Steile Belcanto-Karriere

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Die italienische Mezzosopranistin Raffaella Lupinacci hat sich in den letzten Jahren in einigen der schwierigsten Belcanto-Partien wie Adalgisa in Norma oder Giovanna Seymour in Anna Bolena an bedeutenden internationalen Häusern behaupten können. Von Alberto Zedda für das Rossini Opera Festival in Pesaro entdeckt, stand von Beginn ihrer Karriere der Belcanto im Mittelpunkt. Mit Herbert Schneider sprach die junge Sängerin über interessante zukünftige Pläne in Deutschland und beim Rossini Opera Festival, sprach außerdem unter anderem über ihr anstehendes Debüt in Amsterdam, den ambivalenten Charakter der Giovanna Seymour sowie die Bedeutung des Worts im Belcanto.

Sie sind Italienerin. Ein paar Worte über Ihren Hintergrund? Ich wurde im wunderschönen Acri geboren, einer kleinen Stadt im Hinterland von Kalabrien. Aufgewachsen bin ich ebendort, immer im Kontakt mit der Natur und den in dieser wunderbaren Region teilweise tausend Jahre alten Kunstwerken. In Acri bin ich zur Schule gegangen, und habe dann meine Ausbildung in Cosenza fortgesetzt. Dort habe ich studiert und meinen Abschluss in Sprachen und Literatur gemacht. Parallel habe ich im dortigen Konservatorium auch meine musikalische Ausbildung begonnen und abgeschlossen.

Meine Leidenschaft zum Gesang habe ich eigentlich meinen Eltern und deren Gefühl für Musik zu verdanken. Als ich sechs Jahre alt war, begann ich Klavier zu lernen, hatte aber schon eine deutliche Veranlagung zum Gesang und insbesondere zur Oper. Ich nahm an verschiedenen Gesangswettbewerben für Kinder teil und sang bereits damals auf eine ganz andere Art als alle anderen Kinder. Und ich habe dann einfach mit vielen Stunden des Studiums die Natur meiner Stimme unterstützt und begleitet.

Ich begann erst Klavier zu lernen. Dann, als ich 16 Jahre alt war begann ich ein Studium für Operngesang am Konservatorium meiner Stadt, das ich mit 21 Jahren abschloss. Danach begann meine echte Suche was meine Stimme angeht, immer mit dem Bewusstsein, was ich in meinem Leben tun wollte. Ich habe bei mehreren italienischen Gesangslehrern studiert, aber wirklich entscheidend war meine Begegnung im Jahr 2011 mit Maestro Fernando Opa, der noch immer mein Gesangslehrer ist. Die andere wichtige Begegnung war die mit Maestro Alberto Zedda im Jahr 2012 in Pesaro. Zu diesem Zeitpunkt begann meine Karriere.

Raffaella Lupinacci / © Chiara Mirelli

Zu welchem Repertoire fühlen Sie sich am meisten hingezogen und wie gehen Sie an das Studium einer neuen Rolle heran?Alles, was Belcanto ist, ist Balsam für meine Stimmbänder, für meinen Geist und überhaupt für mich, weil das auch einfach meinen Musikgeschmack trifft. Was das Rollenstudium angeht, so beginne ich immer damit, so viel Literatur wie möglich über die Figuren und Werke zu lesen, die ich interpretieren werde. Anschließend beginne ich, die Musik zu lernen, indem ich sorgfältig auf das eingehe, was der Komponist geschrieben hat. Auf die verschiedenen musikalischen Akzente und auf die Worte. Insbesondere beim Belcanto ist das Wort und seine Nuancen von grundlegender Bedeutung. Das Wort wird im Belcanto von den Komponisten immer besonders hervorgehoben.

Von den Rollen, die ich bereits gesungen habe, habe ich sicherlich eine sehr starke Bindung zu der Figur der Donna Elvira, auch zu Giovanna Seymour und zu Adalgisa. Stimmlich und als Darstellerin liebe ich all diese weiblichen Figuren, die meine bisherige Karriere geprägt haben. Ich hoffe sehr, bald als Charlotte in „Werther“ debütieren zu können. Im Moment bin ich sehr fasziniert vom Belcanto-Repertoire und dem französischen, das mir absolut am Herzen liegt. Auf Partien, die ich wahrscheinlich nie singen werde habe ich ehrlich gesagt nicht einmal große Lust. Die genieße ich einfach, wenn ich mir als Zuhörerin das Stück ansehe.

Carmen, die Mezzosopranpartie par excellence taucht, obwohl Sie sie bereits gesungen haben, nicht sehr oft in Ihrem Kalender auf. Ist das ein Zufall oder eine bewusste Entscheidung? Ich denke beides. Es ist einerseits Zufall, denn immer häufiger bieten mir die Theater Belcanto-Rollen an. Und gleichzeitig auch irgendwie eine Entscheidung meinerseits, denn ich hatte nach meinem Rollendebüt mehrere Angebote für die Carmen, die sich aber oft mit anderen Verpflichtungen überschnitten, denen ich bereits zugesagt hatte. Oder es gab mehrere Angebote, und ich habe mich dann für das andere entschieden. Carmen ist aber sicher eine der faszinierendsten Rollen für Mezzosopran, und ich würde mich natürlich freuen, sie in Zukunft wieder zu singen.

Raffaella Lupinacci / © Chiara Mirelli

Welche Mezzosopranistinnen der Vergangenheit und der Gegenwart schätzen Sie besonders? Es gibt mehrere Sänger, die ich bewundere, aus der Vergangenheit wie aus der Gegenwart. Zwei große italienische Künstler aus der Vergangenheit sind natürlich Lucia Valentini Terrani und Fiorenza Cossotto. Aktuell gibt es viele interessante Mezzosopranistinnen, darunter etwa Elina Garanca und Anita Rachvelishvili.

Demnächst stehen Sie als Giovanna Seymour in Anna Bolena auf der Bühne der Dutch National Opera in Amsterdam: Was sind die stimmlichen und darstellerischen Herausforderungen dieser auf gleicher Weise faszinierenden wie zwiespältigen Figur? Haben Sie die Rolle in der Vergangenheit bereits gesungen? Giovanna Seymours Charakter ist sicherlich eine der größten Herausforderungen, denen sich eine Mezzosopranistin stellen kann. Die Rolle ist nicht leicht, weil die Tessitura tendeziell hoch ist, die Partie aber gleichzeitig eine starke Mittellage erfordert. Die Schwierigkeit und Herausforderung liegt darin, eine gewisse Homogenität der stimmlichen Farben zu wahren und gleichzeitig alle von der Partitur und den menschlichen Eigenschaften der Figur geforderten Schattierungen zu treffen. Im Charakter der Giovanna Seymour treffen oft widersprüchliche Eigenschaften aufeinander, wie zum Beispiel Schuld und Leidenschaft. Ich habe die Giovanna Seymour zum ersten Mal am Opernhaus von Vilnius gesungen – unter der Leitung von Maestro Sesto Quatrini – und ich habe sie erst vor Kurzem wieder am Teatro Carlo Felice in Genua interpretiert.

An die Rolle gehe ich in Holland it großem Enthusiasmus, unbeschreiblicher Freude und tiefem Verantwortungsbewusstsein heran. Ich glaube, mein Debüt an der Dutch National Opera kam zum richtigen Zeitpunkt in meiner Karriere und in meinem Leben im Allgemeinen.

Raffaella Lupinacci / © Chiara Mirelli

Zukünftigen Projekte? In den nächsten Monaten werde ich in neuen Rollen debütieren, Hausdebüts geben und mit Freude an Opernhäuser zurückkehren, an denen ich bereits gesungen habe. In chronologischer Reihenfolge wird meine erste neue Rolle der Romeo in I Capuleti e i Montecchi am Opernhaus von Vilnius sein. Dann ist die Desdemona in Rossinis Otello in Tokio an der Reihe. Ich werde für die Tudor-Trilogie des neuen „Bastarda“-Projekts ans La Monnaie nach Brüssel zurückkehren, wo ich als Giovanna Seymour und dann Sara in Roberto Devereux auf der Bühne stehen werde. Im Sommer 2023 werde ich mit der wunderbaren Rolle des Arsace in Aureliano in Palmira andas Rossini Opera Festival zurückkehren. Danach stehen die Cenerentola an der Staatsoper Hamburg und erneut Romeo in I Capuleti e i Montecchi an der Oper von Liege an (Foto obenRaffaella Lupinacci / © Chiara Mirelli) .