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Das Maggio Musicale Fiorentino überwältigte und überraschte am 12. Oktober 2019 mit einer in modernen Zeiten nie gesehenen Oper: der ersten Version des Fernand Cortez, dem gigantischen Oeuvre, das Napoleon bei Gasparo Spontini (1774 – 1851) in Auftrag gegeben hatte, um für den Feldzug in Spanien im Jahre 1809 Propaganda zu machen, das dann aber nach „nur“ 24 Vorstellungen abgesetzt worden war, weil das spanische Unternehmen nicht wie gehofft verlief und die Identifizierung des Kaisers mit dem allzu hochpolierten Helden, der die Zivilisation und den Fortschritt zum Schaden der Einheimischen nach Mexiko bringt, eindeutig schwerer zu vermitteln war. Nun ist das Ganze bei Dynamic in üppig-prachtvoller DVD-Optik und gleichzeitig als CD mit ausreichender Beilage und Libretto zweisprachig engl.-franz. (Bluray 57868 und 2 CD CDS 7868; 2020).
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Bei der ersten Pariser Aufführung war der Fernand Cortez dennoch ein Triumph, und auch das Publikum nun von Florenz, zeigte, dass es die Wiederentdeckung dieser Oper zu schätzen weiß, die dann in den nach folgenden Versionen ab 1817 bis zum Ende des Jahrhunderts aufgeführt wurde (1817 erneut in Paris in einer drastisch veränderten Version, in Berlin 1824 und 1825, wo sich Spontini ab 1820 niedergelassen hatte, und weitere mehr, einschließlich der indiskutablen italienischen Versionen mit Renata Tebaldi 1950 oder Angeles Gulin 1970 bis hin zu Erfurt 2006 in der späteren französischen Fassung von 1817; Dortmund wird 2020 die Oper erneut und in der 3. Fassung/1824 geben. Die Übersetzung ist dem zweisprachigen gedruckten Klavierauszug von 1825 entnommen, den Spontini selbst überwacht hat.). Aber in der ursprünglichen, ersten Version kam Cortez nicht mehr auf die Bühne. Erst 2019 nun folgte Florenz, wofür Federico Agostinelli die Erstfassung rekonstruiert hat.
Zweifellos handelt es sich um eine sensationelle Unternehmung, absolut bewundernswert angesichts der nicht geringen Schwierigkeiten: nicht nur, dass nun die finanziellen Mittel des Maggio weitaus schmäler waren als damals in Paris (keine galoppierenden 14 Zirkus-Pferde mehr auf der Bühne – in Florenz sehr plausibel „ersetzt“ durch die Tänzer des Nuovo Balletto di Toscana/Alesso Maria Romano). Dazu kam der Wechsel des Dirigenten, nachdem Luisi hingeworfen hatte. Und dazu auch die Indisposition der absolut wichtigen Sängerin, Alexia Voulgaridou als Amazilly, die eine noch wichtigere Rolle spielt als der Protagonist und die zu ihrem Debüt tatsächlich erst zur Generalprobe erschien, aber dennoch absolut die Beste des Abends ist (vielleicht optisch ein wenig blass und sehr mit der Musik beschäftigt, was kein Wunder ist). Was sie an Stimmschönheit trotz der unmenschlichen Anforderungen (namentlich im 2. Akt) zeigt, was sie an exzellenter Stimmführung und bewundernswerter Rollengestaltung vorführt, ist nichts weniger als eine Sternstunde des ebenso furchtlosen wie tonschönen Gesangs (mich erinnert sie merkwürdiger Weise mit fast jeder Note an die von mir so geliebte Sena Jurinac…). Was am Ende mit jubelndem Beifall belohnt wird. Zu recht – selbst am TV-Screen ist man einfach sprachlos vor Bewunderung. Ich jedenfalls.
Mehr als anständig wirkt auch der Fernand Cortez von Dario Schmunck mit ebenso exzellenter Diktion wie alle seine Bühnenpartner, und mit ebenso tapferer wie Belcanto-geübter Tenorstimme staunenswerter Durchhaltekraft. Der Alvar von David Ferri Durà leuchtet mit schönem Tenor. Angenehm fallen auch Davide Ciarrocchi und Nicolò Avroldi im herrlichen Terzett der Gefangenen im dritten Akt auf. André Courville gibt den mexikanischen Boten und Oberpriester – markant auch Gianluca Margheri als sehr attraktiver, fast diabolischer Gefährte Morale, der die verbindende Figur zwischen den Akten ist. Staunenswert auch die Leistung des Veteranen Luca Lombado aus Frankreich, der seinen Charaktertenor zu großer Wirkung bringt und der einen gelungenen Gegenspieler Telzeuco abgibt (trotz grämlicher Optik).
Insgesamt zu loben sind die Leistungen von Orchester und Chor unter der vorwärtsdrängenden Leitung von Jean-Luc Tingaud, der resch und schnörkellos Spontinis Musik auffächert und diese unglaublichen Klangmassen fein schattiert.
Die Regie von Cecilia Ligorio stellt die Oper selbst (die prunkvolle Ausstattung mit den hinreißenden historischen Kostümen stammt von Alessia Colosso, Massimo Cechetti und Vera Pierantoni Gina, magisch beleuchtet von Maria Domènech Gimenez) in eine (auf dessen Tagebuch beruhende) Rahmenerzählung aus dem Tagebuch des Morales, einer der Gefährten von Cortez und ein vom Gold geblendeter junger Mann während der Eroberung Mexikos, der als alter Mann nachdenklicher erscheint. Er erinnert sich schuldbewusst und lässt damit Schatten des Zweifels auf den eigentlich positiven Helden fallen. Eine gute Idee. Alles in allem fehlt es dem Abend nicht an Spannung, ein so grandioses und unbekanntes Werk zu erleben.
Wenngleich man auch ins gelegentliche Nachdenken über das Abfilmen von Live-Aufführungen kommt, denn die Solisten kleben doch sehr oft an den Promptern angesichts ihrer vielen schwierigen Einsätze. Was eine glaubwürdige Interaktion zuweilen torpediert. Erwähnen muss man die wirklich spannende Kameraführung (Tiziani Mancini) und die ganz wunderbaren Lichtregie von Maria Domenech Giminez), die die Bühne in zuweilen magisches Licht taucht. Das können nur Italiener. Die farbenfrohen, in viele Rot-Töne gehaltenen Kostüme der Inkas kontrastieren mit dem martialischen Leder-Schwarz der Spanier auf das Vortrefflichste. Eine wirklich luxuriöse und luxuriös beleuchtete Optik in der Tat. Zu deren Genuss sich die vielsprachigen Untertiteln gesellen, über die die DVDs/ Blurays verfügen. Erfreulich sind zudem zwei stringente Aufsätze von Paolo Pelazzi und Federico Agostanelli (aus dem originalen Programnmheft des Maggio) zum näheren Verständnis der Aufführungsgeschichte und dieser Fassung. Alles in allem eine vorbildliche Ausstattung
Die Vorstellung dauert fast viereinhalb Stunden (alles auf einer Bluray!) – die unglaublich vielseitigen und fast nicht enden wollenden Ballette in Akt 1 und 3 tragen das ihre dazu bei. Für mich ist dies eine der Editionen für die einsame Insel. Ob Dormund mit der für 2020 geplanten (und sicher verschobenen) deutschen Erstaufführung der Berliner Fassung (retour ins Französische übersetzt) da heranreichen wird, wird sich zeigen müssen. Ich hab meine Zweifel. Dies hier ist kaum zu toppen. Dank an Dynamic und natürlich das Theater in Florenz! Geerd Heinsen
Dieses so bedeutende Ergebnis von Planung und glanzvoller Bewältigung beim Maggio Musicale 2019 wollen wir mit einem Artikel zum Werk begleiten. Nachstehend dazu ein Beitrag des Musikwissenschaftlers Jürgen Maehder von der Berliner FU , der sich mit der Werkgeschichte und der musikalischen Wirkung dieser ungewöhnlichen und bahnbrechenden Oper beschäftigt.
Gasparo Spontini und sein Fernand Cortez: Die Uraufführung der ersten Fassung an der Académie Impériale de Musique (28.11.1809) erzielte nur einen bescheidenen Erfolg; die von Napoleon intendierte antispanische Propagandawirkung des Werkes wurde, wie Jacques Joly gezeigt hat, durch die ambivalente Rezeptionsstruktur des Werkes zwischen heroischer Glorifizierung der spanischen Eroberung und Mitleid mit den Eroberten wesentlich geschwächt. Es ist bezeichnend für den ‚Montagecharakter‘ des Librettos, das verschiedene Begebenheiten der Eroberung Mexicos in einer weder geographisch noch chronologisch stimmigen Ordnung zusammenfasst, dass für die zweite Fassung des Werkes die Handlung der Akte untereinander ausgetauscht und wesentliche szenische Wirkungselemente von einem Akt in den anderen verpflanzt werden konnten. Zu diesen zählten die Opferszene der spanischen Gefangenen im Tempel des mexikanischen Gottes Talépulca, die von Cortez befohlene Zerstörung der spanischen Flotte, die historisch belegte Demonstration eines Kavallerie-Angriffes von Seiten der Spanier vor den Augen der erschrockenen Mexikaner sowie die Zerstörung der Hauptstadt Tenochtitlán. Im Vergleich zu den vorauf gegangenen Vertonungen des Stoffes ist ebenso bemerkenswert, welche Handlungselemente in diesem Libretto fehlen; vor allem die offenbar auf Esménard zurückgehende Eliminierung der Gestalt Montezuma wurde von der zeitgenössischen Kritik moniert.
Die resultierende Asymmetrie der Parteien der Spanier und Mexikaner wurde durch die Umarbeitung zur zweiten Fassung wenigstens in Ansätzen korrigiert. Dabei wurde der ehemalige I. Akt zum II. Akt der Neufassung, was den dramaturgischen Nebeneffekt zeitigte, dass die Zerstörung der spanischen Schiffe von der Küste an den See von Tenochtitlán verlegt werden musste. Der berühmte Auftritt der siebzehn vom Zirkus Fantoni ausgeliehenen Pferde, ursprünglich am Ende des I. Aktes angesiedelt, wurde in der 2. Fassung an das Ende des III. Aktes verlegt, bildete also gleichsam nur ein Anhängsel des Ballett-Divertissements, mit dem der ,lieto fine‘ der Handlung gefeiert wird. Diese zweite Fassung, am 28.5.1817 unter gänzlich gewandelten politischen Bedingungen mit großem Erfolg uraufgeführt, vermochte sich einen Platz im Repertoire der Académie Royale zu sichern und erlebte bis 1850 etwa 250 Auf- führungen. Die außerordentlich erfolgreichen Berliner Erstaufführungen der ersten (15.10.1814) und zweiten Fassung (20.4.1818) führten dazu, dass für Spontini die Position eines preußischen Generalmusikdirektors geschaffen wurde, die er am 1.2.1820 antrat; die folgenden Bearbeitungen des Werkes erfolgten daher in deutscher Sprache und erlebten ihre Uraufführungen unter Leitung des Komponisten an der Berliner Hofoper. Wie der Vergleich der vier publizierten Fassungen und einer von Jacques Joly entdeckten Mischfassung mit handschriftlichen Anmerkungen enthüllt, suchten die Berliner Fassungen von 1824 und 1832 die absinkende Spannungskurve der Dramaturgie der zweiten Fassung durch eine plausiblere Gestaltung des Schlusses zu korrigieren; dabei erscheinen die vier Versionen des Werkes keineswegs als ideologisch neutral, sondern lassen sich den jeweiligen politischen Konstellationen ihrer Entstehungszeit präzis zuordnen.
Die in Spontinis Partitur allenthalben offenbare Tendenz zur Ausnützung aller vorhandenen musikalischen wie szenischen Wirkungsmittel hat den Zeitgenossen den Blick getrübt für die Fülle musikalischer Innovationen, durch die diese Partitur den Weg für die avanciertesten Werke der Grand Opéra ebnete.94 Das für die Tradition der Grand Opéra konstitutive Element des szenischen Tableaus fand in Spontinis Fernand Cortez seine erste gelungene Realisierung; vergleichende Untersuchungen, die Spontinis Szenenstrukturen in Fernand Cortez mit denjenigen in Rossinis Le Siège de Corinthe oder Wagners Rienzi verglichen, führten zu überzeugenden Resultaten. Die Präsenz zweier rivalisierender Chorgruppen auf der Bühne, die auch in der Simultaneität musikalisch individualisiert erscheinen, verweist zwar auf das direkte Vorbild von Lesueurs Ossian ou les Bardes (1805), doch gelang es Spontini, die musikalische Charakterisierung auf ein neues Niveau von Individualität zu heben. In der Behandlung der Bühnenmusik wie in seiner avancierten Verwendung typisierender Schlaginstrumente sollte Fernand Cortez eine spezifisch französische Tradition begründen helfen, die in den Partituren von Giacomo Meyerbeer und Hector Berlioz ihre reinste Ausprägung fand. Raumeffekte, wie sie schon die Partitur von La Vestale auszeichneten, sind in besonderer Weise konstitutiv für die Musiksprache des Fernand Cortez; bereits der Titel „Marche des Mexicains, dans le lointain, et Duo sue le devant du Théâtre“ (1. Version, I,5) verrät die Planung der Raumempfindung als Bestandteil der musikalischen Faktur. Die Ableitung der ‚Verräumlichung‘ der französischen Musik für das Theater nach 1789 von der akustischen Erfahrung der Revolutionsfeste scheint plausibel; auch der vorherrschende Marschcharakter von Spontinis Partitur spiegelt eine zeitgenössische Klangerfahrung, die Militarisierung des öffentlichen Lebens während der napoleonischen Ära.
Die janusklöpfige Position von Étienne de Jouys und Esménards Libretto zwischen den Konventionen der Tragédie lyrique des 18. Jahrhunderts, die ein ,lieto fine‘ mit freudigem Schluss-Divertissement zwingend vorschrieben, und dem ahnungsvollen Vorgriff auf neuartige – und in der Grand Opéra des 19. Jahrhunderts endgültig realisierte – Formen von Dramaturgie, in denen die politischen und privaten Konflikte unter Einbeziehung eines individualisierten Chorkollektivs eng miteinander verzahnt wurden und auf eine unvermeidliche Katastrophe zusteuerten, sollte sich als schwere Hypothek für das Werk erweisen. Eine synoptische Edition der vier publizierten Fassungen des Werkes sowie der von Jacques Joly beschriebene Übergangsversion zwi- schen der ersten und der zweiten Fassung mit handschriftlichen Anmerkungen wird im Rahmen der geplanten kritischen Edition des Werkes vorzulegen sein.
Fernand Cortez, neben La Vestale zweifellos das Hauptwerk des musikalischen Theaters der napoleonischen Epoche, markiert den Übergang von einer klassizistischen zu einer exotistischen Stoffwahl; die Entscheidung für einen ‚pittoresken‘ und zugleich historischen Stoff sollte den Entwicklungsgang der Operndramaturgie in den folgen- den Jahrzehnten wesentlich beeinflussen. Das zugrundeliegende Handlungsmodell einer in einen historischen Konflikt eingebetteten Liebesgeschichte zwischen europäi- schem Eroberer und eingeborener Frau wurde in der Folgezeit zur klassischen Konstellation der Dramaturgie in der exotistischen Oper des 19. Jahrhunderts. Jürgen Maehder
Der Autor: Jürgen Maehder, (emeritierter Professor für Musikwissenschaft an der FU Berlin/ Foto Wikipedia}, erlaubte uns einen Auszug aus seinem Aufsatz „Die Darstellung der Eroberung Mexikos im Übergang von der Opera seria des Settecento zur Oper des Empire“ aus dem Sammelband „Spontini und die Oper im Zeitalter Napoleons“/ Band 11 in der Reihe „Musik und Theater“/ Hrsg. Detlef Altenburg et al. im Studio Punkt Verlag, Sinzig 2015, (ISBN 978-3-89564-150-3/ ISSN 0941-8954) hier wiederzugeben, wofür wir ihm und dem Verlag (dort besonders Gisela Schewe) außerordentlich danken. Das Buch haben wir bereits in operalounge.de (Die Macht und die Kunst) besprochen.
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.