Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Mais dans quelle langue?

 

Nachdem der Pharao sein Wort gebrochen und den Hebräern die versprochene Freiheit nicht geben will, droht Moses mit Sturm, Hagel und Feuer. Die Sonne verdunkelt sich. Zu Beginn des zweiten Aktes von Rossinis Moïse et Pharaon où Le paysage de la Mer Rouge (Version 1827/ Irreführend als nur Moise auf dem Cover abgedruckt, Naxos 8.660473-75 ) klagen deshalb Volk und königliche Familie im Pharaonenpalast, Ah! Quel désastre! Oh ciel!  Beim Górecki Chamber Choir aus Krakau löst sich in der undeutlichen Aussprache alles Entsetzen in einem klanglichen Sfumato auf, bleiben Ausdruck und Haltung wenig nachdrücklich. Klare, prononcierte Aussprache ist das Manko dieser Aufführung, die eben nicht den Mosé in Egitto präsentiert, sondern die neun Jahre spätere, inzwischen völlig umgearbeitete, umgestellte, mit neuer Instrumentierung versehene und um die mit den Juden sympathisierende Figur der Königin Sinaïde erweitert französische Oper. Gioachino Rossinis Bibel-Oper war den Umständen der Entstehung geschuldet. Um seinen Vertrag in Neapel zu erfüllen, musste Anfang 1818 so rasch wie möglich eine neue Oper auf die Bühne gebracht werden. Der Zeitpunkt fiel in die Fastenzeit, die traditionsgemäß nur Opern biblischen Inhalts gestattete. Die Wahl fiel auf die im 2. Buch Moses abgehandelte Geschichte von den ägyptischen Plagen und dem Auszug der Juden. Der Erfolg von Mosé in Egitto war, nicht zuletzt wegen der hapernden Bühnentechnik, nicht einhellig, schlug aber im folgenden Jahr mit dem eingefügten Gebet des Moses um, das für Balzac ein Flehen um die Befreiung des italienischen Volkes im Zeichen der Einheit Italiens war.

Man muss zum Vergleich nicht ältere Aufnahmen heranziehen, beispielsweise die Pariser Aufführung unter Prêtre von 1983 oder die noch ältere Aufnahme von 1974 unter John Matheson, wo man den Disput zwischen Joseph Rouleaus Moses und Robert Massards Pharao mitschreiben könnte, um die sprachlichen Schwächen der aktuellen Aufnahme zu erkennen. Die Diktion von Pharao Luca Dall’ Amico bleibt durchgehend schwammig verwaschen, was auch auf sein Duett mit Sohn Aménophis abfärbt, wo Randall Billls, der in Wildbad bereits 2013 in Ricciardo e Zoraide aufgefallen war, als leichter Amoroso immer noch zarte Koloratureleganz anbietet. Dagegen gelingt es Fabrizio Maria Carminati vor allem ab diesem zweiten Akt gut, ein üppiges Gemälde zu entfalten, in dem die einzelnen Farbtupfer nicht stark aufgetragen sind, aber der Gesamtblick überzeugt, ein Cinemascope-Eindruck, der in der Invocation mit anschließendem Quintett oder dem Finale im dritten Akt die breite Leinwand sucht. Carminati bündelte die komplizierten Ensemblesätze und pathosgesättigten Chorszenen mit den engagierten Virtuosi Brunenses, samt der im Festivalrahmen unerlässlichen Ballettszenen im dritten Akt, in sanften Tableaux und verleiht ihnen eine gewisse Einheitlichkeit. Dadurch ist der Gesamteindruck dieser Moise-Aufführung, die nach der Zelmira, der weiteren Großtat des Jahres 2018 bei Rossini in Wildbad, nun ebenfalls auf CD vorliegt (3 CDs Naxos 8.660473-75), weitaus schlüssiger als es die Summe ihrer Einzelteile nahelegen würde. Auch überzeugender als der Live-Eindruck damals in der Trinkhalle in Bad Wildbad.

Große Aktionen mussten es in Paris schon sein, wo biblische Themen im nachrevolutionären Frankreich wieder auf die Bühne gelangten und Erzengel mit Flammenschwertern vom Himmel stießen und im Pasticcio La prise de Jericho die Stadt in Flammen setzten. Wiederaufnahmen von Le Sueurs La mort d’Adam und Kreutzers La mort d’Abel hatten den Weg für Rossinis biblisches Stück bereitet, bei dem das Publikum weniger gespannt war auf den Ausgang der Familienzwistigkeiten im Hause des Pharao und des Moses als auf den im Untertitel angekündigten Zug durchs Rote Meer, das sich teilt und den Hebräern den Weg in die Freiheit weist. Rossini in Wildbad bietet an dieser Stelle nicht das sinfonische Nachspiel mit der Ruhe nach dem Sturm, sondern als Nr. 17 den 3 1/2minütigen Schlussgesang Chantons, bénissons le Seigneur.

Von den Melodien des Premier Compositeur du Roi hatte Balzac gemeint, „dass man um den Thron Gottes so singen mag“. Der aufrüttelnde, eher charaktervolle als ebenmäßige Bass des Weißrussen Alexey Birkus Moses steht auch nach drei Stunden beim Gebet Des cieux où tu resides noch selbstbewusst wie eine Gesetzestafel im Raum. Als Moses-Tochter Anaï gleicht Elisa Balbo Schärfen und Vibrato ihres Soprans durch Hingabe an vokale Zierkunst aus. Mit elegantem Ausdruck wertet Patrick Kabongo den Aron auf, der hier Éliézier heißt. Nicht hinreichend überzeugend der kasachische Bass Baurzhan Anderzhanov als Voix mystérieuse (und den Oziride). Neben Silvia Dalla Benettas Sinaïde wirkt nicht nur der Pharao etwas schlaff. Üblicherweise wird die Partie mit einer dunkleren und volleren Stimme besetzt, doch mit kernigem Einsatz und starkem Willen gestaltet Wildbads vielseitige Primadonna eine königliche Figur, ihr Sopran verschafft sich auch in den großen Ensembles Gehör, das Singen hat Autorität, Kraft und Flexibilität, dass man ihr auch eine furiose Lady Macbeth im französischen Macbeth – demnächst beim Verdi-Festival in Parma (in diesem Jahr alles leider nur konzertant) – zutraut.  Rolf Fath

 

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Christiane Eda-Pierre

 

Mit großen Bedauern hören wir vom Tode der französischen Sopranistin Christiane Eda-Pierre, sie starb am 5. September 2020 in Paris. Nachstehend wiederholen wir unsere Hommage an sie vom Dezember 2014.

Persönliche Erinnerungen: Unvergessen bleibt mir ihre Vitellia in der berühmten Hermann-Inszenierung der Clemenza di Tito in Brüssel – eine gebieterische, hochgewachsene Frau wirft in der ersten Szene wild und undiszipliniert mit ihren Schuhen um sich und malträtiert ihren grünangemalten Liebhaber (Alicia Nafé), verbreitet Chaos und wunderbaren, cremigen und ganz eigenartig timbrierten Gesang, nur um in der letzten Szene („Non più di fiori“) domestiziert ihre vielen Schuhe angepasst-ordentlich aufgereiht am Bühnenrand aufzustellen, wärend sie diese lange Arie voller Abschied und Resignation singt, diese voller Zwischentöne und voller Geheimnis in der warmen, etwas rauchigen dunklen Sopranstimme. Von da an liebte ich Christiane Eda-Pierre und suchte sie in Paris so viel wie möglich zu hören, auch in London für das Konzert des Benvenuto Cellini. Immer hinterließ sie bei mir einen nachhaltigen Eindruck. Und auch ihre wenigen Musikdokumente sammelte ich, die Gretry- und Philidor-LPs, die Clemenza als LP-Schachtel und später als DVD. Auch der Benvenuto Cellini unter Davis, wo sie eine ebenso kesse wie beseelte Teresa gibt, im Londoner Konzert noch persönlicher als auf der LP/CD. dazu auch eine Entführung mit ihr ebenfalls unter Davis. Live gibts zudem die schöne Jolie fille de Perth von Bizet und einen Docteur Miracle. Umso größer ist die Freude, bei der Decca France auf die Wiederausgabe ihrer beiden ehemaligen Philips-LPs (Airs d´Opéras Comiques: Grétry et Philidor)als gerade herausgekommenen CDs im Doppelpack (4807700, nicht im deutschen Programm der Decca, aber als Import bei Amazon zu haben). Anlässllich dieser Wiederveröffentlichung bei Decca führte der renommierte französische Kollege Christophe Capaci das nachfolgene Interview mit der Sängerin in Paris 2014. G.H.

 

Die Neuauflage bei Decca ist vor allem eine Gelegenheit, Ihrem Liederabend wiederzubegegnen, der André-Ernest-Modeste Grétry (1741 – 1813) und François-André Danican Philidor (1726 – 1795) gewidmet ist, zwei Komponisten der Opéra comique, die bis vor kurzem ziemlich vernachlässigt wurden. Das Album, das zu seiner Zeit große Medienresonanz erzielte, wurde nie auf CD aufgenommen und die Liebhaber haben es schließlich als die Arlesienne der Opernplatten angesehen. Es war tatsächlich eine lange Abwesenheit, die ich mir nicht erklären kann. Umso mehr als die erste Erscheinung Aufsehen erregt hat und wir mehrere Preise und Auszeichnungen erhalten haben.

In einer Zeit, als die großen lyrischen Soprane nur Mozartarien aufgenommen haben, ein Komponist, den Sie übrigens auch vor allem gesungen haben, warum diese ungewöhnliche Wahl von Grétry und Philidor? Zweifellos aus Liebe zur französischen Sprache. Ich gehöre zu einer Generation, die alles auf Französisch gesungen hat. Meine westindischen Wurzeln, der singende Akzent von La Martinique… Bei uns liebt man es zu „sprechen“. In seinem Reisebericht „Das Lied des Ozeans“ sagt Olivier de Kersauson, dass man auf die Antillen gehen muss, um Französisch zu hören! Man kann uns sehr gut als das „alte Frankreich“ bezeichnen, das der Fortdauer der Sprache verbunden ist: Das bleibt ein schönes Kompliment.

Meine Sprache war ein Kampf und eine Leidenschaft während meiner ganzen Karriere und auch darüber hinaus auch bei meiner Arbeit am Pariser Konservatorium. Ich habe meinen Schüler immer gesagt: „Lernt zuerst französisch zu singen! Erst wenn ihr eure eigene Sprache, die schwer zu singen ist, beherrscht, könnt ihr euch an das fremdsprachige Repertoire wagen.“ Und zwar leichter, wie ich glaube. Grétry oder Philidor? Als ich diese Anthologie vorgeschlagen habe, haben viele die Nase gerümpft. Ist das wirklich Musik? Diese „Musiquette“? Aber nein, das ist ein wichtiges Repertoire, das ist das klassische Fundament (die klassische Gründung) der Opéra comique und das sind meine musikalischen Wurzeln. Meine Ausbildung kommt von hier. Es gibt in diesen Arien eine erstaunliche vokale Länge, ich wage es sogar zu sagen, dass sie generell dynamischer sind als manche von Mozart und dass sie unerhörte musikalische Schwierigkeiten beinhalten. Mit der Hilfe von Roger Blanchard – er hatte die Partitur von Carnéval de Vénise von Campra eingerichtet, den ich beim Festival von Aix-en-Provence im Jahr 1975 gesungen habe – , wurden wichtige Forschungen in der Nationalbibliothek angestellt, um diese Arien von Grétry und Philidor auszugraben. Das war etwas Besonderes, das war kein Mozart-Liederabend mehr.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Aufnahme in London? Ein sofortiges Verständnis mit Neville Marriner! Am ersten Tag haben wir zusammen am Klavier gearbeitet. Dann mit dem Orchester, alles ging sehr rasch, in drei Tagen waren alle Arien „im Kasten“. Kaum so etwas wie eine Probe, um die Tempi festzulegen! Man muss dazu sagen, dass die Academy of St Martin in the Fields ein Ensemble von außerordentlicher Schmiegsamkeit ist, mit warmen Klängen, und die Musiker haben instinktiv die Farbe und den französischen Stil dieser Musik erfühlt. Ist es nicht erstaunlich, dass ich gerade mit Neville Marriner und Colin Davis so viele französische Platten aufgenommen habe? Auf dieser Seite des Ärmelkanals war Michel Plasson ein wenig allein gelassen, aber er hat zumindest das französische Repertoire für die Platte „gemacht“!

Christiane Eda-Pierre: Antonia Paris 1977/Decca/ "Foto Colette Massé Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre"

Christiane Eda-Pierre: Antonia Paris 1977/Decca/ „Foto Colette Massé Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre“

Ihr Instrument? Der Reichtum eines lyrischen Soprans, seine Wärme und Rundheit, aber eine enorme Koloratur weite, eine ungewöhnliche Beweglichkeit…. Aufeinanderfolgend, aber auch gleichzeitig Lakmé und Antonia, Konstanze und Elettra, Rosina und Imogene aus dem Pirata von Bellini! Eben während dieses Pirata beim Festival von Wexfort im Jahr 1972 rief der italienische Dirigent Leone Magiera aus: „Aber was hast du für eine Stimme, Eda?“ Was Manuel Rosenthal betrifft, so sagte er, dass mein Instrument „undefinierbar“ sei. Eine natürliche Biegsamkeit? Eine eigenständige Gestaltung, die ich teilweise der Höhe meines Gaumens verdanke? Die Tiefe wie die Höhe waren klar und warm, das stimmt. Das hatte nichts zu tun mit der angeblich „schwarzen“ Stimme der Leontyne Price, die ich verehre: Es ist eine Frage der Morphologie, die Backenknochen, die Nasenhöhlen, das, was den Ton macht eben! Weder ich noch Shirley Verrett hatten diese Farbe.

Ihr Repertoire? Von Rameau und Campra zu Messiaen und Chaynes, vom Barock zur Zeitgenössischen, aber auch Händel, Mozart, der romantische Belcanto, die Opéra comique, eine Vielzahl von Oratorien aller Epochen… Persönliche Neugier! Ich hatte vor allem immer viel Glück, ich war immer von Musikern umgeben, die mir Entdeckungen ermöglicht haben. Erinnern Sie sich an Elisabeth Brasseur: Sie leitete den Studentenchor des Konservatoriums von Paris. Wir waren vierzehn in der Klasse, alle Stimmlagen waren vertreten, und wir konnten das gesamte Repertoire machen. Wir konnten den Roi David von Honegger in Angriff nehmen. Gabriel Dussurget engagierte unsere Gruppe für die Produktionen des Festivals von Aix.

Und der große Charles Panzéra! Ich bin seinem Unterricht zuerst in Privatstunden, von 1951 bis 1954, dann bis 1957 am Konservatorium mit Leidenschaft gefolgt: Man hat seinen Einfluss in der französischen Melodie nicht vergessen, aber wussten Sie, dass er seine Pariser Schüler Mahler singen ließ zu einer Zeit, wo das bei uns nicht einmal publiziert war? Er bekam die Partituren aus Deutschland. Ein anderer Bariton, bei dem ich am Konservatorium Kurse gemacht habe, sagte mir: „Du bist anders, kultiviere diese Andersartigkeit! Du bist groß, sei noch größer, wachse!“ Er hatte eine sehr eigenwillige Art, er ließ uns mit dem Rücken zum Publikum singen und forderte dabei noch mehr Intensität, als würden wir nach vor singen: „Ich will alles auf eurem Rücken lesen und hören.“ Was das Repertoire betrifft, wie meine ganze Karriere im Allgemeinen, glaube ich, dass ich gemacht habe, was ich machen wollte, nicht das, was man von mir wollte. Ich bin ein Handwerker des Gesangs. Der Bezug zum Zeitgenössischen war andererseits zumindest zögerlich: „ Mit Ihrer hübschen Stimme singen Sie Zeitgenössisches?“ Aber man kann sich die Stimme auch mit dem klassischen Repertoire ruinieren! Es gibt eine extreme Freiheit in der Gestaltung, ein Fehlen von Anhaltspunkten, die enthemmen. „Der heilige Franz von Assisi“ von Messiaen und „Erzsebet“ von Chaynes, die Pariser Oper hat mir diese Werke angeboten.

Christiane Eda-Pierre: Lucia di Lammermoor an der Opéra-Comique/ Decca Foto Michel Petit/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre

Christiane Eda-Pierre: Lucia di Lammermoor an der Opéra-Comique/ Decca „Foto Michel Petit/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre“

Die Opéra-Comique, die Pariser Oper, Aix-en-Provence, London, Salzburg, Wien, Moskau und andere berühmte Orte. In den Vereinigten Staaten Chicago, San Francisco und in New York die Met, wo damals wenige französische Sänger eingeladen wurden… Sir Georg Solti wollte, dass ich seine Contessa in Le Nozze di Figaro war für die Amerika-Tournee der Pariser Oper im Jahr 1976. Um mich darauf vorzubereiten, musste ich die Rolle in der Produktion von Giorgio Strehler im Palais Garnier proben: Die wunderbare Margaret Price war in Paris für acht Vorstellungen vorgesehen, und mit unendlicher Großzügigkeit überließ sie mir vier davon und schickte mir ein herzliches Telegramm für die Premiere! So konnte ich danach an der Met debütieren. Ich wurde weiter eingeladen für Konstanze in Die Entführung aus dem Serail und Gilda in Rigoletto, zwei Produktionen, die von James Levine dirigiert wurden, schließlich Antonia in Hoffmanns Erzählungen beim Debüt von Riccardo Chailly.

Das amerikanische Leben war nichts für mich, aber die Met… Jimmy Levine, was für ein Dirigent!  In der Entführung, in einer Interpretation, die der von Karl Böhm in Paris sehr nahe war. Wir standen ungefähr dreihunderttausend Personen gegenüber bei einem Rigoletto im Central Park. Der Star  war Luciano Pavarotti, das Publikum machte aus diesem Abend einen großen Karneval. Levine beruhigte mich: „Sing! Wir sind da, wir machen Musik, das ist alles.“ Ich gab mein Bestes und das Publikum begrüßte mich mit immensem Geschrei: Pavarotti nahm mich an der Hand und führte mich nach vorne in Richtung Publikum. In Les Contes d´Hoffmann in New York liebte ich das Unprätenziöse von Plácido Domingo. Ja, ich hatte dieses Glück… Dennoch ist Abstand nötig, man muss sich selbst finden können, um besser weitermachen zu können. Man kann sich im Operngesang verlieren. Wenn Sie die Bühne verlassen haben, bleiben oft nur ein Hotelzimmer und Einsamkeit. All das ist vergänglich. Was mich betrifft, so wollte ich nie auf der Bühne sterben.

Christiane Eda-Pierre: Erzsebet von Charles Chaynes an der Pariser Oper 1983/ Decca "Foto Colette Masson/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre"

Christiane Eda-Pierre: Erzsebet von Charles Chaynes an der Pariser Oper 1983/ Decca „Foto Colette Masson/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre“

Welche Dirigenten haben Sie geprägt? In der Komischen Oper Jésus Etcheverry. Die (gewerkschaftlich festgelegten!) drei Stunden täglicher Arbeit mit ihm waren viel mehr wert, das war intensiv. Er gab mir Kraft, er hat mich gelehrt, mit meiner Verwundbarkeit umzugehen – dass ein Problem auftaucht und ich nicht mehr singen kann… Serge Baudo: ein großer Dirigent, eine außerordentliche Menschlichkeit! Papagena in Aix. Konstanze in Paris und so viele Konzerte ( La Damoiselle élue von Debussy in Versailles!). So viele Oratorien, die man heute nicht mehr hört. Und auch Sylvain Cambreling, mit dem ich auch Vitellia in La clemenza di Tito in Brüssel gesungen habe, begleitete mich in Pour un monde noir  von Charles Chaynes. Georg Solti natürlich. Ich erinnere mich an eine 9. Symphonie von Beethoven mit dem Pariser Orchester:  Ich liebte es, die Noten von oben zu produzieren, das erspart, die Noten von unten zu nehmen, das stützt das Zwerchfell. Aber das war offensichtlich nicht nach dem Geschmack unseres Dirigenten: „Nein, nein, Christiane, singen Sie, wie soll ich sagen, à la Martinique!“ Seine Art, mir zu sagen: „Keine Konsonanten!“ Mit Karl Böhm, ein Glückszustand, ein außerordentlicher Moment, den ich Rolf Liebermann verdanke. Ohne Klavierprobe stürzte ich mich in „Ach, ich liebte“ der Konstanze direkt mit dem Orchester: Am Beginn verstand ich nicht viel von seinem Schlag, und ich glaube, er war absichtlich ein wenig vage, um mich auf die Probe zu stellen; danach ein Wonnemond! Colin Davis war im Studio ein wenig das Gegenteil von Böhm, und das war sehr gut. Bei Berlioz, der sein großes Projekt war, hatte er sehr genaue Ideen. Während der Aufnahme von Benvenuto Cellini konnte er mehr als eine Stunde mit einem Takt mit Nicolai Gedda verbringen! Eine Gesamtaufnahme von großem Format, das Fernsehen übertrug übrigens Teile davon.

Christiane Eda-Pierre, Botschafterin ihrer Heimat Martinique/franceantilles.mobi

Christiane Eda-Pierre, Botschafterin ihrer Heimat Martinique/franceantilles.mobi

Meine einzige versäumte Begegnung war die mit Karajan. Wir sollten uns für eine Entführung in Salzburg treffen, aus verschiedenen Gründen kam es nicht dazu. Ich hätte gern mit ihm gearbeitet. Ich fühlte die absolute Leichtigkeit, die er seinen Solisten vermittelte. Schließlich habe ich mit Levine in Salzburg in Jean-Pierre Ponnelles Inszenierung von Hoffmanns Erzählungen gesungen.

 

Das Gespräch wurde von dem französischen Musikjournalisten Christophe Capaci im Théâtre National der Opéra-Comique, Paris, am 20. März 2013 geführt, der Autor war so liebenswürdig, uns diesen Artikel zu überlassen. Dank an Ingrid Englitsch für die Übersetzung. Und Dank auch an Edoaurd Brane von der Universal France für seine Hilfe. Die so gekennzeichneten Fotos von Colette Masson und Michel Petit stammen aus dem Booklet der wiederveröffentlichten Decca-CDs und sind dem Privatbesitz der Sängerin entnommen, auch dafür Dank. 

 

Zur Person ein Auszug aus Wikipedia: Christiane Eda-Pierre (born March 24, 1932) is a French lyric coloratura soprano of Martiniquan origin, who sang in a wide variety of roles, from baroque to contemporary works. Eda-Pierre was born in Fort-de-France, Martinique, and came to France to study at the Paris Conservatory, where she was a pupil of J. Decrais and Charles Panzéra. She graduated with honors in 1957. The same year, she made her professional debut in Nice, as Leïla in Les pêcheurs de perles. She made her debut at the Opéra-Comique in 1958, as Lakmé, at the Aix-en-Provence Festival in 1959, as Papagen, and at the Palais Garnier in 1960, as Lucia di Lammermoor. She sang there the standard lyric coloratura roles of the French and Italian repertories. She also won great acclaim in Mozart roles, especially, as well as the Countess in Le nozze di Figaro, Donna Anna and Elvira in Don Giovanni, The Queen of the Night. Eda-Pierre was much appreciated in French baroque opera, particularly the works of Jean-Philippe Rameau, including Les Indes galantes, Zoroastre, Les Boréades, and Dardanus. She was also very active on French Radio where she sang in little performed works, such as Rossini’s Le siège de Corinthe, Bellini’s Il pirata, Bizet’s La jolie fille de Perth, as well as Berlioz’s Béatrice et Bénédict and Benvenuto Cellini. She created many contemporary works, such as Capdeville’s Les amants captifs (1973), Chaynes’s Pour un monde noir (1979), and Erszebet (1983). In 1983 she also created the role of the Angel in Olivier Messiaen’s Saint François d’Assise. At the Opéra. Eda-Pierre also appeared to great acclaim internationally, including Lisbon, London, Wexford, Berlin, Hamburg, Vienna, Salzburg, Moscow, Chicago, and New York. She made her Metropolitan Opera debut in 1980 as Konstanze, and went on to sing other roles there: Antonia in Les contes d’Hoffmann and Gilda in Rigoletto. She became a teacher at the Paris Conservatory in 1977, while continuing her career in opera and in concert. The possessor of a beautiful, rich and agile voice, which enabled her to succeed in a wide variety of roles, Eda-Pierre can be heard on several recordings, her three most famous being on the Philips label, as Konstanze in Entführung aus dem Serail and Teresa in Benvenuto Cellini, both under Sir Colin Davis, and an album of arias from the French opéra-comiques of Grétry and Philidor, under Sir Neville Marriner. For the Bizet centenary in 1975 she participated in BBC studio recordings of La Jolie Fille de Perth and Le Docteur Miracle. (Foto oben: Christiane Eda-Pierre: Konstanze in Paris 1977/Decca/ „Foto Colette Massé Collection privée avec l´aimable autorsation de Madame Eda-Pierre“)

Joseph Martin Kraus zum Dritten

 

Einen Opernführer über Aeneas i Carthago und damit über den beinahe unbekannten Joseph Martin Kraus haben wir in einem bereits bei operalounge.de gebracht, ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit den vielen Aufnahmen der Kraus-schen Musik bei Naxos (wenngleich auch andere Labels einiges von ihm herausgebracht haben). Nun – als dritte Folge unserer Hommage an den bemerkenswerten deutschen Komponisten am Hofe Gustav III. – bespricht Ingrid Wanja die in Buchform 2015 erschienene, hochanspruchsvolle Dissertation des deutschen Kraus-Kenners Jens Dufner, Musikwissenschaftler in Bonn und international renommierter Spezialist auf dem Gebiet der Gustavianische Oper. Was nicht heißen soll, dass keine weiteren Artikel zu Joseph Martin Kraus bei uns folgen sollen – wir arbeiten daran … G. H.

 

Wer Verdis Un ballo in maschera kennt, dem ist der schwedische König Gustav III. kein Unbekannter, denn während der Komponist noch, um den Königsmord zu verschleiern, sein Werk nach Nordamerika verlegen musste, vergönnte ihm u. a. der Regisseur Götz Friedrich in seiner Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin die beiden Charakterzüge, die auch in der Dissertation von Jens Dufner eine Rolle spielen: weniger die Homosexualität als vielmehr die Leidenschaft für das Theater. Unvergesslich sind dem Berliner Opernbesucher nicht nur die zart-zärtliche Annäherung an den Pagen Oscar, sondern besonders die letzte Szene, wenn der König nach vielen Addios über seinem Puppentheater zusammenbricht. Tatsächlich stand der schwedische König, der tatsächlich 1792 einem Attentat, wenn auch nicht wegen eines vermuteten Ehebruchs, zum Opfer fiel, nicht nur für seine ideologisch eingesetzte, innovative Liebe zum Theater sondern für eine ganze kulturelle Epoche, nämlich die gustavische.

Im Mittelpunkt der Dissertation mit dem Titel Æneas i Carthago von Joseph Martin Kraus- Oper als Spiegelbild der schwedischen Hofkultur steht das Werk des deutschen Komponisten, der die Uraufführung seines Hauptwerkes nicht erlebte, obwohl er zehn Jahre lang daran gearbeitet hatte. Die Oper  wurde posthum ohne sonderlichen Erfolg 1799 in Stockholm uraufgeführt, geriet dann in Vergessenheit, ehe sie 1979 wieder in Stockholm, 1980 in New York in englischer Sprache mit Kristina Söderström und 2006 in Stuttgart in deutscher Sprache aufgeführt und von der Zeitschrift Opernwelt als Wiederentdeckung des Jahres gefeiert wurde.  2011 gab es in Berlin eine konzertante Aufführung unter Lothar Zagrosek. Alle diese Aufführungen brachten stark gekürzte Fassungen mit zum Teil wohl gar nicht von Kraus stammender Musik. Eine historisch-kritische Ausgabe ist also vonnöten, will man der Oper eine Zukunft vergönnen, und der Autor der Dissertation ist bereits mit der Verwirklichung einer solchen als „Bestandteil  des von der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur geförderten Projekts  OPERA- Spektrum des europäischen Musiktheaters in Einzeleditionen“  befasst.

Das Attribut „gustavisches Werk“ verdient es sich nicht nur durch seine Zugehörigkeit zu einer Epoche, sondern auch dadurch, dass der König selbst den Prosaentwurf verfertigte (davon gibt es ein Foto), die Verse stammen von Johan Henrik Kellgren, der auch der Librettist für Kraus‘ erste vor dem König aufgeführte Oper Proserpin war.

Das Buch gliedert sich vom Allgemeinen zum Speziellen voranschreitend, beginnend mit der Situation der Oper in Schweden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, danach widmet es sich dem Leben und Wirken des Komponisten, schließlich seinem Werk. Von diesem werden die unterschiedlichen Fassungen, das Libretto, die Konzeption und Dramaturgie und schließlich die musikalische Gestaltung untersucht.

Auch für den Historiker interessant sind die Ausführungen über das Opernleben in Stockholm, das Bestreben Gustav III., das Niveau der beiden berühmten Vorgänger und Namensvettern zu erreichen, auch durch die Schaffung einer schwedischen Nationaloper, durch den Bau eines Opernhauses, für dessen feierliche Eröffnung  Æneas eigentlich bestimmt war.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Carthago“/ Bühnenentwurf zur Uraufführung von Louis Jean Deprez/Wikipedia

Kraus als Opernkomponist wird gewürdigt, angefangen von dem nur als Bruchstück erhalten gebliebenen Werk Azire, sein Aufstieg zum Hofkapellmeister nach einer jahrelangen Bildungsreise durch Europa. Das wird alles so akribisch wie interessant dargestellt, so wie auch die Entstehungsgeschichte des Æneas, von dem fälschlicher Weise, wie der Verfasser nachweist, behauptet wurde, er sei nur wegen der Flucht der für die Dido vorgesehenen Sängerin Carolina Müller nicht zu Lebzeiten von Komponist und König aufgeführt worden. Für wahrscheinlicher hält der Autor, auch da die Sängerin diese Partie 1799 verkörperte, den finanziellen Aufwand oder die Nichtfertigstellung als Grund dafür, dass man auf ein Repertoirestück zurückgriff.

Kritisch verhält sich Dufner auch gegenüber der Anekdote, die von einem Riesenlob Glucks für Kraus zu berichten weiß. Generell hat er nicht den zweifelhaften Ehrgeiz, nur scheinbar Gesichertes dem Leser als Erkenntnis aufzutischen, sondern bekennt sich dazu, dass vieles, was das Leben und Schaffen von Kraus betrifft, im Dunkel bleiben wird.

Es ist auch von einem zweiten Äneas-Projekt die Rede, auch hier wird zwar das Thema von allen Seiten her beleuchtet, sich aber vor einem vorschnellen Urteil gehütet.

Einen breiten Raum nimmt die Untersuchung des Quellenmaterials ein, das aus der Arbeitspartitur des Kunigliga Teatern Stockholm, der Partiturhandschrift von Frederik Samuel Silverstolpes und der Partiturreinschrift der Akademska Kapellat Uppsala stammt, besteht. Es geht besonders um das Auffinden fremder Zusätze, um den „problematischen“ letzten Akt und um die Frage, ob Kraus das Werk überhaupt vollendet hat.

Das Kapitel über die unterschiedlichen Fassungen des Librettos enthält auch einen „Exkurs zum textkritischen Umgang mit den Librettoquellen“, ein weiteres befasst sich mit dem Libretto, das dem Wiener Silverstolpe zur Verfügung gestellt worden war.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“ – das Buch von Jens Dufner ist eines der wenigen Standardwerke zu dieser Oper/ Peter Lang AG 2015/ ISBN-13: 978-3631647196

Besonders erhellend sind die Ausführungen zur Frage, inwieweit die Wahl mythologischer oder historischer Stoffe Auskunft darüber gibt, auf welcher historischen Entwicklungsstufe sich das kulturelle Leben eines Landes jeweils befindet, wobei er zu der Feststellung kommt, dass Æneas keine rein mythologische Oper mehr ist, dass der rückwärts  gewandte Prolog eine Referenz an Vergil und ein Wandel in der Funktion der Götter von Vergil bis Kraus festzustellen ist. Interessant ist auch, dass sich die Figur des Narbal noch bei Berlioz wiederfinden wird.

Als bemerkenswert erweisen sich die Ausführungen über die Verknüpfung der Figur des Äneas mit der des Kaisers Augustus, bei Vergil durch Venus, bildlich in der Gleichsetzung der Galionsfigur Gustav Adolfs mit der des römischen Kaisers und von da nahtlos zu der Gustavs III. mit dem herrscherlichen Idealbild führend.

Anhand zahlreicher Notenbeispiele wird schließlich die Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten, die dem deutschen Komponisten zur Verfügung standen, nachgewiesen, seien es die unterschiedlichen Rezitativformen, sei es der Einsatz des Chores oder sei es die Spannbreite zwischen Nummernarien und weiterführenden Formen.

Eine operngeschichtliche Bedeutung spricht der Verfasser dem Werk in seiner Schlussbetrachtung ab, nicht aber seine Funktion als, was den Inhalt betrifft, Repräsentationsoper mit für die damalige Zeit moderner Musik, vor allem als Möglichkeit  eines Einblicks in die gustavische Oper, die durch die Widersprüche, die in ihr vereint sind, auch für uns interessant ist.

Das Buch ist – wie sich das für Dissertationen gehört –  eine wissenschaftliche, streng spezialisierte Abhandlung, die man  als Opernliebhaber und in Grenzen auch Opernkenner bewundern, aber nicht selber ausreichend kenntnisreich im musikalischen Detail kritisieren kann. Das heißt nicht, dass es nicht auch dem „normalen“  Opernfreund eine Fülle von Interessantem und Lesenswertem bietet. Der Anhang verfügt über eine Formübersicht der Oper, ein Verzeichnis der handschriftlichen und der gedruckten Quellen und der Sekundärliteratur sowie ein Personenregister (290 Seiten, Internationaler Verlag der Wissenschaften 2015; ISBN 978 3 631 64719 6). Ingrid Wanja

Omaggio veronese

 

Das fünfzigjährige Wirken von Plácido Domingo in der Arena di Verona dokumentiert eine Veröffentlichung auf 2 DVDs bei C major classics/UNITEL mit dem Titel Plácido Domingo Opera Gala (755008). Mit 28 Jahren debütierte der 1941 in Madrid geborene Sänger im historischen Amphitheater als Calaf in Puccinis Turandot und Don Carlo in Verdis gleichnamiger Oper. Das beispiellose Jubiläum seiner Aktivitäten in Verona feierte er im Sommer 2019 im voll besetzten Arenarund mit einem Verdi-Programm – dem Komponisten, der in seiner Laufbahn eine zentrale Rolle einnahm. In drei Bariton-Partien, denn 2009 war er in dieses Fach gewechselt, demonstriert er seine reichen, auf den Bühnen in aller Welt gesammelten Erfahrungen. Stefano Trespidi hat die Szenen im Bühnenbild von Ezio Antonelli, mit dekorativen Video-Projektionen von Tiziano Mancini  und in prachtvollen Kostümen von Silvia Bonetti arrangiert. Jordi Bernàcer dirigiert das Orchester der Arena di Verona mit Verve und Italianità.

Den Auftakt bilden Ausschnitte aus Nabucco, beginnend mit der Sinfonia, die vom Choreografen Giuseppe Picone tänzerisch eher geschmäcklerisch illustriert wird, gefolgt vom berühmten „Va, pensiero“, das der Chor der Arena (einstudiert von Vito Lombardi) klangvoll ausbreitet und sich für ein Dacapo sogar in die Zuschauerreihen begibt. Als Zaccaria ist Marko Mimica von der Deutschen Oper Berlin engagiert im Einsatz. Domingo, mit Auftrittsapplaus begrüßt, ist in Szenen des Titelhelden aus dem 4, Akt zu hören – „Son pur queste mie membra?“, „Porta fatal/O prodi miei“ , „Ah, torna Israello“ und „Oh! Chi vegg’io?“. Der reifen Stimme mangelt es an baritonalem Kern, der Vortrag ist bemüht, doch nie gefährdet und wird mit Jubelstürmen quittiert. Darstellerisch gibt es nicht selten Momente am Rande der Lächerlichkeit. Géraldine Chauvet singt Fenenas Arie passioniert; Anna Pirozzi, die Sopranistin des Abends, ist als Abigaille nur in ihrer tragischen Schlussszene zu sehen.

Im Macbeth, dem Mittelteil des Programms, vom Chor mit der Klage der schottischen Flüchtlinge „Patria oppressa!“ eröffnet, kann sie in der Nachtwandelszene der Lady mit fahlen, verschatteten Tönen beeindrucken. Der Tenor der Gala, Arturo Chacón-Cruz, glänzt bei Macduffs ergreifender Arie „O figli“ mit strömender Fülle und leidenschaftlichem Ausdruck.  Domingo interpretiert wiederum Soli des Titelhelden aus dem letzten Akt – „Pietà, rispetto, amore“ und „Mal per me“. Die Baritonpartie gehört zu den von ihm am häufigsten interpretierten, was sich im souveränen Umgang mit der Musik und der Ausdrucksvielfalt widerspiegelt.

Zum Abschluss gibt es Szenen aus jenem Werk, das Domingos Beginn seiner Bariton-Karriere markierte: Simon Boccanegra. Zunächst kann Chacón-Cruz mit Gabrieles schwieriger Arie „O inferno!“ mit furiosem Einsatz imponieren und danach im Duett mit Amelia (Anna Pirozzi), „Parla, in tuo cor virgineo“, auch seine lyrischen Qualitäten zeigen. Simones Szene mit ihr, „Figlia?…Vecchio inerme il tuo braccio colpisce“ ist eine der längsten und berührendsten Nummern des Pogramms. Ähnlich gewichtig sind Simones Dialog mit Fiesco (Marko Mimica), „M’ ardon le tempia“ und das Finale der Oper „Gran Dio“. Domingo ist mit dieser Partie vertraut wie mit keiner anderen des Bariton-Repertoires und vermag das tragische Schicksal der Figur hoheitsvoll und ergreifend zu vermitteln. Am Ende leuchtet über der Bühne ein Schriftzug aus Fackeln auf: 50 DOMINGO, und beim Erscheinen des Tenors zum Schlussapplaus gibt es sogar noch ein opulentes Feuerwerk. Spektakulärer lässt sich ein Jubiläum nicht feiern. Bernd Hoppe

Zeffiretti lusinghieri

 

Nach Cleopatra und Mozart Arias I von 2016 legt die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann bei ihrer Stammfirma SONY nun das dritte Album vor (19439752372), welches im Februar dieses Jahres in der Schweiz aufgenommen wurde. Wie der Titel Mozart Arias II sagt, widmet es sich erneut Kompositionen des großen Salzburgers. Das Kammerorchester Basel unter Umberto Benedetti Michelangeli begleitet einfühlsam und dynamisch kontrastreich die Solistin, die in neun lyrischen Arien ihre anhaltend jugendlich frische Stimme und das feine Gespür für Farben, Schattierungen und Nuancen hören lässt. Die CD enthält Schönheiten aus Frühwerken des Komponisten, wie Ilias Arie„Zeffiretti lusinghieri“ aus Idomeneo, welche das Programm eröffnet. Schon das Rezitativ „Solitudini amiche“ gestaltet sie mit tiefer Empfindsamkeit und singt die Arie mit träumerischem Ausdruck. Auch Amintas „L’amerò, sarò sostante“ aus Il re pastore und Zaides „Ruhe sanft“ aus dem gleichnamigen Singspiel sind beliebte Nummern gleichermaßen bei Interpretinnen wie Opernfreunden. Erstere schrieb Mozart für den Soprankastraten Tommaso Consoli als zauberhaften Dialog mit der Solo-Violine. Bei Zaides Schlaflied dachte er wohl an seine große Liebe Aloysia Weber. Die eingängige Melodie mit einem herrlichen Oboen-Solo zählt zu den gelungensten Titeln der Platte. Weniger bekannt ist Rosinas „Amoretti“ aus La finta semplice. Die Bitte an die kleinen Liebesgötter ist eine zauberhafte Cavatina mit weiten Bögen von melancholischer Stimmung, von der Interpretin berührend vorgetragen.

Mit Susannas inniger Rosenarie, „Deh vieni non tardar“ aus Le nozze di Figaro erklingt das populärste Stück der Sammlung, aber Regula Mühlemann stellt auch eine wenig bekannte Einlage-Arie, „Un moto di gioia“, aus dieser Oper vor, die gelegentlich als Alternative für Susannas Solo im 2. Akt diente. Hier vernimmt man muntere Töne im Rhythmus eines Deutschen Tanzes. Ähnlich populär wie Susannas Arie ist die der Pamina, „Ach, ich fühl`s“, aus der Zauberflöte. In ihren Anfängen am Opernhaus Zürich war die Sängerin noch als Papagena besetzt. Nun beweist sie, dass sie auch die große lyrische Partie des Werkes mühelos bewältigt und sie darüber hinaus noch mit Herz zerreißenden Tönen auszustatten vermag. Mit Giunias „Parto, m’affretto“ aus Lucio Silla wagt sich die Sopranistin in die Gefilde des dramatischen Koloratursoprans. Mit zerklüfteten Figuren malt schon das Orchester den verzweifelten Zustand einer Frau in existentieller Situation aus, und auch die Stimme spiegelt diesen mit erregter Gesangslinie und hohen staccati wider. Mühlemann bewältigt die virtuosen Anforderungen des Stückes souverän, nur fehlt es dem Sopran dafür an Gewicht. Mit der Konzertarie „Ah se in ciel“, welche Mozart für Aloysia Weber, die inzwischen seine Schwägerin geworden war, komponierte und dabei deren hohes Virtuosentum mit überlangen Koloraturketten und exponierter Notierung bedachte, endet das Programm in stupender Bravour. Bernd Hoppe

Daniele Barioni

 

Mit Freude hörten wir vom 90. Geburtstag des italienischen Tenors Daniele Barioni, am 6. September 2020 Er gehörte zu der verdienstvollen Riege jener Sänger und Tenöre, die namentlich an der Met, aber auch in der italienischen Provinz unersetzlicher Bestandteil von Repertoire-Abenden waren. Er hatte das Pech, in einer Zeit von Di Stefano, Corelli oder Del Monaco zu singen und blieb wie seine Kolleginnen Antonietta Stella oder Leyla Gencer stets in der gewissen B-Kategorie stecken, wenngleich er mit den ganz Großen wie Renata Tebldi oder Maria Callas sang. Seine solide, nicht sonderlich markante, aber hoch zuverlässige Tenorstimme blieb weitgehend im mittleren, lyrischen Fach., wenngleich er auch als Dick Johnson in Puccinis Fanciulla hervortrat. Sammlern ist er von vielen Life-Aufnahmen bekannt, aber es gibt nur recht wenige offizielle Einspielungen von ihm, auf denen sich der Opern-Fan über die gut ausgebildete, gut tragende Tenorstimme freut. Nachstehend eine Würdigung aus dem unersetzlichen Kutsch/Riemens. G. H.

 

Barioni, Daniele, Tenor, * 6.9.1930 Copparo bei Ferrara. Nach einem fünfjährigen Studium bei Attilio Bordonali in Mailand debütierte er am dortigen Teatro Nuovo als Turiddu in »Cavalleria rusticana«. Er sang darauf an italienischen Opernhäusern. Hier hatte er große Erfolge, namentlich in Aufgaben aus dem lyrischen Stimmfach. 1956 wurde er an die Metropolitan Oper New York berufen, wo er als Antrittsrolle den Rodolfo in Puccinis »La Bohème« sang. Nach erfolgreichen Auftritten in mehreren Partien (u a. als Cavaradossi in »Tosca«, als Alfredo in »La Traviata« zusammen mit Maria Callas und als Pinkerton in »Madame Butterfly«) an diesem Opernhaus kam es 1958 zu einer skandalösen Mißfallenskundgebung des Publikums während einer Aufführung, so daß er seitdem nicht weiter an der Metropolitan Oper auftrat. Er setzte jedoch sein Wirken an Opernhäusern in seiner italienischen Heimat wie an europäischen und südamerikanischen Theatern als Gast fort und hatte hier in den sechziger Jahren erfolgreiche Auftritte. Er hat auch an der Oper von Philadelphia, in Kanada, in Mexiko und in Ägypten gesungen. Er war verheiratet mit der Pianistin Vera Franceschi († 1966); nach deren frühem Tod zog er sich mehr und mehr aus dem Musikleben zurück. Schallplatten: Auf Metropolitan Record Opera Club existiert ein Mitschnitt aus der New Yorker Metropolitan Oper von 1956, in dem er den Pinkerton in »Madame Butterfly« als Partner von Dorothy Kirsten singt; auf RCA singt er in Puccinis »La Rondine« den Ruggero zusammen mit Anna Moffo (1966), auf Gioielli della Lirica existiert ein Querschnitt durch Puccinis »La Fanciulla del West«. Auch Aufnahmen auf Jolly und auf RAI (hier Solo-Titel).  [Lexikon: Barioni, Daniele. Großes Sängerlexikon, S. 1279 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 187-188) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto Wikipedia)

Verlegerische Großtat

 

Gediegener geht es nicht: auf nachtblauem Grund eine Fülle von Namen in hellerem Blau, von denen einige durch etwas dickere Buchstaben dezent hervorstechen: Beethoven, Eötvös, Françaix, Humperdinck und auf der Rückseite Korngold, Kreisler, Nono, Penderecki  und schließlich Wagner. Sie künden von der Vielfalt der Komponisten, die die Dienste des Musikverlags in Anspruch nahmen, der, so der schlichte Untertitel, seit nunmehr 250 Jahren besteht und aus diesem Anlass eine Chronik mit dem Titel Die Schott Music Group, deren Logo eine halbe Note vor dem Firmennamen ist, herausgegeben hat.

Wer das reich und interessant bebilderte Buch durchblättert, dem wird schnell klar, dass es sich nicht um eine schlichte Firmengeschichte handelt, sondern , so auch das Vorwort, um Musik-, Sozial-, Geistes-, Wirtschaftsgeschichte und, möchte man hinzufügen, Kulturgeschichte. Der Band ist durchgehend chronologisch gegliedert, unterbrochen von Kapiteln über Sachgebiete wie zum Beispiel die Geschichte des Notenstechens oder des Schott-Archivs (heute vor allem in Berlin und München), außerdem werden den Chefs des Unternehmens besondere Abschnitte gewidmet. Zu jedem Kapitel gehört ein einführender Text, am Seitenrand ist Anekdotisches zu lesen, viele Quellen, ob Urkunden oder Briefe, so einer von Beethovens Hand, verleihen dem Werk viel Authentizität. Die einzelnen Kapitel sind von unterschiedlichen Autoren erstellt worden, die sich durchweg durch angenehme  Sachlichkeit und Kompetenz auszeichnen.

Es beginnt mit den Anfängen, den Jahren 1770 bis 1800, dem Gründer Bernhard Schott, dessen Vater Bäcker, aber auch bereits Notenstecher war. Der erste überlieferte Druck des jungen Unternehmens, das sein Gründer durch schwierige Zeiten mit wechselnder Herrschaft von Preußen und Franzosen über die Heimatstadt Mainz laviert, stammt aus dem Jahre 1779, von 1780 das Privileg zum Notenstechen, auf das man sich bald nicht mehr beschränkt, indem man auch mit Papier und Instrumenten handelt. Das alles geschieht dort, wo sich auch heute der Hauptsitz des Unternehmens befindet: in Mainz, Weihergarten 5. Zwei der drei Söhne Bernhards werden dessen Werk fortführen, es werden Filialen in Antwerpen, Paris, London und Sydney gegründet, mit wechselndem Schicksal, so wenn im 1. Weltkrieg deutsches Vermögen in England beschlagnahmet, deutsche Firmeninhaber interniert werden.

So spielgelt das Schicksal der Firma das deutsche wider und umgekehrt- und das wird überaus anschaulich und durch viel Bildmaterial vermittelt. Zeitströmungen, wie die wachsende Beliebtheit der Hausmusik auch in bürgerlichen Familien, bestimmen das Gedeihen der Firma, mit Konkurrenten wie Peters oder Breitkopf & Härtel muss man sich auseinandersetzen, Schott kauft viele andere Betriebe auf, verzichtet auf den Bau von Klavieren oder gibt Zeitschriften wie Cäcilia oder Der musikalische Hausfreund oder Lexika heraus.

Vielseitig ist das Buch, wenn es von der Kontaktaufnahme zu Richard Wagner wie auch von interessanten Fragen des Urheberrechts handelt.

Aus Schott wird B.Schotts Söhne, nämlich Andreas und Johannes Joseph, der dritte Sohn wird Militärmusiker in britischen Diensten und stirbt in Indien. Und nicht nur heutige Fernsehgrößen widmen sich dem Weinbau, das taten bereits die Schotts.

Der Ära Wagner ist ein eigenes Kapitel gewidmet, denn anders als Beethoven, der den Schotts zwar die Missa Solemnis und die 9. Sinfonie überließ, aber in Wien blieb, quartiert sich Wagner bei seinen Verlegern ein, werden die Wesendonck-Lieder in ihrem Haus uraufgeführt. Aber auch vor Trivialem, so dem Gebet einer Jungfrau schreckt man nicht zurück, denn dies und Ähnliches bringen viel Geld in die Kasse.  Inzwischen ist bereits der Enkel des Gründers, Franz, der Chef des Hauses.

Im Jahre 1900 erscheint der Jahrhundertkatalog mit 847 Seiten, mit der preiswerten Edition Schott, eine Art Reclam-Heft, werden breite Schichten als Käufer geworben. Weitsichtig hat der letzte Schott-Chef ein Fünftel des Erbes einem jungen Mann namens Ludwig Strecker vermacht, der die Firma durch den 1. Weltkrieg und die nicht weniger gefahrvolle Zeit danach führt. Auch in dieser Epoche ist die Verlagsgeschichte ein Spiegelbild der allgemeinen Geschichte und gerade deswegen eine so wertvolle Lektüre. Hindemith, Orff, Strawinsky werden gewonnen, und wie im Jahrhundert zuvor gibt es nicht nur geschäftliche, sondern auch enge menschliche Beziehungen zwischen Verleger und Komponisten. Ein „großer Erfolg“ und ein „Tiefpunkt“ zugleich ist die finanziell erfolgreiche Herausgabe des Soldatenliederbuchs in der Nazizeit.

Ludwig Strecker jun. Ist nicht nur Verleger, sondern auch Librettist, so zu Egks Die Zaubergeige oder Wolf-Ferraris Der Kuckuck von Theben. Die Frauen der Verleger werden in dem Buch nicht vergessen, ob sie nun Herrin eines musikalischen Salons sind oder sich um die Rehabilitierung von von den Nazis verfemten Werken kümmern.

Nach dem Krieg werden neue Komponisten gewonnen, so Henze, Reimann, Penderecki, Ligeti. Ab 1974 leitet Peter Hanser-Strecker den Verlag, der bis 1955 in der französischen Zone ansässig war, ehe die Bundesrepublik  souverän wurde. Musikalische Zeitschriften wie Melos und Darmstädter Beiträge, Lehr-und Unterrichtswerke, schließlich auch Popmusik und moderne Instrumente gehören nun zum Sortiment. Über mehrere Seiten erstreckt sich das Verzeichnis von Unternehmen, die in den letzten Jahrzehnten in Schott aufgingen, über 100 000 Medien sind auf Webseiten verfügbar, 31 000 käufliche Titel, zu denen jährlich 500 neue kommen. Ein Interview mit Peter Hanser-Strecker bildet das letzte Kapitel, und schließlich wird darauf hingewiesen, dass für die Nachfolge bereits die Tochter Saskia bereit steht. Joy of music ist das Jubiläumsmotto, und es passt zu dem Unternehmen, auf das Deutschland stolz sein kann (145 Seiten, 2020 Schott Music). Ingrid Wanja

Miloslava Fidlerová-Sopirová

 

Die Opernsängerin und  langjährige Solistin des Prager Nationaltheaters Miloslava Fidlerová-Sopirová (geb. 28. April 1922 in Prag)) starb am 3. September 2020 ebendort. Sie war mehr als 36 Jahre Mitglied des Ensembles. Nachstehend eine Hommage an sie, die wir auf der website der DN Divadelni noviny fanden, die Übersetzung besorgte der google translator, daher Bitte um Nachsicht.

Bereits im September 1941 sang sie die Rolle des Knappen Tebald in Verdis Don Carlos,  kurz nach der Brautjungfer in Webers The Sorcerer,  und sang wiederholt die Rolle der Esmeralda in The Bartered Bride . Die Zusammenarbeit mit Václav Talich war äußerst wichtig für die Weiterentwicklung ihrer Gesangsfähigkeiten. Im Bereich der Bühnenperformance war es der Einfluss von Regisseur Ferdinand Pujman, der sie am Konservatorium unterrichtete. Der junge Sänger wurde gezielt geführt, um vor allem die lyrischen Sopranrollen des tschechischen klassischen Repertoires zu interpretieren, insbesondere die Werke von Bedřich Smetana. Zunächst wurden ihr Rollen eines weniger anspruchsvollen, eher subtilen Typs zugewiesen. Neben den bereits erwähnten Esmeralda und Baruška war es beispielsweise Lidka in Smetanas Zwei Witwen. Václav Talich besetzte sie in der Rolle der Barberinka (damals wurde die Figur Baruška genannt) bis zu seiner Premiere von Mozarts Figaro – Hochzeit im Frühjahr 1943. Ab dem 1. September desselben Jahres wurde sie Solistin an der Nationaltheateroper.

Sie spielte auch in einer Reihe kleinerer Rollen, wie zum Beispiel der Figur von Hostinská in Smetanas Secret , die normalerweise älteren Sängern zugewiesen wird. Sie trat in dieser Rolle auch unter der Leitung von Václav Talich am 31. August 1944 in der letzten Aufführung des Nationaltheaters auf, bevor die Theater von den Besatzern geschlossen wurden.

Und sie trat auch in der Uraufführung nach der Befreiung auf, die Smetanas The Bartered Bride am 13. Mai 1945 war , in der sie erneut die Rolle der Esmeralda spielte. Anfang September folgten kurz hintereinander drei Premieren. In Nováks Zvíkovský rarášek trat sie in der Rolle von Markéta auf, in Fibichs Šárka spielte sie die Rolle von Mlada, die sie später mit Svatava abwechselte, und vor allem hatte sie die Rolle von Vlčenka in Smetanas Brandenburg in Böhmen, die sie in mehreren anderen Produktionen spielte.

Es war klar, dass Talichs Einschätzung seiner Qualitäten richtig war. Unsere erste Opernbühne gewann einen hervorragenden Vertreter einer Vielzahl lyrischer Sopranrollen, insbesondere im tschechischen Repertoire. In ihnen konnte sie ihre saubere, klangvolle, technisch brillant gemeisterte, farbenfrohe Stimme, die Kunst der Cantilena und die Fähigkeit klarer und strahlender Höhen voll anwenden. Sie zeichnete sich immer durch perfekte Ausdrucksweise, Bühnencharme und Charme aus, dank derer sie eine hervorragende Vertreterin junger Mädchen und Naiven war.

Dank der Genauigkeit ihrer Gesangsdarbietung und ihres Bühnencharakters wurde sie zu einer der Hauptstützen des Ensembles und erhielt vom Repertoire des Nationaltheaters ernstere Aufgaben – Smetanas Vlčenka in Brandenburg in Böhmen , Mařenka in The Bartered Bride , Jitka in Dalibor , Anežka in Two Widows , Barče und Vendulka in Kiss , Blaženka in Secret , Kate und Hedwig in der Teufelsmauer , Dvorak Terinka, die Jakobiner und die zweite Waldnymphe in Rusalka , Beatrice in Fibichova Messina , Janaceks Jenufa in Jenufa und die Drei-Málinka Etherea in KunkaAusflüge des Herrn Broucek , Hanif Novak in Lucerna , Xenia in Mussorgskys Boris Godunow und Dvoraks Dimitri , Marcelina in Beethovens Fidelio , Frasquita und Micaela in Bizets Carmen , Tatjana in Tschaikowskys Eugen Onegin , Eva in Wagners Meistersinger von Nürnberg , Desdemona in Verdis Otello .

Sie hat schnell Fuß gefasst, besonders in Smetanas Repertoire. Ihre schicksalhafte Oper wurde The Bartered Bride. Sie hat in insgesamt neun Produktionen mitgewirkt, zuerst in der Rolle von Esmeralda und dann in Performances, deren Zahl dreistellig war, in der Rolle von Marenka. Darin übte sie alle ihre Stärken in den Bereichen Gesang, Schauspiel und Persönlichkeit aus und wurde eine ihrer besten Vertreterinnen in der tschechischen Opernszene in ihrer gesamten Geschichte. Zu dieser Zeit galt sie als unsere beste Marenka. Sie sang diesen Charakter und spielte insgesamt neun Studien. In der letzten von ihnen, die das Werk des Dirigenten Jaroslav Krombholec und des Regisseurs Přemysl Kočí war und in der Marenka von Gabriela Beňačková übernommen wurde, war sie Ludmilas Vertreterin bei der Premiere und in Dutzenden anderer Wiederholungen (bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Theater).

In Dalibor spielte sie die Rolle der Jitka, in Hubička wurde sie durch Dutzende von Wiederholungen ersetzt, die fröhliche Barča in anderen zahlreichen Auftritten der ernsthaften Vendulka. Zu ihren Top-Rollen gehörten Blaženka in Tajemství und Katuška in Čertova stěna. In Two Widows tauschte sie schließlich Lidka gegen die dramatische Agnes aus. In vielen Wiederholungen konnten Besucher von Libuše ihre unterstützende Sopranistin in einem Quartett von Schnitter auf einem Bühnenbild hören.

Sie sang in allen Opern von Smetana, trat aber auch in den Werken von Antonín Dvořák, Zdeněk Fibich, Leoš Janáček, Vilém Blodek und Karel Kovařovice auf. Vítězslav Novák, Otakar Jeremiáš, Bohuslav Foerster und andere.

Sie begegnete der Arbeit von Antonín Dvořák zum ersten Mal in der ersten Nachkriegssaison in der Rolle der Sirene in Armida. In Rusalka war sie seit langer Zeit regelmäßig Vertreter von Druhá Zinka , in der Oper SELMA sedlák stellte sie sich zunächst als Comic – Berta und später als sanfte Bětuška, in Dimitrijov spielte sie die Rolle von Xenia und in Král a Uhlár der Charakter Liduška. Einer der Höhepunkte ihrer Arbeit war die Rolle der Terinka in Jakobín . Sie hat in vielen Dutzend Wiederholungen von vier verschiedenen Produktionen gespielt. Sie blieb unserer ersten Opernszene bis zu ihrer Pensionierung am 31. Dezember 1978 treu.

Ihre geschmeidige und sanfte Stimme war für die Interpretation slawischer Musik geeignet. Sie widmete sich aber auch dem Weltrepertoire. Die Aufführung in Konzertsälen zeichnete sich durch perfekte Vorbereitung, Sensibilität und Gesangsfähigkeit aus.

Ihre Gesangsfähigkeiten bleiben in den Filmen von Czechoslovak Radio und Supraphon ( hier ) erhalten. Sie war auch in der pädagogischen Arbeit beschäftigt. In den Jahren 1969–78 unterrichtete sie Solo-Gesang am Prager Konservatorium, von 1978 bis 1992 am Bratislavaer Konservatorium. Am 24. März 2007 wurde sie mit dem Thalia-Preis für ihr Lebenswerk in der Oper ausgezeichnet. 1974 heiratete sie und ließ sich in Bratislava nieder. (Foto oben: als Marenka in der Verkauften Braut, Nationaltheater Prag 1953. Foto von Jaromír Svoboda)

 

Potsdamer Festspieldokument

 

Im Sommer 2020 übernahm Dorothee Oberlinger die Intendanz der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, betitelte ihre erste Saison Musen und dirigierte die Opernproduktion in der Orangerie, Giovanni Battista Bononcinis Polifemo, auch selbst. Die deutsche harmonia mundi/SONY hat die Aufführung dieser Pastorale, uraufgeführt 1702 im Lustschloss von Königin Sophie Charlotte in Lietzenburg, im Juni mitgeschnitten und nun auf  2 CDs veröffentlicht (19439743802). Der Librettist Attilio Ariosti verwendete für seinen Text Mythen der Verserzählung Ovids um den Schäfer Acis, den Zyklopen Polifemo, die Nymphen Galatea und Silla, den Fischer Glauco und die Zauberin Circe. Die Musik enthält zwanzig Nummern, fast alle in Da-capo-Manier komponiert und von sehr virtuosem Anspruch. Am Beginn steht eine Ouvertüre in französischem Stil, welche das von Dorothee Oberlinger gegründete Ensemble 1700 galant und effektvoll musiziert. Die Dirigentin ist mit forschem, straffem Zugriff und einfühlsamer Begleitung der Solisten der Motor der Aufführung. Die Arien kommen Affekt betont und akzentuiert zu gebührender Wirkung, das Continuo mit Laute, Cembalo und Cello sichert einigen eine besonders aparte Stimmung.

Eine exquisite Besetzung garantiert ein hohes gesangliches Niveau, angeführt von Joao Fernandes als Titelheld mit resonantem, auftrumpfendem Bass. Die Überraschung ist der sensationelle Auftritt des jungen brasilianischen Sopranisten Bruno de Sá als Aci. Die klare Stimme mit einer enormen Reichweite bis in die Extremhöhe von angenehmem, nie grellem Ton übertrifft im ersten Duett an Klangschönheit sogar die von Galatea. Seine Soli „Partir vorrei“  und „ Bella dea“ (mit einer Atem beraubenden Kadenz) markieren die vokalen Glanzlichter der Aufführung. Als Galatea ist die renommierte Barockspezialistin Roberta Invernizzi zu hören, die stilistisch zwar ihre reichen Erfahrungen einbringen kann, doch mit zu reifem, ältlichem Ton der Figur die jugendliche Frische schuldig bleibt. In den eindringlichen Klagen der Partie (wie „Dove sei“) wirkt sie am stärksten. Auch Roberta Mameli ist eine anerkannte Größe in diesem Repertoire. Ihre Silla überzeugt gleichermaßen mit keckem Ausdruck und munteren Koloraturen wie betörenden, flehentlichen Klängen („Soccorrete“). Die Zauberin Circe hatte sie aus Eifersucht in ein Monster verwandelt. Liliya Gaysina sorgte mit furiosem Auftritt und der fulminant hingeschleuderten Arie „Pensiero de vendetta“ für einen dramatischen Kontrapunkt im Gefüge der anderen lyrischen Arien. Glücklicherweise vermag die Liebesgöttin Venere, Silla ihr früheres Aussehen zurück zu geben. Maria Ladurner becirct mit feinem Sopran. Bedingung für Sillas Rückverwandlung war, dass die Nymphe die Zuneigung des Fischers Glauco annehme. Als dieser ist  Helena Rasker ein weiterer Trumpf der Besetzung. Der klangvolle Alt verströmt sich leidenschaftlich in den Gesängen der Zuneigung für Silla, doch steht ihm gleichermaßen auch die ausgewogene, edle Kantilene zu Gebote. Alle Solisten vereinen sich am Ende zum warnenden Schlusschor „Farfalletta che segue l’Amor“. Denn: Der wird den Schmerz finden, der die Lust sucht. Das Sinnbild meint den Schmetterling, der sich der Flamme nähert und verbrennt. Bernd Hoppe

Inès RIVADENEIRA

 

Mit Bedauern lasen wir im online-Merker von Tode der spanischen Spopranistin Inès RIVADENEIRA (am 3. August 2020 in Madrid), geboren am 2. November 1928 in Lugo (Provinz Valladolid, Spanien); ihr Vater gehörte der Militärpolizei an. Sie sang als Kind im Chor de los Dominicos de San Pablo in Valladolid, dessen Dirigent Heraclio García Sanchez sie zuerst unterrichtete, und der dafür 03sorgte, dass sie mit einem Stipendium der Stadt Valladolid das Real Conservatorio Madrid besuchen konnte. Hier war sie Schülerin von so bedeutenden Sängerinnen und Pädagoginnen wie Lola Rodriguez de Aragón und Angeles Ottein. Nachdem sie mehrere Gesangwettbewerbe in Spanien gewonnen hatte, konnte sie ihr Studium an der Wiener Musikakademie, u.a. bei Erik Werba, vervollständigen. Sie heiratete den Violaspieler des Orquesta Nacionál de España Argimiro Pérez Cobas. 1951 trat sie, noch während ihrer Ausbildung, in einem Konzert in Valladolid erstmals öffentlich auf. Im gleichen Jahr sang sie in Paris in »Don Perlimplín« von V. Rieti, 1952 am Gran Teatre del Liceo in Barcelona in »Soledad« von Juan Manén. Sie hatte ihre großen Erfolge auf dem Gebiet der Zarzuela, trat aber auch in einer Vielzahl von Opernpartien auf. Sie sang in Madrid und Barcelona, in Lissabon, San Sebastian und Oviedo (Preziosilla in »La forza del destino«, Maddalena im »Rigoletto« und Ulrica in »Un Ballo in maschera« von Verdi), in Bilbao (Zita in Puccinis »Gianni Schicchi« und Marcellina in »Le nozze di Figaro«) und hatte 1966 einen ihrer größten Erfolge als Carmen am Gran Teatre del Liceu in Barcelona. 1964 wirkte sie in der Uraufführung der Oper »El hijo pródigo« von Joaquín Rodrigo mit. Sie trat gastweise in Italien und England (u.a. in London in »El amor brujo« von de Falla unter der Leitung von E. Halffter), in Frankreich und in Marokko auf. 1980 gab sie ein letztes Konzert in der Londoner Albert Hall, zusammen mit Victoria de los Angeles. Seit 1979 nahm sie eine Professur an der Escuela Superior de Canto in Madrid wahr.

Schallplatten: Philips (»El amor brujo« unter Igor Markevitch), zahlreiche Zarzuela-Aufnahmen auf Columbia (»El ultimo romantico« von Soutullo mit Teresa Berganza, »Agua, azucarillos y aguardiente« von Chueca, »La verbena de la paloma« von T. Bretón, »La revoltosa« von R. Chapí) und Alhambra (»Luis Alonso« von Jiménez, »La chula de Pontevedra« von Jiménez, Luna und Brú, »El amigo Melquíades« von Serrano und Valverde). 

 

Sinfonisches, Vokales und Kammermusik

 

Parallel zur baldigen Präsentation des chef d´ouevre Joseph Martins Kraus´, seine Oper  Æneas i CartagoAeneas in Carthago, schauen wir auf den instrumentalen und vokalen „output“ des ebenso fleissigen wie genialen deutschen Komponisten am schwedischen Hofe Gustav III. Gerhard Eckels hat sich mit acht CDs bei Naxos (ein Label, das sich besonders für Kraus einsetzt und mit den Ballettmusiken wenigstens einen kleinen Vorgeschmack auf die große Oper gibt, die in den Achtzigern mal als Aufnahme geplant ware, wozu es allerdings nicht kam) hindurchgehört, chapeau. Lohnend, wie er findet. Nacstehend seine Eindrücke und unser Dank für soviel Durchhaltekraft. G. H.

 

In den Jahren 1996 bis 2007 und 2013 hat NAXOS einen großen Teil des beträchtlichen kompositorischen Schaffens des Deutsch-Schweden Joseph Martin Kraus (1756-1792) aufnehmen lassen.  Einen schönen Überblick über den späten Komponier-Stil des vielseitig begabten Mozart-Zeitgenossen bieten die Instrumentalstücke aus seiner letzten, erst sieben Jahre nach seinem Tod in Stockholm uraufgeführten, monumentalen Oper Aeneas in Carthago. Das  Sinfonieorchester der finnischen Stadt Jyväskylä unter der Leitung des französischen Flötisten und Dirigenten Patrick Gallois führt mit stets durchsichtiger Spielweise von den kontrastreichen Ouvertüren zu Prolog und 1.Akt über Ballette und Märsche bis zur großen Final-Chaconne der Oper. Kraus greift häufig zu tonmalerischen Mitteln, wenn man bereits in der Prolog-Ouvertüre von unberechenbaren Winden aufgewühlte Wellen oder im Ballett Sturm selbigen mächtig aufbrausen hört. Das Herzstück des zweiten Aktes ist die königliche Jagd; hier meint man, die Jäger nach dem kurzen Eröffnungsruf in alle Richtungen davon stürmen zu sehen. In den Märschen sieht man die Krieger geradezu marschieren und in den Tänzen der carthagischen Mädchen diese tanzen. Die Märsche im 3.Akt illustrieren mit  feierlichen Schreitfolgen Didos Gefolgsleute, während die Numidier mit exotischen Klängen, verursacht durch Schlagwerk, Piccolos und Trompeten charakterisiert werden. Ein weiteres gutes Beispiel für Kraus‘ Gestaltungskraft ist die Introduktion zum 5.Akt, wenn die sich zuspitzende Dramatik des Bühnengeschehens deutlich wird (NAXOS 8.570585).

 

Joseph Martin Kraus/ OBA

Das Helsinki Baroque Orchestra hat unter seinem künstlerischen Leiter Aapo Häkkinen im Juni 2013 im finnischen Espoo vier Ouvertüren und sieben Konzertarien aufgenommen. Die Ouvertüren schlagen einen Bogen von Kraus‘ erstem richtigen Erfolg (1781) am Hof des schwedischen Königs Gustav III., der Oper Prosperin in deutlich erkennbarer Gluck-Nachfolge, über die Geburtstags-Ouvertüre (1782) und die Ouvertüre zur Oper Äfventyraren (Abenteurer) bis zur tieftraurigen Begräbnis-Kantate (1792). Das renommierte, auf Barockes spezialisierte Orchester musiziert die frühklassischen Ouvertüren mit akzentreichem Spiel. Dabei sorgt der versierte Dirigent dafür, dass die zahlreichen starken Kontraste zwischen sanftem Streicherklang und unvermittelt hereinfahrenden Trompeten- und Schlagzeug-Stößen effektvoll herausgestellt werden. Die inhaltlich sehr unterschiedlichen, meist apart instrumentierten Arien, als Zwischenstücke zu Schauspielen und für den Gebrauch im Konzert komponiert, interpretiert die finnische Mezzosopranistin Monica Groop, ebenfalls eine Spezialistin für Alte Musik, mit flexibler, ausgesprochen kultivierter Führung ihrer in allen Lagen ausdrucksvollen Stimme (NAXOS 8.572865).

 

Eine weitere CD enthält die Ballettmusiken von J.M. Kraus. Da hört man zunächst die beiden so genannten Pantomimen, tänzerische Zwischenstückchen zu Lustspielen, die wahrscheinlich zwischen 1769 und 1772 in Kraus‘ Schul- und Studenten-Zeit in Mannheim entstanden sind, wo er das Jesuitengymnasium und das Musikseminar besuchte. Die jeweils kurzen, drei- und viersätzigen Stücke bieten gefällige Musik in passend tänzerischen Rhythmen. Außerdem enthält die CD zwei ganz kurze Einlagen zu Armida von Gluck, ein Schreittanz-ähnliches Menuett im 1.Akt und eine stürmisch anmutende Überleitung im 4.Akt. Im Zentrum der 2005 im schwedischen Örebro eingespielten Aufnahme steht das rund 50-minütige Ballett Fiskarena (Die Fischerin), uraufgeführt 1789 in der Königlichen Oper Stockholm. Das Stück in der Choreografie von Antoine Bournonville, der als der Begründer des Balletts in Skandinavien gilt, war außerordentlich erfolgreich und stand nach der Premiere nahezu 40 Jahre auf dem Spielplan des Opernhauses. Die harmlose Geschichte um ein schönes Fischermädchen, ihren Verlobten und einen um das schöne Mädchen werbenden, aber mit Hilfe von Jacks Freunden arg düpierten Kaufmann wird durch das Auftreten angelsächsischer und ungarischer Fremder angereichert, sodass Kraus die gute Möglichkeit hat, in zahlreichen, abwechslungsreichen Divertissements verschiedenste Folklore musikalisch darzustellen; vieles klingt übrigens wie eine Verbeugung vor dem Zeitgenossen Mozart. Durch besondere Klarheit des Musizierens gefällt das Schwedische Kammerorchester, das von Petter Sundquist souverän geleitet wird (NAXOS 8.557498).

 

Von den mehr als 60 Liedern in sechs verschiedenen Sprachen von J.M. Kraus gibt es 26 Vertonungen deutscher Gedichte, die 2004 sämtlich von NAXOS eingespielt worden sind. Davon stammen die Hälfte von Matthias Claudius, der dem Göttinger Hainbund nahestand, einer zum Sturm und Drang tendierenden literarischen Gruppe von Studenten und deren Freunden, die wesentlich von Friedrich Gottlieb Klopstock beeinflusst waren. Auch Kraus sympathisierte in seiner Göttinger Zeit (1776-78)  mit dem Hainbund und seinen Zielen. Neben Claudius sind bei den wohl 1783 bis 1788 komponierten Liedern deutscher Sprache u.a. auch das Hainbund-Mitglied Friedrich Leopold zu Stolberg, Johann Gaudenz von Salis und natürlich Klopstock vertreten. Kraus bevorzugt zumeist die einfache Strophenform in seinen Liedern, in denen bei schlichter Klavier-Begleitung neben den typisch lyrischen Elementen auch manche dramatischen Entwicklungen nicht fehlen. Besonderen Witz entfalten die Lieder Die Henne, Die Mutter bei der Wiege über die Ähnlichkeit der Nase des Vaters zum Kind (beide M. Claudius) und Die Welt nach Rousseau (mit schrillem Pfiff des Sängers). Aus dem Rahmen der einfach strukturierten Lieder fällt das ungewöhnlich ausgedehnte Lied Abschied, das in rezitativischer Form auf eigene Worte komponiert wie eine Solokantate wirkt. All dies setzen Birgid Steinberger, seit 1993 im Ensemble der Wiener Staats- und Volksoper und Martin Hummel, Professor an der Musikhochschule Würzburg, durchaus gekonnt um. Die Sopranistin gefällt mit klarer, blitzsauberer Stimme, während beim Bariton auffällt, wie unkompliziert und prägnant er die Inhalte der Lieder wiedergibt. Beide überzeugen mit guter Textverständlichkeit und stellen jeweils die Unterschiede der einzelnen Strophen deutlich heraus. Außerdem passen ihre Stimmen in den vier Duetten der Aufnahme bestens überein. Am historischen Hammerklavier begleitet partnerschaftlich mitgestaltend der versierte Pianist Glen Wilson (NAXOS 8.557452).

 

Von den bekannt gewordenen fünfzehn Sinfonien von J.M. Kraus sind zwölf erhalten geblieben, die das Schwedische Kammerorchester unter Petter Sundkvist mit zwei Ouvertüren und drei weiteren sinfonischen Einzelsätzen in den Jahren 1996 und 1998 bis 2000 eingespielt hat. Die erste CD beginnt mit der 1792 erstmalig aufgeführten Ouvertüre mit beträchtlichem dramatischem Impetus zu Voltaires Tragödie Olympie, zu der Kraus außerdem einen Marsch und mehrere Zwischenspiele komponiert hat. Von den drei Sinfonien in Es-Dur, C-Dur und c-Moll dürfte letztere von gewisser Bedeutung sein, ist sie doch Joseph Haydn gewidmet, unter dessen Leitung sie 1783 uraufgeführt wurde. Sie ist stark geprägt von den bei Kraus typischen, teilweise unerwarteten Kontrasten und Akzenten (NAXOS 8.553734).

 

Vol. 2 der Aufnahmen enthält vier Sinfonien in Dur-Tonarten, von denen die in A-Dur und die Sinfonie buffa, eine Art Miniatur-Pantomime, wahrscheinlich bereits in Kraus‘ Mannheimer Studienjahren (1768-1772)  entstanden sind. Bei beiden Werken kann man sich wie so oft bei der Sinfonik des Komponisten gut vorstellen, dass zumindest gedanklich ein dramatisches Geschehen im Hintergrund steht. Auch die Sinfonie in F-Dur – für kleines Orchester, besetzt nur mit Streichern und zwei Hörnern – stammt wohl bereits aus 1775, während die C-Dur-Sinfonie (mit Violin obligato) in seinen ersten Jahren in Stockholm entstanden sein dürfte (NAXOS 8.554472).

 

Auf der dritten CD sind mit einer Ouvertüre drei Sinfonien in Moll-Tonarten zusammengefasst. Die ausdrucksintensive d-Moll-Ouvertüre wurde für den Karfreitags-Gottesdienst 1790 komponiert; zwei Jahre später verwendete sie Kraus zum Auftakt der Begräbnis-Kantate für Gustav III. Die Ouvertüre passt gut zu der wegen des traurigen Anlasses, die Ermordung des schwedischen Königs Gustav III., berühmt gewordenen Symphonie funèbre in c-Moll, die, beginnend und endend mit dumpfen Trommel-Schlägen, in vier langsamen Sätzen die Bestürzung des Komponisten über den Attentats-Tod des Monarchen ausdrückt. Die wie fast alle Werke dieser Art dreisätzige e-Moll-Sinfonie, 1782 entstanden, ist von zupackender Dramatik und lässt deutlich erkennen, dass Kraus von Antonio Rosetti und Joseph Haydn beeinflusst war. Die viersätzige cis-Moll-Sinfonie weist vor allem im einleitenden Andante di molto auf Christoph Willibald Gluck hin, dessen Ouvertüre zu Iphigenie in Aulis Kraus ein Vorbild gewesen sein könnte (NAXOS 8-554777).

 

Vol. 4 beginnt und endet mit einer kurzen Reichstagssinfonie und einem Reichstagsmarsch, beide Teil einer zur Parlamentseröffnung im März 1789 zur Werbung für den gegen Dänemark und Russland geführten Krieg komponierten Musik. Für die Es-Dur-Sinfonie (vgl. Vol. 1) schrieb Kraus einen hier veröffentlichten, alternativen langsamen Satz, ein empfindungsreiches Larghetto. Bei den beiden weiteren Sinfonien in F-Dur und D-Dur ist die Autorschaft Kraus‘ zweifelhaft, obwohl in beiden Werken manches an seinen Komponierstil erinnert, wie die wieder starke Akzentuierung oder plötzliche Tremolo-Effekte (NAXOS 8.555305). Insgesamt ist zu den Sinfonien positiv herauszustellen, dass das Schwedische Kammerorchester mit ungemein durchsichtigem Spiel nicht nur die unverbrauchte Frische der akzentreichen Sinfonien mit ihren vielen auch dynamischen Überraschungen aufs Feinste herausgearbeitet hat, sondern auch die tief empfundenen Trauer-Passagen sehr glaubhaft zum Ausdruck bringt. Daran hat natürlich der Dirigent Petter Sundkvist, der für hörbar präzises Zusammenspiel gesorgt hat, wesentlichen Anteil.

 

Eine weitere CD enthält in Erstveröffentlichungen das Violinkonzert C-Dur, die Musik zu der Tragödie Olympie des schwedischen Dichters der Aufklärung Johan Henrik Kellgren und das letzte Ballett-Divertissement aus Kraus’ erster Oper Azire. Bereits früh hat sich der Komponist mit Instrumentalkonzerten beschäftigt: Von den mehreren bis 1778 geschaffenen Werken dieser Art, dabei ein Quadrupel-Konzert für Flöte, Violine, Viola und Violoncello, ist nur das Violinkonzert C-Dur erhalten. Das gefällige Werk orientiert sich mehr an den virtuosen Konzerten eines Viotti als an den strukturell noch einfacheren von Carl Stamitz oder Joseph Haydn. Die Solistin der vorliegenden Aufnahme ist die japanische Geigerin Takako Nishizaki, die das Konzert gemeinsam mit dem New Zealand Symphony Orchestra unter dem deutschen Dirigenten Uwe Grodd interpretiert. Dabei leidet das Miteinander von Solistin und Orchester darunter, dass die Tutti-Stellen nicht homogen genug sind, weil die Holzbläser teilweise zu sehr aus dem Gesamtklang herausstechen. Dazu kommt, dass die Geigerin die vielen lyrischen Passagen nicht genügend auskostet; im Übrigen bewältigt sie ihren Part auch in den virtuosen Passagen mit manchen Intonationstrübungen allzu routiniert. Die Kadenzen stammen übrigens von dem Kraus-Spezialisten Bertil van Boer, dessen klugen, sehr sorgfältigen Einführungen in den Beiheften fast aller hier besprochenen CDs ganz wesentlich zum Verständnis der eingespielten Werke beitragen.
Die Schauspielmusik zu Kellgrens Tragödie Olympie entstand 1791, als sich herausstellte, dass die für 1792 vorgesehene Uraufführung der monumentalen Oper Æneas i Cartago, deren Librettist Kellgren war, erneut verschoben werden musste. Deshalb erhielt Kraus den Auftrag, eine Schauspielmusik für die Tragödie zu schreiben, deren Premiere schließlich am 7. Januar 1792 stattfand. Für den düsteren Inhalt des Stücks, das im Massenselbstmord der Protagonisten endet, ist der Kompositionsstil von J. M. Kraus mit seinen zahlreichen dramatischen Elementen bestens geeignet.
Als Kraus 1778 nach Schweden kam, machte er sich sogleich an die Arbeit, um das Drama Azire seines Göttinger Kommilitonen Carl Stridsberg zu vertonen. Davon ist leider nur die kurze, fünfsätzige Ballettmusik erhalten, die die vorliegende Aufnahme abschließt. Vor allem zur Schauspielmusik mit seiner mächtigen, wild aufbrausenden Sturm und Drang-Ouvertüre und den wieder höchst akzentreichen Zwischenaktmusiken passt das etwas schroffe Klangbild des neuseeländischen Orchesters deutlich besser als bei der Ballettmusik und dem Violinkonzert (NAXOS 8.570334).
J.M. Kraus hat sich auch mit Kammermusik beschäftigt, überwiegend in seinen ersten Jahren in Schweden und auf der großen Studienreise. Von den über zwanzig Werken für verschiedene Kammermusik-Besetzungen ist etwa die Hälfte für Streichquartett komponiert. Von den übrigen, an denen das Klavier beteiligt ist, haben sich fünf Violinsonaten und ein Klaviertrio erhalten; weitere Trio-Sonaten sind verloren gegangen. Eine Doppel-CD enthält diese Violinsonaten und das Klaviertrio neben einem einfach gestrickten Allegro, wohl gedacht für Studierende der Stockholmer Musikakademie zur Übung des Zusammenspiels von Klavier und Violine. Die Interpreten dieser Werke sind der kanadische, an der Universität von Alberta lehrende Pianist und Cembalist Jacques Després und der in den USA wirkende Geiger Walter Schwede, zu denen im Trio der kanadische Cellist John Friesen hinzutritt. Beim Klaviertrio ist auffällig, dass die Streicher gegenüber dem Klavier keineswegs nur begleitende Funktionen haben, wie es meist in anderen frühklassischen Werken, wie z. B. von Joseph Haydn geschieht. Hier hört man partnerschaftlich ausgewogenes Musizieren, wobei im 3. Satz, einem Ghiribizzo Allegro (launisches Allegro), manches wie italienische Folklore klingt, was die Künstler der Aufnahme mit Elan ausspielen. Die schon 1877 komponierte, zweisätzige d-Moll-Sonate der Sammlung ist eine damals bereits aus der Mode gekommene Continuo-Sonate – bei der späteren Veröffentlichung als Sonata per Violine solo e Basso bezeichnet – , bei der das Cembalo die teilweise virtuos aufspielende Geige „nur“ begleitet. Die übrigen vier jeweils knapp 30-minütigen Sonaten für Klavier und Geige sind dreisätzig und lassen die Instrumente fast durchgehend gleichberechtigt erscheinen. Die Musiker der Einspielung überzeugen in ihrem erfolgreichen Bemühen um spielfreudiges, gefälliges Musizieren, ohne dass sich einer von ihnen unnötig in den Vordergrund drängt (NAXOS 8.570023-24).
Und schließlich gibt es da auch noch eine CD, die all das enthält, was J.M. Kraus für Klavier solo komponiert hat (NAXOS 8.555771). Anders als bei seinen Zeitgenossen ist eher wenig erhalten geblieben, zwei Klaviersonaten sowie fünf Einzelsätze, dabei der musikalische Spaß Zwei neue kuriose Minuetten, gewidmet J.S. Bachs Biograf Johann Nikolaus Forkel, den Kraus in Göttingen kennen gelernt hatte, und ein Schwedischer Tanz. Auch in der Klaviermusik gibt es zahlreiche überraschende stilistische und harmonische Wendungen, die deutlich ins nächste Jahrhundert weisen. Hier ist ebenfalls der kanadische Pianist Jacques Després am Werk, der die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten des neben Mozart wohl begabtesten, leider allzu sehr in Vergessenheit geratenen Komponisten angemessen wiedergibt. Gerhard Eckels

 

(Weitere Information zu den CDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

 

Mercadantes „Amleto“ von 1822

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Der hundertfünfzigste Todestag von Saverio Mercadante (getauft 17. September 1795 in Altamura bei Bari; † 17. Dezember 1870 in Neapel) wird von der Musikwissenschaft zum Anlass genommen, in einem groß angelegten Kongress in Neapel, Wien, Altamura und Mailand der musikhistorischen Bedeutung dieses Komponisten nachzuspüren und eine Bilanz der bisherige Forschung zu ziehen. (M. W.) Der renommierte Musikwissenschaftler Michael Wittmann war so liebenswürdig, uns zu diesem Anlass einen Artikel zu schreiben.

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Saverio Mercandate hat 2020 seinen 150. Todestag/ Gemälde von Cefaly/ Wikipedia

M. W.: Die Opernhäuser haben das Ereignis (fast möchte man sagen natürlich) verschlafen. Eine Ausnahme bilden das Theater für Niedersachsen in Hildesheim, das Mercadantes Schillervertonung I briganti (coronabedingt mit reduziertem Orchester, aber szenisch und ungekürzt) auf die Bühne bringt. Davon um die Premiere im September herum weiteres.

Da ist noch Die Oper im Knopfloch, Zürich, die eine  moderne Erstaufführung von Mercadantes Amleto, am 22. Dezember 1822 an der Mailänder Scala uraufgeführten melodrama tragico nach einem Libretto von Felice Romani, für 202angekündigt hat.

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Zum Amleto: Mercadante hatte 1821 mit Elisa e Claudio ebenfalls an der Scala seinen internationalen Durchbruch erlebt und in der Folgezeit für alle wichtigen Theater in Oberitalien geschrieben. Zudem hatte er bereits den Vertrag in der Tasche, der ihn ab 1823 zum Nachfolger Rossinis als Hauskomponist am San Carlo  in Neapel machen sollte. Vorher standen für den Herbst 1822 gleich zwei neue Opern für Mailand an: die recht erfolgreiche Opera semiseria Adele ed Emerico (21. September 1822) und eben der Amleto, am 26. Dezember 1822.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“: Isabella Fabrica war der erste Hamlet 1822 an der Mailänder Scala 1822/ Wikipedia

Der Theateralmanach der Scala stellt dazu kurz und bündig fest: Mercadante si presenta per la terza volta su queste scene; ma pare che egli vi sia venuto per dimettere quell’alloro che si era procacciato coll‘Elisa e Claudio, che sfrodò poi coll‚Adele ed Emerico e che cadde intieramente coll‘ Amleto, il quale dopo poche sere venne ridotta ad un solo atto, e supplito da una farsa, fintantochè altra Opera di ripiego poté esser posta sulle scene. (Mercadante präsentiert sich zum dritten Mal auf diesen Szenen, aber es scheint so, als sei er gekommen, um den Lorbeer zurückzugeben, den er sich mit Elisa und Claudio verschafft hatte, den er dann mit Adele ed Emerico gemindert hatte und der mit Amelto schließlich fiel, der nach wenigen Abenden auf einen einzigen Akt reduziert wurde und durch ene Farsa ersetzt wurde, bis schließlich eine andere Oper auf die Bühne gebracht werden konnte.)

Freilich kam dieses Fiasco für Mercadante nicht ganz unerwartet. Bereits am 4. Dezember schrieb er in einem Brief an Barbaja:: …Io sono ne’guai, i più grandi, mentre la Belloc non è contenta della sua parte e minacca di far cadere l’opera, ed io son già preparato al più gran fiasco. (Ich befinde mich in Schwierigkeiten, den allergößten, während La Belloc mit ihrer Rolle nicht zufrieden ist und droht, die Oper fallen zu lassen, und ich bin schon auf das größte Fiasko vorbereitet.) Dass sich hinter diesen dürren Worten ein handfester Konflikt verbirgt, ergibt sich schließlich aus einem Dokument vom 30. November 1822, aus dem hervorgeht, dass Teresa Belloc, der als Primadonna die Rolle von Hamlets Mutter Geltrude zugedacht war, offenbar versucht hatte, eine Änderung ihrer Rolle zu erzwingen, indem sie bei der Zensurbehörde angeblich mit ihrer Partie verbundene eccezioni dal lato politico angezeigt hatte. Diese Anzeige wurde durch die Polizeibehörden nicht nur zurückgewiesen, sondern die Sängerin eigens dazu aufgefordert, sich mit aller Kraft für den Erfolg der Oper einzusetzen. Der eigentliche Grund für diese Theater-Intrige dürfte indessen nicht in politischer Besorgnis seitens der Belloc zu suchen sein, sondern in dem Umstand, dass die für die Oper tragende Rolle des Amleto wiederum Isabella Fabbrica zugedacht war, die damit alle Chancen hatte, der Primadonna Belloc den Rang abzulaufen, so dass diese am Ende ihre Partie womöglich doch nur mit halber Kraft sang.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“: Teresa Belloc war der Superstar an der Mailänder Scala und sang Hamlets Mutter Geltrude/ Museo internazionale e biblioteca della musica di Bologna

Eine etwas andere Erklärung für den Misserfolg der Oper bietet eine handschriftliche Anmerkung, die sich auf dem in der Bibliotheca di Santa Cecilia in Rom aufbewahrten Libretto der Uraufführung findet. Der unbekannte Schreiber notiert: Tutti fanno bene la loro parte, ma la nessuna novità e le frequenti rimem¬branze della Musica già sentita dello stesso Maestro fa si che l’effetto è il più disgraziato, quindi Fiasco. (Alle  machen ihre Rolle gut, aber nichts Neues und die ständigen Erinnerungen an bereits gehörte Musik eben diesen Maestros führen dazu, dass der Effekt  ein sehr undankbarer ist, also ein Fiasko.) In jedem Falle reichte das spektakuläre Desaster aus, um jegliche Chance für eine Folgeinszenierung an einem anderen Theater zu verhindern und bezeichnenderweie gehört Amleto auch zu den ganz wenigen Opern, von denen keine Einzelnummern im Druck erschienen sind.

Trotz dieser Nicht-Rezeption ist Mercadantes Amleto natürlich von beachtlichem musikhistorischen Interesse. Und dies gerade weil er mit Shakespeares Vorlage nur sehr wenig zu tun hat, ja man kann sogar bezweifeln, ob Romani Shakespeares Theaterstück überhaupt gekannt hat. Tatsächlich stellt er in seinem weitschweifigen Vorwort fest: É questo soggetto del presente melodramma ordito sulle tracce di Sackespeare [sic!] e del suo imitatore Ducis. É noto abbastanza che Amleto é l’Oreste, Claudio l’Egisto e Geltrude la Clitennestra; egli e perciò che il poeta ha modellato i caratteri di questi tre personaggi su quelli dei Greci. Lui è sembrato in tal guisa di renderli, se non più interessanti, almeno più addattati alle nostre scene di quello che per avventura non sieno ne l’originale inglese un po‘ troppo fantastico, nella copia del Ducis, a creder suo, troppo fiacco e sbiadata. (Und dieser Gegenstand des jetzigen, auf den Spuren Shakespeares wandelnden Melodramas und seines Imitators Ducis. Es ist ziemlich bekannt, dass Hamlet Orest ist, Claudio Ägisth und Gertrude Klytämnestra ist, der Dichter hat die Personen nach dem griechischen Vorbild modelliert. Hält sie auch für italienische Bühne geeigneter, als es die englischen Charaktere sind. hält er für zu phantastisch, in der Kopie von Duciszu matt und zu blass.) Indem er nun aber in seinem Libretto vor allem den im Hamlet-Stoff angelegten Mutter-Sohn-Konflikt heranzieht, ergibt sich nicht nur eine Parallele zu Orest-Klytemnästra, sondern auch zum Semiramide-Stoff nach Voltaire, den Rossini/Rossi praktisch zeitgleich für das Teatro La Fenice (UA 3. Februar 1823) bearbeiteten.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“/Design von Alessandro SanQuirico für die Oper1822/Wikipedia

Ein Vergleich beider Opern (Amleto – Semiramide)zeigt denn auch, dass sich in beiden Werken eine ganze Reihe von dramaturgisch identischen Situationen finden, die – beinahe überflüssig zu sagen – allesamt von Rossini überzeugender bewältigt wurden und die somit vor allem erkennen lassen, welche Mittel Mercadante damals noch nicht zu Gebote standen. Als Beispiel sei auf das Finale des 1. Aktes verwiesen, der in beiden Opern durch die Geisterscheinung des ermordeten Vaters bestimmt wird. Während jedoch Rossini das szenische Moment als solches hervorkehrt (und damit auf seine Pariser Opern vorausweist) nutzt Mercadante die Situation vor allem zu einem fünfstimmigen Largo a capella, das als Stück von mustergültiger kompositorischer Arbeit doch nur ein typisch neapolitanischer Kunstgriff ist, der sich bis auf Niccolò Jommelli zurückführen läßt. Übrigens sind Adele und Amleto die ersten beiden Libretti, die Romani für Mercadante geschrieben hat. Der hatte sich den ausdrücklich gewünscht. Wenn man den Amleto mit der Semiramide vergleicht, wird aber deutlich, warum Rossi die modernere Librettist war. Romani gewinnt das große Finale des 1. Aktes aus der Geistererscheinung des Vaters. Rossi stellt dies gleich an den Anfang. Das ist innovativ und zeigt sehr schön, dass Rossi wirklich von der Bühne und dem Bühneneffekt her dachte. Romani hingegen war ein Literat, der sich nicht darum kümmerte, wie etwas auf der Bühne wirkt. Dasselbe findet man mit Blick auf die Verteilung der Rollen: bei Romani ist das genau abgezirkelt. S und MS erhalten dieselbe Anzahl von Solonummern, dazu zwei Duette, zwei Terzette und ein Quintett. In der Semiramide spielt diese Arithmetik keine Rolle und Rossi konzentriert sich auf wenige, dafür aber größere Nummern. (Die Idreno-Arien in der Semiramide werden  ja oft auch weggelassen). Aber Rossini hatte da eben schon das „Standing“, um so etwas gegen die Sänger durchsetzen zu können.

Das Finale aus Mercadantes Oper „Amleto“ findet sich auf der Opera Rara Folge „A Hundred Years of Italian Opera“, 1820 – 1830

Eine Einspielung dieses Amleto-Finales ist auf einer CD von Opera Rara zu hören und diese Einspielung verdeutlicht schlagartig das Problem des jungen Mercadante: Durch Nicolo Zingarelli am Konservatorium von Neapel ausgebildet, war er ganz auf die neapolitanische Tradition festgelegt worden, die er erneuern und gegen Rossini ins Feld führen sollte. Mit dem Fiasko des Amleto wurde die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens erstmals deutlich; noch mehr mit dem noch größeren Fiasko, das Mercadantes Dorlice 1824 in Wien machte. Es spricht für Mercadante, daß er sich nach diesen beiden negativen Erlebnissen einer Art kompositorischen Selbstkritik unterzog und ab 1825 sich dezidiert mit den Errungenschaften von Rossinis experimentellen neapolitanischen Opern auseinandersetzte. Michael Wittmann

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Und noch ein Postscript: Saverio Mercadantes frühe Opern sind sicherlich nicht die dringlichsten Desiderate einer modernen Wiederaufführung, auch wenn man diese, wie etwa die Teileinspielung von Maria Stuarda mit grossem Vergnüngen hören kann. Auch der Ausschnitt aus Amleto vermag die Neugier nach mehr zu wecken.

Das Zürcher Unternehmen Die Oper im Knopfloch wirbt für diese Aufführung als „Psycho-Kammerspiel nach Shakespeare“. Vorgesehen sind fünf (!!!) Sängerinnen (!!!) und eine instrumentale Begleitung aus Flöte, Klarinette, Horn und Violoncello. Wenn man das positiv sehen will, könnte  man den lateinischen Spruch zitieren: Ut desint vires …. Wenn man weniger gnädig ist, muss man die Frage stellen: Cui bono? Oder auch: Warum? Mercadante  jedenfalls dürfte man damit keinen Gefallen tun. Bei der Uraufführung in Mailand erlebte sie ein komplettes Fiasco. Sie gehört zu den wenigen Opern Mercadantes, von denen nicht eine einzige Nummer im Druck erschien. Und sie war verantwortlich dafür, dass Mercadante Zeit seines Lebens davon überzeugt blieb, dass eine Opernpremiere am 2. Weihnachtsfeiertag Unglück bringen müsse. Und dass, obwohl die Premiere in Mailand über die allerersten Sänger und das volle Instrumentarium der Möglichkeiten (inclusive Banda militare sul palco) dieses Hauses verfügte. Der Werbe-Gag eines „Psycho-Kammerspieles nach Shakespeare“ führt in die Irre, da die Handlung eben nicht auf Shakespeare zurückgeht und sie Romani explizit für die italienische Opernbühne als ungeeignet darstellt. Michael Wittmann

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Großen Dank an den renommierten Autor, der natürlich operalounge.de-Lesern wie auch der Musikwelt namentlich der Belcanto-Periode als hochgeschätzter Musikwissenschaftler und Fachmann gilt. Er fügte seinem Artikel – exklusiv für, uns – eine ausführliche Aufstellung der musikalischen Nummern der Oper Amleto von Mercadante bei, die den Rahmen unserer Berichterstattung sprengen würde, die wir aber auf Wunsch per mail an Interessenten verschicken. Dank auch an Ingrid Wanja, die wieder für uns die italienischen Zitate Michael Wittmanns übersetzte: Das wird viele Leser freuen. Wir stellen ja eh schon manche Geduld auf die Probe wenn wir vieles in den west-europäischen Kultursprachen bringen (Abbildung oben:“Hamlet“, Gemälde von Füssli/ Tate Gallery London/ Wikipedia). G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Weltersteinspielungen

 

Nach dem sehr vielversprechenden Auftakt der von Naxos verantworteten Reihe einer ersten Gesamteinspielung sämtlicher Ouvertüren von Daniel-François-Esprit Auber geht es nun in die nächste Runde, da Vol. 2 soeben erschienen ist (8.574006). Wiederum zeichnet das Tschechische Philharmonische Kammerorchester Pardubice unter Dario Salvi verantwortlich, was aufs Neue zum positiven Gesamteindruck beiträgt. Dieses Mal stehen bewusst ganz wenig bekannte Beispiele der Musik Aubers im Mittelpunkt. Insgesamt sieben Opern zwischen 1805 und 1834 wurden berücksichtigt, wobei streng genommen lediglich vier Ouvertüren darunter sind (Le Concert à la cour, ou La Débutante; Fiorella; Julie, ou L’Erreur d’un moment; Léocadie). Ansonsten handelt es sich um Entr’actes und Einleitungen zu diversen Opernakten, also deutlich kürzere und weniger ambitionierte Orchesterstücke (Lestocq, ou L’Intrigue et l’Amour; Couvin, ou Jean de Chimay; La Fiancée). In einem Fall, bei der Oper Julie, wurde zudem das zweiminütige instrumentale Finale beigefügt. Tatsächlich wird diesmal der „leichte“ Auber präsentiert, da keines der enthaltenen Stücke das Gewicht hat, welches man teilweise in Vol. 1 präsentiert bekam. Bis auf zwei Ausnahmen, die Ouvertüren zu Lécadie und Fiorella, handelt es sich durchgehend um Weltersteinspielungen, was die Sache für Liebhaber der französischen Musik des 19. Jahrhunderts freilich umso spannender macht. Wie gesagt, die Gewichtigkeit der Ouvertüren zu La Muette de Portici, Fra Diavolo, Gustave III oder auch Leicester (letztere bekannt aus Vol. 1) darf man diesmal nicht erwarten. Dies gilt auch für das Violinkonzert D-Dur mit der tadellosen Solistin Markéta Čepická, ein sehr frühes, dreisätziges Werk von weniger als 20 Minuten, entstanden um 1805, dessen Schlichtheit in keinem größeren Kontrast zum fast zeitgleichen Violinkonzert Beethovens in derselben Tonart stehen könnte. Gleichwohl liefert dann doch eben dieses Konzert mit seinem Tarantella-artigen Finalsatz womöglich den Höhepunkt dieser CD. Die Aufnahmen entstanden zwischen 4. und 7. Februar 2019 im Haus der Musik in Pardubice und repräsentieren auch technisch den hohen heutigen Standard des Labels. Eine wenig spektakuläre, für den Sammler gleichwohl unerlässliche Neuerscheinung und wichtige Ergänzung der Auber-Diskographie. Daniel Hauser

 

30Viele Melomanen erinnern sich gerne an die Kompilationen von Ouvertures, die in den goldenen Jahren der Schallplatte ihre Herzen erfreuten. Ob von einem einzigen Komponisten wie Beethoven und Rossini oder von unterschiedlichen Tonsetzern, stets freute man sich über Musikstücke, die selten im Konzertsaal oder auf LP und später auf CD zu hören waren. Waren es Opernouvertüren, dann waren diese Zusammenstellungen eine willkommene Einführung zu Bühnenwerken, die auf keinem Spielplan standen. In gewisser Hinsicht überahmen solche Platten dieselbe Funktion wie Übertragungen für ein zwei- oder vierhändiges Klavier im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Seit einiger Zeit sind solche Platten aus der Mode gekommen, vielleicht auch weil viele Theater inzwischen regelmässig Raritäten bieten.

Das Label Naxos hält hingegen an der Tradition fest und hat u.a. eine Anthologie der Sinfonie von Domenico Cimarosa auf 4 CDs veröffentlicht. Jetzt wird ein Zyklus mit den Ouvertüren des Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871) gestartet. Auch von diesem Protagonisten der Pariser Oper in der ersten Hälfte des 19. Jh. liegen inzwischen mehrere Bühnenstücke vor. Trotzdem bietet sein umfangreicher Werkkatalog immer noch genügend Ungespieltes, um das Unternehmen zu rechtfertigen. Man hätte sicherlich auch noch mehr in den Archiven gefunden, aber Naxos hat den Fehler begangen, neben einigen Seltenheiten wie den Ouverüren zur „Ciracassienne“ (1861), der „Fiancée“ (1829) oder dem „Enfant prodigue“ (1850) auch inzwischen gut bekannte Stücke („Fra Diavolo“, „Le domino noir“) aufnehmen zu lassen. Ein Fehler, war das, weil dadurch die Mängel der Aufführung noch mehr auffallen. Von einem französischen Orchester wie dem Orchestre de Cannes würde man mindestens einen idiomatischen Zugang zum urfranzösischen Opernkomponisten Auber erwarten, am besten aber Esprit und jene unnachahmliche Mischung aus Ironie und Melancholik, welche die Partituren auszeichnet. Das Orchestre de Cannes klingt indes wie ein Kurorchester am Ende eines überaus anstrengenden Arbeitstages, und das bleierne Dirigat des Österreicher Wolfgang Dörner zeichnet sich durch eine an Stellen schwer erträgliche Schwerfälligkeit aus. Liebhaber der Opéra-comique, die sich diese CD aus Neugier antun wollen, sei empfohlen, ältere Aufnahmen mit Albert Wolff oder Richard Bonynge in Reichweite zu halten, um zu hören, wie Auber tatsächlich klingt  (D.F.E. Auber, Overtures 1 (Circassienne, Cheval de bronze, Domino noir, Frau diavolo, Fiancée, Diamants de la couronne, Marco Spada, Enfant prodigue), Orchestre de Cannes, Wolfgang Dörner, CD Naxos 8573553). Michele Ferrari

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Nicht wesensverwandt

 

Eher mit Radames und Lohengrin, aber auch noch Edgardo  als mit den leidenschaftlichen Helden des Verismo unterwegs ist momentan Piotr Beczala, wenn wieder Opernaufführungen stattfinden können. So folgt er dem Beispiel vieler Kollegen, die sich  schon einmal auf CD in Partien ausprobieren wollen, ehe sie diese auf der Bühne verkörpern, ehe sie deren Lieben und Leiden zur Gänze und nicht nur in ausgesuchten Highlights durchlitten haben.

Ob es an dieser zwangsläufig mangelnden Vertrautheit mit Loris und Turridu, mit Maurizio di Sassonia und Kalaf liegt, dass man an des polnischen Tenors neuer CD zwar wie stets die perfekte Technik, das angenehme Timbre, die sichere, wenn auch nicht durchweg aufblühende Höhe, die geschmackvolle Präsentation bewundert, aber mit ihr nicht warm, geschweige denn von ihr mitgerissen wird? Man wird das Gefühl nicht los, dass man es mit der Arbeit eines Musterschülers in Sachen tadellosen Gesangs , aber nicht mit blutvollen, leidenschaftlichen, zerrissenen, kurzum unverwechselbaren Opernhelden, ja Menschen zu tun hat.

Es beginnt mit den beiden Arien des Cavaradossi, die getreu den Anweisungen Puccinis gesungen werden, denen aber doch für „Tosca, sei tu“ der Enthusiasmus, für „le belle forme“ die Decrescendo-Erotik fehlt. Schön ist, dass mit dem Vorspiel zu „E lucean le stelle“ die Arie eingeleitet wird, „tanto la vita“ hat man aus anderer Kehle schon inbrünstiger gehört, aber die präsente Mittellage ist natürlich ein nicht zu vernachlässigendes Plus.

Es geht weiter mit den drei Arien des Maurizio, zunächst aus dem ersten Akt, in der Korrektheit vor emotionalem Überschwang triumphiert, danach „L‘anima ho stanca“, wo eine extremere Agogik dem extremen Gemütszustand des Singenden angemessener wäre, schließlich die Schlachterzählung mit recht offener Höhe.

Turridu kommt mit dem „Brindisi“ und dem „Addio alla mamma“ zu Wort, aber  der strahlende Übermut des ersteren, das südliche Feuer, das Mitreißende werden vernachlässigt zugunsten einer  kultiviert-korrekten Darbietung. Beim Addio berührt immerhin das dunkle „all’aperto“.

Des Grieux reiht sich in die Schar der Verismohelden ein mit dem „Donna non vidi mai“, das von einem schönen Spitzenton gekrönt wird, aber auch das Sichverströmen der Stimme vermissen lässt, weit besser gelingt das Tändelnde des „Fra voi belle“. Dass der Tenor doch ein Gefühl dafür hat, wo seine Grenzen im Moment liegen, zeigt der Verzicht auf „Guardate“ aus dem 3. Akt.

Es geht weiter mit Andrea Chénier, dessen Arien aus dem ersten und letzten Akt in umgekehrter Reihenfolge aufgenommen worden sind. Der „Bel di di maggio“ ist  schön gesungen, lässt aber den unbefangenen Hörer nicht die Ausnahmesituation des Dichters erahnen, beim „Improvviso“ gelingen die epischen Teile besser als die dramatischen Ausbrüche, bei denen die Stimme an Qualität verliert.

Amor ti vieta“ müsste mehr Leidenschaft verströmen, „Vesti la giubba“ wird sehr kultiviert gesungen, was nicht unbedingt ein Lob sein muss. Natürlich ist absolute Stimmkontrolle Pflicht, nur  das Bemühen darum sollte nicht zu hören sein.

Mit Puccinis „Fanciulla“ geht es weiter, und im „Lascia che creda“ kann man rundum zufrieden sein, mit dem männlich dunklen Timbre und dazu der lacrima nella voce. Die Szene des Edgar beweist, dass der Sänger eine lange Szene gut aufbauen, eine Spannung sich entwickeln lassen kann, für den Rinuccio aus „Gianni Schicchi“ ist die unbekümmerte Leichtigkeit der Stimmführung nicht mehr gegeben. Sehr anständig wird auch Pinkertons „Fiorito asil“ gesungen, „Nessun dorma“ sollte wohl der krönende Abschluss sein, ist es aber nicht, da Beczala nicht der trompetende vokale Kraftprotz ist, den sich der gemeine Hörer unter dem Kalaf vorstellt, sondern ein kultivierter, technisch unangreifbarer, aber den leidenschaftlichen und leidgeprüften  Herren des Verismo doch recht fern stehender Opernsänger.  Marco Boemi begleitet mit dem Orquestra de la Communitat Valenciana kompetent (Pentatone PTC 5186733). Ingrid Wanja

 

José van Dam …

 

Zu  meinen absoluten Lieblingssängern gehört der belgische Bass-Bariton José van Dam, der am 25. August 2020 seinen 80. Geburtstag beging. Als Westberliner hatte ich das ganz große Privileg ihn als jungen Mann (nur 5 Jahre älter als ich, wie ich gerade feststelle) in seinen Prachtrollen zu hören: Leporello, Masetto, Don Alfonso, vor allem auch Figaro beider Komponisten, Ferrando im Troubadour, Paolo im Boccanegra neben dem ebenfalls sattstimmigen  Ingvar Wixell, als Attila neben alternierend Gundula Janowitz (und den Problemen in der ersten Arie) oder der flamboyanten Lou-Ann Wyckhoff (dto. zweite Arie) und natürlich wieder Wixel sowie Fortune. Als Escamillo alternierter er mit George Fortune, als Doktor Mirakel/Hoffmanns Erzählungen prunkte er mit seiner balsamischen Stimme ebenso wie als Mönch im Don Carlo oder als  Elias im Konzert. Mir ist diese unvergesslich individuelle Stimme so gut im Ohr, dass ich manche Partien wie den Leporello (noch neben Siepi) oder Don Alfonso oder Mozarts Figaro  lange Zeit nicht von anderen hören konnte. Sein Orest war ebenso eine interessante Facette dieser Zeit.

Und zu den SFB-Rundfunkschätzen jener Jahre gehören seine Dokumente aus dem Hans Heiling (neben der DOB-Kollegin Agnes Baltsa als Mutter), Webers Lysiart (neben Els Bolkestein/Eglantine  von der Komischen nebenan), Fürst Igor, Bertram/Robert der Teufel, Tomski/ Pique Dame und den Königskindern -. sein Spielmannslied macht mich heute noch schlucken. Ach ja. Wir haben für ihn geschwärmt.

Natürlich blieb er nicht in Berlin und machte große Karriere mit den Partien seines Fachs, wenngleich vielleicht der Holländer (ein ganz wunderbares Dokument aus Paris unter Varviso), Filippo/Philippe von Verdi oder auch der Boris Godunov ihn an seine  Grenzen führten, aber vor allem als Verdis leidvoller König ist er mir aus Brüssel und London neben Roberto Alagna und in Covent Garden und der interessanten Martine Dupuy unvergesslich. Stets war es seine extraordinäre Diktion, die die Musik trug, in allen Sprachen, die ich von ihm gehört habe. Die mustergültige Verschmelzung von Sprache und Musik, von Singen eben auf der Sprache gab seinen Auftritten und Dokumenten etwas Einzigartiges, Unnachahmliches. Sonores vermählt mit Schönklang, Biss und unglaublicher, topsicherer Technik. Wann hat man das? José van Dam setzte für mich Maßstäbe der Qualität, der gesanglichen Schönheit und der engagiertren Interpretation. Bon anniversaire, Mâitre. G. H.

 

Seine außerordentliche Karriere, die ebenso so glanzvoll wie vielseitig war, dokumentiert der unersetzliche Kutsch-Riemens (Großes Sängerlexikon) mit nachstehendem Artikel. Dam, José van, Baß-Bariton, * 27.8.1940 Brüssel; eigentlich Joseph Van Damme. Ausbildung durch Frédéric Anspach am Konservatorium von Brüssel, wo er sein Diplom für Operngesang und als Gesangslehrer erhielt. Nachdem er mehrere Gesangwettbewerbe gewonnen hatte, debütierte er 1960 am Opernhaus (Opéra de Wallonie) von Lüttich als Basilio im »Barbier von Sevilla«. 1961 kam er an die Grand Opéra Paris (Antrittsrolle: Wagner im »Faust« von Gounod), an der er bis 1965 blieb, und u.a. in »Les Troyens« von Berlioz auftrat und den Escamillo in »Carmen«, aber auch kleinere Partien sang. 1965-67 sang er am Grand Théâtre Genf; hier wirkte er 1966 in der Uraufführung von »La Mère coupable« von Darius Milhaud mit. 1967 wurde er an das Deutsche Opernhaus Berlin berufen und begann nun eine große internationale Karriere. In Berlin sang er den Paolo in Verdis »Simon Boccanegra«, den Leporello im »Don Giovanni« und den Alfonso in »Così fan tutte«. Er gab Gastspiele in Brüssel, Stockholm, an der Covent Garden Oper London (Debüt 1973), in Lissabon und München, bei den Festspielen von Aix-en-Provence und an der Oper von Santa Fé (1967 als Escamillo, zugleich sein USA-Debüt). 1970 debütierte er an der Wiener Staatsoper als Leporello im »Don Giovanni« und leitete damit auch dort eine große Karriere ein.

1972 sang er an der Mailänder Scala den Escamillo in »Carmen«. 1973 gastierte er am Teatro Fenice Venedig als Kaspar im »Freischütz« von Weber, 1973-74 glanzvolle Gastspiele an der Grand Opéra Paris und am Opernhaus von Straßburg. Er gastierte an den Opernhäusern von Lüttich und Zürich, von San Francisco (1970) und Dallas, in Amsterdam und Monte Carlo. 1975 wurde er an die Metropolitan Oper New York berufen, wo er im November diesen Jahres als Escamillo debütierte und in einer langen Karriere u.a. den Golo in »Pelléas et Mélisande«, den Colline in »La Bohème«, den Figaro in »Nozze di Figaro«, den Jochanaan in »Salome« von R. Strauss und den Wozzeck von A. Berg sang. Bei den Festspielen von Salzburg trat er 1974-76 und 1979-80 als Titelheld in »Nozze di Figaro« auf, 1974 und 1980-81 als Sprecher in der »Zauberflöte«, 1977-78 als Jochanaan, 1975-77 als Mönch im »Don Carlos« von Verdi, 1980-82 in den vier dämonischen Partien in »Hoffmanns Erzählungen«, 1982 als Alfonso in »Così fan tutte«, 1985-86 als Escamillo, 1993 als Falstaff von Verdi. Seit 1970 wirkte er länger als zwanzig Jahre in den Konzertveranstaltungen der Salzbuger Festspiele mit, u.a. in Beethovens 9. Sinfonie (1976), der »Schöpfung« von J. Haydn (1977, 1982), der Hohen Messe von J.S. Bach (1985), dem »Elias« von Mendelssohn (1984), dem Deutschen Requiem von J. Brahms (1983) und der 8. Sinfonie von Gustav Mahler (1975). Er trat dort in Mozart-Konzerten auf und gab viel beachtete Liederabende. Bereits 1968-72 sang er in den Salzburger Aufführungen von Cavallis »Rappresentazione di Anima e di Corpo«. Bei den Osterfestspielen von Salzburg hörte man ihn als Amfortas im »Parsifal«, als Rocco wie als Minister im »Fidelio«, als Ferrando im »Troubadour« und 1992 als Fliegenden Holländer. Am 28.11.1983 sang er an der Grand Opéra Paris die Titelpartie in der Uraufführung des Opernwerks »Saint François d’Assise« von Olivier Messiaen und wiederholte diese bei Aufführungen im Rahmen der Salzburger Festspiele (1992) und an der Opéra Bastille Paris (1992). 1987 sang er an der Mailänder Scala den Don Giovanni zur 200-Jahrfeier der Uraufführung dieser Oper, 1986 in Brüssel den Boris Godunow von Mussorgsky, 1989 an der Grand Opéra Paris den Wilhelm Tell in der Rossini-Oper gleichen Namens, den er 1991 auch am Grand Théâtre Genf vortrug. Er trat auch als Gast am Opernhaus von Köln und am Nationaltheater Mannheim auf. Beim Festival von Orange sang er 1990 den Mephisto im »Faust« von Gounod, an der Opéra Bastille 1992 wieder die Dämonen in »Hoffmanns Erzählungen«, am Teatro Colón Buenos Aires 1995 den Titelhelden in Verdis »Simon Boccanegra«, 1996 am Théâtre Châtelet Paris und an der Covent Garden Oper London den König Philipp in Verdis »Don Carlos«. Zu seinen Hauptrollen gehörten neben den Mozart-Partien seines Stimmfachs der Mephisto in »Faust« von Gounod, der Escamillo in »Carmen«, der Golo in »Pelléas et Mélisande« und der Alfonso in »Lucrezia Borgia« von Donizetti. Große Erfolge als Konzertsänger in Chicago, Boston, Los Angeles, Tokio und in den europäischen Musikmetropolen.

 

Schallplatten: HMV (vollständige Opern »Carmen«, »Fidelio«, Jochanaan in »Salome« von R. Strauss, »Pelléas et Mélisande«, »Zauberflöte«, »Ciboulette« von Reynaldo Hahn, »Così fan tutte«, »Aida« und »Simon Boccanegra« von Verdi, »Louise« von Charpentier, »Mireille« und »Roméo et Juliette« von Gounod, »La jolie fille de Perth« von Bizet, »Hoffmanns Erzählungen«, »Guercoeur« von A. Magnard, »Oedipe« von Enescu, Requiem von Gabriel Fauré), Decca (»Un Ballo in maschera« von Verdi, »Carmen«, »Damnation de Faust« von Berlioz, »Figaros Hochzeit«, »Frau ohne Schatten« von R. Strauss), RCA (Verdi-Requiem), DGG (»Parsifal«, »Zauberflöte«, »L’Heure espagnole« von Ravel, »Pelléas et Mélisande«, 9. Sinfonie und Missa solemnis von Beethoven, »Roméo et Juliette« von Berlioz, 8. Sinfonie von G. Mahler), CBS (»Don Giovanni«), Erato (»Pénélope« von Gabriel Fauré, »Dardanus« von Rameau, h-moll Messe von Bach, »L’Enfance du Christ« von [Nachtrag] Dam, José van; nachdem er während zwanzig Jahren dort nicht mehr aufgetreten war, sang er 1981 am Théâtre de la Monnaie Brüssel den König Philipp im »Don Carlos« von Verdi. 1997 gastierte er an der Oper von Rom als Fliegender Holländer, 1998 am Opernhaus von Toulouse als Boris Godunow. 1998 sang er bei den Salzburger Festspielen wieder die Titelrolle in O. Messiaens »Saint François d’Assise«, 1999 an der Oper von Monte Carlo den Escamillo in »Carmen«. – Lit: A. Clark: José van Dam (in »Opera«, 1993). – Schallplatten: Decca (Hans Sachs in den »Meistersingern«), EMI (Frère Laurent in »Roméo et Juliette« von Gounod, Nilakantha in »Lakmé« von Delibes, Titelrolle in Puccinis »Gianni Schicchi«). [Lexikon: Dam, José van. Großes Sängerlexikon, S. 5; (vgl. Sängerlex. Bd. 6, S. 284) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto © Deutsche Oper Berlin / kranichfoto.)