Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Für die Kommilitonen

So düster, wie das kaum erkennbare Cover es weismachen will, ist das Erstlingswerk von Vincenzo Bellini gar nicht, denn am Ende finden trotz einiger Intrigen doch die „richtigen“ Liebespaare zueinander. Adelson e Salvini lieben, teilweise über Kreuz, Fanny und Nelly, daneben gibt es viele männliche Partien, denn die Oper aus dem Jahr 1825 war für das Konservatorium von Catania und seine Studenten, deren einer der Komponist war, bestimmt, und dort mussten auch die Frauenrollen von Männern gesungen werden. Später hat Bellini aus dem Drei-Akte-Stück noch ein zweiaktiges umkomponiert, hier liegt die Urfassung mit langen gesprochenen Dialogen vor, allerdings mit Sängerinnen für die entsprechenden Partien. Wie so manch andere Oper seiner Zeitgenossen wurde auch Adelson und Salvini später als Steinbruch benutzt, und die schönste Arie, die der Nelly „Dopo l’oscuro nembo“ wurde später zu Giuliettas „Oh quante volte“.
So wie Bellini das Stück als Examensarbeit für seine Kommilitonen komponierte, so spielen auch auf den beiden CDs die Studenten des Orchestra Accademica del Conservatorio Santa Cecilia unter dem Dirigenten Maurizio Ciampi, der Herrenchor der Bediensteten von Lord Adelson ist ebenso tüchtig in Form des Ensemble vocale del Conservatorio Santa Cecilia und wird von Corrado Valvo geleitet.
Die für einen Sänger mit neapolitanischem Dialekt bestimmte Partie des Dieners Bonifacio wird anders als die weiteren Rollen von einem erfahrenen Künstler verkörpert. Luigi Pisapia scheint zunächst etwas atemlos in seine Rolle einzusteigen, klingt recht flach, steigert sich aber zuhörens und kann mit „Taci, attenti, e bedarraje“ an die gute alte italienische Buffotradition anknüpfen. Auch der auf dem Weg zum tenore di grazia befindliche Christian Collia als Hosenrollen-Salvini steigert sich, nachdem er mit recht kläglich klingendem Timbre begonnen hat, als Sprecher zunächst weit eindrucksvoller war denn als Sänger, jedoch im dritten Akt in „Ebben perchè respira“ und auch im folgenden Duett zunehmend empfindsamer und klangvoller wirkt. Die andere Titelpartie, die des Adelson, wird vom Bariton Donato Di Colla stilvoll, wenn auch spröde beginnend, gesungen. Seine Phrasierung kann gefallen, „Torna a questo seno“ ist einer der Höhepunkte der Aufnahme. Den Intriganten Struley gibt Shangrong Jiang mit nachdrücklicher vokaler Präsenz, sein Zuträger Geronio ist ihm in dieser Hinsicht mit Antonino Mistretta noch überlegen. Annapaola Pinna hat die schönste Stimme der Aufnahme und verleiht der Nelly ein schönes, melancholisch klingendes Timbre und viel Geschmeidigkeit. Sie lässt vernehmen, was mit Bellinis „unendlicher Melodie“ gemeint ist. Ausdruckslos bleibt die Fanny von Mariangela Marini, verhuscht die Madama Rivers von Eleonora Filipponi. Es ist sicherlich eine interessante Idee, das Jugendwerk wie bei seiner Uraufführung der Jugend anzuvertrauen, ob man die Aufnahme der Nachwelt anvertrauen muss, ist eine andere Sache. (Stärker besetzt sind die von Opera Rara unter Rustioni, die bei ehemals Nuova Era unter Licata mit immerhin Alicia Nafé sowie die DVD bei  Bongiovanni unter José Miguel Pérez Sierra – das Bessere ist eben des Guten Feind/ G. H.)  (Urania Records LDV 14053). Ingrid Wanja

Fibich Sinfonisch

 

2015  kam nach Vaccajs Schillervertonung  La Sposa di Messina (2009 in Wildbad) mit der Deutschen Erstaufführung der Oper Nevesta Messinska (Die Braut von Messina) von Zdeněk Fibich eine der bedeutendsten Opern der tschechischen Romantik im Theater Magdeburg zur Aufführung.  Bildhaftigkeit und Suggestivkraft sind die hervorstechenden Merkmale der Musik von Zdeněk Fibich (1850 – 1900), der – in der Tradition eines Smetanas stehend – neben Dvořák zu den prägenden (heute) tschechischen Komponisten des alten K. u. K.-19. Jahrhunderts gehört. Musikalisch wie dramaturgisch von Wagners Musikdramen beeinflusst, schuf  Fibich mit der Braut von Messina ein durchkomponiertes Werk, das aufgrund seines deklamatorischen Stils als Höhepunkt der tragischen (heute) tschechischen Oper gilt.

Operalounge.de brachte zu diesem Anlass einer „vergessenen Oper“ einen langen Beitrag zum Komponisten und zur Braut von Messina Fibichs, die bei cpo als CD mitgeschnitten wurde und immer noch im Programm ist. Matthias Käther rezensierte zudem die Neuaufnahme bei uns.

Zdenek Fibich/fibich.cz

Nun hat sich Daniel Hauser nachstehend daran gemacht, den beachtlichen Schub von Fibichs sinfonischen Werken bei Naxos unter Marek Stilec zu besprechen und rundet damit unsere Präsentation eines der bedeutendsten böhmischen Komponisten ab, der wie viele seiner Landsleute und weiteren des slawischen Raums bei uns in Deutschland und im deutschsprachigen Raum beklagenswert unbekannt und fern der Konzerthäuser geblieben ist. Gerade in Corona-Zeiten wäre eine Auswahl eben auch seiner Werke zumindest im Radio und Fernsehen wünschenswert und musikalisch neue Aspekte vermittelnd. G. H.

 

Wer an die großen böhmischen Komponisten des 19. Jahrhunderts denkt, dem werden unweigerlich die unvermeidlichen Namen Bedřich Smetana (1824-1884) und Antonín Dvořák (1841-1904) auf der Zunge liegen. Dies hat gute und nachvollziehbare Gründe, doch unterschlägt es den großen Dritten, der selbst dem geneigten Klassikhörer nur vom Hörensagen ein Begriff sein dürfte. Die Gründe, wieso dieser Dritte, nämlich Zdeněk Fibich (1850-1900), so völlig ungerechtfertigt von den beiden anderen verdrängt wurde, sind gar nicht so einfach zu eruieren. Es einzig auf seinen frühen Tod zu schieben, verfängt nicht recht. In kaum einer musikalischen Gattung war Fibich nicht tätig. Besondere Geltung erlangte er freilich durch sein Opernschaffen [nicht weniger als acht an der Zahl, wobei gerade Die Braut von Messina (Nevěsta messinská), Der Sturm (Bouře) und Šárka Berühmtheit erlangten] und seine vielfältige Orchestermusik. Letzterer widmet sich Naxos seit bald einem Jahrzehnt, und kürzlich konnte mit Vol. 5 die Weltersteinspielung der kompletten Orchesterwerke von Fibich vollendet werden (Naxos 8.572985, 8.573157, 8.573197, 8.573310 sowie 8.574120). Verantwortlich zeichnet der junge, in Prag geborene Dirigent Marek Štilec mit dem erst 1993 gegründeten Tschechischen Nationalen Sinfonieorchester, welches die Orchesterlandschaft in Prag weiter bereichert hat.

 

Matthias Käther 2015 in operalounge.de:  Jetzt ist Fibichs Oper Nevesta Messinska beim label cpo erschienen.(…) dies hier ist also eine durchaus willkommene Neuaufnahme und ein wichtiges Dokument – denn mitgeschnitten wurde hier eine Produktion aus Magdeburg von 2015, und das war wirklich die (längst überfällige) deutsche Erstaufführung dieser tschechischen Oper! Rein musikalisch jedenfalls ist das eine äußerst solide Leistung. Großes Kompliment an Chor und Orchester im Magdeburger Theater unter Generalmusikdirektor Kimbo Ishii! Das ist sehr hohes Niveau, und zeigt wieder einmal, dass inzwischen auch an den kleineren Theatern der Republik spannende Experimente würdig umgesetzt werden können. Matthias Käther
 

Eine wirklich vollständige Gesamteinspielung all dieser orchestralen Kompositionen lag bisher, wie gesagt, nicht vor, was allerdings nicht bedeutet, dass man sich in Tschechien bzw. davor in der Tschechoslowakei nicht mit Fibich auseinandergesetzt hätte. Sicherlich, verglichen mit Smetana und Dvořák ist die Diskographie vergleichsweise überschaubar, doch erscheint es mir notwendig, auf den bisherigen Stand der Dinge zurückzublicken. Das Hauptverdienst kommt ganz ohne Frage dem Label Supraphon zu. Bereits Anfang der 1950er Jahre wagte sich Karel Šejna mit der Tschechischen Philharmonie an ein Fibich-Projekt, das die drei Sinfonien sowie zwei Tondichtungen umfasste (Supraphon SU 3618-2 902). Diese Interpretationen waren maßstäblich, obschon einzig die dritte Sinfonie von 1961 bereits in Stereo eingespielt wurde. Daher ist Šejna heute auch keine Standardempfehlung mehr. Dieser Rang kommt bezüglich der Sinfonien eigentlich eher den zwischen 1976 und 1984 entstandenen Supraphon-Produktionen der Brünner Philharmoniker unter Petr Vronský (Sinfonie Nr. 1 sowie Tondichtung Bouře), Jiří Waldhans (Sinfonie Nr. 2) und Jiří Bělohlávek (Sinfonie Nr. 3) zu. Eigentlich deshalb, da sie beinahe unbekannt und auf CD nur in Koproduktion mit dem japanischen Label Denon überhaupt komplett erschienen sind (Supraphon/Denon 32CO-1091 und 32CO-1256). Daneben wurden 1983 einige weitere Orchesterwerke mit dem Prager Rundfunk-Sinonieorchester unter František Vajnar (Supraphon/Denon 33C37-7909) sowie 1984 mit dem Prager Sinfonieorchester unter Vladimír Válek (Supraphon 11 1823-2 011) in vorbildlichen Darbietungen eingespielt. Als weniger geglückt muss die von Orfeo verantwortete Produktion der Tschechischen Philharmonie unter Gerd Albrecht bezeichnet werden, welche vor allen Dingen die dritte Sinfonie enthält (Orfeo C 350 951 A). Albrechts Chefdirigentenzeit in Prag verlief bekanntlich sehr spannungsreich, was hier womöglich auch künstlerisch durchschlägt. Ferner existieren Gesamtaufnahmen der Opern Die Braut von Messina unter František Jílek von 1975 (Supraphon 11 1492-2 612) und Šárka unter Jan Štych von 1978 (Supraphon SU 0036-2 612); zu letzterer gesellt sich eine Mitschnitt des RSO Wien unter Sylvain Cambreling von 1998 (Orfeo C 541 002 H) und natürlich der Mitschnitt der Magdeburger Aufführung von 2015 bei cpo (cpo 7136657). Sogar das dreiteilige monumentale Melodrama Hippodamia, zu welchem Fibich die Musik beisteuerte, hat man zu ČSSR-Zeiten unter Jaroslav Krombholc und František Jílek komplett eingespielt (Supraphon SU 3031-2 612, SU 3033-2 612 und SU 3035-2 612).

 

Das ist eine ganze Menge, die interpretatorisch und überwiegend auch klanglich noch heute höchsten Ansprüchen genügt. Was nun allerdings die Naxos-Neueinspielungen absolut rechtfertigt, ist die schlechte Verfügbarkeit der oftmals seit Jahren vergriffenen vorgenannten Aufnahmen. Erstmals ist durch diese fünf Volumes umfassende Serie eine leicht greifbare und zudem preiswerte Möglichkeit gegeben, sich eingehend mit diesem Komponisten zu beschäftigen. Eine Beschäftigung, die sich tatsächlich lohnt, erscheinen mir zumindest die Sinfonischen Dichtungen Fibichs nicht nur auf derselben Höhe wie jene von Smetana und Dvořák, sondern teilweise diesen gar überlegen. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Toman und die Waldnymphe, eine Thematik, dem sich später in ähnlicher Weise auch Jean Sibelius annehmen sollte, sowie die nationalistischer angehauchte Tondichtung Záboj, Slavoj und Luděk. Aber auch die etwas leichteren Stücke wie die Ouvertüre Eine Nacht auf Karlstein mit ihrem Mendelssohn-artigen Tonfall sollten nicht unterschlagen werden. Von den drei Sinfonien ist die dritte sicherlich die wichtigste, obgleich sie allesamt ihre Meriten aufzuweisen haben. Nun ließe sich trefflich darüber debattieren, ob die zwischen 2012 und 2019 entstandenen Neueinspielungen die bisher vorliegenden toppen. Tontechnisch profitieren sie ohne Frage von der hier von Naxos erzielten Klangbalance, welche die frühen, zuweilen wenig überzeugenden Versuche zu Anfangszeiten dieses Labels vergessen macht. Die durchweg schlüssigen Tempi, die  Štilec anschlägt, orientieren sich jedenfalls stark an den älteren Produktionen. Von Fall zu Fall wird man diesen oder eben den neuen den Vorzug geben. Die dem tschechischen Theologen und Bischof Johann Amos Comenius gewidmete feierliche Festouvertüre etwa kommt in der Supraphon-Einspielung unter Válek noch etwas bezwingender herüber. Aber all dies sind eher Nuancen als wirklich feststellbare Qualitätsunterschiede.

Bei Naxos bewusst ausgespart wurden im Rahmen dieser Reihe diejenigen Werke, die eine Gesangsbeteiligung aufweisen, so die hörenswerte Kantate Frühlingsromanze für Solisten, Chor und Orchester. Nicht ganz konsequent ist auch, dass die reine Orchestermusik aus Fibichs Opern nur teilweise berücksichtigt wurde. So sind zwar die Ouvertüre zu Šárka, die Ouvertüre zum dritten Aufzug von Der Sturm (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen, ebenfalls enthaltenen Tondichtung) und der Trauermarsch aus Die Braut von Messina inkludiert worden, wurde aber die phänomenale Ouvertüre zu Fibichs letzter Oper Der Fall von Arkona ausgespart – womöglich aufgrund des prominenten Orgeleinsatzes am Ende. Wer diese hören will, muss zwangsweise auf die alten Aufnahmen zurückgreifen. Tatsächlich ist der Kompositionsstil Fibichs irgendwo zwischen der nationalen böhmischen Schule (zumal in den großen dramatischen Stücken) und den Bewunderern Richard Wagners anzusiedeln. Und doch ist Fibichs Musik gänzlich eigenständig, wobei sein Sinn für Theatralik unverkennbar durchscheint. Dass er sich außerdem für bedeutende Ereignisse der im Werden begriffenen tschechischen Nation durchaus bereitwillig zur Verfügung stellte, beweisen die hier erstmals vorgelegten kurzen, aber nicht uninteressanten Tableaux zur Eröffnung des Neuen Tschechischen Theaters (1876), zur Errichtung des Nationaltheaters (1881), zur Wiedereröffnung desselben (1883) sowie zum 300. Geburtstag des bereits genannten Comenius (1892).

Alles in allem eine ungemein bedeutende Bereicherung für die Diskographie, die gar nicht hoch genug gewürdigt werden kann, weiß sie doch sowohl in künstlerischer als auch in klanglicher Hinsicht auf ganzer Linie zu überzeugen. Die Naxos-typisch knappen, lediglich englischsprachigen Textbeilagen sind darüber verschmerzbar. Daniel Hauser

 

Orientalisches aus Toronto

 

Die Anzahl der Einspielungen von Jules Massenets Comédie lyrique Thaïs ist überschaubar – jüngstes Dokument war die Aufnahme mit Renée Fleming und Thomas Hampson bei Decca 2005. Frankophile Opernfreunde favorisieren als Referenzaufnahmen noch immer jene mit Renée Doria von 1961 (ebenfalls Decca) und Andrée Esposito (1959/live). Nun bringt das Label CHANDOS auf 2 CDs (CHSA  5258) eine Produktion vom November 2019 mit dem Toronto Symphony Orchestra heraus, mit der auch eine Konzertaufführung in der Roy Thomson Hall in Toronto einherging. Spiritus Rector des Unternehmens ist Andrew Davis, der dem Orchester von 1975 – 88 als Principal Conductor vorstand und in diesem Jahr als Interim Artistic Director fungiert. Ihm ist eine atmosphärische Aufnahme zu danken, die Massenets schillernder Musik in jedem Takt gerecht wird. Der Dirigent entschied sich für eine Mischfassung aus der Pariser Uraufführung 1894 und Massenets späterer Überarbeitung von 1898, in der er dem 3. Akt eine Eröffnungsszene hinzufügte, welche die entbehrungsreiche Reise von Thais und Athanaël durch die Wüste schildert. Der Komponist integrierte auch mehrere Ballettmusiken in die spätere Fassung, die – bis auf eine Ausnahme – in dieser Einspielung allerdings fehlen. Neben der inspirierenden Begleitung der Sänger sorgt Davis auch für effektvolle Instrumentalnummern – die Vision mit ihrem orientalischen Kolorit, das Prélude zum Second Tableau mit seinem sinnlichen Rausch, die Méditation in ihrer betörenden Süße, der dramatisch aufgepeitschte Course de la nuit.

In der Titelrolle ist Erin Wall mit reizvoll timbriertem Sopran zu hören. Mit dem schwelgerischen Ausdruck, der blühenden Höhe und dem sinnlichen Klang besitzt sie alle Voraussetzungen für eine ideale Interpretin der Partie. Ihren großen Auftritt hat die Kurtisane zu Beginn des 2. Aktes mit der Spiegelarie, in der sich Wall von melancholischer Tongebung zu trancehafter Erregung steigert. Im nachfolgenden Duett mit dem Mönch Athanaël erweist sich der kanadische Bariton Joshua Hopkins als ebenbürtiger Partner. Die Stimme ist von resoluter Strenge, verfügt aber auch über virile Sinnlichkeit. In seinem großen Solo zu Beginn des Second Tableau („Voilà donc la terrible cité!“) breitet sich sein Organ strömend und in reicher Fülle aus. Beide Sänger tragen auch den 3. Akt mit Thais’ Tod und Apotheose. Im Duett „Baigne d’eau“ mischen sich ihre Stimmen perfekt und bringen auch die geboten entrückte Stimmung ein. Überwältigend im sinnlichen Rausch ist beider Zwiegesang zum Thema der Méditation, bei dem die Sopranistin zweimal bis zum hohen D hinaufsteigen muss. Massenet hatte damit der Interpretin der Uraufführung, Sybil Sanderson, seinen Tribut gezollt. Bei Erin Wall sind diese Extremtöne nicht ideal in die Linie eingebunden, aber das ist ein marginaler Einwand angesichts ihrer insgesamt großartigen Leistung.

Der britische Tenor Andrew Staples als junger Alexandriner Nicias bleibt in Timbre und Gestaltung etwas allgemein, absolviert seine Auftritte jedoch in professioneller Manier. Die Besetzung wird komplettiert von Nathan Berg mit reifem Bassbariton als alter Zenobit Palémon, Emilia Boteva als Äbtissin Albine mit delikatem Mezzo sowie Liv Redpath und Andrea Ludwig als die Sklavinnen Crobyle und Myrtale, die nicht nur ihre staccato-Lachsalven präzise und mit kokettem Ausdruck absolvieren, sondern im 2. Akt auch Gesänge von betörend flirrender Wirkung beisteuern. Der Mendelssohn Choir (Jonathan Crow) setzt im Second Tableau des 2. Aktes gewaltige Akzente, wenn die aufgebrachte Menge gegen Athanaël, der Nicias’ Palast angezündet hat, rebelliert. Großen Kontrast dazu haben die verklärten Gesänge der Nonnen im Kloster. Bernd Hoppe

 

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Auf den Spuren von Régine Crespin

 

In der Aufnahmetätigkeit des Palazzetto Bru Zane ist die französische Sopranistin Véronique Gens eine feste Größe. In Zusammenarbeit mit dem Label ALPHA CLASSICS erschienen schon mehrere Einspielungen mit ihr – vor allem mit französischen mélodies, die in den Salons der Belle Époque erklangen. In diesem Genre ist sie – neben ihrem Einsatz für Barockopern oder die Werke Mozarts – eine Spezialistin. Davon zeugt auch die neueste Veröffentlichung mit dem Titel Nuits (ALPHA 589), wo sie in vier Abschnitten die Nacht in all ihren Emotionen besingt. Die Sängerin wird hier zur Diseuse und zeigt sich als legitime Nachfolgerin der großen  Régine Crespin, die in diesem Metier Maßstäbe gesetzt hat. Begleitet wird sie vom fünfköpfigen, 2012 gegründeten Ensemble I Giardini, das die Lieder in eine neue, kammermusikalische Form gegossen hat. Es steuert auch drei Instrumentalstücke bei und erweist sich dabei als Meister der Farben und Stimmungen.

Die erste Abteilung ist überschrieben „Crépuscule. Nuit d’amour“. Die Gruppe mit drei Titeln wird eröffnet von Guillaume Lekeus „Nocturne“ aus seinen Trois Poèmes. Die Stimmung der Dämmerung fängt die Sopranistin mit träumerischem Ausdruck und fein gesponnenen Linien ein. Gabriel Faurés „La lune blanche“ ist von ähnlicher Atmosphäre und fügt sich passend in diesen Block. Es folgt als eines der bekanntesten Lieder der Anthologie „L’ile inconnue“ aus Hector Berlioz’ Zyklus Les Nuits d’été. In dieser Komposition von aufgeregt-hastigem Duktus klingt die Stimme etwas herber und in der Höhe gespannter.

Die zweite Abteilung „Rêve. Nuit d’ailleurs“ beginnt mit Fernand de la Tombelles instrumentaler „Orientale“, die in ihrer flirrenden Stimmung einen erotischen Traum wiedergeben könnte. Jules Massenets „Nuit d’Espagne“ atmet sinnlich-mediterranes Flair und Gens klingt hier besonders verführerisch. Dazu passt Camille Saint-Saëns’ „Désir de l’Orient“ in seinem fremdartigen Melos. In solchen leicht hingetupften Stücken erweist sich Gens als Meisterin der Poesie und Melodie.

Die dritte Abteilung, „Cauchemar. Nuit d’angoisse“, eröffnet Ernest Chaussons bekanntes „Chanson perpétuelle“, das in seinem wehmütig-träumerischen Kolorit den Sopran zu wunderbarer Wirkung kommen lässt. Danach folgt der zweite Instrumentaltitel, Franz Liszts „La lugubre gondole“ für Cello und Klavier, welches in seiner tristen Stimmung Todessehnsucht suggeriert. Mit „Ceux qui, parmi les morts d’amour“ aus Guy Ropartz’ Quatre poèmes hört man eine veritable Rarität und die Interpretin mit verinnerlicht-schmerzlichen Tönen. Faurés berühmtes „Après un rêve“ komplettiert diesen Block und auch hier trifft Gens genau die Melancholie und Sehnsucht der Komposition.

Natürlich dürfen in Liedern der Nacht Trunkenheit und Rausch nicht fehlen. Und so lautet der Titel der letzten Abteilung „Ivresse. Nuit de fête“. Eröffnet wird sie mit dem dritten Instrumentaltitel, dem stürmischen „Molto vivace“ für Klavierquintett von Charles-Marie Widor. Unsterblich wurde Marcel Louiguys Komposition „La Vie en rose“ durch Edith Piaf. Véronique Gens hält dem großen Vorbild stand mit einer Interpretation voller Duft und Delikatesse. Auch den leicht frivolen Ton von André Messagers „J’ai deux amants“ trifft sie genau, hält die Balance zwischen Eleganz und Anzüglichkeit. Mit Reynaldo Hahns „La dernière valse“ endet die Sammlung in melancholischer Stimmung. Für Freunde der mélodie française ist sie eine echte Fundgrube. Bernd Hoppe

 

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Keine Jahrhundertaufnahme

 

Nato sotto maligna stella? Natürlich ist man froh, wenn es überhaupt neue Gesamtaufnahmen von Opern, die immerhin konzertant entstanden sind, in Corona-und damit opernfreien Zeiten gibt, und wenn gar ein Star wie Jonas Kaufmann nach seinem Bühnendebüt in der Partie des Otello in London und München mit einem so renommierten Orchester und Chor wie dem der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom am Werk war, sind die Erwartungen hoch. Leider werden sie nur teilweise erfüllt, was nicht nur an dem Star selbst, sondern auch an einigen weiteren Faktoren liegt.

Das Werk beginnt stürmisch, und das Orchester und der Chor sollten mit dem gebotenen Aplomb bei der Sache sein,  aber wenn man auch den schneidenden, aufbrausenden Anfang goutieren kann, ist man im Verlauf der Aufnahme doch zunehmend irritiert von einer sehr veristischen Auffassung von Verdis letztem tragischem Werk, von manchmal überzogenen Tempi, vor allem, weil man vor dem Liebesduett im ersten  und zu Beginn des vierten Akts jeweils unter Antonio Pappano ein Orchestervorspiel hören kann, das besser nicht auf das Kommende vorbereiten könnte.

Natürlich gibt es kaum ein heikleres Entree für einen Tenor  als das von Otello mit seinem „Esultate“, und wenn eine alte Weisheit meint, ein Sänger sollte immer nur so viel auf der Bühne (auch der Konzertbühne oder bei der Aufnahme) geben, dass er noch eine Reserve für eine Steigerung hätte, dann wurde sie von Jonas Kaufmann in den Wind geschlagen, denn man hört dem Tenor an, dass er alle Kräfte aufbieten muss, um einigermaßen eindrucksvoll zu wirken. Auch das „Abassa le spade“ wirkt erzwungen, teilweise klingt die Stimme gaumig, nie wie aus einem Guss und für eine Oper, in der die meisten Szenen sich zwischen Tenor und Bariton abspielen, zu baritonal. Die eindrucksvolle Höhe dann wirkt wie eine zweite Stimme, die mit der Mittellage wenig zu tun hat. Die größte Enttäuschung bereitet also der erste Akt, das „Ora e per sempre“ liegt dem Tenor gut in der Stimme, und diese klingt hier auch wie die eines Tenors, der Kraftakt am Schluss des zweiten Akts gelingt, auch wenn er um die Stimme bangen lässt. Schön herausgearbeitet ist der Kontrast innerhalb des „Datemi ancor“. In „Dio! Mi potevi scagliar“ wird auf Kosten des Gesangs für manchen Geschmack dem Sprechgesang zu viel Raum gegeben, während ganz am Schluss das „Gloria“ strahlend und schön klingt, nicht deutlich wird, dass es ein eher sarkastischer Abgesang auf dieselbe ist. Alles in allem muss man feststellen, dass die Stimme sich zur Zeit der Aufnahme nicht im allerbesten Zustand befand, will man nicht noch weitergehen und die Partie generell als eine für den Tenor nicht geeignete erachten.

„Onesto“ Jago ist Carlos Alvarez mit einem schwerer  gewordenen Bariton, der nicht nur einsam in seinem Credo, sondern auch im Umgang mit Otello seiner Stimme einen bärbeißigen, bösartigen Charakter verleiht, die Kontraste, besonders in der Lautstärke sucht und in dieser veristischen, den Charakter im Sound offenbarenden Darstellung eigentlich weder das Vertrauen Otellos noch Cassios gewinnen dürfte. Sein Credo hat eher Vorder- als Abgründiges zu offerieren. Im Parlando, wenn die Stimme nicht unter Druck gesetzt wird, klingt sie angenehm, schön tückisch klingt „Temete signor la gelosia“, der Sogno di Cassio ist gut dem lauernden Klang des Orchesters angepasst.

Desdemona ist eine starke Frau, die es, obwohl aus vornehmem venezianischem Hause stammend,  wagte, einen Underdog zu heiraten. Dafür klingt die Stimme von Federica Lombardi etwas zu unbedarft, allerdings schön, ja lieblich, empfindsam, Verletzbarkeit verratend. Im zweiten Akt hat sie als Antwort auf die Huldigungen des Chors einen angenehmen Glockenton. Leichte Schärfen fallen kaum ins Gewicht, die „prime lacrime“ könnten melancholischer ausfallen, das „a terra“ klingt sehr verhalten, im vierten, ihrem Akt ist der Wechsel zwischen Beherrschung und Ausbruch der Angst sehr intensiv gestaltet. Einen angenehmen lyrischen, rollengerecht etwas läppisch klingenden Tenor hat Liparit Avetisyan für den Cassio. Virginie Verrez als Emilia sowie Riccardo Fasi, Fabrizio Beggi und Gian Carlo Fiocchi bleiben in weiteren Partien solide. Alles in allem hält diese CD nicht, was die großen Namen auf dem Cover versprechen ( 2 CD, Sony 19439707932). Ingrid Wanja

Tempi per sempre passati?

 

Seit Jahren stand er überlebensgroß in perfektem Ritter-Outfit jeden Sommer auf der Piazza Bra in Verona, das Schwert in die Brust des Gegners stoßend, wartete auf seine Auftritte in Franco Zeffirellis Trovatore-Inszenierung in der Arena, war ein beliebtes Fotomotiv für die Touristen so wie die Sphinx aus Aida oder der Engel aus Tosca. Wo mögen sie alle in diesem Jahr wohl sein, nachdem der verzweifelte Versuch vom direttore artistico Cecilia Gasdia, wenigstens für jeweils 3000 anstelle der 16 000 abendlichen Arenabesucher die Aufführungen der Saison 2020 zu retten, gescheitert ist, wo auf der Website der Fondazione bereits ausschließlich von der Saison 2021 die Rede ist, von einem Requiem, von Riccardo Muti als Aida-Dirigent, von Domingo- und Kaufmann-Galas. Und was tun die vielen Menschen, die drei Monate lang als Statisten, Platzanweiser, Getränkeverkäufer, Bühnenarbeiter, Kissenvermieter oder gar als Tänzer, Sänger, Orchestermitglieder gearbeitet haben? Womit verdient die Dame, die den Maestro in den Orchestergraben geleitet, ihr täglich pannino und was wird aus dem Chef der Claqueure, der mit einem Bravo Maestro den Abend stimmungsvoll beginnen ließ? Waren die Champagnergläser bereits mit Arena di Verona 2020 graviert und sind nun nicht mehr zu gebrauchen? Dieser Sommer wird für Verona ein verlustreicher und trauriger sein, und so kommt eine DVD aus dem vergangenen Jahr, als Anna Netrebko in der Arena als Trovatore-Leonora debütierte, gerade recht zur Auffrischung schöner Erinnerungen.

Die Arena wird noch eine Zeitlang von den Produktionen, die Franco Zeffirelli zu verdanken sind, zehren können, denn keiner wie er, vielleicht noch Hugo De Ana und Pier Luigi Pizzi, konnte mit dem Riesenrund umgehen, es mit Leben, manchmal sogar zu viel des Guten, füllen, dem Auge immer wieder Neues, Farbenprächtiges, Staunenswertes bieten. Auf der anderen Seite konnte er Monumentalopern wie Aida und I vespri siciliani auch auf kleinstem Raum wie dem Theater der Verdi-Stadt Busseto unterbringen. Da er nicht nur Regisseur, sondern auch Ausstatter war, stammt von ihm auch der mittlere der drei Wehrtürme des Trovatore, der sich, wenn Leonora der Welt abschwören will, zu einer prachtvollen gotischen Kathedrale öffnet. Und er konnte es sich, besonders zur Freude nicht opernerfahrener Arenabesucher, auch erlauben, zusätzliche Zigeunerballette einzufügen, um die für diese Minderheit viel zu prächtigen Kostüme (Raimonda Gaetani) so richtig zur Schau zu stellen, echte Tiere, für die Bühne immer ein unkalkulierbares Risiko, auftreten und Manrico und Leonora ihrem kurzen Glück entgegenreiten zu lassen. Staunen kann der Betrachter auch über das Geschick, mit welchem der Regisseur die Chöre, oft in der Arena eine unbeholfen bzw. gar nicht agierende  Masse, zu bewegen weiß.

Wer Anna Netrebko engagiert, muss auch Yusif Eyvazov nehmen, wenigstens meistens, und so war es auch bei dieser Aufführung , für die als Datum nur 2019 angegeben ist, was einen Zusammenschnitt mehrerer Aufführungen, durchaus legitim, vermuten lässt. Der Tenor kann auf eine angenehme Optik bauen, die durch die prachtvollen Kostüme noch unterstrichen wird, erweist sich als zuverlässig, kann mit seiner Stimme weit ausholen, hat die Acuti für die Stretta, was seinen Eindruck auf das Publikum nicht verfehlt, so dass ein doch recht gequetscht klingendes Timbre nicht weiter ins Gewicht fällt. Strahlend schön ist die Leonora von Anna Netrebko, dazu kommt eine tadellose, Begeisterung provozierende sängerische Leistung eines dunkel grundierten, leidenschaftlich lodernden Soprans mit feinem Spitzenton im Piano für die erste Arie, einem virtuosem Feuerwerk für die anschließende Cabaletta. Wunderbar ist das Zaubern mit agogikreichem chiaro scuro in der zweiten Arie, auch diese mit Cabaletta vorgetragen, und sogar zum Abschluss des allein schon durch die schweren Kostüme bei sommerlicher Hitze anstrengenden Abends findet sie noch zu engelsgleichen Tönen. Von allen guten Geistern verlassen scheint der Luna von Luca Salsi zu sein, der seinen granitgleichen Bariton allzu ungefüge kraftmeierisch einsetzt, der „Leonora è mia“  zum Brunftschrei werden lässt und der nach so viel überdimensionalem Einsatz nur mit Mühe wieder zu einem einigermaßen auf Linie gesungenem „Il Balen del suo sorriso“ zurückfinden kann. Beim Duett mit Leonora ist er dann, wen wundert‘s, schon heiser. Schwer an ihren Gewändern zu tragen hat die Azucena von Dolora Zajick, deren einst süffiger Mezzosopran bereits in mehrere Teile zerfallen ist, die Höhe wie entfärbt, die Tiefe überbrustig. „Mi vendica“ klingt wie aus einer anderen Welt kommend und angenehmes Erschauern provozierend, aber die unterschiedlichen Farben der Stimme sind doch sehr irritierend. Zum Schluss bleibt ihr immerhin il rogo erspart, sie erdolcht sich und statt ihrer steht die Burg in Flammen. Oft unterschätzt wird die Aufgabe des Basses, wenn behauptet wird, der Trovatore benötige die vier besten Sänger zum Gelingen. Einer, der unzählige Male  Zaccaria und Ramfis in der Arena gesungen hat, meinte einmal, am stolzesten mache ihn seine Leistung als Ferrando, der tatsächlich perfekten Verdi-Gesang vom Sänger fordert. Riccardo Fassi wird dieser Aufgabe durchaus gerecht. Pier Giorgio Morandi hält als erfahrener Kapellmeister alles perfekt zusammen, was in der Arena eine respektable Leistung ist.

Man kann nur hoffen und wünschen, dass 2021 bruchlos an 2019 anknüpfen, Cecilia Gasdia alle ihre Vorhaben verwirklichen kann und das Publikum den wackeren Ritter tagsüber  auf der Piazza Bra und abends in der Arena wieder bestaunen kann ( C-Major 754608). Ingrid Wanja

 

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Beethoven 2020: Schriftliches

 

Kein gutes Jahr für seinen 250. Geburtstag hat sich Ludwig van Beethoven ausgesucht, mussten doch schon viele geplante Konzerte und Festaufführungen zu seinen Ehren ausfallen, und man kann nur hoffen, dass zum Tag der Taufe, dem 17.12. 2020, wieder einiges möglich sein wird, um den Musik-Giganten angemessen zu feiern. Sein genauer Geburtstag ist nicht bekannt, doch da eine möglichst zeitnahe Taufe nach der Geburt wegen der hohen Säuglingssterblichkeit der damaligen Zeit angestrebt wurde, kann man davon ausgehen, dass er zumindest im Dezember geboren wurde.

Nicht ausfallen musste zum Glück die Doppelausstellung in Bonn vom 17.12.2019 bis 26.4.2020  und wird hoffentlich die in Brüssel vom 13.10.2020 bis 17.1.2021, passend zur EU-Präsidentschaft Deutschlands, wobei, wie der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, in seinem Grußwort im das Ereignis begleitenden Buch Beethoven. Welt. Bürger. Musik.“ Katalog zur Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn, 2019/2020 erklärt, Bonn für Vita und Werk, Brüssel für das Nachwirken zuständig ist. Und wer den Prachtband mit dem Untertitel Welt Bürger Musik und dazu einen gutgefüllten Plattenschrank besitzt, der kann sicherlich den großen Deutschen, den gern auch Flandern und Österreich für sich in Anspruch nehmen, gebührend feiern und sich selbst ein großartiges Geschenk machen.

Nicht irritieren lassen sollte man sich vom Cover, das einen minderbemittelt ausschauenden Herrn, dessen Wurstfinger platt auf Klaviertasten lagern, zeigt. Das berühmte Stieler-Portrait bekommt man am Schluss des Buches auch noch zu sehen, dazu einen Aufsatz über dieses und andere Beethoven- oder auch generell Komponistenkonterfeis.

Das Buch soll zwar kein Ausstellungskatalog sein, ist aber so einsichtig und übersichtlich gegliedert, dass man durch den Band wie durch Museumshallen flanieren kann.

Zunächst gibt es neben dem Grußwort aus europäischer Sicht noch eines von Monika Grütters, die dem Komponisten das Prädikat ein „musikalischer Revolutionär für Bürger“ verleiht, nachdem Charles Michel besonders die Bedeutung der Europahymne, 1955 von Richard Coudenhove-Kalargi vorgeschlagen, 1972 vom Europarat und 1985 von der Europäischen Union akzeptiert, hervorgehoben hatte.

Nach den Grußworten gelangt der Leser zum gemeinsamen Vorwort des Intendanten der Bundeskunsthalle, Rein Wolfs, und des Direktors des Beethovenhauses Bonn, Malte Boecker, die den kulturhistorischen Ansatz der Ausstellung, die von Agnieszka Lulinska und Julia Ronge gestaltet wurde,  betonen, die beide dem Leser noch als Autorinnen begegnen werden. Die zitierte „zeitgenössische Anmutung“, die dem Buch und damit wohl auch der Ausstellung durch neo-studio Berlin zuteil wurde, vermutet man zunächst in den jedem Kapitel vorangehenden, zunehmend verfremdeten Portrait, aber das stammt von Isabella Cotier.

Die beiden Kuratorinnen führen den Leser noch selbst in das ebenfalls von ihnen zu verantwortende Buch ein, machen ihn mit ihrem Anliegen bekannt, das überlieferte Bild von Beethoven „auf den Prüfstein zu stellen“, Anekdoten zu „hinterfragen“ und nicht hinreichend Dokumentiertes (Liebschaften oder Konflikt um die Adoption des Neffen) „auszusparen“.

Der Band ist so interessant wie übersichtlich gegliedert, indem jedes der fünf Kapitel eine andere Farbe zugeteilt bekommen hat. Zunächst erscheint auf kräftiger Farbe die römische Kapitelzahl, dann die Jahreszahlen, die den dokumentierten Zeitraum angeben, und danach die Titelüberschrift. Die jeweils zweite Seite bringt eins der schon erwähnten Beethovenportraits, es folgt eine umfangreiche Zeittafel in Weiß auf Farbe, danach die einzelnen Aufsätze in Farbe auf Weiß, was desto besser zu lesen ist, je dunkler die gewählte Farbe ist. Eingestreut bzw. eingeheftet sind kleine farbige Zettel, auf denen verstorbene oder noch lebende Musiker über „ihren“ Beethoven berichten. Am Rand sind in kleiner Schrift Anmerkungen zum Text und zu den vielen Bildern, was angenehm für den Leser ist, da er nicht dauernd umherblättern muss.

Obwohl „nur“ 265 Seiten umfassend, bringt das Buch, nicht zuletzt durch das gewählte Format, eine Fülle von Informationen. Im ersten der fünf Teile berichten Norbert Schloßmacher über die frühe Prägung Beethovens durch die Residenzstadt Bonn, die Geschichte der Stadt, Topographie, Bevölkerung, Religion, Kultur und das reiche Musikleben, das auch Vater und Großvater die Möglichkeit zum Überleben bot. Ingrid Bodsch schreibt über die Beziehungen zwischen Bonn und Wien, John D. Wilson über Beethoven als Mitglied der Hofmusikerfamilie, Barbara Vinten unter Roll Over Beethoven! Über ein Happening mit 700 Beethovenstatuen und die Heroisierung Beethovens in der bildenden Kunst.

Das 2.Kapitel, in Magenta gehalten, umfasst die Jahre 1792 bis 1801 und bietet dem Leser so unterschiedliche Aufsätze wie Otto Bibas über die Lehrjahre bei Haydn und anderen in Wien, Barry Coopers über des Komponisten Verhältnis zum Klavier (mit besonders vielen Autographen), Lulinskas  Ausführungen über das Ballett Die Geschöpfe des Prometheus, Alan Gosmans über Beethoven und die Suche nach dem Anfang, verbunden mit der Frage, wann ein neues Jahrhundert beginnt.

Der dritte Block, in Blau die Jahre 1802 bis 1812 umfassend, schildert die Zeit der ersten Erfolge mit Aufsätzen von Julia Ronge über den Tagesablauf im Hause Beethoven, von Steven M. Whiting über die Wiener Theaterlandschaft, Julia Cloot über Goethe und Beethoven in Teplitz (Die berühmte Begegnung verlief wohl anders, als von Bettina von Arnim überliefert.) und die Musik zu Egmont, William Meredith über Beethoven als Patient, wo der erschrockene Leser erfährt, dass die später fast völlige Taubheit bereits vor Beethovens dreißigstem Geburtstag erste Anzeichen fühlen ließ.

Das vierte Groß-Kapitel um fasst in der Farbe Braun die Jahre 1813 bis 1818 und handelt vom Ruhm und seinem Preis. Dazu äußern sich William A. Kindermann, der der Frage nachgeht, inwiefern Beethoven Revolutionär oder Oppotunist war und dabei auf die Kompositionen Wellingtons Sieg und die Kantate Der glorreiche Augenblick mit einer Verherrlichung Kaiser Franz‘ eingeht. Spätestens jetzt geht dem Leser auch auf, dass die populärsten Werke des Komponisten nicht interpretiert werden, man darin nicht die Aufgabe des Buches sah, was nachvollziehbar, weil nicht die Aufgabe einer Ausstellung und des sie begleitenden Buches ist. Nur die Missa Solemnis erfährt im letzten Kapitel durch Jan Caeyers diese Ehre. Adam Zamoyski widmet sich der vorübergehenden Napoleon-Verehrung, Verena Großkreutz des Komponisten Verhältnis zum Geld, Karl Traugott Goldbach der Meinung der zeitgenössischen Kollegen über Beethoven und zwar Schuberts, Spohrs und E.T.A. Hoffmanns. Thematisiert wird auch der Widerspruch zwischen dem Bekanntheitsgrad des Komponisten über die Grenzen Europas hinaus und seinem Verharren im „keine Person von Stand zu sein“. Interessant ist die Frage danach, ob menschliche Schwächen des Urhebers den künstlerischen Wert eines Werkes mindern können, wie die zunehmende Entgrenzung von Gattungsformaten zu bewerten ist.

Beethoven grenzenlos nennt sich das 5.Kapitel und umfasst die Jahre 1819 bis 1827. Hier kommen die Liebhaber von Stielers berühmten Portrait von 1820 in Silke Bettermanns Beitrag zu ihrem Recht, wenn sie sich auch für dessen Entstehung und Beurteilung interessieren. Sie können mit anderen Beethoven-Portraits und denen anderer Komponisten vergleichen. Norbert Oellers schließlich widmet sein Kapitel der Ode an die Freude, ihrer Entstehung, ihren verschiedenen Fassungen, ihren unendlich vielen Vertonungen. Inwiefern Krankheit und Tod Beethovens zeittypisch waren, hat Daniel Schäfer untersucht, verschweigt auch nicht die nachträgliche Heroisierung des Todeskampfes, den Beethoven austrug. Den Abschluss des so facettenreichen wie gut lesbaren, den Leser nie ermüdenden Buches bildet ein Aufsatz von Ilona Sármány-Parsons über den Pastorale-Bilderzyklus der Villa Scheid und andere mit Beethoven zusammenhängende oder ihn darstellende Kunstwerke wie Max Klingers Skulptur oder Klimts Beethoven-Fries. Vielleicht ist dieses Buch in Zeiten eingeschränkter Möglichkeiten, den Meister durch Aufführungen seiner Werke zu feiern, durch seine geschickte Gliederung und die Vielfalt der Themen der wichtigste Beitrag zum Beethovenjahr (265 Seiten Wienand Verlag 2019, Illustrationen, Index;  ISBN 978 3 86832 555 3). Ingrid Wanja         

Für Kenner unerreicht

 

Zu Lebzeiten stand Jascha Horenstein (1898-1973) zumeist im Schatten anderer. Nachdem er bereits in den 1920er Jahren in Berlin für Furore gesorgt und schon 1928 eine viel beachtete Einspielung der siebten Sinfonie von Bruckner mit den Berliner Philharmonikern vorgelegt hatte, erlitt als Jude seine vielversprechende Karriere infolge der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten einen empfindlichen Knick. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es Horenstein nicht mehr, eines der führenden Orchester der Welt als Chefdirigent zu übernehmen. Erst in seinen letzten Jahren konnte er vermehrt mit Spitzenorchestern zusammenarbeiten, so vor allen Dingen mit dem London Symphony Orchestra, mit welchem einige seiner heute berühmtesten Einspielungen, besonders von Mahler-Sinfonien, entstanden. Erst nach und nach wurden viele Rundfunkproduktionen der für Horenstein künstlerisch gleichwohl ertragreichen Nachkriegsjahre, besonders aus Deutschland, Österreich, Großbritannien und Frankreich, aber auch aus Südamerika, dem Hörer zugänglich. Seine Ton-Dokumente gelangten weitgehend nur bei kleinen und meist obskuren Labels an die Öffentlichkeit.

 

Profil/Hänssler legt nun eine 10 CDs umfassende Box Jascha Horenstein – Reference Recordings vor (PH19014). Enthalten sind Werke von Beethoven bis Schönberg, wobei der Fokus auf der Musik des späten 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts liegt. Die Aufnahmen datieren, mit einer Ausnahme, auf die Jahre zwischen 1953 und 1962. Gleichsam als Bonus sind die historisch zu nennenden Kindertotenlieder mit Heinrich Rehkemper und dem Orchester der Staatsoper Berlin von 1928 beigegeben. Klangwunder darf man sich also nicht erwarten. Lediglich die Schottische Fantasie von Max Bruch mit dem überragenden David Oistrach und dem London Symphony Orchestra aus dem Jahre 1962 und, erstaunlicherweise, die Südwestfunk-Aufnahmen aus Baden-Baden von 1956, nämlich Wagners Faust-Ouvertüre, Liszts Faust-Sinfonie sowie Strawinskys Feuervogel, sind bereits in Stereo festgehalten. Mit einigem Recht wird man gerade diese SWF-Aufnahmen als den Mittelpunkt der neuen Kollektion bezeichnen dürfen, waren diese frühen Stereoproduktionen, ursprünglich für Vox eingespielt, doch lange Jahre nur schwer greifbar. Sie zeigen Horenstein auf der Höhe seiner Kunst und klingen für das enorme Alter auch heute noch sehr ansprechend. In anderen Fällen ist die von Hänssler getroffene Auswahl nicht immer nachvollziehbar. Die Bedeutung, die Horenstein als Mahler-Interpret erlangt hat, wird zwar durch Inklusion der ersten und dritten Sinfonie gewürdigt, doch fanden nicht die überragenden Spätaufnahmen von 1969/70 für Nonesuch (später auf CD neu aufgelegt von Unicorn-Kanchana) Berücksichtigung, sondern wurde auf klangtechnisch problematische ältere Aufnahmen zurückgegriffen, was insbesondere im Falle der 1961 live mitgeschnittenen Dritten recht ärgerlich ist. Bei der Ersten ist die 1953 für Vox mit dem Pro Musica Orchester Wien entstandene Einspielung enthalten. Mit diesem reinen Schallplatten-Ensemble hat Horenstein 1954 auch Bruckners Achte eingespielt, eine künstlerisch fraglos wertvolle Interpretation, die freilich nicht die Ekstase des BBC-Mitschnitts von 1970 aus der Royal Albert Hall entfaltet und klanglich wiederum abfällt. Dieses Manko haftet auch der Beethoven’schen Eroica von 1955 an, die indes derart gehaltvoll herüberkommt, dass man dies gerne in Kauf nimmt. Die wichtigen französischen Aufnahmen Horensteins sind gleichfalls abgedeckt, so mit Hindemiths Mathis der Maler, den beiden Klavierkonzerten von Ravel (mit Vlado Perlemuter als Solisten) sowie dem ersten Klavierkonzert von Brahms (mit Claudio Arrau am Flügel). Daneben sind es die Bamberger Symphoniker, mit welchen Horenstein häufig zusammenarbeitete, in der Kassette mit Don Juan und Tod und Verklärung von Richard Strauss sowie dem Lohengrin-Vorspiel und Vorspiel und Liebestod aus Tristan und Isolde von Wagner vertreten. In Gestalt von Schönbergs Verklärter Nacht und der Kammersinfonie, ferner auch Bártoks zweitem Violinkonzert (Ivry Gitlis als Solist), findet die Moderne, die Horenstein am Herzen lag, ihren Platz. Eine in der Summa lohnenswerte Anschaffung mit einigen echten Schmankerln, die als Basis für eine eingehendere Beschäftigung mit dem Dirigenten Jascha Horenstein wertvolle Anreize bieten kann. Daniel Hauser

Voyage of a Slavic Soul

 

Arion nennt sich bei Orchid Classics die CD der ukrainisch-walisischen Sopranistin Natalya Romaniw, so wie auch der Titel eines der Lieder von Rachmaninov lautet. Aber wer oder was ist Arion, im Lied selbst kommt der Begriff nicht vor, und so rätselt der Hörer, holt sich Rat bei Wikipedia und kann wählen u.a. zwischen einem antiken Dichter, einem Pferd aus der griechischen Mythologie, einer Gattung aus der Familie der Wegschnecken, einer isländischen Bank oder einem Schiff, was naheliegend, aber für dieses unheilverkündend ist, denn es geht um den einzigen Überlebenden eines Schiffsunglücks.

Wie dem auch sei, die junge Sängerin kann und will wohl auch ihre slawischen Wurzeln nicht verleugnen, obwohl doch gerade Wales, denkt man nur an Gwyneth Jones oder Bryn Terfel, eine Landschaft mit hervorragendem musikalischem Ruf ist. Ihr Großvater, den sie zärtlich Dido nannte und dem sie die CD gewidmet hat, machte sie mit ukrainischer Volksmusik bekannt, sie wirkte im Chor des ukrainischen Klubs in Swansea mit, ihre erste Opernpartie war Tatjana, und auch jetzt noch ist diese neben Lisa eine ihrer bevorzugten Rollen.

Voyage of a Slavic Soul ist er Untertitel der CD, und diese beginnt mit drei Liedern von Rimski-Korsakov. In Softly the soul zeigt der Sopran viel Corpo besonders in der dunkel getönten Mittellage, ein Timbre mit melancholischem Touch und eine leicht scharfe, hier durchaus nicht unangenehme Höhe. Auch im folgenden The Nymph goutiert man die reiche Stimme, die sich problemlos zurücknehmen , der Nymphe etwas Geheimnisvolles verleihen kann. In Summer Night’s Dream wird der Kontrast zwischen Realität und Traumwelt deutlich herausgestellt.

Dvoráks Love Songs leiden eher unter einer gewissen Härte und Schärfe der Stimme, die in der Mittellage aber immer wieder, so in So many a heart in der Mittellage weich und damit sehr angenehm werden kann. Von schönem Ebenmaß ist der Sopran im abschließenden Oh dear, nachdem bereits in In the woods eine gut tragende mezza voce plastisch Erfahrungen in der Natur wiedergegeben hat.

Natürlich darf Tschaikowski nicht fehlen, hier vertreten mit Gentle stars von eindringlicher Melancholie, Can’t it be day mit hellem Jubelton und sich steigerndem Refrain, Why als sanfte Klage, die sich bruchlos steigert zur Verzweiflung.

Mit Rachmaninov geht es weiter, der die Stimme in vielen dunklen Farben schillern lässt, Operhaftes fordert, aber auch Volksliedhaftes, das der Sängerin ebenso liegt, anzubieten hat. Da kommt dann hin und wieder auch die bereits zuvor bemerkte Schärfe der Extremhöhe ins Spiel. Mit der titelgebenden dramatischen Ballade Arion schließt der Rachmaninov-Block.

Es folgen noch zwei tschechische Komponisten mit Janáček und dem weniger bekannten Vitĕzsláv Novák. Der Bekanntere bietet Volksliedhaftes, dessen Ton der Sopran sehr schön trifft, und auch Munteres wie die letzten beiden Tracks macht dem Sprachunkundigen deutlich, worum es sich handelt.

In den Liedern von Novak, ebenso wie die seines Vorbilds, im mährischen Liedgut verwurzelt, vereint Natalya Romaniw Ruhiges mit durchaus Spannungsvollem. Ihre Begleiterin Lada Valešová unterstützt sie dabei erfolgreich (ORC100131). Ingrid Wanja     

Gegen den Mief der Nachkriegszeit

 

Die Aufführung ist längst vergessen, der akustischen Erinnerung helfen die zwei CDs (Capriccio C54405) auf die Sprünge. Stephan Kimmig hatte in seiner Stuttgarter Inszenierung von Henzes Oper Der Prinz von Homburg die Militärmaschinerie durch einen Turnsaal ersetzt, darin Körperertüchtigung und Selbstoptimierung an den Ballettstangen an die Stelle von militärischen Training und Gefecht traten und der Prinz von Homburg als Außenseiter auf einer Leiter der allseitigen Körperertüchtigung an der sich in kurzen Hosen, auch der alte Kurfürst beteiligt, zusah. Der Mitschnitt der Stuttgarter Aufführungen aus dem März 2019 profitiert einerseits vom natürlichen Parlando und eleganten Zusammenspiel in den Konversationen der Generäle, andererseits rücken gleich in der Eingangsszene Textdeutlichkeit und Prägnanz akustisch etwas in den Hintergrund als habe der Fehrbelliner Staub die Szene eingenebelt. Cornelius Meister lässt das Staatsorchester Stuttgart dabei kammermusikalisch durchdringenden und umsichtig agieren und versucht die belkantistischen Inseln auszuloten, etwa wenn der Prinz Natalie ihren Handschuh überreicht, und in den Ensembleszenen zuchtvolle Eindringlichkeit zu erzeugen. Robin Adams ist ein zurückhaltender, oftmals gewöhnlicher Prinz, dem man das „vor sich hinträumend“ nicht leicht abnimmt, der sich aber auch bei „Nun denn auf deiner Kugel! Ungeheures“ in einen geradezu wütenden Furor und berstenden Ausdruck („Heut’ Kind der Götter, such ich, Flüchtiges“) steigert und mit bulligem Bariton und draufgängerischer Wucht den Prinzen als vokalen Kraftakt begreift. Der Prinz aus den Pinien- und Zypressenparks im Latium lässt seine Muskeln spielen, singt selten mit den beschwörenden Zwischentönen, die der Text nahelegt, ist eher wuchtig als empfindsam („Ich seh das Grab beim Schein der Fackeln öffnen“). Zwischentöne stehen Moritz Kallenberg hinreichend zu Gebote, der als Homburgs Freund Graf Hohenzollern zarte Tenor-Leuchtsignale sendet und im Gespräch mit Homburg im Gefängnis von präziser Diktion und hoher Intensität ist. Vera-Lotte Böcker singt die Natalie leidenschaftlich und mit akzentuiertem Koloratursopran, der im leidenschaftlichen Einsatz für Homburg etwas hart, doch nie unangenehm wird. Seit Jahrzehnten verwöhnt Helene Schneidermann (Kurfürstin) ihr Stuttgarter Publikum durch soignierte Wortdeutlichkeit und gestalterische Prägnanz, während Stefan Margita den zweifelnden Kurfürsten mit gebrochenem Heldentenor und hintergründiger Schlaffheit charakterisierte. So plastisch und akustisch wirkungsvoll in den heftigen Bläserattacken Meister die Schlacht auch einfängt, wirkt sie bei aller handwerklichen Virtuosität des jungen Henze auch ein wenig altbacken, wie ein akustischer Schwarz-weiß-Film, eine Klangkulisse, die den Idealismus des Stückes mit seinem Konflikt zwischen Individuum und Staat und den weltvergessenen Träumer als Helden, auf den Henze von Luchino Visconti hingewiesen wurde, den Faltenwurf eines Mantel- und Degenfilms der 1950er Jahre überwirft. in der berühmten Schlacht bei Fehrbellin führt der legendäre Befehlsverweigerer Friedrich von Homburg den Sieg der Brandenburgischen gegen die Schweden herbei, ohne den ausdrücklichen Befehlt abzuwarten. Für diese Insubordination wird er zum Tode verurteilt. Eine Begnadigung lehnt er ab.  Doch die Spannung zwischen dem Sein eines Einzelnen und der Staatsräson, Fragen der Missachtung von Gesetz und Ordnung, das Zittern eines Menschen vor der Gewalt der herrschenden Macht, der Mut, sich ihr zu widersetzen – all das könnte auch heute oder hätte vor tausend oder zweitausend Jahren sein können, in Sparta oder in Athen. Solche Konflikte sind nicht an die Lokalität Brandenburg und nicht an das „Preußentum“ gebunden. Mir gefällt es, das Ganze in eine Beziehung zu Griechenland zu setzen.“ (Henze). In seiner Strawinsky gewidmeten Partitur legte Henze, in dezidierter Ablehnung der Darmstädter Schule und der seriellen Musik, ein Bekenntnis zu seiner italienischen Wahlheimat und der Belcanto-Oper Donizettis, Bellinis und Rossinis ab – Die engelhafte Melancholie Bellinis, das funkelnde Brio Rossinis, die schwere Leidenschaftlichkeit Donizettis, das alles vereint,, zusammengerafft in Verdis robusten Rhythmen.., das waren Dinge, die mich seit Jahren schon gefangen genommen hatten.“ (Henze) eine federleichte südländische Replik auf den Mief und die Kälte der Nachkriegszeit, vor denen einige Jahre später auch seine Kleist-Librettistin Ingeborg Bachmann nach Italien floh. So meisterhaft, wie vom Meister vorgeführt, winkt das 1960 in Hamburg uraufgeführte kunstvolle Klöppelspiel doch auch sehr zeitgebunden. Kaum vorstellbar, dass die revidierte und jetzt auch in Stuttgart genutzte Fassung 1992 erstmals im kleinen Cuvilliéstheater erklang. Cornelius Meister ließ das Staatsorchester oftmals so martialisch und kraftmeierisch auftrumpfen, zwar brillant in der trennscharfen Attacke, aber auch so vordringlich, dass die Sänger, darunter die den Chor ersetzenden je drei Offiziere und Hofdamen, oftmals nur Folie bleiben.  Rolf Fath

 

 

Ivan Zajc: „Nikola Subic Zrinski“

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Der italienisch-österreichisch-kroatische Komponist Ivan Zajc (eigentlich Giovanni von/ de Zaytz 1832/ Fiume -1914/ Zagreb) kann als ein weiterer  politischer wie künstlerischer Repräsentant der enormen gesellschaftlichen Umwälzungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Europas gelten. Sein Lebenslauf und seine Karriere stehen fast symbolisch für die Auflösung der alten nationalen Ordung und der großen Machtblöcke. Der Begriff „national“ hat ab der endgültigen Vetrtreibung Napoleons und der erdrückenden  Restauration vor allem für die ehemaligen K. u. K. Völker danach eine besondere Bedeutung. Italien und namentlich der heutige Ostblock gingen Österreich nach Sarajewo verloren. Damit konstituierten sich die neuen Grenzen der ehemaligen Vielvölkerstaates neu.

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Ivan Zajc 1875 in einem Stich von Mukarovsky/ OBA

Ähnlich wie seine Kollege Moniuszko und Carrer durchlebte auch Giovanni von/ de Zaytz  diesen schmerzvollen Weg vom (gefühlten) Staatenlosen/Unterjochten zum stolzen Nationalbewussten Ivan Zajc, der gegen Ende seines Lebens dieses noch einmal mit einer triumphal aufgenommenen Befreiungsoper krönte, eben Nikola Subic Zrinski, in Kroatien als Nationaloper gegen die Osmanen (ähnlich wie der Marcos Botsaris von Carrer in Griechenland) gehandelt – der sich nachstehend anschließende Kommentar im Booklet zur neuen Aufnahme hält sich auf dem nationalen Auge sehr bedeckt.  Die neue CD ist ein leider doch eine stark gekürzte Fassung als  Mitschnitt von 2018 aus dem Ivan-Zajc-Theater in Rijeka, dem ehemaligen italienischen Fiume und Zajcs Heimatstadt, bei cpo erschienen – eine große Tat, gab es bislang doch nur die alte Yugoton-LP-Übernahme auf CD unter Milan Sachs (diese mit Ballett und auch auf youtube, wobei sich bei youtube weitere optische Mitschnitte  aus Zagreb 1967 und erneut 1997 und im Konzert ebendort 2018 sowie  auf operavision aus Rijeka 2018, alle ohne Ballett finden; ebenfalls gibt es den Zrinski in einem Mitschnitt bei youtube aus Split 1991 in wüster Optik und 2008 optisch so vaterländisch-bunt wie die übrigen genannten).

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Ivan Zajc: Schon immer fand ich die sogenannten Kleineren Komponisten (compositori minori) aus dem Umkreis Verdis so spannend in ihrem Bemühen, eine alternative Musiksprache zum Giganten der italienischen Oper zu entwickeln und damit eine eigenständige Identität zu zeigen. operalounge.de-Lesern wird nicht entgangen sein, dass wir viel über diese Musiker berichtet haben – Marzano ist so einer, vor allem aber Carrer, Gomes oder Apolloni, später auch Catalani oder vorher Ponchielli natürlich (und viele mehr wie Bona, Mercadante, Faccio u. v. m.). Alle eint das Bemühen, aus dem Schatten Verdis herauszutreten, der die Musikszene nicht nur Italiens beherrschte – nur Wagner kommt ihm gleich in der Wirkung auf seine Epoche.

Spannend sind auch jene Komponisten, die durch die politischen Entwicklungen in Europa sich von einem Produzenten eher gefälliger Musik zu glühenden Freiheitskämpfern entwickeln und damit ihre schöpferische Kraft in den Dienst der nationalen Sache stellten – Oper als Propaganda (ganz im Sinne des jungen Verdi). Ivan Zajc ist so einer (wie auch seine griechischen Kollegen Carrer oder Samara oder Auber in Belgien/Frankreich). Was zeigt, dass Oper als politische Propagandamaschine durchaus Wirkung zeigen kann oder zumindest die sozialen und politischen Strömungen der Zeit widerspiegelt.

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Ivan Zajc: „Nikola Subic Zrinski“ aus Rijeka 2018 bei cpo

Ivan Zajc, als Giovanni de Zaytz zu Beginn ein hoffnungsvoller K. u. K-Komponist aus dem österreichischen Herrschaftsgebiet, wandelte sich vom italienisch-geprägten Opern-Komponisten relativ konventioneller Werke zum glühenden kroatischen Nationalisten nach der Ablösung seiner Vaterlandes vom österreichischen „Joch“. Seine Befreiungsoper Nikola Šubić Zrinski rüttelt mit allen verfügbaren Säbeln gegen die ehemaligen Besatzer (Osmanen in dieser Oper, aber eigentlich sind die Österreicher gemeint). Die nationale Identität wird bemüht. Das hatte eine phänomenale Wirkung im gerade geeinten Land. Dennoch – seine „besseren“ Werke stammen aus seiner italienischen Zeit in Fiume, dem heutigen Rijeka,  in melodischer wie in kompositorischer Hinsicht. Nun ist eine neue Aufnahme seiner bedeutenden späten Oper Nikola Subic Zrinski bei cpo herausgekommen: Zeit für einen Blick auf den Komponisten zwischen der Neuen und der Alten europäischen Ordnung im 19. Jahrhundert.

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Und zum Komponisten selbst: Johann/Giovanni von Zaytz wurde 1832 im damaligen italienischen Ort Fiume an der Adria, heute Rijeka, geboren. Italiens Anspruch erstreckte sich bis nach lstrien und zum ostseitigen Adria-Ufer. Wodurch auch die Pflege istrischer Komponisten wie Smareglia heute noch am Teatro Verdi von Triest erklärbar ist. Die Adria gehörte ja lange zur Seerepublik Venedig. Ein gutes Beispiel für diese Zwei-Länder-Verhaftung ist da auch Franz von Suppé: Wenn Suppé nicht in Wien war, zeichnete er auf Musikprogrammen meist mit seinem echten italienischen Namen Francesco Demelli, später auch Francesco Suppé-Demelli. Die Familie Demelli-Suppé stammte ursprünglich aus Cremona (die Großeltern). Suppé war gebürtiger Kroate – er wurde in Split geboren.

Zajcs Karriere beschreibt exemplarisch ebenso das musikalische wie politische Geschehen seiner Zeit. Er studierte in Mailand (1850 – 55) bei Stefano Ronchetti-Montivi, Alberto Mazzucato und vor allem bei Lauro Rossi (dessen Domino nero ebenfalls zuletzt in Jesi aufgeführt wurde und bei Bongiovanni als CD vorliegt). Wie viele seiner Komponisten-Kollegen aus nicht-italienischen Ländern sah auch Zajc in einem Studium am Mailänder Konservatorium die große und einzige Möglichkeit, in der damaligen Musikszene seiner Zeit zu reüssieren. Seine erste Oper La Tirolese gewann 1855 an der Musikhochschule von Mailand den ersten Preis.

Das Ivan-Zajc-Theater auf dem gleichnamigen Platz in Rijeka/ Wikipedia

Bemerkenswerterweise ging er danach sofort zurück an die Oper (Teatro Civico) seines Geburtsortes, wo er 1860 seine außerordentlich interessante Oper Amelia nach dem Drama Schillers herausbrachte (youtube/ dazu auch ein Artikel hier in operalounge.de). Romilda da Messina, ebenfalls nach Schiller, von 1862 blieb nur ein Projekt, ebenfalls I Fu­nerali del Carnaval 1862 und La Festa del Ballo 1863. Von 1855 bis 1862 blieb er in Fiume, dann wechselte er nach Wien – die Alternative zu Mailand und das Mekka der Operette, die er nun in großer Anzahl und mit Erfolg herstellte. In diese Jahre fällt Tagesware wie Mannschaft an BordFitzliputzi, Ein Rendezvous in der Schweiz, Meister Puff und vieles mehr – alle deutlich im Strauß/Lanner-ldiom und der populären Unterhaltung an den verschiedenen Theatern verpflichtet. Sogar eine Sonnambula nach dem Libretto von B. Young von 1868 gibt es. 1870 schrieb er nicht nur den Raub der Sabinerinnen für das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater zu Berlin, sondern zog wieder zurück in die Heimat, diesmal in das damalige Agram, heute Zagreb, wo er zum Leiter und Generaldirektor der ersten festen „Croatischen Nationaloper “ (1870 – 1908) ernannt wurde, säbelrüttelnde Nationalopern (vor allem Nikola Subic Zrinski aber auch Mislav und Ban Leget, vorher noch I montanari (alle bei youtube als Live-Aufnahmen) gegen die ehemaligen K.& k.- Landesherren schrieb und durch diese am nationalen Selbstbewusstsein seines Landes mitwirkte. Zajc´s Oper Lisinka (youtube) fällt in die  letzte Phase im Schaffen und Leben des Komponisten, der in Zagreb 1914 hochgeehrt starb. Sein Andenken ehrt auch die heute in lvan-Zajc-Theater umbenannte Oper in Rijeka, seiner Geburtsstadt Fiume, woher die neue cpo-Aufnahme von 2018 stammt und deren Produktion bei operavision zu sehen war: schöne bunte Bilder im gewohnten Stil.

Ivan Zajc: „Nikola Subic Zrinski“/ Szene aus der Aufführung in Rijeka 2018/ Foto Novkovic

Zajcs Leben liest sich für uns westliche und Nachkriegs-Europäer so unverfänglich, steht aber für  eine bedeutende nationale Entwicklung und für politische Umwälzungen, denn die Loslösung von Italien (so Fiume/Rijeka), von Österreich-Ungarn und die Rückbesinnung auf einen eigenen Staat Kroatisch-Slawonien (Militärgrenze bis 1881) brachten auch ein erhöhtes Nationalbewusstsein und ein vermehrtes Bedürfnis nach Stärkung der eigenen Kultur mit sich, wie dies in vielen Ländern Osteuropas und der Fall war. Smetana oder Dvorák stehen musikalisch-politisch in Tschechien dafür. Noch 1809 – 1814 hatte Kroatien zu den Illyrischen Provinzen Napoleons gehört, danach wurden die beiden Teile wie Nebenländer der ungarischen Krone behandelt. In den Revolutionsjahren 1848/49 kämpften die Kroaten auf kaiserlicher Seite unter Banus Jelacic gegen die Ungarn. Daraufhin wurden Kroatien und Slawonien ein einziges österreichisches Kronland, jedoch 1867 wieder mit Ungarn (nun unter österreichischem Zepter) vereinigt. Die Sonderstellung legte der ungarisch-kroatische Ausgleich 1867 fest. Im 1. Weltkrieg schlossen sich die Kroaten den Bestrebungen zur Schaffung eines südslawischen Na­tionalstaates an (1918), doch traten sie bald entschieden in heftige Gegnerschaft zur aggressiven zentralistischen Politik Jugoslawiens. 1941 – 45 entstand der von den Achsen­mächten gestützte Staat Kroatien, 1946 wurden daraus Kroatien, Dalmatien und Slawonien, die gingen in die Volksrepublik der Bundesstaaten Jugoslawien über. Heute ist Kroatien wieder und endlich eigener Staat mit den beiden Opernzentren Zagreb und Rijeka. Geerd Heinsen

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Ivan Zajc: „Nikola Subic Zrinski“/ Szene aus der Aufführung in Rijeka 2018/ Foto Novkovic

Die Oper Nikola Subic Zrinjski.  Im Beiheft zur neuen cpo-Aufnahme als Mitschnitt aus dem Ivan-Zajc-Theater in Rijeka schreibt Davor Merkas:  Spürbar hat(te) sich in den Opern des (Komponisten)  natürlich (in seiner Wiener Zeit) die österreichische Umgebung niedergeschlagen, in der Zajc viele Jahre lebte – die Kaiserstadt und hier vor allem die Wiener Ope­rette. In der Melodik und Rhythmik einiger Opern, die nach seiner Rückkehr in die Heimat entstanden sind, lassen sich slawische (insbesondere tschechische) Elemente ausmachen. Man könnte diese bereits als das Streben nach einem nationalen musikalischen Ausdruck interpretieren, der sich auf die Volks­musik Kroatiens stützte – das allerdings im Rahmen des pan­slawischen Gedankenguts, das in den damaligen politischen Tendenzen gegenwärtig war. Eines jedoch steht neben der souveränen Beherrschung des Metiers ganz außer Frage: Die größte Qualität in Zajcs Kompositionen, von denen einige erst noch ihren Weg ins Standardrepertoire der Konzertsäle finden müssen – das ist seine  Fähigkeit der melodischen Erfindung.

Für sein Libretto zu der Oper Nikola Subic Zrinjski benutzte der kroatische Schriftsteller Hugo Badalic (1851- 1900) das Schauspiel Zriny, das der junge deutsche Dichter und Dramatiker Theodor Körner (1791-1813) ein Jahr vor seinem Tode geschrieben hatte. Dieses Drama basiert auf einem Ereignis aus dem Jahre 1566 – auf der historischen Schlacht von Sziget.  (…)

Ivan Zajc: „Nikola Subic Zrinski“/ Theaterzettel der Erstaufführung 1841 in Zagreb in kroatischer Sprache/ OBA

Die Oper wurde 1832 in deutscher Sprache am National- Theater von Zagreb aufgeführt. Erst 1841 folgte eine Version in kroatischer Übersetzung. Es ist interessant, dass das Stück in Zagreb als »vaterländisches Drama« figurierte und nicht, wie es der Originaltitel will, als »Trauerspiel« gegeben wurde. Die napoleonischen Kriege hatten Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts in seinen Grundfesten erschüttert (…). Das anschließende Erstarken des Nationalbe­wußtseins weckte ohne Frage das Interesse der Schriftsteller an heroischen und patriotischen Themen. Die Schlacht von Sziget – ein lehrreiches Exempel, ein Musterbeispiel der höchsten patriotischen Tat und des ultimativen Opfers für die Heimat (ähnlich wie in Griechenland der Freiheitsheld Marcos Botsaris) – nahm im Laufe der Zeit geradezu mythische Dimensionen an. Daher überrascht es nicht, dass das auf dem literarischen Original fußende Libretto des Zrinjski in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als in Kroatien der Kampf um die nationale Selbständigkeit in vollem Schwange war und die Wellen der patriotischen Be­geisterung hoch gingen, bei der Zagreber Uraufführung am 4. November 1876 starke Reaktionen auslöste. Das Werk selbst galt seines Gegenstandes wegen als Musterbeispiel einer Nationaloper und ließ um sich eine Aura entstehen, die sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat. (…)

Ivan Zajc: „Nikola Subic Zrinski“/Frontispiece des Klavierauszugs/ OBA

Der als »musikalische Tragödie« untertitelte Dreiakter Nikola Subic Zrinjski ist seiner Gattung und Form nach eine klassische Oper mit musikalischen Nummern, wie wir sie gleichermaßen in Gioacchino Rossinis opere serie finden, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Italien etablierten. Dass  sie als historische, heroische und nationale Oper wahrgenommen wird, liegt zunächst einmal am Ge­genstand und Inhalt des Textbuches, dann aber auch an dem großen Reichtum chorischer Sätze – von den insgesamt zweiunddreißig Nummern des Werkes ist ein Drittel dem Chor überlassen, der überdies rund zwanzig Antworten und Kommentare unterschiedlicher Länge zu singen hat. Hier fin­den sich, namentlich in der Form von Märschen, zahlreiche Elemente der Militärmusik. Und endlich ist auch die deutlich hervorgehobene Beziehung zwischen Werk und Nation ein typisches Kennzeichen für die Nationaloper. Daneben neh­men indes in Nikola Subic Zrinjski auch die private Familien­tragödie Zrinjskis sowie die ergreifende Liebesgeschichte seiner Tochter Jelena und des Offiziers Juranic einen großen Platz ein. Wenngleich diese Handlungsstränge nicht im Zen­trum der Ereignisse stehen – den Brennpunkt des Geschehens bildet natürlich der epische Lärm der Waffen -, so offenbart Zajc doch gerade in den Duetten und Arien des dritten Aktes die ganze Schönheit seines lyrischen Künstlertums und me­lodramatischen Talentes, dank derer ihm hier eindrucksvolle Kontraste zu den heroischen Teilen des Werkes gelungen sind.

So erzeugt Zajc (unterstützt von seinem Librettisten) im Wirrwarr des Krieges und dem verstörenden Klirren der Waffen musikalische Oasen, deren idyllische oder elegische Stimmungen sich als suggestive, dramaturgisch gerundete Einheiten darstellen. Dementsprechend stehen die intimen Tragödien und Schicksale der Einzelpersonen in einem mächtigen Kontrast zu den Massenszenen, worin die Ensem­bles die Rolle der vox populi spielen und die Vertreter einer kollektiven Identität darstellen.

Ivan Zajc: „Nikola Subic Zrinski“/ Szene aus der Aufführung in Rijeka/ Foto Novkovic

Die gesamte Oper enthält eine Reihe melodischer Arien und feiner Orchesterwirkungen (die kammermusikalischen Klänge der lyrischen Szenen begegnen den Tutti der drama­tischen Auftritte (…).

Es muss indes gesagt werden, daß das musikalische Idiom der Oper Nikola Subic Zrinjski in harmonischer oder kompositionstechnischer Hinsicht gegenüber der damaligen Opernpraxis nichts Neues zu bieten hat. Gleichwohl drückt die Synthese, die Ivan Zajc aus Elementen der italienischen Oper und der Wiener Operette sowie einigen Charakteristi­ka der slawischen Musik im Feuer seiner Inspiration »ge­schmiedet« hat, dem Werk einen ganz und gar originellen Stempel auf. (…)  Ivan Zajc konnte nirgends die formale oder psychologische Monumentalität und Bühnen­wirksamkeit erreichen, die die große Oper á la Meyerbeer auszeichnet – und er hat es auch nicht versucht.

Die in der vorliegenden Aufnahme leider nicht enthaltenen Ballett- Nummern vom Anfang des zweiten Aktes waren die ersten in der Geschichte des Kroatischen Nationaltheaters. Sie bil­den einen eigenen kulturellen Wert und nehmen in der Ge­schichte der kroatischen Tanzkunst einen besonderen Platz ein, denn sie markieren die Geburtsstunde des Kroatischen Nationalballetts.

Nikola Subic Zrinjski spielt in der Operngeschichte Kro­atiens eine ganz besondere Rolle: Sie ist die meistgespielte Oper in der Geschichte des Kroatischen Nationaltheaters Za­greb und hat neben Jakov Gotovacs Ero der Schelm von allen Opern kroatischer Komponisten die meisten Aufführung im In- und Ausland erlebt. Die prägnanten, leicht einprägsamen Melodien und die strenge archetypische Kraft ihrer Chöre, unter denen vor allem die schon 1866 entstandene Nummer „U bojl U bojl“ (»Zum Kampf! Zum Kampf!«) hervorzuheben ist, haben die Oper Nikola Subic Zrinjski auch außerhalb ihrer Heimat bekannt gemacht. (…). Davor Merkas

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Und nun Besprechung von Rolf Fath: Ein leichter fast elegant tändelnder Ton herrscht am Hof des Sultans in Belgrad, dem sein Leibarzt Levi noch zehn Lebensjahre prophezeit werden, worauf er von wütender Kriegslust gepackt wird. Nach Wien will er ziehen und unterwegs die von dem gefürchteten Kommandeur Zrinjski gehaltene Festung Szigetvár einnehmen. Zajc versteht sein Handwerk. Im geschmeidigen Plauderklang der Gespräche und Rezitative, die sich zu kurzen, hübschen Duetten und Rundgesängen verdichten, in denen er das Tempo strettahaft anzieht, beweist sich der Routinier, der sich als 30jähriger in seinen Wiener Jahren ab 1862 mit rund zwei Dutzend Operetten einer gewisse Reputation erwarb. Zugleich fehlt Zajcs leicht fasslicher Musik, in der sich auch die Erfahrungen seiner Mailänder Jahre spiegeln, als er zwischen 1850 und 1855 u.a. bei Lauro Rossi Unterricht hatte, der letzte Schwung und ein eigener, prägnanter, vielleicht kroatischer Ton, wie nun auch dieser Mitschnitt aus dem nach ihm benannten Opernhaus seiner Geburtsstadt Rijeka beweist. Auf die Ballette zu Beginn des zweiten Aktes, die als Keimzelle einer eigenständigen kroatischen Nationalballetts gelten, wurde in dieser auf den Originalpartituren basierenden Einspielung leider verzichtet. Es ist viel von Ruhm und Ehre und von kroatischem Heldentum die Rede, die bis zum bitteren Ende verteidigt werden, als der kroatische Befehlshaber Nikola Šubić Zrinjski und seine Frau mit einem inbrünstig patriotischen Zweigesang auf den Lippen Abschied von der Burg nehmen und die Soldaten und Offiziere in der Gewissheit ihres Untergangs für das Vaterland in ihre letzte Schlacht ziehen.

Ivan Zajc Nikola Subic Zrinski Szene aus der Aufführung in Rijeka 2018 Foto Novkovic

Die Marschchöre, die rund ein Drittel der 31 Nummern ausmachen, geben den Herren des Rijeka Opera Choir viel zu tun. Die einprägsamen Unisononummern kehren mehrfach wieder und haben eine mitreißende Färbung, ohne eine ähnliche dramatische Wucht wie beim jungen Verdi zu entfalten. Überhaupt fehlt  Nikola Šubić Zrinjski, auffallend für ein 1876 uraufgeführtes Werk aus der Hand eines derart mit dem internationalen Opernschaffen vertrauten Komponisten, ein dramatischer Bogen, zerfallen die drei am Hofe Suleimans und auf der Festung Szigetvár spielenden Akte in Waffenrasseln, Patriotismus und eine Liebesgeschichte zwischen Zrinjskis Tochter Jelena und dem Offizier Juranić, der seiner Geliebte im unterirdischen Gewölbe der Festung auf ihren Wunsch hin lieber den Todesstoß versetzt als sie in Feindeshand fallen zu lassen – eine Szene wie aus einer Seria Rossinis – und dann fahnenschwingend die Kroaten gegen Türken anführt. Die gesanglichen Anforderungen sind mit Rücksicht auf die Möglichkeiten des damaligen Zagreber Ensembles wenig exzessiv. In der Nachfolge eines Nabucco wäre der Titelheld einzuordnen, den Robert Kolar mit lyrisch feinem Bariton, viel Nuancen und Gefühl und durchaus italienischer Schulung singt, etwa in den ruhigen Linien seines Gebets am Ende des ersten Aktes, der Arie im zweiten Akt mit der Erkenntnis seiner Niederlage und im erlesenen Duett mit seiner Gattin Eva im dritten Akt, das zum emotionalen Höhepunkt der Partitur gehört. Hier zeigt Kristina Kolar als Eva einen zupackenden, strapazierfähigen Sopran. Kristina Knego hat für die Tochter Jelena einen hübschen, hell eleganten Sopran, mit dem sie kleine Koloraturen einstreuen kann und in ihren zwei großen Szenen, der Romanze im ersten und der Traumerzählung im dritten Akt, in welche die Feen des Frauenchors recht martialisch einbrechen, gewinnt. Aljaž Farasin ist als Juranić ein ausreichend feuriger wie sentimentaler Liebhaber. Als Suleiman führt Luka Ortar einen bemerkenswert unattraktiven Bass ins Gefecht. Mit seinem apart gepressten Tenor ist Giorgio Surian junior nicht unrecht als der nach Suleimans Tod nach der Macht greifende Mehmed, und Dario Bercich verleiht dem Leibarzt Levi mit seinem lyrischen Bariton Gewicht. Rijekas finnischer GMD Ville Matvejeff hat sich merklich vom Patriotismus dieser Heldengeschichte anstecken lassen und dirigiert den Dreiakter, der hier 115 Minuten dauert, mit Verve. Rolf Fath

Ivan Zajc Nikola Subic Zrinski Szene aus der Aufführung in Rijeka 2018 Foto Novkovic

Und zum Komponisten selbst: Johann/Giovanni von Zaytz wurde 1832 im damaligen italienischen Ort Fiume an der Adria, heute Rijeka, geboren. Italiens Anspruch erstreckte sich bis nach lstrien und zum ostseitigen Adria-Ufer. Wodurch auch die Pflege istrischer Komponisten wie Smareglia heute noch am Teatro Verdi von Triest erklärbar ist. Die Adria gehörte ja lange zur Seerepublik Venedig. Ein gutes Beispiel für diese Zwei-Länder-Verhaftung ist da auch Franz von Suppé: Wenn Suppé nicht in Wien war, zeichnete er auf Musikprogrammen meist mit seinem echten italienischen Namen Francesco Demelli, später auch Francesco Suppé-Demelli. Die Familie Demelli-Suppé stammte ursprünglich aus Cremona (die Großeltern). Suppé war gebürtiger Kroate – er wurde in Split geboren.

Zajcs Karriere beschreibt exemplarisch ebenso das musikalische wie politische Geschehen seiner Zeit. Er studierte in Mailand (1850 – 55) bei Stefano Ronchetti-Montivi, Alberto Mazzucato und vor allem bei Lauro Rossi (dessen Domino nero ebenfalls zuletzt in Jesi aufgeführt wurde und bei Bongiovanni als CD vorliegt). Wie viele seiner Komponisten-Kollegen aus nicht-italienischen Ländern sah auch Zajc in einem Studium am Mailänder Konservatorium die große und einzige Möglichkeit, in der damaligen Musikszene seiner Zeit zu reüssieren. Seine erste Oper La Tirolese gewann 1855 an der Musikhochschule von Mailand den ersten Preis.

Das Ivan-Zajc-Theater auf dem gleichnamigen Platz in Rijeka/ Wikipedia

Bemerkenswerterweise ging er danach sofort zurück an die Oper (Teatro Civico) seines Geburtsortes, wo er 1860 seine außerordentlich interessante Oper Amelia nach dem Drama Schillers herausbrachte (youtube/ dazu auch ein Artikel hier in operalounge.de). Romilda da Messina, ebenfalls nach Schiller, von 1862 blieb nur ein Projekt, ebenfalls I Fu­nerali del Carnaval 1862 und La Festa del Ballo 1863. Von 1855 bis 1862 blieb er in Fiume, dann wechselte er nach Wien – die Alternative zu Mailand und das Mekka der Operette, die er nun in großer Anzahl und mit Erfolg herstellte. In diese Jahre fällt Tagesware wie Mannschaft an BordFitzliputzi, Ein Rendezvous in der Schweiz, Meister Puff und vieles mehr – alle deutlich im Strauß/Lanner-ldiom und der populären Unterhaltung an den verschiedenen Theatern verpflichtet. Sogar eine Sonnambula nach dem Libretto von B. Young von 1868 gibt es. 1870 schrieb er nicht nur den Raub der Sabinerinnen für das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater zu Berlin, sondern zog wieder zurück in die Heimat, diesmal in das damalige Agram, heute Zagreb, wo er zum Leiter und Generaldirektor der ersten festen „Croatischen Nationaloper “ (1870 – 1908) ernannt wurde, säbelrüttelnde Nationalopern (vor allem Nikola Subic Zrinski aber auch Mislav und Ban Leget, vorher noch I montanari (alle bei youtube als Live-Aufnahmen) gegen die ehemaligen K.& k.- Landesherren schrieb und durch diese am nationalen Selbstbewusstsein seines Landes mitwirkte. Zajc´s Oper Lisinka (youtube) fällt in die  letzte Phase im Schaffen und Leben des Komponisten, der in Zagreb 1914 hochgeehrt starb. Sein Andenken ehrt auch die heute in lvan-Zajc-Theater umbenannte Oper in Rijeka, seiner Geburtsstadt Fiume, woher die neue cpo-Aufnahme von 2018 stammt und deren Produktion bei operavision zu sehen war: schöne bunte Bilder im gewohnten Stil.

Ivan Zajc: „Nikola Subic Zrinski“/ Szene aus der Aufführung in Rijeka 2018/ Foto Novkovic

Zajcs Leben liest sich für uns westliche und Nachkriegs-Europäer so unverfänglich, steht aber für  eine bedeutende nationale Entwicklung und für politische Umwälzungen, denn die Loslösung von Italien (so Fiume/Rijeka), von Österreich-Ungarn und die Rückbesinnung auf einen eigenen Staat Kroatisch-Slawonien (Militärgrenze bis 1881) brachten auch ein erhöhtes Nationalbewusstsein und ein vermehrtes Bedürfnis nach Stärkung der eigenen Kultur mit sich, wie dies in vielen Ländern Osteuropas und der Fall war. Smetana oder Dvorák stehen musikalisch-politisch in Tschechien dafür. Noch 1809 – 1814 hatte Kroatien zu den Illyrischen Provinzen Napoleons gehört, danach wurden die beiden Teile wie Nebenländer der ungarischen Krone behandelt. In den Revolutionsjahren 1848/49 kämpften die Kroaten auf kaiserlicher Seite unter Banus Jelacic gegen die Ungarn. Daraufhin wurden Kroatien und Slawonien ein einziges österreichisches Kronland, jedoch 1867 wieder mit Ungarn (nun unter österreichischem Zepter) vereinigt. Die Sonderstellung legte der ungarisch-kroatische Ausgleich 1867 fest. Im 1. Weltkrieg schlossen sich die Kroaten den Bestrebungen zur Schaffung eines südslawischen Na­tionalstaates an (1918), doch traten sie bald entschieden in heftige Gegnerschaft zur aggressiven zentralistischen Politik Jugoslawiens. 1941 – 45 entstand der von den Achsen­mächten gestützte Staat Kroatien, 1946 wurden daraus Kroatien, Dalmatien und Slawonien, die gingen in die Volksrepublik der Bundesstaaten Jugoslawien über. Heute ist Kroatien wieder und endlich eigener Staat mit den beiden Opernzentren Zagreb und Rijeka. Geerd Heinsen

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(Ivan Zajc:  Nikola Subic Zrinjski mit Aljaz Farasin/ Lovro Juranic, Robert Kolar/ Nicola Subic Zriunski, Kristina Kolar/ seine Frau Eva, Anamarija Knego/ deren Tochter Jelena u. a., Rijeka Opera Choir, Rijeka Symphony Orchestra, Ville Matvejeff; 2 CPO mit zweisprachigem Libretto und Anmerkungen,  9729878; eine Rezension folgt. Weitere Information zu den CDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei  https://www.jpc.de/jpcng/classic/home)

Ivan Zajc: „Nikola Subic Zrinski“/ Szene aus der Aufführung in Rijeka 2018/ Foto Novkovic

(Bild oben: der historische Miklos V. Subic Srinski/ Wikipedia. Dank an cpo und den Autor für die Übernahme einiger längerer Textpassagen aus dem Beiheft zur neuen Aufnahme; das Foto oben/ Novkovic zeigt eine Szene aus der Aufführung der Oper in Rijeka 2018/ Ivan-Zajc-Theater Rijeka; Weitere Information zu den CDs   im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei  https://www.jpc.de/jpcng/classic/home)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Herrschergunst aus Mannheim

 

Nur 38 Lebensjahre waren dem 1732 in Neapel geborenen Komponisten Gian Francesco de Majo vergönnt – 1770 erlag er in seiner Geburtsstadt einem Lungenleiden. Neben Gluck, Traetta und Johann Christian Bach zählt er zu den Reformkomponisten, die die opera seria von der Willkür der Sängerstars zugunsten einer Aufwertung der dramatischen Ereignisse befreien wollten. Nach der Uraufführung seiner ersten Oper 1759 in Rom reiste de Majo durch Italien sowie nach Wien und Mannheim. In der deutschen Musikmetropole hatte er 1764 eine Ifigenia in Tauride komponiert und von dort erhielt er zwei Jahre später mit Alessandro nell`Indie erneut einen Opernauftrag. Das Libretto von Metastasio über Alexander den Großen, der dem besiegten indischen König Porus sein Reich zurückgibt und damit seine herrscherliche Großmut beweist, wurde vor de Majo bereits über vierzig Mal vertont (erstmals 1729), darunter von Händel. Hasse, Gluck, Jommelli und Traetta.

Nach der Uraufführung am 4. November 1766 geriet de Majos Version bald in Vergessenheit und ist auch nicht vollständig überliefert. Beispielsweise fehlen die Ouvertüre und sämtliche secco-Rezitative. Bei der im September 2008 und Mai 2009 im Nationaltheater Mannheim entstandenen Einspielung, die im Rahmen des Projektes Mannheimer Hofoper stattfand, gibt es ganze drei accompagnato-Rezitative. Die Lücke der Ouvertüre hat der Dirigent Tito Ceccherini mit der zu de Majos Adriano in Siria gefüllt. Mit dem Nationaltheaterorchester Mannheim fächert er die Musik in ihrer Vielfalt differenziert und spannungsvoll auf. Schon das muntere Spiel in der Ouvertüre gefällt, und auch bei den Instrumentalnummern – einer majestätischen Marcia im 1. und der martialischen Sinfonia d’istromenti militari im 2. Akt – imponiert die beherzte Attacke des Musizierens. Im Vergleich zur Ifigenia besitzt die Komposition  allerdings nicht jenes radikale Reformbestreben, wirkt konventioneller und ist voller hochvirtuoser Arien, was der Besetzung mit den beiden Mannheimer Primadonnen Dorothea und Elisabeth Wendling geschuldet war. (Mozart schrieb später für sie die Rollen der Ilia und Elettra in seinem Idomeneo.)

Die Besetzung der Aufnahme (von 2008), die Coviello auf zwei CDs und mit einem informativen Booklet herausgebracht hat (COV 20911), rekrutiert sich aus Ensemblemitgliedern des Nationaltheaters Mannheim und ist auf solidem Niveau. Die Titelrolle nimmt Lars Møller wahr, dessen weicher Bariton die Milde des Regenten trefflich wiedergibt. Von schmeichelnder Wirkung ist seine Auftrittsarie „Vil trofeo“ in ihrem wiegenden Melos. Deren ausgedehnte Koloraturläufe absolviert der Sänger mit schöner Leichtigkeit. Auch Alessandros Arie im 2. Akt, „Se è ver“, kommt in ihrer Sanftmut dem stimmlichen Charakter des Interpreten sehr entgegen. Einzig „Serbati a grand’imprese“ im 3. Akt ist von heroischem Anstrich und empfängt vom Bariton auch den gebührenden Aplomb.

Poro ist en travestie mit der französischen Mezzosopranistin Marie-Belle Sandis besetzt. Ihre Stimme tönt streng, vermag aber die Koloraturgirlanden im energischen Auftritt, „Vedrai con tuo periglio“, mühelos zu formen. Mit „Senza procelle ancora“, einer Gleichnisarie vom Steuermann im Sturm, eröffnet Poro den 2. Akt. Von Naturgewalten ist in der eher kontemplativen Musik freilich nichts zu vernehmen. Hörnerklang leitet die Arie „Destrier“ ein, welche Sandis forsch angeht, aber auch hier herb, zuweilen gar heulend klingt. Äußersten Erregungszustand des Königs spiegelt die furiose Arie „Trafiggerò“ im 3. Akt wider, was die Interpretin plastisch einfängt,  allerdings einige schrille Töne nicht vermeiden kann.

Mit Poros Geliebter, Königin Cleofide, – auch sie eine populäre Figur im Opernkosmos – hat die Sopranistin Cornelia Ptassek eine der Primadonnenpartien zu bewältigen. Ihre Arien sind in der Mehrheit von lyrischer Empfindung, Mozarts Konstanze verwandt, und man wünschte sich dafür eine Stimme mit größerer Noblesse. Schon in der ersten Arie, „Se mai turbo“, klingt sie larmoyant. Den gleichen Wortlaut hat ihr nachfolgendes Duett mit Poro, welches nach getragenem Beginn in einen stürmischen Schluss mündet und den 1. Akt beendet. Auch die Arie im 2. Akt, „Digli  ch’io son fedele“, grenzt an die Wehleidigkeit. Am überzeugendsten ist das von erregten Figuren der Streicher eingeleitete  „Se il ciel“, das bis in  die Extremhöhe geführt wird.

Die andere Virtuosa ist Poros Schwester Erissena, mit der die Sopranistin Iris Kupke gute Figur macht. Die helle, leichte Stimme ist gebührend flexibel für das Zierwerk, treffsicher und brillant in den staccati und beherzt im Ausdruck. Ihr furchtloser Gesang nimmt sehr für sich ein, trotz der mitunter angespannten und grellen exponierten Höhe. Und im 3. Akt kann sie bei „Son confusa“ auch mit Tönen von inniger Lyrik aufwarten.

Zwei weitere, en travestie besetzte Partien sind Gandarte, General von Poros Armee, und Timagene, Alessandros Vertrauter und insgeheim sein Feind, womit das Ensemble komplett ist. Gandarte tritt erst gegen Ende des 2. Aktes auf. Seine beiden Soli sind von wehmütiger Stimmung, was Katharina Göres/Sopran überzeugend einfängt. Von lieblich-pastoraler Anmutung ist dagegen Timagenes „O sugl’estivi ardori“, wofür Gundula Schneiders Mezzosopran im Klang zu anonym bleibt. Zu nennen ist noch der Herrenchor des Nationaltheaters Mannheim (Einstudierung: Tilman Michael), der in den Auftritten der Bacchus-Priester für Wirkung sorgt. Bernd Hoppe

Nicolas Joel

 

Am 19. Juni 2020 starb der große französische Regisseur Nicolas Joel, von 1990 bis 2009 auch Intendant der Opéra de Toulouse, ein Verlust auch für die internationale Opernszene. Nachstehend bringen wir den Nachruf seines Stammhauses. G. H.

 

C’est avec beaucoup de tristesse que les équipes du Théâtre du Capitole viennent d’apprendre le décès de leur ancien directeur artistique : Nicolas Joel.  Née a Paris, Nicolas Joel commence sa carrière à l’opéra dès 1973, date à laquelle il est engagé comme assistant metteur en scène à l’Opéra national du Rhin (Strasbourg). Il y travaille aux côtés de Jean-Pierre Ponnelle, qui le marque durablement. Il devient ensuite l’assistant de Patrice Chéreau pour le Ring du centenaire à Bayreuth. Sa carrière de metteur en scène explose au début des années 1980 : de Vienne à New York en passant par San Francisco, Chicago, Londres, Zurich, Milan, Madrid, Buenos Aires, il met en scène les plus grands artistes : Luciano Pavarotti, Plácido Domingo, Shirley Verrett, José Van Dam…

En 1990, il devient directeur artistique du Théâtre du Capitole, faisant de Toulouse l’un des grands centres lyriques internationaux. Durant presque vingt ans (1990-2009), il invitera en effet à Toulouse les plus grands noms du chant, de la direction d’orchestre et de la mise en scène, donnant leurs premiers grands rôles à de jeunes stars alors inconnues du grand public : Roberto Alagna, Marcello Alvarez, Leontina Vaduva, Inva Mula, Sophie Koch, Ludovic Tézier, Ricarda Merbeth, Karine Deshayes, Anne-Catherine Gillet… Très attaché à l’artisanat du spectacle, il fait régulièrement appel à des décorateurs, scénographes et costumiers aussi prestigieux qu’Hubert Monloup, Ezio Frigerio, Franca Squarciapino, Vinicio Cheli, Pet Halmen… Il donne aussi une nouvelle impulsion au Ballet du Capitole en nommant Nanette Glushak, proche de George Balanchine, à sa direction. C’est lui qui lancera à la fin des années 1990 les campagnes de travaux qui permettront au Théâtre du Capitole de bénéficier des dernières innovations techniques et de retrouver un somptueux écrin (Antoine Fontaine/Richard Peduzzi) à l’acoustique exceptionnelle.

Victime d’un accident vasculaire cérébral en 2008, il prend toutefois les rênes de l’Opéra national de Paris l’année suivante, y nommant comme directeur musical Philippe Jordan. S’appuyant sur un socle d’œuvres populaires, il fait entrer au répertoire de la « grande boutique » des ouvrages longtemps délaissés par ses prédécesseurs, du vérisme italien (Francesca da Rimini de Zandonai par exemple) à Mathis der Maler de Paul Hindemith, et proposant un nouveau Ring (une somme jamais redonnée dans son intégralité depuis 1957 sur la scène de l’Opéra de Paris) avec le tandem Jordan-Krämer.

Depuis 2014, il se consacrait de nouveau à sa passion première : la mise en scène, reprenant de par le monde ses plus grands succès (Samson et Dalila, La Rondine , Werther, Aida, Faust, La Walkyrie, etc.). Avec lui, s’éteint l’un des derniers monstres sacrés du monde lyrique.

Nos pensées vont à sa famille, ses proches et tous ceux qui auront eu la chance de pouvoir travailler à ses côtés. Opéra de Toulouse

„Grand homme de scène, érudit et passionné, Nicolas Joel est l’une des figures marquantes de la vie lyrique des dernières décennies. De grands chanteurs d’aujourd’hui lui doivent leurs premiers triomphes. Il a marqué à la fois le Théâtre du Capitole et l’Opéra national de Paris. Nous poursuivrons son combat pour le glorieux artisanat du théâtre, la passion et le respect des œuvres et des créateurs, le goût forcené de la beauté.“ Christophe Ghristi – Directeur artistique du Théâtre du Capitole (Foto Opéra de Toulouse)

 

 

Historisch, wenngleich verdienstvoll

 

Auch heute, drei Jahrzehnte nach seinem Ableben, ist Leonard Bernstein trotz seiner unbestreitbaren kompositorischen Fähigkeiten primär als Dirigent in Erinnerung geblieben. Seine Welterfolge als Komponist feierte er vor allem mit Candide (1956) und West Side Story (1957). Mit seiner Mass legte er 1971 sein vielleicht kontroversestes Werk überhaupt vor. Mit vollem Titel als MASS: A Theatre Piece for Singers, Players, and Dancers bezeichnet, erfolgte der Kompositionsauftrag durch die US-amerikanische Präsidentenwitwe Jacqueline Kennedy. Dargestellt wird ein Gottesdienst, bei welchem einiges durcheinander gerät. Der Zelebrant – die vokale Hauptrolle – feiert zusammen mit seiner Gemeinde, den sogenannten Street People, eine katholische Messe. Lebens- und Glaubenskrisen des Geistlichen sowie der Gemeindemitglieder sorgen für Unterbrechungen. Stilistisch ist ein Großteil der Musik des 20. Jahrhunderts abgedeckt, vom Jazz und Blues über den Rock und den Broadwaystil bis hin zum Expressionismus und zur Atonalität.

 2018, im Jahre, in welchem Bernstein seinen 100. Geburtstag hätte begehen können, wurde die nun bei Capriccio vorgelegte Neuaufnahme des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien unter Dennis Russell Davies eingespielt (Capriccio C5370). Mit Vojtěch Dyk in der Rolle des Zelebranten setzte man auf einen vor allem im Popbereich tätigen jungen tschechischen Sängerschauspieler. In Leonard Bernsteins eigener legendärer Weltersteinspielung von 1971 (CBS) übernahm der damals noch blutjunge Bariton Alan Titus diesen Part; später sollte er gerade als Wagner-Sänger eine große Karriere machen, die ihn bis nach Bayreuth führte. Bernstein-Schülerin Marin Alsop setzte in ihrer Aufnahme von 2008 den ebenfalls primär in der populären Musik beheimateten Bariton Jubilant Sykes ein (Naxos). Dieses Vorgehen hat also durchaus Vorbilder, mag aber nicht unbedingt den Intentionen des Komponisten entsprechen. Unter klanglichen Aspekten ist die Neueinspielung dann tatsächlich ganz vorne anzusiedeln, obwohl selbst die bald 50 Jahre alte Bernstein-Aufnahme für ihr Alter noch immer erstaunlich gut herüberkommt. Die hysterische Intensität von damals wird heute nicht mehr erreicht, was vielleicht auch gar nicht mehr möglich ist, fehlen doch die damaligen Zeitumstände, die dieses Werk in der vorliegenden Form überhaupt erst hervorbrachten. Das Wiener ORF-Orchester schlägt sich wahrlich wacker und versucht sich an einem idiomatisch-amerikanischen Klang, angespornt vom aus Ohio stammenden US-Dirigenten. Neben der Wiener Singakademie kommen Schülerinnen und Schüler der Opernschule der Wiener Staatsoper sowie die Company of Music als Street Chorus zum Einsatz. Im direkten Vergleich sind dann indes Bernstein und auch Alsop wohl doch vorzuziehen, obwohl sich bei der Neuproduktion keine gravierende Schwachstelle ausmachen lässt. Dies mag am Ende dann auch an den durchgängig amerikanischen Beteiligten in den älteren Aufnahmen liegen. Als „europäisierte“ Alternative ist die Capriccio-Einspielung aller Ehren wert und bereichert die Bernstein-Diskographie um eine weitere Facette. Daniel Hauser

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

„O squallido, o esangue“

 

Wer eine Opernaufführung besuchen will, für deren Regie, Szene und Lichtregie Robert Wilson verantwortlich ist, sollte sich darauf gefasst machen, Bilder von atemberaubender Schönheit zu sehen, umso mehr, wenn  die Kostüme von Jacques Reynaud stammen, aber er sollte auch eine Optik ertragen können, die absolut nichts mit der Musik, mit der Handlung und mit den Bedürfnissen von Sängern zu tun hat. So geschehen im Dezember 2018 in Madrid in einer Produktion, die auch für Kanada und Litauen, außerdem für Paris bestimmt war oder ist.

Eigentlich ist Puccinis Turandot noch am ehesten für eine Wilson-Regie geeignet wegen der Starrheit der Gesellschaft, die in dem ursprünglich von Gozzi stammenden Stück portraitiert wird. Der die Hinrichtung des persischen Prinzen verkündende Mandarin, die drei Maschere Ping, Pang und Pong, der alte Kaiser Altoum und seine Tochter Turandot, ihnen allen steht die in abgezirkelten Bewegungen, in einem weiß geschminkten Gesicht mit kleinem Mund und emporgezogenen Augenbrauen ewigen Erstauntseins bestehende Optik nicht schlecht an, aber anders ist es, wenn auch der heiß in Liebe entbrannte Kalaf, die sich für ihn opfernde Liù und der um sie trauernde Timur nicht über Verkehrspolizistenbewegungen hinauskommen, Liù stirbt, indem sie den Kopf zur Seite neigt, keine der Personen eine andere auch nur ansatzweise berührt- und Turandot am Schluss allein mit dem Chor auf  der Bühne steht, Kalaf wohl verschütt ging und nur ein weißer Strich, vom Bühnenhimmel kommend, sich auf sie herniedersenkt. Das ist einfach nur geschmäcklerisch und sängerfeindlich dazu, denn man sieht immer wieder, wie es die Solisten zu Bewegungen treibt, die nur mühsam unterdrückt  werden. Bei einem derart einseitig auf den ästhetischen Eindruck setzenden Konzept wirken dann nach Alter und Gewicht nicht dem Idealbild entsprechende Sänger besonders peinlich. Was den menschlichen Mitwirkenden versagt bleibt, bietet der Hintergrund mit im ersten Akt ständig in Bewegung seienden Säulen im Übermaß. Wie zum Hohn gegenüber der sonstigen Starrheit zieht während des Mondchors ein Storch seine Himmelsbahn.

Dirigent Nicola Luisotti setzt mit dem Orchester des Teatro Real Madrid alles daran, akustisch auszugleichen, was durch die starre Optik verloren ging. Auch der Chor des Opernhauses und der Jorcam Children Chorus singen klangschön und voller Hingabe. Viel zu tun haben die drei Minister mit Dauerhopsen, -augenklimpern, -kopfwackeln und –grimassenschneiden, das die Kamera auch dann gern zeigt, wenn die anderen Solisten singen. Joan Martin-Royo, Vicenç Esteve und Juan Antonio Sanabria verausgaben sich schauspielernd und lassen es sängerisch an Prägnanz fehlen. Dumpf klingt der Mandarin von Gerardo Bullón, keinen Altmänner-, sondern einen gestandenen Charaktertenor lässt Raúl Gimenez, einst hervorragender Rossinisänger, hören. Nicht die extreme Pianissimoraffinesse wie manche ihrer Kolleginnen, aber eine solide lyrische Sopranstimme, die vor allem in ihrer zweiten Arie ruhige Innigkeit ausstrahlt, setzt Yolanda Auyanet für die Liù ein. Mit konstant guten Leistungen wartet unerschütterlich Gregory Kunde mit höhensicherem, wenn auch nicht unbedingt italienisch klingendem Tenor als Kalaf auf. Etwas wattig klingt der Bass von Andrea Mastroni, der den Timur singt. Eine unerschütterliche Turandot ist Auch-Wagnersängerin Irene Theorin, die im ersten Akt auf schwindelerregendem Fünfmeterbrett auf die Bühne geschoben wird und deren Gesicht zu einem Porzellankopf geschminkt wurde, aus dem nie scharfe, glasklare und dem Lyrischen zugeneigte Töne dringen. Auch die Mittellage trotzt den Schwierigkeiten der Partie, und die Stimme kann sich mühelos über die Chormassen schwingen (BelAir BAC 570/ weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Ingrid Wanja