Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Il profumo di Venezia

 

Die regelmäßige Zusammenarbeit des Labels deutsche harmonia mundi mit der katalanischen Sopranistin Nuria Rial führt immer wieder zu originellen Aufnahmeprojekten. Nach dem letzten Programm mit dem Titel „Mother“ (in operalounge.de Seiten besprochen) folgt nun eine Platte, die Venedig ihre Reverenz erweist. Sie nennt sich Venice´s Fragrance  und vereint Kompositionen aus Opern und Oratorien von acht verschiedenen Meistern, die in der Lagunenstadt lebten und wirkten (dhm 19439743812). Besonderen Reiz empfängt die Einspielung durch die Mitwirkung des Ensembles Artemandoline mit Musikern an der Barockmandoline, Barockgitarre, Theorbe und dem Baryton. Sie wirken nicht nur in den Vokalbeiträgen mit (denn die Mandoline war fester Bestandteil des Orchesters in der venezianischen Barockmusik), sondern ergänzen das Programm auch mit Instrumentalnummern. Von Antonio Vivaldi, dem berühmtesten Meister des Musikzentrums Italiens, erklingen das Concerto in G-Dur für zwei Mandolinen und das Concerto in C-Dur für Mandoline. Ersteres beginnt mit einem munteren Allegro, auf das ein versonnenes  Andante folgt, welches den beiden Soloinstrumenten viel Raum zur Entfaltung lässt, und schließt mit einem lustvoll stampfenden Allegro. Dreisätzig ist auch das zweite Konzert mit ähnlich abwechslungsreichem Verlauf. Artemandoline musiziert mit ansteckender Vitalität und Frische. Ein weniger bekannter Komponist ist Carlo Arrigoni, von dem die Sonata für Mandoline und Violine in e-Moll zu hören ist. Sie weist nicht den temperamentvollen Duktus von Vivaldis Schöpfungen auf, ist in ihrer Stimmung träumerischer. Schließlich ergänzt das berühmte „Folias“-Thema eines anonymen Tonsetzers aus dem 18. Jahrhundert mit seiner rasanten Steigerung die Auswahl der Instrumentaltitel.

Die Arie „Bella armonia vieni“ aus Tommaso Traettas Oper Le feste d’Imeneo ist ein heiterer Auftakt, in welchem die klare, apart getönte Stimme der Sopranistin sogleich mit delikatem Vortrag für sich einzunehmen vermag. Ein weiterer renommierter venezianischer Meister ist der aus Burano stammende Baldassare Galuppi, aus dessen Oratorium Jahel die Solistin die Arie „Rosa et Lilio“ ausgewählt hat. Sie ist ein lieblicher Lobgesang auf die Pracht und den Ruhm Israels. Von Francesco Bartolomeo Conti sind zwei anmutige Arien zu hören –„Dei colli nostri“ aus dem Pastoraldrama Il trionfo dell’amicizia e dell’amore und „Finché spera che le rieda“ aus der Oper L’Astarto. Mehrfach vertont wurde Metastasios Libretto Achille in Sciro. Hier erklingt die Arie „Se un core annodi“ aus der Version von Gennaro Manna mit fein getupften Tönen der Stimme und Mandoline. Die Auswahl wird komplettiert mit einem Ausschnitt aus Antonio Lottis Oper Teofane. Die Arie „Lascia che nel suo viso“ lässt in ihrer Abschiedswehmut Nuria Rials Stimme noch einmal in aller Empfindung und Schönheit aufleuchten. Bernd Hoppe

Aufstiegsgeschichte

 

Bekanntlich steigt Aschenputtel oder besser Cendrillon, wie das Mädchen in Charles Perraults Urfassung des Märchens heißt, in den höchsten Adel auf,  auf das Massenet auf dem Höhepunkt seines Erfolgs für seine 1899 uraufgeführte Märchenoper zurückgriff. In Glyndebourne stieg dafür die Dame des Hauses, die mit dem Enkel des Festspielgründers verheiratete Danielle De Niese, eigens in die Aschenkuhle und trifft gleich während des Vorspiels auf ihr kindliches Alter Ego, das einem Schmetterling nachblick. In der von Fiona Shaw 2018 für die Tour des Festivals fabrizierten und im Sommer 2019 von Fiona Dunn nach Glyndebourne transferierten Inszenierung entpuppt sich der Kleinmädchentraum als modern Fantasie, in der sich die zahllosen zeitgenössischen Anspielungen und der Kostümzauber erstaunlich gut mit den Märchenelementen und dem großbürgerlichen Interieur (Jon Bausor) samt fleißigem Hauspersonal im Hause des von Lionel Lhote als aufmüpfiger Bonhomme gestalteten Pandolfe mischen (DVD Opus Arte OA 1303, nur engl. Beiheft, keine Trackinglist): (Schlamperei und auch eine gewisse Verachtung der nicht englischsprachigen Käufergruppe gegenüber, das geht so nicht, die deutschsprachigen Länder sind ein gewaltiger Käuferblock in Europa, da sollte die Firma umdenken!/ G. H.).

Den Geist der Belle Époque evozieren die überdrehten Kostüme, in die sich die fabelhaft präsente, die Egozentrik der Figur ausschöpfende, stimmlich stark outrierende Agnes Zwierko als Madame de la Haltière und ihre beiden geschmacklosen Töchter, die eine dünn und mit bauchfreiem Top, die andere pumperlrund und mit rosa Stofftier am Dekolleté, werfen. De Niese ist anmutig und bezaubernd als staubwischende Cendrillon. Ihr lyrischer Koloratursopran scheint manchmal ein wenig klein für die Partie, doch sie trifft den Lyrismus der Partie, den Zauber und die Anmut der Figur („Vous êtes mon Prince Charmant“) ohne dass ihr Kraft für die große Szene zu Beginn des 3. Akts oder die emotionale Würde für „Seule, je partirai“ fehlen. Getragen wird sie von John Wilson, der das London Philharmonic Orchestra zu süßer Transparenz anhält. Höhepunkt der Ver- und Entrückung, wo Henri Cains Libretto Perrault verlässt, sind die Szenen, vor allem im dritten Akt, in denen sich Cendrillon und der Prinz zwar hören, doch nicht sehen und sich Cendrillon im übertragenen wie realen Sinn in einem spiegelnden Irrgarten verläuft, aber schließlich mit dem Prinzen im Bett findet. Der genderfluide Prinz, „a sort of boy-band fantasy“ und Dienerin im grauen Sackkleid, dem sein Herz herausoperiert wurde, der dieses am Ärmel seines Jacketts trägt und endlich auf Cendrillons Kopfkissen deponiert, wird von der amerikanischen Mezzosopranistin Kate Lindsey, der die Partie nicht immer glücklich zu liegen scheint, auf nicht unangenehme und zunehmend überzeugende Weise gesungen. Shaw überlädt das Märchen wie einen aufgeputzten Weihnachtsbaum, „Because everybody knows the Cinderella story, your job is to tell it in a new way“, und ihr Hang zu symbolischen Bildern, tiefenpsychologischen Deutungen  – vor allem in den Ballettszenen – und Küchenpsychologie kann manchmal nerven. Durchgehend überzeugend die geheimnisvollen Bilder mit der Cendrillon an ihre verstorbene Mutter erinnernden Fee, für die die armenische Sopranistin Nina Minasyan gläserne Koloraturen und eine Aura altmodischer Eleganz aufbietet. Rolf Fath

Märtyrer-Tod mit Musik

 

Beim Label APARTE ist der französische Geiger und Dirigent Thibault Noally eine feste Größe im Aufnahmeprogramm. Immer wieder wird er für Einspielungen von Sakralwerken verpflichtet. Jetzt erschien das im September des vergangenen Jahres in Paris aufgenommene Oratorium Il Martirio di Santa Teodosia von Alessandro Scarlatti (AP232). Uraufgeführt 1683 in Rom, geht es zurück auf eine historische Begebenheit im Jahre 308, als Teodosia di Cesarea der Liebe von Arsenio, Sohn des römischen Gouverneurs, widerstand und den Opfertod wählte. Sie starb im Alter von 18 Jahren nach grausamen Folterungen. Wer das Werk in Auftrag gab, ist nicht bekannt, auch der Librettist bleibt im Dunkeln.

Mit seinem Ensemble Les Accents gelingt Noally eine atmosphärische  Wiedergabe des zweiteiligen Werkes. Es beginnt mit einer strengen Sonata a 4, die einer kurzen, einsätzigen Sinfonia vorangestellt ist.

Das Solistenquartett wird dominiert von Emmanuelle de Negri in der Titelrolle – ein wunderbarer, leuchtender  Sopran, der gleichsam Keuschheit wie Ekstase auszudrücken vermag. Sie hat nicht weniger als sechs Arien zu absolvieren, die zwischen Standhaftigkeit, Opferbereitschaft, Todessehnsucht und Verklärung variieren. Die erste Arie, „Son costante e amante fedele“, wird von erregten Koloraturläufen bestimmt, welche auch die Virtuosität der Interpretin belegen. „Se il Cielo m’invita“ am Ende des ersten Teils ist dagegen erfüllt von Tönen inbrünstiger Todesbereitschaft. „All’armi ò costanza“ zu Beginn des zweiten Teiles ist noch einmal ein bravouröser Auftritt mit aufgeregten Koloraturgirlanden, bis „Mi piace il morire“ und „Soccorretemi“ ganz von der Sehnsucht nach dem erlösenden Tod erfüllt sind. Von verklärter, jenseitiger Stimmung ist ihr letztes Solo„Spirti beati“.

Der Tenor Emiliano Gonzales Toro ist Arsenio, der mit der Arie „Se il mio dolore“ das Geschehen eröffnet. Die Stimme ist resonant und sinnlich, drückt das starke Liebesverlangen des Mannes plastisch aus. Er und Teodosia haben mehrere Duette, hier als Aria a 2 bezeichnet, in denen sich die Stimmen organisch verblenden.

Der Bassist Renato Dolcini als Arsenios Vater Urbano mit autoritär auftrumpfender Allüre und die Altistin Anthéa Pichanick als Arsenios Vertrauter Decio mit androgynem Stimmklang komplettieren die Besetzung. Sie vereinen ihre Stimmen mit den Protagonisten in dramatischen Arien a 3 oder 4 sowie im Schlusschor, „Di Teodosia il Martir“, und demonstrieren auch in diesen Nummern ihr hohes stimmliches Niveau. Bernd Hoppe

Gabriella Tucci

 

Mit Bedauern hörten wir vom Tode der italienischen Sopraistin Gabriella Tucci. Eine Hommage an die doch zu sehr im Schatten ihrer Kolleginnen Callas und Tebaldi sowie Olivero stehenden Künstlerin folgt nachstehend.

.Im Altern von 90 Jahren starb die italienische Sopranistin Gabriella Tucci am 11. Juli 2020 in Rom, in der Stadt, in der sie am 4. Agust 1929 geboren worden war. Nur zwei offizielle Aufnahmen gibt es von ihr, als Nedda mit Del Monaco und als Trovatore-Leonora mit Corelli, aber wenn man den Computer befragt, melden sich bei YouTube 32500 Ergebnisse, ihr Repertoire umfasste 80 Rollen, die Spannbreite reichte, abgesehen von auch modernen Partien, von Bellinis Elvira über Gilda, Violetta, Desdemona, Maddalena bis zu Tosca. Allein dreizehn Verdi-Partien hat sie in ihrer Karriere, die mit achtzehn Jahren noch während ihres Gesangsstudiums begann, gesungen, ebenfalls dreizehn Jahre lang gastierte sie an der Met, begleitete das Ensemble auf seinen Tourneen, ja nannte das New Yorker Theater auch „mein Opernhaus“. Im alten Gebäude trat sie gemeinsam mit Nikolai Gedda und Jereome Hines in der letzten Vorstellung, es war Gounods Faust, auf. Nur Caruso hat mehr Vorstellungen als italienischer Gast an der Met gesungen als sie.

Der später, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere besonders als lyrisch-dramatisch geschätzte Sopran der Tucci, die  seit ihrem fünften Lebensjahr Klavierunterricht erhielt,  war bereits in deren jungen Jahren „ben impostato“, nur zur Vertiefung und Verfeinerung benötigte sie Unterricht, den sie bei Leonardo Filoni am römischen Conservatorio Santa Cecilia erhielt, der auch ihr Gatte und Vater ihrer zwei Söhne wurde. Ohne Skandale und Liebschaften („Ich habe lieber auf an das nächste hohe C als an Gefühle gedacht.“) verlief ihre Karriere. 1951 debütierte sie als Violetta in Lucca, ein Jahr danach gewann sie den renommierten Gesangswettbewerb Nuovi Voci in Spoleto als „prima assoluta“, sang hier an der Seite von Gigli die Forza-Leonora. Sie war an der Seite von Maria Callas Glauce in Cherubinis Medea beim Maggio Fiorentino, debütierte 1959 als Mimi an der Scala, wo sie 1961 in Brittens Midsummer Night´s Dream sang. Als Butterfly debütierte sie 1961 an der Met. Nach ihrer Lieblingspartie befragt, nannte sie einmal Piccinnis Didon.

 „The voice is large and opulent. It possesses colour and it has warmth“, schrieb ein amerikanischer Kritiker über sie. Über heutige Protagonisten des Opernlebens konnte sich die Sängerin vor einigen Jahren nicht so positiv äußern, beklagte die Auswüchse moderner Regie, die mangelnde Ausbildung junger Sänger und deren schnelle Verheizung im Opernbetrieb. Als Lehrerin versuchte sie etwas auszugleichen an gegenwärtigen Missständen, offrierte ihren Schülern eine umfassende, nicht nur eine Meisterklasse umfassende Ausbildung, angefangen bei der richtigen Atmung. Für Italien wünschte sie sich, und das wohl auf absehbare Zukunft vergeblich, einen Musikunterricht wie in Japan oder den USA. Ingrid Wanja

 (Foto oben: Gabriella Tucci als Butterfly/ Met Opera Archive).

Bunte Platte zum Sommer

 

 

Unter dem Titel Britain’s Glory sind beim österreichischen Label Gramola die 12 Original-Canzonetten nach Gedichten von Anne Hunter u.a. von Joseph Haydn erschienen. Diese englischen Lieder sind Glanzpunkte von Haydns Liedschaffen, das neben einer Fülle von Volkslied-Bearbeitungen rund 70 Werke umfasst, die in der Mehrzahl in seinen früheren Jahren entstanden sind. Anders die Canzonetten, die eine Frucht seiner überaus erfolgreichen Londoner Aufenthalte in den 1790er-Jahren waren. Die Bekanntschaft mit der Dichterin Anne Hunter, der Frau eines mit Haydn befreundeten berühmten Chirurgen, brachte ihn dazu, sich neben den bedeutenden Londoner Sinfonien erneut Lied-Kompositionen zuzuwenden. Dabei geht er über die früheren, eher volksliedhaften Lieder deutlich hinaus. Wohl auch beeinflusst durch die vertonte Poetik weisen sie voraus in die romantische Welt z.B. eines Schubert. Die österreichische Sopranistin Cornelia Horak und der amerikanische Spezialist für frühklassische Klaviermusik Richard Fuller haben sich der selten im Konzertsaal zu hörenden Lieder angenommen. Die im Vergleich mit den Kompositionen der Romantik immer noch relativ schlichten, aber inhaltlich durchaus unterschiedlichen Lieder finden mit angemessen klarem Duktus und schön aufblühender Stimme durchgehend  ansprechende Interpretationen. So hört man beispielsweise in The Mermaid’s Song  im Hammerklavier die glitzernden Wellen, in denen die Nixe den Seemann mit geradezu fröhlicher Melodie anlockt; dagegen sind Despair und The Wanderer voller Todessehnsucht, die die Sängerin jeweils ausdrucksstark ausdeutet. Das Lied She never told her love nach einem Was ihr wollt entnommenen Shakespeare-Gedicht nähert sich in seiner Dramatik sogar der Oper. In Fidelity wird anschaulich die Sorge der Frau um den geliebten Mann geschildert, während Sailor’s Song  mit Hurlyburly-Rufen Britains Glory besingt und damit titelgebend für die CD ist (Gramola 99212).

 

In den letzten Jahren werden die Werke von Ethel Smyth (1858-1944) zunehmend aufgeführt. Sie hat zeit ihres Lebens, das auch durch ihren starken Einsatz für die englische Frauenbewegung geprägt war, darunter gelitten, dass sie als Komponistin nicht hinreichend anerkannt wurde. Ihr nicht sehr umfangreiches Schaffen reicht von Kammermusik, Sinfonien über Madrigale, Lieder und Chorwerke bis zu Opern (z.B. The Wreckers, The Boatswain’s Mate oder Fête Galante). Das englische Label SOMM hat nun 17 Vokalwerke mit Klavier- und Kammerorchesterbegleitung herausgebracht, die zwischen 1886 und 1913 entstanden sind. Solistin ist die Mezzosopranistin Lucy Stevens, die vom  Berkeley Ensemble unter Leitung von Odaline de la Martinez und der Pianistin Elizabeth Marcus begleitet wird. Am Anfang stehen vier 1908 orchestrierte Lieder für Singstimme und Kammerorchester (Flöte, Violine, Viola, Violoncello, Harfe und Schlagzeug) auf ursprünglich französische Gedichte. Hier gibt es bei farbenreicher Instrumentation Heiteres wie das locker im Walzer-Rhythmus präsentierte Tanzlied oder die nostalgische Anacreontic Ode; ernster sind Odelette und das traurige Lied Chrysilla. Die CD enthält außerdem mit The Clown, Possession und On the Road  Lieder, die  Ethel Smyth 1913 komponierte, als sie besonders aktiv in der Frauenbewegung war. Schließlich hört man ihre ersten Kompositionen überhaupt; es sind die 1886 entstandenen, auch auf deutschen Gedichten u.a. von Eichendorff und Mörike beruhenden Liedgruppen op. 3 und 4, die von verlorener Liebe in Naturbildern (op. 3) handeln und Themen aus dem Leben der Komponistin aufgreifen (op. 4). Die Sängerin trifft in ziemlich einheitlicher, manchmal allzu geglätteter Singweise den meist gefälligen spätromantischen Stil der unterschiedlichen Lieder und wird dabei vom genannten Ensemble und der eigene Akzente setzenden Pianistin kongenial unterstützt (SOMMCD 0611).

 

Ein bunter Reigen von vielfach melancholisch anmutenden Liedern von spanischen Komponisten wie Enrique Granados, Federico Mompou, Fernando J. Obradors u.a. finden sich auf einer bei CAPRICCIO in der verdienstvollen Reihe Première Portraits erschienenen CD mit der Puerto-Ricanerin Melba Ramos, derzeit im Ensemble der Wiener Volksoper, und der Italienerin Greta Benini am Klavier. Die Sängerin erfreut durch schönes Aussingen der Melodiebögen und führt ihren recht fülligen Sopran sicher und vor allem intonationsrein durch alle Lagen. Damit gelingen ihr und der partnerschaftlich beteiligten Pianistin durchweg überzeugende Deutungen der recht kurzen, eher wie Miniaturen anmutenden Lieder (CAPRICCIO C3008).

 

Einen interessanten Vergleich von Vokal-Kompositionen aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ermöglicht die beim schwedischen Label SWEDISH SOCIETY erschienene CD mit Orchesterliedern von Alban Berg, Henri Duparc und Ture Rangström. Die schwedische Opern- und Konzertsängerin Malin Byström wird vom Helsingborg Symphony Orchestra unter dem die Vielfarbigkeit des jeweiligen Orchestersatzes souverän herausarbeitenden Stefan Solyom begleitet. Mit ihrer üppig timbrierten, sicher durch alle Lagen geführten Stimme eignet sich die Sopranistin geradezu ideal für die spätromantischen Sieben frühen Lieder von Alban Berg. Auch die impressionistischen Farben in fünf Orchesterliedern von Henri Duparc kostet sie mit süffiger Tongebung aus, wobei in Le manor de Rosemonde und La vie antérieure die nötige Dramatik nicht fehlt. Der Pfitzner-Schüler Ture Rangström (1884-1947), der als Gesangslehrer in Stockholm lebte, komponierte rund 250 Lieder, meist auch in spätromantischem Duktus. Die sechs kurzen Orchesterlieder der Aufnahme sind ebenfalls geprägt durch differenzierte Vielfarbigkeit in der Stimme der Solistin und natürlich besonders im Orchester, was alle Künstler rundum überzeugend herausstellen (SWEDISH SOCIETY SCD1168).

 

Und da gibt es noch eine Huldigung an den großen amerikanischen Musical- und Spielfilm-Komponisten Cole Porter (1891-1964): Die Sopranistin Juliane Banse singt und die Deutsche Radio Philharmonie unter Dorian Wilson spielt meist Bekanntes u.a. aus Anything goes, Can-Can, High Society und Vieles aus Kiss me, Kate, arrangiert von Lars J. Lange. Porters Kompositionen haben ihm weit über die Popmusik hinaus Achtung und Respekt verschafft. Berühmt geworden ist er mit über 40 Musicals, unzähligen Songs, besonders aus Hollywood-Filmen, mit deren Eleganz, Finesse und natürlich auch dem Drive er ein breites Publikum begeistert hat. All dies findet sich in den flotten und auf typische Weise swingenden Arrangements, die die Sängerin schönstimmig und das stilsicher aufspielende Orchester mit Spielfreude und Engagement präsentieren; so macht das Zuhören einfach Spaß! (SWR19091CD).

 

Zum Schluss noch etwas ganz Spezielles, das deutlich aus dem Rahmen unserer sonst üblichen Besprechungen fällt: Unter dem Titel Tuath (gälisch, bedeutet so viel wie Volk) Songs of the Northlands präsentieren die Gesangssolisten Brian Ó hEadhra (schreibt man im Gälischen wirklich so) und Fiona Mackenzie mit Keyboard-, Gitarren- und Mandolinen-Begleitung sowie mit einem vokalen Background-Ensemble gälische Volksmusik verschiedener Zeiten aus nordischen Ländern wie Irland, Schottland, Dänemark, Norwegen oder Island. Die verschiedenen Lieder, sämtlich in schottisch-gälischer Sprache gesungen, haben ganz unterschiedliche Inhalte; sie handeln z. B. von Seeleuten und Jägern, beschreiben das Nordlicht, beten zu Gott oder preisen die Rose als Königin der Blumen. Zum Kennenlernen dieser spezifischen Volksmusik eignet sich die CD allemal (NAXOS NXW76116-2).  Gerhard Eckels

 

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

Summer-Sale: Neues & Älteres

 

Das italienische Label Dynamic ist ja operalounge.deLesern kein unbekanntes, und immer wieder berichten wir über die Live-Mitschnitte von Festivals und herausragenden Aufführungen weitgehend in Italien, zuletzt eben der wunderbare Fernand Cortez in Florenz oder Il Schiavo aus Cagliari (aus dieser Quelle, vom phantasiereichen Teatro Lirico, von der auch die Oper Palla de Mozzi des italienischen Dirigenten und Komponisten Marinuzzi herauskommen wird, die fast zeitgleich mit ihrer Uraufführung 1943 an der Berliner Staatsoper  mit Schwarzkopf und Nold Premiere hatte). Nicht immer waren wir über die akustische Seite der Aufnahmen glücklich, das hat sich aber mit verfügbarer Technik drastisch verbessert, und selbst Martina Franca und die RAI haben einen zugelegt, was der Opernfreund angesichts der zum Teil mundwässernden Titel gerne vermerkt.

Nun hat Dynamic (im festen Vertrieb bei Naxos) eine Sommerinitiative gestartet und seine zum Teil etwas älteren Aufnahmen auf den Markt geworfen – zum absoluten Spottpreis und dto. absolut habenswert. Wer also so lange gezögert hat, sollte zugreifen. Von den rund 20 Titeln haben wir einige – für uns – interessante herausgegriffen und  stellen sie noch einmal vor. „Knaller“ aber ist – Trara – die nun erstmalige „offizielle“ Ausgabe der Norma mit zwei Sopranen, lange vor dem Projekt Sutherland-Caballé: 1977 singen unter Michael Halasz Grace Bumbry (jawohl!) und Lella Cuberli und guter Radiotechnik. Das ist ein Bombenauftakt vom Festival della Valle d´Itria. Weiteres berichten Ingrid Wanja und Bernd Hoppe. G. H.

 

Norma mit zwei Sopranen: Wer hat sich bei seiner ersten Begegnung mit Bellinis Norma in einer Aufführung mit herkömmlicher Besetzung nicht darüber gewundert, dass die Partie der keuschen Jungfrau sanften Gemüts Adalgisa einem dramatischen Mezzosopran, die der reifen, durch die Höhen und Tiefen des Lebens gegangenen zweifachen Mutter  Norma einem Sopran mit Koloraturfähigkeit anvertraut wurden?! Es soll unter anderem auf den Einfluss Giuseppe Verdis zurückgehen, zu dessen Zeit man dazu überging, die Rolle des zweiten, ursprünglich eines soprano leggero, auf einen Mezzosopran zu übertragen. Ursprünglich war die Norma für Giuditta Pasta, die zwischen Amina und Tancredi alles singen konnte, bestimmt, die Adalgisa für Giulia Grisi, die Bellini auch für seine Giulietta inspirierte.

Obwohl Rodolfo Celletti 1977, als die Aufnahme in Martina Franca beim Festival della Valle d’Itria entstand, noch nicht wie ab 1980 dessen künstlerischer Leiter war, soll er sich dafür eingesetzt haben, Norma in der von Bellini gewollten Besetzung aufzuführen (und mit Renata Scotto und Margherita Rinaldi/ Myto 1978 folgte das Maggio Musical Florenz unter Muti auf den Fersen, allerdings noch immer nur auf grauen Labels und nicht im hauseigenen Maggio-Katalog). Außergewöhnlich für das ambitionierte Festival in Martina Franca, bei dem man künstlerische Leistungen ersten Ranges erleben durfte, bei dem aber auch regelmäßig die Stromversorgung im Aufführungsort Cortile del Palazzo Ducale wegen Überlastung zusammenbrach, ist die Starbesetzung bei den Solisten, während man bei Orchester und Chor eher Sparsamkeit walten ließ. Hier hakt es denn auch mit unausgewogenen, meistens zu langsamen Tempi des unter Michael Halasz und einem für die gallische Kriegsmacht recht schütterem Chor, den man sich damals noch nicht aus dem Ostblock rekrutierte.

Die Solisten allerdings können sich hören lassen. Aus London kam die Bass-Säule Covent Gardens Robert Lloyd  mit so gewaltiger wie kultiviert eingesetzter Stimme und viel akustischem Charisma für den Oroveso. Einer der zuverlässigsten Tenöre seiner Zeit, eigentlich unterschätzt, war mit Giacomo Giacomini gewonnen worden, später ein echter tenore eroico und ein tadelloser Otello, aber 1977 noch ein Spintotenor dunkler Farben mit sicherer Höhe, auch wenn ein hoher Ton in seiner Auftrittsarie nicht gesungen wird. Insgesamt ist er akustisch mehr Krieger als Liebender, erst im Schlussduett mit Norma lässt er auch weichere Töne hören. Ganz jung war damals noch Lella Cuberli, die so sehr von den Mezzohörgewohnheiten gar nicht abweicht, da die Mittellage dunkel und melancholisch getönt ist, die in der oberen Lage jedoch den Unterschied ausmacht mit einer reinen, leichten, jungen und in der Höhe schwerelos wirkenden Sopranstimme.

Zweifellos hat Grace Bumbry die Stimme d‘una donna vissuta, die Willenskraft und Autorität ausstrahlt, nicht silbrigen Mondesglanz, sondern eher die pralle Sonne im Zenit hören lässt. Die Fiorituren der Partie werden nicht ausgekostet, die Höhen eher angetippt oder wirken scharf, als dass sie als zum Strahlen gebracht werden. Purer Belcanto ist das natürlich nicht. Die gemeinsamen Duette mit Adalgisa aber werden so glaubwürdiger, spiegeln das Verhältnis der beiden zueinander eher wider als mit den gewohnten Stimmfächern.

Von sanfter Entschlossenheit ist die Clotilde von Eugenia Gardato, dunkel wie sein Freund Pollione klingt der Flavio von Paolo Todisco, nur dumpfer. Für die Besetzung der beiden Frauenrollen mit Sopranen spricht viel, Grace Bumbry allerdings plädiert nicht überzeugend dafür. (Dynamic CDS469/1-2). Ingrid Wanja       

 

Eher wohl die Verkleinerungsform Operchen als die Gattungsbezeichnung Operette ist im italienischen Booklet zur „operetta“ La Secchia Rapita (Der gestohlene Eimer) vom Verlagschef mit eigenen künstlerischen Ambitionen,  Giulio Ricordi (19. Dezember 1840 in Mailand; † 6. Juni 1912) alias Jules  Bucket gemeint, denn sie hat viel von einer opera buffa mit den vielen komischen Situationen rund um die Rivalität zwischen den beiden Städten Bologna und Modena, Erzfeinde innerhalb der Emilia-Romagna und schöne Beispiele für den auch heute noch herrschenden Campanilismo. Das Stück spielt zur Zeit Friedrichs II., der Streitgegenstand ist ein Holzeimer, die Secchia des Titels, mit dem man das Wasser aus den Brunnen hievte. Als Beweisstück für die historische Wahrheit der Geschichte wird noch heute zumindest eine Kopie der secchia im Dom von Modena aufbewahrt. Heimlich oder offen verliebte, aber auch zerstrittene Paare bilden das Personal in dem Stück, dessen von Renato Simoni verfasstes Libretto auf dem „poemo eroicomico“ von Alessandro Tessoni aus dem Jahre 1622 beruht. Außer Ricordi im zwanzigsten Jahrhundert hatten sich bereits viel früher Zingarelli, Bianchi und Salieri des Stoffes angenommen.

Die operetta wurde am 1. März 1910 in Turin im Teatro Alfieri uraufgeführt, mit  wenig berauschendem Erfolg beim Publikum, mit Verrissen in der Presse. Besser verlief eine Aufführung ebenfalls im März 1910 in Mailand, der Alfano, Boito, Zandonai, Montemezzi, also die Elite italienischer Opernkomponisten, beiwohnte.  1913 gab es das Werklein in Buenos Aires, von dessen Highlights es auch Aufnahmen gibt.
Neben dem Orchester ist der Coro der Claudio Abbado Civic Music School unter Francesco Girardi für schöne Momente verantwortlich, denn er wirft sich mit Elan in seine vielfältigen Aufgaben als Soldaten, Bauern, Damen und vieles andere.Nach mehr als hundert Jahren hat sich Aldo Salvagno der Secchia angenommen und aus Bruchstücken des Notenmaterials einer Gruppe junger Künstler die Möglichkeit geboten, das Werk dem Vergessen zu entreißen (Aufnahme von 2017 in Mailand).   Er ist auch der dem  Orchestra Sinfonica  di Milano Giuseppe Verdi vorstehende Dirigent, der für flotte Tempi und stimmungsvolle Intermezzi sorgt. Die Genueser Firma Dynamic hat das Verdienst, das Unternehmen auf CD festgehalten zu haben, allerdings nur die Highlights, sodass man im freundlicherweise zweisprachig abgedruckten Libretto oft verzweifelt umherblättert, weil man nicht weiß, wo der eine Track endet und der nächste beginnt.

Aus der Menge der Solisten sticht der Podestà von Elcin Huseynov durch einen farbigen Spielbass hervor. Einen geschmeidigen Mezzo hat  Margherita Sala für den Giglio, die von ihm verehrte Rosa hat einen netten, aber wenig einprägsamen Sopran mit dem von Kaori Yamada. Unsicher und spröde klingt der Bariton, den Giorgio Valerio dem Conte di Culagna zur Verfügung stellt, während seine Gattin von Laure Kieffer ein starkes Vibrato in der Höhe, ansonsten schüchternen Jubelklang verliehen bekommt. Den Titta singt Hyuksoo Kim mit noch technisch unfertigem, aber immer präsentem Tenor. Also liegt das Verdienst der Aufnahme weit mehr in der Entdeckung eines bereits vergessen gewähnten Stücks mit frischen, volkstümlichen Melodien als in der künstlerischen Leistung der Ausführenden (Dynamic CDS 7798). Ingrid Wanja

 

Man könnte sich beim Erleben von Giordanos Fedora in der Aufführung des Teatro Carlo Felice aus Genua (Foto oben/ Still aus dem Video bei Dynamic) mit der Bewunderung der sängerischen  Leistung des Protagonistenpaars Daniela Dessì und Fabio Armiliato begnügen, liefe es einem bei der Schlussszene nicht heiß und kalt den Rücken hinunter. Nur Monate danach musste das auch im Privaten miteinander verbundene Paar eine ähnlich tragische Situation erleben, als der Sopran einem wohl besonders tückischen, schnell zum Tode führenden Krebsleiden erlag und der Tenor in einer besonders durch seinen Anteil daran bewegenden Trauerfeier in Brescia Abschied von seiner Lebensgefährtin nehmen musste. Das kann man natürlich nicht ausblenden, wenn man die Blu-ray von dieser wohl letzten gemeinsamen Arbeit sieht und hört, in der nichts von dem drohenden Verhängnis zu spüren, wohl aber die vollkommene Harmonie des Paares auch im künstlerischen Bereich zu spüren ist.

Valerio Galli, ein noch junger Dirigent, versucht das wie Tosca auf einem Drama von Sardou fußende Stück nicht künstlich zu verfeinern, sondern geht orchestral dankenswerterweise in die Vollen. Um das Protagonistenpaar versammelt sich ein Ensemble von soliden Sängern, so mit dem sonoren Bariton von Alfonso Antoniozzi, der das Chanson „Ecco la Russa“ geschmackvoll vorträgt, der Soubrette Daria Kovalenko, die nicht nur mit dem Couplet von La Vedova Clicquot als Olga alle Klischees ihres Fachs bedient, sogar dem Urgestein Luigi Roni als immer noch basspotentem Cirillo. Etwas mehr Sexappeal hätte man sich von dem umschwärmten Klavierstar Lazinski gewünscht, als ihn Sirio Restani aufbieten kann. Unangenehm dumpf klingt die Stimme von Roberto Maietta als Polizeiagent Cretch.

Nach den vielen schönstimmigen, aber optisch allzu biederen Fedoras von Mirella Freni, die sowohl Domingo als Carreras an ihrer Seite hatte, ist Daniela Dessì optisch eine Traumbesetzung, weiß (wie man der DVD/Blu-ray Dynamic 57772 der Aufnahme entnehmen kann) kostbare Roben in Szene zu setzen und ungezügelte Leidenschaft über die Bühnenrampe zu bringen. Zwar hat die Stimme ein auch für diese Verismopartie sehr ausgeprägtes Vibrato, aber bei den vielen temperamentvollen, dramatischen Ausbrüchen, die dem Sopran abverlangt werden, stört das nicht so sehr, und diese, so wie der Racheschwur, bringen sie nie in Verlegenheit. Fabio Armiliato singt ein dunkel glühendes „Amor ti vieta“, bringt den Hörer zu einem wohligen Erschauern in „la mia viltà“ und ist durchweg akustisch und optisch so präsent, dass man merkt, dass die Partie sich nicht auf den einen Ohrwurm reduzieren lässt. Mit dieser Aufnahme hat  das nun leider getrennte Paar seiner Liebe und seiner künstlerischen Zusammenarbeit ein schönes Denkmal gesetzt (Dynamic ). Ingrid Wanja  

 

Ach ja diese Zauber-Gärten: Wir befinden uns in einem fantastischen Garten. Drei Damen treten auf und umschmeicheln einen hübschen Burschen, der im Schatten eines Baumes eingeschlafen ist. Nein, es handelt sich nicht um den Beginn von Mozarts Zauberflöte, die Damen sind Nymphen im Gefolge der Göttin Diana, der Mann ein Hirte namens Doristo. Die Oper heißt L’arbore di Diana, wurde 1787 in Wien uraufgeführt, der Text stammt von keinem Geringeren als Lorenzo da Ponte, die Musik von Vicent Martin i Soler, einem äußerst populären Zeitgenossen Mozarts. Der so beliebt war, dass der Salzburger Komponist eine Melodie aus dessen „Una cosa rara“ in seinem Don Giovanni zitierte. L’arbore di Diana ist nicht nur ein hübsches, ironisch verpacktes Hohelied auf sinnliche Freuden, sondern auch ein musikalisches Vergnügen, reizvoll instrumentiert, mit ausgedehnten Arien für das hohe Paar Diana/ Endimione, quicklebendigen Buffoszenen  und vielen munteren Ensembles, die sich fast immer aus Solonummern entwickeln. Sie besonders machen Spaß in dieser von Harry Bicket mit mitreißendem Schwung und bisweilen aberwitzigem Tempo geleiteten Aufnahme. Da sind die drei Nymphen Ainhoa Garmendia, Marisa Martins und Jossie Perez, die mit wunderbarer Homogenität ihre Terzette vortragen. Oder sich mit dem trefflichen Herrentrio Steve Davislim, Charles Workman und Marco Vinco zu entzückenden Sextetten zusammenfinden, in denen man seine Freude hat am flinken, rhythmisch prononcierten Plappern, Wispern und Gurren. Beherrscht werden sie von der Diana Laura Aikins, die sich am Anfang mit feurigen Koloraturen, höchsten, mühelos abgeschossenen Spitzennoten und einem expressiven Furor als dominante Männer Verachtende effektvoll in Szene setzt, im zweiten Teil dann aber auch zu weicheren Tönen findet. Dass sie ihr Herz für den seine Soli kultiviert und geschliffen singenden Endimione von Steve Davislim entdeckt, ist vokal nur zu verständlich, zumal der zweite Tenor Charles Workman sängerisch weniger umfangreich bedacht ist und Marco Vinco, der als Doristo alle Bufforegister zieht, als Partner nicht in Frage kommt. Über allen wacht der Amor, dem Michael Maniaci nicht nur Keckheit und einen süßen männlichen Sopran leiht, sondern der auch zuständig ist für manch Zaubereien. Das ist ein weiteres Plus der Aufnahme: die lebendige Atmosphäre, die mit Theaterdonner und auch beim Hören anschaulichen Bühnengeräuschen einhergeht (Dynamic, CDS 651/1-2). K. C.

 

Italienische Festspieldokumente: Auf einige Veröffentlichungen von DYNAMIC, welche Festspielaufführungen in Martina Franca und Pesaro zwischen 2001 und 2012 dokumentiert haben, soll hier noch einmal hingewiesen werden.

Vom Rossini Festival 2007 stammt der Live-Mitschnitt des Melodramma La gazza ladra auf drei CDs (CDS 567/1-3). Für die Geschichte um eine diebische Elster, die für allerlei Verwirrungen sorgt und das vermeintlich schuldige Dienstmädchen Ninetta ins Gefängnis bringt, hat Rossini eine spritzige Musik erdacht, die Lü Jia mit dem Orchestra Haydn di Bolzano e Trento sprühen und funkeln lässt. Die Sinfonia mit ihrem einleitenden Trommelwirbel zählt bis heute zu den beliebtesten Wunschkonzertnummern. Hier hört man sie in wirkungsvoller accelerando-Steigerung. Der Prague Chamber Choir (Lubomír Mátl) absolviert seine Auftritte engagiert und munter.

Die Besetzung vereint mehrere Rossini-Koryphäen, so Paolo Bordogna als reicher Pächter Fabrizio – ein beim ROF vielfach erprobter Buffo-Haudegen, der viel aus den Rezitativen herauszuholen weiß. Im Duett mit Ninetta, „Per questo amplesso“, kann er in den plappernden Passagen seine Trümpfe effektvoll ausspielen. Regelmäßig sind die beiden Bässe Alex Esposito und Michele Pertusi auf den Besetzungslisten des ROF zu finden. Ersterer gibt Ninettas Vater Fernando mit virilem Timbre und stupender Geläufigkeit, zweiter den Podestà Gottardo mit autoritärem Duktus, aber aufgerautem Ton. Auch Dmitry Korchak ist ein gern gesehener Gast an der Adria. Als Fabrizios Sohn Gianetto führt sich der Tenor mit dem schwärmerischen „Vieni fra queste braccia“ ein, das ihm sogleich Noten in der Extremhöhe abverlangt. Bei seiner Szene im 2. Akt, „Aspettate“, hat die Stimme mehr Glanz.

Die spanische Sopranistin Mariola Cantarero kennt man eher von Aufführungen am Gran Teatre del Liceu in Barcelona und am Teatro Real von Madrid. Hier ist sie als Ninetta zu hören. Ihr Sopran hat oft  einen säuerlichen Beiklang, besitzt aber die nötige Flexibilität für das Zierwerk der Partie. Die Besetzung komplettieren Kleopatra Papatheologou als Fabrizios Frau Lucia mit angenehmem, eloquentem Mezzo, Cosimo Panozzo als Kerkermeister Antonio mit charaktervollem Tenor sowie Manuela Custer in der Hosenrolle von Fabrizios Diener Pippo mit getrübtem Mezzo.

 

Beim Festival della Valle d’Itria gab es 2001 ein selten anzutreffendes  Werk mit Musik Rossinis in der Bearbeitung/Edition von Antonio Pacini, einem Accolat des in Paris im Alterssitz residierenden Meisters, zu hören – das Pastiche Ivanhoé auf ein neues französisches Libretto nach Scott von Emile Deschamps und Gabriel-Gustave de Wailly –, welches auf zwei CDs herausgebracht wurde (CDS 397/1-2/ wenig später gab die Oper von Montpellier das Ganze noch einmal konzertant – seitdem ist es wieder verschwunden). Mit Billigung des Komponisten hatte Pacini (nicht zu verwechseln mit dem Komponisten Giovanni Pacini) für diese Kreation Motive aus Rossinis Opern La Cenerentola, Bianca e Faliero, Aureliano in Palmira, La gazza ladra, Tancredi, Semiramide u. a. zusammengestellt, um mit der „Neuschöpfung“ noch einmal die riesige Nachfrage nach einer neuen Oper Rossinis zu befriedigen. Paolo Arrivabeni am Pult des Orchestra Internazionale d’Italia bietet schon in der Overture (der Semiramide entnommen) stimmungsvolle und spannende Momente, die sich auch später immer wieder einstellen. Der Coro da Camera di Bratislava (Pavol Procházka) beweist in den temporeichen Chören (u. a. aus der Cenerentola und La gazza ladra) Eloquenz und Musikalität.

Die Besetzung vereint hierzulande weniger prominente Namen. In der Titelpartie ist der Tenor Simon Edwards zu hören. Sein träumerischer Auftritt („Blessé sur la terre étrangère“) ist Bianca e Faliero entnommen. Die Stimme von weicher Textur und zärtlichem Ausdruck ist für das französische Idiom durchaus passend. Nur die exponierten Töne fallen aus der Linie heraus. Ivanhoés Herz gehört Leila, die ihn einst als verwundeten Ritter gepflegt hat. Sie ist die Tochter Ismaels (Filippo Morace mit resonantem Bariton) und wird von Inga Balabanova mit apartem Sopran von dunkler Tönung gesungen. Zu Beginn des 2. Aktes lässt sie bei ihrem Liebesbekenntnis für Ivanhoé melancholisch umflorten Gesang hören. Leila wird auch von dem Normannen Boisguilbert begehrt, den Soon-Won Kang mit profunden und auftrumpfenden Basstönen ausstattet.

Ivanhoés Vater Cedric ist der Bariton Massimiliano Chiarolla, der im Finale (aus Torvaldo e Dorliska) die Verbindung seines Sohnes mit Leila segnet.

 

2007 stand der Palazzo Ducale in Martina Franca ganz im Zeichen des italienischen Barock, als Domenico Sarros Dramma per musica Achille in Sciro gezeigt wurde. 1737 hatte es Premiere zur Eröffnung des berühmten Teatro San Carlo in Neapel unter Mitwirkung gefeierter Primadonnen und Soprankastraten. Der Mitschnitt vom Festival della Valle d’Itria auf drei CDs (CDS 571/1-3) weist natürlich solche Legenden nicht auf, auch das Orchestra Internazionale d’Italia ist kein spezialisierter Klangkörper auf historischen Instrumenten. Mit Federico Maria Sardelli steht jedoch ein ausgewiesener Kenner der Barockmusik an dessen Pult. Er sorgt schon in der festlichen Sinfonia für Aufmerksamkeit und weiß vor allem die Sänger aufmerksam zu stützen. Ein Glanzlicht setzt er mit der pompösen Bläserbegleitung des Chores „Lungi, lungi“ im 2. Akt, in welchem der Bratislava Chamber Choir (Pavol Procházka) brilliert.

In der Titelrolle ist Gabriella Martellacci mit resolut-strengem Mezzo zu hören. In „Risponderti vorrei“ oder der von der obligaten Mandoline begleiteten Arie „Se un core“ im 2. Akt bietet sie auch anmutige Klänge. Als Frau verkleidet, weilt Achille am Hof von Licomede, König von Skyros (Marcello Nardis mit zu buffonesk klingender Stimme und technischen Problemen). Dessen Tochter Deidamia ist in ihn verliebt. Maria Laura Martorana überzeugt schon in der mit Koloraturen und Extremtönen gespickten Auftrittsarie „No, ingrato“. Mit den vehementen Gefühlsausbrüchen  in „Del sen gli ardor“ und „Non vedi“ erringt sie die Palme der Besetzung. Auf Befehl ihres Vaters soll sie Teagene (der Sopranist Massimiliano Arizzi mit substanzreicher Stimme und technischer Virtuosität) heiraten, wogegen sie sich weigert. Ulisse (der Tenor Francisco Ruben Brito mit bemühten Koloraturen und limitierter Höhe) erscheint und fordert Achille, den er erkannt hat, auf, ihm in den Trojanischen Krieg zu folgen. Der Höfling Nearco (Eufemia Tufano mit androgynem Stimmklang) versucht ihn zurückzuhalten. Deidamia ist verzweifelt über die Abreise ihres Geliebten („Ah perfido!“). Doch im 3. Akt kommt das klassische lieto fine, denn der König gibt Deidamia Achille zur Frau, was der Chor mit „Ecco, felici amanti“ preist. Aufhorchen lässt die Sopranistin Dolores Carlucci in der Nebenrolle des Arcade durch ihre brillanten Verzierungen und glitzernden staccati in der Arie „Si varia in ciel talora“.

 

Als jüngstes Dokument unserer Auswahl wurde im Juli 2012 Johann Adolf Hasses Dramma per musica Artaserse aufgezeichnet und auf drei CDs veröffentlicht (CDS 7715/1-3). Das Libretto stammt von Metastasio und wurde mehrfach vertont, u. a. von Gluck, Jommelli, Vinci und Galuppi. Die Version von Hasse zeichnet sich durch besonders hohe und anspruchsvolle Virtuosität aus. Die Besetzung der Uraufführung in Venedig 1730 zierten illustre Namen: Farinelli und Francesca Cuzzoni als die Liebenden Arbace und Mandane. Das Geschehen kreist um den persischen General Artabano, der König Serse erschlagen hat und seinen Sohn Arbace der Tat bezichtigt. Der persische Prinz Artaserse vermag seinen Jugendfreund jedoch nicht zu verurteilen und lässt ihn frei. Am Ende nimmt er Artabanos Tochter Semira zur Gemahlin und verbindet Arbace mit Artaserses Schwester Mandane.

Die Aufführung der Erstfassung von 1730 in Martina Franca hält einen frühen Auftritt von Franco Fagioli fest, der damals noch nicht jenen Ausnahmestatus unter den Countertenören besaß, wie er ihm heute zusteht. Mit dem Arsace hat er die Farinelli-Partie mit nicht weniger als fünf Auftritten zu bewältigen. Der erste, „Fra cento affanni“, umspannt einen weiten Radius, auffällig ist die effektvolle Tiefe,  während die Spitzentöne noch nicht den späteren Aplomb aufweisen. Das zweite Solo, „Se al labbro“ am Ende des 1. Aktes, ist von schöner Kantabilität und tiefer Erfindung. Der sinnliche Reiz der Stimme kommt hier zu starker Wirkung. Auch „Lascia cadermi in volto“ zu Beginn des 2. Aktes ist ein getragenes, eher introvertiertes  Stück, in welchem Fagioli zärtlich-weiche Töne hören lässt.  Das sanft wiegende „Per questo dolce amplesso“ zählt zu jenen Arien, welche Farinelli dem depressiven spanischen König Filipe V. in Madrid vortrug und lässt Fagiolis Stimme in ihrem schmeichelnden Duktus wunderbar aufleuchten. Im 3. Akt gibt es mit „Parto qual pastorello“ eine jener stürmischen Bravourarien, welche Höhe und Tiefe effektvoll ausreizt und mit heftigen Koloraturläufen dem Interpreten alles abverlangt – ein cavallo di battaglia für den Argentinier, das verdienten Beifallssturm auslöst. Und im letzten Akt hat er noch das Duett mit Mandane, „Tu vuoi ch’io viva “, in welchem sich beider Stimmen mit raffinierten abbellimenti kunstvoll verschlingen.

Die Sopranistin Maria Grazia Schiavo – keine Unbekannte im Barock-Repertoire – nimmt die lyrische Cuzzoni-Partie der Mandane wahr. Das Timbre der Italienerin ist recht allgemein, ihre Technik solide, die Interpretation insgesamt wenig memorabel. Nur am Ende des 2. Aktes lässt beim furiosen „Va’ tra le selve ircane“ mit dem rasenden Ausdruck aufhorchen.

Auch Sonia Prina ist eine feste Größe im internationalen Barock-Geschehen. Ihr robust-erdiger Alt und die eigenwillige Koloraturtechnik, wie schon bei Artabanos resolutem Auftritt mit „S’impugni la spada“ zu vernehmen, sind allerdings gewöhnungsbedürftig. Aber ihre Soli finden beim Publikum großen Anklang, so am Ende des  2. Aktes das kosende„Pallido sole“, welches ebenfalls zu Farinellis Auswahl für Filipe V. gehörte.

Die weniger fordernde Titelpartie ist mit dem Tenor Anicio Zorzi Giustiniani solide besetzt, die Nebenrolle des Generals Megabise mit dem Counter Antonio Giovannini. Rosa Bove komplettiert den Cast als Semira mit beherztem Alt. Am Ende vereinen sich alle Sänger zum jubelnden  Schlusschor „Giusto Re la Persia adora“.

Das regelmäßig in Martina Franca eingesetzte Orchestra Internazionale d’Italia wird geleitet von Corrado Rovaris, der schon in der Sinfonia für Drive sorgt und auch danach Affekt betonte Akzente setzt. Bernd Hoppe

 

Stünde über der Partitur von Saverio Mercadantes Oper Pelagio der Name Giuseppe Verdis, dann würde das Werk sicherlich wesentlich öfter aufgeführt worden sein, hätte nicht auf die Fleißarbeit von Dirigent Mariano Rivas und das experimentierfreudige Festival della Valle d’Itria in Martina Franca warten müssen, das sich schon des Komponisten Oper IL Bravo angenommen hatte. In vielem an die Opern der Galeerenjahre des Komponisten aus Busseto erinnert das effektvolle Musikstück mit Rollen, die einen Verdibariton und einen Sopran ähnlich wie den für die Elvira aus Ernani erfordern. Die Handlung führt in das  Spanien der ersten Versuche einer Reconquista, die ihren Höhe- und Endpunkt mit dem Erscheinen des Cid finden wird. Der Komponist lebte selbst jahrelang in Spanien und war mit dessen Geschichte vertraut. Die Uraufführung dieses seines letzten Werks in Neapel war ein Riesenerfolg. Die Partitur ging bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg verloren, aus einer kaum lesbaren Abschrift in Neapel und einer solchen aus Spanien entwickelte Mariano Rivas die Fassung für Martina Franca.

Bianca, Tochter des spanischen Adligen Pelagio, glaubt ihren Vater tot, will mit der Heirat des maurischen Prinzen Abdel-Aor die beiden Religionen miteinander versöhnen. Als ihr Vater, der sie ihrerseits verstorben glaubte, davon hört, will er die Hochzeit verhindern. Als Bianca ihm nicht folgt, verflucht er sie, auch Abdel-Aor wendet sich von ihr ab, weil er glaubt, sie stehe auf der Seite ihres Vaters. Pelagio wird beim Sturm auf die Burg des Mauren gefangen genommen, dieser will ihn töten, was Bianca verhindert. Nun ist sein Misstrauen erwacht, er sieht in ihr eine Verräterin und ersticht sie, als er davon hört, dass sein Widersacher aus der Burg entfliehen konnte. Pelagio erobert mit den Seinen die Burg, Bianca stirbt in seinen Armen und der Vater schwört den Mauren ewige Rache. Die Geschichte spielte vor einigen hundert Jahren, doch das Problem ist ein durchaus heutiges, Ehrenmorde sind nicht nur von gestern.

Die Oper hat drei so dankbare wie anspruchsvolle Partien. Costantino Finucci verfügt über eine ausgesprochen gute Diktion, was für den Hörer, der das Libretto aus dem Internet herunterladen müsste, sehr nützlich ist. Die Stimme ist wie aus einem Guss, die Höhe gut, etwas holprig bewegt der Sänger sich in den Verzierungen, recht zittrig beginnt „Io non aveva più lacrime“, was vielleicht durch den Gemütszustand, in dem sich der Vater befindet, mitbedingt ist. Eine Aufsehen erregende Fermate versöhnt, allerdings nicht die folgende , gaumig klingende Cabaletta, in der die einheitliche Linie fehlt. Man kann sich den Sänger auch als soliden Verdi-Bariton vorstellen.

Mit ihrem umfangreichen Tonumfang ist die Bianca ebenfalls eine anspruchsvolle Rolle, der die dunkle Mittellage von Clara Polito gut ansteht. Die Intonation ist nicht immer eine sichere, aber die Sängerin erfreut durch raffinierte Sfumaturen, kann schillernd und ausgesprochen apart klingen und meistert die Intervallsprünge sicher. Sehr schön singt sie ihr Gebet im letzten Akt, „D’un infelice oh ciel“, erfreut mit innigem canto elegiaco.

Der Tenor Danilo Formaggia kämpft mit der hohen Tessitura des Abdel-Aor., sein Gesang klingt  streckenweise unstet, in der Höhe oft eng, gut gelingt ihm der Schluss des zweiten Akts, ein erregtes Rezitativ gelingt ihm gut mit „Ch’ella non osi offrirsi“, aber insgesamt erscheint der Tenor einfach zu flach, zu eindimensional für die Partie zu sein.

Weder vom Chor aus der Slowakei noch vom Orchestra Internazionale d’Italia hört man Sensationelles, noch von einer Aufnahme aus dem akustisch schwierigen  Innenhof des Palazzo Ducale, aber was Mariano Rivas trotz widriger Umstände auf die Beine gestellt hat, ist aller Ehren wert und das Werk auf jeden Fall einer größeren Beachtung, als sie ihm bisher, es gab noch eine Aufführung am Ort des Geschehens in jüngerer Zeit, zuteil wurde (Dynamic CDS 636/1-2). Ingrid Wanja

 

Der Tod ist weiblich: Jeder für sich war ein begabter Komponist, aber zu Höchstleistungen waren sie wohl nur in gemeinsamer Anstrengung fähig die Brüder Luigi und Federico Ricci, deren letzte von vier Opern, Crispino e la Comare, ein Riesenerfolg war, der bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts andauerte, und auch in jüngster Vergangenheit gab es hin und wieder Aufführungen, so in Bad Aibling, beim Festival in Wexford, in einem kleinen Theater in New York, in Venedig, Neapel (woher die CD bei Bongiovanni von 1989 stammt) und 2013 beim Festival della Valle d’Itria in Martina Franca, wovon es eine DVD und eine CD gibt. Stoff für eine Oper, wenngleich nicht für eine opera buffa oder vielmehr ein Melodramma fantastico-giocoso hätte auch das Leben zumindest eines der Brüder hergegeben, das Luigis, der eine von zwei Zwillingsschwestern heiratete und sich die andere als Geliebte hielt, die ihn beide zum Vater machten. Das wäre aber wohl selbst einem so phantasiereichen Librettisten wie Francesco Maria Piave, vielfacher Textschreiber auch für Giuseppe Verdi, zu viel an Verwicklungen gewesen. Dafür wartet das Werk der Gebrüder Ricci mit einer Besonderheit für die italienische Oper auf, ohne die kaum eine deutsche Oper des 19.Jahrhunderts auskam: das Wirken überirdischer Kräfte auf das Schicksal der Menschen. La Comare nämlich ist der Tod persönlich, la Morte, wie er im Unterschied zu unseren Breiten in romanischen Ländern mit weiblichem Artikel bedacht wird. Eine weitere Besonderheit von Crispino ist, dass, obwohl letztendlich eine opera buffa, tatsächlich ein Mensch im Verlauf der Handlung stirbt, allerdings geschieht das, damit ein Liebespaar endlich zueinander finden kann.

Die Musik ist höchst eingängig und erfindungsreich, man meint von einer neapolitanischen Canzone zur nächsten geführt zu werden, vermerkt Einflüsse Rossinis, und die Musik scheint unaufhörlich zum Tanzen aufzufordern. Obwohl die männlichen Partien weit überwiegen, der Herrenchor stets präsent ist, ist die anspruchsvollste und dankbarste Rolle einem Sopran vorbehalten, Annetta, der Gattin des Titelhelden, die von Sängerinnen wie Adelina Patti, Luisa Tetrazzini oder Amelita Galli Curzi gesungen wurde. In Martina Franca verkörpert sie Stefania Bonfadelli, ein aufstrebender Stern am Opernhimmel, besonders als Traviata und Lucia, von vielen Gesangskrisen verfolgt und inzwischen als Regisseurin, so auch in Martina Franca, tätig.

Dem nichtitalienischen Opernfreund sei dringend die DVD anstelle der CD empfohlen, denn wenn der Sprachkundige durchaus auch ohne Libretto viel vom Text dank der gut artikulierenden Sänger versteht, ist jeder andere Hörer hilf- und ratlos, da das Booklet zwar einen guten einführenden Artikel, aber zur Trackliste keine Namen, zum Personenverzeichnis nur Vornamen der Rollen, nicht ihre Funktion in der Oper liefert oder das Stimmfach angibt und die Inhaltsangabe nicht trennt zwischen dem, was wirklich auf der Bühne geschieht, und dem, was vorausgegangen ist.    

Crispino ist ein armer Schuster, seine Frau verkauft Geschichten und Lieder. Als die Schulden übermächtig werden, will sich Crispino ertränken, La Comare, der Tod, erscheint und verleiht ihm die Fähigkeit, vorauszusagen, welcher Kranke sterben, welcher geheilt werden wird. So kann der Schuster den allwissenden Arzt spielen, verhilft dadurch einem Liebespaar zu seinem Glück, verändert aber seinen Charakter zum Schlechten. Als der Tod ihm sein erlöschendes Lebenslicht zeigt, bittet er um Aufschub, erhält ihn und wird wohl nun ein vorbildliches Leben führen.

Wie bereits gesagt, ist die der Annetta die herausragende Gesangspartie. Stefania Bonfadelli meistert die schwierigen Koloraturen mit duftig und kapriziös klingendem Sopran,  manchmal etwas gläsern oder scharf klingend, niedliche Koketterie vermittelnd, mit einem innigen Gebet “Nume benefico salva Crispino“ erfreuend und sehr virtuos in „Io non sono più Annetta“ auftrumpfend. Anspruchsvoll ist auch die Tenorpartie des Contino del Fiore, den Fabrizio Paesano mit klarem tenore di grazia, der auch mal zum Charaktertenor mutieren kann, singt. Sein „Bella come un angelo“ ist nicht zu verwechseln mit Don Pasquale, aber ähnlich gefühlvoll. Ein munteres Krähen ist sein Kennzeichen bei guter Laune. Romina Boscolo gibt mit so verführerischem wie bedrohlich klingendem Mezzosopran-Sirenenklang die Tödin. Den Schalk in der Stimme hat Domenico Colaianni für die Titelpartie, sein Bariton besticht eher durch Flexibilität und eine vorbildliche Diktion als durch Schönheit, italienische Buffotradition wird mit ihm eindrucksvoll fortgeführt. Auch alle anderen Partien sind rollengerecht besetzt. Der Chor des Opernhauses Bari weiß hörbar, was er singt, das Orchestra Internazionale d’Italia unter Jader Bignamini hat mit dieser Aufnahme einen seiner besten Auftritte in seiner inzwischen auch schon langen Geschichte (CDS 7675/1-2). Ingrid Wanja

 

Kein Meisterwerk: Es kommt nicht oft vor, dass im Booklet zu einer Opern-CD ein anderes Werk, das denselben Stoff als Grundlage hat, gelobt und zur Aufführung empfohlen wird. So geschehen aber mit Albert Lortzings Zar und Zimmermann, die Donizettis l Borgomastro di Saardam gegenübergestellt werden. Tatsächlich war der deutsche Komponist gut beraten, sein eigener Textdichter zu sein, denn gerade die populärsten Nummern und Handlungsstränge in seiner Oper, die Einstudierung der Kantate zum Ruhme des Zaren, der Wettstreit der beiden Gesandten um die Gunst des Zaren, der Holzschuhtanz, die Reflexion des Zaren über sein Leben als Herrscher oder das charmante „Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen“ haben keine Entsprechung bei Donizetti, der sich sein Libretto von Domenico Gilardoni zurechtschustern ließ und eine Nullachtfünfzehn-Buffa-Handlung erhielt mit einer abschließenden Bravourarie für den Sopran und einer seconda donna ohne dramaturgischen Sinn. Das mag damit zu tun haben, dass der einzige Star bei der Mailänder Premiere, die auf die in Neapel folgte und ein Riesenreinfall war, die Sängerin Carolina Ungher war. Das erste Finale hingegen bietet dem Hörer den üblichen Plapperunsinn, von russischem oder holländischem Kolorit keine Spur.

Immerhin gab es 1973 im Handlungsort Zaadam eine Aufführung mit Renato Capecchi in der Titelpartie, und das Donizetti-Festival in Bergamo, woher die hier besprochene Aufnahme stammt, lässt es sich natürlich  nicht nehmen, alles, was der Sohn der Stadt komponiert hat, auch aufzuführen. Selbstverständlich übernahm man hier nicht die im neapolitanischen Dialekt geschriebene Fassung, sondern die aus Mailand von 1828, revidiert von Alberto Sonzogni.

Die Besetzung aus Bergamo ist durchwachsen. Giorgio Caoduro hat für den Zaren immerhin einen markanten Bariton, mit herrscherlicher Attitüde erfolgreich eingesetzt, in den Koloraturen etwas meckernd, eindrucksvoll wird „Vili! Qual folle ardite“, durch die Cabaletta stolpert der Sänger eher, als dass er lustvoll gestaltet. Ein typischer Donizetti-Tenor ist Juan Francisco Gateli, in der Mittellage recht flach klingend, sehr hübsch hingegen im Duett über die Liebe mit dem Zaren , und mit „Allor che tutto tace“ gewinnt er hörbar an corpo und damit vokaler Präsenz. Einen satten Bass setzt Andrea Concetti für den Bürgermeister, der hier Wambett heißt und sein Mündel heiraten will, ein, die Prestissimo-Passagen beherrscht er und in „Ma se son proprio un asino“ kann er sogar etwas an „Ja, ich bin klug und weise“ erinnern. Der Vertraute des Zaren namens Leforte ist Pietro Di Bianco mit sonorer Stimme, einen Intrigentenor hat Pasquale Scircoli für die Partie des Ali Mahmed.

Einen recht ältlich klingenden Mezzo setzt Aya Wakizono für die Carlotta ein, die weibliche Hauptrolle ist die der Marietta, für die Irina Dubrovskaja eine frische Soubrettenstimme hat, eine kristallklare Höhe und die notwendige Virtuosität für den Schluss.

Zum Glück war mit Roberto Rizzi Brignoli ein erfahrener Dirigent gewonnen worden, der das muntere, aber unspezifische Werk sicher durch die Vorstellung führt, der Chor, ob nur Herren- oder Gesamtchor, schlägt sich ebenfalls wacker, aber auch sie können dem Hörer nicht weismachen, dass es sich mit diesem um eines der bedeutenden Werke Donizettis handelt (Dynamic CDS 7812.02). Ingrid Wanja

 

 

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

.

Von Sirenen und Verwirrten

 

Gleich zwei Neuerscheinungen mit der französischen Mezzosopranistin Stéphanie d’Oustrac legt das Label harmonia mundi france vor. Erstere entstand bereits im September 2018 in Berlin und markiert das Debüt der Sängerin bei der Plattenfirma (HMM 902621). Unter dem Titel „Sirènes“ haben Stéphanie d’Oustrac und ihr Pianist Pascal Jourdan Lieder von drei berühmten Komponisten der Romantik zusammengestellt. Sechs von Franz Liszt stehen am Beginn, sie alle sind Vertonungen bekannter Textvorlagen von Heine und Goethe. Für die mit „Sirènes“ betitelte Sammlung könnte es keinen passenderen Einstieg geben als Liszts „Loreley“. Nicht optimal ist die Textverständlichkeit der Solistin, auch ihr zuweilen säuerlicher und in der Höhe schriller Ton ist gewöhnungsbedürftig. Der Vortrag allerdings ist spannungsvoll, gelegentlich wird die Dramatik allerdings  von barschem Sprechgesang bestimmt. Das nächste Lied, „Freudvoll und leidvoll“ aus Goethes Egmont, vertonte der Komponist sogar zweimal und beide Fassungen (1844 und 1861) finden sich hier. In der ersten hat der Pianist Gelegenheit, zwischen energischen und lyrischen Begleitfiguren zu wechseln, in der zweiten mit noch subtileren, träumerischen Klängen aufzuwarten. Auch die Sängerin verwirklicht dies in ihrer Gestaltung. Dass Liszt auch für Goethes Faust große Affinität hatte, beweist seine Vertonung von Gretchens „Es war ein König in Thule“.  Hier klingt der Mezzo wieder sehr herb, setzt sogar hässliche Töne ein, um Gretchens gespaltene Situation zu schildern. Bei Heines „Im Rhein, im schönen Strome“ hört man fein gesponnene Linien hinauf bis in die exponierte Lage. Die Liszt-Gruppe beendet Goethes Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“.

Auf Liszt folgt Hector Berlioz mit seinem bekannten Zyklus Les Nuits d’été, der erstmals 1841 erschien – in der originalen Fassung für Stimme und Klavier, die auf der CD zu hören ist. Hier ist die Sängerin sprachlich in ihrem Idiom und wirkt auch stimmlich ausgeglichener. Der Einstieg mit dem bewegten „Villanelle“ gelingt ihr ohne Verspannung, das folgende „Le Spectre de la rose“ duftig und mit intensiver Steigerung. Für „Sur les lagunes“ findet sie den gebührenden Schmerzenston, für „Absence“ bittere Klage. „Au Cimetìere“ ist in der nächtlichen Stimmung und den langen, schwebenden Bögen besonders gelungen, weniger „L’Île inconnue“ , das den Zyklus beendet.

Ein Jahr danach komponierte Berlioz die von Shakespeares Hamlet inspirierte Ballade „La Mort d’Ophélie“, welche in ihrem Fließen an Schuberts Wasser-Gesänge erinnert. Die Stimme ertönt träumerisch-entrückt, das Klavier steuert poetische Passagen bei.

Richard Wagners Wesendonck-Lieder von 1862 beschließen das Programm der CD – sie wurden (wie der Zyklus von Berlioz) erst später instrumentiert und erklingen hier im originalen Gewand für Frauenstimme und Klavier. Auch wenn in den meisten der existierenden Einspielungen die Orchesterfassung zu hören ist, hat sich D’Oustrac doch gegen eine Vielzahl von Referenzaufnahmen durchzusetzen. Das dürfte schwer sein angesichts der wieder oft heulend klingenden Stimme und der forcierten oberen Lage. Überzeugen können nur „Im Treibhaus“ in seiner schwermütigen Stimmung und das sanft fließende „Träume“.

 

Die zweite CD mit Stéphanie d’Oustrac ist besonders originell konzipiert, denn unter dem Motto „Portraits de la Folie“ hat die Mezzosopranistin Facetten des Wahnsinns aus dem musikalischen Kosmos des Barock zusammengestellt. Die Aufnahme entstand im September 2019 in Frankreich unter Mitwirkung des Ensemble Amarillis unter Leitung von Héloïse Gaillard (HMM 902646). Dieses hat in vier Instrumentaltiteln Gelegenheit, sich je nach Vorlage mit straffem oder delikatem Spiel zu profilieren. Als furioser Auftakt erklingt die Sinfonia aus Reinhard Keisers Jodelet, welche im Mittelteil bereits das berühmte follia-Thema anklingen lässt. Später ertönt das dreisätzige Concerto a 7 von Johann David Heinichen, das mit seinem lebhaften Vivace, dem kantablen Largo und dem munteren Allegro großes Hörvergnügen bereitet.

Erster Vokalbeitrag ist das kurze Air de la Folie „Accourez hâtez-vous“ aus André Campras opéra-ballet Les Fêtes vénitiennes von 1710, in dem die Sängerin einen ausgelassenen Ton anschlägt. Werke französischer Komponisten nehmen den größten Teil des Programms ein. Von André Cardinal Destouches finden sich nicht weniger als vier Titel. Zwei davon stammen aus der Cantate „Sémélé“. „Ne cesse point de m’enflammer“ ist geprägt von exaltiertem Impetus, „Aussitôt le bruit de tonnerre“ von dramatischem Furor. Die beiden anderen sind Airs de la Folie und der comédie lyrique von 1703 Le Carnaval et la Folie entnommen. Vor allem das zweite, „Souffrez que l’Amour vous lie“, bietet am Ende einen heiteren Ausklang und entschädigt für manch enervierenden Ton.

Marin Marais ist ein bekannter Name in der französischen Barockmusik. Aus seiner Tragédie Sémélé von 1709 ist das Air „Descendez cher amant“ zu hören, in dem die Solistin wieder einen jammernden Ton hören lässt. Das Ensemble Amarillis steuert mit der Caprice aus der Suite No 5 noch einen delikaten  Instrumentalbeitrag bei.

Das Programm wird ergänzt von zwei Titeln des britischen Barockmeisters Henry Purcell. Ersterer, „From silent shades“, ist der Sammlung Choice Ayres and Songs von 1883 entnommen und breitet eine Sommernachtstraum-nahe Stimmung aus. D’Oustrac setzt hier eine Vielzahl von Farben und Ausdrucksfacetten ein – flüstert, seufzt, haucht und schimpft. Bemerkenswert ist die resolute tiefe Lage, die auch einer Sorceress oder Witch in Purcells Dido gut anstehen würde. Das zweite Stück betrifft die Arie „From Rosy bow’rs“ aus Don Quixote, in welcher irrlichternde Melismen ertönen.

Auch George Frideric Handel ist vertreten. In seiner italienischen Kantate „Ah! crudel nel pianto mio“ hat die Solistin in drei Arien Gelegenheit, wechselnde Gemütszustände zu reflektieren – Schmerz, Hoffnung und Zorn in larmoyanter oder verwirrter Gebärde. Bernd Hoppe

Starkes aus dem Bolshoi-Archiv

 

Denkt man an Pjotr Iljitsch Tschaikowski und seine Opern, so sind es ganz ohne Frage Eugen Onegin und Pique Dame, die auch nicht nicht nur primär an der russischen Oper interessierten Klassikfreunden etwas sagen und die sich auch im Standardrepertoire der Opernhäuser etablieren konnten. Bereits bei Iolanta, die zumindest ab und an aufgeführt wird, besteht ein gewaltiger Abstand in Sachen Popularität. Die restlichen Tschaikowski-Opern sind vornehmlich Kennern geläufig, auch wenn einige Produktionen der Jungfrau von Orléans (wohl nicht zuletzt auch aufgrund des spannenden Sujets) durchaus zu einer gewissen Berühmtheit gelangt sind. Mazeppa, 1884 im Moskauer Bolschoi-Theater uraufgeführt, indes ist ein wirklicher Exot, auch wenn die Thematik hierzulande nicht völlig unbekannt ist, was auch der gleichnamigen, 30 Jahre zuvor komponierten Tondichtung von Franz Liszt zu verdanken ist.

Im Mittelpunkt dieser dreiaktigen Oper steht Iwan Masepa (so die korrektere Translation), zwischen 1687 und 1709 Hetman der ukrainischen Saporoger Kosaken und schillernde Figur im Konflikt zwischen Russland und Schweden. Während Liszt sich auf die Jugendzeit Mazeppas konzentriert (angelehnt an Voltaire), steht bei Tschaikowski und Puschkins Vorlage der spätere Kosakenführer im Zentrum. Dabei verlaufen die historischen Ereignisse in der Oper vielmehr im Hintergrund, gipfelnd in der berühmten Schlacht bei Poltawa, während Tschaikowski das persönliche Drama Mazeppas, der Maria, die Tochter des Gutsherrn Kotschubej liebt, aber aufgrund seines Alters vom Vater nicht ernsthaft in Betracht gezogen wird. Zudem gibt es ihm jungen Kosaken Andrej einen weiteren Verehrer. Der Versuch Kotschubejs, Mazeppa eine Verschwörung gegen den Zaren anzulasten, geht indes nach hinten los; vielmehr wird Kotschubej selbst auf Betreiben Mazeppas hingerichtet. Am Ende, nach der verlorenen Schlacht, kommt es zum Duell zwischen dem mittlerweile gejagten Mazeppa und Andrej, in welchem letzterer fällt. Maria verliert darüber den Verstand, die Oper endet düster und hoffnungslos.

Allzu viele Einspielungen dieser Oper gibt es bis zum heutigen Tage nicht, wobei in erster Linie die Aufnahmen unter Neeme Järvi aus Göteborg von 1993 (DG) und unter Valery Gergiev aus dem Mariinski-Theater in St. Petersburg von 1996 (Philips) zu den Standardempfehlungen gerechnet werden. Daneben der bereits 1949 eingespielte Klassiker unter Wassili Nebolsin (Melodija). Während die erstgenannten klanglich freilich den Sieg davontragen, erreichen sie nicht die Idiomatik der alten Einspielung aus Sowjetzeiten. Dass gegen Ende der Sowjetunion eine weitere Studioaufnahme in vorzüglichem Klangbild entstand, war aufgrund mangelnder Verfügbarkeit bislang nur Eingeweihten überhaupt geläufig. 1982 nämlich spielte abermals Melodija unter dem Dirigat von Fuat Mansurow diejenige Produktion ein, die man mit Fug und Recht als die Referenz bezeichnen darf, vereint sie doch einen zeitgemäßen Klang mit einem exzellenten wahrlich russischen Sängerensemble, wie man es heutzutage in dieser idiomatischen Vollendung nicht mehr vorfindet. 2020 erscheint sie erstmals auf CD (Mel CD 10 02613).

Tatsächlich ist es unverständlich, wieso diese diskographische Glanzleistung fast vier Jahrzehnte nicht auf dem CD-Markt verfügbar war und daher insbesondere im Westen niemals den ihr zustehenden Bekanntheitsgrad erlangte. Während dort Anfang der 1980er Jahre die goldene Ära des Operngesangs bereits vorbei war, dauerte diese in der UdSSR mehr oder weniger bis zu deren Untergang an. Der wohl berühmteste unter den mitwirkenden Sängern ist der Bassist Jewgeni Nesterenko, hier in der Rolle des Kotschubej, der sich stimmlich deutlich abhebt vom Bassbariton von Wladimir Walaitis, der die Titelrolle übernimmt und, der Figur durchaus angemessen, auch ältlicher daherkommt. Dadurch besteht nicht im Ansatz die Gefahr, dass sich die beiden wichtigsten tiefen Stimmen der Oper allzu sehr ähneln. Die dritte bedeutende männliche Partie übernimmt der Tenor Wladislaw Pjawko in der Rolle des Andrej. Subtiler Schönklang ist seine Sache zwar nicht, doch überzeugt er durch wahrlich heroisch-slawischen Tonfall auf seine Weise doch und zeichnet die Figur sehr maskulin. Kurioserweise singt Pjawkos Ehefrau, die Mezzosopranistin Irina Archipowa, in der Oper Ljubow, die Gemahlin des Kotschubej. Tamara Milaschkina schließlich brilliert als Maria und repräsentiert mit ihrem voluminösen dramatischen Sopran ebenfalls den mittlerweile ausgestorbenen alten russischen Gesangsstil. Die übrigen Rollen sind absolut rollendeckend mit bewährten Gesangskräften des Bolschoi-Theaters besetzt. Der heutzutage zu Unrecht im Schatten stehende Fuat Mansurow, seinerzeit als „die Staatskutsche der Sinfonieorchester der Sowjetunion“ bezeichnet (wie der kundige Booklet-Text von Boris Mukosej weiß), erweist sich als kongenialer Begleiter, dessen eher gemessene Tempi idealtypisch erscheinen und zum opulenten Charakter der Einspielung beitragen. In den rein instrumentalen Abschnitten, so etwa bei der Einleitung zum ersten Akt und im sinfonischen Bild der Schlacht bei Poltawa zu Beginn des dritten Aktes, kann er besonders glänzen. Dass der Chor und das Orchester des Bolschoi-Theaters mit seinen schmetternden Blechbläsern selbstredend die Idealbesetzung darstellen, braucht im Grunde genommen gar nicht extra betont zu werden.

All dies und nicht zuletzt die ansprechende Aufmachung der 3-CD-Box macht diese Gesamtaufnahme nicht nur für genuine Freunde russischer Opern zu einem absoluten Muss. Da sieht man auch darüber hinweg, dass leider kein Libretto beiliegtDaniel Hauser

Für die Kommilitonen

So düster, wie das kaum erkennbare Cover es weismachen will, ist das Erstlingswerk von Vincenzo Bellini gar nicht, denn am Ende finden trotz einiger Intrigen doch die „richtigen“ Liebespaare zueinander. Adelson e Salvini lieben, teilweise über Kreuz, Fanny und Nelly, daneben gibt es viele männliche Partien, denn die Oper aus dem Jahr 1825 war für das Konservatorium von Catania und seine Studenten, deren einer der Komponist war, bestimmt, und dort mussten auch die Frauenrollen von Männern gesungen werden. Später hat Bellini aus dem Drei-Akte-Stück noch ein zweiaktiges umkomponiert, hier liegt die Urfassung mit langen gesprochenen Dialogen vor, allerdings mit Sängerinnen für die entsprechenden Partien. Wie so manch andere Oper seiner Zeitgenossen wurde auch Adelson und Salvini später als Steinbruch benutzt, und die schönste Arie, die der Nelly „Dopo l’oscuro nembo“ wurde später zu Giuliettas „Oh quante volte“.
So wie Bellini das Stück als Examensarbeit für seine Kommilitonen komponierte, so spielen auch auf den beiden CDs die Studenten des Orchestra Accademica del Conservatorio Santa Cecilia unter dem Dirigenten Maurizio Ciampi, der Herrenchor der Bediensteten von Lord Adelson ist ebenso tüchtig in Form des Ensemble vocale del Conservatorio Santa Cecilia und wird von Corrado Valvo geleitet.
Die für einen Sänger mit neapolitanischem Dialekt bestimmte Partie des Dieners Bonifacio wird anders als die weiteren Rollen von einem erfahrenen Künstler verkörpert. Luigi Pisapia scheint zunächst etwas atemlos in seine Rolle einzusteigen, klingt recht flach, steigert sich aber zuhörens und kann mit „Taci, attenti, e bedarraje“ an die gute alte italienische Buffotradition anknüpfen. Auch der auf dem Weg zum tenore di grazia befindliche Christian Collia als Hosenrollen-Salvini steigert sich, nachdem er mit recht kläglich klingendem Timbre begonnen hat, als Sprecher zunächst weit eindrucksvoller war denn als Sänger, jedoch im dritten Akt in „Ebben perchè respira“ und auch im folgenden Duett zunehmend empfindsamer und klangvoller wirkt. Die andere Titelpartie, die des Adelson, wird vom Bariton Donato Di Colla stilvoll, wenn auch spröde beginnend, gesungen. Seine Phrasierung kann gefallen, „Torna a questo seno“ ist einer der Höhepunkte der Aufnahme. Den Intriganten Struley gibt Shangrong Jiang mit nachdrücklicher vokaler Präsenz, sein Zuträger Geronio ist ihm in dieser Hinsicht mit Antonino Mistretta noch überlegen. Annapaola Pinna hat die schönste Stimme der Aufnahme und verleiht der Nelly ein schönes, melancholisch klingendes Timbre und viel Geschmeidigkeit. Sie lässt vernehmen, was mit Bellinis „unendlicher Melodie“ gemeint ist. Ausdruckslos bleibt die Fanny von Mariangela Marini, verhuscht die Madama Rivers von Eleonora Filipponi. Es ist sicherlich eine interessante Idee, das Jugendwerk wie bei seiner Uraufführung der Jugend anzuvertrauen, ob man die Aufnahme der Nachwelt anvertrauen muss, ist eine andere Sache. (Stärker besetzt sind die von Opera Rara unter Rustioni, die bei ehemals Nuova Era unter Licata mit immerhin Alicia Nafé sowie die DVD bei  Bongiovanni unter José Miguel Pérez Sierra – das Bessere ist eben des Guten Feind/ G. H.)  (Urania Records LDV 14053). Ingrid Wanja

Fibich Sinfonisch

 

2015  kam nach Vaccajs Schillervertonung  La Sposa di Messina (2009 in Wildbad) mit der Deutschen Erstaufführung der Oper Nevesta Messinska (Die Braut von Messina) von Zdeněk Fibich eine der bedeutendsten Opern der tschechischen Romantik im Theater Magdeburg zur Aufführung.  Bildhaftigkeit und Suggestivkraft sind die hervorstechenden Merkmale der Musik von Zdeněk Fibich (1850 – 1900), der – in der Tradition eines Smetanas stehend – neben Dvořák zu den prägenden (heute) tschechischen Komponisten des alten K. u. K.-19. Jahrhunderts gehört. Musikalisch wie dramaturgisch von Wagners Musikdramen beeinflusst, schuf  Fibich mit der Braut von Messina ein durchkomponiertes Werk, das aufgrund seines deklamatorischen Stils als Höhepunkt der tragischen (heute) tschechischen Oper gilt.

Operalounge.de brachte zu diesem Anlass einer „vergessenen Oper“ einen langen Beitrag zum Komponisten und zur Braut von Messina Fibichs, die bei cpo als CD mitgeschnitten wurde und immer noch im Programm ist. Matthias Käther rezensierte zudem die Neuaufnahme bei uns.

Zdenek Fibich/fibich.cz

Nun hat sich Daniel Hauser nachstehend daran gemacht, den beachtlichen Schub von Fibichs sinfonischen Werken bei Naxos unter Marek Stilec zu besprechen und rundet damit unsere Präsentation eines der bedeutendsten böhmischen Komponisten ab, der wie viele seiner Landsleute und weiteren des slawischen Raums bei uns in Deutschland und im deutschsprachigen Raum beklagenswert unbekannt und fern der Konzerthäuser geblieben ist. Gerade in Corona-Zeiten wäre eine Auswahl eben auch seiner Werke zumindest im Radio und Fernsehen wünschenswert und musikalisch neue Aspekte vermittelnd. G. H.

 

Wer an die großen böhmischen Komponisten des 19. Jahrhunderts denkt, dem werden unweigerlich die unvermeidlichen Namen Bedřich Smetana (1824-1884) und Antonín Dvořák (1841-1904) auf der Zunge liegen. Dies hat gute und nachvollziehbare Gründe, doch unterschlägt es den großen Dritten, der selbst dem geneigten Klassikhörer nur vom Hörensagen ein Begriff sein dürfte. Die Gründe, wieso dieser Dritte, nämlich Zdeněk Fibich (1850-1900), so völlig ungerechtfertigt von den beiden anderen verdrängt wurde, sind gar nicht so einfach zu eruieren. Es einzig auf seinen frühen Tod zu schieben, verfängt nicht recht. In kaum einer musikalischen Gattung war Fibich nicht tätig. Besondere Geltung erlangte er freilich durch sein Opernschaffen [nicht weniger als acht an der Zahl, wobei gerade Die Braut von Messina (Nevěsta messinská), Der Sturm (Bouře) und Šárka Berühmtheit erlangten] und seine vielfältige Orchestermusik. Letzterer widmet sich Naxos seit bald einem Jahrzehnt, und kürzlich konnte mit Vol. 5 die Weltersteinspielung der kompletten Orchesterwerke von Fibich vollendet werden (Naxos 8.572985, 8.573157, 8.573197, 8.573310 sowie 8.574120). Verantwortlich zeichnet der junge, in Prag geborene Dirigent Marek Štilec mit dem erst 1993 gegründeten Tschechischen Nationalen Sinfonieorchester, welches die Orchesterlandschaft in Prag weiter bereichert hat.

 

Matthias Käther 2015 in operalounge.de:  Jetzt ist Fibichs Oper Nevesta Messinska beim label cpo erschienen.(…) dies hier ist also eine durchaus willkommene Neuaufnahme und ein wichtiges Dokument – denn mitgeschnitten wurde hier eine Produktion aus Magdeburg von 2015, und das war wirklich die (längst überfällige) deutsche Erstaufführung dieser tschechischen Oper! Rein musikalisch jedenfalls ist das eine äußerst solide Leistung. Großes Kompliment an Chor und Orchester im Magdeburger Theater unter Generalmusikdirektor Kimbo Ishii! Das ist sehr hohes Niveau, und zeigt wieder einmal, dass inzwischen auch an den kleineren Theatern der Republik spannende Experimente würdig umgesetzt werden können. Matthias Käther
 

Eine wirklich vollständige Gesamteinspielung all dieser orchestralen Kompositionen lag bisher, wie gesagt, nicht vor, was allerdings nicht bedeutet, dass man sich in Tschechien bzw. davor in der Tschechoslowakei nicht mit Fibich auseinandergesetzt hätte. Sicherlich, verglichen mit Smetana und Dvořák ist die Diskographie vergleichsweise überschaubar, doch erscheint es mir notwendig, auf den bisherigen Stand der Dinge zurückzublicken. Das Hauptverdienst kommt ganz ohne Frage dem Label Supraphon zu. Bereits Anfang der 1950er Jahre wagte sich Karel Šejna mit der Tschechischen Philharmonie an ein Fibich-Projekt, das die drei Sinfonien sowie zwei Tondichtungen umfasste (Supraphon SU 3618-2 902). Diese Interpretationen waren maßstäblich, obschon einzig die dritte Sinfonie von 1961 bereits in Stereo eingespielt wurde. Daher ist Šejna heute auch keine Standardempfehlung mehr. Dieser Rang kommt bezüglich der Sinfonien eigentlich eher den zwischen 1976 und 1984 entstandenen Supraphon-Produktionen der Brünner Philharmoniker unter Petr Vronský (Sinfonie Nr. 1 sowie Tondichtung Bouře), Jiří Waldhans (Sinfonie Nr. 2) und Jiří Bělohlávek (Sinfonie Nr. 3) zu. Eigentlich deshalb, da sie beinahe unbekannt und auf CD nur in Koproduktion mit dem japanischen Label Denon überhaupt komplett erschienen sind (Supraphon/Denon 32CO-1091 und 32CO-1256). Daneben wurden 1983 einige weitere Orchesterwerke mit dem Prager Rundfunk-Sinonieorchester unter František Vajnar (Supraphon/Denon 33C37-7909) sowie 1984 mit dem Prager Sinfonieorchester unter Vladimír Válek (Supraphon 11 1823-2 011) in vorbildlichen Darbietungen eingespielt. Als weniger geglückt muss die von Orfeo verantwortete Produktion der Tschechischen Philharmonie unter Gerd Albrecht bezeichnet werden, welche vor allen Dingen die dritte Sinfonie enthält (Orfeo C 350 951 A). Albrechts Chefdirigentenzeit in Prag verlief bekanntlich sehr spannungsreich, was hier womöglich auch künstlerisch durchschlägt. Ferner existieren Gesamtaufnahmen der Opern Die Braut von Messina unter František Jílek von 1975 (Supraphon 11 1492-2 612) und Šárka unter Jan Štych von 1978 (Supraphon SU 0036-2 612); zu letzterer gesellt sich eine Mitschnitt des RSO Wien unter Sylvain Cambreling von 1998 (Orfeo C 541 002 H) und natürlich der Mitschnitt der Magdeburger Aufführung von 2015 bei cpo (cpo 7136657). Sogar das dreiteilige monumentale Melodrama Hippodamia, zu welchem Fibich die Musik beisteuerte, hat man zu ČSSR-Zeiten unter Jaroslav Krombholc und František Jílek komplett eingespielt (Supraphon SU 3031-2 612, SU 3033-2 612 und SU 3035-2 612).

 

Das ist eine ganze Menge, die interpretatorisch und überwiegend auch klanglich noch heute höchsten Ansprüchen genügt. Was nun allerdings die Naxos-Neueinspielungen absolut rechtfertigt, ist die schlechte Verfügbarkeit der oftmals seit Jahren vergriffenen vorgenannten Aufnahmen. Erstmals ist durch diese fünf Volumes umfassende Serie eine leicht greifbare und zudem preiswerte Möglichkeit gegeben, sich eingehend mit diesem Komponisten zu beschäftigen. Eine Beschäftigung, die sich tatsächlich lohnt, erscheinen mir zumindest die Sinfonischen Dichtungen Fibichs nicht nur auf derselben Höhe wie jene von Smetana und Dvořák, sondern teilweise diesen gar überlegen. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Toman und die Waldnymphe, eine Thematik, dem sich später in ähnlicher Weise auch Jean Sibelius annehmen sollte, sowie die nationalistischer angehauchte Tondichtung Záboj, Slavoj und Luděk. Aber auch die etwas leichteren Stücke wie die Ouvertüre Eine Nacht auf Karlstein mit ihrem Mendelssohn-artigen Tonfall sollten nicht unterschlagen werden. Von den drei Sinfonien ist die dritte sicherlich die wichtigste, obgleich sie allesamt ihre Meriten aufzuweisen haben. Nun ließe sich trefflich darüber debattieren, ob die zwischen 2012 und 2019 entstandenen Neueinspielungen die bisher vorliegenden toppen. Tontechnisch profitieren sie ohne Frage von der hier von Naxos erzielten Klangbalance, welche die frühen, zuweilen wenig überzeugenden Versuche zu Anfangszeiten dieses Labels vergessen macht. Die durchweg schlüssigen Tempi, die  Štilec anschlägt, orientieren sich jedenfalls stark an den älteren Produktionen. Von Fall zu Fall wird man diesen oder eben den neuen den Vorzug geben. Die dem tschechischen Theologen und Bischof Johann Amos Comenius gewidmete feierliche Festouvertüre etwa kommt in der Supraphon-Einspielung unter Válek noch etwas bezwingender herüber. Aber all dies sind eher Nuancen als wirklich feststellbare Qualitätsunterschiede.

Bei Naxos bewusst ausgespart wurden im Rahmen dieser Reihe diejenigen Werke, die eine Gesangsbeteiligung aufweisen, so die hörenswerte Kantate Frühlingsromanze für Solisten, Chor und Orchester. Nicht ganz konsequent ist auch, dass die reine Orchestermusik aus Fibichs Opern nur teilweise berücksichtigt wurde. So sind zwar die Ouvertüre zu Šárka, die Ouvertüre zum dritten Aufzug von Der Sturm (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen, ebenfalls enthaltenen Tondichtung) und der Trauermarsch aus Die Braut von Messina inkludiert worden, wurde aber die phänomenale Ouvertüre zu Fibichs letzter Oper Der Fall von Arkona ausgespart – womöglich aufgrund des prominenten Orgeleinsatzes am Ende. Wer diese hören will, muss zwangsweise auf die alten Aufnahmen zurückgreifen. Tatsächlich ist der Kompositionsstil Fibichs irgendwo zwischen der nationalen böhmischen Schule (zumal in den großen dramatischen Stücken) und den Bewunderern Richard Wagners anzusiedeln. Und doch ist Fibichs Musik gänzlich eigenständig, wobei sein Sinn für Theatralik unverkennbar durchscheint. Dass er sich außerdem für bedeutende Ereignisse der im Werden begriffenen tschechischen Nation durchaus bereitwillig zur Verfügung stellte, beweisen die hier erstmals vorgelegten kurzen, aber nicht uninteressanten Tableaux zur Eröffnung des Neuen Tschechischen Theaters (1876), zur Errichtung des Nationaltheaters (1881), zur Wiedereröffnung desselben (1883) sowie zum 300. Geburtstag des bereits genannten Comenius (1892).

Alles in allem eine ungemein bedeutende Bereicherung für die Diskographie, die gar nicht hoch genug gewürdigt werden kann, weiß sie doch sowohl in künstlerischer als auch in klanglicher Hinsicht auf ganzer Linie zu überzeugen. Die Naxos-typisch knappen, lediglich englischsprachigen Textbeilagen sind darüber verschmerzbar. Daniel Hauser

 

Orientalisches aus Toronto

 

Die Anzahl der Einspielungen von Jules Massenets Comédie lyrique Thaïs ist überschaubar – jüngstes Dokument war die Aufnahme mit Renée Fleming und Thomas Hampson bei Decca 2005. Frankophile Opernfreunde favorisieren als Referenzaufnahmen noch immer jene mit Renée Doria von 1961 (ebenfalls Decca) und Andrée Esposito (1959/live). Nun bringt das Label CHANDOS auf 2 CDs (CHSA  5258) eine Produktion vom November 2019 mit dem Toronto Symphony Orchestra heraus, mit der auch eine Konzertaufführung in der Roy Thomson Hall in Toronto einherging. Spiritus Rector des Unternehmens ist Andrew Davis, der dem Orchester von 1975 – 88 als Principal Conductor vorstand und in diesem Jahr als Interim Artistic Director fungiert. Ihm ist eine atmosphärische Aufnahme zu danken, die Massenets schillernder Musik in jedem Takt gerecht wird. Der Dirigent entschied sich für eine Mischfassung aus der Pariser Uraufführung 1894 und Massenets späterer Überarbeitung von 1898, in der er dem 3. Akt eine Eröffnungsszene hinzufügte, welche die entbehrungsreiche Reise von Thais und Athanaël durch die Wüste schildert. Der Komponist integrierte auch mehrere Ballettmusiken in die spätere Fassung, die – bis auf eine Ausnahme – in dieser Einspielung allerdings fehlen. Neben der inspirierenden Begleitung der Sänger sorgt Davis auch für effektvolle Instrumentalnummern – die Vision mit ihrem orientalischen Kolorit, das Prélude zum Second Tableau mit seinem sinnlichen Rausch, die Méditation in ihrer betörenden Süße, der dramatisch aufgepeitschte Course de la nuit.

In der Titelrolle ist Erin Wall mit reizvoll timbriertem Sopran zu hören. Mit dem schwelgerischen Ausdruck, der blühenden Höhe und dem sinnlichen Klang besitzt sie alle Voraussetzungen für eine ideale Interpretin der Partie. Ihren großen Auftritt hat die Kurtisane zu Beginn des 2. Aktes mit der Spiegelarie, in der sich Wall von melancholischer Tongebung zu trancehafter Erregung steigert. Im nachfolgenden Duett mit dem Mönch Athanaël erweist sich der kanadische Bariton Joshua Hopkins als ebenbürtiger Partner. Die Stimme ist von resoluter Strenge, verfügt aber auch über virile Sinnlichkeit. In seinem großen Solo zu Beginn des Second Tableau („Voilà donc la terrible cité!“) breitet sich sein Organ strömend und in reicher Fülle aus. Beide Sänger tragen auch den 3. Akt mit Thais’ Tod und Apotheose. Im Duett „Baigne d’eau“ mischen sich ihre Stimmen perfekt und bringen auch die geboten entrückte Stimmung ein. Überwältigend im sinnlichen Rausch ist beider Zwiegesang zum Thema der Méditation, bei dem die Sopranistin zweimal bis zum hohen D hinaufsteigen muss. Massenet hatte damit der Interpretin der Uraufführung, Sybil Sanderson, seinen Tribut gezollt. Bei Erin Wall sind diese Extremtöne nicht ideal in die Linie eingebunden, aber das ist ein marginaler Einwand angesichts ihrer insgesamt großartigen Leistung.

Der britische Tenor Andrew Staples als junger Alexandriner Nicias bleibt in Timbre und Gestaltung etwas allgemein, absolviert seine Auftritte jedoch in professioneller Manier. Die Besetzung wird komplettiert von Nathan Berg mit reifem Bassbariton als alter Zenobit Palémon, Emilia Boteva als Äbtissin Albine mit delikatem Mezzo sowie Liv Redpath und Andrea Ludwig als die Sklavinnen Crobyle und Myrtale, die nicht nur ihre staccato-Lachsalven präzise und mit kokettem Ausdruck absolvieren, sondern im 2. Akt auch Gesänge von betörend flirrender Wirkung beisteuern. Der Mendelssohn Choir (Jonathan Crow) setzt im Second Tableau des 2. Aktes gewaltige Akzente, wenn die aufgebrachte Menge gegen Athanaël, der Nicias’ Palast angezündet hat, rebelliert. Großen Kontrast dazu haben die verklärten Gesänge der Nonnen im Kloster. Bernd Hoppe

 

Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei https://www.note1-music.com/shop/.

Auf den Spuren von Régine Crespin

 

In der Aufnahmetätigkeit des Palazzetto Bru Zane ist die französische Sopranistin Véronique Gens eine feste Größe. In Zusammenarbeit mit dem Label ALPHA CLASSICS erschienen schon mehrere Einspielungen mit ihr – vor allem mit französischen mélodies, die in den Salons der Belle Époque erklangen. In diesem Genre ist sie – neben ihrem Einsatz für Barockopern oder die Werke Mozarts – eine Spezialistin. Davon zeugt auch die neueste Veröffentlichung mit dem Titel Nuits (ALPHA 589), wo sie in vier Abschnitten die Nacht in all ihren Emotionen besingt. Die Sängerin wird hier zur Diseuse und zeigt sich als legitime Nachfolgerin der großen  Régine Crespin, die in diesem Metier Maßstäbe gesetzt hat. Begleitet wird sie vom fünfköpfigen, 2012 gegründeten Ensemble I Giardini, das die Lieder in eine neue, kammermusikalische Form gegossen hat. Es steuert auch drei Instrumentalstücke bei und erweist sich dabei als Meister der Farben und Stimmungen.

Die erste Abteilung ist überschrieben „Crépuscule. Nuit d’amour“. Die Gruppe mit drei Titeln wird eröffnet von Guillaume Lekeus „Nocturne“ aus seinen Trois Poèmes. Die Stimmung der Dämmerung fängt die Sopranistin mit träumerischem Ausdruck und fein gesponnenen Linien ein. Gabriel Faurés „La lune blanche“ ist von ähnlicher Atmosphäre und fügt sich passend in diesen Block. Es folgt als eines der bekanntesten Lieder der Anthologie „L’ile inconnue“ aus Hector Berlioz’ Zyklus Les Nuits d’été. In dieser Komposition von aufgeregt-hastigem Duktus klingt die Stimme etwas herber und in der Höhe gespannter.

Die zweite Abteilung „Rêve. Nuit d’ailleurs“ beginnt mit Fernand de la Tombelles instrumentaler „Orientale“, die in ihrer flirrenden Stimmung einen erotischen Traum wiedergeben könnte. Jules Massenets „Nuit d’Espagne“ atmet sinnlich-mediterranes Flair und Gens klingt hier besonders verführerisch. Dazu passt Camille Saint-Saëns’ „Désir de l’Orient“ in seinem fremdartigen Melos. In solchen leicht hingetupften Stücken erweist sich Gens als Meisterin der Poesie und Melodie.

Die dritte Abteilung, „Cauchemar. Nuit d’angoisse“, eröffnet Ernest Chaussons bekanntes „Chanson perpétuelle“, das in seinem wehmütig-träumerischen Kolorit den Sopran zu wunderbarer Wirkung kommen lässt. Danach folgt der zweite Instrumentaltitel, Franz Liszts „La lugubre gondole“ für Cello und Klavier, welches in seiner tristen Stimmung Todessehnsucht suggeriert. Mit „Ceux qui, parmi les morts d’amour“ aus Guy Ropartz’ Quatre poèmes hört man eine veritable Rarität und die Interpretin mit verinnerlicht-schmerzlichen Tönen. Faurés berühmtes „Après un rêve“ komplettiert diesen Block und auch hier trifft Gens genau die Melancholie und Sehnsucht der Komposition.

Natürlich dürfen in Liedern der Nacht Trunkenheit und Rausch nicht fehlen. Und so lautet der Titel der letzten Abteilung „Ivresse. Nuit de fête“. Eröffnet wird sie mit dem dritten Instrumentaltitel, dem stürmischen „Molto vivace“ für Klavierquintett von Charles-Marie Widor. Unsterblich wurde Marcel Louiguys Komposition „La Vie en rose“ durch Edith Piaf. Véronique Gens hält dem großen Vorbild stand mit einer Interpretation voller Duft und Delikatesse. Auch den leicht frivolen Ton von André Messagers „J’ai deux amants“ trifft sie genau, hält die Balance zwischen Eleganz und Anzüglichkeit. Mit Reynaldo Hahns „La dernière valse“ endet die Sammlung in melancholischer Stimmung. Für Freunde der mélodie française ist sie eine echte Fundgrube. Bernd Hoppe

 

Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei https://www.note1-music.com/shop/.

Keine Jahrhundertaufnahme

 

Nato sotto maligna stella? Natürlich ist man froh, wenn es überhaupt neue Gesamtaufnahmen von Opern, die immerhin konzertant entstanden sind, in Corona-und damit opernfreien Zeiten gibt, und wenn gar ein Star wie Jonas Kaufmann nach seinem Bühnendebüt in der Partie des Otello in London und München mit einem so renommierten Orchester und Chor wie dem der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom am Werk war, sind die Erwartungen hoch. Leider werden sie nur teilweise erfüllt, was nicht nur an dem Star selbst, sondern auch an einigen weiteren Faktoren liegt.

Das Werk beginnt stürmisch, und das Orchester und der Chor sollten mit dem gebotenen Aplomb bei der Sache sein,  aber wenn man auch den schneidenden, aufbrausenden Anfang goutieren kann, ist man im Verlauf der Aufnahme doch zunehmend irritiert von einer sehr veristischen Auffassung von Verdis letztem tragischem Werk, von manchmal überzogenen Tempi, vor allem, weil man vor dem Liebesduett im ersten  und zu Beginn des vierten Akts jeweils unter Antonio Pappano ein Orchestervorspiel hören kann, das besser nicht auf das Kommende vorbereiten könnte.

Natürlich gibt es kaum ein heikleres Entree für einen Tenor  als das von Otello mit seinem „Esultate“, und wenn eine alte Weisheit meint, ein Sänger sollte immer nur so viel auf der Bühne (auch der Konzertbühne oder bei der Aufnahme) geben, dass er noch eine Reserve für eine Steigerung hätte, dann wurde sie von Jonas Kaufmann in den Wind geschlagen, denn man hört dem Tenor an, dass er alle Kräfte aufbieten muss, um einigermaßen eindrucksvoll zu wirken. Auch das „Abassa le spade“ wirkt erzwungen, teilweise klingt die Stimme gaumig, nie wie aus einem Guss und für eine Oper, in der die meisten Szenen sich zwischen Tenor und Bariton abspielen, zu baritonal. Die eindrucksvolle Höhe dann wirkt wie eine zweite Stimme, die mit der Mittellage wenig zu tun hat. Die größte Enttäuschung bereitet also der erste Akt, das „Ora e per sempre“ liegt dem Tenor gut in der Stimme, und diese klingt hier auch wie die eines Tenors, der Kraftakt am Schluss des zweiten Akts gelingt, auch wenn er um die Stimme bangen lässt. Schön herausgearbeitet ist der Kontrast innerhalb des „Datemi ancor“. In „Dio! Mi potevi scagliar“ wird auf Kosten des Gesangs für manchen Geschmack dem Sprechgesang zu viel Raum gegeben, während ganz am Schluss das „Gloria“ strahlend und schön klingt, nicht deutlich wird, dass es ein eher sarkastischer Abgesang auf dieselbe ist. Alles in allem muss man feststellen, dass die Stimme sich zur Zeit der Aufnahme nicht im allerbesten Zustand befand, will man nicht noch weitergehen und die Partie generell als eine für den Tenor nicht geeignete erachten.

„Onesto“ Jago ist Carlos Alvarez mit einem schwerer  gewordenen Bariton, der nicht nur einsam in seinem Credo, sondern auch im Umgang mit Otello seiner Stimme einen bärbeißigen, bösartigen Charakter verleiht, die Kontraste, besonders in der Lautstärke sucht und in dieser veristischen, den Charakter im Sound offenbarenden Darstellung eigentlich weder das Vertrauen Otellos noch Cassios gewinnen dürfte. Sein Credo hat eher Vorder- als Abgründiges zu offerieren. Im Parlando, wenn die Stimme nicht unter Druck gesetzt wird, klingt sie angenehm, schön tückisch klingt „Temete signor la gelosia“, der Sogno di Cassio ist gut dem lauernden Klang des Orchesters angepasst.

Desdemona ist eine starke Frau, die es, obwohl aus vornehmem venezianischem Hause stammend,  wagte, einen Underdog zu heiraten. Dafür klingt die Stimme von Federica Lombardi etwas zu unbedarft, allerdings schön, ja lieblich, empfindsam, Verletzbarkeit verratend. Im zweiten Akt hat sie als Antwort auf die Huldigungen des Chors einen angenehmen Glockenton. Leichte Schärfen fallen kaum ins Gewicht, die „prime lacrime“ könnten melancholischer ausfallen, das „a terra“ klingt sehr verhalten, im vierten, ihrem Akt ist der Wechsel zwischen Beherrschung und Ausbruch der Angst sehr intensiv gestaltet. Einen angenehmen lyrischen, rollengerecht etwas läppisch klingenden Tenor hat Liparit Avetisyan für den Cassio. Virginie Verrez als Emilia sowie Riccardo Fasi, Fabrizio Beggi und Gian Carlo Fiocchi bleiben in weiteren Partien solide. Alles in allem hält diese CD nicht, was die großen Namen auf dem Cover versprechen ( 2 CD, Sony 19439707932). Ingrid Wanja

Tempi per sempre passati?

 

Seit Jahren stand er überlebensgroß in perfektem Ritter-Outfit jeden Sommer auf der Piazza Bra in Verona, das Schwert in die Brust des Gegners stoßend, wartete auf seine Auftritte in Franco Zeffirellis Trovatore-Inszenierung in der Arena, war ein beliebtes Fotomotiv für die Touristen so wie die Sphinx aus Aida oder der Engel aus Tosca. Wo mögen sie alle in diesem Jahr wohl sein, nachdem der verzweifelte Versuch vom direttore artistico Cecilia Gasdia, wenigstens für jeweils 3000 anstelle der 16 000 abendlichen Arenabesucher die Aufführungen der Saison 2020 zu retten, gescheitert ist, wo auf der Website der Fondazione bereits ausschließlich von der Saison 2021 die Rede ist, von einem Requiem, von Riccardo Muti als Aida-Dirigent, von Domingo- und Kaufmann-Galas. Und was tun die vielen Menschen, die drei Monate lang als Statisten, Platzanweiser, Getränkeverkäufer, Bühnenarbeiter, Kissenvermieter oder gar als Tänzer, Sänger, Orchestermitglieder gearbeitet haben? Womit verdient die Dame, die den Maestro in den Orchestergraben geleitet, ihr täglich pannino und was wird aus dem Chef der Claqueure, der mit einem Bravo Maestro den Abend stimmungsvoll beginnen ließ? Waren die Champagnergläser bereits mit Arena di Verona 2020 graviert und sind nun nicht mehr zu gebrauchen? Dieser Sommer wird für Verona ein verlustreicher und trauriger sein, und so kommt eine DVD aus dem vergangenen Jahr, als Anna Netrebko in der Arena als Trovatore-Leonora debütierte, gerade recht zur Auffrischung schöner Erinnerungen.

Die Arena wird noch eine Zeitlang von den Produktionen, die Franco Zeffirelli zu verdanken sind, zehren können, denn keiner wie er, vielleicht noch Hugo De Ana und Pier Luigi Pizzi, konnte mit dem Riesenrund umgehen, es mit Leben, manchmal sogar zu viel des Guten, füllen, dem Auge immer wieder Neues, Farbenprächtiges, Staunenswertes bieten. Auf der anderen Seite konnte er Monumentalopern wie Aida und I vespri siciliani auch auf kleinstem Raum wie dem Theater der Verdi-Stadt Busseto unterbringen. Da er nicht nur Regisseur, sondern auch Ausstatter war, stammt von ihm auch der mittlere der drei Wehrtürme des Trovatore, der sich, wenn Leonora der Welt abschwören will, zu einer prachtvollen gotischen Kathedrale öffnet. Und er konnte es sich, besonders zur Freude nicht opernerfahrener Arenabesucher, auch erlauben, zusätzliche Zigeunerballette einzufügen, um die für diese Minderheit viel zu prächtigen Kostüme (Raimonda Gaetani) so richtig zur Schau zu stellen, echte Tiere, für die Bühne immer ein unkalkulierbares Risiko, auftreten und Manrico und Leonora ihrem kurzen Glück entgegenreiten zu lassen. Staunen kann der Betrachter auch über das Geschick, mit welchem der Regisseur die Chöre, oft in der Arena eine unbeholfen bzw. gar nicht agierende  Masse, zu bewegen weiß.

Wer Anna Netrebko engagiert, muss auch Yusif Eyvazov nehmen, wenigstens meistens, und so war es auch bei dieser Aufführung , für die als Datum nur 2019 angegeben ist, was einen Zusammenschnitt mehrerer Aufführungen, durchaus legitim, vermuten lässt. Der Tenor kann auf eine angenehme Optik bauen, die durch die prachtvollen Kostüme noch unterstrichen wird, erweist sich als zuverlässig, kann mit seiner Stimme weit ausholen, hat die Acuti für die Stretta, was seinen Eindruck auf das Publikum nicht verfehlt, so dass ein doch recht gequetscht klingendes Timbre nicht weiter ins Gewicht fällt. Strahlend schön ist die Leonora von Anna Netrebko, dazu kommt eine tadellose, Begeisterung provozierende sängerische Leistung eines dunkel grundierten, leidenschaftlich lodernden Soprans mit feinem Spitzenton im Piano für die erste Arie, einem virtuosem Feuerwerk für die anschließende Cabaletta. Wunderbar ist das Zaubern mit agogikreichem chiaro scuro in der zweiten Arie, auch diese mit Cabaletta vorgetragen, und sogar zum Abschluss des allein schon durch die schweren Kostüme bei sommerlicher Hitze anstrengenden Abends findet sie noch zu engelsgleichen Tönen. Von allen guten Geistern verlassen scheint der Luna von Luca Salsi zu sein, der seinen granitgleichen Bariton allzu ungefüge kraftmeierisch einsetzt, der „Leonora è mia“  zum Brunftschrei werden lässt und der nach so viel überdimensionalem Einsatz nur mit Mühe wieder zu einem einigermaßen auf Linie gesungenem „Il Balen del suo sorriso“ zurückfinden kann. Beim Duett mit Leonora ist er dann, wen wundert‘s, schon heiser. Schwer an ihren Gewändern zu tragen hat die Azucena von Dolora Zajick, deren einst süffiger Mezzosopran bereits in mehrere Teile zerfallen ist, die Höhe wie entfärbt, die Tiefe überbrustig. „Mi vendica“ klingt wie aus einer anderen Welt kommend und angenehmes Erschauern provozierend, aber die unterschiedlichen Farben der Stimme sind doch sehr irritierend. Zum Schluss bleibt ihr immerhin il rogo erspart, sie erdolcht sich und statt ihrer steht die Burg in Flammen. Oft unterschätzt wird die Aufgabe des Basses, wenn behauptet wird, der Trovatore benötige die vier besten Sänger zum Gelingen. Einer, der unzählige Male  Zaccaria und Ramfis in der Arena gesungen hat, meinte einmal, am stolzesten mache ihn seine Leistung als Ferrando, der tatsächlich perfekten Verdi-Gesang vom Sänger fordert. Riccardo Fassi wird dieser Aufgabe durchaus gerecht. Pier Giorgio Morandi hält als erfahrener Kapellmeister alles perfekt zusammen, was in der Arena eine respektable Leistung ist.

Man kann nur hoffen und wünschen, dass 2021 bruchlos an 2019 anknüpfen, Cecilia Gasdia alle ihre Vorhaben verwirklichen kann und das Publikum den wackeren Ritter tagsüber  auf der Piazza Bra und abends in der Arena wieder bestaunen kann ( C-Major 754608). Ingrid Wanja

 

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

 

Beethoven 2020: Schriftliches

 

Kein gutes Jahr für seinen 250. Geburtstag hat sich Ludwig van Beethoven ausgesucht, mussten doch schon viele geplante Konzerte und Festaufführungen zu seinen Ehren ausfallen, und man kann nur hoffen, dass zum Tag der Taufe, dem 17.12. 2020, wieder einiges möglich sein wird, um den Musik-Giganten angemessen zu feiern. Sein genauer Geburtstag ist nicht bekannt, doch da eine möglichst zeitnahe Taufe nach der Geburt wegen der hohen Säuglingssterblichkeit der damaligen Zeit angestrebt wurde, kann man davon ausgehen, dass er zumindest im Dezember geboren wurde.

Nicht ausfallen musste zum Glück die Doppelausstellung in Bonn vom 17.12.2019 bis 26.4.2020  und wird hoffentlich die in Brüssel vom 13.10.2020 bis 17.1.2021, passend zur EU-Präsidentschaft Deutschlands, wobei, wie der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, in seinem Grußwort im das Ereignis begleitenden Buch Beethoven. Welt. Bürger. Musik.“ Katalog zur Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn, 2019/2020 erklärt, Bonn für Vita und Werk, Brüssel für das Nachwirken zuständig ist. Und wer den Prachtband mit dem Untertitel Welt Bürger Musik und dazu einen gutgefüllten Plattenschrank besitzt, der kann sicherlich den großen Deutschen, den gern auch Flandern und Österreich für sich in Anspruch nehmen, gebührend feiern und sich selbst ein großartiges Geschenk machen.

Nicht irritieren lassen sollte man sich vom Cover, das einen minderbemittelt ausschauenden Herrn, dessen Wurstfinger platt auf Klaviertasten lagern, zeigt. Das berühmte Stieler-Portrait bekommt man am Schluss des Buches auch noch zu sehen, dazu einen Aufsatz über dieses und andere Beethoven- oder auch generell Komponistenkonterfeis.

Das Buch soll zwar kein Ausstellungskatalog sein, ist aber so einsichtig und übersichtlich gegliedert, dass man durch den Band wie durch Museumshallen flanieren kann.

Zunächst gibt es neben dem Grußwort aus europäischer Sicht noch eines von Monika Grütters, die dem Komponisten das Prädikat ein „musikalischer Revolutionär für Bürger“ verleiht, nachdem Charles Michel besonders die Bedeutung der Europahymne, 1955 von Richard Coudenhove-Kalargi vorgeschlagen, 1972 vom Europarat und 1985 von der Europäischen Union akzeptiert, hervorgehoben hatte.

Nach den Grußworten gelangt der Leser zum gemeinsamen Vorwort des Intendanten der Bundeskunsthalle, Rein Wolfs, und des Direktors des Beethovenhauses Bonn, Malte Boecker, die den kulturhistorischen Ansatz der Ausstellung, die von Agnieszka Lulinska und Julia Ronge gestaltet wurde,  betonen, die beide dem Leser noch als Autorinnen begegnen werden. Die zitierte „zeitgenössische Anmutung“, die dem Buch und damit wohl auch der Ausstellung durch neo-studio Berlin zuteil wurde, vermutet man zunächst in den jedem Kapitel vorangehenden, zunehmend verfremdeten Portrait, aber das stammt von Isabella Cotier.

Die beiden Kuratorinnen führen den Leser noch selbst in das ebenfalls von ihnen zu verantwortende Buch ein, machen ihn mit ihrem Anliegen bekannt, das überlieferte Bild von Beethoven „auf den Prüfstein zu stellen“, Anekdoten zu „hinterfragen“ und nicht hinreichend Dokumentiertes (Liebschaften oder Konflikt um die Adoption des Neffen) „auszusparen“.

Der Band ist so interessant wie übersichtlich gegliedert, indem jedes der fünf Kapitel eine andere Farbe zugeteilt bekommen hat. Zunächst erscheint auf kräftiger Farbe die römische Kapitelzahl, dann die Jahreszahlen, die den dokumentierten Zeitraum angeben, und danach die Titelüberschrift. Die jeweils zweite Seite bringt eins der schon erwähnten Beethovenportraits, es folgt eine umfangreiche Zeittafel in Weiß auf Farbe, danach die einzelnen Aufsätze in Farbe auf Weiß, was desto besser zu lesen ist, je dunkler die gewählte Farbe ist. Eingestreut bzw. eingeheftet sind kleine farbige Zettel, auf denen verstorbene oder noch lebende Musiker über „ihren“ Beethoven berichten. Am Rand sind in kleiner Schrift Anmerkungen zum Text und zu den vielen Bildern, was angenehm für den Leser ist, da er nicht dauernd umherblättern muss.

Obwohl „nur“ 265 Seiten umfassend, bringt das Buch, nicht zuletzt durch das gewählte Format, eine Fülle von Informationen. Im ersten der fünf Teile berichten Norbert Schloßmacher über die frühe Prägung Beethovens durch die Residenzstadt Bonn, die Geschichte der Stadt, Topographie, Bevölkerung, Religion, Kultur und das reiche Musikleben, das auch Vater und Großvater die Möglichkeit zum Überleben bot. Ingrid Bodsch schreibt über die Beziehungen zwischen Bonn und Wien, John D. Wilson über Beethoven als Mitglied der Hofmusikerfamilie, Barbara Vinten unter Roll Over Beethoven! Über ein Happening mit 700 Beethovenstatuen und die Heroisierung Beethovens in der bildenden Kunst.

Das 2.Kapitel, in Magenta gehalten, umfasst die Jahre 1792 bis 1801 und bietet dem Leser so unterschiedliche Aufsätze wie Otto Bibas über die Lehrjahre bei Haydn und anderen in Wien, Barry Coopers über des Komponisten Verhältnis zum Klavier (mit besonders vielen Autographen), Lulinskas  Ausführungen über das Ballett Die Geschöpfe des Prometheus, Alan Gosmans über Beethoven und die Suche nach dem Anfang, verbunden mit der Frage, wann ein neues Jahrhundert beginnt.

Der dritte Block, in Blau die Jahre 1802 bis 1812 umfassend, schildert die Zeit der ersten Erfolge mit Aufsätzen von Julia Ronge über den Tagesablauf im Hause Beethoven, von Steven M. Whiting über die Wiener Theaterlandschaft, Julia Cloot über Goethe und Beethoven in Teplitz (Die berühmte Begegnung verlief wohl anders, als von Bettina von Arnim überliefert.) und die Musik zu Egmont, William Meredith über Beethoven als Patient, wo der erschrockene Leser erfährt, dass die später fast völlige Taubheit bereits vor Beethovens dreißigstem Geburtstag erste Anzeichen fühlen ließ.

Das vierte Groß-Kapitel um fasst in der Farbe Braun die Jahre 1813 bis 1818 und handelt vom Ruhm und seinem Preis. Dazu äußern sich William A. Kindermann, der der Frage nachgeht, inwiefern Beethoven Revolutionär oder Oppotunist war und dabei auf die Kompositionen Wellingtons Sieg und die Kantate Der glorreiche Augenblick mit einer Verherrlichung Kaiser Franz‘ eingeht. Spätestens jetzt geht dem Leser auch auf, dass die populärsten Werke des Komponisten nicht interpretiert werden, man darin nicht die Aufgabe des Buches sah, was nachvollziehbar, weil nicht die Aufgabe einer Ausstellung und des sie begleitenden Buches ist. Nur die Missa Solemnis erfährt im letzten Kapitel durch Jan Caeyers diese Ehre. Adam Zamoyski widmet sich der vorübergehenden Napoleon-Verehrung, Verena Großkreutz des Komponisten Verhältnis zum Geld, Karl Traugott Goldbach der Meinung der zeitgenössischen Kollegen über Beethoven und zwar Schuberts, Spohrs und E.T.A. Hoffmanns. Thematisiert wird auch der Widerspruch zwischen dem Bekanntheitsgrad des Komponisten über die Grenzen Europas hinaus und seinem Verharren im „keine Person von Stand zu sein“. Interessant ist die Frage danach, ob menschliche Schwächen des Urhebers den künstlerischen Wert eines Werkes mindern können, wie die zunehmende Entgrenzung von Gattungsformaten zu bewerten ist.

Beethoven grenzenlos nennt sich das 5.Kapitel und umfasst die Jahre 1819 bis 1827. Hier kommen die Liebhaber von Stielers berühmten Portrait von 1820 in Silke Bettermanns Beitrag zu ihrem Recht, wenn sie sich auch für dessen Entstehung und Beurteilung interessieren. Sie können mit anderen Beethoven-Portraits und denen anderer Komponisten vergleichen. Norbert Oellers schließlich widmet sein Kapitel der Ode an die Freude, ihrer Entstehung, ihren verschiedenen Fassungen, ihren unendlich vielen Vertonungen. Inwiefern Krankheit und Tod Beethovens zeittypisch waren, hat Daniel Schäfer untersucht, verschweigt auch nicht die nachträgliche Heroisierung des Todeskampfes, den Beethoven austrug. Den Abschluss des so facettenreichen wie gut lesbaren, den Leser nie ermüdenden Buches bildet ein Aufsatz von Ilona Sármány-Parsons über den Pastorale-Bilderzyklus der Villa Scheid und andere mit Beethoven zusammenhängende oder ihn darstellende Kunstwerke wie Max Klingers Skulptur oder Klimts Beethoven-Fries. Vielleicht ist dieses Buch in Zeiten eingeschränkter Möglichkeiten, den Meister durch Aufführungen seiner Werke zu feiern, durch seine geschickte Gliederung und die Vielfalt der Themen der wichtigste Beitrag zum Beethovenjahr (265 Seiten Wienand Verlag 2019, Illustrationen, Index;  ISBN 978 3 86832 555 3). Ingrid Wanja