Weltpremiere

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Die Stimme Gottes befiehlt dem widerstrebenden Elia „Geh hinab zur Senke des Tals, über den Fluss, in die große Stadt; zum Königsschloss geh, tritt zum Tore hinein und suche, zu wem ich Dich sende“. In seinem einzigen Bühnenwerk, dem 1955 entstandenen Mysterienspiel Elia, setzt der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber das in seiner wichtigsten Schrift „Ich und Du“ aufgestellte dialogische Prinzip fort und lässt Gott zum allgegenwärtigen Gesprächspartner der Menschen werden. Der bislang (fast) nur als Dirigent bekannte, doch zeitlebens auch als Komponist tätige Antal Dorati setzt dieses dialogische Prinzip in seiner bislang weder aufgeführten noch eingespielten Oper Der Künder konsequent um, in dem die metaphysische Stimme Gottes „immer die Person (ist), zu der sie spricht“. Daraus ergeben sich geheimnisvoll suggestive Situationen, die zu einem gliedernden Kennzeichen der dreiaktigen Oper werden. Eher Mysterienspiel oder Oratorium denn ein Bühnenwerk.

Antal Dorati/Wikipedia

Martin Fischer-Dieskau stellt in seinem ausführlichen Essay im Beiheft Bezüge zu Weills Weg der Verheißung, Dessaus Pessach-Oratorium Hagadah und Schönbergs Jacobsleiter und Moses und Aron her, wobei Dorati „auf identifizierbare politisch-zionistische Bezüge“ verzichtet und sich auf das „inhaltliche Zentrum jüdischen Selbstverständnisses, das Gott als den einen und einzigen Gott preist“ konzentriert, oder Mendelsohn-Bartholdys Elias. In Der Künder geht es um den Propheten Elia, der das Volk Israel, das sich dem fremden Gott Baal zugewendet hat, wieder zurückführt zu Elohim, dem Gott Jahwe. Und es geht um den Kampf zwischen dem jüdischen Gott der Bibel und dem Gott Baal, der nach rund 160 Minuten mit der Himmelfahrt des Elia und dem Dank „Der Herr ist mein Hirte“ endet. Weitere Hauptpersonen neben dem Ziegenhirt Elia sind der König Ahab und seine Frau Isebel, der Bauernbursche Elisha und die Bauersfrau Tanit.

Martin Fischer-Dieskau hat das gewaltige Projekt gestemmt und im August 2021 in Krakau als Hommage an seinen Mentor auf die Konzertbühne gehievt (3 CDs Orfeo C220313): ein Akt der Verehrung und Bewunderung. 1978/79 war der damals 25jährige Fischer-Dieskau Doratis Assistent beim Detroit Symphony Orchestra, woraus eine langjährige Freundschaft entstand. Donati machte ihn auch mit seiner 1984 entstandenen Oper Der Künder/ The Chosen bekannt. In Krakau setzte sich Fischer-Dieskau, der sich durchaus bewusst sein dürfte, dass die Oper auf der Bühne keine Chance hat, auf überzeugende Weise für das Werk ein. Er meißelt dessen philosophischen Gehalt in der klaren, textdeutlichen Gesangsdeklamation heraus und hält die vorsichtig atonale Musik mit dem Orchester der Beethoven Akademie Krakau und dem Chor des Posener Teatr Wielki in sanfter Bewegung. Durchaus mit intensiven Steigerungen in den Zwischenspielen, in die Dorati manche Vorgänge verlegt, und mit einer ausgepichten Fähigkeit, in der über Strecken auch kantig spröden Musik subtile Farbigkeit zu erkennen und in orchestralen Ballungen rhythmische Prägnanz zu unterstreichen. Mustergültig auch die Besetzung mit dem liedhaft milde timbrierten Bassbariton Tomasz Konieczny als Elia, Michael Schade als Ahab, Rachel Frenkel als Isebel und dem Halbdutzend weiterer Solisten, die in teils mehren Partien in Erscheinung treten.

Martin Buber/ Wikipedia

Fischer-Dieskau weist in seinem Text zu dieser Welt-Ersteinspielung auch auf das musikalische Umfeld hin, in dem der aus einer ungarisch-jüdischen Musikerfamilie stammende Dorati (1906-88) in Budapest aufwuchs. Zwischen Beharren auf Traditionen und Moderne, „zwischen einer traditionell institutionalisierte, urbanen Kunstauffassung in Budapest… und einer progressiven Hinwendung zur Musik der Landbevölkerung“, so Fischer-Dieskau, beispielhaft vertreten durch seine Lehrer, seinen Onkel Ernst von Dohnányi sowie Kodály und Bartók. Bereits 1924 debütierte Donati als Kapellmeister an der Oper in Budapest, wurde 1924-28 Assistent Fritz Buschs in Dresden, anschließend Erster Kapellmeister in Münster, emigrierte 1933 nach Frankreich, wirkte in Monte-Carlo als Kapellmeister der Ballets Russes und wurde nach 1939 in New York sesshaft. Dallas, Minneapolis, Stockholm, London und Detroit waren seine weiteren Stationen, bei denen sich Donati für die Klassische Moderne, Zeitgenössisches und amerikanische Komponisten einsetzte. Meilensteine der Schallplattengeschichte sind Doratis Gesamteinspielung der Haydn-Sinfonien, aber auch die acht, glänzend besetzten Haydn-Opern und die Tschaikowsky-Ballette.     Rolf Fath