Archiv für den Monat: Oktober 2017

Italienischer Schubert und anderes

 

In der Reihe Première Portraits von Capriccio ist eine CD mit Aufnahmen der amerikanischen Sopranistin Julie Davies erschienen mit fast ausschließlich Musik auf italienische Texte, ausgenommen die französischen Les Adieux de Marie Stuart von Richard Wagner. Die junge Sängerin war in Darmstadt im Festengagement und hier vor allem in Belcanto-Partien zu hören, aber auch als Violetta oder den vier Frauenrollen der Contes d’Hoffmann. Augenblicklich scheint sie vor allem zwischen Kalifornien und Südamerika tätig zu sein. Die CD entstand 2015 in Wien, begleitet wird die Sängerin von dem besonders als Begleiter hocherfahrenen Charles Spencer.

Es beginnt mit einer Auswahl aus den Sei Ariette von Vincenzo Bellini auf Texte von Metastasio. In „Vanne, o rosa“ kann man sich über einen herb-frischen Sopran freuen, der noch nicht ganz gebändigt zu sein scheint, was allerdings auch daran liegen kann, dass dank der Technik die Stimme überpräsent zu sein scheint. Die italienische Diktion ist nicht sehr präzise, das Piano trägt sehr gut, so im Verklingen des Lieds, die Höhe ist etwas grell. In der „Farfaletta“ kommt der Stimme das Kleinschrittige der Komposition entgegen, das Flattern des Insekts wird anmutig zur Geltung gebracht. Dass der Sopran über eine besonders schöne Mittellage verfügt, kann man in „Per pietà“ erleben, aus der der Sopran leichtfüßig in die Höhe klettert. Auch der Intervallsprung in „Ma rendi pur contento“ gelingt gut und auch ihr Sichwiegen im Fluss der Melodie.

Die ausgesprochen reiche Stimme kann für Schuberts „Non t’accostar“ einen melancholischen Klang annehmen, und das sehr individuelle Timbre findet auch den angemessen naiven Ton für „Guarda, che bianca luna“ des Komponisten. Allerdings bleibt es innerhalb eines Stückes doch recht monoton, wird wenig variiert. Schon Dramatischerem zugewandt ist Julie Davies in Schuberts „Vedi, quanto adoro“ mit tragischem Ton auf „a non lasciarmi“.

Es folgen Liszts Vertonungen von Tre sonetti del Petrarca, wo „Pace non trovo“ beweist, wie gut die Registerverblendung gelingt, wie schön das Piano sich anhören kann. Aber auch hier verblüfft und verstört etwas die leicht gequetscht klingende Höhe, wird die Extremhöhe nur angetippt. Im ruhigen Fahrwasser und mit schönem Verklingen versöhnt dann wieder „Benedetto sia il giorno“, nachdem die gut tragende mezza voce bereits ein Genuss war.

Französisch passt zur Stimme noch besser als Italienisch, wie man im Wagner-Stück feststellen kann, in dem auch die Koloratursicherheit des Soprans gefallen kann (Capriccio 3003). Ingrid Wanja

 

Jean-Baptiste Lemoynes Oper „Phèdre“

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Die Phädra-Vorlage des Eurypides hat neben Racine (den Schiller sogar ins Deutsche übersetzte) auch manche Komponisten inspiriert, so Simone Mayr oder Ildebrando Pizetti (nach D’Annunzio). Und auch Jean-Baptiste Lemoyne, ein Zeitgenosse Cherubinis (etwas jünger), der 1780 seine Phèdre auf die Bühne in Paris brachte.

Zu „Phèdre“: der Komponist Jean-Baptiste Lemoyne/ Wiki

Und in Paris konnte man sie nun (nach Präsentationen am Théâtre de Caen, Rouen und auf dem Weg zum Gastspiel in Moskau –  am 8. Juni 2017 neu erleben) in einer an zeitgenössische Tradition des Königlichen Hofes angelehnten  Reduktion vom Théâtre des Bouffes du Nord: in einer Bearbeitung für 10 Instrumente und 4 Sänger von Benoit Dratwicki (Musikwissenschaftler und Directeur artistique du Centre de Musique Baroque de Versailles) und Julien Chauvin, letzterer als 1. Geiger am Pult des Concert de la Loge. Der Klang ist natürlich ein anderer, als das originale, größere Orchester hätte bieten können. Aber so sehr man maulen mag – immerhin hört man dieses Werk in der Piccini-Nähe einmal. Die Verse sind von Jean-Benoit Hoffmann, der ja auch die Alexandriner für die Médée geschrieben hat.

Und angesichts eines wirklich sehr überzeugenden Solistenbildes, namentlich Judith van Wanroij (man erinnert sich an ihre leuchtende Stimme in den Danaides) und Enguerrand de Hys als Phèdre und Hippolyte, versöhnt man sich mit dieser Sparfassung. In weiteren Partien sangen Thomas Dolié den Thésée und Diana Axentii die fiese Amme Oenone. Julien Chauvin dirigierte mit viel Elan, wenngleich doch die Reduzierung die Ballette und vor allem den Chor wegließ, der in keiner französischen tragischen Oper der Zeit fehlen darf. Leider wird wohl der Palazetto dieses Mal die Aufführung nicht für die CD konservieren, obwohl France Musique das Ganze am 27. Juni 2017 übertrug. Deshalb im Folgenden ein Artikel von Benoit Dratwicki zum Werk und zum zeitlichen Umfeld. Eine kurze Biographie Lemoynes  ergänzt. G. H.

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„Phèdre“ am Théâtre des Bouffes du Nord/ Szene/ Foto Théâtre de Caen/ Grogory Forestier

Zuerst ein Wort zur Transkription aus dem Programmheft der Aufführung 2017:

Angefangen bei Marie Leczinska und ihren Concerts de la Reine unter Ludwig XV. bis hin zu den Concerts de la Reine der Kaiserin Josephine während des Ersten Kaiserreichs belegen umfangreiche archivarische Quellen, dass am Hof regelmäßig kürzere Fassungen von Opern oder Auszüge in kleiner Besetzung aufgeführt wurden. Diese Privatkonzerte, die für etwa ein Dutzend Musiker und eine begrenzte Anzahl von Stimmen arrangiert wurden, dienten sowohl der Ausübung des Zensurrechts, bevor die großen Werke in der Hauptstadt uraufgeführt wurden, als auch der Präsentation der einprägsamsten Passagen nach der Aufführung der Werke. Die zu diesem Zweck arrangierte Musik wurde systematisch und in aller Eile von den Kopisten der Opéra niedergeschrieben, die Sätze von nicht zur Veröffentlichung bestimmten Manuskriptteilen anfertigten. Alle diese Bearbeitungen sind verloren gegangen, aber die in verschiedenen nationalen Archiven aufbewahrten Verwaltungsdokumente geben uns eine ziemlich klare Vorstellung von der Anzahl und der Art der Musiker, die an diesen gelegentlichen Aufführungen beteiligt waren. Aus diesen Quellen stammt die vorliegende Bearbeitung von Lemoynes Phèdre, in der das Streichquintett in ein Ensemble von Bläsern eingebettet ist, die in der Originalpartitur am häufigsten eingesetzt werden. Passagen, in denen ein Chor gefordert ist, wurden bewusst gestrichen. Im Grunde genommen ist der Chor in Lemoynes Version ebenso wenig wie in Racines Original ein wichtiger psychologischer Akteur in der dramatischen Entwicklung von Phèdre.

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„Phèdre“ Vigée-Lebrun Saint-Huberty war die erste Darstellin der Titelfigur/ OBA

Und nun die Anmerkungen von Benoît Dratwicki: Seine ersten Operntragödien hat Jean-Baptiste Lemoyne ab 1780 für die mächtige Stimme und das flammende Temperament der berühmten Sopranistin Saint-Huberty  geschrieben. „Herr Lemoyne und Fräulein Saint-Huberty lieben in der Oper nur die Themen, in denen es um Inzest, Gift und Mord geht“, klagte der Operndirektor der damaligen Zeit. In der Tat bringt er nach Électre eine Phèdre auf die Bühne, wobei er eine Partitur mit herben Klängen und heftigen Akzenten ersinnt, die geeignet sind, die psychischen Qualen dieser inzestuösen Königin darzustellen. Spiegelbildlich zu Racine hatte nun (für die gegenwärtige Präsentation erst in Caen dann in Paris) Marc Paquien entschieden, dieses Werk in einer auf vier Sänger reduzierten Fassung auf die Bühne zu bringen, die die Umrisse des Dramas betont, indem es das Spiel um eine Familientragödie ohne Ausweg konzentriert.

Die Premiere von Phèdre wurde am königlichen Hof wie auch in Paris gut aufgenommen, sowohl der Text als auch die Musik. Das Libretto von Hoffmann lehnt sich direkt an die Tragödie Phèdre von Racine (1677) an, indem es dem Zeitgeschmack folgt, die klassischen Tragödien in Operntragödien umzuwandeln.  Im selben Jahr 1786 standen mit Les Horaces von Salieri und La Toison d’or von Vogel zwei andere Beispiele auf der Opernbühne. Alle diese Werke belebten wieder die Diskussion über die Zweckmäßigkeit, die Tragödien des Repertoires der Comédie Française zu benutzen, um sie für die Opernbühne zu adaptieren. Schon die Andromaque von Grétry 1780 hatte diese Frage aufgeworfen. Man stellte in Phèdre Längen in manchen Szenen fest, die die Autoren sofort strichen, ohne dass es ihnen völlig gelang, eine gewisse Monotonie zu vermeiden, die durch das Fehlen von Kontrasten während der rezitierenden Bereiche entstand. Der Mercure fand die Poesie von Hoffmann „zart, angenehm, leicht“. Aber, gezwungen, dieselben Ideen wie Racine auszudrücken „konnten seine Verse einem solchen Konkurrenten nicht standhalten“. Die Affiches begrüßten die von Hofmann durchgeführten Kürzungen, die durch den Wechsel der neuen Aussage des Textes notwendig wurden. Mit dieser Tragödie wurde der junge Mann – er war nur 26 Jahre alt – sogar als einer der hoffnungsvollsten Dichter der Zeit angesehen.

„Phédre“: Vignette für den Thésee der Uraufführung/ BNO/ OBA

Man sieht, dass Lemoyne sehr von den Ratschlägen der Kritik und des Publikums profitiert hat, die er  zu seiner vorangehenden Tragödie Électre (1782) bekam und die für zu brutal und zu heftig gehalten  wurde. Vielleicht auch wegen einer übertriebenen Übernahme des Gluck’schen Systems. Die Partitur von Phèdre wurde als persönlicher empfunden und daher auch als natürlicher. Les Affiches meinten, dass Lemoyne das seltene Verdienst habe, „ein eigenes Genre zu besitzen“. Die Musik von Phèdre selbst wurde „vom Anfang bis zum Ende als besonnen, tief und erfüllt von zartestem Ausdruck empfunden, der aber manchmal in eine Art Melancholie ausartet.“ Der 3. Akt, „großartig erfunden“, macht diesen Fehler wieder wett. Man meinte zu bemerken, dass Lemoyne versucht habe, in mehreren Rezitativszenen diese Rezitative durch Gesang im eigentlichen Sinn zu ersetzen. Es zeigt sich ein schon romantischer Lyrismus. Die am meisten bejubelten Momente waren der Hymnus an Diane und das Gebet an Vénus am Beginn der Oper, die Arie der Phèdre (I, 4), ihr Duett mit Œnone (II, 1), die Anrufung des Neptun durch Thésée im selben Akt, die Rechtfertigung von Hippolyte im nächsten Akt und vor allem der von Schuldgefühlen erfüllte Monolog  der Phèdre im 3. Akt. „Dieses Stück ist nur ein Rezitativ, aber die Art, wie es gemacht ist, die mysteriösen, tiefen und erschreckenden Akzente des Orchesters zeigen das große Talent von Lemoyne“ , betonte der Mercure.

Ganz allgemein wurde die Vorstellung sehr gelobt. Die Ballette, obwohl nur episodisch, wurden akklamiert; man fand allerdings zu viel Keuschheit bei den Priesterinnen der Venus, die eher wie Dienerinnen der keuschen Diana wirkten.  Man empfahl ihnen (die Tänzerin) Mlle. Guimard als Vorbild, deren ausgelassene Haltung, ohne an Würde zu verlieren und Sinnlichkeit, ohne Vulgarität, perfekt ihrer Rolle entsprach. Mlle. Vigee-Lebrun Saint-Huberty, auf dem Gipfel ihrer Karriere, interpretierte Phèdre wirklich erhaben, und ließ das Wunder ihres Auftritts als Didon in der gleichnamigen Tragödie von Piccinni wieder auferstehen.  „Es ist unmöglich, ehrlichere , besser erfühlte und noblere Modulationen zu erzeugen. Alle Nuancen der Leidenschaft werden von dieser großen Darstellerin ausgedrückt, und sie verdient in ihrem Gesang nicht weniger Lob als in ihren Deklamationen“; versicherte der Mercure. Man warf ihr nur vor, manchmal die Gesangstimme zugunsten der gesprochenen Stimme aufzugeben. „Es ist nur ein Schrei, es ist nur ein Moment, aber dieser Moment ist unangenehm“. M. Rousseau in der Rolle des Hippolyte zeigte eine „unendliche Grazie“ und eine „kostbare Sensibilität“. M. Chéron in der Rolle des Thésée beeindruckte durch die Noblesse seiner Darstellung und durch seine klare und sonore Stimme. Mlle Gavaudan gab der Rolle der Œnone alles Gewicht, das möglich war.

„Phèdre“ am Théâtre des Bouffes du Nord/ Szene/ Foto Théâtre de Caen/ Grogory Forestier

Die Partitur der Phèdre zeigt, dass Lemoyne bemüht war, alle Unebenheiten, die man ihm bei Électre vier Jahre früher vorgeworfen hatte, auszugleichen. Wenn es der Musik auch ein wenig an Originalität fehlt, gewinnt sie an Lyrismus dazu. Das Thema eignet sich gut für intensive Szenen der Innenschau, vor allem für die Rollen von Phèdre und von Thésée. Lemoyne, der die Mittel von Mlle Saint-Huberty sehr gut kannte, schrieb ihr eine Rolle auf den Leib: Er betont ihre kraftvolle Höhe und er bringt auch die Tiefen ihrer Tessitura zur Geltung – insbesondere in den Rezitativen – um fast expressionistische Effekte zu erzielen. Man warf der Sängerin übrigens vor, diese zu übertreiben und die Sprechstimme zu sehr zu benutzen.

Die Orchestrierung von Lemoyne, die eher konventionell ist, wirkt manchmal ein wenig überladen und verlangt den Sängern ständig höchsten Einsatz ab, was zweifellos sehr anstrengend ist. Übrigens koloriert der Komponist geschickt pittoreske Szenen (wie in denen der Jäger) und findet teilweise vor-romantische Akzente (wie im letzten Monolog der Phèdre). Im Gegensatz zur italienische Schule von Piccinni, Sacchini und Salieri pflegt Lemoyne eine mehr französische Kunst, in der Nachfolge von Gossec insbesondere, wo das Theater und die Deklamation ihre Vorherrschaft über den Gesang im eigentlich Sinn behalten. (Quelle Palazetto Bru Zane/ Übersetzung Ingrid Englitsch)

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Der Autor, Benoit Dratwicki/Palazetto Bru Zane

Der Autor Benoit Dratwicki: B(Quelle Wikipedia France) Benoît Dratwicki studierte Cello, Fagott, Kammermusik, Musikausbildung, Analyse, Orchestrierung und Musikgeschichte am Conservatoire de Metz, das er mit einem Diplom abschloss. Parallel dazu begann er ein Universitätsstudium zunächst in Metz und dann in Paris IV-Sorbonne, wo er einen Master und einen DEA in Musikwissenschaft erwarb. Er vervollständigte seine Ausbildung in den Klassen für Musikgeschichte, Musikkultur und Ästhetik des CNR Paris und des CNSMDP. Er ist Spezialist für die französische Oper des 18. Jahrhunderts und den Wandel der lyrischen Stile und Genres zwischen 1750 und 1815. Er ist Autor mehrerer Forschungsarbeiten zu diesen Themen und hat an der Sorbonne eine Dissertation über François Colin de Blamont (1690-1760) verteidigt. Eine offizielle Karriere im Herzen der französischen Musikinstitutionen vom Grand Siècle bis zur Aufklärung (mention très honorable avec les félicitations du jury). Im Jahr 1995 erhielt er einen zweiten Preis beim Concours général (Musik). Der Autor und verantwortlich für die reduzierte Fassung der „Phédre“: Benoit Dratwicki/Palazetto Bru Zane. Im Rahmen seiner Tätigkeit ist er auch als Herausgeber von Büchern und Partituren tätig. Er ist Autor der ersten Biografie des Pariser Operndirektors Dauvergne (Antoine Dauvergne (1713-1797) : une carrière tourmentée dans la France des Lumières, Mardaga, 2011), betreut Reihen von Saalprogrammen (die Programmbücher des CMBV von 2002 bis 2010) oder Plattenbüchern (insbesondere die Sammlung französischer Opern des Concert Spirituel für das Label Glossa). Beim CMBV gibt er mehrere Partituren für Vokalmusik heraus, darunter eine Sammlung von Sammlungen von Keyboard-Gesangs-Arien (Campra, Lully, Rameau…).

Zwischen 1996 und 2008 trat er mit dem Ensemble L’Astrée auf, dessen Gründer er war und für das er zahlreiche Werke transkribierte. Diese Transkriptionspraxis setzte er für mehrere professionelle Ensembles fort (Messe pontificale von Théodore Dubois für das Brussels Philharmonic, Atys von Piccinni oder Le Saphir von David für Le Cercle de l’Harmonie). 2001 trat er dem Centre de musique baroque de Versailles als Delegierter für künstlerische Beziehungen bei; 2006 wurde er zum künstlerischen Leiter ernannt, eine Position, die er derzeit innehat. Ab 2006 war er an der Gründung des Palazzetto Bru-Zane (Zentrum für französische romantische Musik) in Venedig beteiligt, einer Einrichtung, die von der Bru-Stiftung geleitet wird. Er war zunächst künstlerischer Leiter (2006-2009), bevor er zum künstlerischen Berater (2010-/) ernannt wurde, der insbesondere für die Besetzung von Gesangsstimmen und die Umsetzung von Opernprojekten zuständig war. Benoît Dratwicki wird regelmäßig zu Kolloquien, Konferenzen oder als Juror für Wettbewerbe eingeladen und ist Produzent der Sendungen La Querelle des Bouffons und Sortez les jumelles auf France Musique (2006-2007), die er zusammen mit seinem Zwillingsbruder Alexandre Dratwicki moderiert.

In den letzten dreizehn Jahren hat er bedeutende Koproduktionen initiiert oder durchgeführt, die zur Neu- oder Wiederaufführung zahlreicher wenig bekannter französischer Werke in Konzerten und auf der Bühne führten und in der Regel durch Schallplatten- oder DVD-Aufnahmen verlängert wurden. Übersetzt mit www.DeepL.com

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„Phèdre“: Gemälde von Pierre Narcise Guérrin/ Wiki

Biographie: Jean-Baptiste Lemoyne (Moyne) (* 3. April 1751 in Eymet; † 30. Dezember 1796 in Paris) war ein französischer Komponist. Er wuchs bei seinem Onkel auf, der Kapellmeister in Périgueux war. 1770 ging er nach Berlin und studierte unter J.G. Graun, Kirnberger und J.A.P. Schulz. Nach einem Aufenthalt in Warschau, wo seine Oper Le bouguet de colette uraufgeführt wurde, ging er um 1780 nach Paris, um seine erste ernsthafte Oper Electre zu Aufführung zu bringen, die er Marie Antoinette widmete. Gluck, dessen Ideen der Reformoper der Komponist nachahmen wollte, distanzierte sich von dem Werk, das nicht gut aufgenommen wurde. Lemoyne wandte sich daraufhin Niccolò Piccinni als Vorbild zu… (Quelle Wikipedia)

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„Phédre“ am Théâtre des Bouffes du Nord/ Szene/ Foto Théâtre de Caen/ Grogory Forestier

Zum Inhalt: Act I / Die Szene spielt auf dem Lande in der Nähe von Troezen. Im Hintergrund rechts sind die Gebäude der Stadt zu sehen; links, ebenfalls im Hintergrund, befindet sich ein bewaldeter Hügel, während rechts ein neu errichteter, der Venus geweihter Tempel zu sehen ist. Der Tag bricht an. Hippolyt (Hippolyte) und seine Gefährten brechen zur Jagd auf. Phaedra (Phèdre), die unbemerkt eintrifft, beobachtet Hippolytus beim Weggehen; ihr Gesichtsausdruck verrät die brennende Leidenschaft, die sie für ihn empfindet. Die Königin hofft, ihr gequältes Herz mit einem Opfer zu Ehren der Göttin besänftigen zu können. Doch sie verwechselt die Worte ihrer Gebete, und ihre Visionen verraten sie. Schließlich gesteht sie ihrer Dienerin OEnone ihre Liebe zu Hippolyt, die sie auf die Gefahren hinweist, die damit verbunden sind. In diesem Moment erfährt die Königin jedoch, dass ihr Mann Theseus (Thésée), der in die Unterwelt hinabgestiegen ist, höchstwahrscheinlich nicht zurückkehren wird. Phaedra muss selbst den Thron besteigen; sie beginnt an eine Liebe zu glauben, die bisher unmöglich war.
II. Akt / Die Szene spielt in einer Galerie im Palast der Könige von Troezen. Phaedra ist gekrönt worden. Die Königin fragt Hippolyt, wie es ihm geht; die unterwürfige Haltung des jungen Mannes entfacht ihre Leidenschaft noch mehr. Sie offenbart OEnone, dass sie ihn heiraten und zum König krönen lassen will. Unterstützt von ihrem Diener, erklärt sie ihm ihre Liebe, wird aber zurückgewiesen. Coup de théâtre: Theseus, der für tot gehalten wurde, kehrt zurück. Hippolyt eilt in die Arme seines Vaters, verspricht aber, nichts von dem, was er erfahren hat, preiszugeben. Theseus ist erstaunt, die Königin nicht zu sehen, und möchte mit Hippolytus in ihre Gemächer gehen. Dieser lehnt ab und bittet sogar um die Erlaubnis, das Reich zu verlassen. Theseus, der glaubt, dass Phaedra ihren Stiefsohn zu hassen begonnen hat, beklagt die Spaltung, die in seiner Familie herrscht, und bittet die Götter, ihren Frieden und ihr Glück wiederherzustellen.

Akt III / Die Szene zeigt rechts die äußere Kolonnade des Palastes und links einen mit Statuen geschmückten Garten. Im Hintergrund geben Säulengänge den Blick auf das Meer frei; hinter einem der Säulengänge, rechts, befindet sich ein antiker Neptuntempel, der auf den Felsen am Ufer gebaut wurde. Oenone, die befürchtet, dass Hippolytus indiskret war, beschuldigt den Prinzen, die Ehre der Königin beschmutzen zu wollen. Theseus glaubt ihr; allein die Tatsache, dass Phaedra abwesend ist, scheint ihm ein sicherer Beweis zu sein. Er bittet Neptun, der versprochen hat, den ersten Wunsch des Königs zu erfüllen, seinen Sohn zu bestrafen. Hippolyt ist überrascht über den Zorn seines Vaters, der sich weigert, seine Rechtfertigung anzuhören. Theseus, immer noch wütend, verbannt ihn aus dem Königreich. Phaedra erscheint. Von Gewissensbissen geplagt, weiß sie nichts von Hippolytos‘ Schicksal. OEnone teilt der Königin mit, was sie für sie getan hat; Phaedra ist empört und entlässt ihre Dienerin. Allein gelassen, spürt sie, dass der Tod ihr einziger Ausweg ist; sie wird nur lange genug leben, um Hippolytus‘ Unschuld zu rechtfertigen. Der Donner grollt und ein furchtbarer Sturm zieht auf. Theseus versucht, den Zorn des Himmels zu besänftigen, denn er fürchtet um das Leben des Sohnes, den er geächtet hat. Doch ein Bote kommt, um seinen Tod zu verkünden: Ein von Neptun gesandtes Ungeheuer hat ihn in die Tiefen des Meeres hinabgezerrt. Als Phaedra die Nachricht hört, kann sie sich nicht mehr zurückhalten: Sie erklärt ihr Verbrechen und tötet sich zu Füßen von Theseus, dessen Verzweiflung umso größer ist, als er erfährt, dass sein Sohn unschuldig war. (Quelle Palazetto Bru Zane/ Théâtre des Bouffes du Nord Paris/ Foto oben: „Phaedra“, Gemälde von August Cabanel, 1880, Wikipedia).

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

„Eternamente“

 

Als Diva im riskanten Pailettenkleid setzt sich Angela Gheorghiu auf dem Cover ihrer neuen CD bei Warner Classics  bemüht „verderbt“ in Szene (0190295780241), die den Titel Eternamente trägt und ganz dem Repertoire des Verismo gewidmet ist. Da finden sich Raritäten – wie Canzonen von Stefano Donaudy („O del mio amato ben“), Angelo Mascheroni („Eternamente“) und Licinio Refice („Ombra di nube“) oder ein Auszug aus Giordanos seltener Oper Siberia („No! se un pensier tortura“) –, aber natürlich auch bekannte Schlager wie Santuzzas „Voi lo sapete“ oder Toscas „Vissi d’arte“.

Einige Jahre stand die rumänische Sopranistin nicht mehr im Aufnahmestudio, auch auf den internationalen Bühnen ist es ruhiger um sie geworden. Eine Adriana Lecouvreur als Rollendebüt in Covent Garden, hier und da eine Verpflichtung als Tosca (darunter eine Aufsehen erregende an der Wiener Staatsoper mit dem verspäteten Auftritt im 3. Akt) – La Gheorghiu musste den Spitzenplatz im italienischen Sopranfach ihren Konkurrentinnen (vor allem Anna Netrebko, aber auch Anja Harteros) räumen.

Die neue CD zeigt sie in guter stimmlicher Verfassung und im Gegensatz zu ihrer Londoner Adriana, die zu soft und gezähmt geriet, wagt sie hier auch veristische Effekte und führt die Stimme wirkungsvoll in das Brustregister. Der Einstieg in das Programm ist allerdings nicht glücklich, denn bei Santuzzas Gebet „Regina coeli“ klingt der Sopran larmoyant und unruhig. Besser gelingt ihr die berühmte Arie durch den inbrünstigen Ausdruck, von dem auch das Duett mit Turiddu erfüllt ist, wenn darin auch einige gesangliche Freiheiten zu bemerken sind und der Fluss der Stimme hin und wieder gebremst wirkt. Die Mitwirkung des Malteser Tenors Joseph Calleja in einigen Nummern der Auswahl erhöht die Attraktivität der Ausgabe, sind darunter doch Partien (Turiddu, Andrea Chénier), die der Sänger noch nicht auf der Bühne verkörpert hat.

Bei Toscas Arie spürt man die Bühnenerfahrung, welche die Sängerin in dieser Rolle hat. Hier verströmt sich die Stimme in schönen Bögen und berührender Innigkeit. Von Margheritas beiden Arien im 3. Akt von Boitos Mefistofele hat sie die unbekannte gewählt („Spunta l’aurora pallida“), bei der ihr Calleja als Faust und Richard Novak als Titelheld assistieren. Giocondas „Suicidio“ aus Ponchiellis Oper ist ein Prüfstein des Verismo-Repertoires  – zum einen wegen der existentiellen Situation der Titelheldin vor ihrem Selbstmord, zum anderen wegen der enormen gesanglichen Anforderungen. Die Sopranistin überrascht hier mit einer bei ihr ungewohnten Attacke und lässt auch in der Extremtiefe eine reiche Fülle und Substanz hören. Die folgende Nummer aus Giordanos Siberia ist dann wieder dem Ausdruck schmerzlicher Lyrik verpflichtet, während zwei Szenen aus Leoncavallo-Opern (La Bohème und Zingari) die Koketterie und das Temperament der Sopranistin wachrufen. Höhepunkt der CD ist das Schlussduett Maddalena/Chénier aus Giordanos Oper, weil sich Gheorghiu und Calleja hier gegenseitig inspirieren zu einem leidenschaftlichen, hymnischen Zwiegesang.

Delikate Melancholie kann Gheorghiu in zwei veristischen Canzonen von Stefano Donaudy und Licinio Refice verbreiten, deren sentimentaler Duktus dem Naturell der Rumänin besonders entgegen kommt. Bei Angelo Mascheronis „Eternamente“, welches der Platte den Titel gab und die Hoffnung der Interpretin ausdrücken soll, dass man sich an ihren Gesang „ewig“ erinnern möge, klingt sie dagegen weinerlich und dünn. Emmanuel Villaume am Pult des Orchesters PKF – Prague Philharmonia begleitet die Solistin mit gebührender Aufmerksamkeit in dem für sie neuen Fach, inspirierte sie sicher auch, ihre gewohnt distanzierte Zurückhaltung zugunsten einer freieren Gestaltung mit dem Mut zum Risiko aufzugeben. Bernd Hoppe

Lieder aus dem Norden

 

Zunächst an der Nase herumgeführt fühlt man sich, wenn man die CD von Siri Karoline Thornhill auflegt und dann Unverständliches zu hören bekommt, denn auf der Rückseite der Plattenhülle sind sämtliche Titel der Songs von Edvard Grieg in deutscher Sprache aufgeführt, gesungen wird aber zu drei Vierteln in Norwegisch, und auch Solveigs Wiegenlied aus Ibsens Peer Gynt ist nicht das allgemein bekannte und geliebte Lied, sondern ein weit weniger verbreitetes.

Schnell aber ist man beim Hören versöhnt, weil man merkt, dass Sprachlaut und Musik einfach untrennbar zusammen gehören und die im Booklet verfügbare deutsche Übersetzung teilweise eine eher peinliche ist, so auch nachvollziehbar wird, dass Griegs Lieder sich in Norwegen einer großen Beliebtheit erfreuen.

Von den über 180 Kompositionen, von denen auf der CD 24 versammelt sind und die zu einem großen Teil für Griegs große Liebe Nina Hagerup komponiert wurden,  gehört der erste Block Liedern aus der Sammlung von Arne Garborg mit dem Titel „Haugtussa“ („Ein Mädchen der Berggeister“), und sowohl in der Behandlung der Stimme wie der des begleitenden Klaviers wird die Originalität von Griegs Liedschaffen bereits im ersten Titel „Lockung“ (besser wäre „Verlockung“) erkennbar, in dem gleisnerisch-geheimnisvollen Ton des Klaviers und in dem sinnlich-warmen Klang der Stimme von Siri Karoline Thornhill, die man hier auch für einen Mezzosopran halten könnte, die sich aber im Verlauf des Hörens als Sopran mit sehr markanter, farbiger tiefer Lage herausstellt.  Bereits im zweiten Stück, „Veslemöy“, wird ein mädchenhafterer, zarter Glockenklang hörbar , im dann folgenden „In den Heidelbeeren“ auch ein zupackender Übermut. Der leidenschaftliche Text von „Liebe“ wurde von Grieg eher neckisch-leicht vertont, und die Sängerin folgt dem Komponisten mit leichtem Tonansatz. Viel Geschmeidigkeit bringt die Stimme für das Tänzerische von „Zickeltanz“ auf. Mit der Fließbewegung des Klaviers im der Schönen Müllerin ähnlichem „Am Bergbach“ weiß auch die Sängerinnenstimme zu korrespondieren.

Es folgen fünf Lieder auf Gedichte von John Paulsen, in dessen „Hoffnung“ der Sopran strahlen kann und für dessen „Herbststimmung“ sie einen schönen Klagelaut hat. Vilhelm Krag lieferte die Texte zu einem „Die Mutter singt“ aus einer Zeit, in der der Kindestod alltäglich war und so der Sängerin nur einen resignierenden Schmerzenston, kein Aufbegehren  abverlangt, silberhell kann sich der Sopran in „Im Kahne“ entfalten, und die schöne Atemlosigkeit von „Johannisnacht“ ist ideal von ihr getroffen.

Den Abschluss bilden sechs Lieder in deutscher Sprache, die der Komponist, der in Leipzig studiert hatte, vollkommen beherrschte. In Heines „Gruß“ blüht der Sopran wunderbar auf „grüßen“ auf, Emanuel von Geibel gehört zu den deutschen Autoren, deren Werk nur durch die Vertonung überlebte; sein „Dereinst, Gedanke mein“ wird in seinem gemessenen Ton sehr verständnisvoll interpretiert, Uhlands „Lauf der Welt“ bietet ein schönes Aufblühen des Soprans, Walthers  von der Vogelweide „Unter der linden, uf der Heiden“ , allerdings in Neuhochdeutsch, ein verspieltes „Tanderadei“. Ein strahlender Endpunkt ist „Ein Traum“ auf einen Text von Martin von Bodenstedt. Die durchweg hochinteressante Begleitung auf dem Klavier steuert souverän Reinild Mees bei. (Ars 38 545). Ingrid Wanja    

Marina Rebeka  und viel Rossini

 

Das Rossini-Jahr 2018 wirft seine Schatten voraus. In Pesaro, der Geburtsstadt des Komponisten, begeht man bereits seit Anfang des vergangenen Jahres einen wahren Feiermarathon, denn zweihundert Jahre zuvor, am 20. Februar 1816 hatte Il barbiere di Siviglia seine Uraufführung erlebt und am 29. Februar, dem Schalttag des Jahres 2016, ließ sich dann der 53. „runde“ Geburtstag des „Schwans von Pesaro“ feiern. Am 13. November des kommenden Jahres steht sein 150. Todestag bevor.

Marina Rebeka als Mathilde in Rossinis „Guillaume Tell“ an der Netherlands Opera, Amsterdam, 2013. Foto: Ruth Walz

Dass sich die sogenannte „Rossini-Renaissance“ noch lange nicht totgelaufen hat, liegt gewiss auch daran, dass es immer wieder Neues zu entdecken gibt, obwohl sich etliche seiner Opern – die komischen wie die ernsten – mittlerweile einen guten Platz im Repertoire der Opernhäuser zurückerobern konnten, nachdem sich Rossinis musikalisches Überleben gut einhundert Jahre lang bloß dem unverwüstlichen Barbier von Sevilla und einigen ohrwurmtauglichen Ouvertüren verdankte. Sicher sind nicht alle seiner 39 Bühnenwerke echte Meisterwerke, aber doch deutlich mehr als nur der Barbiere, die Italienerin in Algier oder La Cenerentola – das beweisen das italienische (in Pesaro) und das deutsche Rossini-Opernfestival (in Bad Wildbad im Schwarzwald) jeden Sommer erneut, und das ist auch den Spielplänen der internationalen Theater zu entnehmen. Und auf den Tonträgermarkt finden auch immer wieder starke Plädoyers dafür, dass Rossini und seine Musik weiterhin im Kommen sind.

Als jüngstes Beispiel hat etwa die lettische Sopranistin Maria Rebeka ein Album unter dem bezeichnenden Zitat-Titel „Amor fatale“ bei BR Klassik (900321eingesungen, das sich mit den starken Frauengestalten in Rossinis Opern auseinandersetzt: In seinen tragischen Opern stehen (wie in seinen komischen) starke Frauen im Mittelpunkt. Sie sind es, die sich zwischen Liebe und Pflicht zu entscheiden haben, ihr persönliches Schicksal oftmals demjenigen von Familie, Volk oder Heimatland nachordnen. Der Entscheidung für ein größeres Ziel, einem allgemeinen Nutzen opfern sie ihre persönlichen Vorlieben und die Liebe… Vielleicht sind Rossini seine tragischen Heldinnen, ihre lebendigen Charaktere und die echten und nachvollziehbaren Konflikte deshalb besonders gut gelungen, weil er selbst ab 1815 eine starke Frau an seiner Seite hatte: die Primadonna Isabella Colbran, für die er viele der großen Sopranpartien seiner Opern schrieb und die er schließlich heiratete.

Marina Rebeka als Anna Erisso in Rossinis „Maometto II“ beim Rossini Opera Festival Pesaro, 2008. Foto : Amati Bacciardi

Marina Rebeka hat aber nicht bloß eine Abfolge bekannter Arien zusammengestellt, sondern sich eingehend mit dem Thema und mit den Partituren befasst. Ein Faksimile der autographen Handschrift der Petite Messe solennelle war es, womit Antonio Pappano ihr Interesse für die Originale weckte, als sie 2013 unter seiner Leitung in Rom die Orchesterfassung jener großen „Kleinen Messe“ sang (auf CD bei Warner Classics). Für ihr neues Album bei BR Klassik hat sie sich nun der Mühe unterzogen, die Originale einzusehen und eigene Fassungen zu erarbeiten, die sich von denen der vorhandenen Ausgaben (auch den Editionen innerhalb der Gesamtausgabe) unterscheiden. Außerdem war sie aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen mit Rossinis Bühnenwerken und der Zusammenarbeit mit bedeutenden Fachleuten wie etwa dem unlängst verstorbenen Alberto Zedda in der Lage, eigene Koloraturen zu erarbeiten, die musikalisch und technisch zu ihrer Stimme passen und außerdem dem szenischen Ereignis und der Emotion der jeweiligen Opernrolle, in welche sie schlüpft, am besten entsprechen.

Die Karriere von Marina Rebeka ist eng mit den tragischen Bühnenwerken Rossinis verknüpft: Wesentlich war die Partie der Anna Erisso aus Maometto II, in welcher sie 2008 beim Rossini Opera Festival in Pesaro auftrat und auf sich aufmerksam machte. International bekannt wurde sie im darauffolgenden Jahr, als sie unter Leitung von Riccardo Muti bei den Salzburger Festspielen als Anaï in Moïse et Pharaon debütierte. 2013 sang sie die Mathilde aus Guillaume Tell an der Netherlands Opera in Amsterdam, 2014 an der Bayerischen Staatsoper und 2016 an der New Yorker Metropolitan Opera… Sehr viel früher war sie zu Rossini gekommen: die 1980 in Riga geborene Sängerin studierte ab 2002 in Parma Gesang, wo sie in Kindervorstellungen des Barbiere die Rosina sang und dann eine kleine Rolle in Il viaggo a Reims, mit der sie auch erstmals an der Mailänder Scala auftrat.

Marina Rebeka: Amor fatla, Münchner Rundfunkorchester, Dirigent Marco Armiliato, BR Records 900321

Freilich ist ihr Bühnenrepertoire sehr viel breiter angelegt; es beinhaltet auch die Violetta in Verdis La traviata, Fiordiligi in Mozarts Così fan tutte und Donna Anna in Don Giovanni, die Titelpartie von Bellinis Norma oder diejenige von Massenets Thaïs, mit der sie gleichfalls 2008 bei den Salzburger Festspielen – an der Seite Pácido Domingos – einsprang (diese Produktion war außerdem ihre erste Zusammenarbeit mit dem Münchner Rundfunkorchester).

Ihr Album „Amor fatale“ hat die Sopranistin zusammen mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Leitung von Marco Armiliato im Dezember 2016 und im Mai 2017 aufgenommen. Marina Rebeka ist aktuell die erste Künstlerin, die sich das Münchner Rundfunkorchester und sein neuer Chefdirigent Ivan Repušić als „Artist in Residence“ erwählt haben; der erste gemeinsame Auftritt war eine auch im Radio übertragene konzertante Aufführung von Verdis Luisa Miller am 24. September im Münchener Prinzregententheater, in der sie die Titelpartie gestaltet. Das Album „Amor fatale“ wird am 29. September veröffentlicht. Die lettische Sopranistin Marina Rebeka beweist, dass es bei Rossini auch 150 Jahre nach seinem Tod immer wieder Neues zu entdecken und zu hören gibt (Marina Rebeka: Amor fatale, Münchner Rundfunkorchester, Dirigent Marco Armiliato, BR Klassik 900321). Moritz Held

„Amelia“ von Ivan Zajc

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Schon immer fand ich die sogenannten Kleineren Komponisten (Compositori minori) aus dem Umkreis Verdis so spannend in ihrem Bemühen, eine alternative Musiksprache zum Giganten der italienischen Oper zu entwickeln und damit eine eigenständige Identität zu zeigen. Operalounge.de-Lesern wird nicht entgangen sein, dass wir viel über diese Musiker berichtet haben – Marzano ist so einer, vor allem aber Gomes oder Apolloni, später auch Catalani oder vorher Ponchielli natürlich (und viele mehr wie Bona, Merdadante, Faccio u. v. m.). Alle eint das Bemühen, aus dem Schatten Verdis herauszutreten, der die Musikszene nicht nur Italiens beherrschte – nur Wagner kommt ihm gleich.

Spannend sind auch jene Komponisten, die durch die politischen Entwicklungen in Europa sich von einem Produzenten eher gefälliger Musik zu glühenden Freiheitskämpfern entwickeln und damit ihre schöpferische Kraft in den Dienst der nationalen Sache stellten – Oper als Propaganda (ganz im Sinne des jungen Verdi). Ivan Zajc ist so einer (wie auch seine griechischen Kollegen Carrer oder Samara oder Auber in Belgien/Frankreich). Was zeigt, dass Oper als politische Propagandamaschine durchaus Wirkung zeigen kann oder zumindest die sozialen und politischen Strömungen der Zeit widerspiegelt.

Ivan Zajc, zu Beginn ein hoffnungsvoller K. u. K-Komponist aus dem österreichischen Herrschaftsgebiet, dem heutigen Kroatien, wandelte sich vom italienisch-geprägten Opern-Komponisten zum glühenden kroatischen Nationalisten nach der Ablösung seiner Vaterlandes vom österreichischen „Joch“. Seine Befreiungsoper Nikola Šubić Zrinski rüttelt mit allen verfügbaren Säbeln gegen die ehemaligen Besatzer und hatte eine phänomenale nationale Wirkung. Dennoch – seine „besseren“ Opern stammen aus seiner italienischen Zeit in Fiume, dem heutigen Rijeka. Und eine davon, die Amelia nach Schillers Räubern, wollen wir vorstellen (sie ist bei youtube in trüber Optik, aber gutem Klang nachzuerleben, wie manche andere Zajc-Opern auch.).

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Der junge Johann von Zaytz/HeiB

Der Komponist: Ivan Zajc (eigentlich Johann/Giovanni von Zaytz) wurde 1832 im damaligen italienischen Ort Fiume an der Adria, heute Rijeka, geboren – Italiens Anspruch erstreckte sich bis nach lstrien und zum ostseitigen Adria-Ufer (wodurch auch die Pflege istrischer Komponisten wie Smareglia heute noch am Teatro Verdi von Triest erklärbar ist). Zajcs Karriere beschreibt exemplarisch ebenso das musikalische wie politische Geschehen seiner Zeit. Er studierte in Mailand (1850 – 55) bei Stefano Ronchetti-Montivi, Alberto Mazzucato und vor allem bei Lauro Rossi (dessen „Domino nero“ ebenfalls Gegenstand dieser Opern-Serie sein wird, zuletzt in Jesi aufgeführt wurde und bei Bongiovanni als CD vorliegt). Wie viele seiner Komponisten-Kollegen aus nicht-italienischen Ländern sah auch er in einem Studium am Mailänder Konservatorium die große und einzige Möglichkeit, in der damaligen Musikszene seiner Zeit zu reüssieren. Seine erste Oper La Tirolese gewann 1855 an der Musikhochschule von Mailand den ersten Preis.

Bemerkenswerterweise ging er danach sofort zurück an die Oper (Teatro Civico) seines Geburtsortes, wo er 1860 seine außerordentlich interessante Oper Amelia nach dem Drama Schillers herausbrachte. Romilda da Messina, ebenfalls nach Schiller, von 1862 blieb nur ein Projekt, ebenfalls I Fu­nerali del Carnaval 1862 und La Festa del Ballo 1863. Von 1855 bis 1862 blieb er in Fiume, dann wechselte er nach Wien – die Alternative zu Mailand und das Mekka der Operette, die er nun in großer Anzahl und mit Erfolg herstellte. In diese Jahre fällt Tagesware wie Mannschaft an Bord, Fitzliputzi, Ein Rendezvous in der Schweiz, Meister Puff und vieles mehr – alle deutlich im Strauß/Lanner-ldiom und der populären Unterhaltung an den verschiedenen Theatern verpflichtet. Sogar eine Sonnambula nach dem Libretto von B. Young von 1868 gibt es. 1870 schrieb er nicht nur den Raub der Sabinerinnen für das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater zu Berlin, sondern zog wieder zurück in die Heimat, in das damalige Agram, heute Zagreb, wo er zum Leiter und Generaldirektor der ersten festen „Croatischen Nationaloper “ (1870 – 1908) ernannt wurde, säbelrüttelnde Nationalopern (u. a. Nikola Subic Srinski) gegen die ehemaligen K.& k.- Landesherren schrieb und durch diese am nationalen Image seines Landes mitwirkte.

Ivan Zajc: „Amelia“ – das Städtische Theater von Fiume, später Rijeka/ OBA

 Das liest sich für uns heutige Europäer so unverfänglich, steht aber für eine bedeutende nationale Entwicklung und politische Umwälzungen, denn die Loslösung von Österreich-Ungarn und die Rückbesinnung auf einen eigenen Staat Kroatisch-Slawonien (Militärgrenze bis 1881) brachten auch ein erhöhtes Nationalbewusstsein und ein vermehrtes Bedürfnis nach Stärkung der eigenen Kultur mit sich, wie dies in vielen Ländern Osteuropas der Fall war. Smetana oder Dvorák stehen musikalisch-politisch in Tschechien dafür. Noch 1809 – 1814 hatte Kroatien zu den Illyrischen Provinzen Napoleons gehört, danach wurden die beiden Teile wie Nebenländer der ungarischen Krone behandelt. In den Revolutionsjahren 1848/49 kämpften die Kroaten auf kaiserlicher Seite unter Banus Jelacic gegen die Ungarn. Daraufhin wurden Kroatien und Slawonien ein einziges österreichisches Kronland, jedoch 1867 wieder mit Ungarn (nun unter österreichischem Zepter) vereinigt. Die Sonderstellung legte der ungarisch-kroatische Ausgleich 1867 fest. Im 1. Weltkrieg schlossen sich die Kroaten den Bestrebungen zur Schaffung eines südslawischen Na­tionalstaates an (1918), doch traten sie bald entschieden in heftige Gegnerschaft zur aggressiven zentralistischen Politik Jugoslawiens. 1941 – 45 bestand der von den Achsen­mächten gestützte Staat Kroatien, 1946 wurden daraus Kroatien, Dalmatien und Slawonien, die gingen in die Volksrepublik der Bundesstaaten Jugoslawien über. Heute ist Kroatien wieder und endlich eigener Staat mit den beiden Opernzentren Zagreb und Rijeka. (Zajc´s Oper Lisinka fällt in die  letzte Phase im Schaffen und Leben des Komponisten, der in Zagreb 1914 hochgeehrt starb. Sein Andenken ehrt auch die heute in lvan-Zajc-Theater umbenannte Oper in Rijeka, seiner Geburtsstadt.)

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Ivan Zajc: Szene „Amelia“ Rijeka 1999/NKIZJ

Die Musik: Amelia – eine visionäre Jugendoper. Als Alternative zu Verdi und seinen Masnadieri soll hier die Amelia von Zajc vorgestellt werden, die es im vergangenen Jahrhundert auf zwei Aufführungsserien am Heimattheater von Rijeka brachte, einmal 1996 und dann wieder 1999. Zoran Juranic, damals GMD in Zagreb und renommierter Musikwissenschaftler, hat sich in der Vergangenheit wie kaum ein anderer um die Ausgrabung seltener kroatischer Opern gekümmert. Er erstellte die Edition der Amelia für die konzertanten Aufführungen 1996 (Miro Belamaric und Nada Matosevic leiteten dann die szenische Aufführung 1999 in der Regie von Peter Selem, Mirella Toic war neben Antonija Borosa die Amelia). Im Programm zur Bühnenversion schreibt Juranic von der überraschenden Schönheit der Oper, ihrer unumstrittenen Reife, ihrer dramatischen Kraft und ihrem melodischen Reichtum. Damit eröffnet die Amelia des jungen Zajc (um keine ungeliebten Assoziationen bei Kroaten aufkommen zu lassen, bleibe ich bei der späteren Schreibweise des Namens, obwohl die Familie von Zaytz eine lange italo-­österreichische k. & .k-Tradition besaß…) heute neue Fragen über die Möglichkeiten und Grenzen ihres jungen Komponisten. Sie wurde auf der Basis interessanter historischer Informationen im Nachlass des späteren Nationalkomponisten entdeckt und ist vielleicht auch die erste Oper, die in Fiume/ Rijeka aufgeführt wurde. Sie verändert in ihrer Melodienfreudigkeit die bislang bekannten Parameter für die Bewertung von Zajc, der nur durch seine späteren Operetten und darauffolgenden slawisch orientierten Opern bekannt ist. Der Stil der Amelia, ihre Ernsthaftigkeit und ihre erstaunliche musikalische Einheit sind Grundzüge, die man in diesem Maße und dieser Ausprägung nicht aus anderen Werken dieser Schaffensperiode Zajc ‚ kennt.

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Natürlich wurde Amelia im Schatten Verdis geschrieben – und dieser Schatten machte allen zeitgenössischen Kollegen das Leben schwer. Dennoch – Zajc kann sich durchaus gegen diesen Giganten behaupten (und vielleicht ist dessen Primat auch der Grund dafür, dass Zajc nach einem vielversprechen­den Erfolg in Mailand so schnell wieder nach Fiume zurückkehrte). Die Oper ist nach dem konservativen Brauch des Mailänder Konservatoriums dezent instrumentiert, bietet jedoch viel Einfühlungsvermögen für das Kolorit und interessante Lösungen für den Einsatz der Stimmen. Zajc zeigt sich als ein Meister des Belcanto, der sein Repertoire und seine Trickkiste gut beherrscht. In Erinnerungen bleiben viele Momente der im Radio übertragenen Oper – etwa die Arie Amelias im ersten Akt, das Duett Corradino-Ermano oder die Arie des Grafen. Bedeutend klingt auch das effektvolle Finale des 2. Aktes mit den vielen Anklängen an Kompositionen der Zeit und der Kollegen/Lehrer – etwa Lauri-Rossi, dem Zajc in mancher Hinsicht verpflichtet ist. Und Amelias Gebet im vierten Akt ist ein visionäres Vorecho für Verdis Otello. Aber mehr als diese Details überrascht das hohe kompositorische Niveau. Formale Ausgeglichenheit und ein ganz individueller szenischer Ausdruck (trotz des wirklich schwachen Librettos voller verbaler Absurditäten) zeigt einen Komponisten mit einer klaren künstlerischen Vision und hohen Zielen .

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Ivan Zajc: Szene „Amelia“ Rijeka 1999/NKIZJ

Zoran Juranic stellt die interessante Frage, wer nun der eigentliche, wahre Ivan Zajc war. Hat dieser in wechselnder Umgebung (Mailand – Fiume – Wien – Zagreb) die mögliche Weltgeltung einer respektablen, aber lokal begrenzten Umgebung geopfert? Es ist bekannt, dass Zajc von Natur aus sehr anpassungsfähig war, sich mit unnötigen Fragen ganz pragmatisch nicht belastete und an künstlerische Fragen ebenso utilitaristisch heranging. Er schrieb, vor allem nach Fiume in Wien (aber auch später in Zagreb), was man von ihm verlangte oder was er meinte, dass man von ihm erwartete. Dennoch zeigt uns die vor kurzem erst wiederentdeckte, 1899 für die Scala geschriebene und dort nie aufgeführte Oper I Minatori (Die Minenarbeiter) in ihrer verblüffenden spätromantischen Modernität die in der täglichen Routine verschütteten Ambitionen dieses vielseitigen Komponisten (als La Dea della Montana wurde die Oper ca. 1990 von Radio Zagreb gesendet und von der BBC übernommen). Zu denen gehört in ihrer Schönheit, ihrem individuellen Stil und ihrer frühen Meisterschaft seine Jugendoper Amelia, die ihre szenische Rehabilitierung und vor allem weitere Verbreitung absolut verdient.

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Ein Foto unserer tapferen und stets arbeitswilligen Übersetzerin aus dem Französischen Ingrid Englitsch aus Wien – Danke!

Die Amelia folgt – wie der Regisseur Peter Selem für die Aufführung 1999 in Rijeka schrieb – Schillers Räubern, also auf ein Drama, das emblematisch für einen leidenschaftlichen Romantizismus steht: Das Libretto folgt der Vorlage nicht sklavisch – manchmal ist es ihr sehr nahe, manchmal sehr fern. In manchen Momenten meint man, in einer anderen Story zu stehen. Aber überall ist dieses romantische Feuer zu spüren. Selem nennt es ein „überhöhtes Feuer der Romantik'“. Die Musik folgt diesem Feuer. Sie wirkt in sich und legitimiert sich dadurch. Es gibt für diese Ausprägung der Romantik viele bekannte Bilder und Symbole/Topoi: Bergpässe, verwunschene Burgen, Einsiedler, Blitze, Gewitter und Donner, Morgengrauen und Sonnenaufgänge, düstere Nächte, Liebe, Rache. Es gibt Vorgänge, die aus einer anderen Welt herüber zu wirken scheinen und die man heute Horrorstories nennen würde. In dieser romantischen Welt geschieht alles wie im Fieber. Bewegungen, Gesten, Beziehungen sprengen das Normale. Andererseits darf diese Überhitzung nie aus einer Kontrolle des Stils herauslaufen, sie soll sich nie mit dem banalen Repertoire oberflächlichen Opernrepertoires begnügen. Die Temperatur muss – um es praktisch zu sagen – stets unter dem Siedepunkt gehalten werden.
Zajc‘ musikalische Dramaturgie gibt genügend Gründe für einen solchen Zugang zum Werk. Die Personen (vielleicht mit Ausnahme der engelsgleichen Amelia) sind keineswegs schwarz/weiß gezeichnet. Sie sind Gestalten voller Gegensätzlichkeiten, wenn sie in der Dunkelheit ihres Seins die Stimmen des Lichts, der Gnade und auch die düsteren Stimmen des Bösen hören. Obwohl die Dramaturgie der Oper gegenüber der Vorlage Schillers viel einfacher angelegt ist, so scheint sie doch erstaunlich reif genug, hohe musikalische Ansprüche zu erfüllen. Die Duette, Arien und Szenen sind so hervorragend geschrieben, so voller musikalischer Inspiration, dass sie für einen Regisseur (und den Zuschauer) außerordentlich anregend sind. Wie also war es möglich, dass in der Geschichte der Oper Kroatiens es nur diesen einen kurzen Moment eines so hohen künstlerischen Belcanto-Niveaus gab? Geerd Heinsen

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(Dank an Ingrid Englitsch für die Übersetzung der kroatischen Artikel im Programmheft zur szenischen Aufführung in Rijeka 1999. Dank auch an Djurdjan Otrzan von Radio Zagreb für die liebenswürdige Hilfe! Und von Amelia gibt es keine offizielle Aufnahme – was bezeichnend dafür ist, wie viele der post-sozialistischen Länder mit ihrem nationalen Erbe umgehen; Foto oben BR/ Ausschnitt/ 2016.)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Staat, Oper und Staatsoper

 

Erscheint genau zum Tag der Deutschen Einheit und, wichtiger noch, dem der Wiedereröffnung der Berliner Staatsoper Unter den Linden nach sieben Jahren Umbau und Renovierung ein Buch mit dem Titel Staatsoper, ist 540 Seiten dick, davon 465 Seiten Text, der Rest Anmerkungen, schreibt gar Daniel Barenboim das Vorwort, dann erwartet man eine Festschrift im Jubelton und mit vielen schönen Hochglanzfotos verziert.  Dem ist nicht so, Fotos gibt es kaum, Anekdoten um bedeutende Dirigenten und Sänger auch nicht, noch Berichte von großartigen Aufführungen und künstlerischen Leistungen. Mehr als jeden anderen spricht das Buch den Historiker an, und bereits der Titel Staatsoper, den Autor Misha Aster gewählt hat, hätte darauf einen Hinweis geben können, denn es fehlt sogar Berliner oder Unter den Linden, weil es zwar um das dort gelegene Haus geht, aber um dessen Verhältnis zu den jeweiligen Machthabern, die den Staats ausmachen, von dem es abhängt, eine der der sonstigen Staatsopern, wo sie auch gelegen sein mögen, vergleichbare Situation.  Davon kündet nicht unbedingt der Untertitel „Die bewegte Geschichte der Berliner Lindenoper im 20. Jahrhundert“ , auch nicht die Kapitelüberschriften, denen jeweils ein Opernzitat wie etwa „Cortigiani vil razza dannata“ oder „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“ beigeordnet ist, wohl aber tun es die Texte selbst, die klar zum Ausdruck bringen, dass beispielhaft für auch andere Staatsopern, von dem Verhältnis zwischen künstlerischer Institution und Staatsmacht vom kaiserlichen Deutschland bis zur Wiedervereinigung und etwas darüber hinaus berichtet wird. Allerdings wird der Leser trotz der chronologischen Gliederung manchmal bei den Kapiteln, über deren Inhalt er noch nicht über ein Vorwissen verfügt, ein wenig in die Irre geführt, wenn der Autor plötzlich in einen Zeitabschnitt zurückfällt, den man bereits abgehandelt glaubte.

Das Buch genügt mit seinem umfangreichen kritischen Apparat strengem wissenschaftlichem Anspruch, informiert auch über die Quellenlage und die bisher zum Thema erschienene Literatur, anschließend in neun Kapiteln und einem Epilog über die Staatsoper in der Weimarer Republik, in der Nazizeit und in der DDR. Ausführlich wird das Verhältnis von Richard Strauss zur Staatsoper beschrieben, der Komponist mehrfach als besonders geldgierig beschrieben, aber nicht erwähnt, dass er fast sein gesamtes Vermögen durch die Konfiszierung durch die Engländer im 1. Weltkrieg verloren hatte.

Interessant ist die Beschreibung des Wandels der Bedeutung der Staatsoper durch das Misstrauen der neuen Machthaber gegenüber der Hochkultur, insbesondere gegenüber der Staatsoper als Unterhaltungsstätte des Adels. Ausführlich werden die Bemühungen der Intendanten, so von Schillings, um die Aufrechterhaltung des Bildes vom freien unpolitischen Künstler, das Bestreben der Volksbeauftragten, eine Volksoper ins Leben zu rufen, Inflation und Gagenprobleme, die Verbindung zur Krolloper beschrieben,

Genauso wichtig wie die Intendanten sind natürlich die Dirigenten, von denen Furtwängler, Kleiber als Kämpfer für die Uraufführung des Wozzeck, später nach 1945 Kleiber und Konwitschny mit unterschiedlicher Haltung zur Gestaltung der wieder aufzubauenden Staatsoper ausführlich berücksichtigt werden. Auch das Verhältnis zum Konkurrenten in Charlottenburg, der heutigen Deutschen Oper, spielt in dem Buch eine bedeutende Rolle, und bemerkenswert ist, dass es bereits in früheren Zeiten die später wiederaufgelebte Idee gab, beide Opernhäuser zusammen zu schließen. Manchmal verliert man den Überblick über das Geschehen und wünscht sich eine Tabelle mit Daten und Namen, wann und wo Tietjen und Legal wirkten, ihre mehr oder enge Bindung an die Nazis und eine etwaige Schuld, über die Verbindung zwischen Staatsoper und Bayreuth. Die Fülle von Fakten droht den Leser bisweilen zu überwältigen und erscheint erst dann wieder gebändigt, wenn er bereits über Fachwissen verfügt wie über die Zeit nach 1933.

Ungeheuer spannend ist es zu lesen, wie die Konkurrenz zwischen Staatsoper und Städtischer Oper auch eine zwischen Göring und Goebbels ist, dass die Staatsoper weniger Parteigenossen zählte als die Städtische Oper, Göring unter den jüdischen Sängern einige zu „Ehrenariern“ machte, Furtwängler vergeblich um Hindemith Mathis der Maler kämpfte, der Stern Karajans nicht ganz ohne Mitwirkung seines Agenten aufgeht. Und wenn man liest, dass im Dezember 1942 die durch eine Bombe schwer beschädigte Staatsoper nach nicht einmal zwei Jahren Wiederaufbau mit den Meistersingern eröffnet wurde und auch 1955 diese in der wiederaufgebauten Staatsoper den Einstand gaben, ist die zunächst befremdlich erscheinende Wahl von Schumanns Faustszenen am heutigen Tag zur Feier der Neueröffnung nicht die schlechteste Entscheidung.

Nach der Schließung aller Theater durch Goebbels bleibt die Staatsoper von dieser Maßnahme verschont, muss aber im Februar 45 in den Admiralspalast umziehen, neben dem Titania-Palast im späteren Westberlin eine der wenigen erhaltenen Räume für kulturelle Veranstaltungen.

Es folgen die Nachkriegszeit, Bersarin, die Gruppe Ulbricht, die Kammer der Kunstschaffenden werden im kenntnisreichen Buch berücksichtigt, die Auferstehung der Staatsoper als Deutsche Staatsoper mit Orpheus und Eurydike, Entnazifizierung (Lemnitz, Rosvaenge, Greindl u.a.)  finden Raum und lassen die Zeit nach dem Krieg wieder aufleben. Der Streit um Dessaus „Lukullus“, verhört oder verurteilt, der Zwang zu regimetreuen Bekundungen, aber auch die kämpferische antikommunistische Haltung des Westberliner Kultursenators Tiburtius werden gewürdigt bzw. kritisiert, die Intendanten Burghardt, Pischner und Rimkus, Reisekader und Republikflucht während der devisenbringenden Tourneen finden Erwähnung- die Fülle des Materials ist überwältigend.

Noch einmal wird der Januskopf der Staatsoper sichtbar, wenn sie sowohl am „Konzert gegen Gewalt“ in der Gethsema-Kirche teilnimmt als auch für die prügelnde Volkspolizei Figaros Hochzeit aufführt.

Nach der Wende übernimmt Intendant Georg Quander die Entlassung von 23 IMs, es werden die Beziehungen zu Bayreuth, bereits ab 1984 wieder intensiver, ausgebaut, und es gibt nach der Erkrankung Otmar Suitners den ersten Kontakt mit Daniel Barenboim, der, nicht zuletzt durch die Vermittlung Richard von Weizsäckers, 1991 für einen Zehnjahresvertrag gewonnen werden kann. Natürlich vollzieht sich auch in der Staatsoper die Wende nicht ohne schmerzhafte Einschnitte, indem Sängern wie Bundschuh, Priew und Lorenz gekündigt wird. Aber das Institut Staatsoper Berlin hat sich von seiner Gründung nach Meinung des Verfassers das Prädikat „dauerhaft“ verdient- und dazu ganz offensichtlich auch die Zuneigung seines schreibenden Zeugen, der auch dem Leser einiges an Standhaftigkeit abverlangt (Siedler Verlag, ISBN 978-3-8275-0102-8Ingrid Wanja   

V´adoro, pupille

 

Cleopatra heißt Regula Mühlemanns neue CD bei Sony (88985407012), auf der die Schweizer Sopranistin Barockarien singt, welche der legendären Pharaonenkönigin gewidmet sind. Als Ännchen in einer Freischütz-Verfilmung hatte die Sängerin vor Jahren auf sich aufmerksam gemacht, und auch ihre Debüt-CD mit Mozart bei Sony war sehr erfolgreich.

Das aktuelle Programm mit Kompositionen von Graun, Händel, Hasse, Legrenzi, Vivaldi und Mattheson zeigt sie als stilistisch versierte Interpretin und hochrangige Virtuosa hinsichtlich der geforderten Bravour. Mit der Arie der Titelheldin „Tra le procelle assorto“ aus Grauns Cleopatra e Cesare zu Beginn kann Regula Mühlemann dies imponierend bestätigen. Da hört man ein furioses Koloraturfeuerwerk, bei dem sie vom begleitenden La Folia Barockorchester unter Robin Peter Müller mit straffem Tempo und rhythmischen Impulsen getragen wird. Das Werk erlebte 1992 eine bedeutsame Wiederentdeckung an der Berliner Staatsoper unter René Jacobs mit Janet Williams, an deren erotisches Raffinement die Schweizerin zwar nicht heranreicht, ihr bezüglich der Virtuosität aber absolut gewachsen ist.

Die Arien sind in ihrer Abfolge geschickt angeordnet, denn meist wechseln schnelle und getragene Stücke einander ab. So folgt auf Grauns Vertonung des Stoffes die berühmte von Händel mit Cleopatras verzweifeltem Lamento „Se pietà“. Dafür fehlt es dem jugendlich klingenden, fast mädchenhaft anmutenden Sopran allerdings an Reife und Pathos – ein Manko, das auch bei „Va goder senza contrasto“ aus Alessandro Scarlattis Marc’Antonio e Cleopatra ins Gewicht fällt. Mit energischem Zugriff und überraschenden Jauchzern geht sie die Heldin in Hasses Serenata gleichen Titels bei deren Arie „Morte col fiero“ an, während das schmerzliche „Quel candido armellino“ von Cleopatras Selbstmordabsicht geprägt ist. Bei „Squarciami pure il seno“ aus Vivaldis La virtù trionfante dell’amore e dell’odio, owero Il Tigrane verlässt Mühlemann die Dimension gepflegten Schöngesanges und verfällt zugunsten des Ausdrucks in Ausbrüche von keifendem Klang.

Mit Matthesons 1704 an der Hamburger Oper am Gänsemarkt uraufgeführten Oper Die unglückselige Cleopatra findet sich ein Werk deutscher Sprache im Programm der CD. Die beiden Arien „Mein Leben ist hin“ und „Ruhe sanft“ sind beide von elegischem Charakter und werden hier in berührender Schlichtheit wiedergegeben.

Am Schluss überrascht die Interpretin noch mit einer Bonus-Nummer – der Arie „Quando voglio“ aus Sartorios Giulio Cesare in Egitto. Der Sopran steigt hier tief hinab in die Region der Sprechstimme, überrumpelt den Hörer mit rasanten Tarantella-Rhythmen und reizvoll sinnlichem Flair. Bernd Hoppe

Ärgerliche Restverwertung

 

Sollte Regisseur Benoit Jacquot die Absicht gehabt haben, einen mitreißenden (TV?-)Opernfilm zu drehen, und mit Puccinis Tosca sowie so tüchtigen wie attraktiven Sängern wie Angela Gheorghiu, Roberto Alagna und Ruggero Raimondi müsste das machbar sein, dann ist er jämmerlich gescheitert, und die Frage nach dem Warum ist leicht zu beantworten. Zum einen reißt der ständige Wechsel zwischen farbigen Filmaufnahmen, solchen in Schwarz-Weiß von den Tonaufnahmen aus dem Studio und grobkörnigen Kamerafahrten durch das Ambiente, so den Weg von Sant’Andrea della Valle zu Cavaradossis Villa, den Betrachter aus der sich gerade entwickelnden Stimmung.   Ein weiterer Atmosphäretöter ist das Agieren der Sänger vor einem schwarzen Loch, lediglich für den dritten Akt gönnt man dem Zuschauer einen Blick auf den Schauplatz des Geschehens. Am schlimmsten sind die ständigen Großaufnahmen von den Gesichtern der Protagonisten, die zwar schön bzw. interessant sind, aber da Sänger gewohnt sind, für die zwölfte Reihe eines Opernhauses auch mimisch zu agieren, geht es nicht ohne Peinlichkeiten ab. Raimondi kann zwar schön fies blicken, diese Physiognomie aber nicht über extrem lange Passagen durchhalten, La Gheorghiu ist ausschließlich darauf bedacht, attraktiv auszusehen, wirkt durchweg affektiert und kokett, sinkt auch in extremster Situation allzu anmutig-elegant auf dem Diwan nieder und ist offensichtlich vor allem darauf bedacht, die lange Schleppe ihres Kleides ( 1.Akt) oder Mantels (2. Und 3. Akt) dekorativ um sich herum zu drapieren, egal wie sehr sich der arme Cavaradossi in er Folterkammer die Seele aus dem Leib schreit. Und da es natürlich toll etwas hermacht, wenn ein knallroter, reich bestickter Mantel von der Engelsburg in Richtung Tevere flattert, hat sie sich für die Flucht aus Rom noch ein besonders aufwändiges solches Kleidungsstück zugelegt. Das ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, aber kein Liebes- und Freiheitsdrama! Wenn dann am Schluss noch einmal ins Studio zurückgeblendet wird und die Diva ein sich selbst bewunderndes „Oiih“ ob ihres „Oh Scarpia, davanti a Dio“ ausstößt, dann erscheinen einem im Nachhinein selbst die großen Poren und Nasenhaare bei den Herren, derer sich die Kamera gern annahm, erträglich.

Peinlich und unnötig wirken auch die Rückblenden in den ersten und zweiten Akt zum Vorspiel des dritten, vor allem wenn sie im Rückwärtsgang stattfinden, und die zeitweise geschlossenen Münder zu Gesang ergeben nur dann einen Sinn, wenn auf diesen vom Partner nicht reagiert wird.

Der Sopran von Angela Gheorghiu war zur Zeit der Aufnahme (2000)  noch etwas leicht und hell für die Partie, sie versucht die Stimme abzudunkeln, „Vissi d’arte“ wird gut, wenn auch nicht sonderlich bewegend gesungen, im dritten Akt gerät sie manchmal im forte an ihre Grenzen. Prachtvolles Material kann Roberto Alagna in die Waagschale werden, Recondita armonia wird leider im Einheitsforte gesungen, E lucevan le stelle agogikreicher, aber nicht optimal, da bei den enthüllten belle forme nicht genügend ins Piano zurückgenommen. Ruggero Raimondi war damals (2000) noch in recht guter vokaler Verfassung, abgesehen von Problemen beim Legatosingen. Einen schön-hässlichen Charaktertenor hat Davi Cangelosi für den Spoletta, markig-markant klingt Maurizio Muraro als Angelotti, chargierend auch im Gesang verhält sich der Mesner von Enrico Fissore. Leidenschaftlich agierend zeigt sich Antonio Pappano bei den Aufnahmen aus dem Studio, so dass man sich darüber wundert, dass das Orchester des Royal Opera House of Covent Garden streckenweise kaum zu hören ist.

Im Booklet wird auch über andere Tosca-Filme berichtet, der mit Kabaivanska, Domingo und Milnes aber leider unterschlagen.

Der Besitzer  der Aufnahme kann übrigens zwischen Blu-ray und 4K Ultra HD wählen, wodurch aber natürlich das Ganze nicht besser wird (Arthaus 109293) Und außerdem ist das eine „olle Karmelle“, denn den Film gab es bereits in verschiedenen Ausgaben – bei Zweitausenduneins, bei der Frankfurter Allgemeinen und auf weiteren Labels – unnötige Restverwertung also..  Ingrid Wanja  

Nixe mit Wiener Charme

 

Er stand lange im Schatten seines Schwagers Arnold Schönberg, der Komponist und Dirigent Alexander von Zemlinsky – inzwischen ist der größte Teil seines Werks, vor allem sein Opernwerk, auf CD zu haben. Jetzt ist seine Orchesterfantasie Die Seejungfrau bei cpo erschienen. Das Märchen war in vielen Spielarten in Europa bekannt, bevor Andersen es in Märchenform gebracht hat. Diese dreiviertelstündige Orchesterversion folgt nicht nur dem Andersenmärchen, sondern zeigt auch starke Verwandschaft mit der Rusalka-Oper von Dvorák. Die Seejungfrau bittet eine Hexe, ihr Füße zu verleihen, dafür kann sie aber nicht sprechen, und so verliert sie den Prinzen  und muss mit ansehen, wie er er eine irdische Schönheit heiratet.

Zemlinsky war ein herausragender Operndirigent, der von seinen Zeitgenossen auch vor allem in dieser Funktion gesehen wurde: er stand beispielsweise am Pult der umjubelten der Mahagonny-Oper von Brecht und Weill. Außerdem war er ein enger Freund von Arnold Schönberg, der schließlich sogar Zemlinskys Schwester heiratete. Der ewige Vergleich mit Schönberg verstellte allerdings oft den Blick auf den stilistisch ganz anders aufgerichteten, aber ähnlich hochbegabten Zemlinsky.

Grade diese Orchesterfantasie von 1902 zeigt das glänzend – er ist seine eigenen Wege gegangen, seine Musik hat dunkle, sehr schwärmerische, aber auch merkwürdig verwinkelte Züge, oft durchblitzt das tönende Meeresgewoge eine seltsam wehmütige, hochromantische Ironie, die schwer in Worte zu fassen und E.T.A. Hoffmann nicht unähnlich ist.   

Eigenständiges Genie: Das Faszinierende für mich an diesem Werk: Es ist eine Oper ohne Worte, viel melodramatischer als Richard Straussens sinfonische Dichtungen (deren Einfluss Zemlinsky natürlich nicht verleugnen kann – doch wer erlag diesem Einfluss nicht in jenen Tagen um 1900?)  Die dreisätzige Fantasie  folgt zwar formal sinfonischen und programm-musikalischen Konzeptionen, aber Leitmotivik, Melodik und die Zuordnung bestimmter Emotionen der Figuren zu Instrumenten ist sehr opernhaft. Die Schwebe zwischen sinfonischen und musikdramatischen, ja zuweilen sogar balletthaften Zügen macht das Stück so originell.

Bei aller Raffinesse schreibt Zemlinsky für ein großes Publikum – oder wünscht sich zumindest eines. Das Ganze wirkt heute fast die Soundtrack zu einem Animationsfilm.

Seejungfrau mit Wiener Charme. Erstaunlicherweise ist das Stück für ein Werk, das erst seit Mitte der 1980er Jahre erstmals nach dem Krieg wieder im Repertoire der Konzertsäle auftaucht, erstaunlich oft eingespielt worden. Mir sind fünf frühere Aufnahmen bekannt. Ich empfinde diese hier als mit die schönste und sinnlichste, um nicht zu sagen schwelgerischste – für mich wieder mal ein Zeichen dafür, dass wir es bei  Cornelius Meister am Pult des ORF Radio-Symphonieorchester Wien um einen echten Könner des Faches unter den jüngeren Dirigenten zu tun haben. Er geht nächstes Jahr nach Stuttgart an die Oper, da kann man die Stuttgarter nur beneiden. Er hat un Wien unendlich viel für Zemlinsky getan, weil der Komponist wirklich so präsentiert wird, wie er es das verdient: als eigenständiges Genie mit eigener Sprache und einer Musik, die mit ihrer Emotionalität, ihrem Kalkül, ihrer orchestralen Pracht durchaus auf Augenhöhe mit Strauss und Schreker erscheint. Und ein Wiener Orchester, das es wirklich einmal schafft, den spezifisch wienerischen Ton Zemlinskys hörbar zu machen! Wirklich eine absolut umwerfende Produktion (cpo 777962-2)! Matthias Käther