Eine der wirklichen Superstimmen im großen französischen Repertoire, Le Grand Repertoire, war Gustave Botiaux, in operalounge.de bereits mit einem schönen Farbfoto von einer Orphée-LP im Artikel über Reyers Sigurd vorgestellt und sogar im Original zu Pferd abgebildet. Irre!.
Auf alten Editionen wie der inzwischen vergriffenen von opera-club.net meines verstorbenen Freundes Walter Knoeff (rip) fand sich zudem eine ganz spektakuläre Sammlung des Sängers (geb. am 14. Juli 1926), die volle zwei CDs zusammenfasste und die ihn in Bestform im angestammten Fach des heroischen französischen Tenors zeigt, bestens aufbereitet und schlicht Staunen lehrend, denn hier brüllt keiner wie Py, Chauvet oder Poncet: Hier singt eine große und leuchtende Tenorstimme lyrisch, dabei kraftvoll und durchschlagend, ohne auf Stimmschönheit zu verzichten. Dazu kommt die hochintelligente, rollengestaltende Phrasierung (was man weder Chauvet noch Poncet nachsagen kann). Und natürlich die Diktion! Zum Mitschreiben, zum Mitsingen, jedes Wort verständlich. Ich würde mich in Sachen Stimmumfang und Stimmführung sogar zu einem Vergleich mit Siegfried Jerusalem versteigen, der natürlich später und deutsch sang, aber der ähnlich seine schöne Stimme nicht forcierte und eben das Lyrische darin bewahrte. Ähnlich geht es mir bei Botiaux, dessen Sigurd eingangs auf der ersten CD mich betört und verzückt. Amazon, Spotify, youtube und andere Platformen machen zudem viele seiner Aufnahmen zugänglich.
Gustave Botiaux machte beim Nationalen Gesangswettbewerb in Cannes 1945 den ersten Preis und wurde sofort als erster Tenor an das Théâtre de la Monnaie in Brüssel engagiert. Die Pariser Oper folgte bald darauf 1956 (als Messenger in Samson et Dalila, vorher die Comique mit Turiddu), an der er für viele Jahre im ersten Fach sang (erst kleine Partien wie den Tierverkäufer (Rosenkavalier) im 1. Akt, dann auch den Italienischen Sänger 1957, später Faust, Cavaradossi, Le Duc/Rigoletto 1960, Radamès). Wie opera-club.net schreibt, besaß Botiaux einen Stimmton seltener Klangschönheit, dazu war er ein schöner Mann auf der Bühne (wie die Fotos bestätigen) und beeindruckte mit seiner athletischen Figur und einem gewissen raumverdrängenden Charisma, das ihn schnell in die übrigen Theater Frankreichs brachte.
In jener Periode erlebte die Opéra-Comique einige ihrer besten Jahre der Nachkriegszeit, auch mit einem expansiveren Repertoire wie Cavalleria und Pagliacci, und in der ersteren Oper beeindruckte 1956 der hochpräsentable Botiuax außerordentlich, während Tony Poncet den Canio gab – quelles riches!
Zwei seiner wichtigsten Rollen verdankte er der Provinz – Vasco de Gama und der Sigurd, in denen er unerreicht war und die er dort, wie in Marseille und Vichy, mit Ausdauer sang. Und es ist ein Jammer, dass Chauvet die Radioaufnahme der Reyerschen Oper (unter Rosenthal beim RTF/Chant du Monde und bis heute die einzige Gesamtaufnahme) bekam. Aber mit Botiaux gibt es einen großen Querschnitt bei Orphée/Musidisque neben seiner Partnerin Lyne Cumia unter Etcheverry.
Natürlich wurde in jenen Jahren fast ausschließlich in der nationalen Sprache gesungen, und der Dick Johnson in La fille de far West Puccinis wurde ebenfalls zu einer seiner Schlüsselrollen, ebenso Radamès oder Cavaradossi. Krankheit hinderte Botiaux von 1964 bis 1968 an Opernauftritten. Mit einem Wiederauftritt kehrte er im Triumph als Jean in der Hérodiade/Massenet in Aix-en-Provence und anschließend beim Rundfunk zurück. Ebenfalls als Canio machte er von sich reden, und sogar ein Alfred in der französischen Fledermaus ist für die späte Phase nachzuweisen, während er vor allem in der Provinz den Duca/Rigoletto, Don José oder Cavaradossi mit Glanz sang.
1973 verließ er das Theater und setzte sich zur Ruhe. Sein Ausscheiden verstärkte den akuten Mangel an großen Tenorstimmen im französischen Repertoire, das nun eigentlich nur noch von Gilbert Py und Guy Chauvet beherrscht wurde und das sich von dieser Lücke nicht wieder erholt hat. Bestimmte Werke sind mit französischen Sängern nicht mehr aufzuführen, einzig Roberto Alagna kann mit seinem Cid, Werther, Roméo (und hoffentlich Vasco de Gama im Herbst in Berlin) etc. als Nachfolger gelten, und er ist eher ein lyrischer Sänger mit viel weniger Metall in der dunkleren Stimme.
Botiaux und seine Aufnahmen sind heute weitgehend vergessen. Man rekuriert immer gleich auf Georges Thill und vergisst die Zwischenzeitsänger wie Liccioni. Und deswegen war die Sammlung bei opera-club.net umso begrüßenswerter. Bei Orphée (später Vega) hat er einen großen Querschnitt aus der Tosca und aus dem Sigurd mit Lyne Cumia/Etcheverry aufgenommen, dazu noch drei 25 cm LPs mit Arien und Szenen ebenfalls hier. Die finden sich auf dieser Kompilation gemischt mit einigen Live-Radioübernahmen. So Szenen aus der Damnation de Faust (mit Jacqueline Lucazeau und Paul Cabanel, Vichy 1956), natürlich das unerreichte „Asile héréditaire“ aus dem Tell in Vichy 1960, Fausts Arien (Rundfunk), Roméo et Juliette (mit Huguette Rivièrè/Jacqeline Silvy und Xavier Dépraz, RTF 1960), Tosca (mit Suzanne Sarrocca, eine ganz wunderbare Stimme und betörend schöne Frau, Vega 1961), La Bohème, Aida, La Favorite, L´Africaine (Vega, Amati 1961); Samson et Dalila (mit Simone Couderc/Bigot RTF 1960) und schließlich Auszüge aus Louise (mit Jacqueline Brumaire unter Marcel Cariven live 1960) – ein reiches Füllhorn an Wundern aus der Schatzkiste herrlichen französischen Gesangs, wie es ihn eben nicht mehr gibt.
Für heutige Ohren eher bizarr ist eine Sammlung von Chansons patriotiques aus dem Ersten Weltkrieg, den unsere Nachbarn noch immer La Grande Guerre nennen und mit würdevollen Veteranen-Umzügen auf den Champs Elysées begehen. 1968 aufgenommen und mit Chor unter Eugen Bigot marschhaft zum Mitmarschieren auffordernd – es geht gegen die Deutschen, 1968 (!), und was da textlich abgeht, ist nicht eben fein. Offenbar gab es selbst so spät noch ein Publikum dafür… Dies auf dem Blog artlyriquefr.fr mit schönen Fotos, dort auch noch mehr von dem Tenor, so weitere Ausschnitte aus der Damnation, der Reine de Saba Gounods, aus dem Trouvère (französisch in der Pacini-Fassung) und mehr in sehr gutem 128 kbs-Sound. Eine besondere Kostbarkeit ist ebendort die Arie des Jean „Ne pouvant réprimer“ aus Massenets Hérodiade von 1960/Amati. Und überhaupt findet sich bei artlyriquefr.fr und im Netz viel aus Frankreich von Botiaux, was zeigt, dass er dort doch nicht ganz vergessen ist. G. H.
Nachstehend noch einmal eine Zusammenfassung, wie sie sich auf dem bereits genannten Blog von artlyriquefr.fr findet: Gustave Botiaux, ténor français, (92.Puteaux, 14 juillet 1926), Epouse la cantatrice Jaqueline Silvy. Elève du Conservatoire de Paris, où il obtient un premier prix de chant, il fut lauréat du concours des ténors de Cannes en 1954. Le concours du Bel canto de Bruxelles en 1955 lui valut un engagement au Théâtre de la Monnaie. Engagé l’année suivante à la RTLN, il débuta à l’Opéra-Comique, puis chanta au Palais Garnier. Mais c’est en province et à l’étranger qu’il consacra la part essentielle de son activité, dans un large répertoire (Hérodiade, Samson et Dalila, Lohengrin. Sigurd, l’Africaine, Werther). Suite à la dissolution de la troupe de l’Opéra, il quitte la scène en 1973 et se retire avec sa femme en Ardèche.
Au début des années 60, il a enregistré pour la marque Orphée (Pacific) : récital n°1, dir. Giancarlo Amati (Roméo et Juliette, Hérodiade, le Trouvère, la Tosca, Sigurd, Rigoletto) ; récital n°2, dir. Giancarlo Amati (la Favorite, l’Africaine, la Bohème, la Juive, Aïda) ; récital n°3, dir. Jésus Etcheverry (Turandot, Manon Lescaut, André Chénier, la Reine de Saba, Guillaume Tell, la Favorite) ; des versions anthologiques de Carmen(Don José), dir. Erasmo Ghiglia ; Faust (Faust), dir. Jésus Etcheverry ; Sigurd (Sigurd), dir. Jésus Etcheverry ; la Tosca (Mario) [version française de Paul Ferrier], dir. Giancarlo Amati ; le Pays du sourire (Sou-Chong) [version française d’André Mauprey et Jean Marietti], dir. Giancarlo Amati (1963) ; pour la marque Vogue : Chansons patriotiques, arrangements et direction d’orchestre : Michel Villard (1968). artlyriquefr.fr