Archiv für den Monat: Februar 2022

Zartes aus der Schweiz

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Mit dem doppelten Titel Zauberluft und Air Magique trägt das Cover der Lied-CD aus der Schweiz wenigstens zwei derer Landessprachen Rechnung, das Foto von Sängerin Stephanie Bühlmann und Pianist Benjamin Engeli ist in zarten Beige-Tönen gehalten, und so lassen Titel und Farbgestaltung schon einmal nichts Abrupt-Modernes, die Sinne Aufwühlendes, gar Abstoßendes, vermuten. Auch im Booklet ist vom Streben nach Harmonie die Rede, vom Zurückkehren zum Dreiklang und von der Schweiz als „Zwischenland“.  Zwischen 1917 und 2016, also innerhalb eines Jahrhunderts sind die Stücke entstanden, Vater und Sohn, Deutschsprachige und Französischsprachige vertreten, wobei auch zwei Kompositionen auftauchen, die ins Französische übersetzte deutsche Gedichte von Heine und Chamisso zur Grundlage haben.

Originalgedichte von Heinrich Heine aus dessen Buch der Lieder hat Richard Flury (der Ältere) vertont, es beginnt aber mit „Sommerwolke“ auf einen Text von Otto Zinniker, für die der Sopran eine frische, mädchenhafte Stimme einsetzt, bei deren Einsatz  aber auch das Hauptmanko, eine recht verwaschene Diktion zu beanstanden ist, die kaum damit zu entschuldigen ist, dass sich sowohl im Textlichen wie im Musikalischen vieles im Ungefähren abspielt. Besonders die Zeilenanfänge sind davon betroffen. Der Sopran trägt sehr gut im Piano, wie „Augenzauber“ beweist, Intervallsprünge wie in „Im wunderschönen Monat Mai“ werden sicher gemeistert, das Vibrato ist auch in der Höhe sehr fein. Angemessen viel Zeit nimmt sich die Sängerin für bedeutungsschwere Begriffe wie „klingen“ oder wird angemessen dringlich wie für „Verlangen“, bedeutungsschwanger auf „ewig“ im Mörike-Lied Nimmersatte Liebe. Eine besondere Qualität der Sopranstimme ist der zarte Schimmer, der auf ihr zu liegen scheint, was insbesondere im Lied Libelle auszumachen ist.

Auch Goethe wurde vom altpersischen Dichter Hafis inspiriert, auf dessen Gedichte der Tenor und Komponist Daniel Behle drei auf der CD vertretene Lieder komponierte. Hier erwartet man von der Stimme mehr Sinnlichkeit, wird sie erst in Am Anfang in Treuen so expressiv, wie Text und Musik es verlangen. Ringelnatz liegt der Sängerin mehr, ihre Interpretation von Tiefe Stunden ist angemessen kontrastreich, während Nachtschwärmen noch recht verhuscht klang. Interessant ist die knappe Klavierbegleitung.

Urs Joseph Flury, der Sohn von Richard, lässt das Klavier ironische Akzente setzen, das gemeinsam mit der Stimme den Kontrast zwischen „kleiner Melodie“ und „Sommer-Sinfonie“ erfahrbar macht, in Die schöne Farbe werden die Konsonanten sehr weichgespült, gibt sich die Stimme ein geheimnisvolles Flair.

Auch bei den Liedern auf französische Texte lassen sich dieselben Qualitäten bewundern und Einwände machen wie bei den deutschen Liedern. hat Gedichte des Litauers Algimantas Narakas vertont, in Après le bal umspielt das Klavier liebevoll die Stimme, in Carriole au matin schwingen Melancholie und Nostalgie mit, wird es energisch wie in Automne, wird einiges in der Eile verschluckt, in Valse des années  Hingetupftes zur Manier.

Sechs Lieder von Paul Miche beschließen die Aufnahme, auch sie zu zurückhaltender Klavierbegleitung spätromantisch bis impressionistisch. In Instant kann die Sängerin noch einmal mit feinen Tongespinsten glänzen, bitter-süß in Romance italienne klingen und in schöner Schlichtheit Terre Jurassienne feiern und mit zum Beweis dafür beitragen, dass auch heute noch tonales Komponieren möglich und erfolgreich sein kann (SM 384). Ingrid Wanja    

Nullte und Achte

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Hätte Johann Sebastian Bach eine romantische Sinfonie geschrieben, wie hätte sie wohl geklungen? Sicherlich eine rein hypothetische Frage, die spekulativ bleiben muss. Und doch gibt es bei Anton Bruckner stellenweise eine erstaunliche Rückbesinnung, die auch an Bach gemahnt. Tatsächlich sah sich Bruckner selbst als einen „Unzeitgemäßen“, so dass Reminiszenzen nicht allzu sehr verwundern sollten. Dass man sie gerade in einem Werk findet, das gemeinhin nicht im Fokus steht, ist von daher hochspannend. Die vom Komponisten später als „ungiltig“, „ganz nichtig“ und „annulirt“ bezeichnete Sinfonie d-Moll WAB 100, wohl auch deswegen inoffiziell Die Nullte genannt, stammt aus dem Jahre 1868, steht also zwischen der regulären ersten und der zweiten Sinfonie, was man bis 1983 gar nicht wusste und sie deutlich früher verortete. Zu seinen Lebzeiten wurde sie nicht aufgeführt. Der Wiener Hofopernkapellmeister Felix Otto Dessoff meinte nach Durchsicht der Partitur konsterniert: „Ja, wo ist denn das Thema?“ Dass Bruckner es trotz allem nicht übers Herz brachte, die Partitur zu vernichten, darf als Glücksfall bezeichnet werden, denn so konnte sehr viel später – im Jahre 1924, im Gedenkjahr anlässlich der 100. Wiederkehr seiner Geburt – doch noch ihre Uraufführung begangen werden

Und nun, fast wiederum ein Jahrhundert später, legt Capriccio sie im Rahmen seiner geplanten Gesamtaufnahme mit dem Bruckner Orchester Linz unter Markus Poschner vor (Capriccio C8082). Die Nullte hat sich langsam aber doch merklich einen festen Platz in der Bruckner-Diskographie erkämpft und wird immer häufiger bei Zyklen der Bruckner’schen Sinfonien mitberücksichtigt – anders als die ganz frühe Studiensinfonie f-Moll, teils scherzhaft Doppelnullte genannt, die noch wenig von einem eigenen Personalstil Bruckners erahnen lässt. Dies kann man der Nullten indes nicht unterstellen. Speziell im Kopfsatz und zu Beginn des Schlusssatzes wähnt man einen bald bachisch, bald mediäval anmutenden Tonfall, nicht ganz unähnlich jenem in Mendelssohns Reformations-Sinfonie. Der langsame Satz erreicht zwar noch nicht die Ausmaße späterer Bruckner-Sinfonien, doch hat er trotz seines etwas provisorischen Charakters seinen Reiz. Dies gilt in Sonderheit für das sehr trotzig daherkommende Scherzo, das einen frühen Höhepunkt im Schaffen Bruckners darstellt. Poschners Ansatz ist eher kammermusikalisch und insofern die gar nicht so kleine Diskographie durchaus bereichernd. Er vermeidet Klangmischmasch und zielt auf sehr gute Durchhörbarkeit, unterstützt von der wirklich exzellenten Tontechnik (Aufnahme: Musiktheater, Linz, 22.-24. Februar 2021). Mit Poschners eigenen Worten gesagt, sei das Schaffen Bruckners „bis heute provokativ, unfertig, streitbar, unangepasst radikal und damit zeitlos modern“. Die beschreibt letztlich auch treffend seine Interpretation. Das Bruckner Orchester Linz ist selbstredend in seinem Element. Es ist auch nicht dessen Erstbeschäftigung mit dem Werk.

2008 spielte Dennis Russell Davies die Sinfonie „Nr. 0“ für Arte Nova ein. Und schon von 1981 gibt es eine ORF-Produktion mit Theodor Guschlbauer. Selbstredend bedient man sich auch diesmal der 1968 vorgelegten Edition von Leopold Nowak, welche die bis dahin genutzte 1924er Edition von Josef Venantius von Wöss als überholt erscheinen ließ. Alles in allem also eine sehr gelungene Alternative zu den „romantischeren“ und ähnlich genialen Einspielungen von Stanislaw Skrowaczewski (mit dem RSO Saarbrücken bei Oehms, besonders aber mit dem japanischen Yomiuri Nippon Symphony Orchestra bei Denon) und Paavo Järvi (mit dem hr-Sinfonieorchester in der neuen Komplettbox bei RCA). Das beiliegende zweisprachige Booklet (Deutsch und Englisch) mit informativem Einführungstext von Paul Hawkshaw ist tadellos. Daniel Hauser

Bereits im Februar 2018 wurde die vom Umfang her gewaltigste Bruckner-Sinfonie, nämlich die Achte, durch das Bruckner Orchester Linz unter Markus Poschner im Rahmen der geplanten Gesamtaufnahme eingespielt (Capriccio C8081). Man entschied sich für die bewährte Leopold-Nowak-Edition von 1994, welche die Hinzufügungen von Robert Haas eliminierte und Bruckners 1890 vollendete Zweitfassung der Sinfonie darstellt (die Erstfassung von 1887 soll durch Poschner und die Linzer ebenfalls noch vorgelegt werden). Wie Paul Hawkshaw in seinem sehr lesenswerten Essay darlegt, erkannte der notorische Wiener Kritiker Eduard Hanslick den Stellenwert des Werkes mitnichten und stürmte bei der Uraufführung theatralisch noch vor dem Finalsatz aus dem Saal. Er lag aus heutiger Sicht, wie so häufig, daneben. Schon Johannes Brahms soll hingegen gemeint haben, Bruckner sei eben doch ein großes Genie.

Trotz vergleichsweise lebendiger Tempowahl (15:12 – 13:52 – 24:32 – 22:36), die eine einzige CD ausreichend macht, verfällt Poschner glücklicherweise nicht einem unangemessenen Geschwindigkeitsrausch. Selten gehörte Nebenstimmen werden durch den transparenten und doch vollen Orchesterklang beleuchtet, ohne das dem Werk darüber die Majestät genommen würde, die es gleichsam naturgemäß ausstrahlt. Die orchestralen Höhepunkte wie die Beckenschläge im himmlischen Adagio und gerade auch die fulminante Schlusscoda mit fanfarenartigen Blechbläsern werden herzhaft ausgespielt. Die Flexibilität des Dirigats Poschners gemahnt stellenweise fast an den in Sachen Bruckner für nicht wenige unerreichten Eugen Jochum. Poschners Interpretation steht in der katholisch-süddeutschen Tradition, was beim in München geborenen Dirigenten und dem in der Bruckner-Exegese überaus erfahrenen oberösterreichischen Klangkörper nicht wundernimmt. Überhaupt muss wiederum die spieltechnische Qualität des Orchesters betont werden, das zumindest in diesem Repertoire mit berühmteren Orchestern problemlos mithalten kann.

Klanglich darf dem Wiener Label Capriccio abermals eine ungemeine Brillanz bescheinigt werden, die diese Serie schon jetzt zum audiophilen Glanzpunkt in jeder Bruckner-Sammlung macht. Als kleinen Wermutstropfen mag der HiFi-Anhänger empfinden, dass die „Bruckner 2024“-Reihe nicht auch im SACD-Format erscheint. Aber das sind Marginalien. Auch bezüglich Sinfonie Nr. 8 darf gelten: Geglückt in jeder Beziehung. Daniel Hauser

Paradiesisches

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Eden heißt das neue Album von Joyce DiDonato bei ihrer Stammfirma ERATO, das im Sommer 2021 im italienischen Teatro Comunale di Lonigo aufgenommen wurde (0190296465154). Es offeriert eine Sammlung von 16 Titeln in der für die Sängerin typisch kontrastreichen Vielfalt. Das unter Maxim Emelyanychev begleitende Ensemble Il Pomo d’oro ist der Künstlerin ein erprobter Partner und erweist sich auch bei dieser Einspielung als versierter Klangkörper, muss hier sogar unterschiedlichste musikalische Stile beherrschen. Denn das Programm beginnt mit Charles Ives’ „The Unanswered Question“, das nach sphärischem Rauschen die Stimme in außerirdisch anmutenden Vokalisen ertönen lässt, gefolgt vom ersten Vokalbeitrag, Rachel Portmans „The First Morning of the World“, der hier als Weltersteinspielung erklingt. Die Komposition beginnt träumerisch, erinnert klanglich an Elgars Sea Pictures und gibt dem Mezzo reiche Möglichkeiten zur Entfaltung. Danach führt die Musikreise in die Romantik mit „Ich atmet’ einen linden Duft“ aus Gustav Mahlers Rückert-Liedern, aus denen später noch „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ ertönt. DiDonato gestaltet sie mit großer Kultur und feinen Valeurs. Danach hat die Sängerin noch „Schmerzen“ aus Richard Wagners Wesendonck-Liedern ausgewählt, singt es mit stimmlicher Fülle und emphatischem Gefühl.

Mit dem munteren, rhythmisch betonten„Con le stelle in Ciel che mai“ aus Biagio Marinis Scherzi e canzone beginnen die Kompositionen aus dem Bereich der Alten Musik. Es folgt die bewegte Aria des Angelo di giustizia, „Taglierò le sponde al mare“ aus Josef Mysliveceks Oratorium Adamo ed Eva. Souverän bewältigt die Sängerin die ausgedehnten Koloraturläufe, die Aufschwünge in die exponierte Lage und die dramatischen Akzente. Anschließend führt der Weg mit dem launischen „Nature, the gentlest mother“ aus Aaron Coplands 8 Poems of Emily Dickinson wieder zum  zeitgenössischen Genre. Nach einem instrumentalen Intermezzo mit Giovanni Valentinis Sonata enharmonica geht es weiter mit Titeln aus der Alten Musik – der so schmerzlichen wie aufbegehrenden Arie des Calisto „Piante ombrose“ aus dem gleichnamigen Werk von Francesco Cavalli und der furiosen Aria der Fulvia, „Ah, non son io che parlo“ aus Georg Friedrich Händels Ezio. Mit höchster Spannung ist schon das Rezitativ geformt, die Aria gleichfalls geprägt von einem dramatischen Erregungszustand und glänzendes Zeugnis für DiDonatos hohe Gestaltungskraft. Dazwischen hat das Orchester einen grandiosen Auftritt mit der Danza degli spiriti e delle furie aus Glucks Orfeo ed Euridice  – wahrlich ein Sturm der Geister in rasendem Tempo und atmosphärischem Spuk. Vom Hallenser Komponisten gibt es anschließend noch die Arie der Irene, „As with rosy steps the morn“, aus Theodora in weltentrückter Stimmung, was auf Mahlers Rückert­-Lied einstimmt, sowie einen Bonus mit dem berühmten Largo des Serse „Ombra mai fu“. Der sattsam bekannte und unzählige Male interpretierte Titel erklingt hier in so schlichter wie feierlicher Weise mit delikat geformten Trillern und schwebenden hohen Tönen – ein wunderbarer Ausklang dieser sehr besonderen Platte. Bernd Hoppe

Wien, Wien nur Du allein

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„Wien, Wien nur Du allein sollst stets die Stadt meiner Träume sein.“ So lautet die erste Zeile des Evergreens von Rudolf Sieczynski. Wien gilt als die Stadt des Wiener Walzers. Wien ist bis heute eine Musikstadt, ist die „Stadt der Geiger und Tänzer“ (Fritz Lange). Als Säulenheilige der Wiener Musikgeschichte gelten Mozart, Haydn, Beethoven, Schubert und Johann Strauss. Sie gehören zum nostalgischen Topos Wien bis heute, ebenso wie der Prater, der Zentralfriedhof oder die Hofburg.

Doch schon 1906 schrieb der Schriftsteller Hermann Bahr in seiner Wien-Monographie: „Was wird nun aus Wien? … Täuschen wir uns nicht, wir haben ausgespielt, wir sind vorbei, wir sind Geschichte, wir sind eine schöne Erinnerung!“  Ferdinand von Saar hingegen mahnte schon in seinen Wiener Elegien 1893: „Scheltet mir nimmer Altwien.“

Zurecht stellt Michael Meyer,  der Autor des 243 Seiten starken Buches, fest: „Bahr und Saar kontrastieren unter Einbeziehung der Musik das neue Wien mit seiner Vergangenheit. Bei ersterem ist von einer modernen Großstadt die Rede, die ein Problem hat mit dem ‚alten Schein‘, der auf ihr ‚lastet‘. Saar entwirft dem gegenüber mit ‚Altwien‘ eine verehrungswürdige Gegenwelt, die Zeit der ‚Wiener Klassik‘ wird als heile Welt beschrieben, vor der die „Neuern“ Respekt haben sollen.“

Thema des Buches ist die Diagnose einer „verklärenden Rückschau auf die Vergangenheit, vor dem Hintergrund einer Skepsis gegenüber der Gegenwart, einer „Aneignung des Vergangenen“, ja des Umgangs mit „musikalischer Vergangenheit“ in Wien um 1900.  Es ist die Wiener Moderne. Der Versuch einer solchen Zusammenschau wurde bisher noch nicht unternommen. Er ist Frucht eines an der Universität Graz von 1995 bis 2005 betriebenen Spezialforschungsbereichs “Moderne- Wien und Zentraleuropa um 1900.“ Ein großes Thema, das eine Unmenge von Quellenmaterial aufweist. Beschränkung und Auswahl verstehen sich daher von selbst.

Wie der Musikwissenschaftler Michael Meyer zurecht schreibt: „Im Grunde lässt sich praktisch alle damals komponierte Musik als Auseiendersetzung mit Vergangenheit lesen.“

Bestes Beispiel: Gustav Mahler. Seine „Sinfonien mit ihrem Einbezug von Märschen, Ländlern und Walzern im Rahmen eines Weiterdenkens der von Beethoven herkommenden Sinfonietradition genauso wie die der Tradition Johann Strauß‘ und Josef Lanners erwachsenen Walzerkompositionen Carl Michael Ziehrers.“

Es geht um paradigmatisch erkannte „Formen des Umgangs mit Geschichts- und Erinnerungskultur“ Wiens in historiographischen Arbeiten, die Michael Meyer interessieren: Festanlässe, Wiener Musikgeschichtsschreibung, Feuilletons und Programmschriften. Wer glaubt, man lese in diesem Buch nur affirmativ-identitätsstiftende Zeugnisse der Musikstadt Wien, irrt. Gerade die von der Gründerzeit bis zum Zusammenbruch der Habsburgermonarchie reichende Identitätskrise steht im Mittelpunkt der 6 Kapitel, die in drei Abteilungen gegliedert sind: Urbanität und Fortschritt, Geschichte und Erneuerung, Distanz und Auflösung.

Das Buch ist eine Lektion in Stadt- und Musikgeschichte der Kaiserstadt, man liest „wie alles Gegenwärtige auf der Vergangenheit beruht“ (Eugen Guglia), aber auch über Legitimierung durch Geschichtsvergewisserung, „Umschwung“ und „Reform“ (E. Hanslick) und über die Geschichte des griechisch renaissancistischen Musikvereinsgebäudes, aber auch das empirisierend biedermeierliche Wiener Konzerthaus. Ein besonderes ausführliches wie detailliertes Kapitel ist dem Wiener Walzer gewidmet, er gilt bei Fritz Lange als „universell-gesellschaftsstiftende und entsprechend leicht popularisierbare Kunstform zum Vehikel der Erzeugung von Identität durch Geschichtsvergewisserung“. Die große ‚Ausstellung für Musik- und Theaterwesen‘ im Jahre 1892 im Wiener Prater, so erfährt man, habe nach Hanslick den Besuchern sowohl „Belehrung“ als auch „Vergnügen“ geboten. Der Heroenkult der Jubiläumsfeiern für Schubert 1897 und Haydn 109 wird eingehend dargestellt, aber auch „linke Lesarten“ der Musikgeschichtspopu­larisierung, etwa im Satireblatt ‚Die Glühlichter‘.

Es wird nicht vergessen, dass „Geschichtsvergewisserung in Wien um 1900 auch eine radikale Erweiterung des Kanons der ‚Wiener Klassik‘ bis hin zu Anton Webern und den Kreis um Arnold Schönberg“ zur Folge hatte. Lebende Komponisten galten plötzlich als Alternative. In diesem Sinne gab es, wie David Josef Bach meinte „Trutzkonzerte“ gegen die affirmative Wiener Musikfestwoche 1912 mit Musik von Komponisten wie Schönberg, Schreker, Novàk, Suk, Berg und Webern. Sie galten als Leitfiguren der musikalischen Moderne um 1900.

Besonderes Augenmerk kommt in diesem Zusammenhang natürlich dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal zu, dessen Walzer (-Sentimentalität) als ironische Brechung des maria-theresianischen Zeitalters verstanden werden darf. Paul Marsops schrieb schon 1911 zurecht, dass der Walzer Strauss nur dazu dient, „seine musikalisch-dramatischen Hexenkünste zu betreiben.“ Aber Julius Korngold konstatierte „für das maria-theresianische Wien trifft aber …der Walzer .. von modernem Gepräge … nicht zu.“ Insofern kam dem Wiener Walzer in diesem Stück gerade keine „nostalgische und legitimatorische Funktion“ zu. Im Gegensatz zu Operetten wie „Das Dreimädlerhaus“ oder „Die Försterchristel“ (als Beispiele vom Operettentyp der „Wiener Gemütlichkeit“ dürfe der „Rosenkavalier“ geradezu als „Spiegel des Problems ‚Wien um 1900‘ aufgefasst werden. Das eben macht das Moderne am „Rosenkavalier“ aus, diese „Verwendung des Wiener Walzers in der Oper“ und die „Distanznahme von dessen legitimatorischen Funktionen.“

Hermann Bahrs „Eipeldauer Elektra“ wird geradezu als Meta-Spott auf die Wiener Erinnerungs- und Geschichtskultur gedeutet, so wie „Ariadne auf Naxos“ (zumal in der Wiener Fassung) als ein Beispiel für „die Auflösung historischer „Eigentlichkeit‘“.

Michael Meyer hat ein außerordentlich gelehrtes wie lehrreiches Buch über Wien, Wiener Befindlichkeit und Wiener Musikgeschichte um 1900 geschrieben, brilliant im Zugriff, profund im Wissen und gut lesbar. Eine hervorragende Bibliografie und ein gutes Register vervollständigen dieses äußerst empfehlenswerte Buch, in dem man viel lernt, viel begreift und ein Stück weit alle Wien-Nostalgie hinter sich lässt (Michael Meyer: „Moderne als Geschichtsvergewisserung – Musik und Vergangenheit in Wien um 1900„; Inga Mai GrooteLaurenz Lütteken / Herausgeber;243 Seiten/  Bärenreiter Verlag/ 978-3-7618-2603-4 ISBN). Dieter-David Scholz

Kichendrama

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Vor allem ist Leonardo Leo (Lionardo Oronzo Salvatore de Leo, 1694-1744) als neapolitanischer Opernkomponist und Musiklehrer bekannt. Zu seinen Schülern zählten unter anderem Giovanni Battista Pergolesi, Niccolò Jommelli und Niccolò Piccinni. Dalla morte alla vita di Santa Maria Maddalena eremita, ein Dramma sacro in tre atti nach einem Libretto von Carlo de Petris, wurde im Juli 1722 in Atrani, in der Nähe von der Stadt Amalfi, uraufgeführt. Zwischen der Erstaufführung und der vorliegenden Weltersteinspielung, einen Mitschnitt aus der Chiesa di San Paolo eremita di Brindisi von 22. Dezember 2019, fanden keine weiteren Vorstellungen dieses Werkes statt. Die Manuskriptpartitur galt als verschollen, bis sie 2009 in einer Pariser Buchhandlung wiederentdeckt wurde.

Da das „heilige Drama“ neapolitanischer Art nicht eine allgemein bekannte Gattung der Barockmusik ist,  lohnt es sich mit diesem Werk vertraut zu machen. Leo, wie diese Aufnahme zeigt, verdient es, nicht nur als Einfluss auf nachfolgende Generationen in Erinnerung zu bleiben.

In der Aufnahme dirigiert Cosimo Prontera das Barockorchester La Confraternita de‘ Musici. Agata Bienkowska (Mezzosopranistin) singt die Titelrolle Maria Maddalena; Gianluca Pasolini (Tenor) singt Livia; Giuseppe Naviglio (Bass) ist Antuono; Enrico Torre (Countertenor) ist Materno; Aurelio Schiavoni (Countertenor) ist Angiolo; Carlo Torriani (Bass) ist Demonio; und Paolo Lopez (sopranista) ist Lico.

Durchaus spielen die Mitwerkenden dieses Dramas mit Leib und Seele sowie Klarheit und Präzision. Die Mischung der Singstimmen, für die Leo schrieb, bietet nicht ausreichende Differenzierung zwischen den Charakteren, so dass es nicht immer erkennbar ist, ohne das Libretto zu lesen, wer gerade singt. Die Countertenöre und der männlicher Sopran (sopranista) klingen einander ähnlich; gleiches gilt für die beiden Bässe. Nur Agata Bienkowska hebt sich wirklich von den anderen ab und porträtiert Maria Maddalena sympathisch.

Die hallige Akustik dieser Aufnahme zerstört die Intimität der kleinen Besetzung; die Atmosphäre des Kirchenkonzertes lässt sich nicht gut auf einen Tonträger übertragen. Das Beiheft enthält einen informativen Aufsatz und das vollständige Libretto in italienischer Sprache mit englischer Übersetzung. Daniel Floyd

Leonardo Leo Dalla morte alla vita di Santa Maria Maddalena eremita mit Agata Bienkowska,  Gianluca Pasolini, Giuseppe Naviglio, Enrico Torre, Aurelio Schiavoni, Carlo Torriani, Paolo Lopez, La Confraternita de‘ Musici, Cosimo Prontera; Bongiovanni 2 CDs GB2579/80-2.

Weder noch

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Stürzte sich Zazà am Ende der Oper Ruggero Leoncavallos todessüchtig in die Loire, dann würde das Werk vielleicht  noch heute die Spielpläne der Opernhäuser füllen, denn die Musik hat durchgehend Mattinata-Qualitäten. Stellte sich aber am Schluss heraus, die Gattin ihres Geliebten habe längst ein Verhältnis mit ihrem Agenten Cascart und lasse den Gatten ziehen, eine Doppelhochzeit stehe ins Haus, dann wäre Zazà eine tolle Operette mit vielen Schlagern zum Mitsingen. So aber teilt sie das Schicksal von Puccinis La Rondine, nicht Fisch, nicht Fleisch, Oper oder Operette, sondern commedia lirica mit erfolgreicher Uraufführung und erfolglosem Weiterleben, eher Dahinsiechen.

Das Theater an der Wien hat sich einmal mehr das Verdienst erworben, ein fast vergessenes Werk auf die Bühne zu stellen, das Publikum auf der DVD scheint begeistert und der Betrachter in den eigenen häuslichen vier Wänden kann es auch sein.

Es geht um die Varietésägerin Zazà, die ein gut bezahltes Engagement in Marseille ausschlägt, lieber im provinziellen Saint Etienne bleibt, weil sie sich in den Geschäftsmann Milio Dufresne verliebt hat und diesen verführt. Beide leben mehrere Monate in Saint Etienne zusammen, bis Dufresne angeblich zu einer Geschäftereise aufbrechen muss. Von ihrem Ex und Noch-Manager Cascart erfährt Zazà, dass ihr Geliebter eine Familie in Paris hat, wovon sie sich  überzeugt. Weil die kleine Tochter des Geliebten sie in ihrer Liebe zum Vater berührt, verzichtet Zazà auf Dufresne, stößt ihn mit der Behauptung, sie habe alles seiner Gattin offenbart, von sich. Sie kehrt in ihr Leben als Varietésängerin zurück.

Das Stück wurde 1900 am Teatro Lirico  in Mailand mit Arturo Toscanini am Dirigentenpult uraufgeführt. In dieser Zeit spielt es wahrscheinlich ursprünglich auch, doch Christof Loy verlegte es in eine modisch eher undankbare nicht Jetzt-, aber Neuzeit, ließ sich von Raimund Orfeo Voigt hohe, kühle, atmosphärelose Räume auf die Bühne bauen und verzichtete so auf jede Möglichkeit, eine erotische Stimmung zu schaffen, was noch so viel Sichineinanderverschlingen der Leiber nicht schafft, wenn das Liebesnest im zweiten Akt aus einer Matratze in einem kalkweißen Riesenraum besteht. Fin-de-siecle und die Siebziger liegen halt zu weit auseinander. So wirkt auch die russische Sängerin Svetlana Aksenova als Zaza im ersten Akt mit biederer Frisur und einem Kleid, dessen Farben der Berliner als „Braunbier mit Spucke“ bezeichnen würde, überaus unscheinbar (Kostüme Herbert Barz-Murauer). Die Kahlheit der Optik zwingt zu besonders intensivem Spiel, und dafür ist der Regisseur natürlich ein Garant.

Die Titelpartie wird von dem russischen Sopran mit klarer, reiner und geschmeidiger Stimme, die im Verlauf des Geschehens zuhörens aufblüht, gesungen, besonders die Arie im dritten Akt, in der Zazà über ihre Kindheit berichtet, wird sehr berührend und mit feinen Akzenten gesungen. Die Mittellage ist noch nicht sehr präsent, aber ein ergreifendes „Tutto è finito“ ist trotzdem eindrucksvoll. Die unangefochten knallige Höhe und den operettenhaften Ton hat der Tenor Nikolai Schukoff, der zudem der geborene Verismo-Sänger zu sein scheint. Einen vollmundigen Bariton setzt Christopher Maltman für den Cascart ein, dessen Diktion beispielhaft ist, der so empfindsam singt, wie es die Arie im zweiten Akt erfordert, und so eindringlich, wie die mit „Resta libera“ beginnende es verlangt.

Es gibt eine Reihe mittlerer und durchaus dankbarer Partien wie die der Mutter der Zaza, die Enkelejda Shkosa vollmundig und schön vulgär verkörpert, die treue Natalia, aus der Juliette Mars eine so bescheidene, wie viel Wärme ausstrahlende Figur macht, den Theaterdirektor Courtois von Paul Schweinester , der einen durchdringenden Charaktertenor sein Eigen nennt. Ihnen allen und weiteren wird eine sehr differenzierte Personenregie zuteil.

Einen Anwalt, wie er kompetenter, einfühlsamer und geschmackssicherer nicht sein könnte, hat das Werk im Dirigenten Stefan Soltész gefunden, der tragikumflorten Verismo genau so wirkungsvoll zum Klingen bringt wie das Süffig-Operettenhafte, ohne je den Kitsch zu streifen (Unitel 805308). Ingrid Wanja   

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

Vater & Sohn Traetta

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Wenn man an sinfonische Musik Mitte des 18. Jahrhunderts denkt, ist vor allem von Namen wie Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), Franz Joseph Haydn (1732-1809) und Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791) die Rede. In seiner Zeit wurde Tommaso Michele Francesco Saverio Traetta (1727-1779) als Opernkomponist, der die Da-capo-Arienform reformiert hat, berühmt. Das Interesse an Traetta ist wieder gestiegen, wie die prominente 2019 erschienene Aufnahme (Mozart+ auf Sony Classical, 190759190524) von drei Arien aus seiner Oper Antigona mit Olga Peretyatko belegt.

Die im Januar 2021 von Orchestra Sinfonica Metropolitana di Bari unter der Leitung von Vito Clemente aufgenommene Platte enthält fünf Sinfonien aus seinen Opern Il Cavaliere Errante (1778), Buovo d’Antona (1759), Armida (1767), Didone abbandonata (1763) und L’olimpiade (1769), sowie eine Ciaccona aus der Oper Antigona (1772). Traettas lebendig orchestrierte Sinfonien liegen stilistisch etwa zwischen CPE Bach und Christoph Willibald Gluck (1714-1787).

Obwohl Traetta nicht zu den sogenannten Kanon der klassischen Komponisten gehört, bildete seine Musik einen Teil der musikalischen Landschaft nicht nur in Italien, sondern auch in Russland, wo er bei Zarin Katharina II beschäftigt wurde, und in ganz Europa, denn er erhielt Kompositionsverträge in u.a. Wien und Mannheim. In seinen letzten Jahren übersiedelte der Komponist nach Venedig, wo er 1779 starb. Sein Ruhm wurde nach seinem Tod durch andere zeitgenössische Komponisten überschattet.

Sein Sohn Filippo Traetta (1777 – 1854), der antimonarchische Hymne im Rahmen eines gescheiterten Putschversuchs gegen König Ferdinand IV. von Neapel komponierte, musste 1799 nach Amerika fliehen. Fortan bekannt als Philip Trajetta gründete er Musikkonservatorien in Boston, New York und Philadelphia. 1825 traf er Lorenzo Da Ponte und versuchte vergeblich eine „amerikanische“ Oper mit Maria Malibran in der Hauptrolle zu verfassen.

Vier Werke befinden sich auf dieser CD: zwei Ouvertüren zu den Oratorien Jerusalem in affliction (1828) und The Daughter of Zion (1829) sowie eine Sinfonia Concertata (1803) und ein Andante sostenuto dal Quartetto n 2 in Fa (1803). Traettas Musik klingt leichter und heller als die seines Zeitgenossen Beethoven; stattdessen erinnert sein Stil vage an Louis Spohr (1784-1859).

Das Orchestra Sinfonica Metropolitana di Bari spielt diese Raritäten durchaus prägnant, kraftvoll und leidenschaftlich. Insgesamt ist diese Ausgabe ein wertvoller Beitrag zum Repertoire der Klassik und Frühromantik, da es vollständigere Bilder dieser Epochen liefert: von Haydns frühen Sinfonien, die zwischen etwa 1759-1761 entstanden, bis zum Gioachino Rossinis Abschied von der Bühne mit Guillaume Tell in 1829 (Tommaso und Filippo Traetta: Sinfonie e Ouvertures mit Orchestra Sinfonica Metropolitana di Bari, Vito Clemente; Digressione Music DCTT113). Daniel Floyd

Saint-Saens´ Oper „Phryné“

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Das Gedenkjahr für Camille Saint-Sains, zu dessen 100. Todestag auch Arte einen spannenden Beitrag sendete (inklusive des Hinweises auf seine häufigen Reisen nach Algier und den Jungs dort), zieht sich in das neue Jahr 2022 hinein. Die verdienstvolle Firma Palazzetto Bru Zane legt mit einer zweiten, nun modernen Studio-Einspielung der Oper Phryné nochmal nach, auch wenn man sich als Opernfan doch fragt, ob es nun mit Saint-Saens nicht langsam genug ist. Merkwürdiger Weise beharrt der Künstlerische Direktor des Palazzetto, Alexandre Dratwicki, auf der mehr als ausgiebigen Pflege eben dieser Epoche der gewissen Schwerblütigkeit (um nicht zu sagen Soßigkeit) der französischen Oper. Wäre es mit Les BarbaresLa Princesse Jaune, Le timbre d´argent und der Proserpine (alle besprochen bei operalounge.de) sowie der „Le Prix de Rome“-Buch-CD-Edition nicht genug der „unbekannten Werke“ dieses Komponisten gewesen? Zumal gerade nun Samson et Dalila sehr häufig gegeben wurde. Und bereits vor dem 32-CD-Kasten bei Warner mit Ascanio aus Genf (Buch-CD-Edition bei der Firma B Records (LBM 013/ 3) eine ebenfalls absolut nie gespielte Oper des Komponisten vorliegt. Und eine mehr als zweifelhafte Version der Fredegonde aus Dortmund vom letzten Jahr wird hoffentlich nicht folgen. Aber man wird der französischen Wagner-inspirierten Schwerblütigkeit doch etwas müde … Zumal die leichtgeschlagene Unterhaltung Reinaldo Hahns oder Hervés beim Palazetto mehr die Operettenfreunde interessiert und eine andere Hörerschaft bedient.

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Der Komponist Camille Saint-Saens/ Wiki

Zunächst also die „neue“ Phryné, die ja Sammlern wie La Princesse jaune nicht unbekannt ist, haben sie doch die alte Aufnahme des französischen Rundfunks in der historischen Aufnahme von 1960 zu Hause (Duval,Sautereau,  Gressier; meist gekoppelt mit La Princesse jaune – und beide wirklich authentisch gesungen; MRF und andere). Aber natürlich nicht mit den Rezitativen von Jules Massenet, wie hier beim Palazetto, was den Export in nicht-französisch-sprachige Länder vereinfacht und sicher den Sängern entgegenkommt, die meist nicht gerne auf der Bühne sprechen.

Die Sänger der Uraufführung waren namhafte Größen des damaligen französischen Musiktheaters, darunter die Sopranistin Sibyl Sanderson (1865-1903), die auch wegen ihrer Schönheit gerühmt wurde und für die Saint-Saëns diese Partie eigens komponiert hatte. Lampito, der Sklave der Phrynè wurde von der Sopranistin Buhl gesungen, Archont Dicéphile vom Bass Lucien Fugére (1848-1935), Nicias, der Neffe des Dicéphile von Tenor Edmond Clément (1867-1928), die Demarchen Cynalopex und Agoragine von den Tenören Barnolt, eigentlich Paul Fleuret (1839-1900) und Bass Jean Périer (1869-1954) sowie der Herold von Bariton Lonati. Hinzu kam der Chor als Volk, Sklaven, fahrende Sänger*innen, Tänzer*innen, Flöten- und Tamburinspieler sowie Soldaten. Die Uraufführung dirigierte der Komponist, Dirigent und Geiger Jules Danbé (1840-1905), die Kostüme stammten von Th. Thomas und das Bühnenbild von Rung et Chaperon. (zitiert aus: Claudia Behn, 2021, Repertoire & Opera Explorer)

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Die ebenso berühmte wie „riskante“ amerikanische Starsängerin Sibyl Sanderson als Phryné (1893)/ Wikipedia

Nachdem 2021 die erste Gesamtaufnahme von Saint-Saens´ Opéra Comique Phryné im Studio mit den gesungenen Rezitativen von Messager statt der gesprochenen Dialoge der Uraufführung (Salle Favart, 24. Mai 1893) aufgenommen wurde, beschloss also der Palazzetto Bu Zane, dieses Werk der Reifezeit des Komponisten im Auditorium des Louvre am 24. Juni 2021 wieder aufleben zu lassen. Das Pariser Konzert wurde jedoch wegen der Pandemie abgesagt, aber Phryné fand dennoch ein Publikum am 3. Juli 2021 in der Oper von Rouen in der Normandie, mit dem Team der Plattenaufnahme, geleitet von Hervé Niquet. Die Pariser Aufnahme bietet nun eine Gelegenheit, dies kurze Werk wiederzuentdecken, das voll von Leben, teils süffisant teils poetisch wirkt und das sowohl seinen Autor wie auch das zeitgenössische Publikum amüsierte.

Die Palazzetto-Einspielung von 2021 liegt als CD im gewohnten vor. Florie ist Phryné, der Palazetto-gewohnte Cyril Dubois dann Nicias, Thomas Dolié singt Dicéphile, Anais Constants den Lampito, Francois Roger ist Cynalopex und schließlioch Patrick Bolleire als Aogoragine und Un Heraut; Hervé Niquet leitet das Orchestre de l´Opéra de Rouen Normandie und den Choeur du Concert Spirituel; ausgestattet ist die Ausgabe wie stets zweisprachig mit einer Einleitung von  Alexandre Dratwicki(den wir mit Dank nachstehend in unserer eigenen Übersetzung von Daniel, Hauser wiedergeben) sowie weiteren Beiträgen, diesmal im elganten rosé, tres chic! G. H.

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Scéne de „Phryné“/ Saint-Saens au Théatre Trianon Lyrique acte I/Gallica/BNF

Nun also Alexandre Dratwicki: Phryné war bis zum Ersten Weltkrieg eine der meistgespielten und angesehensten Opern von Saint-Saëns und konkurrierte sogar mit Samson et Dalila. Die im März 1893 fertiggestellte Partitur wurde am 24. Mai desselben Jahres an der Opéra-Comique uraufgeführt. Die Oper erzählt die Liebesaffäre zwischen Nicias und Phryné, die den alten Archon Dicéphile hinters Licht führt, um seine Grausamkeit zu rächen. Saint-Saëns – von dem niemand erwartet hatte, dass er humorvoll schreiben würde – überraschte die Zuhörer mit seinen witzigen Melodien und seiner pikanten Orchestrierung. Zwei Komponisten drückten ihre Bewunderung aus, als sie das kleine Juwel entdeckten: André Messager („Mein Gott, wie köstlich Ihre Darbietung ist!“) und Charles Gounod („Danke für Ihre entzückende Phryné. Ich werde sie durch die Augen hören [jene beiden zweiten Ohren des Musikers] jetzt, da meine Ohren, diese Augen der Musik, davon berauscht sind.‘) Der sofortige Erfolg der Arbeit in Paris verbreitete sich schnell in ganz Frankreich. Um es an Opernhäusern im Ausland bekannt zu machen, veröffentlichte Durand das Werk im Juni 1896 mit von Messager komponierten Rezitativen. Palazzetto Bru Zane bietet nun die Möglichkeit, diese äußerst seltene Fassung zu entdecken.

Die Nachkommenschaft musikalischer Werke ist ein mysteriöses Thema: Nichts erklärt sie wirklich, und selbst die überzeugendsten künstlerischen, wirtschaftlichen oder sozialen Argumente können nur so viel dazu beitragen, ein Gewirr von Reaktionen auf die Vergessenheit zu entwirren, in welche bestimmte Kompositionen geraten sind. Während viele schlechte Partituren, die bei ihren Uraufführungen verhöhnt wurden, sofort scheitern, gibt es andere Opern, die ausgebuht wurden, bevor sie bewundert wurden (Carmen), oder die ein außergewöhnlicher Künstler transzendiert und wieder in das Repertoire aufgenommen hat (Maria Callas in Cherubinis Médée oder Spontinis La Vestale), oder denen die musikwissenschaftliche Beharrlichkeit einen Glanz verliehen hat, den sie bei der Uraufführung nicht erreichen konnten (u. a. Gounods Cinq-Mars, Godards Dante, Hahns L’Île du rêve). Aber der merkwürdigste Fall sind Werke, die, nachdem sie auf der internationalen Bühne einen deutlichen und anhaltenden Erfolg hatten, später in Vergessenheit geraten. Nun, in dieser Kategorie – zu der Saint-Saëns‘ Phryné gehört – sollte beachtet werden, dass die Opéra-comique die Liste der von der Geschichte im Stich gelassenen Werke anführt. Das liegt sicherlich vor allem daran, dass dieses Genre mit seinen schwer darzubietenden gesprochenen Dialogen unter seiner Mischform aus Theater und Oper leidet. Den Operndilettanten langweilen die gesprochenen Passagen und den Theaterliebhaber verunsichert die dramatische Zeitskala der gesungenen Nummern, deren Text ihm allzu oft entgeht.

Mlle Margyl des Folies-Bergères als Phryné/ Atelier_Nadar/ Gallica/BNF

Natürlich haben die Autoren von Phryné eine Lösung gewählt, die sich bereits bewährt hatte, um den Export des falsch eingeschätzten zweiköpfigen Gebildes außerhalb Frankreichs zu erleichtern: Sie verwandelten den Dialog in ein Rezitativ, wie es bei Carmen, Mignon und Lakmé geschehen war. Und es ist diese Fassung, die von André Messager (auf Wunsch von Saint-Saëns) vervollständigt wurde und welche Palazzetto Bru Zane für unser sechstes CD-Buch, das diesem Komponisten gewidmet ist, einspielen wollte. Doch muss man zugeben, dass die überarbeitete Phryné auch im neuen Glanze ihre für die Opéra-comique so typische Entstehungsgeschichte verrät: ein lebhaftes, aber nie melodramatisches Libretto, pikanter, aber nie übermütiger Humor, ein juste milieu – um es mit einem Begriff zu sagen, der in frühromantischen Diskussionen um die bildenden Künste geläufig ist –, das keine herausragenden Bravour-Arien oder Orchestersätze hervorbringt, die für eine konzertante Aufführung exzerpiert werden und leicht den Status von „Hits“ erreichen könnten, was dem Werk Bekanntheit garantierte und es ins Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit einbrächte. Und es ist eine Tatsache, dass niemand eine der Nummern aus Phryné kennt, da sie in eine einzige Form gegossen ist, seine Teile untrennbar mit dem kontinuierlichen Ganzen verbunden sind.

Saint-Saens: „Phryné“ an der Opéra Comique 1893/ Originalfoto/ Gallica/BNF

Und doch, wie die folgenden Texte erläutern, welchen Triumph diese zweiaktige Oper bei ihrer Uraufführung 1893 in Paris doch erlebte, wie schnell sie sich in der Provinz verbreitete und wie wirkungsvoll ihre italienischen und deutschen Übersetzungen doch waren! Saint-Saëns selbst schrieb am Ende seines Lebens, dass dies eine seiner besten Partituren sei, insbesondere der zweite Akt, den er sowohl von der Form als auch vom Inhalt her als perfekt ansah. Aber der Erste Weltkrieg bedeutete den Abschluss eines Kapitels der Opernkunst, das einige Beobachter für überholt hielten, einen Schlag sowohl für das „historische“ Repertoire von Herold, Boieldieu und Auber als auch für neuere Produktionen wie Phryné.

Saint-Saens: „Phryné“/ Bühnenbild von Chaperon/ Uraufführung/ Gallica/ BNF

Um diese Partitur heutzutage wiederzubeleben und sicherzustellen, dass ihre Qualitäten voll zur Geltung kommen, war es wie immer notwendig, Sänger mit Erfahrung im entsprechenden Stil zu rekrutieren: idiomatisches Französisch (mit seinem berühmten gerollten r, das immer noch Gegenstand von Debatten ist), lebendige Tempi, wirkliche Beherrschung des Vibratos, Verzicht auf italienisch anmutende Effekte (insbesondere Portamento), Bewusstsein für die Tücken des Diphthongs und übermäßige Verdunklung der hellen Vokalklänge (i, é, u). Es erforderte auch einen zielstrebigen Dirigenten, einen Stimmenliebhaber, der den theatralischen Elan der orchestralen Prahlerei vorzieht und darauf achtet, die Darbietungen von Solisten und Chor zu homogenisieren. Bei der Wahl der Besetzung galt es auch, dieses nicht immer berücksichtigte Element zu berücksichtigen: Eine „Aufnahme“-Stimme – die rein bleibt, ohne jede Spur von Unebenheiten, wenn die Präzision des Mikrophons ihre kleinsten Flexionen offenbart – ist oft das Gegenteil einer „Opernhaus“-Stimme, deren Hauptanliegen es ist, Stimmvolumen zu projizieren, manchmal auf Kosten der Textverständlichkeit, und technische Effekte zu multiplizieren, um einen schönen Klangfluss zu gewährleisten. Schließlich brauchten wir ein flexibles, neugieriges und engagiertes Orchester und eine qualitativ einwandfreie Partnerschaft, die wir an der Opéra de Rouen Normandie fanden. Unser Dank gilt ihnen allen, jetzt, wo die entzückende Phryné wieder auf die Bühne gelangt, um Schönheiten zu enthüllen, von denen gesagt wird, dass sie verführerischer sind als diejenigen von Venus selbst.  Alexandre Dratwicki, Künstlerischer Leiter, Palazzetto Bru Zane / Übersetzung Daniel Hauser

 

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Mlle Daffetye von der Opéra-Comique als Phryné/ Atelier Nadar/ Gallica/BNF

Dazu auch Claudia Behr in Repertoire and Opera:  Die musikalische Ausführung des Libretto, das aus zehn Nummern besteht, beginnt mit einer schwungvollen, spritzigen Ouvertüre. Kennzeichen sind eine große Leichtigkeit und Durchsichtigkeit der Orchestrierung durch sparsame Instrumentation, zumeist in aufsteigenden Linien aus vielen Achtel- und Sechzehntelketten, Arpeggien und Staccati sowie auf- und absteigenden Achtelbewegungen in überwiegend hohem Register. Hinzu kommt ein großangelegter Chorpart in ständiger Wechselwirkung mit den Solisten. Das durchweg melodisch und harmonisch wohlklingende Werk besticht durch die virtuosen Koloraturen der Titelpartie Phryné, die für einen lyrischen Koloratursopran angelegt ist, sowie die Gegenüberstellung von stimmlichen Gegensätzen wie Tenor (Nicias) und Bass (Dicephilos) als Gegenspieler, aber auch von Koloratursopran (Phryné) und Bass (Dicephilos). Dieser Kontrast äußert sich auch in der Behandlung der Tempi, für Phryné schnell und lebenslustig, für Dicéphilos langsam und getragen und macht beide als Antipoden in Emotionalität/Liebe und Eigennutz/Egoismus kenntlich. Bestechend der lyrisch, durchscheinende Orchesterklang, wodurch die Singstimmen unweigerlich in den Vordergrund treten, und die stimmungsvoll operettenhafte Einlage für den Chor als lustige Musiker*innen und Tänzer*innen und Nicias mit Tamburin und Harfenklängen. Es entsteht ein „intimer Stimmungszauber“ voller Melodienreichtum, „die Musik ist flüssig und gefällig; von Archaismen […] abgesehen“. Auch die Signale für die musikalische Welt empfinden die Oper als „eine melodiös ansprechende, gefällig und belustigend wirkende Musik.“ (in: Opera and Repertoire; …. vgl. Deutsches Libretto: vgl. Phryné. Komische Oper in zwei Akten, Berlin / Köln / Leipzig etwa 1897, (1)Zeitschrift „Signale für die musikalische Welt, hrsg. von Barthold Senff, 51. Jhg., Leipzig 1893, S. 535. sowie Palazzetto Bru Zane, Bru Zane Mediabase. Phryné (Augé de Lassus / Saint-Saens, 13.04.2021 sowie Palazzetto Bru Zane, 8° Festival Palazzetto Bru Zane Paris, Phryné 13.04.2021./ Abbildung oben: Jean-Léon Gérôme, Phryné revealed before the Areopagus, 1861/Wikipedia).

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Hans Neuenfels

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Die Deutsche Oper Berlin trauert um Hans Neuenfels (1941 – 2022). Es gibt wohl keinen Regisseur, der die Kunst des Verbeugens so souverän beherrscht hat wie Hans Neuenfels. Egal, wie lautstark die Wellen der Empörung auch sein mochten, die ihm bei den Premieren seiner Operninszenierungen entgegenbrandeten, Hans Neuenfels blieb stets der souveräne Grandseigneur, der sich dem Publikum lächelnd, aber ohne jede Spur von Trotz oder Beleidigtsein präsentierte. Ein wenig mochte seine Gelassenheit in diesen Momenten auch in der Gewissheit liegen, dass das Publikum sein Urteil früher oder später schon ändern würde – so, wie es schon etliche Male passiert war, seitdem er 1974 zum ersten Mal Oper inszeniert hatte.
Mit Verdis IL TROVATORE hatte er damals als 33-Jähriger in Nürnberg debütiert, und mit Verdi sollten auch weiterhin viele der aufwühlendsten Neuenfels-Produktionen verbunden sein: seine legendäre Frankfurter Putzfrauen-AIDA, die seinen Namen 1981 zum Synonym für die radikale Neubefragung werden ließ, der sich das Musiktheater damals stellen musste, aber auch die Arbeiten, mit denen er sein Verständnis von Oper in Berlin etablierte. Schon die erste Neuenfels-Produktion an der Deutschen Oper Berlin, LA FORZA DEL DESTINO, sorgte 1982 für einen Theateraufruhr, der noch Jahre nachhallte und sich später, bei IL TROVATORE 1996 und NABUCCO 2000, mit gleicher Vehemenz wiederholen sollte.
Tatsächlich waren diese Reaktionen aber auch ein Beleg dafür, dass Neuenfels das Publikum immer wieder aufs Neue überraschen konnte. Die fantastischen Bildwelten, in denen er scheinbar vertraute Stoffe erzählte, waren schier unerschöpflich und jedes Stück konnte bei ihm einen anderen Assoziationsraum freisetzen. Der größte Aufruhr, den seine Arbeit an der Deutschen Oper Berlin auslöste, war freilich von gänzlich anderer Art: Als die Wiederaufnahme seiner letzten Arbeit am Haus, des 2003 herausgebrachten IDOMENEO, drei Jahre später aus Sorge vor islamistisch motivierten Anfeindungen vom Spielplan genommen wurde, löste das eine gesellschaftliche Debatte aus, an der die gesamte westliche Welt Anteil nahm.
Mit den sechs Produktionen, die er zwischen 1982 und 2003 an der Deutschen Oper Berlin realisierte, hat Hans Neuenfels ein Kapitel Inszenierungsgeschichte geschrieben und unseren Begriff von dem, was Musiktheater leisten kann, verändert.  Die Deutsche Oper trauert um einen Künstler, dem sie viel zu verdanken hat. Quelle/ Foto Pressebüro  Deutsche Oper Berlin

Robert Steiner-Isenmann

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Im Dezember erreichte uns die traurige Nachricht, dass der Autor des ersten deutschsprachigen Donizetti-Buches, der Schweizer Robert Steiner-Isenmann, am 10.12. 2021 verstorben ist. Geboren 1955 in Zürich, wurde er im Alter von 15 Jahren, nach der ersten Begegnung mit Donizettimusik durch Lucrezia Borgia, zu einem „Donizetti-Süchtigen“ (Eigendefinition). Nach seiner Matura, einigen Semestern Theologiestudium und mehrjähriger Arbeit als Kulturkorrespondent folgte er seinem inneren Ruf und machte sich an die Arbeit an der Donizetti-Monographie.

Robert war Mitglied der ersten Stunde in unserem Verein und viele seiner Beiträge wurden in unseren Aussendungen publiziert. Sein 1982 erschienenes Buch über „Donizetti, sein Leben und seine Opern“ war wie erwähnt das erste Buch in deutscher Sprache, welches sich diesem Komponisten widmete. Die 1963 erschienene Donizetti-Biographie des amerikanischen Musikhistorikers Herbert Weinstock war nämlich erst ab 1983 in deutscher Sprache verfügbar.

An seinem Buch hat Robert Steiner zwei Jahre lang gearbeitet und dabei etwa eintausend Briefe von, an und über Donizetti als Grundlage verwendet. Es umfasst 564 Seiten in kleinem Druck und enthält u.a. einen etwa 400 Seiten umfassenden, biographischen Teil, ein chronologisches Werkregister und einen Opernführer mit detaillierten Inhaltsangaben und mit Hinweisen auf effektvolle Musiknummern von 46 Donizettiopern.

Kurz nach Erscheinen des Buches fand in Wien eine Diskussionsrunde statt, an welcher neben zahleichen Mitgliedern auch der Autor selbst und seine Gattin Veronique teilgenommen haben. Robert erläuterte uns damals seine Grundgedanken bei der Entstehung des Buches, es war ihm wichtig, als Schriftsteller und nicht als Musikwissenschafter wahrgenommen zu werden. Sein ursprünglich angedachter Buchtitel lautete „Gaetano Donizetti oder Die prosaischen Leiden eines Romantikers“ und sollte in erster Linie als eine wirkungsvolle, aber immer faktengetreue Darstellung eines romantischen Lebens gesehen werden. Der Verleger änderte jedoch den Titel auf „Donizetti, sein Leben und seine Opern“.

Hat unser Kontakt mit Robert in den letzten Jahren auch nur mehr sporadisch stattgefunden, so wird uns immer seine grenzenlose Begeisterung für Donizetti

bei den vielen Treffen in Bergamo oder Wien und auch bei den oft langen Telefonaten mit ihm in Erinnerung bleiben. Alfred Gänsthaler (Alfred Gänsthaler ist Vereinsvorstand der Freunde der Musik Gaetano Donizetti, Wien, mit denen wir sehr freundschaftlich verbungen sind/ G. H.)

Nur musikalisch empfehlenswert

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Harten Prüfungen ausgesetzt sieht sich, wer sich kurz nacheinander einen Rigoletto aus Florenz und eine Halka aus Wien betrachtet, denn kaum hat er den Blutfluss auf den Schenkeln der entjungferten Gilda verkraftet, muss er die Fehlgeburt Halkas mit entsprechenden Ausscheidungen ertragen, fließt auch hier das Blut reichlich. Ganz neu ist der appetitliche Einfall nicht, konnte man doch in Berlin auch Gretchen in Schumanns Faust-Szenen in dieser Verfassung erleben, allerdings mit einiger Berechtigung, während in Moniuszkos Halka das Kind laut Libretto erst einmal lebt und erst später durch ausbleibende Nahrung zu Tode kommt. Eine Fehlgeburt allerdings ist spektakulärer als ein Tod durch Nahrungsentzug, vor allem, wenn von diesem nur berichtet wird, während man in der Inszenierung von Mariusz Trelinski sogar noch der anschließenden Bestattung in einem Erdhaufen im Festsaal des Hotels, in dem der treulose Janusz seine Hochzeit feiert, beiwohnen kann.

Eine Halka-Schwemm gab es zum zweihundertsten Geburtstag des polnischen Komponisten, und die prominentest besetzte kam nicht aus Warschau, wo die Produktion erst später gezeigt wurde, sondern vom in der Spielplangestaltung oft interessanten Theater an der Wien, das aber auch gerade vor wenigen Tagen seinen Skandal mit einer „modern“ inszenierten Tosca einfahren konnte.

Die Regie hat die Handlung aus dem 18.Jahrhundert in die siebziger Jahre des verflossenen verlegt, also in das Polen unter kommunistischer Herrschaft. Ein Hoteldirektor heiratet die Tochter des Hotelbesitzers (gab es solche überhaupt?), die beiden Väter sind guter Dinge, nur das vom Bräutigam verführte und schwanger verlassene Mädchen Halka aus dem Personal funkt dauernd dazwischen, mit traurigen Gesängen vom Falken, der sein Täubchen verlassen hat,  wird sogar handgreiflich, indem sie das Brautkleid entwendet und die hochzeitliche Tafel ruiniert. Aber auch sonst geht es rau zu, besteht die Feierlichkeit vor allem aus Saufen, Kotzen, sich der Liebe oder was man dafür hält in derber Form hingebend. Tatsächliche Handlung und Erinnerungen gehen ineinander über, bei letzteren kommt es manchmal zu heftigen Regengüssen, was sich an den hohen Fensterfronten der Drehbühne mit drei Schauplätzen  (Szene Boris Kudlička) sehr schön macht. Ein hartnäckiger Verehrer Halkas, der ihr bis zum bitteren Ende treu zur Seite steht, darf zwei sehr schöne Tenorarien singen, die allerdings Tribute an den damaligen Publikumsgeschmack sind und in der ersten Fassung der Oper noch fehlten. Irgendwann wird das alles der Hotelbelegschaft zu bunt, sie muckt kurz auf und will nicht mehr jubeln, und von Halka heißt es, sie sei ertrunken.

Das vorwiegend polnische Publikum soll seine Stars bei der Premiere bejubelt, die Regie aber ausbuht haben. Recht hatte es.

Aus der zwar grässlichen, aber konsequenten Aufführung ragt der Jontek von Piotr BeczaƗa mit zwei Bravourarien heraus, die er in Starmanier wirkungsvoll und mit strahlenden Spitzentönen zur Geltung bringt. Der zweite Star ist Tomasz Konieczny, an den man beim Anhören seines machtvollen Bassbaritons eher an Wotan als an den liederlichen Janusz denkt, den er aber mit Hingabe spielt und so sehr zum Kotzbrocken macht, dass man sich die Verliebtheit Halkas schwer erklären kann. Diese wird von der hübschen brünetten Amerikanerin Corinne Winters anrührend gespielt, ihr etwas anonymer Sopran ist klar und wird schlank geführt, in der Schlussszene weiß sie den zunehmenden Wahnsinn fein entrückt auch vokal darzustellen. Das in der Inszenierung dumme Blondchen Zofia findet in Natalia Kawalek und ihrem angenehm ebenmäßigen Sopran eine angemessene Verkörperung. Vokal hochpräsent ist der Brautvater Stolnik in der Verkörperung von Alexey Tikhomirov, weniger gelingt dies dem Dziemba von Lukasz Jakobski. In die Vollen geht Lukasz Borowicz mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien und lässt die volkstümliche Musik ganz besonders in den Tänzen auf die erbärmliche Szene prallen. Tadellos erfüllt der Arnold Schoenberg Chor unter Erwin Ortner seine Aufgabe (Unitel 805708). Ingrid Wanja