Archiv für den Monat: Mai 2022

Sigmund Romberg

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Eingefleischten Fans von Helen Traubel und auch solchen des Musicals brauche ich nicht mit dem obigen Begriff „hootsie-tootsie“ (wie immer man das schreibt) zu kommen – die wissen, dass es aus dem wunderbaren Hollywood-Film Deep in my heartentnommen ist: eine sehr freie filmische Biographie des Komponisten mit einer absolut Star-studded-Besetzung von Merle Oberon bis zu José Ferrer (ehemals als VHS und nun als US-Import bei Amazon & Co.), La Traubel in einer ihrer besten und komischsten Rollen nicht ausgenommen. Sie betritt den Raum und hört Ferrer/Romberg am Klavier klimpern: „I like it Sigmund!, Can you play it? Is it hootsie-tootsie? Can we dance it?“ Und das tun die beiden auch mit Verve, die stämmige Traubel und der agile Ferrer Und der steppt auch noch. Was für eine Szene! Ein „Leg of mutton rag“ eben.

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Romberg: Sigmund Romberg/OBA

Sigmund Romberg/OBA

Und was für Musik! In die Beine und Ohren gehend, schmissig, einfach toll. Das beste aus Europa und Amerika vereinend, noch nicht Musical, aber nicht mehr Operette, eine Brücke zwischen beiden. Das gilt auch für die  in den USA erschienene DVD des Desert Song von 1943, die im nachstehenden Artikel von Kevin Clarke vom Operetta Research Center Amsterdam (ORCA) vorgestellt wird. Heißer Sand,  Sonne über der Wüste, laue Nacht, Mondschein, eine kitschige Liebesgeschichte à la Marocco/Sternheim und atemberaubende Farben von Technicolor, dazu einen gutgegelten Herzensbrecher vom Dienst und eine sexy Blondine (nicht zu vergessen der hinreißende Curt Bois). Man klebt förmlich am TV-Screen. Das Ganze ist in die Zeit von 1943 gehoben: Die gemeinen Pläne Nazi-Deutschlands werden von freiheitsliebenden Touregs unter Anführung eines entschlossenen Amerikaners und dem (zwar korrupten, aber sich auf seine demokratische Basis besinnenden) Franzosen durchkreuzt. Und bei der kleinsten Gelegenheit  gibts Solos, Duette und aufrüttelnde Chöre. Das ist Hollywood und das ist Musik, die in Erinnerung bleibt – Romberg eben.

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Romberg: "Tootsie-hootsie" mit Helen Traubel und José Ferrer/Youtube

Romberg: „Hootsie-tootsie“ mit Helen Traubel und José Ferrer/“Deep in my heart“/Youtube

Sigmund Romberg (29. Juli 1887 Nagykanizsa – 10. November 1957 New York) wurde in Ungarn geboren, in Wien ausgebildet, wo er am Theater an der Wien arbeitete. Bei Richard Heuberger lernte er die österreichische Operette. 1909 besuchte er die USA und bewarb sich um die Staatsbürgerschaft. Er tingelte herum, gründete sein eigenes Orchester und arbeitete 1914 im Theater der Shubert Brothers in New York als deren Hauskomponist und Arrangeur. 1915 schrieb er zur Verlängerung einer Eysler-Operette seinen ersten Hit („Auf Wiedersehn`n„). 1917 hatte er sich vorübergehend selbstständig gemacht und kam mit seiner Operette Maytime heraus (daraus erinnert man Will you remember me?“). Romberg lehnte sich gegen den Zwangsvertrag bei Shuberts auf, musste aber klein beigeben. Er instrumentierte und adaptierte Das Dreimäderlhaus auf Schuberts Leben (als Blossom Time“(der bekannte Song of Love ist auf Themen aus Schuberts Unvollendeter geschrieben). Die nächsten Jahre brachten einen Romberg-Hit nach dem anderen: 1924 The Student Prince (darausDeep in my heart„, „Drinking Song„, „Golden days und Serenade – die kein amerikanischer Tenor ausgelassen hat). 1926 folgte The Desert Song (daraus berühmt One alone„, „Riff song und Romance, echte Tränentreiber). 1927 Maryland (Mother, Silver moon), 1928 Rosalie für Florence Ziegfeld und Glamour-Star Marilyn Miller. 1928 The New Moon (Lover come back to me“, „Softly as in the morning sunrise und „Stouthearted men“).

Romberg: Szenen aus "Deep in my heart"/OBA

Romberg: Szenen aus „Deep in my heart“/OBA

Die Zeiten und der Geschmack änderten sich, Romberg konnte sein Erfolgsrezept der großen, streicherunterlegten Songszenen nicht anpassen, sein Erfolg begann zu schwinden. Er schrieb nun Musik oder Musikarrangements für Filme wie The night is still young (When I grow too old to dream). 1940 machte er mit einem eigenen Orchester eine große USA-Tournee. Sein letzter Hit am Broadway war Up in Central Park 1945, aber auch das war kein wirklicher Erfolg mehr.  Alles in allem schrieb Romberg Musik für rund 60 Shows, absolut unerreicht bis dahin und seitdem. Manche warfen ihm vor, sich an den Stücken anderer Kollegen zu bedienen (so Vincent Youman, der einen Prozess gegen ihn  anstrengen wollte). Gelegentlich scheint seine Musik routiniert, weniger originär im Vergleich zu Rudolf Friml zum Beispiel. Aber er schuf vor allem langlebige, eingängige Melodien, die sich bis heute gehalten haben und die ins das kollektive Bewusstsein eingegangen und von nahezu allen Pop-Sängern vorgetragen worden sind. Er war der Katalysator zwischen der europäischen und der amerikanischen Operette auf ihrem Weg zum Musical. G. H.

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PS.: Leider gibt´s diese DVD neu aus Rechtsgründen nur in den USA, aber findigen Fans wird das schon gelingen, und zumindest auf Amazon gibt´s den gewohnten Marktplatz … . Und es gibt auf jpc, Amazon & co. den „anderen“ DVD-Umschnitt mit Nelson Eddy, Gale Sherwood, sogar Salvatore Baccalonii unter Charles Sanford von 1955. Oder den mit der sehr bürgerlichen June Bronhill – Wüste in den englischen Downs. Nicht so toll wie hier links nebenan allerdings … G. H.

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Und nun Hootsie-tootsiges von Kevin Clarke: Sigmund Rombergs Nordafrika-Spektakel Das Wüstenlied „ist wohl das Beste aus der Gruppe der romantischen Operetten, die in den 1920er Jahren am Broadway so großen Erfolg hatten“, schreibt Kurt Gänzl in Musical Theatre on Record. Es wurde vielfach aufgenommen, weil jeder ernstzunehmende Hauptdarsteller in der musikalischen Komödie die Lieder von The Red Shadow singen wollte, und so mancher lüsterne Sopran wollte die für Margot geschriebenen Melodien zwitschern. Bei einer so populären Show ist es nicht verwunderlich, dass auch viele Filmversionen gedreht wurden, die erste 1929 in den Anfangsjahren des Tonfilms. Es folgten zwei weitere Kinofassungen: 1943 spielten Dennis Morgan und Irene Manning die romantische Hauptrolle, 1953 folgte die Technicolor-Extragvaganza mit Gordon MacRae und Kathryn Grayson in den Hauptrollen. (Nicht mitgezählt sind dabei die Fernsehfassungen, die ebenfalls existieren.)

Auch Mario Lanza ließ es sich nicht nehmen, die Musik einzuspielen …

„Aufgrund rechtlicher Probleme mit dem Drehbuch und den Musikrechten kann die Version von 1943, ebenso wie die Zweistreifen-Technicolor-Version von 1929, nicht im Fernsehen gezeigt oder auf Video veröffentlicht werden“, schrieb jemand in der International Movie Data Base. „Sie wird jedoch sicher in den Turner-Gewölben aufbewahrt und hoffentlich wird TCM sie in Zukunft zeigen können. Nun, dieser zukünftige Tag ist endlich gekommen, und die Warner Archive Collection hat endlich die Morgan/Manning-DVD unter der Regie von Robert Florey veröffentlicht, ebenso wie die restaurierte Version der MacRae/Grayson-Fassung, die wahrscheinlich am bekanntesten ist, weil sie jahrelang als VHS im Umlauf war.

Ein anderer Kommentator auf IMDB schreibt: „Die ursprüngliche Bühnenoperette Das Lied der Wüste hatte eine starke Partitur und eine faszinierende Prämisse mit einer nur sehr seichten Handlung und wurde 1929 und 1953 originalgetreu verfilmt, die Version, die heute häufig im Fernsehen gezeigt wird. Die Version von 1929 war durch die frühe Tontechnik beeinträchtigt und wurde komplett in Schwarzweiß im Studio gedreht. In den folgenden zehn Jahren hatte Warners erfolglos versucht, einen Weg zu finden, den Film neu zu verfilmen und dabei die knarzigen, klischeehaften Handlungselemente zu eliminieren. Ein Drehbuch nach dem anderen wurde abgelehnt, bis Regisseur Robert Florey und Produzent Robert Buckner Anfang 1942 eine ernsthafte und realistische Bearbeitung vorschlugen, in deren Mittelpunkt die aktuellen Ereignisse in Marokko standen.

Das Vichy-Regime überwachte den Bau einer Transsahara-Eisenbahn, die mit arabischen Zwangsarbeitern gebaut und vom Dritten Reich finanziert wurde. Durch die Verlegung der nationalsozialistischen Manipulation der französischen Kolonialherrschaft in die Jahre kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurde der Schauplatz der Operette modernisiert und die Darstellung des Aufstands der Eingeborenen erhielt politische Bedeutung.“

IMDB fährt fort: „Um die abenteuerlichen Aspekte der Handlung zu betonen, anstatt sie als Hintergrund zu belassen, wurden wichtige Änderungen an der Partitur vorgenommen, wobei Buckner und Florey diejenigen Aspekte eliminierten, die nicht zur Entwicklung der Handlung beitrugen. Die Musik unterstreicht die Handlung, zum Beispiel wenn ein einsamer Reiter die Rebellen zum ersten Angriff auf die französische Eisenbahnlinie aufruft, um die Gefangenen von Riff zu befreien. Die Ereignisse entwickeln sich während der musikalischen Nummern: Wüstenaufnahmen zeigen die subjektive Fantasie der Heldin, während die moralischen Instinkte eines französischen Beamten während eines patriotischen Tanzes zum Vorschein kommen. Buckner und Florey verwandelten die weibliche Hauptrolle in eine professionelle Sängerin anstelle des verliebten Mädchens aus der Operette. Der Humor wurde überarbeitet, indem ein amerikanischer Reporter hinzugefügt wurde, dessen „Scoops“ ständig von einem verweichlichten französischen Regierungsbeamten zensiert werden – eine spitzbübische Anspielung auf das Hays-Büro, aber auch eine unbeabsichtigte Vorahnung des Schicksals des Films durch die Zensurbehörden. Trotz der Zusammenarbeit an dem neuen Drehbuch wurden die Drehbuchautoren im Abspann nicht erwähnt. Der Hauptdarsteller der neuen Version von The Desert Song war eigentlich schon einige Jahre zuvor ausgewählt worden, nach zwei Probeaufnahmen Anfang 1939. Die erste war unter seinem richtigen Namen Stanley Morner, die zweite unter seinem neuen Namen Dennis Morgan. Es wurden keine anderen Schauspieler für die Hauptrolle getestet, und Dennis Morgan sollte Warners führender Star der 1940er Jahre werden.“

Romberg: Dennis Morgan in "The Desert song" 1943 - Szenenausschnitt

Romberg: Dennis Morgan in „The Desert Song“ 1943 – Szenenausschnitt

Um die Authentizität der aktuellen Geschichte zu erhöhen, wurde der Schauplatz in der nordafrikanischen Wüste so realistisch wie möglich wiedergegeben; Regisseur Florey kannte die Region von einer Reise im Jahr 1923. Nach Besichtigung von Palm Springs, Lone Pine, Death Valley, Victorville, Las Vegas, Utah und Arizona wurde ein Drehort in der Nähe von Gallup, New Mexico, ausgewählt. Die zunehmenden Zwänge der Kriegszeit überzeugten Warners, so bald wie möglich im Jahr 1942 mit den Dreharbeiten zu beginnen, auch wenn dies bedeutete, im Juni und Juli in der brütenden Hitze der Wüste zu filmen.

Allein die Dreharbeiten kosteten 107.000 Dollar, fast das Doppelte des geplanten Betrags, und waren der letzte aufwendige Drehortausflug, bevor die Kriegsrestriktionen in Kraft traten. Die atemberaubenden Szenen in New Mexico, die in hellen, lebhaften Technicolor-Farbtönen fotografiert wurden, wurden im Studio durch Kulissen und Fotografien ergänzt, bei denen visuelle Motive wie enge Stadtstraßen, Aufnahmen durch maurische Tore und Fenster und Kompositionen in der Tiefe verwendet wurden. Florey schmückte die Kulissen mit vielen Gegenständen aus seiner eigenen Sammlung, wie z. B. seinen Toulouse-Lautrec-Postern an den Wänden des Cafés. Französische Flüchtlinge, die vor dem Faschismus geflohen waren, wurden für den Film engagiert, darunter Victor Francen, der den Araber spielt, der mit den Nazis kollaboriert, und der technische Leiter Eugene Lourie, der gerade aus Frankreich über Casablanca in die Vereinigten Staaten gekommen war.

Romberg/“Deep in my heart“ Helen Traubel und José Ferrer/Still aus dem gleinamigen MGM-Film

Der Kommentator auf IMDB fasst das Ganze wie folgt zusammen: „Nach all den Schwierigkeiten hat sich der Aufwand für The Desert Song gelohnt. Als er Anfang 1944, fünfzehn Monate nach seiner Fertigstellung, in die Kinos kam, war er ein Kassenschlager, und auch die Kritiker reagierten im Allgemeinen positiv. Nichtsdestotrotz hat das Publikum den Film seit über fünfzig Jahren nicht mehr gesehen. Ein Problem mit den Rechten an einem hinzugefügten Lied hat eine Fernseh- oder Videoveröffentlichung dieser Version von The Desert Song“ verhindert.

Hier, zum ersten Mal auf DVD, ist diese Version aus der Kriegszeit, und sie ist wirklich eine interessante Alternative zur ersten Version, die viel näher an der Broadway-Bühnenproduktion (und der Tournee) ist, an die sich die meisten Romberg-Fans der späten 40er Jahre noch erinnern können.

Die Neuverfilmung aus den fünfziger Jahren hat in den letzten Jahren bei den Fans der Broadway-Operette wenig Beifall gefunden, hauptsächlich weil sie Kathryn Grayson für eine Fehlbesetzung halten. Darüber lässt sich trefflich streiten, denn im selben Jahr spielte sie die Hauptrolle in dem berühmten Film Kiss Me Kate und feierte einen großen Erfolg, und ich persönlich finde, dass sie sehr gut zu Mr. MacRae passt.

Romberg: Fotos zur Erstaufführung in New York/OBA

Romberg: Fotos zur Erstaufführung in New York/OBA

Zitiert man einen Kommentator von IMDB: „Gordon MacRae ist mit herrlich kräftiger Baritonstimme als der sanftmütige Anthropologe zu hören, der gebeten wird, die Tochter des Generals (Grayson) zu unterrichten, während er gleichzeitig der Anführer der Riffs ist, die von ihrem Freund, einem französischen Legionär (Steve Cochran), gesucht werden. Die abgedroschene Handlung zieht sich hin, durchsetzt mit einigen Actionszenen, alberner Komik und exotischen Tänzen – ganz im Sinne des Wüstenabenteuers. Die beiden Hauptdarsteller sind charmant in ihren Rollen und Raymond Massey ist als böser Scheich zu sehen. Die gute Farbfotografie und die Aufnahmen vor Ort machen den Film zu einem angenehmen Erlebnis – aber es ist die Musik von Sigmund Romberg, die den Film so wertvoll macht. Grayson ist besonders gut, wenn sie vor einer Armee von Soldatenbewunderern „Gay Parisienne“ singt und ihre koketteste und farbenprächtigste Darbietung seit Kiss Me Kate abliefert. Gordon MacRae hat sich als Sänger und Schauspieler fest etabliert und zeigt neben seiner großartigen Gesangsstimme auch einen Sinn für Humor. Sehr sehenswert für Fans der musikalischen Komödie“.

„The Desert Song“ made in GB mit June Bronhill/ das hinreißender alte HMV-Cover

Besonders interessant an dieser letzten Filmversion ist, dass die Figur des Paul Bonnard/El Khobar als ein Clark Kent-Typ dargestellt wird, der sich manchmal in eine arabische Version von Superman verwandelt, um den Unterdrückten und Bedürftigen zu helfen.

Wenn man bedenkt, wie populär Superhelden derzeit sind, mit X-Men und Avengers und Captain Americas, die über die Bildschirme in aller Welt fliegen, könnte es interessant sein, The Desert Song für ein modernes Publikum neu zu interpretieren, und zwar live auf der Bühne, mit einer solchen interpretatorischen Perspektive. Die arabische Kulisse und die Geschichte des Kulturkampfes, die Romberg und sein Buchautor Oscar Hammerstein in The Desert Song erzählen, könnten aus Sicht des Jahres 2014 natürlich nicht aktueller sein. Wenn Sie die Operette noch nicht kennen, sind diese beiden Verfilmungen eine gute Möglichkeit, sich mit ihr und ihren Vorzügen vertraut zu machen. MacRae, der „Blue Heaven“ singt, bleibt ein Knaller. Und der Riff-Song ist so mitreißend wie eh und je, ganz gleich, für welche Version Sie sich entscheiden. Kevin Clarke/ORCA/ 24. August, 2014/ Übersetzt mit DeepL.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier

Mariana Ciromila

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Mariana Ciromila (18. Januar 1952, Satu Mare, Rumänien – 19. Mai 2022, Brasilien) lebte seit 2000 in Ubatuba, Brasilien Sie studierte Musik an der Galati High School of Arts mit Spezialisierung auf Klavier und besuchte die Kurse der Universität der Künste „George Enescu“ in Iași, Abteilung für lyrischen Gesang, unter der Leitung von Professorin Ella Urmă, Kurse, die sie mit der Auszeichnung „Summa cum Laude“ abschloss. sie spezialisierte sich unter der Anleitung der Lehrerin Magda Ianculescu sowie bei dem Professor und Künstler Pawel Gerassimowitsch Lisizian in Weimar, Moskau und Mailand bei der Lehrerin Pier Miranda Ferraro. Zwischen 1977 und 1984 nahm sie an zahlreichen internationalen Gesangswettbewerben teil und gewann den „Francisco Vinas“ – Barcelona (1977), „Maria Callas“ Athen und „Tchaikovsky“ – Moskau (1978) oder „Belvedere“ – Wien (1984). .

Rollen: Adalgisa (Norma), Amastris (Xerxes), Amneris (Aida), Anacoana (Christophe Colomb), Angelina (La Cenerentola), Carmen (Carmen), Charlotte (Werther), Cherubino (Le nozze di Figaro), Concepcion (L ”heure Spanisch), Cornélia (Julius Cesar), Dalilah (Samson & Dalilah), 3aDame (Zauberflöte), Dorabella (Cosi fan tutte), Dulcinea (Don Quijote), Eboli (Don Carlos), Edwige (Guglielmo Tell), Elisabetta (Maria Stuarda). ), Enrichetta (I Puritani), Fenena (Nabuco), Isabella (L’Italiana in Algier), Jocasta (Oedip), La Cieca (La Gioconda), Laura (La Gioconda), Madalena (Rigoletto), Marina (Boris Godunow) , Marcelina (Die Hochzeit des Figaro), Marta (Faust), Marguerite (La damnation de Faust), Mary (Fliegender Holländer), Frau Maclean (Susannah), Orsini (Lucrezia Borgia), Otavia (Die Krönung von Poppea), Preziosilla ( Die Macht des Schicksals), Prinz von Bouillon (AdLecouvreur), Rosina (Der Barbier von Sevilla), Sarah (Robert Devereux), Sextus (Die Barmherzigkeit des Titus).

Mariana Cioromila unterrichtete Gesang an der State University of Campinas (UNICAMP), der Faculdade Integral Cantareira, der Universidade Livre de Música Brasil und der Faculdade de Música Carlos Gomes. 2011 promovierte sie in Musik mit der Arbeit „Theses in Vocal Technique“ an der State University of Campinas, Brasilien. Radio Romania/ Google-Übersetzung

 

Gesang & fragwürdige Kommentare

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Ob wohl die beiden Künstlerinnen, die eine zwar in Taschkent/Usbekistan geboren, aber in der Ukraine ausgebildet, die andere in Russland geboren und aufgewachsen, noch immer so vertraut aneinander gelehnt auf einem Foto erscheinen möchten wie auf dem der Rückseite ihrer gemeinsamen CD mit dem Titel Spring Night – Russian Songs? Die erschien zwar erst kürzlich, wurde aber bereits Ende 2020 aufgenommen, als noch nicht an einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu denken war. Das Booklet zur CD von Lena Belkina, Mezzosopran, und Natalia Sidorenko, Klavier, enthält leider keine Liedtexte, dafür aber einen offensichtlich aus dem Russischen von Engländern ins Deutsche übersetzten Artikel mit geheimnisvollen Wendungen wie das Russische habe „eine schwierige Tonanlage“, die Lieder seien „ein Teil der städtischen Kultur der Arbeiterklasse“ oder „in der Darbietung sind hörbare Vornehmheit der Gefühle enthalten“.  Auch dass Mignons Lied von der Sehnsucht mit „andächtiger Selbstbefangenheit“ endet, ist für den Leser schwer nachvollziehbar. Neben Tschaikowski wird Rachmaninov mit ähnlich dunklen Urteilen bedacht, wenn von „seltsame(m) Leid….das so viele Interpreten …auszeichnet“ oder von einer Melodie berichtet wird, die „strömt beständig heraus…“. Da wären die Liedtexte sicherlich hilfreicher zum Verstehen des Unternehmens gewesen, doch die stehen leider nur digital zur Verfügung.

Dabei hätte es die Sängerin und hätte es auch ihre Begleiterin verdient, dass ihre CD auf würdigere Weise unter die Musikfreunde gebracht worden wäre. Das große Publikum kennt sie als Carmen auf der Seebühne von Bregenz, sie hat aber auch viel Rossini und das sogar in Pesaro gesungen, war in Wien und Leipzig zu erleben.

Je zehn Lieder von Tschaikowski und Rachmaninov, trotz des frischen fröhlichen Titels meistens melancholisch umflort, werden geboten und lassen bereits im ersten Lied Es war im frühen Frühling  eine reich timbrierte Stimme mit viel erotischem Flair und mit leichter Emission bewundern, sei es in den nachdenklichen, verhaltenen Passagen oder im fast opernhaften Schluss. Für Mignon auf Russisch hat der Mezzo nichts Androgynes, ist üppig, für So schnell vergessen  schön melancholisch verhangen, ehe auch hier der Schluss hochdramatisch wird. Zwei Wiegenlieder beweisen, wie gut gestützt die Stimme im Piano wird, wie geschmeidig sie angelegt ist, wie flexibel sie reagiert. Eine langvolle Höhe in Mezzoqualität offenbart sich in  Sag mir, wo es wild zugeht, man eher eine Opernarie vermutet. Dass man bei Tschaikowski auch jubeln darf, beweist Serenade, eine bruchlose Steigerung kann man bei Ich bin wieder allein bewundern und klug aufgebaut wird schließlich die Interpretation von Ich öffnete das Fenster.

Ähnliche Qualitäten lassen sich bei der Interpretation von Rachmaninov feststellen, so der melancholische Touch für die Fliederblüten, das Strahlen für den Morgen, die schmerzliche Süße und das feine Verklingen für die Sorgen. Bewundern muss man die Fähigkeit der Sängerin dafür, dass sie ihre Stimme in einem feinen Schwebezustand halten kann (Die Nacht ist traurig), so wie sie andererseits zu einem blendenden Strahlen gebracht werden kann (Sie ist schön) . Im abschließenden Lied Frühlingswasser hätte man sich eine weniger offene Höhe gewünscht, aber insgesamt ist das (und nicht zuletzt durch die empfindsame Begleitung) eine schöne CD, deren Bekanntschaft zu machen durchaus lohnend ist (Solo Musica SM 381/ Foto Bofil). Ingrid Wanja 

Händel lebt

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Bereits ihre 23. Ausgabe erleben die Göttinger Händel-Beiträge der Göttinger Händel-Gesellschaft, die auch die alljährlichen, falls nicht durch Krieg oder Pandemie verhindert,  Händel-Festspiele unterstützt, die 2022 wieder stattfinden dürfen. Auch wenn die Stadt Halle das Privileg besitzt, die Geburtsstadt des Komponisten zu sein, ist Göttingen nicht etwa eine Parallelgründung wie die Deutsche Bücherei in Frankfurt oder der Tierpark in Friedrichsfelde zu DDR-Zeiten, sondern die Gesellschaft besteht bereits seit 1920, ist vielleicht auch nach dem verlorenen Weltkrieg als Kontrast zur Wagnerei zu verstehen, als Beginn der „Göttinger Händel-Renaissance“.

Auch 2022 sind die Vorträge, die in dem gut hundertseitigen Band miteinander vereint sind, von großer Vielseitigkeit, vereinbaren Politisches mit Ästhetischem, Ökonomisches mit Ethischem und lenken das Auge des Betrachters mit dem Cover auf den in Barockes gekleideten Unterleib eines Mannes und einer Frau, womit aber nichts Anstößiges verbunden ist. Im Innern darf man sich das Bild in seiner Gesamtheit anschauen, es stellt den Kastraten Farinelli mit seiner Lieblingskollegin, mit Pagen und Hund und außerdem dem wohl meistbenutzten Librettisten der Händelzeit und auch noch danach dar: Pietro Metastasio.

Der erste Artikel, eine Einführung in das Symposium von 2021, stammt von Laurenz Lütteken und befasst sich mit der Oper als Geschäft zu Händels Zeiten, schildert das Verhältnis von Komponist und Impresario zueinander, das Verhältnis der Oper zur Frühaufklärung und das von materiellem Einsatz und sinnlichem Vergnügen.

Wolfgang Sandberger aus Lübeck befasst sich mit der in den Zwanzigern einsetzenden Händel-Bewegung, beginnend mit einer stark gekürzten Rodelinda in deutscher Sprache, die auf über zwanzig Bühnen nachgespielt wurde und sich durch eine abstrakte Bühne und die Einbeziehung choreographischer Elemente hervortat. Der Verfasser führt anschaulich aus, warum Händel als „unbelastete Identitätsfigur“ angesehen werden konnte, wie es zu Vermutungen über eine Verwandtschaft mit dem Expressionismus und eine Gegnerschaft zum Jazz kommen konnte. Anschaulich gestaltet ist der Artikel durch zahlreiche Abbildungen von Händel-Produktionen der Zwanziger, nicht selten von monumentaler Art wie in Hannover in einer riesigen Halle, einem Alexander Balus mit 910 Mitwirkenden. Als das Interesse nachlässt, wird  1931 die Göttinger Händelgesellschaft gegründet, hier hat „Völkisches“, haben aus SA-Bataillonen bestehende Statistenmassen keinen Platz. Der Leser wird mit einer Fülle von Beispielen für Hänel-Aufführungen konfrontiert, eine übersichtliche Tabelle der in Göttingen tätigen Händel-Forscher und Händel Interpretierenden erleichtert es, den Überblick zu behalten.

Von Matthew Gardner stammt der Beitrag über Sängerinnen und Sänger zur Händelzeit, über den Einzug der italienischen Oper in London. Sehr anschaulich wird darüber berichtet, wie Opern für bestimmte Sänger geschrieben, bei Neuverpflichtungen entsprechend umgeändert wurden, wie nach dem Sänger, was die Wichtigkeit angeht, der Librettist und erst dann der Komponist kam. Und man möchte hinzufügen, dass der Regisseur gar nicht vorkam. Hier und auch anderswo wird auf die Wichtigkeit der Royal Academy of Music hingewiesen, deren Verbindung zu Händel, die Bedeutung von Benefizkonzerten für Sänger, meistens die dritte Aufführung einer Reihe.

Philine Lautenschläger aus Berlin befasste sich mit dem Verhältnis zwischen Sensualisierung und Kommerzialisierung, dem Widerstand der Engländer gegen die italienische Oper nicht nur wegen der Fremdsprache, sondern auch wegen des Kontrastes zu aufklärerischen Ideen. Dem Leser wird es bewusst gemacht, welchen Stellenwert die Oper aber auch besaß in einer Gesellschaft, die nicht über die technischen Möglichkeiten des Musikerlebens späterer Zeiten hatte. Die Versöhnung mit der Aufklärung erfolgte schließlich durch die Einsicht, wie  stark die Empfindungsfähigkeit durch das Erleben von Musik gesteigert werden konnte. Notenbeispiele aus Rodelinda werden dem Leser zugänglich gemacht.

Panja Mücke informiert in ihrem Beitrag über Oper als Aktienunternehmen, ausgehend vom Impresario Swiney, der mit der Abendkasse das Weite suchte. Ähnliches gab es durchaus auch in der Jetztzeit, so bei einem nie stattgefunden habenden Festival in Taormina, zu dem zwar die Sänger, nicht aber der Veranstalter anreisten. Die Verbindung von Opernimpresario und Glücksspielunternehmer kannte man bereits aus Italien, in England kommt noch die Aktiengesellschaft, allerdings selten mit erzielter Dividende, kommen Subventionen durch das Königshaus dazu. Das alles wird in einer auch dem Nichtwissenschaftler zugänglichen Art anschaulich geschildert, ebenso die Versuche, ein zufriedenes Publikum zu gewinne, so durch zweisprachige Libretti, kurze Rezitative und die Verwendung allseits bekannter Stoffe. Damit wären wir schon beim letzten Beitrag, dem von Thomas Seedorf, und dieser befasst sich mit den Libretti , die oft von Reisen mitgebracht werden, teils Originale, teils Bearbeitungen sind, von denen ein Drittel aus Venedig stammt. Mythologie, Antike, Mittelalter, Boccaccio und Ariost sind die Quellen, wie der heutige Händel-Freund leicht anhand der Spielpläne feststellen kann. Dem Festival kann man nur wünschen, dass es so gut gelingt wie dieses aufschlussreiche und Leselust bereitende Buch (Vandenhoeck & Ruprecht Verlage 2022; 115 Seiten;  ISBN 978 3 525 27837 6). Ingrid Wanja    

Geburtstagsgabe für Dänen-König

Mit Musicalisches Schauspiel trägt Reinhard Keisers Singspiel Ulysses, welches das Label Coviello jetzt als Live-Aufnahme auf zwei CDs veröffentlicht hat (COV 92203), eine ungewöhnliche Genrebezeichnung. Das Werk wurde 1722 in Kopenhagen anlässlich des Geburtstages von König Friedrich IV. aufgeführt, der sich darin als Befreier von Schleswig feiern lässt. Keisers Komposition ging 1703 eine von Jean-Féry Rebel voraus, die in Paris jedoch ohne Erfolg blieb, trotz des hohen Aufwandes an Bühnentechnik. Keisers Version für Kopenhagen musste die bescheideneren technischen Verhältnisse des Theaters berücksichtigen. In dieser Fassung fehlen die Götter Juno und Pallas, die es in Paris noch gab, dafür findet sich mit Cephalia und Eurilochus ein zweites Liebespaar und mit dem Diener Arpax eine komische Figur. Keiser gelang in seinem Werk eine reizvolle Kombination von französischem und italienischem Stil – und das auf den deutschen Text von Monsieur de Lesner.

Die Aufnahme gibt die Generalprobe, eine Aufführung sowie Korrekturen im Theater Nienburg vom Oktober 2021 wieder. Es musiziert das Göttinger Barockorchester unter Antonius Adamske. Schon in der pompösen Intrada mit vier Trompeten kann es mit glanzvollem Spiel aufwarten. Der Göttinger Barockchor übernimmt diese Stimmung im jubilierenden Eingangschor „Froher Tag“, kann auch im munteren Chor der Geister gefallen und feiert den glücklichen Ausgang des Geschehens am Ende mit heiteren Gesängen („Singet von Ulysses’ Siegen“/“Bringt glückliche Beyde“). Graziös spielt das Orchester im Ballett der Amouretten auf, während es den Bauerndanß des 3. Aktes zu einem melodischen Reigen formt.

Im Prolog wird der Geburtstag des Königs gefeiert, sogar Jupiter erscheint mit einem Adler vom Himmel. Der Tenor Markus Brutscher singt ihn pointiert und mit lyrischem Ton. Aus dem Meer steigt Neptunus mit seinem Dreizack in Gestalt des Baritons Janno Scheller, der in der Arie „Die Ostsee, der beschäumte Belt“ mit liedhafter Gestaltung aufwartet. Er singt auch den Titelhelden, der den 2. Akt mit zwei Arien eröffnet – „Mit Freuden Thränen“ ist munter und geprägt von Koloraturläufen, „Kann ich dich nur wieder sehen“ gleichfalls lebhaft. Insgesamt fehlt der Stimme persönliches Profil.

Der 1. Akt führt in einen königlichen Garten von Ulysses Palast in Ithaca. Urilas, der seit langem vergeblich um Ulysses Gattin Penelope wirbt, erfleht in seiner Arie „Erhebt euch“ den Untergang von Ulysses Kahn. Der Bassist Jürgen Orelly singt mit energischem Nachdruck, allerdings sehr schwerfällig in den Koloraturen.

Circe will ihm bei diesem Vorhaben behilflich sein. Der Countertenor Gerald Thompson ist eine Entdeckung. Die Stimme schmeichelt, lässt mühelose Koloraturläufe hören und betört später auch in einer Arie der Amourette „Diesen Blumen“. Den 1. Akt beendet ein furioses Duett zwischen Circe und Urilas „Auff, auff zur Rache“, in welchem sich die Stimmen gut verblenden, der Counter aber doch dominiert. Hinreißend trumpft er im Duett mit Ulysses am Ende des  2. Aktes („Erzittre“) auf und auch in der Arie des 3. Aktes („Ich eile die Pfeile der Rache zu wetzen“) vermag er mit einem Koloraturfeuerwerk zu imponieren. Circes Hass gilt Penelope, weil diese ihr Ulysse entzogen hat.

Dann tritt Penelope auf, in Begleitung der vornehmen Ithacierin Cephalia und stets in Gedanken an ihren Gatten. Bogna Bernagiewicz singt sie in der Auftrittsarie „Süßer Ursprung meiner Ruh“ recht schmalstimmig, die nachfolgende Arie mit lieblichen Trillern, virtuosen staccati und melancholischer Einfärbung überzeugt eher. Sie erklingt in zwei Versionen („Nachtigall im Geäst“/„Du angenehme Nachtigall“) und auch in einer italienischen Variante („Usignuol tra rami“) von Giuseppe Maria Orlandini. Von diesem Komponisten gibt es im 3. Akt noch eine dramatisch bewegte Arie („Tu che scorgi“), in der die Interpretin den stärksten Eindruck hinterlässt. Das Accompagnato furioso „Darum zerschmettre mich“ wirkt dagegen unterbelichtet. Die Sopranistin Francisca Prudencio singt die Cephalia beherzt.

Der Schauplatz wechselt zu einem Wald am Meer unweit des Palastes mit dem Tempel der Juno in der Ferne. Ulysses Schiff legt an, in seiner Arie „Mit Freuden Thränen“ gibt der Held seinem Glücksgefühl, wieder an Land zu sein, Ausdruck. Begleitet wird er von Arpax, den der Tenor Goetz Philip Körner solide singt. Vor allem mit zwei Fassungen einer munteren Wein-Arie („Du süsser Saft der Reben“/“Ein Gläßgen Wein“) kann er erfreuen. Im Palast der Circe sehen sich Penelope und Ulysse wieder, aber die Eheleute sind entfremdet, überhäufen sich mit Vorwürfen über die vermeintliche Untreue des Partners.

Zu Beginn des 3. Aktes sieht man Cephalia und Eurilochus (Markus Brutscher hier mit bemühten Koloraturen) in einem Wald nahe Ithaca in Liebe vereint. Davon kündet ihr Duett „Schönster Engel“, in welchem sich die Stimmen glückselig umschlingen. Penelope und Ulysses aber finden sich erst, nachdem Mercurius (Goetz Philip Körner) einen Anschlag der eifersüchtigen Circe auf Penelope vereiteln konnte. Im Duett „Lass dich hertzen“ feiern sie ihr neues Glück. Im Epilogus tritt die Zeit (Jürgen Orelly) mit Sense und Sanduhr auf, erinnert an die Sterblichkeit allen Lebens und huldigt noch einmal König Friedrich. Der Chor fällt mit „Es lebe Friederich“ ein. Bernd Hoppe

Version René Jacobs

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Noch ein Freischütz? Es gibt doch schon so viele. In diversen Diskographien werden mehr als fünfzig Gesamtaufnahmen und Querschnitte nachgewiesen. Gelangt eine neue Produktion auf den Markt, hat sie sich gegen eine starke Konkurrenz zu behaupten. Oder sie muss etwas bieten, was es noch nicht gab. René Jacobs hat bei harmonia mundi so einen Versuch unternommen (HMM 907700.01). Doch das Cover erweckt den Eindruck, als handele es sich um eine traditionelle Einspielung. Erst im Kleingedruckten auf der Rückseite der Box wird auf die „Adaption of the dialogues“ durch den Dirigenten verwiesen. Er kehre „zu den Urquellen“ zurück und präsentiere eine noch nie gehörte Deutung der ersten deutschen Oper der Romantik. Der vom Dichter Friedrich Kind ursprünglich vorgesehene Prolog bekomme wieder seinen Platz in der Oper und der Eremit sein symbolisches Gewicht. „Eine spannende Neuentdeckung“, wird versprochen.

Ganz neu ist dieser Ansatz allerdings nicht, was selbst Jacobs im Booklet einräumt. Bereits 1980 hatte der Regisseur Achim Freyer in Stuttgart seine Inszenierung, die ein Jahr später ins ZDF kam und auch auf DVD erschien, mit einem Ausschnitt aus dem Prolog eröffnet. Ähnliche ging Johannes Reitmeier 2020 im Tiroler Landestheater vor, dessen ästhetisch ansprechende Produktion als Stream zu erleben war. In beiden Fällen wurden die Texte gesprochen und der Ouvertüre vorangestellt. Schließlich wurden sie von Weber ja auch nicht vertont. Warum eigentlich nicht?

Das Cover der Neuerscheinung lässt nicht auf eine besondere Fassung der Oper schließen.

Auf Anraten seiner späteren Frau Caroline, die eine sehr erfahrende und mit viel Theaterinstinkt ausgestattete Sängerin war, verzichtete Weber auf den Prolog, der in die Klause des Gottesmanns führt. Er ist in großer Sorge, sieht „den Feind im Dunkeln lauern“, wie er seine „Riesenfaust nach einem unbefleckten Lamm“ streckte, das niemand anderes als Agathe ist. Und auch „nach ihrem Bräutigam lauscht‘ er mit gier’gen wilden Blicken, als wollt‘ er seinen Fuß umstricken“. In – wie es in der Szenenanweisung heißt – „brünstiger Andacht“ – ruft er aus: „Herr! Vernimm des Greises Flehen! Lass den Frevel nicht geschehen!“ Da tritt Agathe ein, bringt Brot, Milch, frische Früchte und erfährt, dass der Eremit, „die eigentliche Gefahr“, die ihr und ihrem Verlobten Max drohe, zwar nicht kenne, sein Herz aber beklommen fühle, wenn er sie ansehe. Deshalb wolle er sie „heute nicht ohne Gegengabe zu entlassen“. Er schenkt ihr einen geweihten Rosenstock, „dessen erstes Reislein meinem Vorgänger ein Pilger aus Palästina mitbrachte“. Dem Rosenwasser, das daraus zu gewinnen sei, würden „wunderbare Schutz und Heilkräfte“ zugeschrieben. In einem gemeinsamen Duett preisen sie das Wunder der Gabe. Sie würde Agathe das Leben retten.

„Weg mit diesen Scenen, mitten hinein ins Volksleben … „ So Carolines Worte in dem Brief an Weber, nachdem sie das Libretto in seiner ersten Fassung gelesen hatte. Für mich ist das sehr nachvollziehbar, zumal der Prolog ganze fünf Druckseiten füllt. Was in gehobener Sprache abgehandelt wird, verlangt auf dem Theater nach Raum und Zeit. Andererseits – und das spricht für den Prolog – bleiben die Erwähnung des Besuches beim Eremiten und der Hinweis auf die geweihten Rosen während des zweiten Aufzugs im Forsthaus rätselhaft und erweisen sich selbst bei näherem Hinsehen als dramaturgische Schwäche. Nicht von ungefähr legte also der Textdichter Kind größten Wert darauf. Nur widerwillig akzeptierte er den Strich. In den von ihm veranlassten Drucken des Librettos ließ er den Prolog stets vorangestellt. „Ohne ihn“, wird Kind von René Jacob im Booklet zitiert, „ist mein Oper eine Statue, welcher der Kopf fehlt.“ Jacobs setzt ihn ihr wieder auf. Schon im 19. Jahrhundert gab es Versuche, die Szene nachträglich mit Musik aus Freischütz-Themen zu versehen. Die Fachliteratur nennt den sächsischen Musikdirektor Oskar Möricke, den auch Jacobs erwähnt. Im Vorwort einer vollständigen Textausgabe bei Reclam (Nr. 2530, ohne Jahresangabe) geht der Schriftsteller und Theaterfachmann Carl Friedrich Wittmann (1839-1903) näher auf Möricke ein und wartet mit einen faksimilierten Theaterzettel aus Lübeck von 1893 auf. Danach wurde das Vorspiel Die Rosen des Eremiten vor der Ouvertüre gegeben. Wittmann zitiert die „Lübecker Anzeigen“, dass es „mit Recht unthulich“ erschienen wäre, die Prolog-Szenen „unmittelbar nach der jubelnd abschließenden Ouvertüre einzulegen, ohne die nachfolgende Volksszene dadurch in ihrer Wirkung zu beeinträchtigen“. Wie es geklungen und auf der Bühne gewirkt hat, wird nicht näher berichtet. Beim Publikum dürfte sich die Begeisterung in Grenzen gehalten haben. Das Lübecker Blatt spricht von einem „achtungsvollen Interesse“, gelangt aber gleichfalls zu dem Schluss, dass die Ergänzung dem Verständnis „für das spätere, ziemlich unmotivierte Auftreten des Eremiten und für Agathens Hindeutung auf die von ihm zur Erinnerung erhaltenen Rosen“ wesentlich fördere.

Der Dirigent René Jaobs versteht Webers Freischütz als Singspiel nach Art der französischen Opéra comique. Foto: hamonia mundi

In der Praxis geht Jacobs wie folgt vor. Er nimmt, „was Weber komponierte, um es für die von ihm nicht komponierten Texte kreativ (aber unaufdringlich) wiederzuverwenden“. Im Einzelnen wurde beispielweise für die Eremitenarie „Allerbarmen! Herr dort oben“ der Adagio-Teil (die ersten acht und die letzten zwölf Takte) der Ouvertüre und das Hauptthema seines Auftritts im Finale der Oper („Wer legt auf ihn so strengen Bann?“) wiederaufbereitet. Das bietet sich zwar an, wirkt aber stellenweise wie ein Aufguss und nicht wie eine inhaltliche Deutung der nun an den Beginn gesetzten Ouvertüre. Dem originalen Text der Prologs traut Jacobs allerdings nicht. Passagen wurden verschoben oder gestrichen. Mehr spielerisch als sinnstiften wirken Zitate aus dem späteren Handlungsverlauf, die etwas verändert dem Eremit in den Mund gelegt werden: „Wo Agathe nur bleiben mag?“ Die würde sich später im Forsthaus fragen: „Wo nur Max bleibt?“ Noch gravierender ist, den Eremiten betont umgangssprachlich bereits von vornherein sagen zu lassen, dass ihm der alte Brauch des bevorstehenden Probeschusses „überhaupt nicht gefällt“. Bei Kind kommt das so nicht vor. Nun aber wird vorweggenommen, was sich als moralische Lehre aus einem Männlichkeitsritual, das aus dem Ruder läuft, ergeben wird. Denn erst die Beinahe-Katastrophe ruft am Ende den Eremiten erneut auf den Plan und veranlasst ihn zu seinem Urteil: „Drum finde nie der Probeschuss mehr statt.“

Für den Textdichter der Oper Friedrich Kind war der Freischütz ohne Prolog wie eine Satue, der der Kopf fehlt. Foto: Wikipedia

Die spektakulärste Neuerung betrifft Kuno, den Vater Agathes. In der ersten Fassung des Librettos hatte der nämlich statt der Erzählung über die Herkunft des Probeschusses eine Arie mit Chor selbigen Inhalts, die ebenfalls nicht komponiert wurde. Jacobs gibt sie dem Erbförster zurück. Dem überlieferten Text – beginnend mit „Herr Ottokar jagte durch Heid‘ und durch Wald“ wird Musik von Franz Schubert unterlegt – und zwar das Trinklied aus dem Singspiel Des Teufels Lustschloss in der zweiten Fassung von 1814 nach August von Kotzebue, in dem es auch nicht mit rechten Dingen zugeht. Stilistisch will das nicht passen, und die Verwunderung wäre groß, würde die CD eingelegt, ohne zuvor das umfangreiche Booklet studiert zu haben. Die Arie bleibt, was sie ist – eine Einlage. Der für den Kuno mit seinen zweiunddreißig Jahren etwas zu jugendlich wirkende Bariton Matthias Winckhler singt sie mit Bravour. Er fällt auch durch seinen geschliffenen Vortrag der Sprechtexte auf.

Nicht genug der inhaltlichen Zutaten. Max, in seiner Not, vor Agathe und der Gesellschaft bestehen zu müssen, ist ein ideales Opfer, was Kaspar und der allgegenwärtige Samiel auch in der neuen Fassung schnell erkennen. Bei Jacobs gerät er allmählicher und nicht so abrupt in die Fänge des Bösen. Seinen Beteuerungen, nicht an Zauberei zu glauben, kontert Kaspar mit Anleihen aus dem Gespensterbuch. Es gilt als wichtigste Freischütz-Quelle. Die Anthologie von Gruselgeschichten, die August Apel und Friedrich Laun zusammentrugen, erschienen von 1810 bis 1818 in mehreren Bänden. Apel, den Kind von der Thomasschule in Leipzig her kannte, steuerte die Freischütz-Sage bei. Anders als die Oper endet sie tragisch. Wilhelm, so der Name des Helden, trifft seine Braut Käthchen beim Probeschuss tödlich und beschließt seine Tage im Irrenhaus. Freikugeln werden nicht in der Wolfsschlucht gegossen. Sie sind freitags um Mitternacht im Zauberkreis auf einem Kreuzweg zu gewinnen. Noch bevor Max in seiner Not einwilligt, zur Geisterstunde in die verrufene Wolfsschlucht zu kommen, macht ihn Kaspar mit eben dieser Geschichte vom Kreuzweg neugierig und gefügig zugleich.

Das „Gespensterbuch“ von Johann Apel und Friedrich Laun gilt als wichtigste Quelle der Oper von Weber. Das Tilelblatt entstammt der Freischütz-Sage.

Während der wagnererprobte russische Bass Dimitry Ivashchenko als Kaspar stimmlich etwas derb, in der Höhe knapp und mit deutlichem Akzent agiert – was auch gewollt sein dürfte –, erfüllt Maximilian Schmitt traditionelle Erwartungen an Max nicht. Er kommt von den Regensburger Domspatzen. Bevor er 2008 nach Mannheim engagiert wurde, wo er David, Lenski und diverse Mozart-Partien sang, hatte er erste Erfahrungen im Opernstudio München gesammelt. In seiner Entführung aus dem Serail setzte ihn Jacobs als Belmonte ein. Schmitt ist also mit den lyrischen Tönen vertraut und kann dadurch den zartbesaiteten Max umso überzeugender darstellen. In den dramatischen Ausbrüchen sind ihm Grenzen gesetzt. Einem Schuss Italianità in der Stimme, versieht er in seiner großen Arie die Erinnerung an „Agathes Liebesblick“ sogar mit Koloraturen, was – wie vieles in dieser Produktion – irritiert. Nicht weniger stört es, dass ihm der mit viel mehr Text ausgestattete Samiel (eindrucksvoll Max Urlacher) mehrfach mit düsteren Kommentaren dazwischenredet. Wenn gegen Ende des ersten Aktes Hinweise auf die Freikugeln aufkommen, bringt Kaspar scheinbar nebenbei den schwedischen König Gustav Adolf ins Spiel. Dieser „elende Protestant“, wie ihm Samiel aus dem Hintergrund beschimpft, ist 1632 im Dreißigjährigen Krieg bei der Schlacht von Lützen gefallen. Indem er Schweden zu einer Führungsrolle verhalf und in den Krieg eingriff, verhinderte er einen Sieg des kaiserlich-katholischen Lagers der Habsburger und sicherte damit auch dem deutschen Protestantismus die Zukunft. Kind und Weber lassen den Freischütz „kurz nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges“ spielen. Jacobs scheint es wichtig, diesen historischen Verweis auch in religiöse Zusammenhänge zu stellen.

„Einst träumte meiner sel’gen Base“: Ännchens Arie wurde erst kurz vor der Uraufführung für die Sängerin Johanna Eunike in die Oper eingefügt. Sie war die Frau des Malers Franz Krueger. Beide sind auf dem  Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin begraben. Foto: Winter

Auch die Damen müssten umgelernt haben, sollten sie bereits in einer hergebrachten Freischütz-Aufführung aufgetreten sein. Ännchen bekommt sogar einen Vater, der gesagt habe, dass man die Angst verspotten müsse, damit sie fliehe. Beider Sprechtexte sind pointierter und mit modernen Ausdrucksformen angereichert. Die Ungarin Polina Pasztircsák (Agathe) und die Ukrainerin Kateryna Kasper (Ännchen) gleichen erst bei ihrer Arien sprachliche Defizite aus. Sie unterscheiden sich nach Stimme und Charakter deutlich. Ännchen gibt sich mit brustigen Tönen flott und unerschrocken. Agathe ist zurückhaltend und ängstlich. Beide Arien gelingen ihr technisch sehr gut, lassen aber jene Magie vermissen, für die Grümmer, Schwarzkopf oder Janowitz einst die Maßstäbe setzten. Was wirklich aufhorchen lässt, ist feinsinnige Begleitung durch René Jacobs. Die unterschiedlichsten Stimmungen finden sich phantasievoll ausgedrückt. Und man fragt sich nicht nur einmal, mit welchen Instrumenten sie zustande kommen. Für den Laien bleiben sie das Geheimnis des Spezialisten für Alte Musik, der für den Freischütz mit den fünfzig Mitglieder des Freiburger Kammerorchesters und sechsunddreißig Damen und Herren der Zürcher Sing-Akademie auskommt – ohne, dass man je Klangfülle vermissen würde. Der Abstieg in der Wolfsschlucht wird von unheimlichem Stimmengewirr, der fauchenden Windmaschine und dem Knistern von Feuer begleitet. Im deutlich auch hier erweiterten und veränderten Sprechtext trifft abermals der Gespensterbuch-Apel auf den Librettisten Kind – und umgekehrt.

In Lübek wurde 1893 der Prolog mit Musik aus dem „Freischütz“ unterlegt und der Oper vorangestellt.

Ich bin Jacobs dankbar, dass er in einer Fußnote des Booklets auf die Besonderheit der Ännchen-Arie „Einst träumte meiner sel’gen Base“ in der zweiten Forsthausszene eingeht. Sie wurde erst kurz vor der Uraufführung am 18. Juni 1821 in Berlin eingefügt. Die berühmte Sängerin Johanna Eunike hatte auf das Bravourstück bestanden, weil sie fürchtete, gegenüber Agathe zu kurz zu kommen. Nach den Worten von Jacobs wird damit die vorangehende Wolfsschluchtszene parodiert. „Ännchens moderne, kritische Haltung gegenüber dem Aberglauben aller anderen Figuren der Oper ist erfrischend.“ So darf denn Kateryna Kasper mit der Ausschmückung der nächtlichen Heimsuchung der verblichenen Base stimmlich sehr frei – für meine Begriffe etwas zu frei – umgehen. Übrigens hatte der Dirigent Erich Kleiber die Arie in seiner Aufnahme von 1955 für den WDR, die bei Capriccio auf CD erschien, gestrichen. Das Finale bleibt weitgehend ungeschoren. Jacob legt es sehr leicht, wunderbar durchsichtig, fast schwungvoll an. Und der Eremit (Christian Immler) erscheint auch stimmlich fern alles Salbungsvollen als ein Mann des Volkes.

Für Jacobs ist der Freischütz ist ein Singspiel nach Art der französischen Opéra comique. Dies bedeute, dass die Sänger „mehrere Eisen im Feuer haben“, führt er im Booklet aus. Sie müssten ihre Textsicherheit in mehrerer Hinsicht unter Beweis stellen: singend (in den Arien und Ensembles), deklamierend (in den Rezitativen) und sprechend (in den Dialogen)“. Für unverzichtbar hält er „höchste Gesangskultur, aber auch (im Kontrast dazu) Mut zum Unschönen, wenn die dramatische Situation dies verlangt. Beim Singen wurden zur Zeit Webers – unter bestimmten Regeln – Änderungen am Notentext geduldet; beim Dialogsprechen hingegen waren Abweichungen vom gedruckten Text selbstverständlich“. Stilbrüche und Anachronismen, die aus dem Improvisieren entstanden, seien nicht als störend empfunden worden. „Diese Freiheit wollen wir in vollem Maße auskosten.“ Webers Freischütz auf Tonträger könne nun einmal kein Schauspiel sein, er müsse als Hörspiel behandelt werden – komplett mit Geräuschen, Klangeffekten und allem, was dazugehöre. Auf der Basis von Kinds Urlibretto (1817) und seiner Ausgabe letzter Hand (1843) seien die Dialoge zu einem Hörspiel-Szenario unter Hinzuziehung von Apels Gespensterbuch (1810) umgearbeitet worden (Foto oben/Wikipedia). Rüdiger Winter

US-Importe: Tilzer, Hirsch & Romberg

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Nie gehört. Weder Louis Hirsch noch Albert von Tilzer. Natürlich nicht. Selbst ausgepichte Sammler amerikanischer Musicals stoßen vermutlich nicht jeden Tag auf diese Namen. Ihre Werke gehören zu den verlorenen Musicals und Raritäten, welche die Operetta Foundation, „Dedicated to the preservation of our operetta heritage“, in ihrer Reihe Musicals Lost and Found erstmals wieder in Erinnerung ruft (siehe auch: http://operalounge.de/tag/operetta-foundation), nachdem bereits viele der Musicals von Kern, Porter, Gershwin oder Rodgers in großformatigen Studioaufnahmen vorliegen. Zwar handelt es sich bei Musicals Lost and Found um kleinbesetzte Kammeraufführungen mit Klavierbegleitung, was indes den Rang dieser ungemein verdienstvollen Reihe sowie das Hörvergnügen nicht schmälert, das klingt sogar recht apart nach Kaffeehaus- und Gaststätten-Musik, mit der diese Komponisten als Gelegenheitspianisten ihren Einstieg ins Geschäft fanden, nach Tin Pan Alley-Geklimper.

Beide, Hirsch und von Tilzer, sind im Gegensatz zum bekannten Sigmund Romberg, als Söhne von Einwanderern quasi ureigene amerikanische Gewächse. Albert von Tilzer, natürlich ein Künstlername, wurde als Sohn polnischer Einwanderer 1878 in Indianapolis als Albert Gumm bzw. Gumbinsky geboren und nahm den Namen seiner Mutter, Tilzer, an, dem er noch das aparte meist groß geschriebene „von“ voranschaltete. So verfuhren auch seine vier Brüder, die irgendwie alle in die Song-Fabrik der Tin Pan Alley fanden, wo in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die meisten amerikanischen Musikverlage ihren Sitz hatten. Unser von Tilzer, also Albert, zog 1900 nach New York, machte sich einen Namen als Songwriter, dessen Songs in das eine oder Musical Play am Broadway eingestreut wurden, landete seinen größten Hit mit der bis heute aktuellen Football-Hymne Take me out to the Ball Game, bevor in den 20er Jahren einige seiner Musicals am Broadway aufgeführt wurden, so im August 1922 auch The Gingham Girl, mit dessen 322 Aufführung von Tilzer die in dieser Spielzeit laufenden Shows von Gershwin, Kern, Herbert, Friml oder Romberg ausstach. Das Mädchen im Karokleid war offenbar von Tilzers größter Erfolg. Die Show tourte durch die Lande, es gab eine Verfilmung und schließlich 1927 eine Down-under Produktion in Sydney. Zuletzt hatten von Tilzer und sein Textdichter Neville Fleeson mit By, Bye Bonnie noch einen respektablen Erfolg. Dann war von Tilzer war aus der Mode gekommen und zog sich Ende der 20er Jahre von der Bühne zurück. Nachdem er am Abend zuvor in einer Fernseh-Show nochmals seine Musik gehört hatte, starb er 1956 in Los Angeles.

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The Gingham Girl erschien nun als fünfte Folge bei Musicals Lost and Found (OA 1035). Die Story ist so süß, wie sie eben nur sein kann, wenn es darum geht, Mary Thomsons Geschäft mit den Bluebird Cookies auf sichere Beine zu stellen, was mit der Hilfe des großherzigen Biscuit Company-Erben Harrison ein Leichtes sein sollte. Absoluter Gegenpol zur Bäckerin ist ihre Freundin, die kecke, freche, auf der Höhe der Zeit mitswingende Libby O’Day, die sich den Geschäftsmann Jack angelt, auf den sie schon bei seinem ersten Auftritt ein Auge geworfen hat. Mary bekommt den scheuen Country Boy John, der Biscuit-Erbe seine Verlobte Mildred. Fast sechs Seiten benötigt das dünne Booklet, um das zu erzählen; dazu gibt es aber auch noch eine schöne Einführung zu von Tilzer; die Tracklist befindet sich auf der CD-Rückseite. Da auf die Sprechtexte verzichtet wurde, passen sogar noch ein paar Alternativnummern auf die CD. Rasch gewöhnt man sich daran, dass die Musik von zwei Klavieren gespielt wird, denn Adam Aceto, zugleich Musical Director, und Rick Parent spielen mit gewinnendem Ton und flottem Zugriff, dass man spätestens beim Duett der beiden Freudinnen Mary und Libby „The Twinkle in your Eye“, einem der erfolgreichsten Nummern, Gefallen an dem Ton und dem zwischen der Provinz und New York spielenden Geschehen findet. Die Finali beinhalten swingende Tanznummern, die Szenen und Duette haben eine leicht altmodischen, walzerdurchtränkten Kaffeehaus-Stil, sind charmant und einschmeichelnd, vor allem, wenn sie so gekonnt serviert werden wie von den Singschauspielern Ina Woods als Mary und Elyse Willis als Libby und den Herren A. J. Teshin als Jack, Brian Maples als Harrison und Ryan Reithmeier als John. Ein bisschen erinnert mich das an das rund 15 Jahre später in London herausgekommene Me and my Girl von Noel Gay.

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Ein paar Jahre jünger als von Tilzer ist der 1887 in New York geborene Louis Achille Hirsch, der nach Europa ging, am Stern‘schen Konservatorium in Berlin Klavier studierte und 1906 in New York in der Tin Pan Alley als Pianist anfing. Hirsch begann mit Musik für Minstrels, bald wurden einige seiner Songs in Broadway-Show eingelegt, ab 1910 folgten abendfüllende Werke, darunter 1911 Vera Violetta, durch die Al Jolson zum Star wurde. Insgesamt soll Hirsch rund 40 Musicals und Revuen, darunter für die Ziegfeld Follies, verfasst haben, neben Jerome Kern gilt er als die zentrale Triebkraft in der Entwicklung eines amerikanischen Musiktheaters aus den Zwängen der Operetten, des edwardianischen Musicals und der Broadway-Revuen. Intensiv widmete er sich seiner Tätigkeit als Mitbegründer der amerikanischen Komponistenvereinigung ASCAP. My Home Town Girl von 1915 entzückt (OA 1031) durch ungemein gefällige Tunes, liebliche Duette, mal sentimental, mal tanzbeschwingt, und eine sich wie von selbst zwischen Ragtime, Blues und frühem Jazz textbewusst ergebende Musik, die sich sanft in die Ohren schmeichelt und wie ein gesoftetes Abbild von Gershwin anmutet; Hirsch starb ähnlich jung wie dieser, 1924 an Lungenentzündung im Alter von 36 Jahren. Im übersichtlichen Buch von Frank Stammers geht es um die Eskapaden der Freunde Dudley Van Courtland und Tony Darling und eine Ein-Millionen-Erbschaft, die in einer dreifachen Hochzeit endet. Zahlreiche Duette, darunter Dudley und Eleanors „When I found you“ oder Dorothys und Tonys „Love me in the Morning Early“ und „My Home Town“, haben ebenso Ohrwurmqualitäten wie die quicken Ensembles (z.B. „Dance, Dance, Dance“ zu Beginn des zweiten Aktes) und werden von Adam Acetos Team, der zusammen mit Stephanie Assis den Klavierpart spielt, ausgesprochen charmant umgesetzt: Joshua Shaw als Dudley, Jesse Merlin als Tony, Elyse Marchant als Dorothy und Natalie Moran als Eleanor, wobei die Herren etwas günstiger abschneiden als die soubrettig dünnen Frauenstimmen, doch weder von Tilzer noch Hirsch stellen unüberwindbare gesangliche Anforderungen, sondern setzen auf gesangsdarstellerische Prägnanz. Vergnügen bereitet das allemal. Wie im Gingham Girl sind auch hier Bonus Songs angehängt, die fallweise in die Show eingebaut wurden, aber im Vocal Score keinen Niederschlag fanden.

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Auf zwei CDs gibt es Sigmund Rombergs sich über mehreren Generationen von 1881 bis 1933 erstreckende und zwischen Frankreich und New York spielende Musical Romance Melody von 1933 (OA 1036), die Natalie Ballenger die Gelegenheit gibt, Paula de Laurier und deren Großmutter Andrée de Nemours zu spielen, Bryan Vickery ist Andrées Sohn Max de Laurier und …. doch das führt zu weit und ist zu kompliziert und wird wiederum auch auf sechs Seiten im Beiheft geschildert, das zudem wieder den Background schildert und eine detaillierte Tracklist beinhaltet. Wieder fungiert Adam Aceto als Musical Director, sein Ko-Pianist ist Brian O’ Halloran. Es beginnt mit der Hochzeit von Andrée mit dem Vicomte de Laurier, eine Zweckehe, denn Andrée liebt den Komponisten Tristan („Your are the Song“). 25 Jahre später steht Andrées Sohn Max vor seiner Hochzeit mit Ninon, die das Lied entdeckt, das Tristan einst für Andrée schrieb und sich wünscht, dass sie einen Sohn haben werden, der auch so schöne Musik schreibt. 1933 ist François, einst der Notar von Andrées Vater und ihr glühender Bewunderer, Präsident der Universal Radio Corporation in New York. Als er eines Abends wieder Tristan Lied auf einer Klavierwalze hört, beschließt er mit seinem Neffen George nach Paris zu reisen und Andrées Enkel zu suchen. Der Enkel stellt sich als Enkelin, Paula, heraus, die in einem Pariser Café die Gäste mit ihrem Gesang unterhält; ihr „Give Me a Roll on a Drum“ dürfte neben der in mehreren Reprisen aufgegriffenen Schicksals- „Melody“ der Hit der Show gewesen sein. Nach zwei Generationen findet eine Liebesgeschichte ihr Ende. George und Paula heiraten („Tonight May Never Come Again“).

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Der 1887 im westungarischen Nagykanizsa geborene Romberg, eigentlich Rosenberg, war, nachdem er u.a. in Wien bei Heuberger studiert hatte, 1909 nach Amerika ausgewandert, wo er in New York zuerst Erfolge als Caféhaus-Pianist hatte, 1914 als Hauskomponist der Shubert Brothers in die Fußstapfen von Hirsch trat und spätestens ab den 1920er Jahren mit rund 60 Bühnenwerken eine feste Größe am Broadway und in den 30er Jahren vorübergehend als Filmkomponist in Hollywood wurde. Rombergs europäisches Erbe erfüllte nicht nur bei seiner Alt-Heidelberg- Adaption The Student Prince oder der Operette über Franz Schubert The Blossom Time die amerikanische Sehnsucht nach der Alten Welt. In seinem 50. Musical Melody merkt man, dass die Zeit über ihn hinwegzugehen droht bzw. bereits gegangen ist. Der bittersüße Ton und die nostalgischen Farben huldigen einer untergegangenen Welt, der der alte François in seinem New Yorker Appartement in Erinnerung an das Paris des späten 19. Jahrhunderts ebenso nachhängt wie Romberg der Wiener Operette. Romberg schreibt nochmals Märsche, fesche Duette, walzerfeste Wendungen und große Operetten-Ensembles („Good Friends surround Me“ im ersten Akt“), die aber keine wirkliche Faszination mehr ausüben, allenfalls in der Pariser Café-Szene von 1933 findet er einen echten Ton. Natalie Ballenger als Andrée und energische Paula, Stephen Faulk als Komponist Tristan, Bryan Vickery als François und Nathan Brian als sein Großneffe George mit perfekter Mikrophonstimme verkörpern die papieren Vorlagen bestens.  Rolf Fath

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Ebenfalls von Romberg ist die bezaubernde Komödie Mlle. Modiste, die bei der Operetta Foundation (OA 1020) auf DVD als Mitschnitt einer hübschen, sehr konservativen Produktion der rührigen Ohio Light Opera von 2010 herausgekommen ist. Die Bilder muten eine frühe Hello Dolly an, der Cast wird von Sara Ann Mitchell als Fifi angeführt, dazu kommen mit munterem Spiel und hübschen Stimmen Julie Wright, Todd Strange, Boyd Machus, Dennis Jesse und eine motivierte Truppe unter der musikalischen Leitung von Michael Borowitz und in  der Regie von Steven Daigle. Empfehlenswert für Fans von Romberg (wie ich) und nicht nur die. G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Europäisches Barock

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Dieterich Buxtehude (1637–1707) war vom 11. April 1668 bis zu seinem Tod als Organist an St. Marien in Lübeck angestellt. Der damals 20-jährige Johann Sebastian Bach (1685–1750) schätzte Buxtehude so sehr, dass er 1705 die mehr als 465 Kilometer von Arnstadt nach Lübeck zu Fuß auf sich nahm, um den alternden Organisten spielen zu sehen und vermutlich mit ihn zu studieren.

Dort schrieb Buxtehude mehrere Werke, darunter Membra Jesu nostri patientis sanctissima („Die allerheiligsten Gliedmaßen unseres leidenden Jesus“) BuxWV75 (1680), ein Zyklus von sieben Passions-Kantaten, dass die betreffende Aufnahme von Luthers Bach Ensemble unter der Leitung von Tymen Jan Bronda enthält. Die im März 2021 entstandene Einspielung in der lutherischen Kirche in Groningen (Niederlande) ist die jüngste in einer Reihe von Aufführungen, unter anderem von John Eliot Gardiner (Archiv Produktion 447 298-2) und Ton Koopman (Erato 2292-45295-2).

Der Zyklus besteht aus sieben einzelnen Kantaten, die in aufsteigender Reihenfolge einer Körperpartie des Gekreuzigten gewidmet sind: 1. Ad pedes (An die Füße), 2. Ad genua (An die Knie), 3. Ad manus (An die Hände), 4. Ad latus (An die Seite), 5. Ad pectus (An die Brust), 6. Ad cor (An das Herz) und 7. Ad faciem (An das Gesicht). Dieses Werk gilt als das erste lutherische Oratorium und war ein Vorbild für Bach, insbesondere der siebte Teil (Salve caput cruentatum), den Paul Gerhardt (1607–1676) schon als Grundlage für das Kirchenlied O Haupt voll Blut und Wunden (1656) verwendete, das später von Bach in der Matthäus-Passion BWV 244 (1727) bearbeitet wurde. Allerdings stammt die Melodie, die Gerhardt und anschließen Bach verwendet haben, von Mein G’müt ist mir verwirret, das macht ein Jungfrau zart, einen Liebeslied komponiert von Hans Leo Haßler (1564-1612).

In dieser Aufnahme wurden die fünf Gesangsstimmen von die Solisten Kristen Witmer (Sopran I), Lucia Caihuela (Sopran II), Jan Kullmann (Alt), William Knight (Tenor) und Matthew Baker (Bass) übernommen. Das Barockorchester besteht aus neun Musikern, einschließlich des Basso continuo.

Von der Aufführung her ist dies eine sichere Empfehlung für Hörer, die sich mit dieser höchst einflussreichen Komposition des frühen norddeutschen Barocks vertraut machen wollen. Das Begleitheft enthält eine hochwertige Reproduktion eines Gemäldes von Giovanni Bellini, Der tote Christus, von zwei Engeln gestützt (1470–1475). Leider sind die gesungenen Texte nicht im Heft enthalten; stattdessen gibt es eine „persönliche Notiz“ und eine sehr kurze Einführung in das Werk durch den Dirigenten auf Englisch und Niederländisch, sowie biografische Skizzen auf Englisch und Farbfotos von einigen der Mitwerkenden. Hätte man die Bilder und Biografien der Interpreten weggelassen, wäre genug Platz für die lateinischen Gesangstexte und zumindest deren englische Übersetzungen geblieben. Dann wäre es ein hochwertiges Produkt auf dem Niveau der großen Plattenfirmen gewesen (Dieterich Buxtehude, Membra Jesu nostri mit Kristen Witmer, Lucia Caihuela, Jan Kullmann, William Knight, Matthew Baker, Luthers Bach Ensemble, Tymen Jan Bronda; Brilliant Classics 96592.).

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Osterkantaten des „zweite Wahl“ Thomaskantors: 1723 wollte der Magistrat der Stadt Leipzig Georg Philipp Telemann (1681-1767), den Kantor und Musikdirektor in Hamburg, als Thomaskantor anstellen. Er lehnte das Angebot ab, weil sein Arbeitgeber ihn behalten wollte. Die zweite Wahl war Christoph Graupner (1683-1760), ein ehemaliger Thomaner und Studenten der Universität Leipzig. Wegen Arbeitsverpflichtungen als Hofkapellmeister in Darmstadt musste er auch die Stelle als Thomaskantor absagen. Der Leipziger Ratsherrn Abraham Christoph Platz sagte dazu: „Da man nun die Besten nicht bekommen könne, so müsse man mittlere nehmen“. Johann Sebastian Bach (1685-1750) war nur die dritte Wahl für die Stelle, die er bis Ende seines Lebens besetzte.

Der Knabenchor Capella vocalis und Pulchra musica (aus dem Lateinischen: „Schöne Musik”) mit den Solisten Sebastian Hübner (Tenor), Johannes Hill (Bass) und Jan Manuel Jerlitschka (Countertenor) unter der Leitung von Christian Bonath bietet vier zwischen 1719 und 1743 entstandene Passions- und Osterkantaten in einer Weltpremiere Aufnahme an. Als Komponist von über 1400 Kantaten war Graupner viel produktiver als Bach, aber Aufnahmen von ihnen sind selten.

Alle vier Kantaten auf der vorliegenden zirka 57-minütigen CD bestehen aus jeweils sieben Sätzen und sind Vertonungen von Texten aus der Feder seines Schwagers, des Darmstädter Dichters Johann Conrad Lichtenberg (1689-1751). Trotz der Zeitspanne von 24 Jahren gibt es eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den hier vorgestellten geistlichen Kantaten. Diese prägnanten Werke folgen einem ähnlichen kompositorischen Muster, so dass sie leicht zu verstehen und angenehm zu hören sind. Im Gegensatz zu den heute viel bekannteren Kirchenkantaten Bachs enthalten Graupners Werke keine langen Instrumentalpassagen oder komplizierten Gesangslinien.

Die Kantate zum Gründonnerstag „Die Frucht des Gerechten“ (GWV 1126/33) aus dem Jahre 1733 enthält drei Rezitative, zwei Arien (eine für Alt und eine für Bass) und zwei Chöre. Die 1725 entstandene Kantate zum Karfreitag „Eröffnet euch ihr Augenquellen“ (GWV 1127/25) hat drei Chöre, drei Accompagnati und eine Bass-Arie. „Der Sieg ist da“ eine Kantate zum 1. Ostertag (GWV 1128/43) vom 1743 besteht aus zwei Chören, drei Rezitativen und einer Arie für Tenor sowie einer für Bass. Die Kantate zum 2. Ostertag „Ihr werdet traurig sein“ (GWV 1129/19) ist das älteste Werk auf dieser Platte; es wurde 1719 komponiert. Es umfasst zwei Chöre, ein Duett, zwei Rezitative, eine Bass-Arie und ein Accompagnato für Tenor.

Die Solisten, der Chor und das Orchester agieren durchweg mit Leidenschaft, Engagement und Liebe zum Detail. Diese CD ist ein überzeugendes Argument dafür, diesen unterschätzten Zeitgenossen Bachs kennenzulernen. Obwohl Graupner künstlerisch nicht als ebenbürtig mit Bach gilt, war er Teil der musikalischen Landschaft, in der, der Thomaskantor wirkte. Für unser Verständnis von Bach ist es von großem Wert, nicht nur Telemann und Georg Friedrich Händel (1685-1759) zu kennen, sondern auch Graupner, der zu seinen Lebzeiten bekannter war als Bach und von einigen Zeitgenossen als der größere Komponist angesehen wurde (Christoph Graupner, Osterkantaten, Sebastian Hübner, Johannes Hill, Jan Jerlitschka, Capella vocalis, Pulchra musica, Christian Bonath; Capriccio C5411).

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.Die Viola d’amore war das Lieblingsinstrument von Attilio Ariosti (1666-1729), einen in Bologna geborenen Komponisten, der in der Saison 1716/17 in London zu einem ernsthaften Konkurrenten Georg Friedrich Händels (1685-1759) wurde. Ariosti war vor allem als Opernkomponist bekannt; bevor er nach London zog, hatte er mit seiner ersten Oper in Venedig Tirsi (1696) und anschließend als Hofkomponist am Hof Sophie Charlottes in Lietzenburg bei Berlin (1697-1703) Erfolge. Zu seinen Freunden und Förderern am Hof gehörte der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), der sich für Ariostis Verbleib am Hof aussprach, gegen die Abberufung nach Bologna durch die heiligen Väter, die es nicht dulden konnten, dass Ariosti im Dienste der protestantischen Kurfürstin von Brandenburg stand.

1724 veröffentlichte Ariosti „Sechs Lektionen für Viola d’amore und Continuo“ im Rahmen der Sammlung von Kantaten und Lektionen für die Viola d’amore in London. So steht es im Vorwort für den Leser, „Für Sie allein, Abonnenten und Dilettanten der Musik und der Violine, sollen die folgenden Stimmungen Sie auf das Üben der Viola d’amore vorbereiten, nach der von mir entwickelten Methode, die Sie kennenlernen wollten.(…. ) Da es notwendig ist, zuerst einige Übung in diesen Stimmungen zu bekommen, bevor man diese (= die Viola d’amore) in die Hand nimmt, habe ich sie deutlich auf der Geige dargestellt, was Ihnen helfen wird, sich sicher zurechtzufinden.(….) Sie werden dann verstehen, warum es eine Notwendigkeit (und nicht eine Laune) war, Sie über die Geige einzuführen und auf ihr zu üben, ohne die Sie nicht in der Lage wären, ohne beträchtliche Schwierigkeiten erfolgreich zu sein“.

Die vorliegende Aufnahme vom Oktober 2017 präsentiert alle sechs Lektionen und eine Kantate für Solo-Sopran Pur alfin gentil viola aus der Sammlung. Mauro Righini spielt die Viola d’amore; Ugo Nastrucci (Theorbe) und Danilo Costantini (Orgel und Cembalo) begleiten ihn. Elena Bertuzzi singt das Sopransolo in der Kantate mit der richtigen vorgetäuschten Emotion für einen Text, der das Vergnügen an der Viola d’amore als Instrument feiert.

Diese Platte ist empfehlenswert, weil sie eine selten gespielte Sammlung für ein Streichinstrument präsentiert, das aus dem allgemeinen Gebrauch gefallen ist. Die Klangqualität ist klar und präsent, so dass jedes Instrument in einer Studioakustik deutlich zu hören ist, die der Musik genügend Raum zum Atmen gibt, ohne dass ein aufdringlicher Nachhall entsteht. Das Begleitheft enthält zwei informative einführende Aufsätze, einen auf Englisch und einen auf Italienisch, sowie biografische Skizzen der Musiker ausschließlich in englischer Sprache. Der gesungene Text der Kantate ist jedoch nicht enthalten.

Ariosti war wohl der führende Vertreter der Viola d’amore; nur sein jüngerer Zeitgenosse Christoph Graupner (1683-1760) komponierte eine vergleichbare Anzahl von Werken für dieses Instrument. Diese Einspielung von Ariostis Sammlung bereichert unser Verständnis von Kammermusik mit der Viola d’amore im frühen 18. Jahrhundert und ist daher für Gelehrte und Kenner der Barockmusik von Bedeutung (Attilio Ariosti, Sechs Lektionen für Viola d’amore und Continuo mit Mauro Righini, Ugo Nastrucci, Danilo Costantini, Elena Bertuzzi; Brilliant Classics 95620).

Neue Einspielungen von Komponisten der Renaissance, deren Werke wahrscheinlich nicht über ihre Lebenszeit hinaus aufgeführt wurde, veranlassen uns zu der Frage, wie sich die Musik vielleicht anders entwickelt hätte, wenn es eine kontinuierliche Aufführungstradition und damit einen Einfluss auf die nachfolgenden Generationen gegeben hätte. Giovanni Pierluigi da Palestrina (ca. 1525-1594) und Gregorio Allegri (1582-1652), zwei italienische Zeitgenossen der spanischen Komponisten Bernardino de Ribera (ca. 1520-ca. 1580), Juan Navarro (ca. 1530-1580), Sebastián de Vivanco (ca. 1551-1622) und Tomás Luis de Victoria (ca. 1548 – 1611), die auf der vorliegenden Aufnahme zu hören sind, haben die Entwicklung dessen beeinflusst, was wir gemeinhin „klassische Musik“ nennen.

Ein provokantes Gedankenexperiment ist, wie berühmte Musik von Wolfgang Amadeus Mozart geklungen hätte, wenn er sowohl mit spanische als auch italienische Renaissancekompositionen vertraut gewesen wäre. Er kannte einige Werke der italienischen Renaissance, z.B. das Miserere von Allegri, das er im April 1770, während eines Gottesdienstes in der Sixtinischen Kapelle hörte und später aus dem Gedächtnis schrieb.

Wie hätte sich Mozarts Musik entwickeln können, wenn der 14jährige auch de Ribera Navarro und andere gehört hätte? Diese Frage kann nicht beantwortet werden, aber sie macht uns bewusst, wie Aufführungstraditionen, die Musik zugänglich machen, die Musik beeinflussen, die wir schätzen. Der Zugang zu verschiedenen Renaissance-Kompositionen könnte zu einem anderen Wiener Klassizismus und damit zu einer anderen Romantik geführt haben usw.

Die vorliegende Platte bietet mehrere Weltersteinspielungen von Werken, die José Duce Chenoll, der muskalische Leiter, durch Archivrecherchen gefunden hat. Chenoll argumentiert in der Begleitbroschüre überzeugend, dass die Kenntnis dieser weniger bekannten Komponisten für das Verständnis des renommierten de Victoria unerlässlich ist, zumal de Ribera und Navarro seine Lehrer an der Kathedrale von Ávila waren. Mit dem Vokalensemble Amystis und der Instrumentalgruppe Ministriles de la Reyna bietet Chenoll die Möglichkeit, die Klangwelt eines bisher wenig erforschten Musikgenres zu erkunden.

Die Aufnahmequalität ist hervorragend, da sie das Gefühl einfängt, mit den Musikern in einer Kathedrale zu sein, wo diese Musik aufgeführt werden sollte. Die Aufnahme entstand im September 2021 in der Kirche von Santa Maria, Requena, Valencia. Das Beiheft enthält eine wissenschaftliche Einführung in die Musikwerke von Chenoll in englischer und spanischer Sprache, sowie biographische Skizzen und Farbfotos der Musiker. Die lateinischen Gesangstexte sind leider nicht enthalten; die Texte zu diesen Stücken hätten anstelle von Bildern und Biografien in das Booklet aufgenommen werden können, ohne dessen Umfang zu vergrößern (Bernardino de Ribera, Juan Navarro, Sebastián de Vivanco und Tomás Luis de Victoria, Meister der spanischen Renaissance mit Amystis, Ministriles de la Reyna, José Duce Chenoll; Brilliant Classics 96409). Daniel Floyd

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„Fernand Cortez“ zum 2. & 3.

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Anderorts wären diese Raritäten Anlass für ein Festival der französischen Oper. Zum Beispiel in Paris, wo der Palazzetto Bru Zane im Juni mit Francks Hulda und Saint-Saëns opéra comique Phryné sein neuntes Festival ausrichtet. An der Oper Dortmund ergibt es sich ganz zwanglos, dass an einem Wochenende zwei Opern mit komplizierter Werkgeschichte aufeinanderfolgen: die deutsche Erstaufführung von Ernest Guirauds fünfaktigem Drame lyrique Frédégonde (dazu an anderm Ort mehr) und Spontinis Fernand Cortez (in der sog. „Berliner Fassung“). Zweifellos eine Großtat. Zu verdanken der Phantasie und Initiative des Dortmunder Opernintendanten Heribert Germeshausen, der den kommenden Konwitschny-Ring mit derlei Raritäten schmückt. Dazu soll bald auch La Montagne noire, das 1895 an der Pariser Opéra uraufgeführte Hauptwerk der César Franck-Schülerin Augusta Holmès gehören.

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Friedrich Schinkel: Entwurf zu der Spontini-Oper „Fernand Cortez“, Potsdam 1828;  Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin /[CC BY-NC-SA] )

Dazu ein Wort zur „Berliner Fassung“ von Klaus Pietschmann: Die Idee zur Komposition der Oper Fernand Cortez verdankt sich einem Kompositionsauftrag, den Kaiser Napoleon I. nach der erfolgreichen Uraufführung von Gaspare Spontinis La Vestale (1807) mit der Intention erteilte, seinen Spanienfeldzug durch ein Propagandastück vorzubereiten. Das Libretto von Victor-Joseph Etienne de Jouy basiert auf verschiedenen historiographischen und dramatischen Vorlagen und hat die Eroberung der Hauptstadt des Aztekenreiches Tenochtitlan durch den spanischen Feldherrn Hernan Cortez zum Gegenstand. Das in Paris verwahrte Autograph lässt erkennen, dass Spontini zunächst eine Urfassung des Librettos vertonte. Kurz vor Probenbeginn wurde jedoch durch den Innenminister eine Umarbeitung des Textes gefordert und unter Mitwirkung von Joseph-Alphonse d’Esménard durchgeführt, die insbesondere die ursprünglich vorgesehene Figur des Montezuma eliminierte.

In dieser ersten Fassung gelangte die Oper am 28. November 1809 zur Uraufführung. Die insgesamt ausgewogene Perspektive dieser Fassung, die die Glorifizierung der Eroberung und den teilnehmenden Blick auf die Situation der Eroberten gleichermaßen beinhaltet, hatte zur Folge, dass die gewünschte Propagandawirkung verfehlt wurde. Gleichwohl sorgte die prominent besetzte, durch spektakuläre Bühneneffekte angereicherte Produktion für gewisses Aufsehen und zog weitere Produktionen an europäischen Bühnen nach sich. Die von Spontini sorgfältig betreute, der Kaiserin gewidmete Drucklegung der Partitur erfolgte bei Imbault vermutlich knapp zwei Jahre nach der Uraufführung. Dass Fernand Cortez bereits in dieser ersten Fassung einen Ausnahmecharakter innerhalb der Opernproduktion der Zeit einnahm, bestätigte erst 2019 die erste moderne Wiederaufführung dieser Fassung in Florenz.

Nach dem Sturz Napoleons nahm Spontini eine grundlegende Umarbeitung der Partitur vor, die am 28. Mai 1817 ihre höchst erfolgreiche Uraufführung erlebte. Neben Umstellungen und Ergänzungen, die etwa den Austausch des ersten und zweiten Aktes betreffen, ist diese zweite Fassung vor allem durch (Wieder-)Einführung der Figur des Aztekenkaisers Montezuma gekennzeichnet, deren Fehlen in der ersten Fassung beanstandet worden war.  In dieser zweiten Fassung, deren Drucklegung bei Erard Ende 1817 oder Anfang 1818 abgeschlossen war, hielt sich die Oper bis 1844 auf dem Spielplan der Opéra und wurde zu einem international vielfach nachgespielten Erfolgsstück. Ihre Berliner Erstaufführung 1818 erfolgte bereits im zeitlichen Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen des preußischen Hofes mit Spontini, die im selben Jahr zu seiner Bestallung als Generalmusikdirektor führten.

Friedrich Schinkel: Entwurf zu der Spontini-Oper „Fernand Cortez“,  Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin / [CC BY-NC-SA] )

Für die in Dortmund gespielte dritte Fassung nahm Spontini in Berlin eine weitere Umarbeitung vor, die insbesondere die Einschaltung eines „Denouement“, d.h. einer Szenenfolge zur Konfliktlösung, im dritten Akt betraf und 1824 in der Übersetzung von Johann Christoph May zur Erstaufführung gelangte. Diese Fassung wurde anscheinend nur in Darmstadt nachgespielt, allerdings lässt der 1825 erschienene Klavierauszug mit sorgfältig unterlegtem deutschem und französischem Text erkennen, dass Spontini diese Fassung auch für französische Bühnen als die nunmehr gültige ansah – trotzdem kommt es erst jetzt in Dortmund zu einer ersten Produktion. Eine vierte Fassung, die 1832 als solche angekündigt in Berlin und ein Jahr später auch in Dresden aufgeführt wurde, umfasste insbesondere die Einfügung einer Apotheose des Christentums am Schluss.

Fernand Cortez stellt damit diejenige Oper Spontinis dar, deren Bearbeitung ihn am längsten beschäftigte: Mit Unterbrechungen arbeitete er insgesamt 24 Jahre an der Partitur. Insbesondere die dritte und vierte Fassung dokumentieren dabei das Ringen um eine befriedigende Schlusslösung und erscheinen zugleich symptomatisch für die künstlerische Spätphase des Komponisten, die von erlahmender künstlerischer Inspiration und zugleich einem ins Extrem gesteigerten Perfektionismus geprägt war.

Dass in Dortmund erstmals die dritte Fassung in französischer Sprache aufgeführt werden kann, wäre vor einigen Jahren nicht möglich gewesen. Nach bisherigem Kenntnisstand war ihre musikalische Gestalt lediglich durch den von Spontini approbierten Klavierauszug dokumentiert, der 1825 in Leipzig bei Hofmeister erschienen ist. Aufgrund neuer Quellenfunde kann die 3. Fassung inzwischen als umfänglich dokumentiert gelten. So fand sich die als verschollen geltende Berliner Dirigierpartitur in den Beständen der Berliner Staatsbibliothek wieder. Allerdings weist sie erhebliche Bearbeitungsspuren auf, die zu einem Großteil auch die spätere 4. Fassung betreffen. Eine klare Unterscheidung der beiden Fassungen ist aufgrund dieser Quelle nicht immer möglich. Interessant ist in dieser Partitur die Unterlegung des deutschen Textes in lateinischer Current-Schrift – sicherlich handelt es sich bei dabei um ein Entgegenkommen an Spontini, der sich zeit seines Lebens schwer tat, die deutsche Schrift zu lesen.

„Atahualpa“: Schinkels Bühnenbild zu Spontinis „Fernand Cortez“ in berlin/ Wiki

Spontinis eifrigem Bemühen um engen Austausch mit dem europäischen Hochadel ist es zu verdanken, dass sich weitere Quellen zur 3. Fassung in Stockholm und Darmstadt finden ließen – beides Städte, in denen nach 1824 Neuproduktionen des Cortez angesetzt wurden.  Nach Stockholm sandte Spontini eine Teilabschrift, die die neu bearbeiteten Teile des 3. Akts umfasst und vom selben Kopisten stammt wie die Berliner Dirigierpartitur. Etwas irreführend ist die autographe Aufschrift „composé pour le théatre royal de Suède par moi Spontini 1824“: wohl eine Schmeichelei, denn zweifellos war die Überarbeitung primär in Erfüllung seiner Dienstpflichten als preußischer Generalmusikdirektor entstanden. Der Stockholmer Librettodruck von 1826 zeigt allerdings, dass letztlich doch die 2. Fassung in schwedischer Übersetzung gespielt wurde. Folglich weist die aus Berlin übersandte Teilabschrift keine Bearbeitungsspuren auf und dürfte folglich Spontinis ursprüngliche Konzeption der 3. Fassung exakt wiedergeben. Da auch der Klavierauszug abgesehen von wenigen kurzen Kürzungen exakt mit der Stockholmer Abschrift übereinstimmt, bietet sich für den Herausgeber eine ungewöhnlich komfortable Situation.

Tatsächlich gespielt wurde die 3. Fassung 1825 in Darmstadt, allerdings wurden die Aufführungsmaterialien im 2. Weltlkrieg zerstört. Jedoch hat sich im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt ein handschriftlicher Entwurf zu dem „Nouveau denouement“ des 3. Akts mit autographen Zusätzen erhalten. Aus dem Begleitschreiben geht hervor, dass es Spontinis Anliegen war, dem Hof die neue Fassung zur Kenntnis zu bringen und sie nachfolgend auch in Frankreich zu verbreiten:

Spontini: „Fernand Cortez“ – der Komponist Gaspare Spontini/ Wikipedia

„In Respektierung der Gewohnheiten des Großherzogs wage ich es nicht, ihm die Musik des neuen Denouements des Cortez direkt zukommen zu lassen, aber ich bitte Sie, Herr Baron, ihm die beigefügten französischen und deutschen Texte zu übermitteln. […] Für Frankreich, wenn man es dort eines Tages übernehmen möchte, werden Jouy oder andere meine Verse leicht korrigieren können, für die ich keinerlei Stolz hege.“

Bereits in den Reaktionen auf die Premiere der zweiten Fassung in Paris war der allzu abrupte, als missglückt empfundene Schluss der Oper kritisiert worden, der in den kuriosen Worten des Cortez gipfelt: «Montézuma, pardonne-moi ma gloire; C’est ta seule amitié que je veux conquérir». Gegenüber König Friedrich Wilhelm III. behauptete der für seine Eitelkeit bekannte Spontini zwar, dass insbesondere das entfallene Schlussballett die Änderung nötig gemacht habe, aber es besteht kein Zweifel, dass ein dramaturgischer Patzer der zweiten Fassung behoben werden sollte, den ein Berliner Rezensent so beschrieb: „Weshalb Amazily, statt sich wie sonst für den gefangenen Bruder ihres Geliebten in die Hände des wüthenden Oberpriesters zu liefern, nun dem Cortez wie eine Brieftaube voranflog, um dem Montézuma zu melden, daß der spanische General im Anmarsch und guten Humors sei – über diesen unbegreiflichen Fehler in der zweiten Gestaltung wissen wir keine Rechenschaft zu geben. Ein so matter Schluss konnte auch der Musik nicht günstig sein.“

Betrachtet man Spontinis Überarbeitung genauer und vergleicht sie mit der 1. Fassung, so zeigt sich, dass er eine für ihn typische modulare Bearbeitungstechnik wählte. In den allermeisten Fällen wird das Dénouement aus existierenden Abschnitten zusammenmontiert, wobei Spontini lediglich die Arie Oberpriesters zu einem Duett mit Amazily erweiterte und einige Übergänge neu komponierte, so dass die maliziöse Bemerkung eines Rezensenten nicht ganz von der Hand zu weisen ist: «In diesem umgearbeiteten Akt des Cortez ist Alles neu, nur die Musik nicht.» Dennoch nicht zu unterschätzen ist der Zugewinn an dramaturgischer Stringenz gegenüber der zweiten Fassung – um den Preis allerdings einer deutlichen Ausdehnung dieses Bildes, das sich damit den Dimensionen der ersten Fassung annäherte, wo sich seine Handlungselemente innerhalb des gesamten dritten Akts entfalten konnten. Um diese Längen zu kompensieren, setzte Spontini auf spektakuläre Bühneneffekte wie insbesondere die Sprengung der Tempelrückwand und den Ausblick auf das brennende Mexiko.

Einem Brief Spontini an den Kronprinzen zur 4. Fassung von 1832 ist eine interessante zusätzliche Erklärung für die neue Schlussgestaltung zu entnehmen: „Den Brand der Stadt Mexiko, den ich in Berlin seinerzeit eingefügt habe, um dem großmütigen preußischen Thronfolger die sublime Heldentat des Brandes von Moskau in Erinnerung zu bringen, habe ich, da er nicht die Zustimmung des Königs fand, im 3. Akt gestrichen.“ Der Brand Moskaus hatte auf die Zeitgenossen großen Eindruck gemacht und war als militärischer Erfolg Preußens propagiert worden, obwohl es sich offenkundig um einen Sabotageakt gehandelt hatte. Im Zuge der politischen Annäherung Friedrich Wilhelms III. an Russland wurde dieser Bezug allerdings problematisch und ist wohl deshalb vom König beanstandet worden.

Der Autor: Klaus Pietschmann/Foto Musikwissenschaft Uni Mainz

Die Oper sollte Spontini noch etliche weitere Jahre beschäftigen und erst mit der 4. Fassung zu einem Abschluss gelangen. Die Arbeit an Fernand Cortez erscheint damit in einer nicht nur chronologischen Nähe zu Agnes von Hohenstaufen, die ebenfalls das Ergebnis eines langwierigen, im Dezember 1826 mit der Auswahl des Librettos einsetzenden und 1837 mit der Uraufführung der dritten Fassung endenden Prozesses war. Symptomatisch erscheint dabei, dass Spontini selbst gerade diese aus mühevollen Kraftakten hervorgegangenen Werke für seine besten hielt: Während er Richard Wagner gegenüber Agnes von Hohenstaufen als sein Meisterwerk bezeichnete, versuchte er 1840 auf gerichtlichem Wege durchzusetzen, dass die Pariser Opéra für die Wiederaufnahme des Fernand Cortez auf den überarbeiteten dritten Akt zurückgreifen und diesen neu in Szene setzen sollte. Aufschlussreich ist der Gerichtsprozess, dessen Umstände zu den spektakulären Theaterskandalen im Paris des 19. Jahrhunderts zählen, auch hinsichtlich Spontinis eigener Beurteilung der beiden Berliner Fassungen. Während nämlich in Berlin und Dresden (sowie später auch in Prag, Mainz, Rostock und New York, wohin das Dresdner Material verliehen wurde) die vierte Fassung ohne erkennbaren Widerspruch des Komponisten weitergespielt wurde, war es in Paris die dritte, deren Einstudierung er noch 1840 durchsetzen wollte. Somit ist in Dortmund zu erleben, was Spontini einst dem Pariser Publikum zugedacht hatte. Klaus Pietschmann

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Und nun Rolf Fath zur Aufführung in Dortmund: Auf Anhieb fasziniert ist man von Fernand Cortez und Spontinis perfekt auskalkulierter Dramaturgie, mit der er Chor und Solisten, Handlung und Zustandsbeschreibung im ersten Akt in einen großen Block fasst: Das Terzett der drei in mexikanischer Gefangenschaft befindlichen Spanier, das durch Sungho Kim als Alvar geadelt wird, die Einwürfe des Rache fordernden Oberpriesters der Mexikaner, die Szenen der zu ihrem Volk zurückgekehrten Amazily, ihr Duett mit dem Bruder Télasco und das Erscheinen Montezumas. Das ist packend, hat Verve und ist großartig strukturiert und wurde von Motonori Kobayashi, trotz seines kurzfristen Einspringens, bezwingend umgesetzt.

Spontinis „Fernand Cortez“ in Dortmund/ Szene/ Foto wie oben Björn Hickmann

Im Gegensatz zur Frédégonde war der von Napoleon beauftragte Fernand Cortez ou L‘ Conquête de Mexique ein ausgesprochener Renner, dessen Erfolg sich nach dem bescheidenen Erfolg der Pariser Uraufführung von 1809 mit jeder Revitalisierung, der Spontini seine Opéra unterzog, steigerte: in einer zweiten Fassung 1819 in Paris, zum dritten Mal 1824 in Berlin vier Jahre nach seinem Amtsantritt als preußischer Generalmusikdirektor sowie in einer vierten und letzten Fassung 1832 abermals in Berlin. Dortmund kündigte Fernand Cortez oder Die Eroberung von Mexiko als „Erstaufführung der 3. Fassung in französischer Sprache“ an, – die Berliner Fassung erklang an der Berliner Hofoper in der deutschen Übersetzung von Johann Christoph May und wurde nun (leider) in Dortmund in Französisch gesungen – was den vor dem Dickicht der Fassungen zurückschreckenden Besucher nicht über Gebühr belasten soll.

Wie bereits im Artikel zur modernen Erstaufführung des Werkes in Florenz 2020 (auf DVD und CD bei Dynamic) ausgiebig dargelegt war Spontini der Stratege der tableaux vivants, großformatiger Festaufzüge, gestützt von einem Klanggepräge, dessen raumgreifende Dramaturgie Einfluss auf andere Komponisten bis hin zu Wagner hatte. In diesem Zusammenhang wird oft der Maometto Rossinis, der den italienischen Fernando Cortez 1820 In Neapel gab, genannt, wie man denn überhaupt hinter der Folie aus spanischen-mexikanischen Lagern und der chorisch-solistisch verzahnten Rhetorik immer wieder Rossinis serias zu hören meint.

Die Oper ist kurz. Gerademal etwas über zwei Stunden. (..) Die eigentliche Hauptfigur ist hier iun Dortmund nicht Cortez, der nur eine große Szene und Arie am Ende des zweiten Aktes hat, die Mirko Roschkowski, der ein Cortez von gemütlicher Ausstrahlung ist, mit der richtigen Stimme und Farbe für diese Partie gibt. Die angesagte Indisposition zwang ihn im dritten Akt zu gesanglichen Ausflüchten. Die eigentliche Hauptfigur ist die mexikanische Prinzessin. Regisseurin Eva-Maria Höchmayr streicht den auch auf dem Zwischenvorhang den Namen Cortez durch, ersetzt ihn zuerst durch Amazily und schließlich durch deren historische Entsprechung Malinche, die Cortez als Übersetzerin und Sprachrohr diente, seine Geliebte und Mutter eines gemeinsamen Sohnes wurde. Malinches bzw. Amazilys Sprachbegabung wird verdeutlicht, indem französische Ausdrücke durch spanische und mexikanische Übersetzungen überschrieben werden. In Ralph Zegers Goldkammer ist Amazily allgegenwärtig, mit weiß gekalktem Gesicht immer eine Außenseiterin, die sich verwandelt, je nachdem ob sie bei den Spaniern oder ihrem eigenen weilt, wo sie, wie Montezuma und Télasco, das prächtige Federdiadem trägt (Kostüme: Miriam Grimm), dabei leidensfähig und bereit, sich für ihr Volk das Herz aus dem Leib zu reißen. Der Französin Melody Louledjian mag für die großen Ensemble die sieghafte Stimme fehlen, doch ihr farbiger Sopran trägt ausgezeichnet, sie versteht es mit perfekter Diktion und gesanglicher Gestik die Figur zu vermitteln und ihrer Arie im zweiten Akt die nötige Dramatik einzuhauchen. Mandla Mndebele singt den friedliebenden Montezuma mit breitem Ebenmaß, Danis Velev ist ein ausgesprochen eleganter Oberpriester, James Lees Télasco bleibt etwas verwaschen. In weiteren Partien traten auf: Moralès/Morgan Moody,  Prisonniers: Jorge Carlo Moreno und Ian Sidden, 1er officier espagnol: Błażej Grek, 2ème officier espagnol: Carl Kaiser, Un marin espagnol: Jaeyoun Kim.

Spontinis „Fernand Cortez“ in Dortmund/ Szene/ Foto Björn Hickmann

Höchmayr zeigt eine entgrenzte Situation, in der die feine Abendgesellschaft ihre Anzüge und Kostüme verliert, sich in Unterwäsche und mit blutigen Händen durch die spanisch-mexikanischen Konfrontationen quält, Cortez als einziger mit historischer Halskrause im Glaskasten sitzt, Kreuze geschleppt werden und Eroberer aller Länder und Epochen auftauchen, wenn die Spanier vom Sieg träumen, was der auch diesem Abend reduzierte Dortmunder Opernchor recht gut vermittelte (08. 05. 2022/ Fotos folgen).  Rolf Fath

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(Beitrag aus dem Programmheft zur Aufführung an der Oper Dortmund im Juni 2022, mit sehr freundlicher Genehmigung des Autors; Klaus Pietschmann ist Professor an der Uni Mainz im Fachbereich Musikwissenschaft: Foto oben: Spontinis „Fernand Cortez“ in Dortmund/ Szene/ Foto Björn Hickmann)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Andree Esposito

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Kaum eine andere Sängerin im französischen Bereich hat mich so enthusiasmiert wie  Andrée Esposito. Sie hat so etwas in ihrer Stimme mit dem flirrenden Timbre, der energischen Höhe, der Sinnlichkeit im mittleren Bereich, das sie für mich un-austauschbar macht, sofort wieder erkennen lässt, etwas so Hochindividuelles, wie man das selten findet. Sie trifft mich direkt. und ist so immens vielseitig gewesen, dass ihr Repertoire staunen machen. Von der lyrischen Mireille bis zur bezaubernden Manon Massenets  zur entschlossen-erotischen Thais duchmisst sie die Rollen ihres Fachs mit dem ihr eigenen Elan, und es ist diese Entschlossenheit der Gestaltung und Bewältigung, sie sie auszeichnen. Wäre es kitschig zu sagen, ich bin ihr verfallen? Reinakustisch natürlich, weil ich sie nicht auf der Bühne mehr gehört habe. Aber ihre vielen, vielen Dokumente lassen mich immer wieder staunen und schwelgen in dieser Flut reinfranzösischen Klangs, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Die ganze Kunst der Esposito mit ihrer unglaublich sicheren, leuchtenden Höhe, ihrer zum Mitschreiben deutlichen Diktion und ihrem unverwechselbaren französischen Timbre par excellence ist in ihren  Partien nachhörbar. Andrée Esposito gehörte zu den wirklich typischen Sänger/innen ihrer Zeit..

Andrée Esposito als Manon/Heinsen/Esposito

Sie ist neben ihren Kolleginnen Renée Doria, Berthe Monmart, Andréa Guiot, Georgette Cammart, Suzanne Sarrocca und vielen anderen eine jener Sängerinnen in Frankreich, die nach dem Krieg das französische  Repertoire  (und nicht nur das) zu einer hohen Qualität geführt haben, eine, die in würdiger Nachfolge der Vorgängerinnen wie Félia Litvinne, Germaine Lubin oder Ninon Vallin eben jenes spezifische Flair, jene unnachahmliche Diktion, jenen Strahl der unverwechselbar französisch geführten Stimme aufbrachte, jene sofortige Wiedererkennbarkeit der individuellen Stimme zeigt, die uns heute so vergessen scheint. Die Esposito ist nicht übermäßig oft  „offiziell“ dokumentiert worden (viele Veröffentlichungen sind Radiomitschnitte, die erst nach ihrer Karriere veröffentlicht wurden). Sie steht damit nicht allein – ihre Kollegen Alain Vanzo, Albert Lance (kein originaler Franzose), Charles Richard (dto.), Julien Haas, die Crespin, die Doria, Michel Dens, Pierre Mollet, Andre Pernet, Guy Chauvet, Janine Collard, Hélène Bouvier aus der älteren Generation, natürlich Robert Massard ebenfalls unvergessen, und viele, viele andere waren von dem Umbruch betroffen, der mit Liebermanns Übernahme der Pariser Oper begann und der die französischen Sänger in die Provinz und ins Radio schickte, während in der Hauptstadt – bis heute – ausländische Sänger in der Originalsprache ein anderes Verständnis von Oper einführten und das Typische verdrängten.

Andrée Esposito, am 7. Februar 1934 in Algier geboren, trat ebendort erstmals bei einem Konzert 1951 auf, ging nach Studien bei Nougera und Panzera nach Nancy (1956 Debut in Erlangers Juif polonais), anschließend an alle großen französischen Bühnen, namentlich Nizza, wo sie sie mit ihrem späteren Mann, den Bass-Bariton Julien Haas, sang. 1959 gab sie ihr glanzvolles Debut als Violetta an der Pariser Oper (Palais Garnier), eine Rolle, mit der sie stets identifiziert wurde und die sie noch in den Neunzehnhundert-Achtzigern als Einspringerin sang. Auch an der Pariser Opéra-Comique hatte sie ihre Erfolge, namentlich mit Bondevilles Madame Bovary. Sie war eine der bedeutendsten dramatischen Koloratursopranistinnen in Frankreich mit einer hervorragenden Eignung zum dramatischen Repertoire, so als Violetta, Manon, Juliette oder Marguerite, aber auch mit weniger gängigen Partien. Zudem  war sie eine bedeutende Liedsängerin, wie einige Dokumente belegen. Für mich hatte sie eine der attraktivsten und französischsten Sopranstimmen! Ein erstes Hören in den Siebzigern ließ mich diese hellen, glitternden, in allen Registern so vortrefflich durchgearbeiteten Sopranstimme verfallen. Viele Momente bleiben von ihr in Erinnerung, etwa das „Enfin“ in der Manon-St.-Sulpice-Szene, wenn Manon ihren Des Grieux endlich „rumgekriegt“ hat, ihr hochdifferenziert gesungenes Air de Bijoux im Faust, ihre vielschichtige angelegte erste Arie in der Thais, aber auch ihre barocken Ausflüge und für mich vor allem die Auftrittsarie der Teresa in Benvenuto Cellini: welcher Glanz, welcher Jubel, welche Persönlichkeit in der Stimme.

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Alain Vanzo und Andrée Esposito/ Filmszene aus „Manon“/OBA

Andrée Esposito ist auf recht vielen Dokumenten erhalten (vor allem bei youtube), auch auf manchen Radiomitschnitten und davon wichtigen. Dies schreibe ich, während im Hintergrund ihre ganz wunderbare Marguerite in Gounods Faust singt, die Bella Voce (des umtriebigen Walter Knoeff) auf einem Mitschnitt des Faust mit Robert Massard und Albert Lance unter Roberto Benzi 1972 aus Amsterdam veröffentlicht hat. Die ganze Kunst der Esposito mit ihrer unglaublich sicheren Höhe, ihrer zum Mitschreiben deutlichen Diktion und ihrem unverwechselbaren, leuchtenden französischen Timbre par excellence ist hier nachhörbar. Diese junge Frau, Marguerite, auf dem Weg zum Wahnsinn, durch Keuschheit, Liebe, Verführung  und Verrat, erzählt uns eine Geschichte, breitet ein Schicksal aus – und meistert die beträchtlichen Tücken der Partie ohne jede Schwierigkeiten mit Glanz.

Ein ehemaliger Philips-Querschnitt zeigt sie ebenfalls in einem Faust, sodann gibt es sie mit Rameau bei DG (Pygmalion, Les Indes Galantes, exc.  Couraud mit Collard 1962), mit dem Chanson perpétuel von Chausson auf einer EMI-CD (Jacquillat), mit Kantaten von Vivaldi (dto.), als Glauce neben einer monströsen Médée der Rita Gorr bei La Voix de son maître (Prêtre)  in einem Querschnitt der Oper, die Philine in einem Mignon-Querschnitt (dto.) mit der intensiven Jane Rhodes, die Inès in einem Africaine-Querschnitt neben Tony Poncet bei Philips sowie Saugets Caprices de Marianne unter Manuel Rosenthal 1959 bei Solstice. Sie singt auch Clérambault-Kantaten (Médée u. a./Blanchard) bei Pathé. Auf dem Gebiet der Operette war sie auch zu Hause, so in den Dragons de Village bei Decca/Accord und eine Chauve Souris, Sangue de Vienne und Kalmáns Comtesse Mariza unter Siebert von 1962 (Éditions Montparnasse) als DVD vom Fernsehen.

Andrée Esposito als Thais/Heinsen/Esposito

Es gibt viele Lieblingsaufnahmen von ihr für mich. Die wirklich grandiose Teresa im Berliozschen Cellini, die wunderbare Marguerite, ihre unübertroffene Thais, die leuchtende Rozenn im Roi d´Ys: ach eigentlich alle. Der französische Rundfunk hat vieles von ihr konserviert (und man dankt der INA, das ist das Institut National Audiovisuel, einmal mehr für die Sorge der Franzosen um ihre nationales Erbe, während ja sonst auf Frankreichs Bühnen davon nicht immer was zu merken ist). Ihr häufiger Partner war der kürzlich bei uns noch einmal vorgestellte Tenor Alain Vanzo, wie die Esposito und Robert Massard eine der Säulen der französischen Gesangs der Sechziger/Siebziger. Der Manon auf dem Philips-Querschnitt (Etcherverry) folgte die Radio-Version von (Standardlänge für Studio/Konzert-Opern im französischen Rundfunk, 120 Minuten oft mit Ansage und Einführung) 100 reine Minuten ebenfalls Massenets Oper von 1968. Mireille 1959 aus derselben Quelle gab es bei Chant du Monde in deren wunderbarer Reihe der französischen Opern und Operetten vom Radio, wo auch Reyers Sigurd erschien. Es gibt auch eine Luisa Miller vom ORTF unter Pierre-Michel Le Conte. Anders als ihre  Kollegin Doria erotisiert sie ihre Thais, eine bei Chant du Monde von 1959 neben ihrem prachtvollen Kollegen Massard und eine spätere nicht veröffentlichte neben ihrem Ehemann Julien Haas. Die Chant du Monde-Ausgabe ist zudem interessant wegen der angekoppelten Arien und Szenen aus ihrem Standard-Repertoire: Faust, Phyrne, Benvenuto Cellini (letzter komplett vom ORTF 1969 bei Gala mit Vanzo sowie live aus Marseille 1969), Pêcheurs de Perles, Louise, Manon (das Duo Saint-Sulpice mit Vanzo, die Gesamteinspielung nur für Sammler), Traviata, Carmen, Gianni Schicchi, Rigoletto meist live aus dem Rundfunk 1958 – 1972. Wie vieles andere nur für Sammler kursieren ein Roi d´Ys von Lalo vom ORTF 1967 neben der tollen Kollegin Berthe Monmart und ihrem Ehemann Julien Haas. Ihre Juliette (Gounod) ist zweimal dokumentiert. Einmal nur als Band-Mitschnitt 1967 vom Rundfunk (ehemals auch MRF) und als gekürzte Gesamtaufnahme in sehr gutem Stereo aus Nizza 1976 bei Gala mit – wieder einmal und beglückend – Alain Vanzo; sowie bei der INA sogar eine Schmannsche Genevieve (!!!) 1977 unter Tony Aubin. Auch eine Webersche Euryanthe unter le Conte von 1965 sowie Bondevilles Madame Bovary unter demselben von 1967. Und sicher gibt’s noch mehr (s. nachstehend)! Was für eine Stimme und was für eine unverwechselbare Künstlerin. Une voix francaise jaimais oubliée!  Geerd Heinsen

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Andrée Esposito als Manon in Avignon/youtube

PS. Der meist zuverlässige Ommer (Andreas Ommer, Verzeichnis aller Operngesamtaufnahmen, DBSO26) listet noch einige andere Aufnahmen der Esposito auf, wobei zwischen Opernhaus-Mitschnitten, Industrie- und Radio-Aufnahmen zu unterschieden ist. So gibt es zwischen 1964 und 1979 allein vier mal Benvenuto Cellini (unter verschiedenen Dirigenten, auch einen aus Genf mit Gedda, dto bei Sammlern, kein guter sound), Dallapiccolas Ulisse unter Prêtre ohne Datum und wie die übrigen leider auch ohne Quelle; Iberts Persée et Andromède von 1973 unter Bigot (Bourg?); ebenso Martinus Julietta unter Charles Bruck ohne Datum (Bourg?), eine Butterfly unter Rappalo von 1969 – alle wahrscheinlich doch vom Radio. 

Dazu auch die Buchempfehlung/ David Grandis:The Voice of France (The Golden Age of the R. T. L. N.) mit einem Vorwort von Roger Pines, 261 Seiten, Abbildungen/Fotos, Index, Tabellen, MJW Fédition Paris ISBN979-10-90590-16-8). G. H.

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Und zum Schluss die Sängerin selbst in einem Interview von 2001: Man muss – nicht nur zum Singen, aber vor allem da – unbedingt Persönlichkeit haben, man muss eine Siegernatur sein, man muss musikalisch und intelligent sein und man muss vor allem ein bedingungsloser Arbeiter sein, unermüdlich und immer an sich arbeiten, wirklich. Wenn diese  Eigenschaften fehlen, dann können Sie die schönste Stimme der Welt haben, und Sie sind nichts. Man muss zudem immer neugierig sein, immer suchen. Wenn man etwas erreicht hat, darf man nie glauben, schon am Ziel zu sein – nichts ist sicher! Und man muss stets zum Besseren wollen, sonst fällt man zurück. Die Stimme selbst ist ein Wunder. Es gibt ja viele Leute, die sich physiologisch usw. damit beschäftigen, die genau sagen können, welcher Muskel wann arbeitet – aber dann fehlt der Funke. Man öffnet den Mund, man bringt einen schönen  Ton  heraus – eine Gottesgabe, keine analytische Angelegenheit.

Andrée Esposito als Leila/“Pecheurs de Perles“/Heinsen/Esposito

Eine Sängerin, eine Künstlerin, muss demütig sein. Verzeihen Sie das Bild, aber man kommt zum Gesang wie zum Kloster, man steht im Dienst des Publikums wie im Priesteramt. Man darf nie eingebildet sein, denn man selber ist ja gar nichts: Die Kunst, die Stimme ist alles. Und sehen Sie: Der Erfolg, der Ruhm ist schnell vorbei. Wenn man auf dem Höhepunkt steht und man überall bekannt ist, ist man eigentlich schon wieder passé. Man erreicht den Gipfel, und alles beginnt zu kippen.

lch habe eigentlich immer gesungen, bereits als Kind. Auf Hochzeiten, bei Kommunionsfeiern hieß es immer: ,,Los, sing etwas!“ Meinen Unterricht begann ich sehr jung schon mit 14 Jahren; Vater wollte nicht, dass ich sang – seine anständige Tochter eine skandalumwitterte Künstlerin! Unvorstellbar! Sowas tat man früher einfach nicht. Aber ich war besessen. lch mogelte mit meinem Alter, um in Algier ins Konservatorium aufgenommen zu werden. Mit 18 gewann ich den 1. Preis, den Großen Preis von Algier, in einem Alter, in dem man normalerweise erst mit der Ausbildung beginnt. Der Wettbewerbspräsident war gleichzeitig der Direktor des Pariser Konservatoriums und half mir, dorthin zu kommen. lch hatte dann das Glück, auf Charles Panzéra zu treffen – ein großer Interpret und  Musiker und ein wunderbarer Mensch, der alle Geheimnisse des Belcanto kannte und sie mir vermittelte , so wie ich sie und mehr darüber hinaus meinen Schülern vermittele .

Es gab auch Dirigenten, die für mich entscheidend waren, jeder hatte seine Quälitäten. Heute ist das anders, man lässt die vielen Talente, die Frankreich besitzt, sich nicht entfalten, man lässt ihnen nicht genug Raum zum Wachsen. In Sachen Kultur verarmt Frankreich. Wir spielen immer seltener und weniger von unserem reichen Repertoire, und wenn, dann mit Leuten, die die Feinheiten unserer Sprache nicht verstehen. Wir sind eine hochgebildete  Kultur-Nation, und es ist sicher richtig, dass die Ausländer zum Singen kommen – ein Austausch ist immer gut. Aber unsere eigene Kultur wird immer geringer zugunsten einer aus tauschbaren, anonymen. Wenn wir nicht den Kopf erheben, sind wir kulturell in Kürze ausgestorben. Wenn wir nur noch auswärtige Gäste spielen lassen, werden wir bald keine musikalische Kultur in Frankreich mehr haben.

Künstler und Sängerin zu sein ist etwas Wunderbares. Es erlaubt, tausend Frauenleben zu gestalten – Violetta, Juliette, Marguerite , Louise. Die Bovary war ,,meine“ Bovary, eine zerrissene, vielschichtige Frau. Aber ich kann nicht sagen, dass ich eine Lieblingsrolle hatte – meine schwärmerische Charakter-Seite erklärt das Vergnügen, alle diese Frauen in einer (meiner!) Person zu sein. Es gab natürlich Partien, die mir mehr lagen als andere, schwierige Rollen, die man sich erobern musste und darum besonders liebte. lch hatte immer eine Schwäche für den Pagen Oscar bei Verdi gehabt, und ich überredete die Direktion des Palais Garnier dazu, ihn mir zu geben, als ich bereits die anderen großen Partien sang, nur so aus Vergnügen an diesem Charakter – einmal dieser freche, komplizierte Bengel auf der Bühne zu sein. Was für ein Spaß.

Andrée Espodito, privat/Heinsen/Esposito

lch liebte diesen Beruf und lebte für ihn. Man darf nicht außerhalb seines eigenen Faches singen, deshalb lehnte ich zum Beispiel die Desdemona ab, was ich heute bedaure, aber ich hatte nicht genügend Stimme dafür gehabt, einfach nicht die richtige Stimme. Manon aber war meine Partie, und ich habe sie oft gesungen, 30 Jahre lang, immer unterwegs damit. lch hatte dann nicht mehr dieses Kristall-Timbre meines Anfangs, sondern mein mir eigenes, was bewirkte, dass man mich mochte oder nicht. Daran schieden sich oft die Geister, an diesem typisch Französischen in meiner Stimme.

Aber am Ende – oder sicher noch davor – war ich mit diesen Halbnuancen meiner Stimmqualität nicht mehr zufrieden. lch wollte nach  so vielen Jahren des Erfolges nicht hören: ,,Sie ist noch gut!“ Dieses ,,noch“ hatte mir wehgetan. lch sagte mir: Die jungen Leute können von meiner Erfahrung profitieren – und so bin ich Lehrerin geworden. Eigentlich war diese Neuorientierung ganz logisch. Gelegentlich will ich noch singen, ganz spontan, aber dann sage ich mir: „Bouf“ („Ach, wozu?“). lch freue mich am Erfolg der Schüler. Und ganz ehrlich, wenn ich noch singen müsste – was für ein Stress! lch möchte immer noch ständig in Form sein müssen, immer mein Leben nach meinem Beruf richten. Nein, nein, ich habe wirklich Lust, meine Koffer auf dem Speicher zu lassen. Ich brauche jetzt nicht mehr die vielen Cremes aufzutragen, um meine Haut zu schonen. Ich war lange und glücklich (mit Julien Haas) verheiratet. Jetzt will ich leben – dank meiner Schüler bleibe ich dem Theater und dem Leben verbunden, und ich gebe das weiter, was ich selber praktiziert habe. Das Wichtigste ist die Diktion, die deutliche Diktion! Der Zuhörer muss verstehen, das ist das mindeste. Zusammengestellt von Jean-Marc Schumann (2001/ Übersetzung Klaus Heinrich; Redaktion G. H.)

Weltpremiere

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Die Stimme Gottes befiehlt dem widerstrebenden Elia „Geh hinab zur Senke des Tals, über den Fluss, in die große Stadt; zum Königsschloss geh, tritt zum Tore hinein und suche, zu wem ich Dich sende“. In seinem einzigen Bühnenwerk, dem 1955 entstandenen Mysterienspiel Elia, setzt der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber das in seiner wichtigsten Schrift „Ich und Du“ aufgestellte dialogische Prinzip fort und lässt Gott zum allgegenwärtigen Gesprächspartner der Menschen werden. Der bislang (fast) nur als Dirigent bekannte, doch zeitlebens auch als Komponist tätige Antal Dorati setzt dieses dialogische Prinzip in seiner bislang weder aufgeführten noch eingespielten Oper Der Künder konsequent um, in dem die metaphysische Stimme Gottes „immer die Person (ist), zu der sie spricht“. Daraus ergeben sich geheimnisvoll suggestive Situationen, die zu einem gliedernden Kennzeichen der dreiaktigen Oper werden. Eher Mysterienspiel oder Oratorium denn ein Bühnenwerk.

Antal Dorati/Wikipedia

Martin Fischer-Dieskau stellt in seinem ausführlichen Essay im Beiheft Bezüge zu Weills Weg der Verheißung, Dessaus Pessach-Oratorium Hagadah und Schönbergs Jacobsleiter und Moses und Aron her, wobei Dorati „auf identifizierbare politisch-zionistische Bezüge“ verzichtet und sich auf das „inhaltliche Zentrum jüdischen Selbstverständnisses, das Gott als den einen und einzigen Gott preist“ konzentriert, oder Mendelsohn-Bartholdys Elias. In Der Künder geht es um den Propheten Elia, der das Volk Israel, das sich dem fremden Gott Baal zugewendet hat, wieder zurückführt zu Elohim, dem Gott Jahwe. Und es geht um den Kampf zwischen dem jüdischen Gott der Bibel und dem Gott Baal, der nach rund 160 Minuten mit der Himmelfahrt des Elia und dem Dank „Der Herr ist mein Hirte“ endet. Weitere Hauptpersonen neben dem Ziegenhirt Elia sind der König Ahab und seine Frau Isebel, der Bauernbursche Elisha und die Bauersfrau Tanit.

Martin Fischer-Dieskau hat das gewaltige Projekt gestemmt und im August 2021 in Krakau als Hommage an seinen Mentor auf die Konzertbühne gehievt (3 CDs Orfeo C220313): ein Akt der Verehrung und Bewunderung. 1978/79 war der damals 25jährige Fischer-Dieskau Doratis Assistent beim Detroit Symphony Orchestra, woraus eine langjährige Freundschaft entstand. Donati machte ihn auch mit seiner 1984 entstandenen Oper Der Künder/ The Chosen bekannt. In Krakau setzte sich Fischer-Dieskau, der sich durchaus bewusst sein dürfte, dass die Oper auf der Bühne keine Chance hat, auf überzeugende Weise für das Werk ein. Er meißelt dessen philosophischen Gehalt in der klaren, textdeutlichen Gesangsdeklamation heraus und hält die vorsichtig atonale Musik mit dem Orchester der Beethoven Akademie Krakau und dem Chor des Posener Teatr Wielki in sanfter Bewegung. Durchaus mit intensiven Steigerungen in den Zwischenspielen, in die Dorati manche Vorgänge verlegt, und mit einer ausgepichten Fähigkeit, in der über Strecken auch kantig spröden Musik subtile Farbigkeit zu erkennen und in orchestralen Ballungen rhythmische Prägnanz zu unterstreichen. Mustergültig auch die Besetzung mit dem liedhaft milde timbrierten Bassbariton Tomasz Konieczny als Elia, Michael Schade als Ahab, Rachel Frenkel als Isebel und dem Halbdutzend weiterer Solisten, die in teils mehren Partien in Erscheinung treten.

Martin Buber/ Wikipedia

Fischer-Dieskau weist in seinem Text zu dieser Welt-Ersteinspielung auch auf das musikalische Umfeld hin, in dem der aus einer ungarisch-jüdischen Musikerfamilie stammende Dorati (1906-88) in Budapest aufwuchs. Zwischen Beharren auf Traditionen und Moderne, „zwischen einer traditionell institutionalisierte, urbanen Kunstauffassung in Budapest… und einer progressiven Hinwendung zur Musik der Landbevölkerung“, so Fischer-Dieskau, beispielhaft vertreten durch seine Lehrer, seinen Onkel Ernst von Dohnányi sowie Kodály und Bartók. Bereits 1924 debütierte Donati als Kapellmeister an der Oper in Budapest, wurde 1924-28 Assistent Fritz Buschs in Dresden, anschließend Erster Kapellmeister in Münster, emigrierte 1933 nach Frankreich, wirkte in Monte-Carlo als Kapellmeister der Ballets Russes und wurde nach 1939 in New York sesshaft. Dallas, Minneapolis, Stockholm, London und Detroit waren seine weiteren Stationen, bei denen sich Donati für die Klassische Moderne, Zeitgenössisches und amerikanische Komponisten einsetzte. Meilensteine der Schallplattengeschichte sind Doratis Gesamteinspielung der Haydn-Sinfonien, aber auch die acht, glänzend besetzten Haydn-Opern und die Tschaikowsky-Ballette.     Rolf Fath

 

Auf dem Sprung nach ganz oben …

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Der in Cluj in Rumänien geborene Sänger Sebastian Catana entwickelt sich zu einem der interessantesten Verdi- und Verismo-Baritone seiner Generation. Nach ersten musikalischen Studien in seiner Heimat zog es ihn in die USA, wo er sich in den Ausbildungsprogrammen der Seattle Opera und der Baltimore Opera perfektionierte und bei zahlreichen amerikanischen und europäischen Wettbewerben mitspielt. Anlässlich seines Scarpia in Kopenhagen sprach Christian Glace mit dem Sänger.

 Sie stammen aus einer Künstlerfamilie. Singen war schon immer eine Familientradition, meine Eltern waren Solisten an der Oper von Cluj in Rumänien. Dort sah ich zum ersten Mal eine Oper, und dank dieser Aufführungen entdeckte ich, dass ich auch singen konnte. So wurde meine Leidenschaft für das Singen geboren, aber nicht meine Berufung, diesen Beruf auszuüben. Dies geschah viel später, nicht vor dem vierundzwanzigsten Lebensjahr. Davor habe ich an der Carnegie Mellon University und der University of Michigan Chemieingenieurwesen studiert und promoviert. Später lernte ich Claudia Pinza, die Tochter des legendären Ezio Pinza, kennen und begann, ihre Kurse an der Duquesne University in Pittsburgh zu besuchen, wo ich mein Hauptfach Gesang studierte. Ich habe auch privat mit meiner Mutter gelernt. Und das war der Zeitpunkt, an dem ich mich für das Singen als meine Lebensberufung entschied. Im Jahr 2001 gab ich mein professionelles Debüt mit Les Huguenots in der Carnegie Hall in New York.

Sebastian Catana/ Foto Yasuko Kageyama

Die Stadt, aus der ich komme, Cluj, hat eine große Musiktradition, und das Opernhaus war das erste in Rumänien: Es feierte 2019 sein hundertjähriges Bestehen. Die Operntradition in Rumänien ist hoch entwickelt, wobei der Schwerpunkt auf der italienischen und französischen Oper liegt. Ich möchte einige wunderbare rumänische Künstler erwähnen, die wichtige Seiten in der Geschichte der Oper in Rumänien geschrieben haben: Hariclea Darclée, die legendäre erste Interpretin der Rolle der Tosca bei der römischen Uraufführung im Jahr 1900 (der wir die Schaffung von „Vissi d’arte“ verdanken und die eine grundlegende Rolle bei der Gründung der rumänischen Nationaloper in Bukarest im Jahr 1921 spielte), der Bariton Petre Stefanescu Goanga, der in den 1920er Jahren eine wunderbare Karriere machte und der, nachdem er auf den Bühnen Frankreichs und Belgiens sehr präsent war, sein Comeback in Cluj gab, wo er große italienische, französische und deutsche Rollen interpretierte. Er war ein gefeierter Interpret des Rigoletto und muss als einer der Väter der rumänischen Operntradition angesehen werden. Neben anderen legendären Stimmen möchte ich zwei historische Baritone erwähnen, Nicolae Herlea und David Ohanesian. Ich hatte das große Glück, Herlea in den 1980er Jahren live zu hören. All diesen außergewöhnlichen Künstlern ist es zu verdanken, dass wunderbare Künstler aus unserem Land hervorgegangen sind und eine bedeutende internationale Karriere gemacht haben: Alexandru Agache, Leontina Vaduva, Angela Gheorghiu, Elena Mosuc oder, in der Vergangenheit, Ileana Cotrubas und Virginia Zeani.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie in die Fußstapfen Ihrer Eltern treten, insbesondere wenn Sie Figuren spielen, die Ihr Vater auf die Bühne gebracht hat? Meine Eltern sind meine ständige Inspiration: Sie sind mein Licht und meine Führer auf meinem Weg gewesen. Wenn ich Rollen wie Rigoletto oder Scarpia singe, muss ich unweigerlich an meinen Vater, Vasile Catana, und seine Interpretationen dieser Figuren denken. Mein Vater und meine Mutter haben mich gelehrt, ein Künstler zu sein, der Musik und dem Autor mit Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und vor allem großem Respekt zu dienen.

Sebastian Catana als Rigoletto/  Opéra Royal de Wallonie Liège 2022- ©J Berger ORW-Liège

Wie Sie selbst sagten, war Ihr Vater ein bemerkenswerter Scarpia: Was ist Ihre Vision dieser Figur, die Sie in Kopenhagen zu interpretieren gedenken? Baron Scarpia ist eine der interessantesten Figuren des gesamten Baritonrepertoires. Er ist wahrscheinlich eine historisch existierende Figur. Wenn man die Quellen von Sardou studiert, ist Vitellio Scarpia wahrscheinlich die Verkörperung von zwei Personen: Baron Gherardo Curci, genannt „Scarf“, der für seine unreine Moral bekannt ist, und Vincenzo Speziale, der grausame Richter des Palermitanischen Magistrats. Ersterem verdanken wir das Anagramm seines Spitznamens und letzterem die beiden Initialen V und S. Vitellio, der von Sardou gewählte Name, geht wahrscheinlich auf den Namen des römischen Kaisers zurück, der für die Bestrafung der eroberten Bevölkerung bekannt war. Ich erzähle Ihnen das, weil ich gerne den Ursprung der Figuren, die ich spiele, verstehen möchte, damit ich alle ihre Eigenschaften auch stimmlich wiedergeben kann. Scarpias Gesang zeichnet sich durch große deklamatorische Momente aus, in denen er sich mit Gewalt und Autorität ausdrückt, aber es gibt auch viele kantable Phrasen, die mit sanftem Ton gesungen werden müssen. Er ist ein subtiler, perfider Mann, ein Adliger, ein Mann, der mit dem Leben anderer spielt und sie durch Macht und psychologische Folter verführt.

Dieser Scarpia in Kopenhagen folgt auf einen akklamierten  Rigoletto an der Opera Royal de Wallonie: Wie gelingt Ihnen der Übergang vom Verdi-Gesang zu einer Verismo-Rolle? Ich denke, dass es stimmlich keinen großen Unterschied gibt: Scarpia muss wie Rigoletto immer gesungen werden, und man darf nie in vulgäre Effekte verfallen, besonders an den Stellen, an denen Scarpia in Sprache singen muss. Die Orchestrierung des Verismo-Theaters ist sicherlich größer und üppiger, so dass eine Stimme erforderlich ist, die die orchestrale Klangmasse leicht überwinden kann. Die Art zu singen ändert sich also nicht (die Verismo-Komponisten sind letztlich eine Weiterentwicklung von Verdis kreativem Gleichnis), wohl aber der stilistische Ansatz, und auch der theatralische Aspekt darf nicht vergessen werden. Scarpia hat ein starkes theatralisches Gewicht, da er als Figur des Prosa-Theaters geboren wurde, bevor er zum Protagonisten von Puccinis Melodrama wurde.

Sebastian Catana/ Barnabà/ „La Gioconda“ – Teatro Municipale di Piacenza 2018 – ©Roberto Ricci

Heute ist es von grundlegender Bedeutung, ein überzeugender Darsteller zu sein, auch in szenischer Hinsicht… Oper war schon immer Theater: Wie ich schon sagte, reflektiere ich die Handlungen, die meine Figur ausführt, sehr gründlich, und dieser Prozess umfasst auch den schauspielerischen Teil. Was sich heute im Vergleich zu früher geändert hat, ist der Aufbau einer Opernaufführung. Wir haben uns an die Mechanismen des Kinos und der Fernsehserien gewöhnt, und wir wollen, dass die Oper eine ähnliche Erfahrung bietet. Außerdem befinden wir uns in manchen Kontexten in stark symbolischen oder stark körperlichen Darbietungen, so dass wir Schauspieler und manchmal auch Sportler sein müssen. Wenn ich also einen Regisseur finde, der mir seine Entscheidungen erklärt und der auf der Grundlage der Musik die Psychologie meiner Rolle aufbaut, bin ich bereit, daran zu arbeiten und ein Ergebnis zu schaffen, das theatralisch so wahr wie möglich ist.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem Regisseur dieser Tosca an der Königlichen Dänischen Oper aus? Diese Inszenierung von Regisseur Peter Langdal ist wunderbar. Es handelt sich um eine inhaltlich absolut traditionelle Inszenierung, ohne die manchmal respektlosen Exzesse mancher moderner Produktionen, aber sie ist ebenso beeindruckend. Das imposante Bühnenbild und das suggestive Lichtspiel machen diese Tosca zu einer emotional intensiven Aufführung sowohl für uns auf der Bühne als auch, davon bin ich überzeugt, für das Publikum.

Ich habe hier bereits 2017 Rigoletto gesungen und freue mich nun, mit einer anderen Rolle zurückzukehren, die mir sehr am Herzen liegt und die mich an einige der renommiertesten Theater der Welt geführt hat, wie das Teatro dell’Opera in Rom, die Pariser Oper, das Teatro La Fenice in Venedig, das Teatro Massimo in Palermo (mit diesem Ensemble auch auf Tournee in Tokio, Nagoya und Osaka), das Savonlinna Festival, die Israelische Oper, das Teatro Petruzzelli in Bari und die Hong Kong Opera. Die Bühne der Königlich Dänischen Oper ist wunderschön, der Saal und das ganze Gebäude haben einen einzigartigen architektonischen Charme. Es ist eine Freude, nach Kopenhagen zurückzukehren: Diese Stadt ist unglaublich, überraschend. Ich hoffe sehr, dass das Publikum unsere Tosca genießen wird!

Sebastian Catana/Scarpia Rom© Yasuko Kageyama

Welche Rollen würden Sie gerne in naher Zukunft singen? Ich habe bereits viele meiner Traumrollen übernommen, ich würde gerne noch einmal Jago und Francesco Foscari singen und generell mein gesamtes Repertoire weiter singen. Zwei Rollen, die ich noch nicht übernommen habe und die ich gerne singen würde, sind Carlo Gérard in Andrea Chénier und Michele in Tabarro. Vor kurzem habe ich die Titelrolle in Falstaff beim Berkshire Opera Festival debütiert, und ich freue mich, dass ich sie in naher Zukunft wieder singen werde: Ich glaube, dass diese Rolle einen reifen Darsteller erfordert, der die unendlichen stimmlichen Nuancen von Verdi und die sprachlichen Nuancen von Arrigo Boitos außergewöhnlichem Libretto darstellen kann.

Nach dieser Tosca werde ich am Teatro Colòn in Buenos Aires mit Nabucco auftreten, um endlich (nach der Absage wegen Covid) mein Debüt in diesem außergewöhnlichen Theater zu geben. Danach werde ich für Nabucco und Aida in die Arena di Verona zurückkehren, und dann ist Tel Aviv an der Reihe, wo ich als Giorgio Germont in der Neuinszenierung von La Traviata auftreten werde, die im Januar 2022 wegen der Pandemie abgesagt wurde. Der Herbst wird mit La Gioconda am Teatro Filarmonico in Verona eröffnet, gefolgt von vielen anderen Projekten, die ich kaum erwarten kann, zu enthüllen (Foto oben Sebastian Catana/Scarpia Rom© Yasuko Kageyama / Foto Cataa).

Himmel in der Hölle

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Jahrzehntelang war sie der Inbegriff einer gelungenen Mefistofele-Inszenierung, die in den Achtzigern in Chicago entstandene Produktion von Robert Carsen, die noch 2018 an der MET gezeigt wurde und von der es nicht nur eine DVD in der ersten Besetzung mit Samuel Ramey in der Titelpartie gab, sondern mindestens noch eine weitere mit Ildar Abdrazakov. Bunt, heiter, ironisch, in Teilen wunderbar kitschig war sie anzusehen, nie langweilig und den Zuschauer in einer guten Stimmung zurücklassend. Mittlerweile wurde die Oper auch in Deutschland wieder mehrfach aufgeführt, so in Chemnitz oder Frankfurt und in einer phantastischen Besetzung der beiden Hauptpartien in München mit René Pape und Joseph Calleja in der Regie von Roland Schwab.

Als wolle sie ein Kontrastprogramm zur Carsen-Produktion bilden, in der Gold, Weiß und Bonbonfarben dominierten, die himmlischen Heerscharen mit ihren Blasinstrumenten triumphierend über Teufelslist und Höllenspuk, beginnt man in München nicht mit einem Prolog im Himmel, sondern einem solchen in der Hölle, die für alle gut sichtbar OPEN ist, später SOLD OUT, über die sich Stahlgitter wie ein unvollendeter Zeittunnel wölben und in der sich allerlei Sado-Maso-Volk tummelt und eifrig damit beschäftigt ist, Neuankömmlinge wie Faust ins Verderben zu ziehen. Schwarz ist die dominierende Farbe, Musikinstrumente scheinen demoliert zu sein, die Töne kommen von einer Schelllackplatte, die Mefistofele zum Schluss wütend zerbricht. Hat man von der Walpurgisnacht zu Recht schlimme Szenen erwartet, wird Schwangeren wie Föten übel mitgespielt, so ist auch Arkadien trotz der fürsorglichen Betreuung durch das Personal nicht angenehmer, weil ein Irrenhaus, in dem Faust eine der Wärterinnen für die Schöne Helena hält. Zwar gibt es als Verbeugung vor München eine Wies’n, doch die Feiernden hängen halbtot in den Sitzen des Kettenkarussells. Und ob Faust ein Gefallen damit getan wird, dass er in den Himmel abgeordnet wird, muss man angesichts der Optik auch bezweifeln, klingen die himmlischen Heerscharen auch noch so überzeugend.

Das Plus der DVD ist die Besetzung. René Pape ist ein attraktiver Mefistofele der allerschönsten Stimmfarben, der eleganten Phrasierung  und des engagierten Spiels. Allerdings hört man in ihm  noch mehr einen Méphistophélès als einen Mefistofele. Etwas neben sich und der Figur scheint der Faust von Joseph Calleja zu stehen, verstört vielleicht ob der Zumutungen der Regie, aber zum Glück nicht beeinträchtigt im Ausstellen seiner wunderbar timbrierten Tenorstimme, die er agogikreich in feinsten Schattierungen flexibel und einheitlich in allen Registern einzusetzen weiß. Strahlend klingt „Dai campi“, umwerfend raumfüllend sein „Elena, Elena“ und unangefochten sein Schlussgesang. Nur in „Forma ideale“ sind leichte Schwächen hörbar. Als fade Dame der Gesellschaft tritt Margherita auf, ehe sie von Faust auf dem Brocken vergewaltigt wird. In der Kerkerszene allerdings darf sie dem goetheschen Gretchen nahe sein. Der Sopran von Kristine Opolais leidet unter einem Übermaß an Vibrato, so dass „L’altra notte“ nicht ihren Zauber entfalten kann. Dröge klingt der Wagner von Andrea Borghini, angemessen füllt Karine Babajanyan ihre Rolle als Elena aus, auch wenn „Notte cupa“, wohl auch wegen des szenischen Ambientes, wenig berührt. Marta ist mit Heike Grötzinger eine der Teufelinnen und stützt in der Gartenszene. Neben dem Chor und den männlichen Protagonisten ist das Orchester unter Omer Meir Wellber mit schwelgerischen Klangwogen der beste Anwalt für Boitos von den Opernhäusern zu Unrecht stiefmütterlich behandeltes Werk (C Major 739208). Ingrid Wanja    

Steile Belcanto-Karriere

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Die italienische Mezzosopranistin Raffaella Lupinacci hat sich in den letzten Jahren in einigen der schwierigsten Belcanto-Partien wie Adalgisa in Norma oder Giovanna Seymour in Anna Bolena an bedeutenden internationalen Häusern behaupten können. Von Alberto Zedda für das Rossini Opera Festival in Pesaro entdeckt, stand von Beginn ihrer Karriere der Belcanto im Mittelpunkt. Mit Herbert Schneider sprach die junge Sängerin über interessante zukünftige Pläne in Deutschland und beim Rossini Opera Festival, sprach außerdem unter anderem über ihr anstehendes Debüt in Amsterdam, den ambivalenten Charakter der Giovanna Seymour sowie die Bedeutung des Worts im Belcanto.

Sie sind Italienerin. Ein paar Worte über Ihren Hintergrund? Ich wurde im wunderschönen Acri geboren, einer kleinen Stadt im Hinterland von Kalabrien. Aufgewachsen bin ich ebendort, immer im Kontakt mit der Natur und den in dieser wunderbaren Region teilweise tausend Jahre alten Kunstwerken. In Acri bin ich zur Schule gegangen, und habe dann meine Ausbildung in Cosenza fortgesetzt. Dort habe ich studiert und meinen Abschluss in Sprachen und Literatur gemacht. Parallel habe ich im dortigen Konservatorium auch meine musikalische Ausbildung begonnen und abgeschlossen.

Meine Leidenschaft zum Gesang habe ich eigentlich meinen Eltern und deren Gefühl für Musik zu verdanken. Als ich sechs Jahre alt war, begann ich Klavier zu lernen, hatte aber schon eine deutliche Veranlagung zum Gesang und insbesondere zur Oper. Ich nahm an verschiedenen Gesangswettbewerben für Kinder teil und sang bereits damals auf eine ganz andere Art als alle anderen Kinder. Und ich habe dann einfach mit vielen Stunden des Studiums die Natur meiner Stimme unterstützt und begleitet.

Ich begann erst Klavier zu lernen. Dann, als ich 16 Jahre alt war begann ich ein Studium für Operngesang am Konservatorium meiner Stadt, das ich mit 21 Jahren abschloss. Danach begann meine echte Suche was meine Stimme angeht, immer mit dem Bewusstsein, was ich in meinem Leben tun wollte. Ich habe bei mehreren italienischen Gesangslehrern studiert, aber wirklich entscheidend war meine Begegnung im Jahr 2011 mit Maestro Fernando Opa, der noch immer mein Gesangslehrer ist. Die andere wichtige Begegnung war die mit Maestro Alberto Zedda im Jahr 2012 in Pesaro. Zu diesem Zeitpunkt begann meine Karriere.

Raffaella Lupinacci / © Chiara Mirelli

Zu welchem Repertoire fühlen Sie sich am meisten hingezogen und wie gehen Sie an das Studium einer neuen Rolle heran?Alles, was Belcanto ist, ist Balsam für meine Stimmbänder, für meinen Geist und überhaupt für mich, weil das auch einfach meinen Musikgeschmack trifft. Was das Rollenstudium angeht, so beginne ich immer damit, so viel Literatur wie möglich über die Figuren und Werke zu lesen, die ich interpretieren werde. Anschließend beginne ich, die Musik zu lernen, indem ich sorgfältig auf das eingehe, was der Komponist geschrieben hat. Auf die verschiedenen musikalischen Akzente und auf die Worte. Insbesondere beim Belcanto ist das Wort und seine Nuancen von grundlegender Bedeutung. Das Wort wird im Belcanto von den Komponisten immer besonders hervorgehoben.

Von den Rollen, die ich bereits gesungen habe, habe ich sicherlich eine sehr starke Bindung zu der Figur der Donna Elvira, auch zu Giovanna Seymour und zu Adalgisa. Stimmlich und als Darstellerin liebe ich all diese weiblichen Figuren, die meine bisherige Karriere geprägt haben. Ich hoffe sehr, bald als Charlotte in „Werther“ debütieren zu können. Im Moment bin ich sehr fasziniert vom Belcanto-Repertoire und dem französischen, das mir absolut am Herzen liegt. Auf Partien, die ich wahrscheinlich nie singen werde habe ich ehrlich gesagt nicht einmal große Lust. Die genieße ich einfach, wenn ich mir als Zuhörerin das Stück ansehe.

Carmen, die Mezzosopranpartie par excellence taucht, obwohl Sie sie bereits gesungen haben, nicht sehr oft in Ihrem Kalender auf. Ist das ein Zufall oder eine bewusste Entscheidung? Ich denke beides. Es ist einerseits Zufall, denn immer häufiger bieten mir die Theater Belcanto-Rollen an. Und gleichzeitig auch irgendwie eine Entscheidung meinerseits, denn ich hatte nach meinem Rollendebüt mehrere Angebote für die Carmen, die sich aber oft mit anderen Verpflichtungen überschnitten, denen ich bereits zugesagt hatte. Oder es gab mehrere Angebote, und ich habe mich dann für das andere entschieden. Carmen ist aber sicher eine der faszinierendsten Rollen für Mezzosopran, und ich würde mich natürlich freuen, sie in Zukunft wieder zu singen.

Raffaella Lupinacci / © Chiara Mirelli

Welche Mezzosopranistinnen der Vergangenheit und der Gegenwart schätzen Sie besonders? Es gibt mehrere Sänger, die ich bewundere, aus der Vergangenheit wie aus der Gegenwart. Zwei große italienische Künstler aus der Vergangenheit sind natürlich Lucia Valentini Terrani und Fiorenza Cossotto. Aktuell gibt es viele interessante Mezzosopranistinnen, darunter etwa Elina Garanca und Anita Rachvelishvili.

Demnächst stehen Sie als Giovanna Seymour in Anna Bolena auf der Bühne der Dutch National Opera in Amsterdam: Was sind die stimmlichen und darstellerischen Herausforderungen dieser auf gleicher Weise faszinierenden wie zwiespältigen Figur? Haben Sie die Rolle in der Vergangenheit bereits gesungen? Giovanna Seymours Charakter ist sicherlich eine der größten Herausforderungen, denen sich eine Mezzosopranistin stellen kann. Die Rolle ist nicht leicht, weil die Tessitura tendeziell hoch ist, die Partie aber gleichzeitig eine starke Mittellage erfordert. Die Schwierigkeit und Herausforderung liegt darin, eine gewisse Homogenität der stimmlichen Farben zu wahren und gleichzeitig alle von der Partitur und den menschlichen Eigenschaften der Figur geforderten Schattierungen zu treffen. Im Charakter der Giovanna Seymour treffen oft widersprüchliche Eigenschaften aufeinander, wie zum Beispiel Schuld und Leidenschaft. Ich habe die Giovanna Seymour zum ersten Mal am Opernhaus von Vilnius gesungen – unter der Leitung von Maestro Sesto Quatrini – und ich habe sie erst vor Kurzem wieder am Teatro Carlo Felice in Genua interpretiert.

An die Rolle gehe ich in Holland it großem Enthusiasmus, unbeschreiblicher Freude und tiefem Verantwortungsbewusstsein heran. Ich glaube, mein Debüt an der Dutch National Opera kam zum richtigen Zeitpunkt in meiner Karriere und in meinem Leben im Allgemeinen.

Raffaella Lupinacci / © Chiara Mirelli

Zukünftigen Projekte? In den nächsten Monaten werde ich in neuen Rollen debütieren, Hausdebüts geben und mit Freude an Opernhäuser zurückkehren, an denen ich bereits gesungen habe. In chronologischer Reihenfolge wird meine erste neue Rolle der Romeo in I Capuleti e i Montecchi am Opernhaus von Vilnius sein. Dann ist die Desdemona in Rossinis Otello in Tokio an der Reihe. Ich werde für die Tudor-Trilogie des neuen „Bastarda“-Projekts ans La Monnaie nach Brüssel zurückkehren, wo ich als Giovanna Seymour und dann Sara in Roberto Devereux auf der Bühne stehen werde. Im Sommer 2023 werde ich mit der wunderbaren Rolle des Arsace in Aureliano in Palmira andas Rossini Opera Festival zurückkehren. Danach stehen die Cenerentola an der Staatsoper Hamburg und erneut Romeo in I Capuleti e i Montecchi an der Oper von Liege an (Foto obenRaffaella Lupinacci / © Chiara Mirelli) .

Verstörend

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Was hat nur die SONY zu dieser Aufnahme mit Patricia Petibon bewogen, die unter dem Titel La Traversée erschien und im November/Dezember in Basel bzw. Paris aufgenommen wurde (19439991832)? Und wer hat die Sängerin bei dieser bizarren Musikauswahl beraten? Der Titel suggeriert eine Reise, eine Überfahrt vom Barock über Mozart bis zu Offenbach und sogar Verdi. Doch viele der zu hörenden Titel stehen der Sängerin in ihren vokaltechnischen Möglichkeiten nicht zu Gebote. Da kann das La Cetra Barockorchester Basel unter Andrea Marcon noch so motiviert  und inspirierend musizieren – die Sopranistin ist mit dem gewählten Programm schlicht überfordert. Es beginnt mit Henry Purcells „Strike the Viol“ aus der Ode Come ye Sons of Art. Das Orchester leitet das Stück hinreißend ein, während die Sopranistin mit weinerlichem, später heulendem Ton und albernem Gegacker irritiert. Es folgt die „Passacaglia della via“ von Stefano Landi, die in ihrem Tarantella-Rhythmus Leben und Tod evoziert. Auch hier klingt Petibons Stimme unangenehm greinend. Zwei anspruchsvolle Arien von Georg Friedrich Händel lassen die Interpretin eklatant scheitern. Armidas „Furie terribili“ aus Rinaldo versucht die Sängerin, mit außermusikalischem Beiwerk beizukommen – spricht und schreit, untermalt vom Donnerblech, der Windmaschine und Schüssen, bis ihr Gesang bohrend und jaulend einsetzt. Für Cleopatras „Se pietá“ aus Giulio Cesare fehlt es ihr an noblem Ton, sie klingt kläglich wimmernd und intonationstrüb.

Bei Alcestes populärer Arie „Divinités du Styx“ aus Christoph Willibald Glucks gleichnamiger Oper, von vielen legendären Sängerinnen in maßstäblichen Interpretationen überliefert, vermisst man Substanz in der unteren Lage, Souveränität in der Höhe und vor allem grandeur. Die Szene der Phädra „Cruelle mère“ aus Jean-Philippe Rameaus Hippolyte et Aricie veranschaulicht den Konflikt einer Königin wegen der Liebe zu ihrem Stiefsohn, der einer rivalisierenden Prinzessin versprochen ist. Der Sopran lässt hier einen säuerlichen Beiklang hören, wie er im französischen Barock nicht ungewöhnlich ist, kommt insgesamt mit diesem Titel noch am besten zurecht. Aus Wolfgang Amadeus Mozarts opera seria Idomeneo hat Petibon zwei Arien der Elettra ausgewählt – ein kühnes Wagnis, doch mit überraschendem Ergebnis. „Tutto nel cor vi sento“, vom Orchester aufregend eingeleitet, gelingt mit fiebriger Erregung im Ausdruck und „D’Oreste, d’Aiace“ profitiert vom dramatischen  Aplomb, auch wenn einige geheulte Töne stören.

Die allerseltsamste Wahl scheint die Arie der Hélène, „Ami! Le coeur d’Hélène“ aus Giuseppe Verdis Les Vêpres sicilennes, also der französischen Urfassung dieser Grand opéra. Für dieses Repertoire ist Petibons Stimme gänzlich ungeeignet, ihr Vortrag mit einer gejaulten Kadenz am Schluss gerät zur Miniatur. Mit dem Rondo der Grande-Duchesse de Gérolstein, „Ah que j’aime les militaires“, aus Jacques Offenbachs gleichnamiger opéra-bouffe versucht die Solistin noch einen spöttisch-ironischen Tupfer zu liefern – den flotten Klängen des Orchesters kann sie leider nichts Adäquates entgegensetzen. Eine Komposition von Purcell beendet die Auswahl – „Here the Deities Approve“ aus der Ode Welcome to all the Pleasures. Hier erklingt sie  in einer a cappella-Bearbeitung als recht unspektakulärer Schlusspunkt dieser insgesamt verstörenden Platte. Bernd Hoppe