Nachdem der Pharao sein Wort gebrochen und den Hebräern die versprochene Freiheit nicht geben will, droht Moses mit Sturm, Hagel und Feuer. Die Sonne verdunkelt sich. Zu Beginn des zweiten Aktes von Rossinis Moïse et Pharaon où Le paysage de la Mer Rouge (Version 1827/ Irreführend als nur Moise auf dem Cover abgedruckt, Naxos 8.660473-75 ) klagen deshalb Volk und königliche Familie im Pharaonenpalast, Ah! Quel désastre! Oh ciel! Beim Górecki Chamber Choir aus Krakau löst sich in der undeutlichen Aussprache alles Entsetzen in einem klanglichen Sfumato auf, bleiben Ausdruck und Haltung wenig nachdrücklich. Klare, prononcierte Aussprache ist das Manko dieser Aufführung, die eben nicht den Mosé in Egitto präsentiert, sondern die neun Jahre spätere, inzwischen völlig umgearbeitete, umgestellte, mit neuer Instrumentierung versehene und um die mit den Juden sympathisierende Figur der Königin Sinaïde erweitert französische Oper. Gioachino Rossinis Bibel-Oper war den Umständen der Entstehung geschuldet. Um seinen Vertrag in Neapel zu erfüllen, musste Anfang 1818 so rasch wie möglich eine neue Oper auf die Bühne gebracht werden. Der Zeitpunkt fiel in die Fastenzeit, die traditionsgemäß nur Opern biblischen Inhalts gestattete. Die Wahl fiel auf die im 2. Buch Moses abgehandelte Geschichte von den ägyptischen Plagen und dem Auszug der Juden. Der Erfolg von Mosé in Egitto war, nicht zuletzt wegen der hapernden Bühnentechnik, nicht einhellig, schlug aber im folgenden Jahr mit dem eingefügten Gebet des Moses um, das für Balzac ein Flehen um die Befreiung des italienischen Volkes im Zeichen der Einheit Italiens war.
Man muss zum Vergleich nicht ältere Aufnahmen heranziehen, beispielsweise die Pariser Aufführung unter Prêtre von 1983 oder die noch ältere Aufnahme von 1974 unter John Matheson, wo man den Disput zwischen Joseph Rouleaus Moses und Robert Massards Pharao mitschreiben könnte, um die sprachlichen Schwächen der aktuellen Aufnahme zu erkennen. Die Diktion von Pharao Luca Dall’ Amico bleibt durchgehend schwammig verwaschen, was auch auf sein Duett mit Sohn Aménophis abfärbt, wo Randall Billls, der in Wildbad bereits 2013 in Ricciardo e Zoraide aufgefallen war, als leichter Amoroso immer noch zarte Koloratureleganz anbietet. Dagegen gelingt es Fabrizio Maria Carminati vor allem ab diesem zweiten Akt gut, ein üppiges Gemälde zu entfalten, in dem die einzelnen Farbtupfer nicht stark aufgetragen sind, aber der Gesamtblick überzeugt, ein Cinemascope-Eindruck, der in der Invocation mit anschließendem Quintett oder dem Finale im dritten Akt die breite Leinwand sucht. Carminati bündelte die komplizierten Ensemblesätze und pathosgesättigten Chorszenen mit den engagierten Virtuosi Brunenses, samt der im Festivalrahmen unerlässlichen Ballettszenen im dritten Akt, in sanften Tableaux und verleiht ihnen eine gewisse Einheitlichkeit. Dadurch ist der Gesamteindruck dieser Moise-Aufführung, die nach der Zelmira, der weiteren Großtat des Jahres 2018 bei Rossini in Wildbad, nun ebenfalls auf CD vorliegt (3 CDs Naxos 8.660473-75), weitaus schlüssiger als es die Summe ihrer Einzelteile nahelegen würde. Auch überzeugender als der Live-Eindruck damals in der Trinkhalle in Bad Wildbad.
Große Aktionen mussten es in Paris schon sein, wo biblische Themen im nachrevolutionären Frankreich wieder auf die Bühne gelangten und Erzengel mit Flammenschwertern vom Himmel stießen und im Pasticcio La prise de Jericho die Stadt in Flammen setzten. Wiederaufnahmen von Le Sueurs La mort d’Adam und Kreutzers La mort d’Abel hatten den Weg für Rossinis biblisches Stück bereitet, bei dem das Publikum weniger gespannt war auf den Ausgang der Familienzwistigkeiten im Hause des Pharao und des Moses als auf den im Untertitel angekündigten Zug durchs Rote Meer, das sich teilt und den Hebräern den Weg in die Freiheit weist. Rossini in Wildbad bietet an dieser Stelle nicht das sinfonische Nachspiel mit der Ruhe nach dem Sturm, sondern als Nr. 17 den 3 1/2minütigen Schlussgesang Chantons, bénissons le Seigneur.
Von den Melodien des Premier Compositeur du Roi hatte Balzac gemeint, „dass man um den Thron Gottes so singen mag“. Der aufrüttelnde, eher charaktervolle als ebenmäßige Bass des Weißrussen Alexey Birkus Moses steht auch nach drei Stunden beim Gebet Des cieux où tu resides noch selbstbewusst wie eine Gesetzestafel im Raum. Als Moses-Tochter Anaï gleicht Elisa Balbo Schärfen und Vibrato ihres Soprans durch Hingabe an vokale Zierkunst aus. Mit elegantem Ausdruck wertet Patrick Kabongo den Aron auf, der hier Éliézier heißt. Nicht hinreichend überzeugend der kasachische Bass Baurzhan Anderzhanov als Voix mystérieuse (und den Oziride). Neben Silvia Dalla Benettas Sinaïde wirkt nicht nur der Pharao etwas schlaff. Üblicherweise wird die Partie mit einer dunkleren und volleren Stimme besetzt, doch mit kernigem Einsatz und starkem Willen gestaltet Wildbads vielseitige Primadonna eine königliche Figur, ihr Sopran verschafft sich auch in den großen Ensembles Gehör, das Singen hat Autorität, Kraft und Flexibilität, dass man ihr auch eine furiose Lady Macbeth im französischen Macbeth – demnächst beim Verdi-Festival in Parma (in diesem Jahr alles leider nur konzertant) – zutraut. Rolf Fath
(Weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)