.
Was hat nur die SONY zu dieser Aufnahme mit Patricia Petibon bewogen, die unter dem Titel La Traversée erschien und im November/Dezember in Basel bzw. Paris aufgenommen wurde (19439991832)? Und wer hat die Sängerin bei dieser bizarren Musikauswahl beraten? Der Titel suggeriert eine Reise, eine Überfahrt vom Barock über Mozart bis zu Offenbach und sogar Verdi. Doch viele der zu hörenden Titel stehen der Sängerin in ihren vokaltechnischen Möglichkeiten nicht zu Gebote. Da kann das La Cetra Barockorchester Basel unter Andrea Marcon noch so motiviert und inspirierend musizieren – die Sopranistin ist mit dem gewählten Programm schlicht überfordert. Es beginnt mit Henry Purcells „Strike the Viol“ aus der Ode Come ye Sons of Art. Das Orchester leitet das Stück hinreißend ein, während die Sopranistin mit weinerlichem, später heulendem Ton und albernem Gegacker irritiert. Es folgt die „Passacaglia della via“ von Stefano Landi, die in ihrem Tarantella-Rhythmus Leben und Tod evoziert. Auch hier klingt Petibons Stimme unangenehm greinend. Zwei anspruchsvolle Arien von Georg Friedrich Händel lassen die Interpretin eklatant scheitern. Armidas „Furie terribili“ aus Rinaldo versucht die Sängerin, mit außermusikalischem Beiwerk beizukommen – spricht und schreit, untermalt vom Donnerblech, der Windmaschine und Schüssen, bis ihr Gesang bohrend und jaulend einsetzt. Für Cleopatras „Se pietá“ aus Giulio Cesare fehlt es ihr an noblem Ton, sie klingt kläglich wimmernd und intonationstrüb.
Bei Alcestes populärer Arie „Divinités du Styx“ aus Christoph Willibald Glucks gleichnamiger Oper, von vielen legendären Sängerinnen in maßstäblichen Interpretationen überliefert, vermisst man Substanz in der unteren Lage, Souveränität in der Höhe und vor allem grandeur. Die Szene der Phädra „Cruelle mère“ aus Jean-Philippe Rameaus Hippolyte et Aricie veranschaulicht den Konflikt einer Königin wegen der Liebe zu ihrem Stiefsohn, der einer rivalisierenden Prinzessin versprochen ist. Der Sopran lässt hier einen säuerlichen Beiklang hören, wie er im französischen Barock nicht ungewöhnlich ist, kommt insgesamt mit diesem Titel noch am besten zurecht. Aus Wolfgang Amadeus Mozarts opera seria Idomeneo hat Petibon zwei Arien der Elettra ausgewählt – ein kühnes Wagnis, doch mit überraschendem Ergebnis. „Tutto nel cor vi sento“, vom Orchester aufregend eingeleitet, gelingt mit fiebriger Erregung im Ausdruck und „D’Oreste, d’Aiace“ profitiert vom dramatischen Aplomb, auch wenn einige geheulte Töne stören.
Die allerseltsamste Wahl scheint die Arie der Hélène, „Ami! Le coeur d’Hélène“ aus Giuseppe Verdis Les Vêpres sicilennes, also der französischen Urfassung dieser Grand opéra. Für dieses Repertoire ist Petibons Stimme gänzlich ungeeignet, ihr Vortrag mit einer gejaulten Kadenz am Schluss gerät zur Miniatur. Mit dem Rondo der Grande-Duchesse de Gérolstein, „Ah que j’aime les militaires“, aus Jacques Offenbachs gleichnamiger opéra-bouffe versucht die Solistin noch einen spöttisch-ironischen Tupfer zu liefern – den flotten Klängen des Orchesters kann sie leider nichts Adäquates entgegensetzen. Eine Komposition von Purcell beendet die Auswahl – „Here the Deities Approve“ aus der Ode Welcome to all the Pleasures. Hier erklingt sie in einer a cappella-Bearbeitung als recht unspektakulärer Schlusspunkt dieser insgesamt verstörenden Platte. Bernd Hoppe