Archiv für den Monat: Januar 2021

Karajan und kein Ende

 

Ob Schallplatte, CD, DVD, ob Opernregie, Opernfilm, Opernhaus, Konzertpodium oder Festival: Herbert von Karajan scheint auf allen Hochzeiten zu tanzen. Zurecht spricht Florian Kraemer im jetzt erschienenen Buch „Der Karajan-Diskurs“ vom „Coca-Cola-Faktor“ Karajans. Herbert Danuser macht deutlich, was keinem anderen Dirigenten so gelang wie Herbert von Karajan: „Klang-Bilder des Schönen“ optisch wie musikalisch (in einem romantischen Sinne) zu inszenieren. Es ging ihm, darum, das „Sichtbar Schöne“ (zu dem er sich selbst und seine Körpersprache raffiniert und unter Einsatz aller technischen Möglichkeiten in Szene setzte, mit dem „Hörbar-Schönen“ zu vereinen. Zurecht weist Herbert Danuser in dem von Julian Caskel herausgegebenen Band, der die Vort­­räge eines gleichnamigen Fachkongresses am Musikwissenschaftlichen Institut der Uni­versität Köln zu Beginn des 2010 bündelte, darauf hin: „Karajans optische Ideale waren von jener Moderne beeinflusst, die ihm Riefenstahl-Filme in der NS-Zeit vor Augen geführt hatten, indem sie die Macht der Masse im Kontrast zu heroischer Individualität inszenierten. Auch nach Kriegs­ende liebte er den Vergleich des Orchesters mit einem Vogelzug, wo Hunderte von Tieren in bester Ordnung scheinbar anstrengungslos fliegen“. Er selbst begriff sich freilich als Kompassnadel und Antriebskraft des Vogelflugs.

Die Karriere Karajans begann nicht erst 1954, als der Dirigent Wilhelm Furtwängler starb. Herbert von Karajan wurde damals auf Lebenszeit zu seinem Nachfolger als Chefdirigenten und künstlerischen Leiter der Berli­ner Philhar­moniker gewählt. Schon die Nationalsozialisten hatten Karajan zum Antipoden Wilhelm Furtwänglers aufgebaut, der als unzuverlässig galt. Im Jahre des Beginns des Zweiten Weltkriegs, 1939, wurde Karajan Staatskapellmeister der Berliner Staatsoper und übernahm die Leitung der Sinfoniekonzerte der Preußischen Staatskapelle. Das „Wunder Karajan“ (das die NSDAP-treue Presse ausposaunte) nahm seinen Lauf und setzte sich als beispiellose Karriere auch nach 1945 fort. Karajan wurde zu einem der künstlerisch herausra­gen­den, mit mehr als 300 Millionen zu Lebzeiten verkauften Ton­trägern kommerziell der erfolg­reich­ste Dirigent aller Zeiten, eine Ikone der Klassischen Mu­sik und Legende multimedial ver­mark­teter, globa­lisierter Musik. Nach dem Krieg und kurzem Dirigierverbot, startete Karajan, nicht zuletzt dank des englischen EMI-Platten­Produzenten und Gründers des Philharmonia Orchestra, Walter Legge eine zweite Karriere: Teil zwei des „Wunders Karajan“. Was folgte, war ein unaufhaltsamer Aufstieg in die musi­kalische Schaltstellen Europas. Karajan wurde Künstlerischer Direktor der Wiener Gesell­schaft der Musikfreunde, Chef der Wiener Staatsoper und Künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele, aber auch der Mailänder Scala, um nur die wichtigsten Stationen seines enormen Aktionsradius zu nennen. Er galt als „Generalmusikdirektor Europas“.

Klaus Prieberg hat in seinem 1982 erschienenen Buch „Musik im NS-Staat“ erstmals die Frage aufgeworfen, die bis heute im Raum steht: Hat sich Herbert von Karajan mit den Nazis nur arrangiert oder spielte er eine aktive Rolle im Nazisystem? Zuvor blieb nämlich seine tatsächliche politische Rolle bisher immer noch weitgehend undurchsichtig, da er nach dem Zweiten Weltkrieg alles tat, um Spuren zu verwischen und Erinnerungen ver­gessen zu machen. Der kritische Karajan-Biograph Oliver Rathkolb widersprach schon 2010 einem Inter­view Karajans, der angeblich gestand: „Die NSDAP-Mitgliedschaft sei für ihn wie die Mitgliedschaft beim Alpenverein gewesen, damit man billig in einer Hütte übernachten kann. Karajan-Biograph Klaus Riehle hat neuerdings Dokumente zutage gefördert, die zweifelsfrei enthüllten, dass Karajan ein aktiver und opportunistischer Mitläufer gewesen sei und jeden hochkarätigen Nazikontakt genutzt habe, der ihm in seinem Karriere- und Machtstreben dien­lich war. Seine Karriere verdankte Karajan unzweifelhaft dem „tausendjährigen Reich“. Die Angst vor der Aufdeckung dieser seiner Vergangenheit beherrschte Karajan denn auch bis zu seinem Tod. Daher steuerte und kontrollierte er nach 1945 alle Informationen über sich und seine Vergangenheit. Bezeichnenderweise hat er in einem späten Interview einmal bekannt: „Ich möchte omnipräsent sein, ohne dass man mich eigentlich sieht“.

Seit ihm 1963 mit Scharouns Neubau der Berliner Philharmonie, der nicht ohne Grund „Zir­kus Karajani“ genannt wurde, ein grandioses Podium seiner Selbstdarstellung geschaffen wurde, „ein West-Symbol“ für die ganze Welt“, war dieses Gebäude das Zentrum seines weltweiten Erfolgs. Karajan stand in der Mitte, umgeben von Publikum, ein Herrscher im Reich der Töne, der Komponisten und ihrer Musik.

Er war präsent, um nicht zu sagen omnipräsent und er „ist und bleibt der Goldstandard“ in kommerzieller wie ästhetischer Hinsicht nicht nur für das Gelblabel, so Julian Caskel. Karajan hatte ja nicht nur eine dominante Stellung im Musikleben, seine Präsenz in vielen Medien war überwältigend, er hinterließ eine konkurrenzlose Fülle medial gespeicherter Aufführungen. Musikjournalistisch hat Peter Ueh­ling mit seiner Karajan-Biographie (2006) nahezu alles zusammengetragen, was aus musik­journalistischer Perspektive zum Fall Karajan gesagt werden muss und kann. Aber Karajan ist auch ein Glücksfall und Paradebeispiel auch für die „Interpretationsforschung“. Auf 446 Seit­en wird daher in Musikanalysen untersucht, „ob zwischen dem kommerziellen Monopol und der künstlerischen Methode ein Zusammen­hang besteht oder nicht.“ An den Beispielen seiner Monteverdi- „Neuerfindung“, der Inter­pretationen der „Alpensinfonie“ (R. Strauss), der sechsten Sinfonie Beethovens, der Bruck­ner-, Tschaikowski- und Sibelius-Aufnahmen, aber auch Debussys und des ganzen franzö­sischen Repertoires Karajans werden Muster einer „Warenästhetik technisch reproduzierter Musik“ deutlich sichtbar, auch und gerade im Vergleich mit Dirigenten wie Barbirolli, Bernstein oder Mengelberg.

Karajan war mehr als das, was der umstrittene Komponist Hans Pfitzner (der sich geradezu widerlich den Nazis anbiederte) einmal als „Nur -Dirigent“ bezeichnete. Was der Musik­philosoph Th. W. Adorno mit Bezug auf die „musika­lische Verwendung des Radios“ einmal den „Bildcharakter“ der Musik nannte, bestätigt Karajans eigenes Bekenntnis „Der Mensch ist von Geburt aus zuerst optisch.“ Karajan war der unanfechtbare König im Reich der Optik des glanzvollen Scheins. Er war aber auch ein Klang-Magier, was nicht vergessen werden sollte, ein Tüftler und Probierer, ein musikalischer Präzisionsfanatiker und „Ausbund von Diszi­plin“, wie Altkanzler Helmut Schmidt einmal sagte. Mancher Philharmoniker wünschte sich heute, allen Querrelen zum Trotz, die zum Bruch mit dem Maestro führten, Dietrich Steinbeck beschreibt das gewissenhaft, einen neuen Herbert von Karajan. Aber der ist nicht in Sicht (Der Karajan-Diskurs: Perspektiven heutiger Rezeption. Herausgegeben von Julian Caskel ; Verlag Königshausen & Neumann ; ISBN 978-3-8260-7144-7; 2020 – 446 Seiten). Dieter David Scholz

Jardinier fidèle

 

Er verschandele jede Melodie. Das Geigenspiel habe er nach drei Jahren aufgegeben, weil es ihm nicht einmal gelang, das Instrument zu stimmen. Alles in allem, sei er der unmusikalischste Mensch, den er kenne. „Moi, l’homme le moins mélomane que je connaisse“, kokettierte Alexandre Dumas. Andererseits kenne er wenige, die so sensibel auf musikalische Schönheiten reagieren. Und obwohl Alexandre Dumas nicht viel von der Verbindung von Poesie und Musik hielt, da sich die Musik immer die Dichtung aneignen, sie kürzen, strecken und für ihre Zwecke dienstbar machen werde, schrieb er dennoch für die Musikbühne. Nicht eben viel, nichts Bedeutendes: mit Gérard de Nerval den Text zu Hippolyte Monpous 1837 uraufgeführtem Piquillo sowie zusammen mit Adolphe de Leuwen zu der opéra-comique Le roman d’ Elvire (1860) von Ambroise Thomas. Zudem erlaubte er, dass in seinen Bühnenstücken Lieder eingelegt wurde, wovon der Chants des Girondins – mit Musik von Alphonse Varney, dem Vater des berühmteren Operettenkomponisten Louis Varnay – in der Dramatisierung von Le Chevalier de Maison-Rouge am bekanntesten wurde. Vor allem gestattete er gerne, dass seine Texte Ausgangspunkt für Romanzen wurden, deren Hingabe an vergangenen Zeiten und nostalgische Momente natürlich den historischen Kulissen von Dumas‘ Abenteuerromanen entsprachen. Ein altes Schloss und idealisiertes Mittealter beschreibt die Geschichte der von ihrem Vater bewachten schönen Isabeau, La Belle Isabeau, die von Hector Berlioz vertont wurde. Berlioz steuert zu den 17 Nummern, welche die CD Alexandre Dumas et la musique (Alpha 657) präsentiert, noch La Captive, bei. Dieses Bild der fern der Heimat Gefangenen stammt allerdings von Victor Hugo. Ebenso wie Massenets Élegie auf Louis Gallet, Henri Duparcs als lebhafte Szene für die Liebenden Ahmed und Khadija impressionierte La Fuite auf Théophile Gautier und Jocelyn auf Victor Capoul und Armand Silvestre basieren, was das ganze Unterfangen einigermaßen verwirrend macht: Dumas und seine Zeit müsste es wohl richtiger heißen.

Dem Typ der Romanze mit oftmals träumerisch vergegenwärtigten Bildern und nächtlichen Stimmungen entsprechen L’ Ange und Le Sylphe, die von Alexandre Pierre Joseph Doche und César Franck vertont wurden. Erstere wird von der Mezzosopranistin Karine Deshayes gesungen –  die sich mit prägnantem Flair und einigen schrillen Kanten auch der Sturmerzählung von der schönen Isabeau annimmt – und über Dochs etwas einfältigem Klavierpart um Präzision und Gewicht bemüht ist; sie nimmt die Stimme fein zurück und verleiht ihr, beispielsweise in den weiten Bögen von Edmond Guions Amour, printemps – Printemps, amour auch sinnliche Fülle und Gewicht. Die Sopranistin Marie-Laure Garnier gibt eine anämische Sylphe ab. Allerdings wirkt sie bei César Franck schon zupackender als in Franz Liszts wie mit Kniestrümpfen gesungener Jeanne D’Arc, wo vornehmlich das Klavier, Alphonse Cemin, dramatischen Ausdruck zeigt, als habe sie im Lauf des im Mai 2020 in der Salle Colonne in Paris aufgenommenen Programms an Zuversicht gewonnen. Massenets Sonnenuntergang, Soleil couchant, gestaltet Garnier mit Kompetenz. Einen schönen Einstieg hat der aus Großbritannien stammende, aber hörbar französisch geschulte Tenor Kaëlig Boché, der mit Massenets Élegie die CD eröffnet; zunächst wirkt der Tenor verhangen, konturlos, doch die Diktion, der Tonfall, das leicht süße Timbre, die Intensität und das morbide „Pour toujours“ am Ende gefallen. Eine Stimmung, die Boché in Benjamin Godards Te souviens-tu? weich und geradezu zärtlich aufnimmt. Gefällig, nicht ganz so elegant, wie es sein könnte, auch Nita la gondolière von Gilbert Duprez. Von Dumas‘ Gedicht Le jardin finden sich zwei Vertonungen, welche die zunehmende Abkehr vom Begriff romance verdeutlichen, eine melodie pour chant et piano von Henri Reber, eine zweite, spätere, schlicht als chanson bezeichnete von Francis Thomé; Garnier und Boché tollen abwechselnd in diesem Liebesgarten.

Interessant und gut sind die Ausschnitte aus den erwähnten Opern, das reizvolle Terzett aus der Oper über den spanischen Banditen Piquillo, der Chor der Girondisten sowie die Arie des Raoul aus André Messagers erst 1896 uraufgeführte opera-comique Le chevalier d’Hermental, für die sich Messagers Librettist Paul Ferrier durch eine gleichnamige zuerst als Roman erschienene, dann auf die Bühne gelangte Vorlage von Dumas inspirieren ließ. Das Piquillo-Terzett ist eine witzige und originelle Comique-Nummer, die bei Deshayes, Garnier und Boché ein wenig konzertant steif bleibt, der hochpatriotische Girondisten-Chor (Mourir pour la Patrie …. À la France, à la liberté) ist keine Herausforderung für unser Gesangstrio, doch die Arie des Raoul erweist sich als recht hübsche und herausfordernde Szene für einen empfindsamen Tenor, der Boché schwärmerischen Impetus verleiht. Rolf Fath

Kniendes Gebären

 

Noch immer steht Siegfried Wagner im Schatten seines Vaters Richard. Peter Pachl hat 1988 die bisher einzige umfassende Biografie des Komponisten und Wagnersohns herausgebracht, eine von positivistischem Sammelfleiß abgesehen, allerd­ings etwas verschwurbelte Arbeit mit esoterisch-astrologischem Ansatz.  Wesentlich seriöser, wissenschaftlicher geht Daniela Klotz auf Siegfried Wagner zu, wenn auch aus ungeahnter, nicht eben naheliegender Perspektive.

„Und tatsächlich eröffnet sich bei näherer Betrachtung der „Geisteswelt Oscar Wildes“ (sie bezieht sich auf einen Aufsatz von Dorothea Renkhoff) so etwas wie ein Paralleluniversum im Werk Siegfries Wagners – das Universum als Intertextualität.“

„Intertextualität“ ist ihr Zauberwort zur Entschlüsselung der Werke des Wagnersohns. Harald Blooms psychologischer Ansatz (Harold Bloom „Einflussangst. Eine Theorie der Dichtung“) ist ihre Ausgangsthese, die sich zusammenfassen lässt in den Satz: „Kein Text…existiert ohne einen Vorläufer. Vielleicht sogar ohne den einen Vorläufer.“

Die entscheidende Frage, die sich für die Autorin stellt: „Was passiert, wenn einer sich mit Kunst auseinandersetzt, indem er auf Basis dieser Auseinandersetzung seinerseits ein Werk erschafft. Entsteht so Neues auf der Basis von Altem, schafft/bedingt das Alte somit Neues oder führt die Reflexion irgendwann zum Selbstzweck, zur Kunst für die Kunst, zum Nachzählen der Schätze, statt zum Nacherzählen und damit zu neuem Schaffen? “ Im Falle Siegfried Wagners verneint das Daniela Klotz vehement.

Am Beispiel von Siegfrieds Oper „Banadietrich“ und der darin anklingenden Werke „Tristan“ und „Parsifal“ entdeckt Daniela Klotz eine „so nie vermutete Rückführung des Weltendramas … des väterlichen Schaffens… Letztendlich lässt sich das Vaterwerk im Spiegel des Sohneswerks, für das der Banadietrich nun exemplarisch steht, nicht nur über den Wieland bis zu den Feen, also nahezu den Anfang des gesamten Schaffens Richard Wagners zurückverfolgen“.

Über dessen Ironie eröffne sich im Werk Siegfried Wagners ein Paralleluniversum der Intertextualität. Opus 6, „Banadietrich“, auf den ersten Blick ein „Ring“ im Taschenformat, erweist sich für die Autorin als Zugang zu dem Vexierspiel, das das Genie Siegfried im Schatten mit den Werken seines Vaters treibt. Gleich den Prismen eines Kaleidoskops bringe der Sohn das Gesamtkunstwerk des Vaters durch leichtes Kippen und kaum merkliches Drehen „zurück auf Anfang“. Dieser Anfang ist nicht etwa eine der frühen Opern Richard Wagners, die als Nukleus einer der späteren gelten können, sondern ein Werk vor seiner Zeit: der „Faust“, der sich als wichtiges Element im Schaffen Richard Wagners erweist, vor allem aber als Dreh- und Angelpunkt im Kosmos Siegfried Wagners entpuppt. Es sei dies ein „Spiel“, dass allem Anschein nach alle Opern Siegfried Wagners durchziehe: Augenscheinlich jeweils nur auf ein Werk des Vaters bezogen, offenbaren alle Opern des jüngeren Wagner vielfältige Verweise aufeinander, auf den gesamten väterlichen Kanon und immer wieder auf den „Faust“, so Daniela Klotz.

Mit akribischen Stückanalysen (manchmal sind sie etwas sophisticated, wenn auch hochintelligent und letztlich einleuchtend), großer Textkenntnis des Vater- wie Sohneswerks, stupender Gelehrtheit und definierter Methode kommt Daniela Klotz zu dem Schluss, dass sich anhand des „Banadietrich“ belegen lässt, dass Siegfried Wagner mit den Werken seines Vaters, oder besser noch, mit den Figuren, die sein  Vater ersann, um seinem Denken Ausdruck zu verleihen, ein Vexierspiel treibt, das sich nach den Regularien der Intertextualität nachweisen lässt.“

Dieses Spiel finde aber keineswegs nur im „Banadietrich“ statt, sondern allem Anschein nach in allen Opern Siegfried Wagners. Die Autorin spricht von einem „großen Spaß; als Spiel mit dem Spiel kann es vielleicht sogar als eine Vorwegnahme der Postmoderne und deren Spielcharakter gewertet werden.“ Eben diese Kritische, innovative Auseinandersetzung mit seinem Vater und dessen Werk macht vielleicht die meist unterschätzte Größe und Freiheit Siegfried Wahnes aus.

Auch darin erweist sich Daniela Klotz als gelehrige Schülerin Harold Blooms: „Denn was uns frei macht, ist die Erkenntnis, wer wir waren, was wir wurden; wo wir waren und wohin wir geworfen wurden; wohin wir eilen, woraus wir erlöst werden; was Geburt ist und was Wiedergeburt‘ “

So ist auch der von Bloom (der den Philosophen Kierkegaard zitiert) entlehnte Titel ihres Buches zu verstehen; „Wer arbeiten will, gebiert seine eigenen Vater.“ Die Autorin präzisiert: „An sich meint das, dass, wer arbeitet, ein Vaterwerk schafft. Hier ist der Satz wörtlich zu verstehen, und damit der Sinn des Satzes, wie könnte es anders sein, in sein gerade s Gegenteil verkehrt.“

Eine imposante, psychologische Erklärung des Werks von Siegfried Wagner, wenn auch zugegeben, zuweilen vertrackt zwiebelschalenhaft um den einen zentralen Gedanken kreisend, aber doch eine lesenswerte Arbeit, die zur Promotion an der Universität Salzburg führte. Das hervorragende Literaturverzeichnis und viele weiterführenden Zitate und Angaben machen die nicht eben leichte Lektüre des Buches letztendlich zu einem Gewinn und einem Erkenntniszuwachs in Sachen des bis heute vernachlässigten Siegfried Wagner, der aus dem einen oder anderen Grund nicht nur in Bayreuth noch immer beinahe tabu ist (Daniela Klotz: Wer arbeiten will, gebiert seinen eigenen Vater: Siegfried Wagner vor dem Werk seines Vaters ; 280 Seiten, 2020 ; Königshausen & Neumann ISBN 978-3-8260-7049-5). Dieter David Scholz

Populäres

 

Ihr kalendarisches Alter von 45 Jahren Lügen straft die Stimme der Russin Ekaterina Siurina, die unter dem Titel Amour éternel eine CD mit französischen und italienischen Arien und Duetten vorgelegt hat. Das Timbre der silbrig klingenden Stimme ist mädchenhaft geblieben, das eines leichten bis lyrischen Soprans von müheloser Emission und fast ohne die Schärfe, die oft slawischen Stimmen zueigen ist. Als Charpentiers Louise weiß sie den Ton schön in einem feinen Schwebezustand zu halten, ihn delikat zu modulieren. Ihre Juliette strahlt vokale Lebensfreude aus, hat für die zu Leben und Liebe Erwachte einen schönen Glockenton und nur am Schluss schleicht sich ein wenig Spitziges ein. Es folgen zwei Szenen, die des Abschieds von Romeo, in der der Ehemann der Sängerin, der Tenor Charles Castronovo ihr Partner ist, dessen Stimme in den letzten Jahren ausgesprochen dunkel geworden ist, der deshalb zu sehr absticht von den hellen Farben des Soprans, eher ausgesprochen männlich als jugendlich wirkt. Die Gattin hingegen lässt in ihrer Stimme die Sonne strahlend aufgehen, klingt besonders zart und innig im Schluss des Duetts. Weniger als Bravourarie denn als anmutige Selbstdarstellung wird die Juwelenarie aus Gounods Faust gesungen, da funkeln nicht die Brillanten, sondern es offenbart sich eher eine verwirrte Seele. Weniger bekannt ist die Arie der Leila aus Bizets Perlenfischern, in der die Siurina sich mit einem schönen Triller aus sanfter Melancholie verabschiedet. Die letzte französische Arie ist die der Micaela aus Carmen, die in zarter Entschlossenheit vorgetragen wird.

Sehr getragen nimmt Ekaterina Siurina Puccinis „Mi chiamono Mimi“, ist von sehr zarter dolcezza und hat nicht ganz die Wärme und Fülle italienischer Kolleginnen. Im folgenden Duett fällt wieder der Kontrast der sehr hellen weiblichen zur sehr dunklen männlichen Stimme auf, die Galanterie des Ehemanns zeigt sich im Nachuntensingen am Schluss des ersten Akts, so dass die schöne Höhe der Gattin voll zur Geltung kommt, die im dritten Akt Mimi einen Hauch von Wehmut verleiht. Feine Bögen werden im „Sogno di Doretta“ entworfen, die Liù der Siurina lässt einen keuschen Klang vernehmen, aber auch ein Fehlen von innerer Spannung und an Rundung des Tons. „Das kann jede singen“, meinte einst ein bekannter Dirigent anlässlich eines Vorsingens, als die Kandidatin ihm den letzten Akt von Otello anbot. Natürlich gelingt er auch Ekaterina Siurina, auf den Rest muss die Musikwelt noch warten.

Insgesamt ist die CD, die man mit Skepsis (Warum schon wieder diese Arien und Duette und schon wieder ein russischer Sopran?) aufgenommen hat, eine erfreuliche, nicht zuletzt, aber durchaus nicht nur deswegen, weil ein gut aufgelegtes Kaunas City Symphony Orchestra unter Constantine Orbelian die kundige Begleitung ist (CD Delos DE 3583). Ingrid Wanja  

Auch mal „übernommen“

 

É strano- da liest man mit wachsendem Vergnügen ein nach langer Irrfahrt von Bologna nach Berlin gelangtes Buch, erfreut sich an aussagekräftigen Fotos, sucht bei You Tube nach Bestätigung dafür, dass Carlo Bergonzi, wie der Autor Vittorio Testa bekundet,  tatsächlich der unangefochtene, absolute Tenore di Verdi war und wird doch zunehmend verstörter, weil sich ein Dé-jà- vu- Erlebnis anzubahnen scheint. Das alles hat man doch schon einmal und dazu noch in denselben Wortlaut nicht gelesen, sondern gehört, und zwar in dem Film von Mauro Biondini, in dem der große Tenor kurz vor seinem Tod genau das erzählt, was der Verfasser des Buches zu berichten weiß, dazu in einer Art und Weise als wäre er selbst der Gesprächspartner Bergonzis gewesen. Das Buch kann aber erst nach seinem Tod entstanden sein, denn es berichtet auch vom Ableben des Sängers und enthält viele Zeugnisse der Dankbarkeit von Kollegen und Schülern des Verstorbenen, es wurde 2019, also fünf Jahre nach dem Tod Bergonzis gedruckt, und es ist anzunehmen, dass sich der Verfasser über weite Strecken hinweg des Films von Biondini bedient hat, dort aber, wo er darüber hinausgeht, oft ungenau oder unangenehm pauschalisierend wird. Das Falschschreiben ausländischer Namen gehört eigentlich zum allerdings nicht guten Ton italienischer Autoren, so dass ein „Bismark“ nicht verwundert, auch nicht ein „Lutero“, aber das pauschale Urteil über die Protestanten, die angeblich zu einer „inflessibile intolleranza“ erzogen werden, stammt zum Glück nicht von Bergonzi, sondern vom Autor des Buches über ihn. Da muss erst ein katholischer Österreicher kommen, sich von Schuberts Ave Maria erweichen lassen und Gutes tun.

Das Buch hat also viele Schwächen, wozu wohl auch die aufdringliche Familiarität gehört, mit der Testa den Sänger behandelt, der zunächst als „il nostro Carletto“, später als „il nostro eroe“ durch den Band marschiert, während dem Personal des Buches, soweit aus der Poebene stammend, ein extrem verfremdender Dialekt zugeordnet wird. . Aber man erfährt natürlich auch viel Interessantes über den Sänger, über die früh mit dem 5. Schuljahr endende Kindheit, die Arbeit in der Molkerei und als Kohlenschlepper, den Militärdienst, die Kriegsgefangenschaft in Neubrandenburg, den frühen Wunsch danach, ein Tenor zu werden. Wer die Gegend zwischen Piacenza und Parma kennt, der weiß, dass die Winter neblig trüb, die Sommer drückend heiß sind, der Verfasser verklärt die Landschaft und auch den Charakter ihrer Bewohner, falls es einen speziell solchen gibt, nimmt einen durchgehenden Jubelton an, der dem Portraitierten wahrscheinlich unangenehm gewesen wäre.

Immerhin erfährt man eine Menge Interessantes, das Fehlurteil Ettore Campogaliianis, des berühmten Stimmbildners, der einen Bariton in Bergonzi sieht, das Debüt als Figaro in dörflichen Pappkulissen, das heimliche Umstudieren auf Tenor, die einzelnen Karriereschritte und Einblicke in das unmittelbare Nachkriegsleben, so mit dem Motto des Mailänder Bürgermeisters: „Prima la Scala, poi il pane“, was in krassem Gegensatz zu einem Brecht-Zitat steht. Dem Leser begegnen die Großen der lirica italiana wie Votto, Serafin, Gavazzeni, die Vorbilder Gigli, Pertile, Schipa, und der Leser bewundert den Mut des Noch-Bariton Bergonzi, der dem Tenorkollegen vormacht, wie man ein Hohes C stützt, nachdem er in aller Heimlichkeit Tag für Tag einen Viertelton auf dem Weg zum Tenor gewonnen hat, um dann weit entfernt vom heimischen Vidalenzo nahe Busseto in Bari als Tenor mit Andrea Chenier zu debütieren und triumphieren. Mit seinem berühmt gewordenen Morendo am Schluss von Celeste Aida weiß er einen Agenten zur Betreuung seine Tenorlaufbahn zu gewinnen, und gemeinsam mit der Mitschülerin Renata Tebaldi darf er bereits den 50. Jahrestag von Verdis Tod bei der RAI als Tenor mitfeiern.

Erstaunlich ist das Verhältnis zu den Tenorkollegen, wenn Mario del Monaco ihm zwei seiner Vorstellungen an der MET abtritt, Franco Corelli mit seiner Hilfe etwas von seinem Lampenfieber verliert, Pavarotti und Martinucci seinen Rat einholen. Liebenswert erscheint der Tenor dem Leser auch durch die Riten vor jedem Auftritt, die Anhänglichkeit an den Heiligen Antonius von Padua, die Großzügigkeit, was Trinkgelder aller Arten angeht, den Seitenhieb auf Andrea Bocelli und man denkt an die eigenen positiven Erfahrungen zurück, den Tenor, der vor seinem Theater in Busseto auf- und abspazierte, sofort zu einem spontanen Interview bereit war und mit 72 Jahren nicht ohne Stolz meinte:“Komm morgen wieder, da singe ich den Rodolfo“, weil der aus Bergonzis Accademia hervorgegangene junge Tenor sich überlastet fühlte.

Die Dirigenten liebten diesen Sänger, Bruno Walter bewunderte sein „Hostias“, Karajan ebenfalls, brach aber, wie bei ihm üblich, als der Tenor sich nicht reif genug für den vorgeschlagenen Pagliaccio fühlte, den Dirigenten mit einem „maleducato“ bedachte, die künstlerische Beziehung ab. Immerhin schickte er Jahre später dem Tenor ein „il più bravo tenore del mondo“ ins Hotel.

Vieles hört sich wie aus einer längst vergangenen Zeit stammend an, so die Beschreibung des einst als besonders kritisch angesehenen Publikums von Parma, das längst die schlimmsten stimmlichen Schwächen schluckt, bei Bergonzi fehlurteilte und sein morendo als Radames monierte und in zwei einander wütend bekämpfende Lager zerfiel, während die beiden Tenöre Bergonzi und Corelli selbst beste Freunde waren. Kaum zu glauben ist die vom Autor erzählte Geschichte von der Krokodilledertasche, die Bergonzis Gattin Adele von der Theaterleitung angeboten wurde, wenn sie den Tenor dazu bewegen könnte, doch weiterhin in Parma zu singen. Als Füllmaterial werden dann noch die Auseinandersetzungen anderer Sänger wie Renato Bruson mit dem Publikum von Parma herangezogen.

Das Buch ist nicht sehr sorgfältig betreut worden, denn dann befände sich nicht zweimal der gleiche Textabschnitt in ihm, begrüßenswert ist hingegen, dass auch viele andere „Autoren“ zu Wort kommen, so im Vorwort von Alberto Mattioli, im Nachwort von Enrico Stinchelli und vor allem in den vielen Lobpreisungen seiner Kollegen oder Schüler, so Raina Kabaivanska, Leo Nucci (beide auch im Film), Michele Pertusi, Alberto Gazale, Fabio Armiliato und auch Carlo Fontana.

Den Anhang bilden ein Alfabeto Bergonziano, das Repertorio discografico, DVD, Repertorio da Baritono e da Tenore (130 Seiten, Diabasis 2019, ISBN 978 88 8103 937 1). Ingrid Wanja     

Carl Loewe: Bibelszenen auf der Orgel

 

Wer sich Löbejün nähert, erblickt zuerst den mächtigen Kirchturm von St. Petri, der über der Stadt zu thronen scheint. So hoch erhebt er sich. Angekommen in dem beschaulichen Ort in Sachen-Anhalt, der seit zehn Jahren mit Wettin und einigen anderen Gemeinden eine Verwaltungsgemeinschaft bildet, scheinen alle Wege und Straßen auf das Gotteshaus zuzulaufen. In direkter Nachbarschaft kam am 30. November 1796 der Komponist Carl Loewe auf die Welt. Sein Geburtshaus existiert nicht mehr. Es wurde zwischen 1886 und 1887 durch einen Neubau ersetzt. Der dient nun als Gedenkstätte für den Komponisten. Dem Museum hat der schottische Historiker und Sammler Ian Lilburn (1927–2013) seine einzigartige Sammlung von Tonträgern mit Werken Loewes einschließlich Diskographie vermacht. Ständig kommen neue Titel hinzu. Das Interesse an dem Komponisten ist ungebrochen – auch dank der Bemühungen der Internationalen Carl Loewe Gesellschaft, die ihren Sitz in Löbejün hat und dort regelmäßig Festtage von starker Ausstrahlung mit Künstlern und Gästen aus aller Welt veranstaltet. Sie werden mit schöner Regelmäßigkeit vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) übertragen. Nicht wenige hätten es verdient, auch auf Tonträgern festgehalten zu werden.

Die CD-Neuerscheinung Carl Loewe und die Orgel hat ihren ganz besonderen Reiz. Sie wurde in Löbejün produziert, in St. Petri, Loewes Taufkirche. Dort hat sich der originale Taufstein erhalten, die Orgel von damals hingegen nicht. Sie wurde 1901 durch ein Instrument aus der Werkstatt von Wilhelm Rühlmann aus den nahegelegenen Zörbig ersetzt und von 2017 bis 2018 saniert. Mit „ihrem warmen, grundtönigen Klang und ihrer Ausrichtung am spätromantischen Klang“ hätte sie auch den Romantiker Carl Loewe zugesagt, wird im Booklet gemutmaßt. Die CD ist beim Label Querstrand erschienen (VKJK 2013). Sie dürfte das erst offizielle Tondokument Made in Löbejün sein. Als Solist wurde der französische Organist Irénée Peyrot gewonnen, der sich auch dadurch einen Namen gemacht hat, dass er das gesamte Orgelwerk von Max Reger (Querstand) und von Friedrich Wilhelm Zachow, des Lehrers von Georg Friedrich Händel, einspielte (Fagott Orgelverlag).

Hoch über die Stadt erlebt sich der Turm der Stadtkirche St. Petri in Löbejün, wo die Orgel-CD mit Werken von Carl Loewe eingespielt wurde. Links das Museum für den Komponisten. Foto: Winter

Noch immer wird Carl Loewe vornehmlich als Balladen-Komponist wahrgenommen. Schließlich bildet diese Werkgruppe das Zentrum seines Schaffens. Wurde er noch bis in die 1990er Jahren hinein gern auf Die Uhr oder Die Heinzelmännchen reduziert und damit auch gründlich missverstanden, hat sich das Blatt inzwischen gewendet. Bei cpo wurden sämtliche Lieder und Balladen in modernen Interpretationen mit dem umtriebigen Cord Garben am Klavier vorgelegt. Nicht zuletzt dadurch und durch das segensreiche Wirken der gut vernetzten Loewe-Gesellschaft mit ihrem engagierten Präsidenten Andreas Porsche wurde ein Paradigmenwechsel bewirkt. Aus der Versenkung wurden große Chorwerke, Instrumentalwerke und Kammermusik geholt und auch auf CD verbreitet. Jüngere Sänger wie Konstantin Krimmel, Samuel Hasselhorn, David Jerusalem oder Stéphane Degout entdeckten Loewe für sich. Doch auch die Orgel-CD scheint nicht ohne Balladen auszukommen. Sie mussten schon viele Bearbeitungen über sich ergehen lassen, wurden mit verteilten Stimmen gesungen und auch mit diversen nicht näher bezeichneten Orchesterbegleitungen untermalt, womit sie in die Nähe von Salonmusik rückten. Es finden sich aber auch sehr feinsinnige und respektvolle Instrumentierungen der Klavierstimme durch Komponisten wie Hans Pfitzner, Arnold Schönberg, Leo Blech, Bernd Alois Zimmermann und Felix Mottl sowie neuzeitliche Versionen von Michal Dobrzynski aus Szczecin (Stettin), der einstigen Wirkungsstätte Loewes. Sie waren bei den 6. Carl-Loewe-Festtagen 2016 in Löbejün aufs Programm gesetzt worden.

Die Carl-Loewe-Büste auf dem Oberen Markt in Löbejün, der Geburtsstadt des Komponisten. Im Hintergrund die Turmspitze mit dem mächtigen Dach von  St. Petri. Foto: Winter.

Peyrot ging nun das Wagnis eines Arrangements für Orgel ein. Das sind die Titel: Tom der Reimer, Das Erkennen, Die Mutter an der Wiege, Niemand hat’s gesehen und – last but not least – die unverwüstliche Uhr. Und wie klingt das nun? Wer es nicht besser weiß, könnte die Stücke tatsächlich für Orgelkompositionen halten. So genau und durchaus auch passend sind sie auf das Instrument zugeschnitten. Es offenbart sich ein hohes Maß an musikalischem Einfallsreichtum auch jenseits der menschlichen Stimme. Den Höhepunkt bildet für mich das Lied Niemand hat’s gesehen, dessen Schnellläufigkeit die Orgel mit ihren variablen Möglichkeiten gar noch genauer erfassen, aufnehmen und bis zum Ende durchhalten kann als eine Sängerin, für die es geschrieben ist. Peyrot spielt die Stücke sehr elegant, mit Raffinesse versehen und zieht nicht alle Register. Die bleiben mit entsprechender Wirkung der Programmeröffnung der CD vorbehalten: „Nun danket alle Gott“ aus Musikalischer Gottesdienst. Diese Sammlung von zwanzig Choralpräludien bildet eine der umfänglichen Orgelkompositionen Loewes, mit der er protestantische Orgelmusik-Traditionen aufgreift. Das CD-Finale mit „Lobet den Herrn, alle Heiden“ unter Berufung auf die Nr. 9 des Passionsoratoriums Das Sühneopfer des neuen Bundes wirft die Frage auf, welche Textfassung für diese Angabe zugrunde liegt. In allen drei auf CD erschienen und mit Textbüchern versehenen Aufnahmen (FSM, Oehms und Naxos) beginnt dieser Chor der Apostel mit den Worten „Lobet ihr Knechte des Herrn“ aus dem 113. Psalm der Luther-Bibel. Die Gesamtwirkung wird dadurch nicht beeinträchtigt. Sie beruht auf der Musik, nicht auf dem Wort. Was ist noch im Angebot? Neben weiteren Nummern aus dem Musikalischen Gottesdienst der „Gang nach Emmaus“, „Bethesda“ sowie „Martha und Maria“ aus Biblische Bilder, einer Sammlung von Klavierstücken mit ausgesprochen bildhaften Zügen, die Peyrot für die Orgel adaptiert hat. Ebenfalls für Orgel bearbeitet sind „Herr, bleibe bei uns“ und „Also hat Gott die Welt geliebt“ aus dem Oratorium Die Festzeiten. Auch das Passionsoratorium wird nochmals bemüht, diesmal mit dem Schusschor „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich“.

Es gehört zu den Auffälligkeiten im Werkverzeichnis Loewes, dass er, der begnadete Organist, nur wenige originäre Werke für diese Königin der Instrumente hinterlassen hat. In Stettin brachte er den größten Teil seines Lebens als Musikdirektor zu. Diese Position schloss auch den Dienst an der großen Orgel in St. Jacobi ein. Sie stammte aus der Werkstatt des bedeutenden Hamburger Orgelbauers Arp Schnitger, wurde 1700 fertiggestellt und im Zweiten Weltkrieg zerstört. Loewes enge Bindungen an das Instrument gingen so weit, dass er testamentarisch verfügte, nach dem Tod sein Herz in einen Pfeiler neben der Orgel einzumauern, wofür es trotz diverser Nachforschungen bisher keine belastbaren Beweise mehr gibt. Im Booklet werden die historischen Hintergründe von der in Halle lehrende Musikwissenschaftlerin Cordula Timm-Hartmann ausführlich dargelegt. Sie zitiert auch aus den Erinnerungen des Theologen Friedrich Wilhelm Lüpke an einen Gottesdient 1851 in der Stettiner Jacobikirche, bei dem Loewe in Erscheinung trat: „So ein Orgelspiel habe ich nie wieder gehört.“ Auch Maximilian Runze, der sich wie kaum ein anderer für die Pflege, Erforschung und Verbreitung von Loewes Werken einsetzte, hat ihn in Stettin noch selbst spielen hören, „was mich stets wunderbar ergriff“.

Als Meister der Kammermusik präsentiert sich Carl Loewe auf dieser CD, die bei cpo herausgekommen ist (555 256-2). Solisten sind Henning Lucius (Piano), Marietta Kratz (Violine), Lena Eckels (Viola), Jakob Christoph Kuchenbuch (Violoncello) und Christian Seibold (Klarinette). Das überbordende „Duo Espagnola“ ist das letzte Instrumentalwerk des Komponisten. Im Booklet wird von Cord Garben zu Recht auf die „motivische Nähe einzelner Wendungen des Viola-Parts“ zur Ballade „Der Nöck“ verwiesen. Eine starke Bildhaftigkeit offenbaren die aus drei Teilen bestehenden Schottischen Bilder mit den Titeln „Die Jungfrau vom See“, „Der Wanderer auf Bothwell-Castle“ und Der Schottenclan“. Für Loewe, der zweimal England besucht hatte, blieb Schottland – wie anderen Komponisten auch – ein Sehnsuchtsort.

Bei wem das Interesse tiefer geht, findet eine Fülle an Informationen in der Schrift Carl Loewe Kirchenmusiker und Komponist von Götz Traxdorf. Sie ist beim Verlag Janos Stekovics in der Reihe der Veröffentlichungen der Internationalen Carl-Loewe-Gesellschaft herausgekommen (ISBN 978-3-89923-403-9). Dokumentation und CD dürfen durchaus als Einheit verstanden werden. Traxdorf war vor seiner Pensionierung als Musikbibliothekar in Halle tätig. Seine Arbeit ist von Kenntnis und Verehrung getragen und wahrt doch stets wissenschaftliche Distanz. Der Autor will seine Leser nicht zu Loewe überreden. Er informiert. Was zählt, sind Fakten und Erkenntnisse. Auf knapp hundert Seiten kommt einiges zusammen. Im Zentrum steht das übersichtlich aufgeschlüsselte Verzeichnis von Loewes kirchenmusikalischen bzw. evident religiösen Kompositionen. „Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht bestehen, solange nicht das gesamte, das Thema betreffende Material in den infrage kommenden Archiven differenziert sondiert und lückenlos bekannt gemacht worden ist“, heißt es einschränkend gleich zu Beginn in einer Fußnote. Damit ist das Feld für künftige Forschungen abgesteckt.

Der Text selbst ist ein konzentriertes Porträt des Komponisten mit vielen Facetten. Aufgespürt finden sich die „biographischen Voraussetzungen in Kindheit und Jugend“. Leser werden Zeugen jener ungeahnten Bewerbung des jungen Mannes, die aus Loewe den „Kirchenmusiker und Musikdirektor der Stadt Stettin“ macht. Traxdorf begegnet dem „Balladenmeister unter dem Druck seines Amtes“, porträtiert den Organisten Lowe, der keine Zeit gehabt zu haben schien, „seine freien Improvisationen zu Hause aufzuschreiben“, widmet sich der „Vokalmusik für den gottesdienstlichen Bedarf“ und lässt nicht die „erbauliche geistliche Musik außerhalb eines Sakralraumes“ außer Acht, deren melodische Einfachheit vor allem Laien ansprechen sollte und streift schließlich noch die geistlichen Oratorien.

Ihren Abschluss findet die Dokumentation mit einem üppigen Bildteil, der auch zurück an den Ausgangspunkt dieser Besprechung führt – nach Löbejün. Zu sehen ist die alte Orgel in St. Petri von 1591 wie sie noch Loewe kannte und das Bronzedenkmal auf dem Kirchhof, das 1942 eingeschmolzen wurde, aus dessen Form jener Nachbildung aus Löbejüner Porphyr entstand, die heute auf dem Oberen Markt zu einem neuen Wahrzeichen der Stadt wurde. Rüdiger Winter

 

Oben ist das Gemälde „Jesus im Haus vom Martha und Maria“ des italienischen Manierismus-Malers Alessandro Allori (1535-1607), einem Schüler seines Onkels Bronzino, zu sehen. Die Schwestern bieten Jesus Einkehr. Während Maria lauschend zu seinen Füßen sitzt, ist Martha mit der Bewirtung des Gastes beschäftigt. Als sie sich bei Jesus über die Untätigkeit der Schwester beklagt, antwortet dieser laut Bibel: „Martha, Martha, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“ Diese Bibelszene, die sich im Neuen Testament bei Lukas und Johannes findet, inspirierte Carl Loewe zu einem seiner Biblischen Bilder, das als Orgelbearbeitung auch ins Programm der neuen CD aufgenommen wurde (Historisches Museums Wien). Foto: Wikipedia

Einer für alles

 

Auch vor der Oper nicht Halt macht die Globalisierung, und manch anonyme, nicht durch ein unverwechselbares Timbre wiedererkennbare Stimme ist ihr Preis. Das eher umgekehrte Phänomen zeigt sich bei der Recital-CD des ukrainischen Tenors Dmytro Popov, der in den Hymns of Love in vier Sprachen und aus vier Kulturkreisen eine kraftvolle, sehr persönlich gefärbte Stimme hören lässt, die besonders im italienischen Repertoire leicht verstört. Nun ist das Timbre einer Stimme Geschmackssache, und man sollte wohl nicht unbedingt Carlo Bergonzi mit Stille Nacht kurz zuvor gehört haben, aber in jedem Fall dürfte Recondita armonia befremdlich klingen, weil mit auch im Vergleich mit den Orchesterfarben recht dumpf erscheinender Mittellage und sehr metallischer Höhe gesungen wird, wobei schon nicht mehr ins Gewicht fällt, dass der Schluss, anders als von Puccini komponiert, im Forte dargeboten wird. Ähnliches gilt für die zweite Arie des Puccini-Des-Grieux, der sich zwischen trübsinnig  und kraftprotzend klingend bewegt, während in Cielo e mar die Stimme zu gewichtig erscheint, wenig poetisch, geradezu herrisch im „vieni o donna“, allerdings am Schluss mit ätherischen, wenn auch nicht perfekt angebundenen „sogni d’amor“. Eine sensationell sichere Höhe kann in der „gelida manina“ gefallen, womit das italienische Repertoire erledigt wäre.

Die Blumenarie aus Carmen besticht durch den selten so empfindsam gehörten Vortrag, geradezu sensationell wird der Schluss, und zwar so, wie es Bizet komponiert hat und wie es kaum je gesungen wird, dargeboten. Auch Gounods Romeo kann mit einem schönen Spitzenton mit Decrescendo punkten, klingt allerdings wenig jünglingshaft, weil sehr verhangen, auch Faust wagt einen schönen Falsettino-Schluss.

Tschaikowski ist zweifach vertreten, so mit der ersten Arie des Lenski, wo nur der Hörer etwas auszusetzen hätte, der einen Mozartsänger in der Partie  gewöhnt ist. Im fein charakterisierenden Gesang wird die Figur des Wladimir aus Borodins Fürst Igor für den Hörer erfahrbar, Dvoṙáks Prinz aus Rusalka tritt mit geradezu heldischem Aplomb auf.

Den Abschluss bilden ein Ausflug in die Operette und einer ins ukrainische Volkslied. Tenorale Prachtentfaltung kennzeichnet „Dein ist mein ganzes Herz“, ganz unverstellt und selbstverständlich klingt das Lied von den schwarzen Augenbrauen und den Augen wie Haselnüsse. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Mikhail Simonyan begleitet kompetent (Orchid Classics ORC 100148). Ingrid Wanja

Grosser mit schwieriger Vergangenheit

 

Einen hochinteressanten Zwitter zwischen höchsten wissenschaftlichen Kriterien verpflichteter Dissertation und Emotionen wie Intellekt beschäftigender Künstlerbiografie hat Julia Zalkow mit der des Schweizer Pianisten Edwin Fischer (1886-1960) Pianist, Dirigent, Musikpädagoge- Eine Biographie, in gewichtigen mehr als 450 Seiten im Böhlau Verlag vorgelegt. Allein drei Jahre des Reisens auf der Suche nach Quellenmaterial hat die Verfasserin verbracht, um  einen fast Vergessenen wieder in das Bewusstsein zumindest der musikalisch Interessierten zurückzurufen. Sie selbst wurde durch das Hören von besonders Bachinterpretationen des Pianisten auf ihn aufmerksam, stellte sich vier Ziele mit ihrem Werk, nämlich zu erkunden, wodurch der Pianist erfolgreich wurde, was seine Künstlerpersönlichkeit ausmachte, warum er relativ schnell vergessen wurde und warum man sich an ihn erinnern sollte.

Ihre Herangehensweise an diese komplexe Aufgabe ist eine sehr vielseitige, bezieht Fotos und Beschreibungen nicht nur des Pianisten, sondern auch des Privatmenschen ein, setzt sich mit falschen Behauptungen auseinander, mit Hobbies, mit dem oft behaupteten übergroßen Einfluss der Mutter auf den früh zur Halbwaise Gewordenen, auf die Wandlungen seines Spiels, und auch eine Beschäftigung mit dem ihm verliehenen Attribut „Tastenlöwe“ wird in Angriff genommen.

Der eigentlichen Biographie geht eine Betrachtung dessen voraus, was die Autorin als „Biographienwerkstatt“ bezeichnet, der Quellenlage, den unterschiedlichen Herangehensweisen wie zum Beispiel der quantitativen Umfrageforschung oder der soziologischen Biographieforschung. Bewusst grenzt sich Zalkow ab von den gängigen Biographien, die vieles erfinden, sie bekennt sich hingegen zur Lücke, vielfach entstanden durch Kriegseinwirkungen, denn Fischer lebte bis zum Sommer 1943 vorwiegend in Berlin. Dem nicht das wissenschaftliche Werk, sondern die auch unterhaltsame Biographie Suchenden kommt es sicherlich entgegen, dass das Buch chronologisch gegliedert ist.  Hin und wieder schiebt sich die Autorin in den Erzählfluss hinein, um über besondere Probleme bei der Forschung, Ihre Vorgehensweise, Erfolge oder Misserfolge zu berichten.

Ehe der Leser in die Biographie einsteigen darf, wird er noch über Forschungsstand und Quellen, über bisher bereits Erforschtes und über das Material und die noch vorhandenen Zeitzeugen informiert.

Edwin Fischers Leben spielte sich in Basel, Berlin, Luzern ab, und selbst wer sich für den Pianisten nicht sonderlich interessiert (doch die Anteilnahme wächst mit der Lektüre), der erfährt sehr viel über die Zeit, in die er hineingeboren wurde, über die Schweiz im ausgehenden 19. Jahrhundert, ihre Ideale von Wohlanständigkeit und Arbeit, die Bedeutung der Hausmusik, auch über das bereits beim Schüler Fischer vorhandene Lampenfieber, das auch den reifen und alternden Pianisten noch plagen sollte.

Aus eine Fülle von Mosaiksteinchen setzt die Verfasserin ein so farbiges wie fundiertes Bild des mit siebzehn Jahren nach Berlin ziehenden Studenten, der bereits nach dem ersten Studienjahr auch als Lehrer tätig wird, zusammen, charakterisiert die vielen unterschiedlichen Musikschulen, die es damals in Berlin gab, und vermittelt dem Leser auch Eindrücke von den Menschen, die wichtig für den jungen Fischer waren, so von dem Sänger Ludwig Wüllner, dem er Klavierbegleiter war.

Interessant ist, was über Wiener und Berliner Salons, oft von jüdischen Familien, und das musikalische Leben dort berichtet wird, eine große Rolle spielt die Selbstreflexion des Künstlers, der sich als Vertreter  des traditionellen Interpretationsmodus sieht und gesehen wird, der sich um die Wiederherstellung von Urtexten bemüht, aber gegen Dogmatismus ist.

In der Weimarer Republik zeigt sich Fischer durchaus aufgeschlossen für moderne Musik, durchlebt zwei Episoden als Dirigent in Lübeck und München und kreiert den „Klavierdirigenten“. Interessant sind der Italien-Reisebericht einer Freundin, die Informationen über das von Fischer gegründete Musikinstitut für Ausländer in Potsdam und seine Schwierigkeiten als Professor an der UdK in Berlin.

Noch nicht zum Problem wurde Fischer seine Parteinahme für Deutschland im Ersten Weltkrieg, wohl aber sein Verbleiben in Deutschland nach der Machtergreifung der Nazis. Da gibt es auch ein Foto, das ihn vor einer riesigen Hakenkreuzfahne zeigt und ein Dankschreiben an Adolf Hitler. Ein Entnazifizierungsverfahren musste der Schweizer nicht durchmachen, wohl aber die Feindseligkeit maßgeblicher Kreise in den USA  (ähnlich wie gegenüber Furtwängler) oder die Zurückweisung von Dirigenten, die nicht mit ihm musizieren wollten, erleiden. Immerhin sprach für ihn, dass er kein Amt ausübte, sich an keiner Hetze beteiligte, keine Konzerte in besetzten Ländern gab und befreundeten Juden half. Einen aufschlussreichen Blick auf das von Ideologie durchtränkte Kulturleben gewährt ein Artikel über das angeblich „artfremde“ Musizieren eines jüdischen Pianisten im Vergleich mit dem des „artgerechten“ Wirkens von Edwin Fischer. Dieser fühlte sich dem Land, in dem er Karriere gemacht hatte, dessen Komponisten er verehrte, verpflichtet, was auch erklärt, dass er für Winterhilfswerk und KdF musizierte. Das alles wird von der Verfasserin so einfühlsam wie unter Verzicht auf ein demonstratives Überlegenheitsgefühl der Nachgeborenen ausgeführt.

Walter Legge gewann neben vielen anderen auch Fischer für Aufnahmen, der aber die „Patzer für die Ewigkeit“ fürchtete, lieber ein Trio mit Kulenkampff und Mainardi, später mit Schneiderhan bildete und bereits 1946 nach Salzburg zurückkehrte. Es folgen noch Berichte von Meisterkursen in Luzern, und unter dem Stichwort „calando“ wird von der nachlassenden Gesundheit und damit verbundenen schwindenden Qualität der künstlerischen Arbeit berichtet. 1957 findet das letzte Konzert in Zürich statt, 1958 noch ein Sommerkurs, 1960 stirbt Edwin Fischer.

Als „wissenschaftliche Künstlerbiographie“ klassifiziert Julia Zalkow ihr Buch, das sich zum Ziel gesetzt hat, auf einen „vergessenen Künstler“ aufmerksam zu machen. Immerhin war er der Rezensentin bekannt, auch sein Image als Tastentiger und „romantischer“ Bachinterpret. Doch sich alles, was auf You Tube verfügbar ist anzuhören, dazu gab das Buch den Anstoß und dazu, über die Möglichkeit, als Künstler „unpolitisch“ zu bleiben, nachzugrübeln.

Der umfangreiche Anhang besteht aus Abkürzungen, Tabellen, Abbildungen, Quellen und Literatur, Personen (460 Seiten, 2020 Böhlau Verlag; ISBN 978 3 205 21123 5). Ingrid Wanja

Alte Musik im Hall

 

Mit L’Incoronazione di Poppea, der letzten Oper von Claudio Monteverdi, begann nach der Uraufführung 1642 in Venedig so etwas wie ein Repertoire im Opernbetrieb. Denn in Venedig wurde sie danach mehrere Jahre gespielt, und mit ihr wurde 1651 die Reihe öffentlich aufgeführter Opern in Neapel eröffnet. Anschließend allerdings geriet die Oper in Vergessenheit, bis sie  wiederentdeckt wurde, als man 1888 die venezianische Druckausgabe und 1930 die neapolitanische Fassung in Bibliotheken auffand. Man vermutet, dass die Urfassung 1748 bei einem Brand des Uraufführungstheaters vernichtet wurde.

Vom letztlich sehr ernsten Spiel um Liebe und Macht ist bei BONGIOVANNI eine neuere Aufnahme erschienen. Sie entstand Anfang 2020 in der florentinischen Basilika St. Felicita, an deren hallige Akustik man sich erst gewöhnen muss. Beim Ensemble San Felice, das souverän von seinem Gründer Federico Bardazzi, einem bewährten Spezialisten für Alte Musik, geleitet wird, fällt sehr schnell auf, wie variantenreich bei stets transparentem Musizieren die unterschiedlichen Instrumente eingesetzt werden, von den Flöten bis zu den profunden Continuo-Bässen.

Das große Sänger-Ensemble besteht aus durchweg jungen Künstlern und hat internationalen Zuschnitt. Durchgehend wird schlankstimmig und meist sauber intonierend gesungen, was der verzierten Tonsprache Monteverdis und der besonderen Kirchenakustik sehr entgegen kommt.  In der Titelrolle gefällt Oksana Maltseva mit gestochen klaren Koloraturen, aber auch mit angenehm weichen Lyrismen. Nerone ist der Sopranistin Shin Yoowon anvertraut, deren volltimbrierte Stimme zur Rolle des mächtigen Kaisers gut passt. Floriano D’Auria trumpft zumindest musikalisch mit ausgesprochen klangvollem Alt als sein Gegenspieler Ottone auf. Als die im Machtspiel unterlegene Ottavia hört man die Sopranistin Choi Senyeon, die mit schön ausgesungenen Melodiebögen auf dem Weg in die Verbannung ihren traurigen Abschied von Rom anrührend gestaltet. Blass und nicht so recht überzeugend wirkt mit angestrengten, teilweise unsauberen  Höhen der Bassist Jing Shuheng als Philosoph Seneca. Aus der Vielzahl der kleineren Rollen seien noch die mit glasklarer Stimmführung singende Sopranistin Mira Dozio (Drusilla, Valletto, Venere) und  die Altistin Elisabetta Vuocolo als ausdrucksvolle Amme Arnalta hervorgehoben.

In wenigen Chorstellen, vor dem befohlenen Suizid des Seneca und im klangprächtigen Finale, kommen die Juvenes Cantores della Cathedrale di Sarzana (Einstudierung: Alessandra Montali) zum Einsatz (BONGIOVANNI GB 2581/82-2, 2 CD). Gerhard Eckels

Und nochmal alle Neune

 

Mehr noch als im vergangenen Berlioz-Gedenkjahr wirft 2020 der Klassik-Gigant Ludwig von Beethoven (getauft 17. Dezember 1770 in Bonn, Kurköln, gestorben am 26. März 1827 in Wien, Kaisertum Österreich) seinen gewaltigen Schatten über uns. Und wir werden uns nun der Neuaufnahmen und Wiederauflagen oder Gesamtausgaben nicht erwehren können. Wir richten also ähnlich wie für den Kollegen Berlioz eine Sammelseite für Beethoven ein, auf der wir nach Eingang die von operalounge.de besprochenen Einspielungen vorstellen (die Sinfonien und die Gesamtausgaben-Boxen behandeln wir gesondert): Die Auswahl ist eklektisch, je nach Vorliebe der Redaktion und der Rezensenten. Und gar nicht vollständig, aber das kennen unsere Leser ja. Auf also zum Kampf durch die Fülle.

Dass 2020 das große Beethoven-Jahr hätte werden sollen, trat selbst bei eingefleischten Klassik-Hörern einigermaßen in den Hintergrund. Die Tonträgerindustrie hatte freilich vorgesorgt, so dass der Markt erwartbar mit weiteren Aufnahmen überschwemmt werden konnte, darunter komplette Neueinspielungen, ob einzelne Sinfonien oder gesamte Zyklen. Das Königliche Concertgebouw-Orchester Amsterdam, welches in einem Ranking der weltbesten Orchester auf den ersten Platz gewählt wurde, hat sich anlässlich des Beethoven-Jubiläums zu keiner weiteren Neuaufnahme entschlossen, sondern einen Blick in sein umfangreiches Tonarchiv geworfen. Das Ergebnis ist ein „Patchwork-Zyklus“ der neun Sinfonien, allesamt live im Amsterdamer Concertgebouw im Konzert mitgeschnitten, welcher nun in einer 5-CD-Box im typischen Concertgebouw-Design erscheint (RCO 19005). Es wird ein Zeitraum von über vier Jahrzehnten abgedeckt, nämlich die Jahre zwischen 1978 und 2010. Überraschend ist, dass nur ein einziger Chefdirigent des Concertgebouw-Orchesters, nämlich der im letzten Jahr verstorbene Mariss Jansons, vertreten ist. Ansonsten handelt es sich also ausschließlich um Gastdirigenten, was die Sache im Grunde genommen sogar spannender macht.

Den Anfang macht die aktuellste der enthaltenen Aufnahmen: Ein Konzertmitschnitt der ersten Sinfonie unter dem amerikanischen Dirigenten David Zinman vom 9. Juni 2010. Voranstellen sollte man, dass Zinmans Zyklus für Arte Nova Ende der 1990er Jahre für einiges Aufsehen sorgte, sehr gute Bewertungen einheimste und als vielleicht sogar die Aufnahme fürs nächste Jahrtausend galt. Wenig ist von der Euphorie von vor zwanzig Jahren geblieben. Der Zyklus wurde später zwar bei Sony neu aufgelegt, ist aber auch dort bereits wieder vergriffen. Fast hat es den Eindruck, als spräche heute niemand mehr von Zinman, wenn es um Beethoven geht. Dass dennoch mehr dran war als ein kurzfristiger Milleniums-Hype, beweist diese Live-Aufnahme eindrücklich. Mit einer überzeugenden Mischung aus Frische und Ernsthaftigkeit geht Zinman die Sache an und überzeugt im Ergebnis über die Maßen. Vielleicht sind es gerade diese Interpretationen der frühen Beethoven-Sinfonien, die eben nicht im Zuge einer Gesamtaufnahme gleichsam zwingend entstehen, sondern ganz bewusst aufs Konzertprogramm gesetzt werden.

Es schließt sich auf derselben ersten CD, gleichsam als Kontrast, die älteste inkludierte Einspielung an, Sinfonie Nr. 2 unter dem ebenfalls aus den USA stammenden Leonard Bernstein vom 8. März 1978. Interessehalber sei erwähnt, dass an diesem Tage auch die Eroica gespielt wurde, die hier leider nicht berücksichtigt werden konnte, wohl auch, um keinen der berücksichtigten Dirigenten herauszuheben. Dass Bernstein die Zweite von Beethoven auch außerhalb eines Zyklus aufführte, beweist seine Wertschätzung dieses Werkes, das die konsequente Weiterentwicklung nach dem sinfonischen Erstling darstellt und mittlerweile bereits als großer Schritt in Richtung Eroica aufgefasst wird. So unterstreicht Bernsteins hochromantische Lesart gleichsam diese Einordnung und stellt fraglos eines der absoluten Highlights dieser Kassette dar. Groß angelegt und ohne falsche Zurückhaltung lässt er die zweite Sinfonie erstrahlen und übertrifft womöglich sogar noch seine ungleich berühmtere Einspielung mit den Wiener Philharmonikern (DG).

Hollands Glorie: das ehrwürdige Concertgebouw Orkest/ pressphoto Concertgebouw

Die zweite CD startet sodann mit der tatsächlich enthaltenen Eroica unter Nikolaus Harnoncourt vom 16. Oktober 1988. Man sollte hinzufügen, dass Harnoncourt zu dieser Zeit einer der bevorzugten Gastdirigenten des Concertgebouw-Orchesters war und zahlreiche Einspielungen mit demselben vorgelegt hat, die allesamt ein hohes künstlerisches Niveau auszeichnet. So nimmt es nicht wunder, dass auch die dritte Sinfonie von Beethoven eine eindringliche Wiedergabe erfährt. Freilich ist der Zugang ein völlig anderer als bei Bernstein, nüchterner und klassizistischer, ohne ins allzu Akademische abzugleiten. Es ist erstaunlich, wie problemlos sich das tadellos aufspielende Concertgebouw-Orchester den jeweiligen, häufig sehr unterschiedlichen Vorstellungen der Dirigenten anzupassen in der Lage ist. Andererseits darf man genau dies vom angeblich weltbesten Orchester auch erwarten.

Das Gros der Aufnahmen in der Box entstammt dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. So auch der sich ebenfalls auf der zweiten Compact Disc befindliche Mitschnitt der vierten Sinfonie vom 19. September 2003 unter der musikalischen Leitung von Herbert Blomstedt. Dieser legte zwei komplette Zyklen der Beethoven-Sinfonien vor, den ersten in den 1970er Jahren mit der Staatskapelle Dresden (Eterna), den zweiten hochbetagt vor wenigen Jahren mit dem Gewandhausorchester Leipzig (Accentus). Die vorliegende Live-Aufnahme datiert zeitlich also dazwischen, ist interpretatorisch aber schon näher an seiner heutigen Beethoven-Auffassung, die in ihrer Ausprägung etwas Norddeutsches hat, das an Günter Wand seligen Angedenkens erinnert. Stringent und ohne Mätzchen, aber auch nicht in puritanischer Askese verkommend, erzeugt sie Hörspaß.

Bei der fünften Sinfonie schließlich, die sich auf der nächsten Disc befindet, tritt der damalige Chefdirigent Mariss Jansons ins Zentrum. In diesem Mitschnitt vom 29. Mai 2008 bezeugt er abermals , weswegen er seinerzeit zurecht gleich zwei Spitzenorchestern vorstand: neben den Amsterdamern ja auch noch dem Bayerischen RSO in München. Es ist ein Beethoven der Mitte, die Extreme vermeidend und doch nicht zur 08/15-Aufführung degradiert, so dass die Inklusion nachvollziehbar erscheint und diese Aufnahme sicher nicht aus Verlegenheit, sondern mit Überzeugung zum Zuge kam. Gleichwohl, ein Blick ins Konzertarchiv des Orchesters zeigt, dass sich etwa auch ein Mitschnitt unter dem greisen Carlo Maria Giulini vom März 1996 angeboten hätte.

Über Geschmack kann man sich streiten – aber das Concertgebouw zählt zu den besten Tonhallen der Welt/ Wikipedia

Hinsichtlich der Pastorale, die sich die dritte CD mit der Fünften teilt, kommt ein Dirigent zum Zuge, der umstritten ist wie wenige andere: Roger Norrington. Am 7. Oktober 2004 mitgeschnitten, erkennt man die ihm ureigene vibratoarme Interpretation, die starke Einflüsse der historisch informierten Aufführungspraxis zeigt. Trotz aller Einwände hat diese Beethoven’sche Sechste unter Norringtons Dirigat gewiss ihre Momente. Das eindrückliche Schlagwerk kommt im Gewitter-und-Sturm-Satz voll zur Geltung. Es ist immer wieder spannend zu hören, wie sich ein solcher Klangkörper der Weltklasse wie das Königliche Concertgebouw-Orchester wirklich jedem Dirigentenstil anzupassen vermag.

Für manch einen der heimliche Kaufgrund dürfte die siebte Sinfonie unter Carlos Kleiber vom 20. Oktober 1983 darstellen, welche CD Nr. 4 einleitet. Eine wirkliche Ersterscheinung ist es allerdings nicht, handelt es sich doch um die Tonspur eines Unitel-Films, der (zusammen mit der Vierten) bereits auf einer Philips-DVD zu haben war. Nun ist die Erwartungshaltung im Falle des jüngeren Kleiber ungemein hoch. Es handelt sich gewiss um eine tänzerisch-beschwingte Wiedergabe, wie man sie bei diesem Dirigenten erwartet. Sie übertrifft die in gewissen Kreisen zum Maß aller Dinge erklärte, etwas sterile DG-Studioeinspielung, die nicht an die fast zeitgleich entstandene, ganz späte Decca-Produktion unter Leopold Stokowski heranreicht – noch immer ein verkannter Geheimtipp. Kleiber junior baut einen solchen Hochdruck auf, so dass seine Siebente durchgehend rastlos erscheint. Eine mögliche, keinesfalls die allein seligmachende Lesart.

Bei der Achten, die die vierte Disc beschließt, steht mit Philippe Herreweghe ein anerkannter Spezialist für Alte Musik am Dirigentenpult, der indes auch schon bis ins 19. Jahrhundert vorgedrungen ist und sogar eine vollständige Beethoven-Sinfonien-Einspielung vorgelegt hat, die von der Kritik gefeiert wurde (Pentatone). Ein wenig ist man bei diesem Live-Mitschnitte der achten Sinfonie vom 5. Oktober 2003 allerdings enttäuscht, stellt sich der große Aha-Effekt doch nicht unmittelbar ein. Was dieses noch immer unterschätzte Meisterwerk angeht, darf auf die klassische Einspielung des greisen Bruno Walter hingewiesen werden (Columbia), die in gewisser Hinsicht noch immer das A und O darstellt.

Den Abschluss muss die neunte Sinfonie bilden, bei welcher auf einen Mitschnitt unter dem ungarisch-amerikanischen Dirigenten Antal Doráti vom 28. April 1985 zurückgegriffen werden konnte. Wer die Vita Dorátis kennt, wird die Aufnahme als unter die letzten dieses Orchesterleiters einordnen können, der damals bereits im achtzigsten Lebensjahre stand. Von einer Altersmilde ist indes keine Spur, ist sein Zugriff doch beherzt und zeigt keine Ermüdungserscheinungen. Das Solistenquartett ist nicht übermäßig prominent und mehr gediegen als wirklich herausragend: Roberta Alexander (Sopran), Jard von Nes (Mezzosopran), Horst Laubenthal (Tenor) sowie – etwas pauschal – Leonard Mróz (Bass). Unterstützt wird die vokale Seite durch den sehr gut aufgelegten Chor des Concertgebouw-Orchesters. Klanglich handelt es sich allerdings um die vergleichsweise schwächste Aufnahme, die nicht durch übermäßige Brillanz punkten kann, jedoch freilich bereits (wie der Rest) in Stereophonie vorliegt. Insgesamt war es wohl ein Anliegen dieser Veröffentlichung, ausschließlich Stereoaufnahmen zu berücksichtigen.

In der Summe lässt sich also eine starke Empfehlung mit einigen wenigen Einschränkungen aussprechen. Die Box lohnt sich bereits allein aufgrund der enthaltenen Bernstein-Aufnahme, die jede Sammlung bereichert. Unterstrichen wird der positive Eindruck durch die kundigen, gar viersprachig (Englisch, Französisch, Deutsch, Niederländisch) vorliegenden Einführungstexte von Bas von Putten. Daniel Hauser

 

Obwohl das große Jubiläumsjahr anlässlich des 250. Geburtstages – am Ende 2020 gesehen – anderweitig schmerzlich überlagert wurde, herrschte kein Mangel an Neuerscheinungen in Sachen Beethoven-Aufnahmen. Harmonia Mundi denkt in seiner sogenannten 2020/2027 Harmonia Mundi Edition bereits weiter, plant man doch offenbar eine Serie, die sich bis zum 200. Todestag Beethovens, den wir erst 2027 Jahren begehen werden, erstrecken soll. Weitere Neuveröffentlichungen stehen jedenfalls bereit, vom geneigten Hörer in Betracht gezogen zu werden.

Aus Malmö: Beethovens Sinfonien mit Robert Trevino und dem Malmö Symphony Orchestra bei Ondine. Großartiger kann man nicht einsteigen. Nicht auf dem CD-Markt, nicht auf dem Konzertpodium. Nicht einfach nur ein oder zwei Beethoven-Sinfonien, sondern gleich alle neun bildeten den Auftakt der Zusammenarbeit des Malmö Symphony Orchestra und seines im Oktober 2019 neugekürten Chief Conductor Robert Trevino. Die Tinte unter dem Vertrag war kaum getrocknet, als Orchester und Dirigent ihre Partnerschaft im gleichen Monat im Rahmen eines Beethoven-Festivals mit allen neun Sinfonien an vier Abenden besiegelten und im Konserthus live aufnahmen. Für Trevino ist es zwar nicht das CD-Debüt aber immerhin der Einstand bei Ondine, die die fünf CDs in aparter Klappbox und englischem Beiheft samt Interview mit dem Dirigenten herausbrachten (ODE 1348-5Q). Nach Ádám Fischers Aufnahme aus Kopenhagen ist diese von der schwedischen Seite des Öresund stammende Aufnahme der zweite skandinavische Beethoven-Zyklus im Jubiläumsjahr. „The spirit of Beethoven“, den Trevino verspürte, als er erstmals die Fünfte dirigierte, vermittelt sich dem Hörer, der unwillkürlich nach dem Sinn dieser Aufnahme fragen wird, bei den beiden ersten Sinfonien noch nicht. Die erste birgt noch die Welt von Haydn und Mozart, die zweite ist, laut Trevino, „a statement of intent“, doch auf mich wirken die Aufnahmen trotz schöner Momente mit den Holzbläsern und fein empfundenen romantischen Stimmungen, uninteressant, werden im Verlauf immer langweiliger, und das hat nichts mit dem – gegenüber Fischer – durchgehend etwas längeren Spieldauern zu tun (die dritte und vierte auf einer CD mit 85 Minuten Spieldauer). Hier tasten sich Dirigent und Orchester mehr aneinander als an die Welt der Wiener Klassik heran. Der 36jährige Amerikaner mexikanischer Abstammung – eigentlich Treviño  – der neben dem schwedischen Chefposten auch den beim Baskischen Nationalorchester in San Sebastián innehat, Opern am Bolshoi und in Washington dirigierte, kürzlich in Zürich die Carmen machen sollte und bei mehreren bedeutenden Orchestern bereits seine Visitenkarte abgegeben hat, hat im Hinblick auf diesen Zyklus David Zinman, der neben Leif Segerstam und Michael Tilson Thomas  einer seiner Lehrer war und stets eine historische informierte Aufführungspraxis vertrat, und Daniel Barenboim konsultiert und wählte den nicht unüblichen Weg „historically informed in the way we attack some thing but acknowledging that we’re playing modern instruments with a long tradition“. Attacke und Gestaltungswille und der Elan, unbedingt etwas beweisen zu müssen, teilen sich im Scherzo und vor allem im Finale der Dritten mit. Trotz der Stürme, die Trevino gerne entfacht, ist seine Darstellung ungemein klar und lyrisch grundiert. Er gibt den Instrumenten ausgiebig Gelegenheit, sich vorzustellen, den Streicher in Finale der Dritten, Klarinette und Fagott in der vierten, Oboe im ersten Satz der Fünften. Trevino versucht alle Gruppen durchsichtig und dennoch voll klingen zu lassen. Die Technik hat den Konzerthausklang gut eingefangen. Die ihn live hörten, beschreiben Trevino als vor Energie berstenden Dirigenten mit präziser Vorstellungskraft. Das ist im Trauermarsch der  Eroica zu spüren, im Adagio der vierten, mehr im ersten Satz als im Finale der Fünften, in der Sturmszene der Pastorale, doch manchmal übertreibt er Tempo und Effekte, wie in der Siebten und Achten, der neunten fehlt es, wie auch dem Finale der Drittem, an manchen Stellen an Grandeur; die Solisten Kate Royal, Christine Rice, Tuomas Katajala und Derek Walton sind gut, der MSO Festival Chorus klingt etwas entfernt. Kein schlechter Einstand.  Rolf Fath

 

Und nun zu hmf: die konventionellere Doppel-CD mit der neunten Sinfonie sowie der in gewisser Hinsicht als eine Art Vorläuferin zu bezeichnenden Chorfantasie bei harmonia mundi france (HMM 902431.32) Es spielt das Freiburger Barockorchester unter der Stabführung des spanischen Dirigenten Pablo Heras-Casado, der sich längst einen Namen gemacht hat, und zwar gerade auch bei diesem Label. Das Barockorchester aus Freiburg ist längst in die Vorklassik, die Klassik und sogar in die Romantik vorgestoßen. So standen nicht nur die heftig diskutierten Mozart-Einspielungen unter René Jacobs im Fokus (besonders der Don Giovanni), sondern präsentierte man gar auch einen kompletten Zyklus der fünf Sinfonien von Felix Mendelssohn Bartholdy, wiederum unter Heras-Casado. Hörenswert sind die postbarocken Ausflüge des Orchesters allemal, wie sich auch diesmal erweist. Originalinstrumente bei Beethoven sind seit vierzig Jahren keine Besonderheit mehr, so dass auch diesmal das Rad nicht neu erfunden wird. Die sehr flotten, metronomnahen Tempi reißen nicht mehr per se so sehr vom Hocker wie einst. Dass der Kopfsatz und das Scherzo praktisch auf dieselbe Spielzeit (13 und eine halbe Minute) kommen, mag Zufall sein. Ein Gefühl von maestoso will im ersten Satz jedenfalls nicht aufkommen. Das Adagio gerät mit zwölf Minuten beinahe zur Karikatur, wobei man dazu sagen sollte, dass einst schon Sir John Eliot Gardiner dieses recht absurd anmutende Tempo anschlug. Wird jeder Satz dermaßen schnell gespielt, muss dies auf Kosten der inneren Proportionen des Werkes gehen. Mit 61 Minuten Gesamtspielzeit gehört die Neuaufnahme definitiv zu den allerflottesten auf dem Markt. Die beste HIP-Einspielung stellt sie indes mitnichten dar. Diese wurde im Vorjahr ganz unverhofft von Masaaki Suzuki mit dem Bach Collegium Japan und überragenden Solisten bei BIS vorgelegt. Dies liegt nicht nur daran, dass sich Suzuki fünf Minuten mehr Zeit nahm. Auch klanglich kann die HM-Aufnahme nicht ganz mithalten. Mit Christiane Karg, Sophie Harmsen, Werner Güra und Florian Boesch steht Heras-Casado ein sehr adäquates Solistenquartett zur Verfügung, doch vermisst man den gewissen Aha-Effekt, welchen Suzuki erzielte. Die Zürcher Sing-Akademie meistert den schwierigen Chorpart souverän. Das eigentliche Highlight dieser Neuproduktion (Anfnahme: Teldex Studio Berlin, November 2019) ist dann eher die „Beigabe“ auf der zweiten CD: die Chorfantasie, in der Kristian Bezuidenhout den Fortepiano-Part meisterlich beisteuert. Das dreisprachige Beiheft (Französisch, Englisch, Deutsch) mit Einführungstexten von Barry Cooper und Christian Girardin ist vorzüglich.

Die eigentlich interessantere Neuerscheinung stellt die Compact Disc mit Beethovens Sinfonie Nr. 6, der Pastorale, in Verbindung mit dem über zwanzig Jahre zuvor entstandenen Vorläufer, Le Portrait musical de la Nature ou Grande Symphonie, von Justin Heinrich Knecht (1752-1817) dar (HMM 902425). Es zeichnet verantwortlich die Akademie für Alte Musik Berlin unter ihrem Konzertmeister Bernhard Forck. Tatsächlich ist es erstaunlich, welche Parallelen diese beiden Werke, die jeweils eine musikalische Naturschilderung darstellen, aufweisen. Dies beginnt bereits bei der untypischen Fünfsätzigkeit, derer sich Knecht bereits 1785 bediente. Im Mittelpunkt steht da wie dort ein Gewitter, obschon es sich im älteren Werk gleichsam auf die Sätze 2 bis 4 erstreckt, vom Verdunkeln des Himmels bis zum allmählichen Verziehen und Wiederaufhellen, insgesamt gute zehn Minuten, was beinahe die Hälfte der Sinfonie ausmacht. Dies ist bekanntlich anders bei Beethoven, der fast eine Generation jünger war. Hier nimmt das Gewitter nur in etwa ein Zehntel der Pastoral-Sinfonie ein, hier konkret 4 Minuten von insgesamt 41 Minuten Spielzeit. Freilich bediente sich Beethoven bereits einer gänzlich anderen, deutlich expressiveren Tonsprache als sein Vorläufer. Zwischen 1785 und 1808 (Uraufführung der Pastorale) lagen Umwälzungen von einer solchen Tragweite, wie sie die Menschheit selten erlebte – Stichwort Französische Revolution und deren Folgen. Dies musste sich zwangsläufig auch in der Musik ausdrücken. Das soll im Umkehrschluss allerdings nicht bedeuten, dass Knechts „Proto-Pastorale“ belanglos herüberkäme. Zumindest in dieser nagelneuen Darbietung erzeigt sich das Potential dieses zu Unrecht fast unbekannten Werkes, dessen Höhepunkt selbstredend der stürmische, beinahe kriegerische mittlere Satz mit dem eigentlichen Gewitter darstellt. Hier werden die Vorteile einer historisch informierten Aufführungspraxis deutlich, vermitteln die zupackend aufspielenden Pauken doch einen furiosen Eindruck von der Szenerie, fast wie eine Vorahnung auf die noch in der Zukunft liegenden Ereignisse. Hier wurde eine Referenzaufnahme vorgelegt. Die Konkurrenz hervorragender Interpretationen der Beethoven’schen Sechsten ist dem gegenüber geradezu grenzenlos, so dass man mit einem anderen Erwartungshorizont herangeht. Und doch: Forck und den „alten“ Berlinern gelingt das Kunststück, eine der bezwingendsten Darbietungen der Pastorale vorzulegen, die auf Tonträger erschienen sind. Zumal im HIP-Bereich wird man lange suchen müssen, um eine ähnlich überzeugende Einspielung aufzutreiben. Anders als Heras-Casado setzt Forck auf gemäßigte Tempi, wodurch gerade der Gewittersturm gewinnt, der in seiner unbarmherzigen Unmittelbarkeit des Ausdrucks gar einen Hauch Furtwängler in sich trägt – man sollte es nicht für möglich halten. Tontechnisch weiß diese Scheibe völlig zu überzeugen, was wiederum auch für das dreisprachig gehaltene Booklet (Französisch, Englisch, Deutsch) mit Texten von Forck und Peter Gülke gilt. Ohne Einschränkungen ein großer Wurf. Daniel Hauser

 

Der Hype um Teodor Currentzis, den griechisch-russischen Dirigenten-Popstar, ist seit Jahren ungebrochen. Dafür sorgt nicht nur dessen ihm ureigene Exzentrik, sondern freilich auch Sony, sein Hauslabel. Dass die nun veröffentlichte Einspielung von Beethovens fünfter Sinfonie (Sony 19075884972) im Design des legendären Duftes Chanel Nº 5 daherkommt, ist sicherlich kein Zufall. Exklusivität ist das Credo, das auch notwendig ist, will man den potentiell Kaufwilligen, der noch kein Jünger des Maestros ist, dazu animieren, 15 Euro für 30 Minuten Musik auszugeben. Mehr ist tatsächlich nicht auf dieser Compact Disc enthalten. In einer Vorankündigung hieß es, die siebente Sinfonie werde zeitnah nachgereicht – Dekadenz pur, die man sich nicht einmal in der CD-Frühzeit in dieser extremen Ausprägung erlaubt hätte. Zugegeben: Die Cover-Gestaltung bei Currentzis-Aufnahmen ist in den meisten Fällen wirklich ausgefallen. Und auch der Inhalt wusste in der Vergangenheit überwiegend zu überzeugen – ob nun jetzt wegen oder doch eher trotz Currentzis. Freilich: Mitnichten alles liegt ihm, doch für welchen Dirigenten gälte diese Einschränkung nicht. Eigentlich ging ich ernüchtert an diese Neuerscheinung heran, war mir doch ein Live-Mitschnitt desselben Werkes unter diesem Dirigenten von den BBC Proms vom Juli 2018 in unguter Erinnerung. Dass die Sony-Produktion zwischen 31. Juli und 4. August desselben Jahres im Wiener Konzerthaus eingespielt wurde, legte auf dem Papier nahe, dass das nicht viel besser sein würde. Weit gefehlt. Dass man hier, ganz altmodisch, auf eine echte Einspielung im alten Sinne setzte, hat sich eindeutig gelohnt. Ist Currentzis am Ende vielleicht, entgegen des Klischees, gar nicht unbedingt der Live-Klangmagier, sondern erzielt er seine besten Ergebnisse im  klassischen Aufnahmestudio, wo alles bis ins kleinste Detail ausgetüftelt ist und man den Wünschen des Meisters minutiös nachkommen kann? Zumindest haben mich bisher seine offiziellen Platteneinspielungen mehr überzeugt als die gar nicht so wenigen Mitschnitte aus dem Rundfunk und Fernsehen. Klanglich hat Sony hier wirklich Maßstäbliches geleistet. Kein Vergleich mit der ungünstigen Akustik, die bei der BBC damals im Radio herüberkam.

 Ohne Frage: Das Geschäftsmodell, dass Sony hier abzieht, ist unverschämt. Andererseits ist diese Aufnahme auch unverschämt gut. Gewiss nicht die definitive Lesart, wie könnte sie es auch sein. Doch hat der Dirigent etwas mitzuteilen. Die Radikalität seines Ansatzes, frappierend exekutiert von seinem auf ihn eingespielten und bestens aufspielenden Orchester MusicAeterna, ruft, bald ein halbes Jahrhundert nach den ersten HIP-Versuchen, bestimmt keine neue Ära in Sachen Beethoven-Interpretation aus, doch fließt die Musik bei Currentzis in einer Sogwirkung dahin, wirkt alles organisch und nicht zwecks bloßer Effekthascherei aufgesetzt. Genau das werfen seine schärfsten Kritiker Currentzis häufig vor, wagnerisch ausgedrückt: „Effekt ohne Ursache“. Mir stellt sich dieser Eindruck hier nicht ein. Eigentlich exerziert der Dirigent genau das, was Nikolaus Harnoncourt bereits vor Jahren proklamiert hat: Die Beethoven’sche Fünfte als Programmmusik der Französischen Revolution. Harnoncourts hoch umstrittene Werkanalyse, die der Fünften gar als einziger Beethoven-Sinfonie ein solches Programm unterstellte, passt ausgezeichnet auf Currentzis‘ Interpretation: Im Kopfsatz die Darstellung eines unterdrückerischen Regimes, das jeden Aufruhr im Keim erstickt; im langsamen Satz innere Einkehr der Freiheitsliebenden im Sinne eines Gebetes; im Scherzo sodann der erst kaum merkliche, dann aber unaufhaltsam werdende Übergang zum (diesmal erfolgreichen) Aufbegehren; im Finale schließlich der Sieg  der Freiheit über die Tyrannei. Ein zeitloses Plädoyer, das einem Beethoven durchaus zuzutrauen gewesen wäre. Selbst wenn Harnoncourt geirrt haben sollte, so stellt gerade Currentzis diese Hypothese ungemein überzeugend dar – und verzichtet, anders als seinerzeit der greise Altmeister (übrigens auch bei Sony), sogar auf sehr eigenwillige Manierismen.

Abschließend könnte man sagen: Frechheit siegt. Sonys Abzocke macht jetzt schon gespannt auf Currentzis‘ Darbietung der Siebenten. Immerhin: Diese wird dann wohl auch unter Currentzis die CD mit etwas mehr als bloß einem halben Stündlein füllen. Daniel Hauser

 

Und noch ein Beethoven-Zyklus im Beethoven-Jahr. In kurzer Abfolge erscheint jetzt die zweite Gesamteinspielung der neun Sinfonien Ludwig van Beethovens mit dem WDR Sinfonieorchester, dem früheren Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester: Im vorigen Jahr brachte Profil/Hänssler einen Zyklus mit dem seinerzeitigen Chefdirigenten Jukka-Pekka Saraste auf den Markt, nun folgt Pentatone mit einem weiteren, auf fünf CDs verteilten Zyklus unter Marek Janowski (PTC 5186 860). Richtig gelesen. Der mittlerweile 81-jährige, in Warschau geborene und in Wuppertal aufgewachsene Dirigent ist bislang nicht unbedingt als Interpret des Bonner Meisterkomponisten in Erscheinung getreten. Auch kommen einem eher andere Orchester zuerst in den Sinn, denkt man an Janowski, der sich gerade als Wagner-Dirigent einen Ruf erarbeitet hat. Dessen ungeachtet, ist diese Gesamtaufnahme mehr als bloß hörenswert. Das liegt zu einem nicht unerheblichen Teil schon einmal an der sehr guten Tontechnik, die man bei einer nagelneuen Einspielung, die zwischen September 2018 und November 2019 in der Kölner Philharmonie entstand, aber auch erwarten darf. Welchen Preis kann man mit dem gefühlt tausendsten Beethoven-Zyklus noch gewinnen? Diese Frage stellt sich hier mitnichten, braucht Janowski ja niemandem mehr etwas beweisen. Als längst etablierter und in aller (Klassik-)Welt bekannter Orchesterleiter hat er eine solche Profilierung nicht mehr nötig. Die viel bemühte Formulierung der Altersweisheit, wie weiland etwa bei Günter Wand und jüngst bei Herbert Blomstedt, verkommt allzu leicht zur bloßen Phrase, trifft es im Kern aber ganz gut. Weder will Janowski die Beethoven-Interpretation neu erfinden, noch verfolgt er die Imitation eines längst verflossenen Beethoven-Bildes. Die überzeugende Synthese aus großem Sinfonieorchester und nicht übermäßig romantisiertem Orchesterklang ist festzuhalten. Allzu schroffe Akzente und Übertreibungen sind Janowskis Sache nicht. Es handelt sich um eine im besten Sinne hochseriöse Wiedergabe. Ja man könnte soweit gehen und es gar zu einer adäquaten Einsteiger-Einspielung zu deklarieren, ungeachtet der landläufigen Standardempfehlungen, die in aller Munde sind. Gerade die ersten beiden Sinfonien, in konventionellen Gesamtaufnahmen mitunter eher der Vollständigkeit halber mit enthalten, kommen hier durchaus zu ihrem eigenständigen Recht, ohne dass auf Biegen und Brechen das gewiss vorhandene revolutionäre Element übersteigert würde. Erstaunlich frisch, ohne wegen Leichtgewichtigkeit gänzlich abzuheben, erklingt die Eroica, der Janowski das Pathos versagt, welches ihr Dirigenten wie Klemperer, Giulini oder auch der in unseren Breiten viel zu wenig geläufige Asahina angedeihen ließen. Freilich verkommt es nicht zu einer beinahe schon parodierenden Lesart, wie sie diverse „HIPisten“ an den Tag legen. Durch Janowskis Ansatz wird der häufig kolportierte Quantensprung von der zweiten zur dritten Sinfonie relativiert, letztere nicht zum spätromantischen Monstrum aufgebläht. Nur logisch, dass die darauffolgende Vierte, die zu solchen Auslegungen noch nie recht taugte, deswegen auch nicht „abfällt“, wie in der Rezeption bisweilen der Eindruck erzeugt wird. Wohl keine andere der neun Beethoven-Sinfonien wurde von eben dieser Rezeption derart mystifiziert wie die Fünfte, zur deutschen „Schicksalssinfonie“ erklärt. Marek Janowski scheint sich schlichtweg auf die Noten selbst zu verlassen. Das Ergebnis spricht für sich. Mit Fug und Recht kann man von einer der großen modernen Darbietungen dieses „rauf und runter“ exerzierten Meisterwerkes sprechen. Bemühte Überbetonungen werden vermieden, doch wo es sich anbietet, spielt der Dirigent gekonnt mit behutsam eingesetzten dezenten Rubati, ohne dass auch nur entfernt der Eindruck von Willkür aufkäme. Ungemein einnehmend etwa das mit Herzblut dargebotene Scherzo. Die Akribie, mit der im Finalsatz scheinbar nebensächliche, oft überspielte Details beleuchtet werden, überrascht allemal. Der Kopfsatz der Pastorale ist bei Janowski tatsächlich das vom Komponisten deklarierte Erwachen, kein Dahindämmern wie in sehr vielen Einspielungen (so reizvoll dies im Einzelfall auch klingen mag). Wie gewaltig die Dynamik der WDR-Tontechnik ist, lässt sich im Gewitter-und-Sturm-Satz erfahren, der hier zwar nicht zum Weltgericht ausartet, aber doch den notwendigen scharfen Kontrast zu den anderen Sätzen darstellt. In der Siebenten arbeitet Janowski gerade die Zwischentöne heraus, so insbesondere im feurigen Finale. Im Kopfsatz setzt er auf ein gleichmäßiges Tempo und vermeidet im darauffolgenden Allegretto ein Verschleppen. Die Achte versucht in der hier vorgelegten Aufnahme gar nicht erst groß zu erscheinen und kommt so kammermusikalisch herüber wie keine andere der Sinfonien in der Box. Dies irritiert im ersten Moment, rückt das unterschätzte Werk aber auch näher an Haydn heran, dem Beethoven hier wohl eine postume Hommage darbrachte. Die abschließende neunte Sinfonie ist in jeder Gesamteinspielung gewissermaßen die Bewährungsprobe, was nicht nur an ihren Dimensionen, sondern auch am Hinzutreten des Gesangsteils liegt. Nicht wenigen Beethoven-Zyklen bleibt aufgrund Unstimmigkeiten im vokalen Finalsatz der Neunten eine vollumfängliche Empfehlung verwehrt. Einen tendenziellen Vorteil hat diese Neuaufnahme insofern, als einzig Muttersprachler/innen beteiligt sind: Die Sopranistin Regine Hangler, die Altistin Wiebke Lehmkuhl, der Tenor Christian Elsner sowie der Bassist Andreas Bauer Kanabas. Wie in der Parallelaufnahme unter Saraste, wird der WDR Rundfunkchor durch den NDR Chor verstärkt. Mit 64 Minuten Spielzeit zählt Janowskis Interpretation zu den flottesten, zumal unter den Nicht-HIP-Aufnahmen. Der erste Satz gerät in der Tat vorwärtsdrängend, ohne des Guten zu viel, auch wenn man sich in der letzten Minute des Kopfsatzes ein klein wenig mehr maestoso gewünscht hätte. Fetzig die stellenweise sehr prominent hervortretenden Pauken, was der Dramatik zugute kommt. Das wird auch im Scherzo deutlich, in welchem Janowski sämtliche Wiederholungen beachtet, wodurch der Satz mit 14 Minuten annähernd dieselbe Länge aufweist wie der vorangehende. Das Adagio ist gar eine Minute kürzer, wodurch es auf den ersten Blick in Verdacht gerät, etwas zu unterkühlt herübergebracht zu werden. Glücklicherweise stellt sich dieser Eindruck beim tatsächlichen Hören nicht ein. Das Solistenquartett im Schlusssatz ist indes unausgewogen. Während Bauer Kanabas‘ mächtiger Bass Größeres erhoffen lässt, fehlen Elsners lyrischem, etwas glanzlosen Tenor die hier wünschenswerten heldischen Anflüge. Die Damen zumindest individuell und klar voneinander unterscheidbar. Tadellos die Chorleistung. Bis auf minimalste Unsauberkeiten, die sich an einer Hand abzählen lassen, spielt der Klangkörper des Westdeutschen Rundfunks formidabel und unterstreicht die dirigentische Leistung nachdrücklich. Die englisch-deutsche Textbeilage (Text: Kasper van Kooten) fällt gediegen aus. Daniel Hauser

 

Auf das berühmteste Ta-ta-ta-taaa der Musik-Geschichte, das die Sinfonik wie eine Wasser-Scheide in ein davor und danach trennen sollte, was man von der Zweiten und Dritten ebenso behaupten könnte, eilte Ludwig van Beethoven in raschen Schritten zu. Er war nach den Verhältnissen der Zeit bereits relativ alt, als er mit 30 Jahren seine erste und im April 1800 in Wien uraufgeführte Sinfonie vorlegte, die von ihrer kunstvollen Einleitung und der durchbrochenen Instrumentation bis zur langsamen Einleitung des vierten Satzes in vieler Hinsicht bemerkenswert ist. In kurzen Abständen schlossen sich die weiteren Sinfonien bis zur Fünften an. Adam Fischer und das Danish Chamber Orchestra bei Naxos weisen in ihrer nun preisgekrönten, kräftig animierten, bei lebhaft ausgewogenen Tempi im Detail geradezu liebevoll ausgeformten und durchsichtig leichten Wiedergabe der C-Dur Sinfonie op. 21  auf das Erbe hin, vor allem die Jupiter-Sinfonie, doch scheint mir vor allem eine menschliche Wärme wie in den Sinfonien Haydns, seit dessen letzter Sinfonie inzwischen fünf Jahre vergangen waren, vorzuherrschen. Die zweite Sinfonie, zwei Jahre später uraufgeführt, spielen Fischer und sein Orchester mit der zielgerichteten Emphase, mit der Beethoven auf das Finale hinarbeitet, gewichtig und ruhig, doch nie schwerfällig im ersten Satz, dem gegenüber der Ersten viel ausgedehnteren Adagio, bis zur aufbäumenden und überwältigenden Coda im vierten Satz. Unter den viele dutzend Gesamteinspielen aller neun Sinfonien gibt es keine, die als Maß der Dinge gilt, wobei weitgehende Einigkeit darüber herrscht, dass Herbert von Karajans erste Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern von 1963 einem Ideal relativ nahekommt. Im Beiheft der Naxos-Box (5 CD in Pappschubern und dän./engl. Beiheft 8.505251) meint Fischer, „Jedes Mal, wenn ich vor 20 Jahren eine CD kaufte, erwartete ich, dass dies die letzte, ultimative Aufnahme eines bestimmten Werkes sein sollte. Doch nach und nach kam ich zu der Überzeugung, dass die Vorstellung von einer ultimativen Aufnahme eine Illusion ist. Sie existiert nicht. Genauso wie ich hinnehmen muss, dass das Orchester und ich unseren Beethoven in ein paar Jahren anders spielen werden. Wie ändern uns alle. Wir werden älter.“

Fischer, der sich über Jahrzehnte eine gewissen Jugendlichkeit und gleichbleibende Bescheidenheit bewahrt hat, kann auf eine immense Kapellmeister- und Repertoireerfahrung zurückgreifen. Aus der Talentschmiede Swarowskys kommend, wurde er Korrepetitor in Graz, in jungen Jahren bereits Kapellmeister in Helsinki und Karlsruhe, ab 1981 GMD in Freiburg, dann Kassel und Mannheim, daneben war er ab 1978 Gast an der Bayerischen Staatsoper, wo er Böhm den Fidelio und Kleiber den Otello nachdirigieren durfte, und ab 1982 auch in Wien, wo er, ebenfalls nach dem Fidelio, gleich eine Premiere (Die verkaufte Braut) bekam. Es folgten die weiteren internationalen Häuser von der Met bis zur Scala und schließlich Bayreuth 2001 mit dem Ring, ab 1987 spielte Fischer in Eisenstadt sämtliche 104 Sinfonien Haydns ein, seit 1998 ist er in Kopenhagen Chefdirigent des traditionsreichen Dänischen Rundfunkorchesters, das seit seiner Abwicklung 2014 mittlerweile als unabhängiges Danish Chamber Orchestra firmiert. Mit dem Ensemble spielte Fischer alle Sinfonien Mozart ein, von 2016 bis 2019 folgten die jetzt komplett vorliegenden neun Sinfonien Beethovens; sein zwei Jahre jüngerer Bruder Ivan Fischer war ihm mit dem Concertgebouw Orkest einen Schritt und fünf Jahre voraus. Ein konsequenter Weg. Eine Logik und ein schlüssiger Ansatz, die sich auch im Verlauf des aufnahmetechnisch soliden und interpretatorisch ausgewöhnlichen Kopenhagener Beethoven-Projekts wiederspiegeln: in der durchgehend inspirierten, kraftvoll fest und energisch, mit starker  Emphase und bei relativ rascher Spielzeit von 45 Minuten bis zum fesselnden, atemberaubend subtilen, mit vielen Zwischentönen gespielten Finale der Eroica, deren ursprünglicher Titel Sinfonia Eroica … composta per festeggiare il sovvenire di un grande Uomo lautete, in der das Orchester im Pomposo des Trauermarschs fehlenden seidigen Streichglanz durch die Attacke und den Biss der Holzbläser ausgleicht, dann in der ebenso durchsichtig eleganten wie wütend stürmenden, von Bernstein als the biggest surprise package Beethoven has ever handed us bezeichneten vierten Sinfonie op. 60, die Fischer nicht als Nebenwerk zur gleichzeitig entstanden Fünften auffasst und mit starker und einfühlsamer Linie zeigt. Der organische Aufbau der Fünften vom messerscharfen Ta-ta-ta-taa, mit dem das Schicksal an die Tür klopft, zeigt bestürzende Größe wie kurze Augenblicke des Innehaltens, die Streicher, Holzbläser und Horn im Scherzo sind markant, und besitzt eine Spannung die sich im Finale entlädt; eine andere Art Spannung baut Adam Fischer in den getreu der französischen Aufklärung nach retour à la nature rufenden romantischen Szenerien der Pastorale op. 68 auf, in denen das  Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande zu einer Sturmszene von elementaren Ausmaß führt. In den lautmalerischen und pastoralen Bildern kann Fischer seine breiten Haydn-Erfahrungen ausspielen, ohne bei diesem Tag auf dem Land pure Kulissenschieberei zu betreiben. Mit geschmeidiger Rhythmik und einem furiosen Finale erklingt die fünf Jahre nach der Pastorale bei ihrer Uraufführung 1813 mit einhelliger Begeisterung aufgenommene Siebte, laut Wagner Eine Apotheose des Tanzes, der eine energische und lichte Widergabe der (vor der siebten Sinfonie aufgenommenen) Achten folgt. Der schlanke an der historischen Aufführungspraxis orientierte Klang, straffe Tempi, pulsierender Rhythmus, Neugierde und ein Sinn für die herben, revolutionär ungestümen Kontraste und die ins Geschehen hineingeschleuderten Kommentare der Soloinstrumente sind kennzeichnend für Fischers ausgezeichnete Interpretation des Zyklus, die sich gleichwohl Ruhe für die ariosen, humoristisch spielerischen und melancholischen Momente nimmt und in der Neunten mit dem Danish National Concert Choir (und enttäuschendem Solistenquartett Sara Swietlicki, Morten Grove Frandsen, Ilker Arcayürek und Lars Møller) die Würde der Ode An die Freude betont.  Rolf Fath (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

Auf den ersten Blick hat es den Eindruck, als habe Roger Norrington, mittlerweile sage und schreibe 86 Jahre alt, einen weiteren Zyklus der neun Beethoven-Sinfonien vorgelegt. Die neue Box von SWR Music (SWR19525CD) vermittelt zumindest zunächst diesen Eindruck. Dass es sich um eine Neuauflage der Anfang der 2000ern erschienen Einzel-CDs handelt, wird erst bei genauerem Hinsehen klar. Die Beethoven-Beschäftigung Norringtons geht indes noch weiter zurück, denn bereits in den späten 1980er Jahren legte er einen ersten, in Teilen sehr umstrittenen Zyklus mit den London Classical Players vor (EMI bzw. Erato). Der zweite Zyklus, um den es hier gehen soll, entstand während Norringtons Tätigkeit als Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (1998-2011), welches 2016 mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg zum SWR-Symphonieorchester fusionierte. Obwohl es sich bei den zwischen 29. August und 8. September 2002 im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle anlässlich des Europäischen Musikfestes entstandenen Einspielungen genau genommen um Live-Mitschnitte handelt, ist die Klangqualität frappierend gelungen und sind Störgeräusche weitestgehend nicht zu vernehmen. Einzig der jeweils enthaltene, recht lange Applaus verdeutlicht den Charakter dieser Aufnahmen. Augenscheinlich wurde für diese Produktionen auch nicht nachgebessert, weshalb ein paar vernachlässigbare Unsauberkeiten im Orchesterspiel stehengeblieben sind, was freilich wiederum der Authentizität zuträglich ist. Obwohl ich mich selbst nicht gerade als Anhänger dieses Dirigenten bezeichnen würde, der bekanntlich einem berühmt-berüchtigten Nonvibrato-Klangideal huldigt, bleibt doch festzustellen, dass es sich im Großen und Ganzen um einen wirklich überzeugenden und legitimen Beethoven-Ansatz handelt, der sehr zugespitzt sein kann, aber nie übertrieben oder willkürlich erscheint. Manche Details arbeitet Norrington dergestalt heraus, dass man meint, das noch nie auf diese Weise vernommen zu haben. Die dynamische Bandbreite des Ausdrucks ist gewaltig und einzelne Instrumente sind durch die große Transparenz klar verortbar. Es wird zwar auf modernem Instrumentarium und mit großem Orchester musiziert, doch klar von der historischen Aufführungspraxis beeinflusst. Während manche der Sinfonien von dieser Herangehensweise hörbar profitieren (etwa eine stark aufgewertete Achte, eine gar nicht romantisierte Pastorale und eine wirklich formidable Vierte, die an die ganz großen Interpreten der Vergangenheit denken lässt – großartig die Überleitung vom anfänglichen Adagio zum Allegro vivace), kommt mit der Fünften das Schlachtross etwas holzschnittartig herüber, auch wenn selbst da gewisse Stellen wie die hier sehr paukenlastig geratene mysteriöse Überleitung in den Finalsatz gut gelingen. Norrington erzielt Kontraste eher durch Modulation der Lautstärke, weniger durch Eingriffe in die Agogik. Die ersten beiden Sinfonien werden durch diese Konzept aufgewertet; bei der Eroica stößt es wiederum an seine Grenzen, passen zum heroischen Pathos dann wohl doch eher andere Ansätze. Wirklich feurig gelingt die Siebente, bei der man im Finalsatz (schön mit geteilten Streichern) atemlos zurückbleibt. Norrington lässt offenbar sämtliche Wiederholungen spielen. Mit kaum 63 Minuten Spielzeit legt er eine der flottesten Aufnahmen der Neunten vor. Bereits im Kopfsatz Sturm und Drang, keine proto-brucknerische Vergeistigung. Durchaus gangbar. Dies gilt auch für das Adagio mit gerade zwölf Minuten. Problematisch allerdings, dass sich beide Sätze dadurch temporal nicht mehr so stark vom dazwischen liegenden, hier mächtig donnernden Scherzo unterscheiden – klar einer der stärksten Sätze der Gesamtaufnahme. Gradmesser bei diesem Werk ist immer der Finalsatz, bei welchem unterschiedliche Faktoren zusammenkommen müssen, damit aus einer sehr guten eine herausragende Aufnahme wird. Das Solistenquartett ist mit Camilla Nylund (Sopran), Iris Vermillion (Alt), Jonas Kaufmann (Tenor) sowie Franz-Josef Selig (Bass) prominent besetzt. Seligs schlanker und wohlklingender Bass gibt bereits die Richtung vor. Keiner der Solisten versucht sich künstlich in den Vordergrund zu drängen und ist doch immer gut herauszuhören. Kaufmann, seinerzeit noch auf dem Wege vom lyrischen Tenor zum jugendlichen Heldentenor, muss zuvörderst genannt werden. Die von Helmuth Rilling gegründete und seinerzeit auch noch geleitete, hier allerdings von Klaus Breuninger einstudierte Gächinger Kantorei Stuttgart kann ihre Stellung als einer der führenden gemischten deutschen Chöre eindrucksvoll unter Beweis stellen. Tendenziell ist Norrington den Tempovorstellungen seiner ersten Gesamteinspielung aus den 80er Jahren treu geblieben, hat allerdings freilich ein paar besonders strittige Entscheidungen dieses Mal abgemildert. So war der langsame Satz der Neunten in der Erstaufnahme sogar noch eine Minute schneller. Und das vielfach angekreidete halbe Tempo des türkischen Marsches beim Tenor-Solo entfällt diesmal. Wie ist diese Neuauflage des SWR-Zyklus also abschließend zu beurteilen? Alter Wein in neuen Schläuchen? Ja, aber der wird ja mit den Jahren zuweilen immer besser. Höchst individuell, im Detail manchmal streitbar, aber auf jeden Fall kein 08/15-Beethoven von der Stange.  (Weitere Information zu den CDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.) Daniel Hauser

 

Dass auch Beethovens Geburtsstadt Bonn ihren Teil zum großen Jubiläumsjahr beiträgt, ist nur würdig und recht. Auf insgesamt sieben CDs verteilen sich die neun Sinfonien, sieben Ouvertüren und gleichsam als Zugabe die Schauspielmusik zu Goethes Trauerspiel Egmont, wie sie Musikproduktion Dabringhaus und Grimm nun, in eine Box zusammengefasst, präsentiert (MDG 337 2170-2). Komplett neu ist daraus eigentlich nichts, datieren die Einspielungen doch auf die Jahre 2012 bis 2018 und waren bereits zuvor als Einzel-CDs erhältlich. Aufregend unaufgeregt könnte man den Bonner Zyklus nennen, der zumindest bei den Instrumentalwerken auf keine großen Namen setzt. Abgesehen von der Egmont-Schauspielmusik zeichnet Stefan Blunier, zwischen 2008 und 2016 Generalmusikdirektor der Bundesstadt Bonn und somit Chefdirigent des Beethoven Orchesters Bonn, verantwortlich. Sein Nachfolger Dirk Kaftan hat dann noch die Bühnenmusik beigesteuert, bei welcher man den berühmten Schauspieler Matthias Brandt, Sohn des früheren Bundeskanzlers, aufbieten kann, während Olga Bezsmertna den Sopranpart übernimmt. Um bei den Vokalisten zu bleiben, bilden Elza van den Heever, Janina Baechle, Robert Dean Smith sowie Georg Zeppenfeld das Solistenquartett in der neunten Sinfonie, unterstützt vom Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn (Chorleitung: Petr Fiala). Durchaus geläufige Namen, insbesondere die beiden Herren. In ihrem Beethoven-Ansatz ähneln sich die Dirigenten; ein direkter Vergleich ist mittels der Egmont-Ouvertüre möglich, die auch schon Blunier (eine Minute langsamer) eingespielt hat. Das Motto dieser Aufnahmen könnte man als Vermeidung jedweden Ansatzes von Pathos bezeichnen, was freilich keine wirkliche Revolution in Sachen Beethoven-Rezeption darstellt. Weshalb sollte man sich also diese Bonner Aufnahmen ins Regal stellen? Der Beethoven-Markt ist seit langem saturiert, und dennoch gibt es von kaum einem anderen Sinfoniker eine solch hohe, nicht nachlassende Zahl jährlich neu vorgelegter Einspielungen. Klanglich können die Bonner Produktionen locker mit berühmteren mithalten. Frisch und ziemlich zügig geht Blunier zur Sache, vermeidet es aber glücklicherweise, zu überdrehen. Luftig-leicht etwa der Kopfsatz der Fünften, der jede Erdenschwere abgeht. Die Tempi flüssig und ohne Extravaganzen, hie und da dann aber dennoch mit interessanten Farbtupfern durch dieses oder jenes besonders herausgestellte Instrument. Obwohl auf modernem Instrumentarium musiziert wird, gibt es (selbstredend) Einflüsse der historischen Aufführungspraxis. Beethoven nicht als Titan, sondern mit Bodenhaftung. Interessanterweise lässt Blunier nicht sämtliche Wiederholungen spielen (auffällig besonders im Finalsatz der Fünften). Bei den „kleinen“ Sinfonien (Nr. 1, 2 und 8) zeitigt die unprätentiöse Herangehensweise womöglich ihre überzeugendsten Ergebnisse. Schön, dass auch die viel zu selten berücksichtigte Ouvertüre Zur Namensfeier bedacht wurde. Insgesamt fehlt den Ouvertüren aber ein wenig die Gewichtigkeit, die man sich zumal im Coriolan und Egmont wünscht – in letzterer bei Kaftan mit gerade einmal 7:22 Minuten Spielzeit noch ausgeprägter, aber in ihrer Konsequenz, wenn man diesen Ansatz bereit ist mitzugehen, gar überzeugender. Die Güte des Beethoven Orchesters Bonn, das in deutscher Aufstellung spielt, ist ganz allgemein über jeden Zweifel erhaben. Ob im schwungvoll ausgespielten Kopfsatz der Eroica, in der verträumten Szene am Bach in der Pastorale (später mit fulminantem Gewittersturm) oder im erstaunlich getragenen Allegretto der Siebenten, bei ihrem Namensgeber sind die Bonner spürbar in ihrem Element. Stark gerät die oftmals unterschätzte Vierte mit hingebungsvollen Nuancen bei den Holzbläsern. Und wie sieht es bei den Werken mit Gesangsbeteiligung aus? Blunier macht aus der Neunten keine Ego-Show, lässt die Musik einfach für sich selbst sprechen. Indem er sich weder eindeutig für die rein klassische noch die betont romantische Lesart entscheidet, trifft er am Ende gerade besonders einen adäquaten Tonfall, steht die Chorsinfonie doch gerade für diese Zeitenwende. An dieser Stelle ist ein Sonderlob für den Paukisten vonnöten, der im Scherzo sein Bestes gibt. Das Adagio ist weder verhetzt noch verschleppt. Alle vier zuvor genannte Solisten, besonders die Herren, haben sich gerade im Wagner-Gesang einen Namen gemacht. Georg Zeppenfelds schlanker, gut geführter Bass ist auch berüchtigten Höhen gewachsen. Robert Dean Smith ist vielleicht nicht ganz so heroisch wie andere Solo-Tenöre, doch auch im bereits vorgerückten Alter durchaus zufriedenstellend. Elza van den Heever und Janina Baechle erliegen nicht der Versuchung, sich gegenseitig überbieten zu wollen, und sind durch ihr sehr unterschiedliches Timbre eine Bereicherung. Die deutsche Diktion ist bei allen vorbildlich. So auch beim sehr guten Chor aus dem tschechischen Brünn. Gleichsam als Bonus, wie gesagt, die Schauspielmusik zu Egmont unter dem Dirigat von Dirk Kaftan. Genau genommen handelt es sich hierbei um eine Bearbeitung von Tilmann Böttcher und Matthias Brandt, der auch als Erzähler auftritt, die sich auf wichtige Nummern beschränkt, also keine vollständige Einspielung darstellt. Brandt, ein bekannter Schauspieler, hat sich einem bewusst (stellenweise gar zu) unpathetischen Vortrag verschrieben, was mit dem Interpretationsstil Kaftans Hand in Hand geht. Diese moderne Herangehensweise kontrastiert insofern bewusst mit den traditionellen Lesarten von Hermann Scherchen und George Szell, deren Erzähler auf (durchaus adäquates) Pathos setzen. Wie dem auch sei, vielleicht ist dies ein Egmont fürs 21. Jahrhundert. Die kurzen Gesangspassagen steuert die aus der Ukraine stämmige Sopranistin Olga Bezsmertna völlig rollendeckend mit schöner Klangfarbe bei. Diese Beethoven-Box aus der Beethoven-Stadt Bonn ist keineswegs provinziell und braucht also summa summarum keine Vergleiche zu scheuen, auch wenn sie schwerlich die einzige Gesamtaufnahme der Sinfonien in einer Sammlung sollte, eher eine feine, nicht ganz ins Auge springende Ergänzung darstellen wird. Daniel Hauser (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

 

Ironie des Schicksals, dass es nun der Deutschen Grammophon Gesellschaft zukommt, sich des über Jahrzehnte vernachlässigten diskographischen Nachlasses des deutsch-amerikanischen Dirigenten William Steinberg anzunehmen. Dieser, 1899 in Köln als Hans Wilhelm Steinberg geboren, wurde als Jude 1936 in die Emigration gezwungen, wirkte an der Gründung des heutigen Israel Philharmonic Orchestra mit und machte insbesondere in den Vereinigten Staaten Karriere. Steinberg war bereits Mitte der 1920er Jahre zeitweilig Assistent von Otto Klemperer an der Kölner Oper und durchaus schon vor seinem Zwangsexil eine Dirigentenpersönlichkeit von Rang. Dass er in Deutschland bis zum heutigen Tage nur Kennern ein Begriff ist, wird man insofern unter die zahllosen Folgen des Aufstiegs des Nationalsozialismus mit all seinen furchtbaren Konsequenzen verbuchen können. Immerhin kehrte er in der Nachkriegszeit ab und zu in seine Heimatstadt zurück und machte beim WDR auch einige Rundfunkproduktionen, von welchen Mahlers zweite Sinfonie und Beethovens Missa solemnis bei ICA erschienen sind. Der Bonner Großmeister steht auch in der nunmehrigen DG-Box im Mittelpunkt, handelt es sich doch um die CD-Premiere des kompletten Zyklus der neun Sinfonien von Beethoven unter Steinbergs Leitung (DG 00028948383443). Diese Einspielungen, entstanden zwischen 1962 und 1966, sind ursprünglich beim US-Label Command Classics erschienen; die Rechte fielen später an die Deutsche Grammophon. Tatsächlich hatte William Steinberg indes einen astreinen Plattenvertrag mit der DG, wenngleich dieser in seine letzten Jahre datiert, nachdem er 1969 mit siebzig Jahren doch noch das Boston Symphony Orchestra (BSO; 1969-1972) übernommen hatte. Schon 1962 beim Abgang von Charles Munch war er der Wunschkandidat der Bostoner gewesen, doch setzte sich seinerzeit noch das mächtige Label RCA durch, welches den besonders als Operndirigenten zu Weltruhm gelangten Erich Leinsdorf präferierte. Auch wenn die drei Jahre mit dem BSO fraglos den künstlerischen Höhepunkt in der Dirigentenlaufbahn Steinberg darstellen, so geht sein anhaltender Nachruhm doch in erster Linie auf seine ein Vierteljahrhundert umfassende Chefdirigententätigkeit beim Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO; 1952-1976) zurück. Zunehmende gesundheitliche Probleme erzwangen schließlich seinen Rückzug; zwei Jahre später starb Steinberg knapp 79-jährig in New York City. Das PSO hatte indes gewissermaßen das Pech, dass es trotz all seiner unbestreitbaren Qualitäten, die unter Steinberg und vor ihm unter dem strengen Orchestererzieher Fritz Reiner zuwege gebracht wurden, im Schatten der sogenannten „Big Five“ stand (New York Philharmonic, Boston Symphony Orchestra, Philadelphia Orchestra, Chicago Symphony Orchestra, Cleveland Orchestra). So hatte sich der Steinberg’sche Beethoven-Zyklus bereits bei seinem Erscheinen gegen hochberühmte Konkurrenz in Gestalt von Leonard Bernstein (New York), Erich Leinsdorf (Boston), Eugene Ormandy (Philadelphia), George Szell (Cleveland) und nicht zuletzt auch Bruno Walter (mit dem eigens zusammengestellten Columbia Symphony Orchestra, mit Musikern hauptsächlich des Los Angeles Philharmonic und auch aus Hollywood) zu behaupten; später kam noch Sir Georg Solti (Chicago) hinzu. Auf dem deutschen Tonträgermarkt scheint der Steinberg-Beethoven praktisch überhaupt keine Rolle gespielt zu haben. Dadurch, dass er Jahrzehnte lang alles andere als leicht greifbar war, verstärkte sich diese Problematik, selbst wenn MCA zumindest einige der Sinfonien in der CD-Frühzeit weitgehend unbeachtet auf den Markt brachte. Denkt man heute an William Steinberg, so werden noch am ehesten seine phänomenalen Bostoner Aufnahmen der Planets von Gustav Holst und von Also sprach Zarathustra von Richard Strauss im allgemeinen Bewusstsein verankert sein. Bereits seine RCA-Einspielungen von Schuberts Großer Sinfonie in C-Dur sowie Bruckners sechster Sinfonie erreichten in Europa niemals diesen Bekanntheitsgrad.

 Wie also klingt dieser obskure Beethoven aus Pittsburgh, der nun endlich allgemein greifbar ist? Zuvörderst muss den Tontechnikern ein ganz herzliches Lob ausgesprochen werden. Wer die bisherige CD-Transfers (MCA) und diverse mehr oder weniger professionelle Digitalisierungen der alten Command-Schallplatten kennt, wird es kaum glauben können, was die DG hier herausgeholt hat. Offenbar konnte auf die Masterbänder zurückgegriffen werden. Klanglich braucht sich das Ergebnis jedenfalls nicht vor den etwa zeitgleich entstandenen Konkurrenzzyklen verstecken. Allenfalls ist eine gewisse Bassarmut und eine recht ausgeprägte Einbettung des Schlagwerkes in den Gesamtklang zu konstatieren, was freilich der Philosophie des Toningenierus entsprochen haben dürfte, denn vergleicht man mit Live-Mitschnitten dieses Dirigenten, so kann von sich zu sehr im Hintergrund befindlichen Pauken nicht im Mindesten die Rede sein. Die dirigentischen Qualitäten Steinbergs zu loben, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Alles ist organisch und im Fluss, die gewählten Tempi sind stets ansprechend und in sich schlüssig. Weihrauch ist Steinbergs Sache nicht, doch verleugnet er seine Verwurzelung in der Spätromantik keinesfalls, was sich schon in der aus heutiger Sicht unidiomatischen Verwendung der Mahler-Retuschen (besonders auffällig in der Neunten) ausdrückt. Gleichwohl ist Steinbergs Beethoven vergleichsweise sachlich, gewissermaßen der Gegenentwurf zur vollblütigen Romantik eines Bruno Walter, aber auch zum zuweilen gleißend anmutenden Ansatz Herbert von Karajans. Oft wird leichtfertig hingeschrieben, dieser und jener Dirigent werte besonders die „kleinen“ Sinfonien auf, doch trifft es bei Steinberg in besonderem Maße zu. Gerade die Achte war seine ganz besondere Spezialität. Bei Steinberg ist die Pastorale wirklich pastoral, auch beim Gewittersturm nicht infernal, die Eroica in ihrer Klassizität maßstäblich. Bei der Fünften ist die Feld besonders weit; auch hier schwimmt er weit vorne mit. Den heftigen Ausbruch im Finalsatz der Siebenten erreichen in dieser Form nicht viele (es sei in diesem Zusammenhang auch auf eine ebenfalls bei ICA erschienene DVD mit einem Mitschnitt aus Boston verwiesen). Quasi als Bonus ist auch die dritte Leonoren-Ouvertüre inkludiert – man wünschte sich gar einige der Ouvertüren mehr. Die in Amerika häufig als Choral Symphony bezeichnete Neunte ist trotz des nicht eben prominenten Solistenquartetts im Finalsatz (Ella Lee, Joanna Simon, Richard Kness, Thomas Paul) absolut hörenswert. In der Summe also eine ernsthafte 60er-Jahre-Alternative zu Karajan und Co. Daniel Hauser

 

Nein, einen kompletten Beethoven-Zyklus der neun Sinfonien hat Hans Rosbaud vor seinem Ableben nicht mehr vorlegen können, doch ist das, was der SWR – diesmal in Zusammenarbeit mit dem WDR – auf den Markt bringt, gleichwohl von großem historischen Interesse (SWR19089CD). Eine insgesamt sieben CDs umfassende Box, welche abgesehen von der Vierten und der Neunten die übrigen Sinfonien enthält (die Achte gar zweifach), dazu fünf Ouvertüren, das fünfte Klavierkonzert (mit Géza Anda), das Violinkonzert (mit Ginette Neveu) sowie das Tripelkonzert (mit Dario de Rosa, Renato Zanettovich und Libero Lana, die als Trio di Trieste firmierten). Entstanden sind diese Rundfunkproduktionen in den Jahren zwischen 1949 und 1962 (Rosbauds Todesjahr), mehrheitlich für den Südwestfunk Baden-Baden; im Falle der zweiten Sinfonie handelt es sich um eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks Köln von 1959. Es ist zu begrüßen, dass diese hier ebenfalls beigesteuert wurde. Der Beethoven-Ansatz ist freilich in Baden-Baden wie in Köln derselbe und trägt eindeutig die Handschrift Rosbauds: nüchtern, nicht übermäßig gefühlsbetont und eng an der Partitur. Von daher ist dieser Beethoven viel eher der Lesart Hermann Scherchens und René Leibowitz‘ zuzuordnen denn jener Wilhelm Furtwänglers und Hans Knappertsbuschs, um nur einige wenige bedeutende Beethoven-Dirigenten der 1950er und 60er Jahre zu benennen. Jahrzehnte lange musste man auf diese offiziellen Editionen des SWR warten. In Sammlerkreisen kursierten diverse Aufnahmen natürlich schon lange als private Mitschnitte. Besser haben sie aber bis jetzt nicht geklungen (Remastering der originalen Tonbänder), auch wenn die natürlichen Limitierungen des Mono-Klanges nicht zu leugnen sind und es einmal wieder schade ist, dass die deutschen Rundfunkanstalten erst in der zweiten Hälfte der 1960er allmählich auf die Stereophonie umstiegen – zu spät für Rosbaud. Hörenswert ist das Dargebotene auch heute noch, so man geneigt ist, sich darauf einzulassen. Sowohl das Südwestfunk-Orchester (dem Rosbaud zwischen 1948 und 1962 als Chefdirigent vorstand) als auch das Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester (so die damalig gebräuchlichen Bezeichnungen) offerieren die bereits seinerzeit gebotene hohe Spielkultur, selbst wenn die jeweiligen Klangkörper bis zum heutigen Tage nochmal an Qualität zugelegt haben. Rosbauds Beethoven widerlegt eindrucksvoll, dass er viel mehr war als bloßer Experte für moderne Musik, als welcher er lange Zeit abgestempelt wurde. Allerdings ist die hörbare Strenge seines Dirigats womöglich in der Tat nicht zuletzt durch seine Erfahrung mit der Musik des 20. Jahrhunderts zurückzuführen. Willkürliche Temporückungen im Stile der Spätromantik wird man hier kaum finden. Vor zeitweiliger Schroffheit schreckt Rosbaud nicht zurück, so etwa im angriffslustig vorgetragenen Kopfsatz der 1961 eingespielten Fünften. Dabei erzielt der Dirigent das dem Werk innewohnende revolutionäre Momentum nicht durch heilloses Gehetze, sondern durch akribische Herausarbeitung der Strukturen mit besonders hervorgehobenen Instrumenten (insbesondere die Holz- und Blechbläser brillieren). Stellenweise hört man Beethoven hier wirklich neu. Hochkarätig sind auch die Instrumentalsolisten, die zum Einsatz kamen. Zuvörderst und auch chronologisch als erstes ist hier die in Paris geborene französische Violinistin Ginette Neveu anzuführen, deren Weltkarriere, gerade erst dreißigjährig, infolge eines Flugzeugabsturzes am 28. Oktober 1949 aufhörte, bevor sie wirklich begann. Die vorliegende Rundfunkaufnahme des Violinkonzerts entstand beinahe exakt einen Monat vor dieser Tragödie, am 25. September 1949 im Kurhaus Baden-Baden. Beinahe alle übrigen Aufnahmen wurden übrigens im bewährten Studio V, dem späteren Hans-Rosbaud-Studio, in Baden-Baden eingespielt. Der Aufnahmeort der einzigen Kölner Produktion lässt sich nicht mehr ermitteln. Das Klavierkonzert Nr. 5 mit dem legendären Géza Anda datiert auf 1956, das Tripelkonzert mit dem Trio di Trieste schließlich auf 1953. Bei der im September 1962 eingespielten Produktion der siebenten Sinfonie handelt es sich um eine der letzten Aufnahmen Rosbauds, der am 29. Dezember desselben Jahres 67-jährig in Lugano einer schweren Erkrankung erlag. Daniel Hauser (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

 

Gut Ding will Weile haben. Lange Zeit nur schwer greifbar, liegen mittlerweile mindestens fünf CD-Ausgaben des Zyklus der neun Beethoven-Sinfonien unter André Cluytens – der ersten Gesamtaufnahme der Berliner Philharmoniker – vor. Die EMI-Einspielungen, entstanden zwischen 1957 und 1960, sämtlich bereits in Stereo, waren ursprünglich für den französischen Markt konzipiert und erschienen erstmals 1995, wiederum bei EMI France, auf CD. Es folgten Neuauflagen in den Jahren 2006 und 2013 (zuletzt unter dem Label Erato); zudem waren sie 2017 in der insgesamt 65 CDs umfassenden Mammutbox André Cluytens – The Complete Orchestral & Concerto Recordings inkludiert. Nun legt sie Erato – oder man sollte besser sagen Warner – unter dem Titel Beethoven: 9 Symphonies · Overtures abermals auf, zum ersten Male nicht in erster Linie für Frankreich bestimmt, sondern für den internationalen Markt (Erato 0190295381066). Begründet wird dies mit einem neuen Remastering in 24-bit/96kHz von den Originalbändern durch Studio Art & Son, Annecy, von 2017. Die ältere Erato-Ausgabe ist derzeit offenbar parallel nach wie vor erhältlich, allerdings sogar teurer als die Neuausgabe; die alte Produktion dürfte nach menschlichem Ermessen freilich im Auslaufen begriffen sein.

Zur Bedeutung dieses Zyklus muss aus künstlerischer Sicht an und für sich nicht mehr allzu viel gesagt werden. Nicht nur, weil es sich um die erste Gesamtaufnahme durch das Berliner Philharmonische Orchester handelt, ist sie bedeutsam. Wie sehr seinerzeit noch länderspezifisch für den jeweiligen Markt produziert wurde, ergibt sich bereits aus der aus heutiger Sicht kuriosen Tatsache, dass praktisch gleich nach Vollendung des Cluytens-Zyklus jener, heutzutage viel bekanntere erste Stereo-Zyklus der Berliner Philharmoniker unter Herbert von Karajan in den Jahren 1961 und 1962 eingespielt wurde (wenn auch für die Deutsche Grammophon-Gesellschaft). Auch dieser Umstand dürfte dazu beigetragen haben, dass Cluytens‘ Interpretationen zumindest im deutschsprachigen Raum relativ bald durch andere verdrängt wurden und aus dem Fokus gerieten. In Frankreich und Belgien, dem Geburtsland dieses Dirigenten, der seinen Namen übrigens gerne flämisch „Kleutens“ ausgesprochen wissen wollte, mag das anders gewesen sein. Künstlerisch unterscheiden sich die Ansätze von Cluytens und Karajan jedenfalls deutlich voneinander, repräsentiert letzterer eine modernere Interpretation, die in ihrer gleißenden Schärfe zumindest seinerzeit für Aufsehen sorgte und das Beethoven-Bild entscheidend reformierte. Cluytens hingegen verfolgt einen traditionelleren Stil, der stellenweise eher an Furtwängler gemahnt, also in die Vergangenheit verweist. Überhaupt war André Cluytens ein hervorragender Interpret deutscher Komponisten und jahrelang bei den Bayreuther Festspielen eine Größe, an der man nicht vorbeikam. Seinen Meistersingern etwa sagt man nach, deutscher zu klingen als bei manchem deutschen Dirigenten. So könnte man bei seinem Beethoven auf den ersten Blick eher eine Nähe zum etwa gleichzeitig, ebenfalls von EMI eingespielten Zyklus von Otto Klemperer erkennen, wobei Klemperer bei aller Monumentalität doch nüchtern-sachlich vorgeht, während Cluytens spätromantische Anflüge nicht scheut. So verzichtet er nicht auf eine aus heutiger Sicht etwas altertümliche Agogik, setzt gekonnt hie und da auf Tempowechsel und große Dynamikschwankungen. Es fällt nicht leicht, eine der Sinfonien besonders herauszustellen, doch bekommt diese Herangehensweise gerade der Eroica und der Fünften zugute, die hier sehr wuchtig und ohne Verzicht auf Pathos daherkommen. In der Neunten schließlich wird mit Gré Brouwenstijn, Kerstin Meyer, Nicolai Gedda und Frederick Guthrie ein zwar etwas heterogenes, aber letztlich vorzügliches Vokalistenensemble aufgeboten, unterstützt durch den Chor der St.-Hedwigs-Kathedrale Berlin, der trotz seiner Größe durchaus klar und präzise agiert. Von besonderer Güte auch die fünf Ouvertüren, die gleichsam als Bonus beigegeben wurden: Hochdramatisch besonders jene zu Coriolan und Egmont. Interessant, dass sich Cluytens für die bis heute zu Unrecht stark im Schatten stehende Ouvertüre zum Schauspiel Die Ruinen von Athen einsetzte, die hier eine formidable Wiedergabe erfährt. Komplettiert wird dies durch die Ouvertüren zu Fidelio und Die Geschöpfe des Prometheus.

Es kann nicht ausbleiben, noch ein Wort zum Klangbild zu äußern. Tatsächlich ist dieses trotz des hohen Alters und gewisser Vorbehalte gegen die EMI-Tontechniker jener Tage erstaunlich überzeugend. Die stetigen Verbesserungen der damals noch in den Kinderschuhen steckenden Stereophonie können hier nachvollzogen werden. Einzig die ältesten Produktionen, die Sinfonien Nr. 8 und 9 sowie die Prometheus-Ouvertüre, die bereits 1957 entstanden sind, fallen etwas ab. Bereits bei den Einspielungen vom Folgejahr, der dritten und der fünften Sinfonie, tritt diese leichte Einschränkung nicht mehr auf. Beschlossen wurden die Aufnahmen im November 1960 mit der Fidelio-Ouvertüre und jener zu den Ruinen in Athen. Als Aufnahmeort diente die ob ihrer guten Akustik gerühmten Grunewaldkirche in Berlin. Man hat gar den Eindruck, dass es das Gros der Cluytens-Aufnahmen mit den etwas später entstandenen unter Karajan locker aufnehmen kann, sie womöglich klanglich sogar etwas überflügelt. Dies ist ohne Frage eine weitere Stärke dieser Gesamtaufnahme. Beim genauen Hörvergleich mit der älteren CD-Auflage für EMI France von 2006 fragt sich allerdings, worin das neue Remastering das bereits ausgezeichnete ältere übertrifft. Trotz gewissenhaften Vorgehens konnte nur ein praktisch identisches Klangbild festgestellt werden. Insofern muss sich niemand, der den Cluytens’schen Beethoven bereits besitzt, zwingend auch noch diese Neuauflage ins Regal stellen. Für alle anderen ist es freilich eine willkommene Gelegenheit, dies nun preiswert nachzuholen (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei https://www.warnerclassics.com/). Daniel Hauser

 

Michael Gielen/ Wikipedia

Und noch ein addendum:  Michael Gielen, der 2019 verstorbene große Doyen der neuen Sachlichkeit unter den Dirigenten, hatte in Sachen Beethoven etwas mitzuteilen. Sein bei Hänssler erschienener SWR-Zyklus der neun Sinfonien machte zum Zeitpunkt seines Erscheinens einige Furore. Nun legt Orfeo eine 1985 entstandene Aufnahme der Missa solemnis, produziert vom Österreichischen Rundfunk, erstmals auf CD vor (Orfeo C999201). Die Problematik, welche das Beethovens Schüler Erzherzog Rudolph anlässlich seiner Ernennung zum Bischof von Olmütz gewidmete Werk dem heutigen Publikum bereitet, liegt neben des ihm innewohnenden Bombastes nicht zuletzt in den hohen Anforderungen begründet. Dem wollte Gielen bewusst gegensteuern. Seine Tempi sind eher flott, tendenziell näher an der HIP-Einspielung von Gardiner (Archiv) als bei den Aufnahmen von Klemperer (EMI) oder Karajan (DG). Die einzelnen Sätze sind bei Orfeo übrigens nicht weiter unterteilt, wie in den meisten Einspielungen der Fall; man hat also vier, teils sehr lange Tracks vorliegen. Sehr hochkarätig auch das Solistenquartett, bestehend aus der Sopranistin Alison Hargan, der Mezzosopranistin Marjana Lipovsek, dem Tenor Thomas Moser sowie dem Bariton Matthias Hölle. Mitte der 80er Jahre nahe am Optimum. Welch gewichtiger Dirigent Gielen war, wird man auch daran ermessen können, dass er den Wiener Singverein, der bei dieser und jener Aufnahme als Manko in Kauf genommen werden muss – so auch unter Karajan –, hier auf demselben hohen Niveau erklingen lässt. Kongenial die Leistung des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien. An der Orgel begleitet Rudolf Scholz .(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.) Daniel Hauser

 

Mit Liedern von Ludwig van Beethoven lässt sich Ian Bostridge zum 250. Geburtstag des Komponisten vernehmen. Die CD ist im Oktober 2019 in London aufgenommen worden, damit sie rechtzeitig zum Jubiläum herauskommen konnte. Erschienen ist sie bei Warner (0190295276430). Bostridge hat aber auch schon früher Beethoven in Konzerten gesungen, so 2017 den Zyklus An die ferne Geliebte in der Hamburger Laeiszhalle, der im Zentrum der CD steht. Er versucht es erst gar nicht mit Schöngesang wie einst Nicolai Gedda, Hermann Prey oder Dietrich Fischer-Dieskau. Bostridge bohrt tief in den inhaltlichen Schichten, setzt teils grelle dramatische Akzente. Manchmal kommt es einem so vor, als liege der Vortragende als Ich-Erzähler auf der Couch eines Psychoanalytikers. Dabei gerät die musikalische Linie etwas unter die Räder. Bostridge hält sich gern bei Details auf und malt sie voller Zerknirschung und Schwermut aus. Seine Interpretation, an der man mit der Zeit durchaus Gefallen finden kann, wirkt sehr bildhaft. Sie könnte die Tonspur für einen Film sein. Im gleichen Interpretationsstil schließt sich das Lied „Adelaide“ fast nahtlos wie ein Bestandteil des Zyklus an.

Editorisch sehr verdienstvoll ist die Aufnahme aller vier Fassungen des Liedes „Sehnsucht“ nach einem Gedicht Goethes aus dem Bildungsroman Wilhelm Meisters Lehrjahre. Beethoven hatte die unterschiedlichen Versionen auf dem Autograph damit begründet, dass es ihm an Zeit mangele, ein einziges gutes Lied hervorzubringen. Boistridge aber macht die Erklärung des Komponisten vergessen und formt aus jeder Version ein eigenes Meisterwerk. Ins Programm der CD aufgenommen wurden auch das „Flohlied“ aus Faust„Ich liebe dich“„Un questa tomba oscura“„Maigesang“„Andenken“ und „Resignation“. Auch sprachlich ganz in seinem Element ist Bostridge, dessen Deutsch nach wie vor problematisch ist und zu wünschen übrig lässt, in einer Auswahl aus der reichen Sammlung von Volksliedern, die teils auf Textvorlagen von Walter Scott beruhen. Zum Abschluss noch einmal eine Goethe-Vertonung: „Marmotte“ aus seinem Schwank Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern.

Als Begleiter kehrt Antonio Pappano, der jetzt hauptsächlich als Dirigent tätig ist, an die Ursprünge seines musikalischen Wirkens zurück. im Alter von einundzwanzig Jahren war er nach grünlicher Ausbildung als Probenpianist an der New York City Opera engagiert worden. Bei den Volksliedern kommen zusätzlich Vilde Frang (Violine) und Nicolas Altstaedt (Cello) zum Einsatz (Foto Simon Fowler/ Warner). Rüdiger Winter

 

 

Mit einer neuen Gesamtausgabe auf 118 CDs und mehreren DVDs feiert die Deutsche Grammophon das Beethoven-Jahr. Die fünf Klavierkonzerte interpretiert der kanadische Pianist Jan Lisiecki. Er ist es auch, der Matthias Goerne (Foto oben/ DG/ Marie Staggat)auf seiner aktuellen CD mit Liedern des Komponisten begleitet (00289 483 8351). Der deutsche Bariton kehrt damit – nach mehreren Jahren der Bindung an harmonia  mundi – zum Universal-Konzern zurück, bei dem er die ersten Jahre seiner Karriere unter Vertrag stand. 2005 veröffentlichte die Decca einen Liederabend Goernes mit Alfred Brendel aus der Londoner Wigmore Hall von 2003, in welchem neben Schuberts Schwanengesang Beethovens An die ferne Geliebte auf dem Programm stand. Bislang war dies das einzige offiziell existierende Beethoven-Dokument mit dem Sänger auf CD. Der Zyklus findet sich nun auch auf der neuen Platte, die im Juli 2019 im Berliner Teldex Studio aufgenommen wurde. Der Vergleich nach 16 Jahren ist aufschlussreich. In der ersten Studio-Aufnahme klingt die Stimme jugendlicher und leichter, doch in der Gestaltung noch nicht so prägnant wie heute.

Eröffnet wird das Programm der CD mit den 6 Liedern op. 48 auf Gedichte von Christian Fürchtegott Gellert, die Goerne 2003 bei den Schwetzinger Festspielen interpretierte, wovon unter Sammlern ein privater Mitschnitt kursiert. Also auch hier derselbe zeitliche Abstand wie bei der Fernen Geliebten und vergleichbare Erkenntnisse. Das erste Lied („Bitten“)  erklingt in ganz schlichtem, verinnerlichtem Ton und suggeriert einen tief gläubigen Menschen. Voll energischer Strenge  dagegen das folgende „Die Liebe des Nächsten“, das Barmherzigkeit und Nächstenliebe preist. „Vom Tode“ handelt mit ernsten Tönen vom unausweichlichen Ende des Menschen und stellt den Klangreichtum der sonoren Stimme besonders heraus. Autoritären Nachdruck besitzen „Die Ehre Gottes“ und „Gotttes Macht und Vorsehung“. Den Zyklus beschließt das nachsinnende und sich zur Zuversicht wandelnde „Bußlied“.

Erstmals von Goerne zu hören sind elf Lieder, die zwischen den beiden Zyklen positioniert sind, von denen „Adelaide“ das bekannteste ist. Deren Beginn intoniert der Pianist wunderbar kantabel, der Sänger nimmt diese Vorgabe auf und formt zärtlich-weiche Töne von feinster Lyrik, die erst am Schluss einem drängenden Duktus weichen. Auch die einleitende „Resignation“ oder der später folgende „Maigesang“ sind gelegentlich zu hören, kaum dagegen „Der Liebende“ (nach Christian Ludwig Reissig) und „Klage“ (Ludwig Hölty). Hier hört man eine vielfältige Palette von Farben und Stimmungen: verhalten und zögerlich die „Resignation“, munter und hoffnungsvoll „Gesang aus der Ferne“, schlicht und volksliedhaft der „Maigesang“, erwartungsvoll bebend „Der Liebende“, resignierend wehmütig die „Klage“, lebhaft auftrumpfend „An die Hoffnung“, wehmütig die „Wonne der Wehmut“, sanft und tröstlich „Das Liedchen von der Ruhe“ . Den Abschluss dieser Gruppe bildet „An die Geliebte“ (Joseph Ludwig Stoll) – quasi als Einstimmung auf den danach folgenden berühmten Zyklus als Ende der Programmfolge.

Schon dessen Beginn, „Auf dem Hügel sitz ich“, bestimmt die Atmosphäre dieser Strophenlieder zwischen Sehnsucht, Verlangen und Resignation. Dies setzt sich fort im träumerischen „Wo die Berge so blau“ bis zum „Nimm sie hin denn, diese Lieder“, wo das Klavier das Thema des ersten Liedes wieder aufnimmt.

Der Sänger ist bekannt dafür, mit renommierten Pianisten zusammenzuarbeiten, um sich gegenseitig zu befruchten und mit wechselseitigen Impulsen zu bereichern. Das beweist seine Schubert-Edition bei hm, wo ihm eine Elite von Liedbegleitern zur Seite steht. Stets ist es dem Sänger auch ein Anliegen, mit Künstlern der jungen Generation aufzutreten und aufzunehmen. Jan Lisiecki ist dafür (neben Daniil Trifonov) ein treffliches Beispiel. Den höchst anspruchsvollen Klavierpart absolviert der Kanadier meisterhaft, ist darüber hinaus dem Sänger ein einfühlsamer und inspirierender Partner. Bernd Hoppe 

 

Optisch deutlich unter Wert verkauft hat Naxos zwei bemerkenswerte neue Einspielungen von Werken Ludwig van Beethovens: König Stephan (8.574042) und Die Ruinen von Athen (8.574076). Das Label ist seinem Prinzip treu geblieben, auch exklusive Titel ohne viel Schnickschnack unter die Leute zu bringen. Neuerscheinungen bei Naxos wollen und müssen entdeckt werden. So war es immer. Großer Verbreitung auf Tonträgern und im Konzertsaal erfreuen sich die Ouvertüren zu diesen Schauspielen. Auch die einzelnen musikalischen Nummern – Chöre, Zwischenmusiken, Märsche, Arien, Duette – sind nicht nur einmal vollständig aufgenommen worden. König Stephan hielt mit dem Dirigenten Myung-Whun Chung als deutsch-italienische Koproduktion Einzug in eine Beethoven-Edition der Deutschen Grammophon. Bernhard Klee (Polydor), Karl Anton Rickenbacher (Koch Classics), Wilfried Böttcher (Bella Musica) und Hans Hubert Schoenzeler (Brilliant) nahmen sich der Ruinen von Athen an. Eine Einspielung und gemeinsame Veröffentlichung beider Stücke durch das ungarischen Label Hungaroton mit Margit Laszlo und Sandor Solyom Nagy als Gesangssolisten unter Geza Oberfrank führte nach Budapest und damit an den Ort des historischen Anlasses für die Entstehung beider Festspiele. Naxos legt erstmals die kompletten Werke vor, zur Musik auch den gesprochenen Text. Deshalb wäre es wünschenswert gewesen, dies gleich auf den CD-Covern herausgestellt zu sehen. So entsteht zunächst der flüchtige Eindruck, als sei wiederum nur die Musik bedacht worden. Einzig bei den Ruinen von Athen ist auf der Rückseite vermerkt, dass es sich um eine „World premiere recording of version with Narration“ handelt.

Das neue Theater in Pest während einer Überschwemmung der Stadt., 1889 bei einem Brand zerstört./ Wikipedia

Beethoven hatte die Bühnenmusiken für das neue Theater in Pest, das seinerzeit noch eine selbstständige Stadt war und erst 1873 mit den ebenfalls eigenständigen Buda zu Budapest zusammengelegt wurde, komponiert. Dazu brauchte er nur wenige Wochen. Die für Oktober 1811 in Aussicht genommene Eröffnung musste auf den 9. Februar 1812 verschoben werden. In dem Haus, das über dreitausend Plätze verfügt haben soll, wurde ausschließlich in deutscher Sprache gespielt – neben Schauspielen auch Opern und Operetten. Zwischenzeitlich nahm es bei einem Brand Schaden, wurde aber umgehend wieder aufgebaut. Mit der Revolution 1848/1849 kam der Betrieb zum Erliegen. 1889 brannte das Gebäude vollständig ab. Es existiert also nicht mehr.

Die Initiative zu dem Theaterneubau war 1804 ausgegangen von Franz II., (letztem) Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Erzherzog von Österreich, der noch im selben Jahr als Franz I. das Kaisertum Österreich begründete. Damit sollte die Treue Ungarn zur österreichischen Monarchie symbolisiert werden. Dementsprechend musste auch die feierliche Einweihung mit König Stephan als „Vorspiel mit Chören“ und den Ruinen von Athen als „Nachspiel mit Chören und Gesängen“ vonstattengehen. Als Textdichter war der in hohem Ansehen stehende August von Kozebue gewonnen worden, für die Musik der auf dem Höhepunkt seines Schaffens stehende Beethoven. Dem Publikum der Uraufführung waren die Libretti gedruckt gereicht worden. Erhaltene Exemplare sind rar. Digitalisiert stehen sie bei der Library of Congress in Washington – der größten Bibliothek der Welt – kostenlos über das Netz zur Verfügung. Nicht in den Booklets, wohl aber auf der eigenen Internetseite bietet Naxos moderne Abschriften an.

Das originale Libretto der „Ruinen von Athen“ :  Naxos bietet den Text als Abschrift auf seiner Internetseite an/ Wiki

Revolutionäre Theaterstücke, die dem Freiheitsgedanken huldigen wie Fidelio oder die 9. Sinfonie, sind nicht zu erwarten. Im Gegenteil. Dem Anlass gemäß werden Pathos und Heldenverehrung historisch verbrämt und mit antiker Garnierung gereicht. Auch das ist Beethoven. Er lebte von Aufträgen. In den Ruinen von Athen, die zuletzt herausgekommen sind, erwacht die Göttin Athene – hier als Minerva auftretend – nach tausenden von Jahren. Getrieben von der Sehnsucht, die ihr geweihte Stadt mit dem Parthenon wiederzusehen, findet sie sich in Ruinen wieder. Athen steht unter osmanischer Herrschaft, der legendäre Turm der Winde ist eine Moschee. Derwische huldigen ihrem großen Propheten und der Kaaba, was Minerva ihrerseits als „barbarisches Geschrei“ wahrnimmt. Ein türkischer Marsch, der zu den Zugnummern des Werkes gehört, verbreitet mehr eingängig-flotte Folklore als Schrecken. Nachdem die Göttin ein in Musik gesetztes Gespräch eines griechischen Mädchen und eines Griechen mit angehört hatte, bei dem diese Menschen aus dem Volke beklagen „ohne Verschulden Knechtschaft dulden“ zu müssen, entschließt sie sich zur Flucht. Sie begibt sich auf die Suche nach einer neuen Heimat, wo „Wissenschaft und Künste blühen“. Denn wo man die holden Musen feiere, da „steht gewiss auch mein Altar“. Von Merkur geleitet, gelangt sie nicht ganz zufällig nach Pest. Von einem Greis erfährt das mythologische Paar, bei einem Volk angelangt zu sein, dem „die alte Treue für seinen König nie erstarb“. Dieses Volk nun schickt sich an, das Theater, diesen neuen Tempel der Musen, in Besitz zu nehmen. Und Merkur ruft Minerva zu: „Vergiss dein Griechenland, es ist gewesen, das Alte schwand, das Neue begann.“ Die Musik- und Theatermusen Thalia und Melpomene werden enthusiastisch gefeiert. Und so schließt das Festspiel damit, dass sich Zeus, der Vater Minervas, dazu herablässt, ein Bildnis des Kaisers Franz auf dem Altar der Kunst zwischen die beiden Musen zu stellen. Mit dem Chor „Heil unserm König! Heil! Vernimm uns Gott. Dankend schwören wir aufs Neue alte ungarische Treue bis in den Tod!“ endet das Spiel.

Der Textdichter beider Werke: August von Kotzebue (1761-1819) Wikipedia

Ohne die Einbettung in das Gesamtwerk bleiben die musikalischen Nummern unverständlich. Andererseits ist es schwer vorstellbar, eine Schöpfung wie die Ruinen von Athen einem heutigen Publikum bei einer öffentlichen Aufführung zuzumuten. Das Wissen um die Mythologie und ihre Gestalten sowie sehr spezielle historische Ereignisse sind nicht mehr so verbreitet wie einst. Aspekte, die als islamfeindlich wahrgenommen werden könnten, ließen sich auch mit Mitteln des zeitgenössischen Theaters schwerlich relativieren. Umso verdienstvoller ist es, derartige Stücke komplett wenigstens als CD-Produktion zugänglich zu machen, zumal in einem Jubiläumsjahr, in dem solche Ausgrabungen mehr wiegen sollten als eine neue Einspielung aller Sinfonien. Zu danken ist die Ausgrabung dem finnischen Dirigenten Leif Sergerstam, dem Chorus Cathedralis Aboesis und dem Turku Philharmonic Orchestra. Es war eine glückliche Wahl, deutschsprachige Schauspieler zu verpflichten. Sie garantieren die Textverständlichkeit. Angela Eberlein spricht die Minerva, Claus Obalski den Merkur, Roland Astor unter anderen den Greis. Die drei Gesangspartien, das griechische Mädchen und der Grieche sowie der Hohepriester, der am Schluss in Erscheinung tritt, sind mit Reetta Haavisto und Juha Kotilainen besetzt. Gewiss kann die ambitionierte Neuerscheinung das Werk als Ganzen nicht retten. Es wird sein Nischendasein auch künftig führen und weiterhin vornehmlich als Gelegenheitsarbeit des Komponisten wahrgenommen werden.

Wer sich aber tiefer hineinhört, findet einen Einfallsreichtum, wie ihn nur ein Beethoven hervorbringen kann. Als ob sich die Musik über den abstrusen Inhalt erhebt. Dreimal gehört, und bestimmte Passagen gehen einem nicht mehr aus dem Kopf. So ist es vielleicht auch Richard Strauss ergangen, der eine tiefe Neigung zu antiken Stoffen hatte. Der benutze nämlich Beethovens Musik für seine neue Bearbeitung nach einem Schauspiel von Hugo von Hofmannsthal, das genauso in der Versenkung verschwunden ist wie das Original (Foto oben Winter). Rüdiger Winter

 

Wirklich große Komponisten zeichnen sich unter anderem auch dadurch aus, dass sie selbst zu eher mediokren Vorlagen grandiose Musik beisteuern können. Im Falle Ludwig van Beethovens, des heurigen Jubilars, trifft dies für einige bühnenmusikalische Gelegenheitswerke zu, von denen allenfalls noch die Ouvertüren im Konzertsaal erklingen. König Stephan, Ungarns erster Wohltäter ist solch ein Fall. Zusammen mit Die Ruinen von Athen erklang das Werk erstmals im Jahre 1812 anlässlich der Einweihung des neuen Theaters in Pest, dem heutigen Budapest. Die Texte steuerte mit August von Kotzebue eigentlich eine literarisch durchaus bedeutende Persönlichkeit bei, die freilich insbesondere durch die Umstände ihres gewaltsamen Todes in die Geschichte eingehen sollte. Das Sujet allerdings war insbesondere bei König Stephan dann eben doch die aus heutiger Sicht eher plump anmutende Verherrlichung der Habsburgermonarchie, die sich selbstredend als nahtlosen Erben des ersten christlichen Königs von Ungarn begriff. Dessen Ehe mit Gisela von Bayern, der Schwester des späteren Kaisers Heinrich II. (des Heiligen), mutet ein wenig an wie ein Blick in die damalige Zukunft, sollten doch sowohl der Widmungsträger der Komposition, Kaiser Franz I. von Österreich, als auch (ungleich berühmter) dessen Enkel Franz Joseph bayerische Prinzessinnen zur Gemahlin erwählen (in Franzens Falle übrigens erst in Ehe Nummer vier). Trotz reichlich viel überhöhtem Pathos kann doch zumindest die herrliche Ouvertüre bestehen, die so überhaupt nicht nach einem mittelalterlichen ungarischen König klingt und unter Kennern als Geheimtipp unter den Beethoven’schen Vorspielen gilt. In den übrigen 22 Nummern viele Chöre, Melodramen und ein paar Märsche, alles durchaus anhörbar, wenn auch schwerlich das sonstige Niveau Beethovens erreichend. Insgesamt vier Sprechrollen (Claus Obalski, Roland Astor, Ernst Oder und Angela Eberlein) sieht der Komponist hier vor. Verantwortlich zeichnet auch diesmal die finnische Dirigentenlegende  Leif Segerstam, der sich jetzt im Alter tatsächlich vermehrt der mitteleuropäischen Wiener Klassik zuzuwenden scheint. Zumindest hat er für Naxos in jüngster Zeit einiges von Beethoven eingespielt, darunter etliche Raritäten. Die größtenteils finnischen Kräfte wissen durchaus zu überzeugen, so besonders die beiden beteiligten Chöre, zum einen das Key Ensemble, einer der führenden Kammerchöre Finnlands, sowie der Chorus Cathedrals Aboensis. Es spielt, wie üblich, das Philharmonische Orchester Turku. Und auch die verhältnismäßig gut dokumentierte Ouvertüre zu König Stephan hat man schon bezwingender vernommen (Ferencsik, Szell und Klemperer). Alles in allem gleichwohl eine erfreuliche Neuproduktion, eine der wenigen Gesamtaufnahmen dieser Bühnenmusik überhaupt. Daniel Hauser

 

Würdiges Geburtstagsgeschenk. In die Schar der Gratulanten zum 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens reiht sich auch Chen Reiss, Sopran aus Israel und Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, ein. „Immortal beloved nennt sich ihre CD mit Arien vor allem noch des Bonners, begleitet wird der Sopran von der auf Originalinstrumenten spielenden Academy of ancient music unter der Leitung von Richard Egarr.

Vom ersten Ton an überrascht und erfreut die Unmittelbarkeit der Kommunikation mit dem Hörer ebenso wie die Frische der Stimme, ihre Jugendlichkeit und ihre Klarheit. Aus den ungefähr 600 Gesangsstücken, die Beethoven im Verlauf seines Lebens komponierte, hat Chen Reiss vor allem solche ausgewählt, die bereits in Bonn entstanden sind. Dazu gehört auch eines mit ziemlich schrecklichem Text auf die Krönung Erzherzogs Leopold zum Kaiser, eine wahre Bravourarie, der die Leichtigkeit der Acuti zu Gute kommt, die einer Blonde oder eines Ännchen würdig sind. Der Sopran hat aber  darüber hinaus weit mehr Substanz und einen beachtlichen Kern, die zu den sauberen Koloraturen kommen, so dass die hohl tönenden Worte eines gewissen Severin Anton Averdonk zur vernachlässigbaren Nebensächlichkeit werden.

Befreit von den Verschlimmbesserungen Salieris hat die Sängerin, die sich auch Gedanken über des Komponisten kompliziertes Liebesleben gemacht hat, den zweiten  und dritten Track, Scena ed Aria „No, non tubarti“, für die die Stimme einen schmerzlichen Klang annimmt. Trotz des lyrischen Zuschnitts zeigt sie eine enorme akustische Präsenz für „Ma tu tremi“. Über „Il primo amore“ hat sich das Booklet Gedanken gemacht, der Verfasser Andrew Stewart meint in ihm Erfahrungen Beethovens mit seiner ersten Liebe Jeanette d’Honrath verarbeitet zu sehen, zu hören ist eine Stimme mit unverwechselbarem Timbre und manchmal leichter, nie unangenehmer Schärfe. Recht dramatisch und besonders für die Orchesterbegleitung typisch beethovenisch wird es ab „non cognosce il vero amore“, ehe der Sopran zu einem gut tragendem Piano zurückkehrt, ein mehraktiges Drama aus dem Track macht mit einem „morte“ von dunkler Färbung und einem leuchtenden „piacer del ciel“.

„Soll ein Schuh nicht drücken“ lässt Ironiespritzer aufblitzen, ist von komischem Pathos und wird von einem sieghaften Spitzenton gekrönt. Das Auftrittslied der Marzelline zeigt weit mehr als eine Soubrette, stattdessen eine selbstbewusste junge Frau, deren Stimme in Vorahnung des Eheglück strahlen kann. Von frischem Übermut ist aus der Musik zu Goethes Egmont Klärchens „Die Trommel gerühret“, sehr beherzt und schwungvoll begleitet. Extrem ausgereizt werden die Kontraste in ihrem „Freudvoll und leidvoll“. Für eine andere jugendliche Heldin im Soldatenrock, für Eleonora Prohaska, ist die Romanze „Es blüht eine Blume“ bestimmt, die Chen Reiss, von sensiblen Harfenklängen begleitet, mit anmutiger Naivität erfüllt.

Die beiden letzten Tracks sind Scena ed aria „Ah! perfido“, sie zeigen noch einmal, wie substanzreich der Sopran bei aller lyrischen Gestimmtheit ist im Zusammenwirken von Reinheit und Klarheit mit schönem Ernst, so im „voglio morir per lui“, wie ebenmäßig der Fluss des Soprans ist, der schweben, aber auch eindrucksvoll wüten kann.  Man kann annehmen, dass sich Beethoven über diese Interpretation seiner Werke gefreut hätte (Onyx 4218). Ingrid Wanja

 

Das Jahr ist noch jung, der Überdruss aber schon groß: das Beethoven-Jubiläum droht zu einem öden Schauspiel zu werden. Das hängt zum einen für die CD-Produktion damit zusammen, dass die Majors viele ihrer Produkte schon Ende 2019 auf den Markt geworfen haben, um den Konkurrenten zuvorzukommen; da alle auf denselben Gedanken gekommen sind, ist der an sich gesättigte Markt schon vier Wochen nach Beginn des Gedenkjahres übersättigt von Boxen, die keiner will. Zum anderen gaukelt man im Konzertwesen Events vor, die keine sind. Typisch dafür sind etwa die Reenactments, in denen in Cardiff und Wien jene berühmte Beethoven-Akademie von 1808 nachgespielt wurde. Keine schlechte Idee an sich, aber da Beethoven damals das vierte Klavierkonzert, die Fünfte und die Pastorale ins Programm aufnahm, wurden letztendlich auch nur tausendmal gehörte Stücke zu Gehör gebracht. Das ist praktisch für denkfaule Solisten, Dirigenten und Impresari, aber der Musikliebhaber gähnt sich dabei zu Tode.

Der junge Hugo Wolf/ Foto Hugo Wolf Akademie

Dass es anders geht, zeigen intelligente Interpreten, die wirklich Neues wagen. Das Siemens Orchester in Erlangen hat sogar auf Ungehörtes gesetzt. Im Jahre 1876 nahm sich der damals 16jährige Konservatoriumsschüler Hugo Wolf Beethovens Sonate op. 27 Nr. 2, die sogenannte Mondscheinsonate, vor und orchestrierte sie. Die Annalen verzeichnen gelegentlich Versuche dieser Art. So machte der heute vergessene Münchner Komponist Heinrich Ludwig Spengel (1775-1865) hörenswerte Symphonien aus den Quartetten op. 18. Die durch Felix Weingartner 1925 für Orchester gesetzte Hammer-Klaviersonate mag Beethoven-Groupies anekeln, sie ist jedoch weit mehr als nur der bizarre Auswuchs einer fehlgeleiteten Beethoven-Verehrung. Gespielt werden diese Werke, die eine angenehme Alternative zu lustlos abgespulten Beethoven-Originalen bieten könnten, leider nicht mehr.

Umso dankbarer war man, die Mondscheinsonate in Wolfs Bearbeitung als Uraufführung fast 150 Jahren nach ihrer Entstehung hören zu dürfen. Es ist insgesamt zwar kein Meisterwerk, doch lässt der erste Satz aufhorchen: Wolf überträgt die Melodie der rechten Hand den Hörnern (hier exzellent gespielt von Kay Herold und Gaby Lorenz), die äußerst effektvoll über einem dunklen Klangteppich schweben. Weniger gelungen hingegen ist in der Tat der schülerhaft gesetzte zweite Satz, in dem ein einfältig anmutender Dialog zwischen Streichern und Bläser die falsche Naivität des Allegretto ins 18. Jahrhundert schleudert . Den dritten Satz ließ Wolf hingegen links liegen. Im Konzert gab es die seltene Möglichkeit, eine zweite überraschende Bearbeitung der Mondscheinsonate kennenzulernen: der nach c-moll transponierte erste Satz diente dem Dresdner Gottlob Benedict Bierey (1772-1840) als Grundlage für ein „Kyrie“ mit Chor, darin einer Praxis folgend, die ihren Höhepunkt im späten 18 Jahrhundert erreicht hatte (ich denke hier etwa an die Messen nach Themen aus Mozarts „Don Giovanni“, „Zauberflöte“ und sogar „Così fan tutte“). Man staunte, wie gut diese eigenartige Verkirchlichung über den Ursprung des Satzes täuschen konnte.

Das Siemens Orchester spielte diese und die anderen Stücke des Abends (darunter  die Violinromanze op. 50, die Konzertmeister Michael Sigler mit schlankem Ton zum Besten gab, und die durch einen kurzen, witzigen Text von Marec Béla Steffens angereicherten Ausschnitte aus  dem Ballet „Die Geschöpfe des Prometheus“) mit Aufmerksamkeit und Disziplin. Dirigent Lukas Meuli begnügte sich nicht, die freiwilligen Überstunden seiner Truppe mit nachsichtigem Entgegenkommen zu belohnen, sondern spornte sie unablässig an und erzielte eine lebendige, der Musik angemessene Kontrastierung der Klangebenen. Das „Kyrie“ von Bierey und den „Elegischen Gesang“ op. 118 sang mit großer Innigkeit die vorzügliche Stadtkantorei Fürth unter der Gesamtleitung von Ingeborg Schilffahrt. Das sehr zahlreiche erschienene Publikum spendete zu Recht viel Applaus für eine überaus originellen und anregenden Beitrag zum Beethoven-Jahr (Konzert am 2. Februar 2020). Michele C. Ferrari

 

Das Beethoven-Jahr hat kaum begonnen, und schon können sich neben dem Musik-Giganten in den Klassik-Charts gerade noch Jonas Kaufmann mit seinen Wiener Liedern und das Neujahrskonzert der Wiener behaupten. Auch Naxos hat vorgesorgt mit dem ersten Teil einer Einspielung aller Lieder des Bonner Komponisten im Sommer 2018. Das Besondere an der CD ist das mehrmalige Nacheinander dreier verschiedener, wenngleich nicht allzu verschiedener Fassungen von bekannten Liedern wie Mignons „Sehnsucht“, Klärchens, der Geliebten Egmonts  „Freudvoll und leidvoll“ und „An die Geliebte“, allerdings nicht die „ferne“. Die meisten Texte stammen von Goethe und zwar aus seiner Sturm- und Drang-Zeit, ansonsten kommen mit Gellert der Pietismus und mit der Gattin Brentanos, Sophie Mereau, die Romantik zum Zuge. Neben deutschen Texten gibt es auch zwei italienische, darunter zwei Fassungen von „Dimmi, ben mio“ in doppelter Version.

Vier Sänger teilen sich die Aufgaben, darunter mit nur einem Beitrag, „In questa tomba oscura“ der Bass Ricardo Bojórquez mit reichlich verquollener, unausgeglichener Tongebung. Das Tenorfach ist mit Rainer Trost vertreten, der mit schöner Farbe einer jünglingshaft klingenden Stimme Höltys „Klage“ beredten Ausdruck verleiht. Wahrlich stürmend und drängend ertönt „Neue Liebe, neues Leben“, mit feinem Zögern im Mittelteil und mit dem hurtigen Klavier im Wettstreit. Der recht banale Text von „Gesang aus der Ferne“ (nicht von Goethe) wird nicht nur durch die Komposition, sondern zusätzlich durch den lebendigen, leidenschaftlichen Vortrag aufgewertet. Dass der Tenor auch eine ausdrucksvolle Tiefe hat, beweist er mit „Dimmi, ben mio“, die zweite Version wird dramatischer als die erste angelegt. Balsamisch klingt „Wonne der Wehmut“, baritonal gefärbt „Traute Henriette“.

Die zweite Säule der CD ist der Bariton Paul Armin Edelmann, der mit „Erlkönig“ beginnt, das Rollenspiel konsequent durchzieht und zu einem beeindruckenden Schluss findet. Die drei Fassungen von „An die Geliebte“ beeindruckenden besonders durch das fein variierende „mein, mein“. Wunderbar passt die virile Stimmfarbe zu Gellerts „Bußlied“, dazu erfreut die ernsthafte, durch und durch protestantische Haltung, die in der Interpretation zum Ausdruck kommt. Eine schöne Feierlichkeit vermag der Sänger mit „Opferlied“ zu vermitteln.

Irritiert ist man vom Sopran Elisabeth Breuers, die Mignons „Sehnsucht“ in dreifacher Fassung singt, nicht weil man sich einen Mezzosopran für die Figur wünscht, sondern weil ihr Sopran allzu soubrettenhaft zwitschernd, zu säuselnd und manieriert klingt. Auch für das beherzte Klärchen wünscht man sich eine weniger tändelnd klingende, weniger kindlich aufgefasste Verkörperung. Weit mehr gefallen kann da die Interpretation des volksliedhaften „Gretels Warnung“. Stets auf der Höhe der Situation zeigt sich die Pianistin Bernadette Bartos (Naxos 8.574071). Ingrid Wanja

 

Beethovens „Leonore“: Anna Milder-Hauptmann (1785–1838), die erste Leonore in allen drei fassungen/ Wiki

Allzu viele Einspielungen der kompletten Beethoven’schen Schauspielmusik zu Goethes Trauerspiel Egmont gibt es auf dem Markt nicht. Daher ist die Neueinspielung, welche Naxos (8.573956) nun unter der finnischen Dirigentenlegende Leif Segerstam vorlegt, erst einmal zu begrüßen. Als Klangkörper fungiert das an der Südspitze Finnlands situierte Philharmonische Orchester Turku, welches, 1790 gegründet, im Übrigen das älteste Orchester des Landes darstellt. Tatsächlich ist diese Aufnahme so etwas wie ein letztes Aufbäumen der großen Alten aus dem Norden. Zu meiner Überraschung ist niemand Geringerer als Matti Salminen mit von der Partie. Zwar gab dieser im Dezember 2016 bereits seinen Bühnenabschied bekannt, allerdings kehrte er anlässlich einer Reihe von Festaufführungen von Wagners Meistersingern unter Daniel Barenboim an der Staatsoper Unter den Linden im April 2019 dann doch wieder auf die Bühne zurück. So sollte es gar nicht so sehr verwundern, dass er sich anlässlich dieser im Jänner 2018 in Turku eingespielten Produktion zur Übernahme der Sprecherrolle aufraffen konnte. Vielleicht mag da auch die langjährige und dem Vernehmen nach sehr enge Freundschaft mit Segerstam eine gewisse Rolle gespielt haben. Wie dem auch sei: Jedenfalls konnte Naxos diese Aufnahme initiieren, ergänzt um die ebenfalls finnische Sopranistin Kaisa Ranta als Klärchen. So begrüßenswert dieses Vorhaben auch ist, kann es insgesamt nicht auf ganzer Linie als gelungen bezeichnet werden. Dies liegt leider gerade auch an Salminen, der hier zuweilen etwas unbeweglich daherkommt. An die wienerische Noblesse eines Karl Paryla unter Scherchen (Tahra) oder an die zugespitzte Dramatik eines Klausjürgen Wussow unter Szell (Decca) darf man nicht denken.

Kaisa Ranta absolviert ihre Aufgabe mit angenehmem Timbre sehr gediegen und mit tadelloser deutscher Diktion. An die großartigen Leistungen einer Gundula Janowitz unter Karajan (DG) oder einer Pilar Lorengar unter Szell (Decca) kommt sie freilich nicht heran. Die orchestrale Begleitung Segerstams gerät auch etwas pauschal. Daher sind es eher die Beigaben, die diese CD dann doch noch empfehlenswert machen: Die Einleitung zum zweiten Akt von Leonore (Fassung 1805), der Trauermarsch aus Leonore Prohaska und der Triumphmarsch aus Tarpeja. Von diskographischem Interesse auch die von Franz Beyer 1982 rekonstruierte Orchesterfassung der sechs Menuette WoO 10. Klangtechnisch gibt es nichts zu beanstanden. Daniel Hauser

 

Un vrais Héros francais

 

Eine der wirklichen Superstimmen im großen französischen Repertoire, Le Grand Repertoire, war Gustave Botiaux, in operalounge.de bereits mit einem schönen Farbfoto von einer Orphée-LP im Artikel über Reyers Sigurd vorgestellt und sogar im Original zu Pferd abgebildet. Irre!.

botiaux sigurdAuf alten Editionen wie der inzwischen vergriffenen von opera-club.net  meines verstorbenen Freundes Walter Knoeff (rip) fand sich zudem eine ganz spektakuläre Sammlung des Sängers  (geb. am 14. Juli 1926), die volle zwei CDs zusammenfasste und die ihn in Bestform im angestammten Fach des heroischen französischen Tenors zeigt, bestens aufbereitet und schlicht Staunen lehrend, denn hier brüllt keiner wie Py, Chauvet oder Poncet: Hier singt eine große und leuchtende Tenorstimme lyrisch, dabei kraftvoll und durchschlagend, ohne  auf Stimmschönheit zu verzichten. Dazu kommt die hochintelligente, rollengestaltende  Phrasierung (was man weder Chauvet noch Poncet nachsagen kann). Und natürlich die Diktion! Zum Mitschreiben, zum Mitsingen, jedes Wort verständlich. Ich würde mich in Sachen Stimmumfang und Stimmführung  sogar zu einem Vergleich mit Siegfried Jerusalem versteigen, der natürlich später und deutsch sang, aber der ähnlich seine schöne Stimme nicht forcierte und eben das Lyrische darin bewahrte. Ähnlich geht es mir bei Botiaux, dessen Sigurd eingangs auf der ersten CD mich betört und verzückt. Amazon, Spotify, youtube und andere Platformen machen zudem viele seiner Aufnahmen zugänglich.

Gustave Botiaux und seine Frau, die Sopranistin Sylvie/artslyriquefr.fr

Gustave Botiaux und seine Frau, die Sopranistin Jacqueline Sylvie/ artslyriquefr.fr

Gustave Botiaux machte beim Nationalen Gesangswettbewerb in Cannes 1945 den ersten Preis und wurde sofort als erster Tenor an das Théâtre de la Monnaie in Brüssel engagiert. Die Pariser Oper folgte bald darauf 1956 (als Messenger in Samson et Dalila, vorher die Comique mit Turiddu), an der er für viele Jahre im ersten Fach sang (erst kleine Partien wie den Tierverkäufer (Rosenkavalier) im 1. Akt, dann auch den Italienischen Sänger 1957, später Faust, Cavaradossi, Le Duc/Rigoletto 1960, Radamès). Wie opera-club.net schreibt, besaß Botiaux einen Stimmton seltener Klangschönheit, dazu war er ein schöner Mann auf der Bühne (wie die Fotos bestätigen) und beeindruckte mit seiner athletischen  Figur und einem gewissen raumverdrängenden Charisma, das ihn schnell in die übrigen Theater Frankreichs brachte.

In jener Periode erlebte die Opéra-Comique einige ihrer besten Jahre der Nachkriegszeit, auch mit einem expansiveren Repertoire wie Cavalleria und Pagliacci, und in der ersteren Oper beeindruckte 1956 der hochpräsentable Botiuax außerordentlich, während Tony Poncet den Canio gab – quelles riches!

Zwei seiner wichtigsten Rollen verdankte er der Provinz – Vasco de Gama und der Sigurd, in denen er unerreicht war und die er dort, wie in Marseille und Vichy, mit Ausdauer sang. Und es ist ein Jammer, dass Chauvet die Radioaufnahme der Reyerschen Oper (unter Rosenthal beim RTF/Chant du Monde und bis heute die einzige Gesamtaufnahme) bekam. Aber mit Botiaux gibt es einen großen Querschnitt bei Orphée/Musidisque neben seiner Partnerin Lyne Cumia unter Etcheverry.

Andrea Guiot und Gustave Botiaux in einem PR-Foto für den "Faust"-Querschnitt bei Vega/OBA

Andrea Guiot und Gustave Botiaux in einem PR-Foto für den „Faust“-Querschnitt bei Vega/OBA

Natürlich wurde in jenen Jahren fast ausschließlich in der nationalen Sprache gesungen, und der Dick Johnson in La fille de far West Puccinis wurde ebenfalls zu einer seiner Schlüsselrollen, ebenso Radamès oder Cavaradossi. Krankheit hinderte Botiaux von 1964 bis 1968 an Opernauftritten. Mit einem Wiederauftritt kehrte er im Triumph als Jean in der Hérodiade/Massenet  in Aix-en-Provence und anschließend beim Rundfunk zurück. Ebenfalls als Canio machte er von sich reden, und sogar ein Alfred in der französischen Fledermaus ist für die späte Phase nachzuweisen, während er vor allem in der Provinz den Duca/Rigoletto, Don José oder Cavaradossi mit Glanz sang.

1973 verließ er das Theater und setzte sich zur Ruhe. Sein Ausscheiden verstärkte den akuten Mangel an großen Tenorstimmen im französischen Repertoire, das nun eigentlich nur noch von Gilbert Py und Guy Chauvet beherrscht wurde und das sich von dieser Lücke nicht wieder erholt hat. Bestimmte Werke sind mit französischen Sängern nicht mehr aufzuführen, einzig Roberto Alagna kann mit seinem Cid, Werther, Roméo (und hoffentlich Vasco de Gama im Herbst in Berlin)  etc. als Nachfolger gelten, und er ist eher ein lyrischer Sänger mit viel weniger Metall in der dunkleren Stimme.

$(KGrHqN,!p0E8WdFid7sBPM3j-rWg!~~60_35Botiaux und seine Aufnahmen sind heute weitgehend vergessen. Man rekuriert immer gleich auf Georges Thill und vergisst die Zwischenzeitsänger wie Liccioni. Und deswegen war die Sammlung bei opera-club.net umso begrüßenswerter. Bei Orphée (später Vega) hat er einen großen Querschnitt aus der Tosca und aus dem Sigurd mit Lyne Cumia/Etcheverry aufgenommen,  dazu noch  drei 25 cm LPs mit Arien und Szenen ebenfalls hier. Die finden sich auf dieser Kompilation gemischt  mit einigen Live-Radioübernahmen. So  Szenen aus der Damnation de Faust (mit Jacqueline Lucazeau und Paul Cabanel, Vichy 1956), natürlich das unerreichte „Asile héréditaire“ aus dem Tell in Vichy 1960, Fausts Arien (Rundfunk), Roméo et Juliette (mit Huguette Rivièrè/Jacqeline Silvy und Xavier Dépraz, RTF 1960), Tosca (mit Suzanne Sarrocca, eine ganz wunderbare Stimme und betörend schöne Frau, Vega 1961), La Bohème, Aida, La Favorite, L´Africaine (Vega, Amati 1961); Samson et Dalila (mit Simone Couderc/Bigot RTF 1960) und schließlich Auszüge aus Louise (mit Jacqueline Brumaire unter Marcel Cariven live 1960) – ein reiches Füllhorn an Wundern aus der Schatzkiste herrlichen französischen Gesangs, wie es ihn eben nicht mehr gibt.

botiaux 3Für heutige Ohren eher bizarr ist eine Sammlung von Chansons patriotiques aus dem Ersten Weltkrieg, den unsere Nachbarn noch immer La Grande Guerre nennen und mit würdevollen Veteranen-Umzügen auf den Champs Elysées begehen. 1968 aufgenommen und mit Chor unter Eugen Bigot marschhaft zum Mitmarschieren auffordernd – es geht gegen die Deutschen, 1968 (!), und was da textlich abgeht, ist nicht eben fein. Offenbar gab es selbst so spät noch ein Publikum dafür… Dies auf dem Blog artlyriquefr.fr mit schönen Fotos, dort auch noch mehr von dem Tenor, so weitere Ausschnitte aus der Damnation, der Reine de Saba Gounods, aus dem Trouvère (französisch in der Pacini-Fassung) und mehr in sehr gutem 128 kbs-Sound. Eine besondere Kostbarkeit ist ebendort die Arie des Jean „Ne pouvant réprimer“ aus Massenets Hérodiade von 1960/Amati. Und überhaupt findet sich bei artlyriquefr.fr und im Netz viel aus Frankreich von Botiaux, was zeigt, dass er dort  doch nicht ganz vergessen ist.   G. H.

 

botiaux arienNachstehend noch einmal eine Zusammenfassung, wie sie sich auf dem bereits genannten Blog von artlyriquefr.fr findet: Gustave Botiaux, ténor français, (92.Puteaux, 14 juillet 1926), Epouse la cantatrice Jaqueline Silvy. Elève du Conservatoire de Paris, où il obtient un premier prix de chant, il fut lauréat du concours des ténors de Cannes en 1954. Le concours du Bel canto de Bruxelles en 1955 lui valut un engagement au Théâtre de la Monnaie. Engagé l’année suivante à la RTLN, il débuta à l’Opéra-Comique, puis chanta au Palais Garnier. Mais c’est en province et à l’étranger qu’il consacra la part essentielle de son activité, dans un large répertoire (HérodiadeSamson et Dalila, Lohengrin. Sigurd, l’Africaine, Werther).  Suite à la dissolution de la troupe de l’Opéra, il quitte la scène en 1973 et se retire avec sa femme en Ardèche.

botiaux arien 2Au début des années 60, il a enregistré pour la marque Orphée (Pacific) : récital n°1, dir. Giancarlo Amati (Roméo et JulietteHérodiadele Trouvèrela ToscaSigurdRigoletto) ; récital n°2, dir. Giancarlo Amati (la Favoritel’Africainela Bohèmela JuiveAïda) ; récital n°3, dir. Jésus Etcheverry (TurandotManon LescautAndré Chénierla Reine de SabaGuillaume Tellla Favorite) ; des versions anthologiques de Carmen(Don José), dir. Erasmo Ghiglia ; Faust (Faust), dir. Jésus Etcheverry ; Sigurd (Sigurd), dir. Jésus Etcheverry ; la Tosca (Mario) [version française de Paul Ferrier], dir. Giancarlo Amati ; le Pays du sourire (Sou-Chong) [version française d’André Mauprey et Jean Marietti], dir. Giancarlo Amati (1963) ; pour la marque Vogue : Chansons patriotiques, arrangements et direction d’orchestre : Michel Villard (1968). artlyriquefr.fr

Biserka Cvejic

 

Mit Bedauern hörten wir vom Tode der serbischen Mezzosopranistin Biserka Cvejić (* 5. November 1923 in Krilo-Jesenice bei Dugi Rat, damals Königreich Jugoslawien; † 7. Januar 2021 in Belgrad, Serbien) . Im Folgenden „borgen“ wir unbs eine Würdigung von dem deutschen Wikipedia aus:
Biserka Cvejić, als Biserka Katušin in dem dalmatinischen Küstenort Krilo-Jesenice, 15 km südöstlich von Split geboren, kam im Alter von einem Jahr mit ihren Eltern nach Lüttich. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sie 1946 in ihre jugoslawische Heimat zurück, wo sie zunächst als Dolmetscherin arbeitete. Ihre Stimme wurde von dem spanischen Tenor José Riavez (1890–1958) entdeckt, der auch ihr Lehrer war.

Bereits während ihres Studiums an der Belgrader Musikakademie (heute: Musikfakultät) sprang sie 1950 am Belgrader Opernhaus für eine erkrankte Kollegin als Maddalena in Rigoletto ein. Ihr offizielles Debüt gab sie 1954 am Opernhaus Belgrad als Charlotte in Werther. Bis 1959 blieb sie festes Ensemblemitglied der Belgrader Oper und gab als Teil des Ensembles auch ihre ersten Auslandsgastspiele, so bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden (1959) und am Opernhaus von Nizza (1960).

Im Oktober 1959 gab sie als Amneris in Aida ihr Debüt an der Wiener Staatsoper.[4] Von 1960 bis 1978 war Cvejić festes Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, an der sie bis Mai 1978 in insgesamt 372 Vorstellungen in 25 verschiedenen Rollen zu hören war. Sie sang dort neben der Amneris u. a. Carmen, Eboli, Azucena, Ulrica, Brangäne, Herodias und Adelaide in Arabella.

Sie gastierte in Europa u. a. am Gran Teatre del Liceu in Barcelona (1961), an der Covent Garden Opera in London (1962), am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel (1963 als Carmen), am Teatro San Carlo in Neapel (1963 als Brangäne, 1968–69 sowie 1971 als Amneris), am Teatro Regio di Torino (1964 als Brangäne, 1969 als Azucena), am Teatro Massimo Palermo (1964 als Amneris) und an der Bayerischen Staatsoper München (1969 als Amneris).

Sie sang außerdem beim Edinburgh Festival und in der Arena di Verona (1968–69 als Amneris, 1971 als Azucena). In der Saison 1969/70 sang sie an der Mailänder Scala die weibliche Titelrolle in Samson et Dalila. 1972 trat sie wieder am Teatro Liceu auf, diesmal als Charlotte in Werther. 1977 sang sie an der Seite von Régine Crespin in Paris in Marie-Magdeleine von Jules Massenet.

Im April 1961 debütierte sie als Amneris in Aida an der Metropolitan Opera in New York, wo sie bis Oktober 1967 in acht verschiedenen Partien, neben der Amneris außerdem als Azucena, Ulrica, Eboli, Dalila, Laura in La Gioconda, als Principessa di Bouillon in Adriana Lecouvreur und als Giulietta in Les contes d’Hoffmann zu hören war.

In Übersee sang Cvejić außerdem zwischen 1963 und 1968 mehrfach am Teatro Colon in Buenos Aires (Dalila, Marina, Octavian, Amneris). 1967 gastierte sie in Tokio als Eboli in Don Carlos.

Ab 1978 widmete sich Cvejić verstärkt dem Gesangsunterricht und der Sängerausbildung. Sie unterrichtete als Professorin für Sologesang an der Belgrader Musikakademie, später dann an der Akademie der Künste in Novi Sad.[1][3] 1979 wurde sie zur Österreichischen Kammersängerin ernannt.[10] 1990 beendete sie endgültig ihre Bühnen- und Gesangslaufbahn.[1][2] Zu ihren Schülern gehörten u. a. der Tenor Nikola Kitanovski, die Mezzosopranistinnen Milena Kitić und Monika Bohinec sowie der international gastierende Bariton Željko Lučić.

Für ihre Verdienste wurde sie mit der Serbischen Medaille für Kunst ausgezeichnet.[2] 2001 wurde sie Mitglied der französischen Ehrenlegion.[3] 2014 erhielt sie den Dositej-Obradovic-Preis für ihr Lebenswerk (Nagrada Dositej Obradović za životno delo)

Biserka Cvejić war mit dem aus Belgrad stammenden Arzt und Dozenten Dusan Cvejić verheiratet, der auch als Sänger (Tenor) wirkte und 1958 gemeinsam mit ihr beim Weltjugendkongress in Belgrad aufgetreten war. Sie starb im Alter von 97 Jahren im Januar 2021 in Belgrad.

Repertoire und Tondokumente
Biserka Cvejić ist in insgesamt 77 Mezzosopran-Rollen in über 1800 Aufführungen auf Bühnen in der ganzen Welt aufgetreten.[3] Sie sang schwerpunktmäßig die dramatischen Mezzosopran- und Alt-Partien in den Opern von Giuseppe Verdi (Amneris, Azucena, Eboli, Ulrica, Preziosilla, Maddalena). Sie trat auch in italienischen Opern des Verismo auf.

Sie interpretierte außerdem Partien des französischen (Carmen, Dalila), des russischen (Marina und Amme in Boris Godunow, Olga in Eugen Onegin, Paulina in Pique Dame) und des deutschen Repertoires (Fricka, Brangäne, Herodias, Adelaide).

Biserka Cvejić besaß „eine dunkel timbrierte, schön gebildete Altstimme“. (Kutsch/Riemens). Ihre Stimme ist auf mehreren Operngesamtaufnahmen dokumentiert, die u. a. bei Decca (Schneeflöckchen, Eugen Onegin, Pique Dame) und auf MGM-Heliodor erschienen. Bei Jugoton wurde ein Recital mit Opernarien veröffentlicht.

Unter der Regie von Arthur Maria Rabenalt sang und spielte sie die Rolle der Zigeunerin Czipra in einer 1975 erstausgestrahlten Operettenverfilmung der Strauß-Operette Der Zigeunerbaron. Diese Rolle sang sie auch in einer 1969 bei der EMI erschienenen Gesamtaufnahme der Operette an der Seite von Grace Bumbry und Nicolai Gedda. Quelle Wikipedia (Foto oben Biserka Cvejic als Amneris an der Scala/ Foto Piccaliani/ Archivio Scala)

Legendary?

 

Seinen 40. Geburtstag feierte im gerade vergangenen Jahr/ 2020 das Label Orfeo und ehrte und vermarktete noch einmal seine berühmtesten Gesangssolisten auf zehn CDs, auf dem Cover alphabetisch aufgelistet von Baltsa bis Várady und im Innern chronologisch beginnend 1981 mit eben dieser Agnes Baltsa und endend mit dem gerade im Zenit seiner Karriere stehenden Piotr Beczala, der sich 2011/12 einem reinen Verdi-Programm widmete. Manche der Mitwirkenden – so raunte man in den frühen Jahren des Labels – hatten substanzielle Anteile an der Firma, die sich für einige ihrer Stars als Vermarktungsmaschiene darstellte …

Eher ihre Vielseitigkeit und die Entwicklung ihrer Stimme zeigt Agnes Baltsa, die mit  Rossinis Rosina und deren Cavatina beginnt und nicht die liebenswürdigste, aber hochvirtuos geführte Stimme offeriert, der man ab „ma“ alles glaubt und die als Rossinis Elena aus La Donna del Lago nicht unpassend leicht hysterische Züge annimmt. Dass sich diese Angelina nicht mehr in die Asche stoßen lassen wird, glaubt man nach ihrem „Non più mesta“, und Mozarts Sesto findet zu einem schönen Wechselspiel mit den Instrumenten. Geschmeidig ist Donizettis Favorita unterwegs, der Lady Macbeth wird in „La luce langue“ schmal und scharfzüngig das Lauernd-Schillernde verliehen, das sie ausmacht. Geschmackvoll und doch ergreifend meldet sich Santuzza schließlich zu Wort. Es begleitet das Münchner Rundfunkorchester unter Heinz Wallberg.

So kontrastreich wie die Charaktere, die sie darstellen, ist die Herangehensweise an ihre Sängeraufgabe bei Carlo Bergonzi und Dietrich Fischer-Dieskau, die mit Duetten unterschiedlicher Komponisten auf CD 2 zu finden sind. Will der Italiener im ersten Duett Alvaro-Carlo die Melodie sich entfalten, die musikalische Linie  gewahrt wissen , so geht es dem Deutschen auch um Textausdeutung, um die scharfe Charakterisierung. So kam zusammen, was zusammen nicht gehörte, dazu kommt, dass 1982 beide bereits ältere Herren waren, was man dem Tenor weniger anmerkt, das „Finalmente“  im zweiten Duett der Widersacher allerdings ist eine Wucht, und hier finden beide Sänger zu einer mitreißenden Darbietung. Fischer-Dieskau war, wie eine bange Frage während einer Tournee der Deutschen Oper Berlin an den Tenorkollegen zeigte, nie so ganz sicher, ob seine Stimme und die Art seines Singens der italienischen Tradition entsprächen. So hat er den Barnaba in den langen Jahren, in denen die Gioconda an seinem Heimatort im Repertoire war,  anders als auf dieser CD wohl nie gesungen. Es folgt ein Duett aus Otello, eine Partie, an der der Tenor  schließlich scheiterte, zwar noch die Generalprobe, aber nicht die Premiere vollständig sang. Der Bariton bringt das Lauernde in „Talor vedeste in man di Desdemona“ perfekt zum Ausdruck, übertreibt aber in „in man di Cassio“. Vater und Sohn in Verdis Vespri lassen väterlich Milde, ein schönes Legato und, was den Tenor betrifft, zu „donna perduta“ ein herrliches Crescendo hören. Wer als Verantwortlicher diese Musik zur Kenntnis nimmt, müsste eigentlich das sträflich vernachlässigte Stück sofort auf den Spielplan setzen. Perlenfischer und Bohéme verlangen eigentlich nach jungen Stimmen, aber auf der des Tenors liegt durchaus noch der Schimmer der edlen Muschelprodukte. Von Anfang an hat Fischer-Dieskau den Rodrigo, erst auf Deutsch, dann in der Originalsprache gesungen und er tut es auch im Freundschaftsduett auf dieser CD mitreißend, beide Sänger wissen, worauf es ankommt. Es begleitet das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Jesus Lopez Cobos.

 Franco Bonisolli, von vielen Opernbesucherinnen heiß verehrt, spielte 1983 italienische Canzoni ein und prunkte oder protzte, je nachdem wie man zu seiner Art des Singens steht, mit endlosen Fermaten und Superhöhen und am besten beides in einem Atemzug. Da er ansonsten nicht allzu häufig dokumentiert wurde, ist es durchaus begrüßenswert, dass diese Aufnahme in die Geburtstags-CD-Sammlung mit aufgenommen wurde. Es begleiteten das Orchestra dell’Unione Musiciste di Roma und  I Mandolini Napoletani di Gina del Vescovo unter Elvio Monti.

1983 widmete sich Grace Bumbry ihrer Karriere als Sopran, und ihr „Pace, pace“ ist eher eine Kampfansage als von Resignation geprägt, ihre Mezzovergangenheit kommt ihr zugute, schöne Piani erfreuen den Hörer, insgesamt wird sehr agogikreich gesungen. Raffiniert spielt die Sängerin mit den Stimmfarben als „umile ancella“ in Adriana di Lecouvreur, viel Geläufigkeit hat sie für die Cabaletta der ersten Arie der Trovatore-Leonora. Eine weite Spannbreite, was die Dramatik betrifft, beweist sie als La Wally, zarte, von Wehmut überschattete Gespinste kennzeichnen des Cid Geliebte. Mit unangestrengten Intervallsprüngen überzeugt la Gioconda, Louise  mit raffinierten Crescendi,und mit Sapho und Alceste werden auch weniger bekannte Damen vorgestellt. Stefan Soltész begleitet mit dem Radio-Sinfonieorcheter Stuttgart.

Als vielseitigste von allen zeigt sich Brigitte Fassbaender, die ebenfalls 1983 vor die Mikrofone gebeten wurde. Für Händel weiß der Mezzo die Stimme instrumental zu führen, Gluck verleiht sie als Orfeo viel Wärme und Gefühl in der Stimme und einen einfach herrlichen Schwellton der Verzweiflung. Für Bellinis Romeo ist der androgyne Klang in der Stimme, die Intervallsprünge sind perfekt, mit Jeanne d’Arcs „Da, cas nastal“ macht sie sich die Tatsache zunutze, dass die meistens von Sopranen gesungene Partie (Julia Varady ist mit ihr in der Box vertreten)  auch für einen Mezzo geeignet ist, und hier vemag die Sängerin die aufgewühlten Gefühle zu verdeutlichen, ohne je die musikalische Linie zu verletzen. Weniger robuste Sinnlichkeit als chansonhafte quirrlige Herausforderung zeichnet Fassbaenders Carmen aus, die gut angebundene Tiefe kommt der sanft betörenden Dalila zugute, wunderbare Melancholie begleitet Charlotte durch ihre Arie im dritten Akt. Wie man eine Szene intelligent aufbaut und Wagner textverständlich singt, zeigt die abschließende Waltrautenszene. Hans Graf leitet das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart.

Das ertragreiche Jahr 1983 führte auch Edita Gruberová ins Aufnahmestudio von Orfeo. Mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Lamberto Gardelli singt sie natürlich eine ihrer Paraderollen, die Zerbinetta, und lässt außer dem Wunsch nach der natürlich fast unmöglichen Textverständlichkeit keinen solchen offen, ist von unnachahmlicher Koloraturgewandtheit und ebensolcher Leichtigkeit der Emission der Stimme. Schön geflutet wird die Stimme bei der Arie der Amina, perfekt ist der canto elegiaco. Wie auf die Slowakin zugeschnitten ist die Bravourarie der Philine aus Thomas‘ früher viel gespielter Mignon.

Ein reines Tschaikowski-Programm nahm Julia Varady auf, neben Tatjana und Lisa kommen auch unbekanntere Damen wie Die Zauberin zu Wort. Die Primadonna von Berlin und München bewies auch 2000, dass sie mit ihrer Stimme einen Charakter vor den Ohren des Hörers erstehen lassen konnte, Mit vielen Schattierungen macht sie die wechselnde Seelenlage Tatjanas in der Briefszene hörbar, und man muss nicht einmal die Sprache verstehen, wenn man den Text nicht ohnehin auswendig kann. Eine frische Njanja ist Daphne Evangelatos. Die Jungfrau der Varady klingt mädchenhafter als die der Bumbry, für die Maria aus Mazeppa hat sie viel Innigkeit in deren Wiegenlied und bezaubert durch ein wunderschönes Decrescendo. Wie Lisa endet auch die Zauberin als Wasserleiche, davor verleiht ihr die Varady seelenvolle Töne, und Lisa harmoniert in ihrer zweiten Arie sehr schön mit den Orchesterfarben. Dem Münchner Rundfunktorchester sind unter Roman Kofman auch rasante Nummern aus Mazeppa vergönnt.

2007 konnte Krassimira Stoyanova ihre Vielseitigkeit beweisen, vor allem aber, dass sie die ideale Verdi-Stimme ihr Eigen nennt. Luisa Miller kann die Unbeschwertheit im ersten Akt eindrucksvoll vermitteln, der unbekanntere Verdi kommt auch mit La Battaglia di Legnano zu Wort.   Die Boccanegra-Amelia überzeugt in ihrer ersten Arie durch schillernde Stimmfarben, eine angenehm weich klingende Tiefe, und sie wetteifert an Farbigkeit mit dem Vorspiel. Zwei Arien aus den einmal höchst populären Opern von Antonio Carlos Gomes zeigen die Weitgespanntheit ihrer Interessen, für beide, sei es aus Fosca oder aus Il Guarany, gehorcht die nie angestrengt klingende Stimme jeder Regung ihrer Heldinnen. Koloraturen von leichter Emission krönen Delias  „C’era una volta un principe“, Antonia aus Hoffmann findet viele Nuancen, um die Figur unverwechselbar zu machen.  Geschmeidig und von weicher Fülle klingt Annas Arie aus Puccinis Erstlingsoper, die dolcezza von Mimi lässt sich erahnen. Friedrich Haider dirigiert das Münchner Rundfunkorchester.

Schon 2005 hatte Adrianne Pieczonka mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer eine CD mit Werken von  Richard Wagner und Richard Strauss aufgenommen und beginnt mit einer völlig unangestrengt klingenden Hallenarie von schönem Jubelton. Wunderbar innig, mit rundem Piano und aufblühender Stimme erklingt das Gebet der Elisabeth, aus einem feinen Parlando sich zu strahlendem Klang steigernd kann man Sieglindes „Der Männer Sippe“ hören. Elsa schließlich singt eine Traumerzählung von keuschem Klang, sehr lyrisch und klug aufgebaut. Auch in der mezza  voce im zweiten Akt kann di Stimme leuchten und strahlt Zuversicht aus. Den Schluss des Wagner-Blocks bilden die Wesendonk-Lieder. Die Strauss-Ariadne gibt sich nicht als Hochdramatische, die Capriccio-Gräfin bleibt nicht hinter den Farben aus dem Orchestergraben  zurück, ist von silbrigem Glanz, Arabella macht die CD komplett.

Eine reine Verdi-CD spielte Piotr Beczala 2011 und 2012 ein, als einzige der auch in französischer Fassung vorliegenden Opern den Henri mit seiner großen Arie „O jour de peine“, und es ist eine gute Wahl, weil man hier nicht die Glut italienischer Stimmen vermisst. Streckenweise klingt di Stimme wunderbar elegisch, manchmal hört sich der Gesang zu sehr nach Kraftakt an. Trovatore, Don Carlo, Lombardi werden in der  italienischen Fassung geboten, wobei der Oronte zu der damals noch recht lyrischen Stimme am besten passt. Aus dem Trovatore gibt es den zweiten Teil des zweiten Akts, was den Hörer in den Genuss einer der schönsten Mezzostimmen der damaligen Zeit bringt: Ewa Podles. Später tritt mit dem Rodrigo von Mariusz Kwiecien noch ein weiterer polnischer Sänger von Weltruf auf. Manricos „A si“ wird sehr schön phrasiert, in Radames‘ Auftrittslied werden di Intervallsprünge perfekt gemeistert, es gibt am Schluss eine tolle Fermate, aber von Morendo keine Spur. Duca, Alfredo, Macduff und Riccardo passen zur damaligen Stimme am besten, werden stil- und geschmackvoll gesungen, die Cabaletta des Alfredo nach oben, und auch das Ingemisco erfährt eine adäquate Interpretation. In seiner jüngst erschienenen Biographie meinte der Tenor, den Carlos wolle er nicht singen, er finde ihn unsympathisch, nicht zuletzt, weil ein Verlierer seiend. Beschenkt er ihn deswegen am Schluss des Freundschaftsduetts mit einem zusätzlichen hohen Ton? Das Polish Radio Symphony Orchestra unter Lukasz Borowicz begleitet (Legendary Voices, 10 CD, Orfeo 10CD 20021). Ingrid Wanja

 

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Ein ganz normaler Dirigent

 

Die Erinnerung Ralf Weikerts an sein erstes Zusammentreffen mit einem Agenten ist bezeich­nend für den Dirigenten Ralf Weikert, der sich anhören mußte: „Für Sie kann ich leider nichts machen, Sie sind ja normal.“ Das war im Jahre 1963, als Wie­kerts musikalische Lauf­bahn begann. Heut wird er als einer der vielsei­tigsten, zuverlässig­sten und undivenhaftesten Dirigenten gewürdigt, sowohl in der Oper als auch im Konzertleben.

Seien wir ehrlich: Dirigenten sind oftmals Diktatoren und Rattenfänger, Aristokraten und Polter­geister, Show Maker und Priester, Einzelgänger und Populisten, Kommandeure und Träumer, Zuchtmeister und Chaoten, Pedanten und Anarchisten, Geschäfts­leute und Idealisten, global Players und nicht selten Diven, Primadonnen, Esoteriker und Coverboys der Musikszene.

Ralf Weikert/ Weikert/Discogs

Gemeinsam ist den meisten Dirigenten ein berufsspezifischer Verhaltenskodex, der umso ausgeprägter ist, je teurer der Dirigent im Musikbusiness gehandelt wird. Im Club der Besten, zumindest aber der Teuersten zu rangieren, verlangt die Einhaltung von Spielregeln. Dafür kann man es sich dann leisten, nicht immer „top“ sein zu müssen. Im Club stützt einer den anderen. Alles greift ineinander. Man schiebt sich die Bälle zu. Wer einmal im Club ist, hat es geschafft. Und alle Mitglieder des Clubs sind selbstver­ständlich „Freunde“. Man tut zumindest so. Es dient dem „Big Business“. Eine Hand wäscht die andere. Der Rubel rollt, „Freude, schöner Götterfunken“. Wenn nur das Marketing und die PR-Arbeit stimmen. Der Marktwert gehorcht den Gesetzen der Börse. Zeitgeist redet mit. Massenwirksamkeit ist das Zauberwort. Popularität kann mithilfe der Medien aufgebaut werden. Wer schließlich herumgereicht wird an den ersten Konzertpodien und Opernhäusern der alten wie der neuen Welt, wer im Jet-Set rotiert, das entscheiden Manager und Agenten, Marke­tingchefs und Konzerne. Das Publikum zollt Beifall. Es geht im Karussell des internationalen Musikgeschäfts längst nicht mehr primär um die Musik und die künstlerische Quali­fikation dessen, der sie dirigiert.

Eine Aura von Glanz und Glamour umgibt viele Dirigenten. Vielleicht kein anderer Berufsstand ist derart schillernd und facettenreich. Die Dirigenten mit ihrem ausgeprägten Hang zur Eitelkeit, und zur Selbstdarstellung, aber auch ihrem offen zur Schau gestellten Willen zur Macht sind nicht nur Vermittler zwischen Partitur und Orchester, sondern sie sind die eigentlichen Helden unseres Musik­lebens. Sie sind Wanderer zwischen den Welten, globale Musik­heroen, Götter in schwarz, mit Macht und Nimbus, sind vielbewunderte, bestaunte, kritisierte und hofierte Stars, sind hochbezahlte Aushängeschilder, stilisierte Werbeträger und oft genug nichts als hochglanzpolierte Etiketten einer überwiegend kommerziell orientierten Musikszene, um nicht zu sagen Musikin­dustrie, in der Selbststilisierung und Selbstinszenierung zum Geschäft gehören. Dem korrespondieren die Ihnen oft zugeschriebenen Eigenschaften, wie Unnah­barkeit, Egozentrik, Kapriziertheit, Arroganz und betonte Bohème-haftigkeit.

Hang zum Luxus, Launenhaftigkeit, zur Schau gestellte Autorität und unge­hemmte Künstlerallüren verhindern oft die Wahrnehmung tieferer Wahrheiten hinter verständlicher Abschirmungstaktik. Unter der Oberfläche purer Notwendigkeit der Abgrenzung gegenüber zudringlichen Trabanten und Adoranten verbergen sich nicht selten zarte und sensible Seelen, die hinter schützenden, scheinbar undurchdringlichen Mauern das Gärtlein ihrer utopischen Empfindungen und Erkenntnisse hegen und das Elfenbein ihres Künstlertums vor Ver­witterung durch den Dunst gemeiner Realität und schnöder Alltagsbanalität bewahren. So will es der Mythos vom Maestro und so ist es.

Ganz anders Ralf Weikert: Er ist einer der wenigen Vertreter dieses Berufs­stands, der sich dem Musikbusiness weitgehend verweigert, weil es ihm auf die Musik ankommt, deshalb treffen auf ihn die genannten Etikettierungen nicht, oder sagen wir vorsichtshalber kaum zu. Etwas Eitelkeit sei ihm als Dirigenten zugestanden, denn ganz ohne Eitelkeit geht es nicht in diesem Beruf. Aber es gibt Eitelkeit in der Sache, die Musik oder aber die eigene Person betreffend, nur auf die Karriere bedacht. Zur letzteren zählt Weikert nicht.

Sagen wir es deutlich: Nicht immer sind die sogenannten „berühmten“ Diri­genten die besten. Chefpositionen, Schallplattenverträge und glänzende Auftritts­möglichkeiten besagen gar nichts. Im Rampenlicht zu stehen oder auf Schallplattenhüllen zu glänzen, sagt im Zweifelsfall mehr über kaufmännische als über künst­lerische Qualitäten aus. Bei nicht wenigen der international renommierten Maestri beruht das Geheimnis ihres Erfolges auf ausgeprägtem, wo nicht schamlosem Geschäftssinn und knallhartem, populistischem Kalkül. Bei manchen der von Agenturen oder Plattenfirmen aufgebauten Karrieren sind interpretatorische Phantasie, musikalische Intelligenz, gestalterischer Einfalls­reichtum, Repertoire-Kenntnisse sowie künstlerische Animiertheit seltene Tugenden.

Ralf Weikert ist ein Gegenbeispiel: Er hat sein Metier von der Pike auf gelernt, wie man in seiner sym­pathisch beschei­denen Autobiographie erfährt. Geboren wurde er am 10. November 1940 in St. Florian, in der dortigen „Führer­siedlung.“ Als Kind sah er noch den „Toni“, wie Anton Bruckner volkstümlich genannt wurde, unterm damals noch gläsernen Deckel des Sarkophags in der Krypta unter der Orgel des Chorherrenstifts, wie er schreibt. Bruckners Werk sollte einmal zu einem Schwerpunkt seines dirigentischen Repertoires werden. Zu seinem musikalischen Schüsselerlebnis wurde eine Aufführung von Bruck­ners „Te Deum“ mit den Wiener Philharmonikern unter Eugen Jochum. Eigentlich sollte Ralf Weikert einen „Brotberuf“ erlernen, schrieb sich daher für Elektrotechnik an der Höheren Technische Lehranstalt in Linz ein, doch daneben war „das Linzer Bruckner-Konservatorium der Mittelpunkt“ seines damaligen Lebens. Am Linzer Landestheater durfte er Bühnenmusiken dirigieren, in einem Filmclub Filmmusik komponieren. Als Statist am Landestheater lernte er Heidi, seine spätere Frau kennen, mit der er noch heute zusammenlebt. Er heuerte beim Österreichischen Rundfunk als Hilfstechniker an.1960 begann er sein Studium bei Hans Swarowsky in Wien, einer Legende unter den Dirigenten-Machern. Weikert weiß nur das Beste über Swarowski zu berichten. Als Barpianist erspielte er sich das Geld für das Studentenzimmer. Vor allem aber, so betont er, „Das Erleben großer Dirigenten wie von Karajan, Böhm, Prêtre, Sawallisch, Maazel und Monteux oder allererster Sänger und Instrumentalisten, prägte uns Studenten für unser ganzes weiteres Leben.“ 1963 beendete er sein Studium mit besonderer Auszeichnung. Dann machte er die klassische „Kapellmeister-Ochsentour“, er begann als Korrepetitor am Salzburger Landestheater. Dort durfte er auch Schauspielmusiken komponieren.

1965 gewann er einen Dirigierwettbewerb in Kopenhagen mit dem ersten Preis, was ihm in Salzburg Türen als Dirigent öffnete. Seine erste eigene Premiere war Offenbachs „Schöne Helena“. Der „Papst aller Opernagenten“, Robert Schulz vermittelte ihm dann den Posten eines 1. Kapellmeisters in Bonn. Nach mehre­ren Probedirigaten wurde er im Alter von 25 Jahren am Theater der Bundes­haupts­tadt engagiert. Elf Jahre blieb er dort und erarbeitete sich ein enormes Repertoire, von Mozart über Donizetti, Puccini, Wagner und Strauss, das französische Repertoire, Prokofiev und Strawinsky bis hin zu Hans Werner Henze.  Als GMD Hans Zender nach seinen ersten beiden Jahren das Haus verließ, wurde Weikert 1968 stolzer Chefdirigent. Er war 27 und „der jüngste Chef eines deutschen Opernhauses“.  Weikert schreibt Ehrenvolles über den Ausstattungsleiter O.W. Mayer, über die Primadonna Mechtild Gessendorf und den Regisseur Adolf Rott, aber auch Unehrenvolles über Gottfried Wagner der in Bonn einen absolut unspektakulären „Lohengrin“ inszenierte und eher dadurch auffiel, dass er Bücher gegen die eigene Familie schrieb, obwohl ihm dank seines Urahns doch überall in der Welt roten Teppich ausrollte werden. 1977 wechselte Weikert an die Oper Frankfurt, die unter dem Diri­genten-Intendanten Michael Gielen eine Blütezeit erlebte. Weikert würdigt Gielen als „hilfreichen Intendanten, zumal „zeitgemäßes Regietheater“ nicht seine Sache war und Hans Neuenfels, dessen Frankfurter „Aida“ für heftige Kontroversen sorgte, „laut grölend und oft alkoholisiert“, für ihn der unsym­pathische Inbegriff jener ungeliebten Theaterästhetik war.

Das „Unter­hosen-Theater“ des Regietheaters im 21. Jahrhundert war Weikerts Sache nie. Über Regisseure wie über Kritiker schreibt er in seinem Buch so Manches. 1981 wurde Weikert Chefdirigent des Mozarteum-Orchesters und des Landestheaters Salzburg, seit je seine Wahlheimat, in der er noch heute seinen Wohnsitz hat. Dem Regisseur Frederik Mirdita und dessen Kontakt zum „Allgewaltigen“ zu Herbert von Karajan, habe er diese Berufung zu verdanken, so bekennt Weikert freimütig.  1984 rief ihn die „Schweiz, das gebührenpflichtige Paradies“, aber er stellt klar, dass Salzburg keineswegs nur „Steigbügel für Zürich“ gewesen sei, wie ihm damals von Vielen vorgeworfen wurde. Intendant Helmut Drese holte ihn als  GMD nach Zürich und man erfährt Näheres über den singulären Bühnenbildner und Regisseur Jean-Pierre Ponnelle und seinen Monteverdi- wie Mozartzyklus und Sänger wie Matti Salminen, Edita Gruberova (mit der er den „Barbiere“ Rosinis auf CD aufnahm) Lucia Popp, Agnes Baltsa, Francisco Araiza und viele andere damalige Stars, aber auch über Dirigenten wie Fer­dinand Leitner, über den damals aufsteigenden Dirigenten Nikolaus Harnon­court (der eigentlich aus der Alten Musik kam)  und den kauzig-knorzigen Nello Santi. Auch den als konservativ verschrienen Regisseur August Everding würdigt er: „Die Zusammenarbeit mit diesem Altmeister unter den Regisseuren war eine der harmonischsten meiner ganzen Zürcher Jahre,“ auch wenn er „niemals bereit war, etwas selbst zu bezahlen und überall als Nassauer verschrien war.“ 1987 bot ihm die New Yorker Met einen Gastvertrag an, den er mit Freuden annahm, zumal die Chemie mit dem Nachfolger Dreses, Alexander Pereira, „nicht wirklich stimmte“. Dessen unbestreitbares Verdienst sei es gewesen, „Sponsorengelder aufzutreiben. Und die Welt weiß, dass daran Pereira, der große Sängernamen liebte, kräftig mit verdiente. „Im Haus hieß es, wir würden langsam zur Casa di riposo“, einem Altersheim für Sänger, die ihren Zenit überschritten hatten.“ Es war Zeit, Zürich zu verlassen, Weikert blieb dennoch bis 2013 Gastdirigent mit zehn bis 15 Dirigaten pro Spielzeit. 1992 verließ Weikert die ihm zunehmend entfremdete Stadt an der Limmat, in der es nur noch ums Geld zu gehen schien.

Reisen als Gastdirigent wurde seine Lebensform. Vor allem in seinem „Lieblingsland Italien“ ist er gern gesehen, ob in Triest, Venedig, Bologna, Mailand, Turin oder Bari. Beim Maggio musicale in Florenz, bei den Puccini-Produktionen des Festivals in Torre del Lago, in Palermo und in Catania feierte er große Erfolge. Aber auch in Neapel, im „wahrscheinlich schönsten Opernhaus der Welt“.

Gastspiele führten ihn in Deutschland an die Deutsche Oper Berlin, an die Bayerische Staatsoper, nach Hamburg, Stuttgart, Köln und Dresden, um nur einige zu nennen. Bei den Bregenzer Festspielen trat er auf und in Aix-en-Provence, aber auch in Bordeaux, Paris, Lyon, Lille und Toulouse war er gefragt. Seit 1982 dirigierte er auf Einladung Vaclav Neumanns auch Konzerte der Tschechischen Philharmonie. Seit 1982 dirigierte er am Gran Teatro del Liceo in Barcelona, wo er die von ihm verehrte Montserrat Caballé kennenlernte (mit der er eine gefeierte CD-Produktion des Rossinischen „Tancredi“ einspielte), Auch in Barcelona dirigierte er und in Madrid. Seine Gastspiele in den USA, im „häss­lichen Los Angeles“, an der Met und in San Francisco erwähnt er vorwie­gend der sängerischen Extraklasse wegen, mit der er zusammenarbeitete. Auch den Regisseur Otto Schenk, Altmeister der gediegenen Konvention, hebt er hervor. Ein besonderes Kapitel seiner Karriere bildete die Wiener Staatsoper, wo er zwischen 1974 bis 2004 immerhin 115 Mal dirigierte. Man liest Detailliertes über seine Gastspiele in Helsinki, Stockholm, und Kopenhagen, Athen, Amster­dam und Südamerika. Kurioses, Befremdliches, ja Erheiterndes schreibt er über seine (wohl pekuniär nicht ganz uninteressanten) Asiengastspiele in China, Japan (er hat es 15 Mal bereist) und Südkorea.  Die Pünktlichkeit, Sauberkeit und Ordnung der Japaner, auch ihre musikalische Präzision sei lobenswert, das Essen mit Stäbchen sei allerdings speziell, man erlerne es „schnell oder gar nicht“. Von Karl Böhm überliefert er den Satz „Mit einem Staberl kann ich mir mein Leben verdienen, mit zweien müsst ich verhungern“. Es ist eine der vielen Anekdoten des Buches. Weikerts Erfahrungen in China lesen sich fast alptraum­haft, sowohl was das Organisatorische, die Tischsitten und das ständige Aus­spucken auf der Straße als auch die Zusammenarbeit mit den Musikern angeht.

Fazit der Lebensbeschreibung dieses verträumten Jungen aus Linz hin zum kosmopolitischen Dirigenten: „Den schönsten Beruf, den des Dirigenten, ausüben zu dürfen, ein Leben lang mit der Musik zu verbringen, ist wahrlich mehr, als man jemals erhoffen durfte.“  

Eine wichtige, wenn auch nicht die wichtigste Tätigkeit seines Lebers war das Lehren, an der Zürcher Musikhochschule, bei Sommerkursen in Vieste, an der Wiener Musikuniversität und in Luzern, Die Bilanz seiner Lehrtätigkeit zog er 2018 in seinem Buch „Beruf Dirigent“

Es ist ein Vademecum für Studenten und angehende Dirigenten. Grundsätzliches wie Spezielles über Tempo und Form, Takt und Schlagtechnik, Dynamik und Partituranalyse, Umgang mit Räumen, aber auch über Voraussetzungen und Bedingungen, Traditionen und Unwägbarkeiten des Berufs werden konkret dargestellt. Wagner, Strauss und Mozart wird besondere Aufmerksamkeit zuteil. „Dirigieren ist immer Interpretieren“ lautet eine der Kernaussagen des Maestros, aber „ohne genaues Wissen“ nicht möglich“. Partitur-, Stil- und Instrumenten­kunde seien Voraussetzung jedes Dirigats. Selbstverständlich ist auch die Kennt­nis von Sängerstimmen und Gesangstechnik Voraussetzung.  „Ein Diri­gent muss stets auf drei Ebenen handeln: Er muss vor dem Erklingen genau wissen, was kommen soll, er muss während es Klingens unmittelbar agieren und er muss reagieren auf das, was soeben erklungen ist.“ Ein Kunststück! Aber über das, was man zur Vollbringung desselben lernen kann, erfährt man Einiges in diesem Buch, Praktisches wie Gelehrtes. Vor allem aber lehrt Ralf Weikert, der leidenschaftliche Musiker, Demut, die beileibe nicht allen heutigen Dirigen­ten eigen ist: „Musik bedarf der Wiedergabe, was uns nicht dazu verleiten darf, uns als ihr Schöpfer zu fühlen. Es ist und bleibt unsere Verpflichtung, aus­schließ­lich im Geiste des Schöpfers als sein Diener an seinem Werk zu wirken“ (Ralf Weikert: Der Strom der Töne zog mich fort…; Schweizer Literaturgesellschaft 2020, 188 Seiten, ISBN: 9783038831242 / Ralf Weikert: Beruf Dirigent; Böhlau Verlag 2017, 189 Seiten, ISBN: 3205205308). Dieter David Scholz

Totentanz

 

Von bösen Ahnungen erfüllt gewesen sein muss Stephan Märki, Regisseur der Berner Carmen bei Arthaus, als  er bereits im April 2018 eine weitgehend corona-konforme Produktion auf die Bühne brachte, mit einer Zusatzfigur namens Joker, eher als der Tod höchstpersönlich identifizierbar, der eine jede Form von Aerosol zurückhaltende Maske trägt, die im Verlauf der Handlung auch der männliche Teil des Chors tragen muss. Zudem gelingt es der Figur immer wieder auf zunehmend penetrante Weise, sich zwischen die Figuren, so im Schlussduett von Carmen und Don José, zu drängen, so dass auch auf diese Weise die Ansteckung mit dem lästigen Virus verhindert wird, allerdings auch die Entstehung einer echten Spannung zwischen den eigentlichen Mitwirkenden. Die großartige tänzerischen Leistung von Winston R. Arnon wird damit keinesfalls in Frage gestellt, wohl aber die Sinnhaftigkeit seines Einsatzes im Werk, wenn er anstelle von Fraquita oder Mercedes die Karten mischt oder wenn er versucht, Carmens Hände zu seinen erogenen Zonen zu lenken. Er ist nicht die einzige speziell Berner Zutat zu Bizets Meisterwerk, es gibt auch musikalische Änderungen, wenn es weder Rezitative noch Dialoge gibt, die man allerdings nicht vermisst, stattdessen einige Takte bisher unbekannter Musik, die der Dirigent Mario Venzago entdeckt hat, so vor dem Kinderchor, vor der Habanera und im Schlussduett. Ihre Notwendigkeit allerdings kann sie nicht zwingend beweisen, hält eher, so vor der Habanera, den Fluss der Handlung ohne zusätzlichen Gewinn auf.

Recht eigenartig ist die Kostümierung sowohl der Solisten wie des Chors durch Philipp Fürhofer, der die weiblichen Solisten in weiße, der Alta Moda würdige Gewänder mit rotem Gürtel kleidet, man denkt an Charlottes Werther, diese allerding in schlichterer Ausgabe, ihnen kunstvolle Frisuren verpasst und Micaela wie das Ebenbild Carmens erscheinen lässt, und alle stöckeln auf hohen Absätzen durch die Felsenschlucht. Der Kinderchor besteht aus Ballettratten, eine von ihnen wird zur Beute des Todes. Die Herren treten in moderner Alltagskleidung , die Chordamen teilweise in albernen Paillettenhöschen auf. Die Bühne ist schwarz, zeitweise spiegelt sich das Publikum in ihr, manchmal gibt es Videobilder wie das einer Hochhauslandschaft. Nicht nur die Bühne, auch die Seitenlogen und die Umrandung des Orchestergrabens werden bespielt. Warum die Blume zum Handschuh, das Messer zur Glasscherbe wird, die Herren zum Straßenanzug Koppel tragen in dieser Inszenierung, wird nicht erhellt.

Wesentlich Angenehmeres als den Augen wird den Ohren geboten, so dass der Genuss der beiden CDs ein größerer als der der DVD ist.  Das Orchester unter Mario Venzago spielt straff und federnd, die Sänger, dem Haus seit längerem verbunden, sind teilweise vorzüglich. Besonders der leuchtende lyrische Sopran von Elissa Huber ist von schöner Reinheit, ihre große Arie im dritten Akt der musikalische Höhepunkt der Aufführung. Claude Eichenberger setzt einen schlanken, ebenmäßig gefärbten und flexiblen Mezzosopran für die Titelfigur ein. Den beiden hochgewachsenen, schlanken Sängerinnen steht mit Xavier Moreno ein recht kleiner, stämmiger Don José gegenüber, dessen Tenor durchschlagskräftig ist und der am Schluss der Blumenarie des Komponisten Willen gehorcht. Eher optisch dem Escamillo entspricht Jordan Shanahan als vokal, denn sein Auftrittslied verrät Tiefenprobleme, verquollene und verschluckte Töne beeinträchtigen seine Leistung, die im dritten und vierten Akt ansprechender wird. Aus dem Rest des Ensembles ragt der Morales von Carl Rumstadt durch eine angenehme Stimme hervor, so dass die Erweiterung seiner Partie nur erfreuen kann (Arthaus 109433 von 2018). Ingrid Wanja