Paradiesisches

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Eden heißt das neue Album von Joyce DiDonato bei ihrer Stammfirma ERATO, das im Sommer 2021 im italienischen Teatro Comunale di Lonigo aufgenommen wurde (0190296465154). Es offeriert eine Sammlung von 16 Titeln in der für die Sängerin typisch kontrastreichen Vielfalt. Das unter Maxim Emelyanychev begleitende Ensemble Il Pomo d’oro ist der Künstlerin ein erprobter Partner und erweist sich auch bei dieser Einspielung als versierter Klangkörper, muss hier sogar unterschiedlichste musikalische Stile beherrschen. Denn das Programm beginnt mit Charles Ives’ „The Unanswered Question“, das nach sphärischem Rauschen die Stimme in außerirdisch anmutenden Vokalisen ertönen lässt, gefolgt vom ersten Vokalbeitrag, Rachel Portmans „The First Morning of the World“, der hier als Weltersteinspielung erklingt. Die Komposition beginnt träumerisch, erinnert klanglich an Elgars Sea Pictures und gibt dem Mezzo reiche Möglichkeiten zur Entfaltung. Danach führt die Musikreise in die Romantik mit „Ich atmet’ einen linden Duft“ aus Gustav Mahlers Rückert-Liedern, aus denen später noch „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ ertönt. DiDonato gestaltet sie mit großer Kultur und feinen Valeurs. Danach hat die Sängerin noch „Schmerzen“ aus Richard Wagners Wesendonck-Liedern ausgewählt, singt es mit stimmlicher Fülle und emphatischem Gefühl.

Mit dem munteren, rhythmisch betonten„Con le stelle in Ciel che mai“ aus Biagio Marinis Scherzi e canzone beginnen die Kompositionen aus dem Bereich der Alten Musik. Es folgt die bewegte Aria des Angelo di giustizia, „Taglierò le sponde al mare“ aus Josef Mysliveceks Oratorium Adamo ed Eva. Souverän bewältigt die Sängerin die ausgedehnten Koloraturläufe, die Aufschwünge in die exponierte Lage und die dramatischen Akzente. Anschließend führt der Weg mit dem launischen „Nature, the gentlest mother“ aus Aaron Coplands 8 Poems of Emily Dickinson wieder zum  zeitgenössischen Genre. Nach einem instrumentalen Intermezzo mit Giovanni Valentinis Sonata enharmonica geht es weiter mit Titeln aus der Alten Musik – der so schmerzlichen wie aufbegehrenden Arie des Calisto „Piante ombrose“ aus dem gleichnamigen Werk von Francesco Cavalli und der furiosen Aria der Fulvia, „Ah, non son io che parlo“ aus Georg Friedrich Händels Ezio. Mit höchster Spannung ist schon das Rezitativ geformt, die Aria gleichfalls geprägt von einem dramatischen Erregungszustand und glänzendes Zeugnis für DiDonatos hohe Gestaltungskraft. Dazwischen hat das Orchester einen grandiosen Auftritt mit der Danza degli spiriti e delle furie aus Glucks Orfeo ed Euridice  – wahrlich ein Sturm der Geister in rasendem Tempo und atmosphärischem Spuk. Vom Hallenser Komponisten gibt es anschließend noch die Arie der Irene, „As with rosy steps the morn“, aus Theodora in weltentrückter Stimmung, was auf Mahlers Rückert­-Lied einstimmt, sowie einen Bonus mit dem berühmten Largo des Serse „Ombra mai fu“. Der sattsam bekannte und unzählige Male interpretierte Titel erklingt hier in so schlichter wie feierlicher Weise mit delikat geformten Trillern und schwebenden hohen Tönen – ein wunderbarer Ausklang dieser sehr besonderen Platte. Bernd Hoppe