eine vieraktige Opéra-comique. Der von einem Autorentriumvirat verantworte Don César de Bazan wurde nach dem Einakter La grand’tante zu Jules Massenets erstem abendfüllenden Werk. Mit 13 Aufführungen war es kein stürmischer Erfolg. Der stellte sich erst fünf Jahre später im Palais Garnier mit dem dritten Opernversuch Le roi de Lahore ein. Trotz des mäßigen Erfolgs hielt sich Don César de Bazan bis Anfang des 20. Jahrhunderts im Repertoire, so dass sich Massenet 1888 gezwungen sah, eine zweite Fassung herzustellen, weil das Material beim Brand der Salle Favart im Jahr zuvor vernichtet wurde.

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In dieser Fassung holte das Orchestre des Frivolités Parisiennes, dessen Name eindeutig verrät, für welches Repertoire sein Herz schlägt, die komische Oper aus der Versenkung und brachten sie mit dem Ensemble Aedes und seinem Dirigenten Mathieu Romano u.a. in Paris und an seinem Stammsitz in Compiègne zur Aufführung, wo sie im Februar 2019 im Théâtre Impérial für Naxos aufgezeichnet wurde (2 CD  8.660464-65). Ganz klar: es ist eine Comique mit allem, was dazu gehört, witzigen Ensembles, kleinen Arien, Couplets, Romancen und Cavatinen, runden Finalensembles, einer stimmungsvollen Ouvertüre und drei bündig wirkungsvollen Entr-acte-Vorspielen, wovon die carmeneske, kastanettenknisternde Sivilliana zum dritten Akt als Koloraturnummer ein Eigenleben entwickelte, wobei sie in dieser Form in der Oper nicht vorkommt. In den insgesamt nicht mal zwei Stunden dauernden vier Akten wird die Geschichte des Titelhelden so schnell erzählt, dass man Mühe hat mitzukommen. Aber eigentlich ist Don César de Bazan gar nicht de Hauptfigur.

Das hatte bereits William Vincent Wallace erkannt, der 1845 die Zigeunerin Maritana zur Hauptfigur seiner gleichnamigen Oper gemacht hatte. Das Stück spielt kurz vor 1700 in Madrid während der Regierungszeit des letzen Habsburger Regent in Spanien Karl II. bzw. Carlos II. Dieser, wegen geistiger und körperlicher Abweichungen auch Der Verhexte genannt, verliebt sich in die Straßensängerin Maritana, zu der er sich erst bekennen kann, wenn sie sich im Adelsstand befindet. Da kommt der verarmte Adelige Don César de Bazan, der sich unerlaubterweise in der Karwoche ein Duell lieferte, um dem Jungen Lazarille beizustehen, gerade recht. Durch eine Heirat mit Maritana erhält er die Chance, seiner Hinrichtung durch den Strick zu entgehen und weitaus ehrenvoller durch die Kugel zu sterben. Der Don César ergebene Lazarille verhindert natürlich auch diesen Tod. Don José, der diese Intrige eingefädelt hatte, um nach dem geplanten Treuebruch des Königs bei der Königin zu landen, wird im Duell getötet, Don César, der die Ehre des Königs geschützt hat, wird zum Gouverneur von Granada ernannt und darf Maritana behalten.

Obwohl das spanische Flair allgegenwärtig ist, ist der Geist der Opéra-Comique die eigentliche musikalische Triebfeder, sei es in der Berceuse („Dors, ami“) und Romance („Rien ne peut le défendre“) des Lazarille, einer Hosenrolle in der Nachfolge vieler Pagen und Studenten von Urbain über den Siébel bis Offenbachs Fantasio, den Marion Lebègue mit hellem Mezzosopran singt, oder den alerten Ensembles, die mehr apart, wie das erste Finale oder die Szene mit dem Trinklied des Don César im zweiten Akt, als dramatisch und befeuernd sind. Man wird das Gefühl nicht los, die Musik agiere nicht auf der Höhe der Handlung. Gleichwohl zeigt sich Massenets Musik von ihrer melodiös sentimentalen und sanft verführerischen Seite. Laurent Naouri ist mit nicht mehr frischem Bariton gerade richtig für die Charakterpartie des Don César, mit Sentiment und Tiefe in seinem Couplet „Riche, j’ai semé les richesses“ und voll hinreißender Komik im Duett „Me marier“ mit Don José, in dem er sich mit Christian Helmer einen Baritonisten-Wettstreit à la Don Pasquale liefert. Die hohe Tenorpartie des Königs und dessen beide schwungvolle Nummern, die Mélodie „L’amour, un amour implacable“ und die Cavatine „Que de ta lèvre en fleur“, singt Thomas Bettinger mit Aplomb, doch im Mittelpunkt steht die Maritana der Elsa Dreißig, die gleich zu Beginn mit der Ballade aragonaise „Par un frais sentier“ den sinnlichen Reiz verströmt, dem er König erliegt, und in ihrer Romance „Cette splendeur“ und im bezaubernden Duo Nocturne „Aux coeurs les plus troublés“ mit Lazarille anmutig agiert.   Rolf Fath

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Unbekanntes Multitalent aus Litauen

 

Allzu viele bedeutende Komponisten, die auch als namhafte Maler hervorgetreten sind, dürfte es wohl nicht geben, so dass dem Litauer Mikalojus Konstantinas Čiurlionis (1875-1911) schon unter diesem Aspekt Beachtung zukommen sollte. Tatsächlich ist er ohne Frage der wichtigste litauische Tonschöpfer der Spätromantik. Seine Berührung mit der Musik war bereits familiär angelegt, war sein Vater doch Organist. Über seine Mutter hatte er deutsche Wurzeln, auch wenn die Familie, in der er als ältestes von nicht weniger als neun Kindern aufwuchs, polnischsprachig war. Um das Ganze noch zu verkomplizieren, lag seine Heimatstadt Varėna im seinerzeitigen Zarenreich – einen eigenständigen polnischen Staat gab es zu Lebzeiten Čiurlionis‘ bekanntlich mitnichten.

 

Mikalojus Konstantinas Čiurlionis/ www.ciurlinis.eu

Uns soll hier der Komponist interessieren. Neben den hier im Mittelpunkt stehenden Orchesterwerken hinterließ Čiurlionis Vokalmusik (darunter die Kantate De profundis und gar Skizzen zu einer unvollendet gebliebenen Oper Jūratė), Kammermusik, Klaviermusik und Orgelmusik. Zwei Tondichtungen, Miške (Im Walde) und Jūra (Das Meer), sowie die sinfonische Ouvertüre Kęstutis bilden den Kern seines Œuvre. Nicht wirklich viel, und doch hat gerade Das Meer für eine sinfonische Dichtung gewaltige Ausmaße, erstreckt sich über eine halbe Stunde und und inkludiert gar eine Orgel. Es handelt sich um das populärste Musikwerk aus Čiurlionis‘ Feder und auch um den Höhepunkt der litauischen Sinfonik an sich. Immerhin vier Einspielungen lagen bis dato vor. Das bewährte finnische Label Ondine bringt nun eine CD heraus, welche erstmals diese drei Orchesterwerke komplett vereint (ODE 1344-2). Die Idiomatik war offenkundig ein Anliegen, weswegen man auf das Litauische Nationale Sinfonieorchester unter seinem Chefdirigenten Modestas Pitrėnas zurückgriff. Eben dieses Orchester hat die beiden sinfonischen Dichtungen bereits zweimal eingespielt, so 1995 unter Gintaras Rinkevičius (Vilnius Recording Studio) sowie 2000 unter Juozas Domarkas (Northern Flowers). Beide Aufnahmen sind indes nicht unbedingt leicht greifbar. Dies gilt auch für die 1993 entstandene, nicht-litauische Einspielung des Meers mit dem Staatlichen Sinfonieorchester der Russischen Föderation unter Jewgeni Swetlanow (Exton). Der bereits genannte Domarkas machte 1990 mit dem Slowakischen Philharmonischen Orchester zudem eine Einspielung der beiden Tondichtungen für Marco Polo.

 

Die Ouvertüre Kęstutis erfährt bei Ondine hingegen ihre Weltersteinspielung. Sie entstand im Jahre 1902, liegt damit zeitlich zwischen Im Walde (1900/01) und Das Meer (1903-1907). Ein direkter Vergleich der Spielzeiten liefert zutage, dass Pitrėnas relativ breite Tempi anschlägt. Im Walde dauert bei ihm 17:15 und ist damit zwei Minuten langsamer als in Domarkas‘ älterer Einspielung und hat immer noch eine Minute mehr Spielzeit als in dessen neuerer Einspielung. Einzig  Rinkevičius genehmigt sich mit 18:22 noch mehr Zeit. Dies gilt auch beim Meer, wo dieser auf 37 Minuten kommt. Pitrėnas mit seinen 32:24 folgt vor Swetlanow (29:18) und  Domarkas (27:12 bzw. 27:22). Freilich besagen die reinen Spielzeiten, zumal bei Werken solcher Dimensionen, nicht allzu viel. Klanglich fällt interessanterweise keine der hier verglichenen Aufnahmen ab; selbst die alte Marco-Polo-Produktion schneidet erstaunlich gut ab. Es handelt sich, abgesehen von dem gleichwohl hervorragend klingenden Live-Mitschnitt unter Swetlanow, um Studioaufnahmen. Die Ondine-Produktion entstand zwischen 15. und 19. April sowie zwischen 15. und 17. Oktober 2019 im Aufnahmestudio des Litauischen Nationalen Kulturzentrums in Vilnius. Die Neueinspielungen sind mit ihrem zelebrierten Zeitmaßen nahe an denjenigen von Rinkevičius. Das litauische Orchester hat diese Werke freilich im Blute, weswegen es auch in dieser Hinsicht im Grunde keine Einschränkungen zu machen gilt. Wer Das Meer allerdings mit den kräftigen, hochexpressiven Orchesterfarben der alten russischen Orchestertradition hören will, kommt um Swetlanow nicht herum (die CD vereint zudem die gleichnamigen Werke von Glasunow und Debussy). Swetlanows Darbietung bleibt dann auch die Referenz: nirgendwo sonst ist der Seegang rauer und schlagen die Wellen höher.

 Čiurlionis hat einen ganz eigenen Stil entwickelt, den man mit Fug und Recht litauisch nennen kann. Großangelegte Landschaftsbeschreibungen sind fraglos eine Stärke dieses Komponisten, so dass gerade die beiden Tondichtungen einen gewichtigen Beitrag zu diesem Genre beisteuern, auch wenn man hie und da einige Längen ausmachen kann (die Swetlanow interessanterweise vergessen macht). Die nicht ganz so ambitionierte Ouvertüre bereichert die immer noch überschaubare Čiurlionis-Diskographie auf erfreuliche Weise, so dass diese Neuproduktion schon deswegen als Pflichtkauf auch für den fortgeschrittenen Bewunderer dieses Komponisten bezeichnet werden darf. Das brauchbare Booklet liegt leider nur auf Englisch vor. Daniel Hauser

 

Dazu auch eine Biografie bei Wikipedia:  Mikalojus Konstantinas Čiurlionis (* 10.jul./ 22. September 1875, in Varėna; † 28. Märzjul./ 10. April 1911greg. in Pustelnik (Marki) bei Warschau) war ein litauischer Komponist und Maler.

Leben: Die Sprache der gebildeten Litauer seiner Zeit war Polnisch, wie in diesem Manuskript Gedanken (Myśl). Mikalojus Konstantinas Čiurlionis mit seiner Frau Sofija Kymantaitė-Čiurlionienė (1886–1958) im Jahr 1908. Durch sie kam er näher mit der litauischen Sprache in Berührung.
Mikalojus Konstantinas Čiurlionis war das älteste von neun Kindern einer polnisch sprechenden Familie. Seine Mutter Adelė hatte deutsche Vorfahren und sein Vater Konstantinas war Organist. Dementsprechend früh kam er mit Musik in Berührung. Er erhielt von 1889 bis 1893 Unterricht in der Orchesterschule des polnischen Fürsten Michał Ogiński in Plungė. Die Unterstützung des Fürsten ermöglichte ihm ab 1894 ein Musikstudium an der Musikakademie Warschau in den Fächern Klavier und Komposition. Zu seinen Lehrern zählte Zygmunt Noskowski. 1899 erhielt er sein Diplom. Statt danach eine feste Anstellung anzunehmen, entschloss sich Čiurlionis, 1901/02 am Leipziger Konservatorium bei Carl Reinecke und Salomon Jadassohn seine musikalische Ausbildung zu perfektionieren. Ab 1902 begann er sich für die Malerei zu interessieren und nahm in Warschau ersten Malunterricht. Er begriff sich selbst als Synästhetiker. Zusätzlich beschäftigte er sich immer stärker mit philosophischen Fragestellungen. György Dalos schreibt: „Der in der UdSSR äußerst populäre Nationalkünstler […] hatte als Komponist und Maler die Synthese dieser beiden Kunstarten angestrebt.“[1]. Von 1904 bis 1906 war er Schüler der Warschauer Schule der Schönen Künste. Danach war Čiurlionis sowohl kompositorisch als auch malerisch sehr aktiv: er gab Konzerte und wirkte an zahlreichen Kunstausstellungen mit. 1907/08 wohnte er in Vilnius. Danach ließ er sich in Sankt Petersburg nieder. Gegen Ende seines Lebens litt er unter psychischen Problemen. Er wurde in verschiedenen Kliniken behandelt, starb jedoch bereits im Alter von 35 Jahren an einer Lungenentzündung. Postum wurde ihm gerade in Litauen größte Anerkennung zuteil. Sowohl seine Musik als auch seine Gemälde erlebten große Resonanz. 1987 wurde eine Čiurlionis-Gesellschaft ins Leben gerufen. Vytautas Landsbergis gilt als größter Kenner seines Schaffens. Heute besitzt Čiurlionis den Status eines Nationalhelden. Die Mikalojaus Konstantino Čiurlionio gatvė in Vilnius und der Asteroid (2420) Čiurlionis sind nach ihm benannt.

Mikalojus Konstantinas Čiurlionis/ „Rex“ 19019, Tempera/www.ciurlinis.eu

Čiurlionis als Komponist: Čiurlionis‘ Schaffen hat seine Wurzeln in der Spätromantik. Üppige Harmonik und schwärmerische Klangbilder kennzeichnen schon seine ersten Werke. Auch die Volksmusik seines Landes hatte für ihn eine große Bedeutung; er sammelte zahlreiche Lieder und harmonisierte sie. Doch Čiurlionis war ein sehr innovativer Geist und begann, erstaunliche kompositorische Experimente zu unternehmen. Sehr beachtlich ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung von Kompositionstechniken, die auf Reihen beruhen. Hier antizipierte er die Schönbergsche Zwölftontechnik, ohne freilich mit der Tonalität zu brechen. Dennoch zeigen seine Werke eine ungewöhnlich freie Harmonik. Auch hinsichtlich der Rhythmik erwies sich Čiurlionis sehr eigenständig. Er entwickelte sehr komplexe rhythmische Strukturen und wandte Polyrhythmik und sogar Polymetrik an. Manche seiner späteren Werke zeichnen sich durch stark ausgeprägte polyphone Strukturen aus, was einen Hang zum Neoklassizismus mit sich führt. Den Schwerpunkt seines kompositorischen Schaffens bildete die Klaviermusik. Interessant ist der Einfluss der Malerei auf seine Musik: viele Werke sind ganz deutlich malerisch angelegt und versuchen, Landschaften musikalisch darzustellen. Auch weisen seine Kompositionen eine bemerkenswerte klangliche Farbigkeit auf. Čiurlionis war der erste litauische Komponist von Format. Seine Werke, die von Vytautas Landsbergis katalogisiert wurden, besitzen allerdings auch internationale Bedeutung.

Mikalojus Konstantinas Čiurlionis/ Der Komponist und Maler mit Freunden ca 1909/ www.ciurlinis.eu

Čiurlionis als Maler: Als Maler bevorzugte Čiurlionis Landschaften, stand aber auch dem Symbolismus nahe. Seine Bilder haben oft philosophische Hintergründe. Auffällig ist wiederum der Einfluss der Musik auf die Malerei: so schuf Čiurlionis mehrere Zyklen von Gemälden, die er als „Sonaten“ bezeichnete und deren einzelne Bilder er mit „Allegro“, „Andante“ u. ä. überschrieb. Hierbei orientieren sich die einzelnen Bilder am Charakter der jeweiligen musikalischen Vortragsanweisung: ein Andante zum Beispiel vermittelt also eine eher ruhige Atmosphäre. Manche Gemälde tragen sogar den Titel „Fuge“. Diese Synthese von Musik und Malerei ist kunsthistorisch einmalig. Čiurlionis schuf etwa 280 Bilder, darunter 200 Gemälde und 80 Grafiken. Quelle: Wikipedia 

 

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.) Weitere Informationen zum Künstler (Komponist und Maler) bei https://visit.kaunas.lt/en/kaunastic/20-things-you-should-know-about-ciurlionis/ und natürlich auf der website www.ciurlionis.eu

Remake von 2010: Zemlinsky-Trias

 

Die zentralen Sätze stehen am Schluss des Einakters. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so stark?“ fragt Bianca „in zarter Begeisterung“. Und Simone antwortet, „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so schön!“ Es brauchte des Mords an Guido, bis sich das Ehepaar in die Arme sinken kann. Sozusagen als Therapie. Simone kehrt unerwartet von einer Geschäftsreise zurück und überrascht seine Frau mit dem jungen Prinzen. Zunächst unterwürfig, dann aber nachdrücklich stellt er sich dem Nebenbuhler, der nach starkem Weingenuss Bianca seine Liebe erklärt. Aus harmlosem Geplauder wird ein Zweikampf. Simone fordert Guido zum Duell, ermordet ihn dann aber mit bloßen Händen. Die Begebenheit trägt sich nicht im Wien der vorigen Jahrhundertwende zu, wo die Dreiecksgeschichte im Licht der Psychoanalyse hinreichend Material für unterdrückte Lüste geboten hätte, sondern im Florenz der Renaissance. Renaissancestoffe lagen in der Luft. Auch hoffte Alexander von Zemlinsky möglicherweise auf einen Sensationserfolg, wie ihn Strauss mit seiner Salome erlebt hatte, als er nach Oscar Wildes unvollendeter A Florentine Tragedy von 1893 griff. Die Uraufführung der Florentinischen Tragödie erfolgte 1917 in Stuttgart unter Leitung des Generalmusikdirektors Max von Schillings, der mit Mona Lisa selbst eine düstere Renaissance-Oper geschrieben hatte. Zemlinsky war unzufrieden mit dem dirigierenden Kollegen. Wenige Wochen später leitete er selbst in Prag, wo er bis 1927 Musikdirektor am Landestheater war, eine Aufführung. Kurz darauf folgte die Premiere an der Wiener Hofoper, nach der Alma Mahler gegenüber ihrem einstigen Lehrer ihr Befremden bekundete. Kein Wunder. Sie sah darin einen unverblümten Hinweis auf ihre eigene Affäre mit Walter Gropius im Jahr vor Mahlers Tod. Rache eines Enttäuschten, der sich einst hoffnungslos in seine Schülerin verliebt hatte? Er sei „ein scheußlicher Gnom“, hatte Alma, damals noch Schindler, befunden, „klein, kinnlos, zahnlos, immer nach Kaffeehaus riechend, ungewaschen“, aber eben auch „ungeheuer faszinierend“. Zemlinskys schriftlich Antwort ist der Schlüssel zum Verständnis des Werkes: „Zwei Menschen leben aneinander vorbei. Er versäumt, ob seiner Leidenschaft zu seiner Lebenstüchtigkeit die Schönheit und das lebenssehnsüchtige Weib neben sich, sie, die auf das Leben neben ihrem Mann wartet, fühlt sich um ihre Jugend und Schönheit betrogen, wird lieblos und unglücklich und scheinbar voller Hass. Eine furchtbare Katastrophe ist notwendig, um beide zu Bewusstsein zu bringen… Eine wirkliche Tragödie, weil ein Menschenleben geopfert werden musste, um zwei andere zu retten. Und Sie, gerade Sie, haben das missverstanden?“

Er „sei der Forschung gleichsam abhanden gekommen“, hatte noch in den 1970er Jahren das Feuilleton geistreich formuliert. Eine Florentinische Tragödie stand am Beginn der dann einsetzenden Zemlinsky-Wiederentdeckung, die vermutlich korrekt mit Gerd Albrechts Aufführung der beiden Wilde-Einakter Eine Florentinische Tragödie und Der Geburtstag der Infant bzw. Der Zwerg 1981 in Hamburg zu datieren ist. Den Weg dazu ebnete die Zemlinsky -Retrospektive 1974 beim Steirischen Herbst in Graz, ja, und Kiel hatte bereits 1977 die Tragödie gespielt. Doch den eigentlichen Durchbruch erzielte Gerd Albrecht im Zusammenspiel mit Dresens Inszenierung. Ich erinnere mich noch deutlich, welch gewaltigen Eindruck die Aufführung bei ihrem Gastspiel in Wien auf die lokale Musikszene ausgeübt hatte. Während der Zwerg fast ein Repertoirestück geworden ist, ist die Florentinische Tragödie seltener anzutreffen. Umso wichtiger ist der bei Capriccio, dem Zemlinsky-Label schlechthin, erschienene Mitschnitt eines Wiener Konzerts aus dem Mai 2010 unter Bertrand de Billy (Capriccio C5325). Als einzige offizielle Aufnahmen scheinen ansonsten nur die einst bei Schwann erschienene Aufnahme Gerd Albrechts mit den Sängern der Hamburger Aufführung sowie die Decca-Aufnahme unter Riccardo Chailly zu existieren. Die neue Aufnahme ist insofern wichtig, da sie, so will mir scheinen, zwar nachdrücklich das Augenmerk auf den glänzenden Instrumentierungskünstler lenkt, der in seiner Musik Makartschen Prunk mit Wiener Sezession verschmilzt, aber auch eine dramatische Löchrigkeit und einen Hang zur geschickten, manchmal auch floskelhaften Anverwandlung offenbart. Immer wenn das Orchester entscheidend die Handlung kommentiert, ist die Musik jedoch von einer erlesenen Qualität. Und obwohl Zemlinsky ausgesprochen sängerfreundlich schreibt, finde ich die Gesangslinien inzwischen oft etwas länglich. Sie kommen nicht richtig von der Stelle, es fehlt das Pulsieren, der dramatische Drive. Unter de Billys Leitung spielt das ORF Orchester die Musik Zemlinskys, der die Pfade der bekannten Harmonik nie verließ, so straussüppig und spätromantisch sinnlich und wie einen Ableger der Salome als wolle es alle Einwände abwehren. Die Besetzung ist gut. Wolfgang Koch gibt dem Kaufmann Simone eine herbe deutsche Italianità, singt großbogig, ausdruckvoll und nachdrücklich, daneben setzt Heidi Brunner glühende Farben ein, wirkt aber zwischen Sopran und Mezzosopran als Bianca zu sehr strapaziert – Doris Soffel hat (unter Albrecht) einfach mehr Klasse – , und Charles Reid kann als Guido nicht wirklich Profil entwickeln, was zum Teil auch an der Partie liegt.

 

Jede seiner Opern klingt anders. Hat sozusagen ein eigenes Gesicht oder soll man sagen, trägt eine andere Maske, das historische Gründerzeitgemälde Sarema, das Märchen Es war einmal, das mozarthafte Kostümspiel nach Keller Kleider machen Leute, die symbolhafte Fin-de-siècle Künstleroper Der Traumgörge, der von ihm unvollendet hinerlassene König Kandaules nach dem Drama von André Gide, der sich als Gegenstück zu Szymanowskis Król Roger denken lässt, oder die fast wie hingetupft wirkende Chinoiserie Der Kreidekreis nach Klabund, in deren Wiederauflage man leider auf das Libretto verzichten muss (Capriccio C 5190). Die Musik ist aber so durchsichtig und leichtfüßig, die Sprechtexte so klar, dass sich das Mitlesen erübrigt. Gleich zu Beginn in der Bordellatmosphäre des Teehauses springt uns der jazzige Songstil Weills an. Und man denkt ständig an das Theater Brechts – nicht nur weil Der Kaukasische Kreidekreis den gleichen Stoff behandelt und Klabunds Frau, Carola Neher, die vielfach in der Hauptrolle des 1925 uraufgeführten Stücks aufgetreten war, zwei Wochen nach Klabunds Tod die Polly in der Uraufführung der Dreigroschenoper war. In Berlin wurde Klabunds Stück durch eine Inszenierung Max Reinhardts zum Erfolg. Dadurch muss auch Zemlinsky auf den Stoff für seine letzte vollendete Oper aufmerksam geworden sein, die 1933 in Zürich uraufgeführt wurde und 1934 an die Berliner Staatsoper gelangte Das Stück, dessen Figuren im Sinn des chinesischen Theaters Typen ohne Entwicklung sind, ist Märchen und Sozialdrama, Gegenwartsstück und China-Mode. Zemlinsky illustriert das mit Flöte und Gong und Saxophon, mischt mit parodistischer Kürze Unterhaltungsmusik darunter, die Musik ist rhythmisch alert und revuehaft wendig, die Stilzitate und Anklänge an Strawinsky, an Strauss, sind dezent. Der Kreidekreis bleibt – trotz aller modischen Anverwandlungen und Zitate – ein zögerlicher Avantgardismus. Kein Zeitstück. Die Wiederbegegnung mit der von Stefan Soltesz dirigierten Aufnahme ist interessanter als ich sie in Erinnerung hatte. Das Ensemble ist so prominent und sorgfältig ausgewält, wie es 1990 in Berlin möglich war, auffallend wie auszeichnet die Sprechtexte von den Sängern umgesetzt werden. Durchdringend, aufrichtig und selbstbewusst die auf Tonträgern kaum vertretene Renate Behle als die an den Mandarin verkaufte Haitang, dazu Siegfried Lorenz, Reiner Goldberg, sogar Peter Matic und in Kleinstpartien Gidon Saks und Warren Mok am Anfang ihrer Karriere.

Schönberg verdankte seinem einzigen Lehrer, „fast all mein Wissen um die Technik und die Probleme des Komponierens“. Webern bat Zemlinsky um Hilfe, wenn er mit seinen Werken die Professoren verschreckte, Berg widmete Zemlinsky seine „Lyrische Suite“. Die Neue Wiener Schule ist ohne Zemlinsky undenkbar. Seine „unglaubliche Technik“ (Mahler) kommt in den von Gerd Albrecht dirigierten Drei Ballettstücken zum Ausdruck, einer 1903 in Wien uraufgeführten Suite nach dem nie fertig gestellten Ballet Der Triumph der Zeit zum Ausdruck,  wo Albrecht 1992 in der Hamburger Musikhalle seine gesamte Zemlinsky- Erfahrung aufbot, um diese golden schillernden, vor Lebensglück berstenden Klänge mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg in kinohaftem Breitwandformat einzufangen. Die späten Symphonischen Gesänge op. 20 auf sieben Gedichte schwarzer amerikanischer Dichter nehmen den Zeitgeist auf, ohne Jazz oder Blues zu zitieren. Franz Grundheber gibt den entrückt und artifiziell wirkenden Vertonungen ein Höchstmaß an emotionaler Dichte (Capriccio 10 448). Der kurze Monolog des Gyges aus Der König Kandaules machte zum Zeitpunkt der Aufnahme Sinn, da die Oper erst vier Jahre später in Hamburg uraufgeführt wurde. Wieder mit Albrecht am Pult.  Rolf Fath

Der schönste Mann des deutschen Films

 

Eine Retrospektive in Berlin & ein neues Buch aus Wien: Wohlbrück oder Walbrook? Adolf oder Anton? Wie auch immer man ihn nennt, der unter zwei Namen bekannte Schauspieler war einer der schönsten Männer in der deutschsprachigen Filmindustrie der 1930er Jahre und machte eine prächtige Filmoperette nach der anderen. Als sich der Nazi-Terror verschlimmerte, wanderte er nach England aus, änderte seinen Namen und hatte eine zweite Filmkarriere, die zu Klassikern wie The Red Shoes führte, aber auch zu der wunderbaren Fledermaus-Adaption Oh … Rosalinda! Im Juli ehrte das Berliner Zeughaus-Kino in Berlin Adolf Wohlbrück bis zum 26. August 2020 mit einer umfassenden Retrospektive. Gleichzeitig erschien ein 120-seitiges Buch mit dem Titel Wohlbrück & Walbrook: Schauspieler, Gentleman, Emigrant bei Synema Publikationen Wien (ISBN 978-3-901644-84-9, 120 Seiten, 60 Fotos) mit einem hervorragenden Artikel von Frederik Lang und schönen Fotos.

„Wohlbrück oder Walbrook“ bei Synema Publikationen Wien (ISBN 978-3-901644-84-9)

Walbrook/Wohlbrück war auf vielen Ebenen eine faszinierende Figur. In erster Linie ist er natürlich ein brillanter Schauspieler, der seinen vielen prahlerischen unbekümmert-sorglosen Rollen, darunter Sándor Barinkay im Zigeunerbaron, einen einzigartigen Charme verlieh. Er singt nicht in diesem Film, aber er ist immer noch ein perfekter Operettenheld, der Legenden wie Henry E. Dixey leicht beschämen kann. Der Zigeunerbaron ist seltsamerweise nicht Teil der Berliner Retrospektive, Oh … Rosalinda! gleichwohl schon. Letzteres wurde kürzlich zum ersten Mal auf DVD veröffentlicht, aber es ist ein einzigartiger Nervenkitzel, es auf einer großen Leinwand zu sehen.

An Wohlbrück erinnert man sich im allgemeinen nicht seines Gesanges wegen, sondern wegen seines auffallend guten Aussehens, seines frechen Schnurrbarts und seines liebenswürdigen Spiels. Das machte ihn zu einem idealen Hauptdarsteller in Operetten, weil er seine Rollen mit einem ständigen Augenzwinkern spielen konnte. So in der Korngold-Adaption von Leo Falls Die geschiedene Frau neben Lucie Mannheim mit „Man steigt nach“ zu hören. Man vernimmt ein perfektes Operetten-Parlando und einige wunderbar subtile „queere“ Anspielungen des schönen Addi.

Diese diskreten Andeutungen machten ihn 1933 ideal für Filme wie Viktor und Viktoria. Ein Jahr später sah man ihn in Oscar Straus‘ Eine Frau, die weiß, was sie will (nein, ohne Fritzi Massary.) Und ein weiteres Jahr später gibt es den Zigeunerbaron mit Wohlbrück als Sándor Barinkay. Es ist eine Filmfassung mit wenig Strauss-Musik, aber eine Version, die beweist, dass Operettengeschichten durchaus lohnende Filme nach sich ziehen können. Weil es nicht nur um die Musik geht, sondern auch um die Handlung. Etwas, was moderne Produzenten regelmäßig vergessen.

Adolf Wohlbrück in „Der Kurier des Zaren“, 1935/ Schwules Museum Berlin

Die Fledermaus-Version von 1955 mit dem Titel Oh … Rosalinda! ist eine Klasse für sich, was die Verfilmung dieser Strauss-Operette betrifft. Da die Regisseure – Produzenten Michael Powell und Emeric Pressburger die Geschichte nicht bloß einfach modernisiert haben, sorgten sie vielmehr dafür, dass ihre Aktualisierung der Nachkriegsjahre Wiens unter sowjetischer Besatzung bis ins kleinste Detail funktioniert. Es ist ein witziger, allumfassender Operettenfilm mit Wohlbrück als Schwarzmarkthändler Dr. Falke neben Michael Redgrave als Eisenstein und Anneliese Rothenberger als Adele. Sie sind alle hervorragend, ebenso wie Ludmilla Tcherina als Rosalinda.

Das neue Buch bzw. der neue Katalog zur Ausstellung möchte eine Spurensuche durchführen. Und neben der politischen Dimension seiner Karriere und seines Lebens als Auswanderer gibt es auch den Aspekt der Homosexualität des deutschen Film-Beaus: Inwiefern hat dies seinen Anteil an allem? Wie konnte er unter den damaligen Umständen ziemlich offen so leben und es gleichwohl aus den Nachrichten heraushalten? Welche Rolle spielte das in seiner Karriere? Einige Antworten gibt es im neuen Buch, das auch eine kommentierte Filmografie enthält. Und diese Filmografie ist wirklich expansiv und beeindruckend.

Die Zeughaus-Retro in Berlin zeigt(e) den berühmten Walzerkrieg (1933) von Ludwig Berger, die Maskerade (1934) von Willi Forst und Die vertauschte Braut (1934) von Carl Lamac (der auch den Film Im weißen Rössl drehte). Es gibt den frühen Wüstenrausch (1923) von Géza von Bolváry und das einflussreiche Viktor und Viktoria (1933) von Reinhold Schünzel.

Adolf Wohlbrück als Barinkay in „Zigeunerbaron“ 1935/ Foto Zeughauskino/ORCA

Auch die britischen Filme werden berücksichtigt, von Gaslight (1940) von Thorold Dickinson bis zu Victoria the Great (1937) von Herbert Wilcox und späten Filmen wie Saint Joan (1957) von Otto Preminger und L’Affaire Maurizius (1954) von Julien Duvivier. Es GIBT  auch einen Dokumentarfilm aus dem Jahr 1989 aus DDR mit dem Titel Der Schatten des Studenten, ein Hinweis auf den berühmten Student von Prag.

Das neue Buch/der neue Katalog kann übrigens nicht über Amazon gekauft werden (der Wiener Verlag SYNEMA – Gesellschaft für Film und Medien proklamiert „Entschuldigung, wir machen kein Amazon!“).  Das gesamte Projekt wird vom Berliner Hauptstadtkulturfonds gefördert. Und 1997 präsentierte das Schwule Museum in Berlin eine der ersten Ausstellungen zu Adolf Wohlbrück mit dem Titel Der schönste Mann des deutschen Films – Hommage an Adolf Wohlbrück, betreut von Wolfgang Theis. Es ist höchste Zeit für ein Update! Sam Uptoun/ Übersetzung Daniel Hauser (Foto oben Publicity-Foto Tobis-Cinema-Film-AG aus den 1930ern)