Eine erstaunliche Entwicklung hat die polnische Sopranistin Aleksandra Kurzak genommen. Nach Partien des lyrischen Koloratursoprans zeigt ihre neue CD bei SONY, aufgenommen im April 2019 in Wien, die Hinwendung zum dramatischen Sopran und sogar Ausflüge in das Fach des Verismo. Desire nennt sich das Porträt (19075883262), aber nicht alle darauf versammelten Partien sind noch Sehnsuchtsobjekte der Sängerin, denn einige von ihnen hat sie bereits auf großen internationalen Bühnen verkörpert – wie die Micaëla in Bizets Carmen in Paris und an der Met. Deren Arie „Je dis“, gesungen mit tiefer Empfindung und leuchtender Stimme, ist der einzige französische Beitrag auf dem Album, das mit seinen fünf Sprachen auch die stilistische Vielseitigkeit der Interpretin beweist. Für die im Original französische Arie der Hélène aus Verdis Les Vêpres siciliennes hat sie die italienische Fassung gewählt, singt also Elenas Siciliana „Mercé, dilette amiche“ – mit Verve und koloraturgewandt. Ebenso wie die beiden anderen Verdi-Heroinen auf der CD – die Elvira aus Ernani und die Trovatore-Leonora – gehört sie noch nicht zu Kurzaks Repertoire. Elviras „Ernani, Ernani involami“ wie Leonoras „D’amor sull’ali rosee“ sind Herausforderungen für einen dramatischen Koloratursopran mit virtuosem Vermögen. Kurzak stellt sich diesen mit beachtlichen Ergebnissen, obwohl man sich für beide Partien einen dunkler getönten Sopran wünschte.
Von Puccini finden sich mit Tosca, Cio-Cio-San und Liù gleichfalls drei Rollen in der Anthologie. Letztere hat sie in London und Wien vorgestellt, die Arie aus dem 1. Akt, „Signore, ascolta!“, berührt ungemein mit ihren schmerzlichen Tönen und ist gesangstechnisch vollkommen. Auch bei der Titelrolle in Madama Butterfly hat sie durch einen Auftritt in Warschau Erfahrungen gesammelt, was die berühmte Arie „Un bel dì“ in ihrem starken Gefühlsspektrum zeigt. Tosca steht auf dem Terminkalender der Sängerin und mit dem einfühlsamen „Vissi d’arte“ gibt sie einen viel versprechenden Vorgeschmack auf das Debüt. Das italienische Repertoire wird ergänzt durch Adriana Lecouvreurs „Io son l’umile ancella“, das die CD mit sinnlichen Tönen eröffnet, und Neddas „Stridono lassù“ aus den Pagliacci. Während sie die Titelrolle in Cileas Oper für die Zukunft plant, hat sie die Figur in Leoncavallos Tragödie vielerorts gesungen – nach dem Rollendebüt in Zürich an der Met, in Berlin Barcelona und London. Diese Erfahrungen sind bereits in der prägnanten Formulierung des Rezitativs hörbar, und auch die Arie lebt durch den passionierten Einsatz der Interpretin. Nur im hohen Schlusston ist eine leichte Schwankung zu hören.
Verdienstvoll ist der Einsatz der Sopranistin für das slawische Repertoire. In nicht weniger als drei Sprachen stellt sie Frauengestalten aus dem musikalischen Kosmos Tschechiens, Polens und Russlands vor. Während Rusalkas inniges„Lied an den Mond“ aus Dvoráks Oper und Tatjanas leidenschaftliche Briefszene aus Tschaikowskis Eugen Onegin sogar Wunschkonzert-Schlager sind, ist Halkas „O moj malenki“ aus Moniuszkos polnischer Nationaloper selten zu hören. Wie die beiden anderen Partien bringt sie die slawische Seele der Sängerin zum Klingen, ist aber von dramatischerem Zuschnitt. Die Arie zählt zu den Höhepunkten des gelungenen Programms.
Vielseitigkeit beweist auch das Morphing Chamber Orchestra, Vienna, das die Solistin unter Leitung von Frédéric Chaslin begleitet und sich in den unterschiedlichen musikalischen Idiomen kompetent behauptet. Bernd Hoppe