Gesang & fragwürdige Kommentare

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Ob wohl die beiden Künstlerinnen, die eine zwar in Taschkent/Usbekistan geboren, aber in der Ukraine ausgebildet, die andere in Russland geboren und aufgewachsen, noch immer so vertraut aneinander gelehnt auf einem Foto erscheinen möchten wie auf dem der Rückseite ihrer gemeinsamen CD mit dem Titel Spring Night – Russian Songs? Die erschien zwar erst kürzlich, wurde aber bereits Ende 2020 aufgenommen, als noch nicht an einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu denken war. Das Booklet zur CD von Lena Belkina, Mezzosopran, und Natalia Sidorenko, Klavier, enthält leider keine Liedtexte, dafür aber einen offensichtlich aus dem Russischen von Engländern ins Deutsche übersetzten Artikel mit geheimnisvollen Wendungen wie das Russische habe „eine schwierige Tonanlage“, die Lieder seien „ein Teil der städtischen Kultur der Arbeiterklasse“ oder „in der Darbietung sind hörbare Vornehmheit der Gefühle enthalten“.  Auch dass Mignons Lied von der Sehnsucht mit „andächtiger Selbstbefangenheit“ endet, ist für den Leser schwer nachvollziehbar. Neben Tschaikowski wird Rachmaninov mit ähnlich dunklen Urteilen bedacht, wenn von „seltsame(m) Leid….das so viele Interpreten …auszeichnet“ oder von einer Melodie berichtet wird, die „strömt beständig heraus…“. Da wären die Liedtexte sicherlich hilfreicher zum Verstehen des Unternehmens gewesen, doch die stehen leider nur digital zur Verfügung.

Dabei hätte es die Sängerin und hätte es auch ihre Begleiterin verdient, dass ihre CD auf würdigere Weise unter die Musikfreunde gebracht worden wäre. Das große Publikum kennt sie als Carmen auf der Seebühne von Bregenz, sie hat aber auch viel Rossini und das sogar in Pesaro gesungen, war in Wien und Leipzig zu erleben.

Je zehn Lieder von Tschaikowski und Rachmaninov, trotz des frischen fröhlichen Titels meistens melancholisch umflort, werden geboten und lassen bereits im ersten Lied Es war im frühen Frühling  eine reich timbrierte Stimme mit viel erotischem Flair und mit leichter Emission bewundern, sei es in den nachdenklichen, verhaltenen Passagen oder im fast opernhaften Schluss. Für Mignon auf Russisch hat der Mezzo nichts Androgynes, ist üppig, für So schnell vergessen  schön melancholisch verhangen, ehe auch hier der Schluss hochdramatisch wird. Zwei Wiegenlieder beweisen, wie gut gestützt die Stimme im Piano wird, wie geschmeidig sie angelegt ist, wie flexibel sie reagiert. Eine langvolle Höhe in Mezzoqualität offenbart sich in  Sag mir, wo es wild zugeht, man eher eine Opernarie vermutet. Dass man bei Tschaikowski auch jubeln darf, beweist Serenade, eine bruchlose Steigerung kann man bei Ich bin wieder allein bewundern und klug aufgebaut wird schließlich die Interpretation von Ich öffnete das Fenster.

Ähnliche Qualitäten lassen sich bei der Interpretation von Rachmaninov feststellen, so der melancholische Touch für die Fliederblüten, das Strahlen für den Morgen, die schmerzliche Süße und das feine Verklingen für die Sorgen. Bewundern muss man die Fähigkeit der Sängerin dafür, dass sie ihre Stimme in einem feinen Schwebezustand halten kann (Die Nacht ist traurig), so wie sie andererseits zu einem blendenden Strahlen gebracht werden kann (Sie ist schön) . Im abschließenden Lied Frühlingswasser hätte man sich eine weniger offene Höhe gewünscht, aber insgesamt ist das (und nicht zuletzt durch die empfindsame Begleitung) eine schöne CD, deren Bekanntschaft zu machen durchaus lohnend ist (Solo Musica SM 381/ Foto Bofil). Ingrid Wanja