Seinen 40. Geburtstag feierte im gerade vergangenen Jahr/ 2020 das Label Orfeo und ehrte und vermarktete noch einmal seine berühmtesten Gesangssolisten auf zehn CDs, auf dem Cover alphabetisch aufgelistet von Baltsa bis Várady und im Innern chronologisch beginnend 1981 mit eben dieser Agnes Baltsa und endend mit dem gerade im Zenit seiner Karriere stehenden Piotr Beczala, der sich 2011/12 einem reinen Verdi-Programm widmete. Manche der Mitwirkenden – so raunte man in den frühen Jahren des Labels – hatten substanzielle Anteile an der Firma, die sich für einige ihrer Stars als Vermarktungsmaschiene darstellte …
Eher ihre Vielseitigkeit und die Entwicklung ihrer Stimme zeigt Agnes Baltsa, die mit Rossinis Rosina und deren Cavatina beginnt und nicht die liebenswürdigste, aber hochvirtuos geführte Stimme offeriert, der man ab „ma“ alles glaubt und die als Rossinis Elena aus La Donna del Lago nicht unpassend leicht hysterische Züge annimmt. Dass sich diese Angelina nicht mehr in die Asche stoßen lassen wird, glaubt man nach ihrem „Non più mesta“, und Mozarts Sesto findet zu einem schönen Wechselspiel mit den Instrumenten. Geschmeidig ist Donizettis Favorita unterwegs, der Lady Macbeth wird in „La luce langue“ schmal und scharfzüngig das Lauernd-Schillernde verliehen, das sie ausmacht. Geschmackvoll und doch ergreifend meldet sich Santuzza schließlich zu Wort. Es begleitet das Münchner Rundfunkorchester unter Heinz Wallberg.
So kontrastreich wie die Charaktere, die sie darstellen, ist die Herangehensweise an ihre Sängeraufgabe bei Carlo Bergonzi und Dietrich Fischer-Dieskau, die mit Duetten unterschiedlicher Komponisten auf CD 2 zu finden sind. Will der Italiener im ersten Duett Alvaro-Carlo die Melodie sich entfalten, die musikalische Linie gewahrt wissen , so geht es dem Deutschen auch um Textausdeutung, um die scharfe Charakterisierung. So kam zusammen, was zusammen nicht gehörte, dazu kommt, dass 1982 beide bereits ältere Herren waren, was man dem Tenor weniger anmerkt, das „Finalmente“ im zweiten Duett der Widersacher allerdings ist eine Wucht, und hier finden beide Sänger zu einer mitreißenden Darbietung. Fischer-Dieskau war, wie eine bange Frage während einer Tournee der Deutschen Oper Berlin an den Tenorkollegen zeigte, nie so ganz sicher, ob seine Stimme und die Art seines Singens der italienischen Tradition entsprächen. So hat er den Barnaba in den langen Jahren, in denen die Gioconda an seinem Heimatort im Repertoire war, anders als auf dieser CD wohl nie gesungen. Es folgt ein Duett aus Otello, eine Partie, an der der Tenor schließlich scheiterte, zwar noch die Generalprobe, aber nicht die Premiere vollständig sang. Der Bariton bringt das Lauernde in „Talor vedeste in man di Desdemona“ perfekt zum Ausdruck, übertreibt aber in „in man di Cassio“. Vater und Sohn in Verdis Vespri lassen väterlich Milde, ein schönes Legato und, was den Tenor betrifft, zu „donna perduta“ ein herrliches Crescendo hören. Wer als Verantwortlicher diese Musik zur Kenntnis nimmt, müsste eigentlich das sträflich vernachlässigte Stück sofort auf den Spielplan setzen. Perlenfischer und Bohéme verlangen eigentlich nach jungen Stimmen, aber auf der des Tenors liegt durchaus noch der Schimmer der edlen Muschelprodukte. Von Anfang an hat Fischer-Dieskau den Rodrigo, erst auf Deutsch, dann in der Originalsprache gesungen und er tut es auch im Freundschaftsduett auf dieser CD mitreißend, beide Sänger wissen, worauf es ankommt. Es begleitet das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Jesus Lopez Cobos.
Franco Bonisolli, von vielen Opernbesucherinnen heiß verehrt, spielte 1983 italienische Canzoni ein und prunkte oder protzte, je nachdem wie man zu seiner Art des Singens steht, mit endlosen Fermaten und Superhöhen und am besten beides in einem Atemzug. Da er ansonsten nicht allzu häufig dokumentiert wurde, ist es durchaus begrüßenswert, dass diese Aufnahme in die Geburtstags-CD-Sammlung mit aufgenommen wurde. Es begleiteten das Orchestra dell’Unione Musiciste di Roma und I Mandolini Napoletani di Gina del Vescovo unter Elvio Monti.
1983 widmete sich Grace Bumbry ihrer Karriere als Sopran, und ihr „Pace, pace“ ist eher eine Kampfansage als von Resignation geprägt, ihre Mezzovergangenheit kommt ihr zugute, schöne Piani erfreuen den Hörer, insgesamt wird sehr agogikreich gesungen. Raffiniert spielt die Sängerin mit den Stimmfarben als „umile ancella“ in Adriana di Lecouvreur, viel Geläufigkeit hat sie für die Cabaletta der ersten Arie der Trovatore-Leonora. Eine weite Spannbreite, was die Dramatik betrifft, beweist sie als La Wally, zarte, von Wehmut überschattete Gespinste kennzeichnen des Cid Geliebte. Mit unangestrengten Intervallsprüngen überzeugt la Gioconda, Louise mit raffinierten Crescendi,und mit Sapho und Alceste werden auch weniger bekannte Damen vorgestellt. Stefan Soltész begleitet mit dem Radio-Sinfonieorcheter Stuttgart.
Als vielseitigste von allen zeigt sich Brigitte Fassbaender, die ebenfalls 1983 vor die Mikrofone gebeten wurde. Für Händel weiß der Mezzo die Stimme instrumental zu führen, Gluck verleiht sie als Orfeo viel Wärme und Gefühl in der Stimme und einen einfach herrlichen Schwellton der Verzweiflung. Für Bellinis Romeo ist der androgyne Klang in der Stimme, die Intervallsprünge sind perfekt, mit Jeanne d’Arcs „Da, cas nastal“ macht sie sich die Tatsache zunutze, dass die meistens von Sopranen gesungene Partie (Julia Varady ist mit ihr in der Box vertreten) auch für einen Mezzo geeignet ist, und hier vemag die Sängerin die aufgewühlten Gefühle zu verdeutlichen, ohne je die musikalische Linie zu verletzen. Weniger robuste Sinnlichkeit als chansonhafte quirrlige Herausforderung zeichnet Fassbaenders Carmen aus, die gut angebundene Tiefe kommt der sanft betörenden Dalila zugute, wunderbare Melancholie begleitet Charlotte durch ihre Arie im dritten Akt. Wie man eine Szene intelligent aufbaut und Wagner textverständlich singt, zeigt die abschließende Waltrautenszene. Hans Graf leitet das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart.
Das ertragreiche Jahr 1983 führte auch Edita Gruberová ins Aufnahmestudio von Orfeo. Mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Lamberto Gardelli singt sie natürlich eine ihrer Paraderollen, die Zerbinetta, und lässt außer dem Wunsch nach der natürlich fast unmöglichen Textverständlichkeit keinen solchen offen, ist von unnachahmlicher Koloraturgewandtheit und ebensolcher Leichtigkeit der Emission der Stimme. Schön geflutet wird die Stimme bei der Arie der Amina, perfekt ist der canto elegiaco. Wie auf die Slowakin zugeschnitten ist die Bravourarie der Philine aus Thomas‘ früher viel gespielter Mignon.
Ein reines Tschaikowski-Programm nahm Julia Varady auf, neben Tatjana und Lisa kommen auch unbekanntere Damen wie Die Zauberin zu Wort. Die Primadonna von Berlin und München bewies auch 2000, dass sie mit ihrer Stimme einen Charakter vor den Ohren des Hörers erstehen lassen konnte, Mit vielen Schattierungen macht sie die wechselnde Seelenlage Tatjanas in der Briefszene hörbar, und man muss nicht einmal die Sprache verstehen, wenn man den Text nicht ohnehin auswendig kann. Eine frische Njanja ist Daphne Evangelatos. Die Jungfrau der Varady klingt mädchenhafter als die der Bumbry, für die Maria aus Mazeppa hat sie viel Innigkeit in deren Wiegenlied und bezaubert durch ein wunderschönes Decrescendo. Wie Lisa endet auch die Zauberin als Wasserleiche, davor verleiht ihr die Varady seelenvolle Töne, und Lisa harmoniert in ihrer zweiten Arie sehr schön mit den Orchesterfarben. Dem Münchner Rundfunktorchester sind unter Roman Kofman auch rasante Nummern aus Mazeppa vergönnt.
2007 konnte Krassimira Stoyanova ihre Vielseitigkeit beweisen, vor allem aber, dass sie die ideale Verdi-Stimme ihr Eigen nennt. Luisa Miller kann die Unbeschwertheit im ersten Akt eindrucksvoll vermitteln, der unbekanntere Verdi kommt auch mit La Battaglia di Legnano zu Wort. Die Boccanegra-Amelia überzeugt in ihrer ersten Arie durch schillernde Stimmfarben, eine angenehm weich klingende Tiefe, und sie wetteifert an Farbigkeit mit dem Vorspiel. Zwei Arien aus den einmal höchst populären Opern von Antonio Carlos Gomes zeigen die Weitgespanntheit ihrer Interessen, für beide, sei es aus Fosca oder aus Il Guarany, gehorcht die nie angestrengt klingende Stimme jeder Regung ihrer Heldinnen. Koloraturen von leichter Emission krönen Delias „C’era una volta un principe“, Antonia aus Hoffmann findet viele Nuancen, um die Figur unverwechselbar zu machen. Geschmeidig und von weicher Fülle klingt Annas Arie aus Puccinis Erstlingsoper, die dolcezza von Mimi lässt sich erahnen. Friedrich Haider dirigiert das Münchner Rundfunkorchester.
Schon 2005 hatte Adrianne Pieczonka mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer eine CD mit Werken von Richard Wagner und Richard Strauss aufgenommen und beginnt mit einer völlig unangestrengt klingenden Hallenarie von schönem Jubelton. Wunderbar innig, mit rundem Piano und aufblühender Stimme erklingt das Gebet der Elisabeth, aus einem feinen Parlando sich zu strahlendem Klang steigernd kann man Sieglindes „Der Männer Sippe“ hören. Elsa schließlich singt eine Traumerzählung von keuschem Klang, sehr lyrisch und klug aufgebaut. Auch in der mezza voce im zweiten Akt kann di Stimme leuchten und strahlt Zuversicht aus. Den Schluss des Wagner-Blocks bilden die Wesendonk-Lieder. Die Strauss-Ariadne gibt sich nicht als Hochdramatische, die Capriccio-Gräfin bleibt nicht hinter den Farben aus dem Orchestergraben zurück, ist von silbrigem Glanz, Arabella macht die CD komplett.
Eine reine Verdi-CD spielte Piotr Beczala 2011 und 2012 ein, als einzige der auch in französischer Fassung vorliegenden Opern den Henri mit seiner großen Arie „O jour de peine“, und es ist eine gute Wahl, weil man hier nicht die Glut italienischer Stimmen vermisst. Streckenweise klingt di Stimme wunderbar elegisch, manchmal hört sich der Gesang zu sehr nach Kraftakt an. Trovatore, Don Carlo, Lombardi werden in der italienischen Fassung geboten, wobei der Oronte zu der damals noch recht lyrischen Stimme am besten passt. Aus dem Trovatore gibt es den zweiten Teil des zweiten Akts, was den Hörer in den Genuss einer der schönsten Mezzostimmen der damaligen Zeit bringt: Ewa Podles. Später tritt mit dem Rodrigo von Mariusz Kwiecien noch ein weiterer polnischer Sänger von Weltruf auf. Manricos „A si“ wird sehr schön phrasiert, in Radames‘ Auftrittslied werden di Intervallsprünge perfekt gemeistert, es gibt am Schluss eine tolle Fermate, aber von Morendo keine Spur. Duca, Alfredo, Macduff und Riccardo passen zur damaligen Stimme am besten, werden stil- und geschmackvoll gesungen, die Cabaletta des Alfredo nach oben, und auch das Ingemisco erfährt eine adäquate Interpretation. In seiner jüngst erschienenen Biographie meinte der Tenor, den Carlos wolle er nicht singen, er finde ihn unsympathisch, nicht zuletzt, weil ein Verlierer seiend. Beschenkt er ihn deswegen am Schluss des Freundschaftsduetts mit einem zusätzlichen hohen Ton? Das Polish Radio Symphony Orchestra unter Lukasz Borowicz begleitet (Legendary Voices, 10 CD, Orfeo 10CD 20021). Ingrid Wanja
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