Totentanz

 

Von bösen Ahnungen erfüllt gewesen sein muss Stephan Märki, Regisseur der Berner Carmen bei Arthaus, als  er bereits im April 2018 eine weitgehend corona-konforme Produktion auf die Bühne brachte, mit einer Zusatzfigur namens Joker, eher als der Tod höchstpersönlich identifizierbar, der eine jede Form von Aerosol zurückhaltende Maske trägt, die im Verlauf der Handlung auch der männliche Teil des Chors tragen muss. Zudem gelingt es der Figur immer wieder auf zunehmend penetrante Weise, sich zwischen die Figuren, so im Schlussduett von Carmen und Don José, zu drängen, so dass auch auf diese Weise die Ansteckung mit dem lästigen Virus verhindert wird, allerdings auch die Entstehung einer echten Spannung zwischen den eigentlichen Mitwirkenden. Die großartige tänzerischen Leistung von Winston R. Arnon wird damit keinesfalls in Frage gestellt, wohl aber die Sinnhaftigkeit seines Einsatzes im Werk, wenn er anstelle von Fraquita oder Mercedes die Karten mischt oder wenn er versucht, Carmens Hände zu seinen erogenen Zonen zu lenken. Er ist nicht die einzige speziell Berner Zutat zu Bizets Meisterwerk, es gibt auch musikalische Änderungen, wenn es weder Rezitative noch Dialoge gibt, die man allerdings nicht vermisst, stattdessen einige Takte bisher unbekannter Musik, die der Dirigent Mario Venzago entdeckt hat, so vor dem Kinderchor, vor der Habanera und im Schlussduett. Ihre Notwendigkeit allerdings kann sie nicht zwingend beweisen, hält eher, so vor der Habanera, den Fluss der Handlung ohne zusätzlichen Gewinn auf.

Recht eigenartig ist die Kostümierung sowohl der Solisten wie des Chors durch Philipp Fürhofer, der die weiblichen Solisten in weiße, der Alta Moda würdige Gewänder mit rotem Gürtel kleidet, man denkt an Charlottes Werther, diese allerding in schlichterer Ausgabe, ihnen kunstvolle Frisuren verpasst und Micaela wie das Ebenbild Carmens erscheinen lässt, und alle stöckeln auf hohen Absätzen durch die Felsenschlucht. Der Kinderchor besteht aus Ballettratten, eine von ihnen wird zur Beute des Todes. Die Herren treten in moderner Alltagskleidung , die Chordamen teilweise in albernen Paillettenhöschen auf. Die Bühne ist schwarz, zeitweise spiegelt sich das Publikum in ihr, manchmal gibt es Videobilder wie das einer Hochhauslandschaft. Nicht nur die Bühne, auch die Seitenlogen und die Umrandung des Orchestergrabens werden bespielt. Warum die Blume zum Handschuh, das Messer zur Glasscherbe wird, die Herren zum Straßenanzug Koppel tragen in dieser Inszenierung, wird nicht erhellt.

Wesentlich Angenehmeres als den Augen wird den Ohren geboten, so dass der Genuss der beiden CDs ein größerer als der der DVD ist.  Das Orchester unter Mario Venzago spielt straff und federnd, die Sänger, dem Haus seit längerem verbunden, sind teilweise vorzüglich. Besonders der leuchtende lyrische Sopran von Elissa Huber ist von schöner Reinheit, ihre große Arie im dritten Akt der musikalische Höhepunkt der Aufführung. Claude Eichenberger setzt einen schlanken, ebenmäßig gefärbten und flexiblen Mezzosopran für die Titelfigur ein. Den beiden hochgewachsenen, schlanken Sängerinnen steht mit Xavier Moreno ein recht kleiner, stämmiger Don José gegenüber, dessen Tenor durchschlagskräftig ist und der am Schluss der Blumenarie des Komponisten Willen gehorcht. Eher optisch dem Escamillo entspricht Jordan Shanahan als vokal, denn sein Auftrittslied verrät Tiefenprobleme, verquollene und verschluckte Töne beeinträchtigen seine Leistung, die im dritten und vierten Akt ansprechender wird. Aus dem Rest des Ensembles ragt der Morales von Carl Rumstadt durch eine angenehme Stimme hervor, so dass die Erweiterung seiner Partie nur erfreuen kann (Arthaus 109433 von 2018). Ingrid Wanja