Archiv für den Monat: Oktober 2014

Alpine Echos im Kinderzimmer

In der neuesten Staffel der Most-Wanted-Recitals der Decca geht es auf einigen CDs ausgesprochen beschaulich zu. Es gibt keine Leichen, niemand zückt den Dolch, der Giftbecher bleibt im Schrank. Alles, was in der Oper passieren kann, passiert diesmal nicht. In breitestem Stereo breitet sich das Panorama der Alpen aus. Eine akustische Postkarte, noch schöner als die Wirklichkeit. Ein Alphorn ruft. Wer das hört, packt schon mal die Koffer für die nächste Reise in die Schweiz. Musikalisch sind wir bereits mittendrin. Lisa della Casa und Vico Torriani singen Lieder aus unserer Heimat (480 8150).

della casa torrianiUnd wie sie singen. Mal aus der Ferne, mal ganz nah, mal sind sie ihr eigenes Echo. Sie werfen sich die Bälle zu, sind melancholisch, verliebt oder einfach nur bestens gelaunt. Sie passen erstaunlich gut zusammen mit ihren sehr klaren, von der Technik herausgestellten Stimmen, die legendäre Operndiva und der Schlagersänger, der sich gelegentlich auch als Fernsehkoch und Showmaster betätigte. Zunächst liegt das an der gemeinsamen Herkunft. Ob Swiizerdütsch, Italienisch oder Französisch. Sie singen, wie es kommt. Die Schweiz ist vielsprachig. Vor allem aber passen sie deshalb so gut zusammen, weil man ihnen das Volkslied auf der Alm am Ende des Tages doch nicht so richtig abnimmt. Sie spielen eine Rolle, an der sie Spaß haben – und schlafen doch nachts lieber in ihren weichen Betten als auf den harten Pritschen einer Hütte in den Bergen. Was Torrianis Hauptgeschäft war (Schlager und Hotellerie), ist bei Lisa della Casa, der unvergleichlichen Arabella, immer eine Sehnsucht gewesen, der sie gelegentlich nachgab. Sie liebte, was gemeinhin als die heitere Muse gilt. Sie trat in Operetten auf und sogar im „Blauen Bock“, der beliebten Samstagabendshow des Hessischen Rundfunks für die ganze Familie, wo die unverwüstliche Lia Wöhr Äppelwoi ausschenkte. Die etwas Älteren unter uns erinnern sich. Ich sehe sie vor mir mit ihrer betonierten Hochfrisur mit Kameralächeln, charmant und reserviert zugleich. Diese Volkslieder geisterten als bescheidene Kopie seit Jahren durch private Sammlungen. Nun also klingen sie wie neu, wie sie vielleicht nicht einmal auf der alten Platte klangen. Wie habe ich mich danach verzehrt. Nun höre ich die CD, bin zufrieden und um eine Illusion ärmer. Einmal mehr bewahrheitet sich der alte Spruch, dass die Sehnsucht unsere Seele nährt, nicht die Erfüllung.

Was die della Casa und Torriani höchst professionell hinlegen, missglückt der Holländerin Cristina Deutekom, die den Bonus mit einem Promenade Concert bestreitet. Es wurde eine Platte von 1972 hervorgekramt, die getrost hätte im Archiv bleiben können. Mir fällt die Vorstellung schwer, dass sie zwei Jahre später die Saison der Met als Elena in Verdis I vespri sicilani an der Seite von Plácido Domingo würde eröffnen. Wie denn das? Liegt es nur am vergeblichen Versuch, sich mit Liedern von Robert Stolz oder Peter Kreuder radebrechend wienerisch zu geben? Oder klirrt und tremoliert da etwas in den Höhen? An meinen Lautsprechern kann es nicht liegen. Die sind gut. Ich will der Gemeinde, die diese Sängerin immer noch haben dürfe, nicht zu nahe treten. Die Einspielung trägt nach meinem Urteil nicht zu ihrem Nachruhm bei. Decca scheint aber wild entschlossen, in der Most-Wanted-Reihe auch die falschen Perlen zu präsentieren. Wenn schon, denn schon! Auf zur nächsten CD, die es auch in sich hat.

gueden kinderliederHilde Gueden bäckt nämlich Kuchen. Die Gueden, die auch anders kann, gibt diesmal das kleine Mädchen. Wie niedlich. Dabei war sie Mitte Fünfzig, als sie im Wiener Sophiensaal ins Studio ging, um Kinderlieder aufzunehmen (480 8158). Stimmlich geht das fabelhaft. Sie muss sich nicht verstellen. Eine Art Kinderton war dieser Stimme seit jeher eigen. Er war ihr Markenzeichen. Selbst als Daphne oder Violetta Valery, erst Recht aber als Micaela oder Sophie schimmerte er durch. Ihr nimmt man die Kinderlieder ab. Ich wusste bislang nicht, dass es so eine Platte gegeben hatte, die nun auf CD gelangt es. Wundern tut es mich nicht. Es kann ja nicht verkehrt sein, solche Lieder, die auch allerhand Brauchtum verinnerlichen, am Klingen zu halten. „Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen“. Warum eigentlich gerufen? Der Text, den man mitschreiben könnte, während sie singt, geht auf eine praktische Tradition zurück. Nachdem das Brot aus dem Ofen geholt war, signalisierten die Bäcker die Nachbarschaft mit einem Horn, dass sie den selbst gebackenen Kuchen brächten, um die restliche Wärme zu nutzen. Heute ließe sich das als ökologisch verkaufen. „Suse, liebe Suse“, „Es klappert die Mühle“, „Ein Männlein steht im Walde“, „Alle meine Entchen“ … Und so geht lustig fort. Bei der „Vogelhochzeit“, die im schlimmsten Fall kein Ende nimmt, begnügt sich die Sängerin mit fünf Versen. Das reicht auch.

guedenAls Bonus werden Christmas Songs draufgepackt, die ebenfalls eine CD-Premiere sind. Sie stammen aus den frühen Jahren der Sängerin, von 1953, was auch zu hören ist. Ich habe schon mal hineingehört und kam mir vor, als würde ich jetzt schon heimlich Süßigkeiten naschen, die doch unter den Tannenbaum gehören. Weihnachten kann kommen. Im selben Jahr entstanden auch die Aufnahmen einer weiteren Gueden-CD. Sie besteht im Hauptteil aus Mozart. Ganz leicht schwebt Exsultate, jubilate, wenn da nicht die Koloraturen wären, über die rasch hinweg gehuscht wird. Sie sind nicht Sache der Gueden, wie es sich auch in der Arie „L’amerò, sarò cinstante“ aus Il ré patore zeigt. Pamina und Susanna liegen ihr mehr. Was als Bonus ausgewiesen ist, war einst Bestandteil der LP, aus der auch die ersten vier Szenen mit den Wiener Philharmonikern unter Josef Krips stammen. Obwohl die Ordnung in der ganzen Decca-Serie streng und abgezirkelt ist, gilt hier offenbar das Prinzip, die Nummern nach Dirigenten einzuteilen. Auf Krips folgt Clemens Krauss, der noch einmal die Gueden mit Mozart begleitet. Susanne kommt nun mit der so genannten Rosenarie zum Zuge, die genau so klingt wie der sanfte Cherubino. Wüsste man es nicht besser, es würde nicht klar, wer nun wer ist.

schlusnus deccaDrei Namen auf drei weiteren CDs stehen für Ernst und Würde: Heinrich Schlusnus, Hans Hotter und Hermann Prey. Alle drei singen Lieder. Schlusnus (480 8175) widmet sich hauptsächlich Franz Schubert. Als er damit in Wien bzw. in Genf für Decca engagiert wurde, war er Sechzig. Seine Glanzzeiten, in denen seine besten Liedaufnahmen entstanden, lagen hinter ihm. Seine Stimme ist müde geworden. Mit Technik gleicht er aus, was unwiederbringlich verloren ging. Er wählt ein sehr langsames Tempo, das gewöhnungsbedürftig ist. Mit dieser Drosselung gewinnt sein Bariton mehr Kraft. Steigerungen können sich in aller Ruhe aufbauen. Nach drei Liedern empfand ich das als sehr anstrengend, also zu gewollt. Deshalb empfiehlt es sich, die CD in Raten zu hören. Dann stellt sich der starke Eindruck von diesem Vortrag immer wieder aufs Neue ein und verbraucht sich nicht. Trotz aller Defizite hat sich aus den besseren Tagen ein Maß an Ausdruck erhalten, der für Schubert unabdingbar ist. Schlusnus wird von Sebastian Peschko begleitet, der als einer der bedeutendsten Vertreter seines Fachs gilt und sich als Rundfunkpionier unermüdlich für die Verbreitung klassischer Musik einsetzte. Als etwas abrupt wirkt nach so viel Lyrik der überwiegend dramatische Anhang, bestehend aus vier Opernszenen aus Fidelio („Ha! Welch ein Augenblick!“), Tannhäuser („Gar viel und schön“), Falstaff („He, holla! Wirtschaft!“) und Barbier von Bagdad („Heil, diesem Hause . . . Salam aleikum“) mit Otto Edelmann unter Rudolf Moralt von 1953 – etwas dumpfes Mono wie auch die Lieder mit Schlusnus.

hotter 2 deccaFür Hans Hotter (480 8160) kommen die Lieder, bei denen Geoffrey Parsons am Klavier sitzt, zu spät. Dafür klingen sie technisch um Längen besser. Sie wurden 1973 in Stereo aufgenommen. Mehr noch als Schlusnus rettet er sich in die Gestaltung. Was er dabei zustande bringt, grenzt an Wunder. Gelernt ist gelernt. Hotter verfügt über einen endlosen Vorrat an Farben. Er zwingt seinen von Haus aus schweren Heldenbariton gern ins feinste Piano, gibt jedem Wort seine Bedeutung, weil er weiß, was er singt. Dramatische Ausbrüche wie in Hugo Wolfs „Der verzweifelte Liebhaber“ gehen gar nicht mehr. Wenn er doch den feinsinnigen Wolf weggelassen hätte. „Wenn du zu den Blumen gehst“ und „Anakreons Grab“ sind doch nicht für diese Stimme, die ihren Kern verloren hatte. Balladen von Carl Loewe – darunter „Odins Meeresritt“ und „Hochzeitslied“ – gehen ihm viel von diesen Lippen, auch der oft dunkel versonnene Brahms gelingt noch hervorragend.

prey wolf deccaHermann Prey hat solche Probleme nicht. Er war Mitte Dreißig, als er gemeinsam mit Gerald Moore an seine Einspielungen ging. Er konnte aus dem Vollen seines gefälligen Baritons schöpfen. Das tut er auch. Auf der CD (480 8172) werden zwei Platten zusammengeworfen, die mit Abstand von einem knappen Jahr in London produziert wurden. Hugo Wolf und Richard Strauss halten sich mit je vierzehn Titeln die Waage. Der Rest stammt von Hans Pfitzner, den es gar nicht freuen würde, sich wieder einmal eingeklemmt zwischen die beiden zu sehen. Strauss gelingt famos. Prey legt in dessen Lieder jeden Überschwang, der sich denken lässt. Alles ist Gefühl. Nichts wird hinterfragt in diesen Texten, die meisten von Dahn und Bierbaum stammen. Also nicht von Goethe oder Heine. Prey gibt Strauss, was Strauss ist. Schönheit pur, angereichert mit einer Portion Schmalz. Selbst der weniger eingängige Wolf klingt bei Prey gefälliger als sonst.

Rüdiger Winter

 

Napoleons Traumrollen

Iris Winkler ist Freunden des früheren Belcanto und besonders der Musik Giovanni Simone Mayrs keine Unbekannte durch ihre vielen Publikationen, auch in jüngeren Programmheften oder CD-Ausgaben wie bei Oehms. Sie ist Professorin an der katholischen Universität Eichstädt-Ingolstadt und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Simon-Mayr-Forschungsstelle ebendort. Umso erfreulicher ist es, von einer Neuerscheinung unter ihren vielen Veröffentlichungen berichten zu können: „Napoleons Traumrollen – Alexander und Trajan im Werk Giovanni Simone Mayrs Musik und Kulturpolitik im napoleonischen Venedig und Mailand “ im Rahmen der Simon-Mayr-Studien im Münchner Katzbichler-Verlag. Mit Freude haben wir den englischen Musikforscher und Belcanto-Fachmann, den Mayr-Freund Alexander Weatherson, Präsident der englischen Donizetti-Gesellschaft, für eine (englischsprachige) Besprechung gewinnen können, die zeitgleich in dem Newsletter 123 der Donizetti-Society erscheint: doppelt Reklame also für diese hochinteressante, kulturpolitische und auch den Laien fesselnde Arbeit von Iris Winkler. G. H.

 

Iris Winkler/KU

Iris Winkler/KU

Eventful indeed, auspicious maybe, with a lasting material impact it is true, Napoleon’s descent upon Italy remains contentious – except perhaps musically. Mayr was not alone in recording such a momentous interregnum and a handful of imperial offerings from his hand has come down to us, marking not just a fleeting political affiliation but also a thematic drift in his rapidly evolving repertoire. The list of works in this important book spans the period between 1797 when his farsa II segreto at the Teatro San Moise in Venice featured the carmagnole in a brilliant finale and the exuberant 1811 festivities for the Baptism of the King of Rome in Bergamo, with, as points de repere, the Te Deum sung in 1805 for the Coronation of Napoleon in Milan Cathedral and a clutch of gloriosissime cantate of unbridled fervour. Iris Winkler details the preparatory phases for this high profile but unpredictable and unwonted Napoleonic imposition with great finesse, most notably in respect of the effusion that accompanied his advent from such literary „sunflowers“ as Vincenzo Monti, Angelo Anelli and Giuseppe Maria Foppa. The radical substance of such a prostrate welcome for a foreign conqueror supplies a key to the climate of change that banished the musical certainties of the ancien regime in Italy. Mayr was a composer at the heart of this evolution and his music straddles the period stylistically and subjectively without – it should be noted – entirely unblemished commitment. Such a scepticism invests this important study with an especially perceptive eye.

napoleon winklerThe opening chapters detail the groundwork: Einleitung introduces the young Napoleon’s musical tastes, including his liking for Paisiello (and an unfortunate but formative clash with Cherubini); Einführung in die Thematik covers the enthusiastic reception for this nascent imperial comet over an unwitting lagoon; the twin sections Napoleon und die Kunst der Reprasentation/Napoleon und die „Gewalt der Musik“: Chantons du nouvel Alexandre recount, among other significant items, his brush with revolutionary and other French composers and initial link with Mayr; Facetten des kulturellen Lehens in „napoleonischen“ Venedig

is concerned with the tidal wave of renewal that surged along the Grand Canal at this moment of crisis; while various important sub-sections – Politische Verhältnisse for example covers the abject imploding of the once serene republic and Huldigungen, Huldigungsmusiken, Huldigungsprogramme refers to the stream of hommage that came his way in its wake, more intensely focussed in the ensuing section Huldigungskantaten in Venedig. This latter brings Ferdinando Bertoni, Vittorio Trento, and Stefano Pavesi on to the laudatory scene culminating in cantatas for Napoleon’s footfall in the Piazza San Marco invoking such beings as „Giove, Clemenza e Valore“ and other flattering denizens of a highly speculative Parnassus thought appropriate to the adulation of the „augustissimo ed altissimo nostro imperatore e re“. This introductory section also includes a selective study of the sacred panorama of the Bavarian composer over many decades in Musik und Liturgie which outlines Mayr’s devotional works both before and after the imposition of Napoleon Bonaparte upon the peninsula, with his shadowy Te Deum for the latter’s Italian enthronement at its heart.

Iris Winkler: Darstellung Napoleons als Alexander der Grosse/Winkler

Iris Winkler: Darstellung Napoleons als Alexander der Große/Winkler

Was it actually written specifically for this occasion? A part autograph score remains in Bergamo. It could have been the true apex of his actual commitment to the Emperor: „il famoso Te Deum scritto nell’occasione deU’incoronazione di Buonaparte“ in the words of Calvi, momentously performed in the Milan Duomo on 26 May 1805 with a vast orchestra divided into four parts, a double chorus and a quartet of soloists, with the triumphant Corsican soldier seated on a throne surrounded by quattro statue dorate simboleggianti vittorie con palme in mano hearing a votive Mass according to the Ambrosian rite during which he swore an oath of fidelity to cries of „Vivat“, „Vivat Imperator Rex in ceternum“ culminating in a crash of artillery. But no one, apart from Calvi, seems to have recorded Mayr’s authorship of this Te Deum. That the Emperor’s eternal sovereignty did not come to pass was not the fault of Mayr, nor is it Mayr’s fault that his name is missing from the innumerable accounts of the occasion. The extraordinary confusion surrounding the authorship of this Te Deum is extensively covered in these pages in great detail, its various attribution to Ambrogio Minoja and Francesco Pollini examined exhaustively together with the contingent celebration of festivities in the theatre. Iris Winkler here uncovers an unrivalled tapestry of events of import to the musical culture of the day, but the truth remains inconclusive amid the indulgent details.

Giovanni Simone Mayr/ISMG

Giovanni Simone Mayr/ISMG

No such ambiguity covers the cantatas Mayr composed for Napoleon. If the Emperor did nothing else he certainly inserted an heroic lapsus into Mayr’s compositional sequence. Though his Lodoiska (1799 version) was revived expressly for Napoleon at La Scala (in May 1805) such Cherubiniesque heroines were currently sacrificed on the altar of macho solidarity. How much of this was due to conviction and how much to cynicism is hard to determine. From the heights of Bergamo Alta between 1803 and 1806 Mayr evoked Hercules (Ercole in Lidia 1803), the conquistador Alonso (Alonso e Cora 1803) and the Indian hero Zamori (Palmira 1806) [Napoleon’s favorite opera was Paer’s Achille of 1801). From 1807 onwards these heavyweight studs were trumped imperially by classical potentates like the Emperor Trajan, Faramondo and Numa Pompilio.

With a text by Angelo Anelli Trajano, a Cantata pel Giorno Onomastico di Sua Maesta Napoleone il Grande e per la Pace (often confusingly listed as „San Napoleone, cantata“) was sung at La Scala on 16 August 1807 on which occasion Teresa Belloc sang the role of La Pace. With a text by conte Giovanni Battista Carrara Spinelli the Cantata per le Auguste Nozze di S.M. Imperatore e Re Napoleone I was sung in Bergamo on 10 May 1810 (for his second marriage to the Archduchess Marie-Louise of Austria) with a roster that included Giuseppe Viganoni among the soloists. Also with a text by Spinelli and for the same event, appeared his „Gia squillan le trombe“, Faramondo, for voce solo (either soprano or tenor); followed in due course and logically enough by „Sommi Numi“, Numa Pompilio Per la nascita del Re di Roma of 1811, together with a further cantata, poet undisclosed, for the same occasion written for Bergamo. The series capped by „Omnipossente Diva“, the Cantata per le Feste del Comune di Bergamo in Occasione del Battesimo di Sua Maesta il Re di Roma in the Teatro Riccardi of that same city with chorus and two tenors and two basses on 9 June 1811 and a further text by the obliging Spinelli.

Kaiser Napoleon in herrscherpose/Musée de l´Armee, Paris/Bundesregierung

Kaiser Napoleon in Herrscherpose/Musée de l´Armee, Paris/Bundesregierung

This seems to have been the end of his heroic phase and he then peaceably returned to arcadian and proto-romantic shores. All these cantatas, with many attendant extras are here described in minutely scientific detail. The new Alexandre has clasped hands with the old Trajano. Napoleons Traumrollen itemises the euphoria and idealism that coloured a shortlived presence on the Italian peninsula. The Napoleonic era – the Emperor in person even – was a pivotal force in the work of Johann Simon Mayr, his autocratic descent upon church and stage coming at the very cusp of the demise of one century and the dawn of the next with all that implies of brutal revolution in Europe, liberal disassociation from the past, and a welcome freedom in the mood and content of music. This study is full of wonderful insights concerning the trauma surrounding the arrival of Napoleon upon Italian soil, but the finite detailing, so necessary and fascinating to scholars – inevitably blurs the specificity that would aid the musical newcomer fully to understand its meaning and purpose.  Alexander Weatherson

 

Iris Winkler : Napoleons TraumrollenIris Winkler / Musik und Kulturpolitik im napoleonischen Venedig und Mailand;  Mayr-Studien 7, Musikverlag Katzbichler, München-Salzburg 2014, 208pp

Drei Leben für die Oper

Den Opernliebhabern ist Antonio Ghislanzoni (1824-1893) vor allem als Verfasser der Aida für Giuseppe Verdi bekannt, das indes nur eines von rund 60 Textbüchern war, die er für eine Reihe von Komponisten à la mode verfasste. Im Jahre 1871 etwa, als Verdis Meisterwerk in Kairo uraufgeführt wurde, arbeitete er auch mit Antonio Cagnoni (1828-1896) und Gaetano Braga (1829-1907) zusammen, aber auch Catalani (Edmea), Gomes (Fosca und Salvator Rosa), Petrella (Giovanna di Napoli und Promessi sposi, womit sich Ghislanzoni an die Verarbeitung des gleichnamigen Romans von Italiens Nationalglorie Alessandro Manzoni heranwagte) und Ponchielli (Parlatore eterno, Lituani, eine Donizetti-Gedenkkantate und die unvollständig nachgelassenen Mori di Valenza) vertonten seine Verse.

ghislanzonibuchWeit weniger erforscht ist Ghislanzonis Leben über jenes als Librettist hinaus, nämlich als Sänger und als freier Schriftsteller. Indem Pacifica Artuso ihr Buch diesen beiden anderen Wirkungsgebieten Ghislanzonis widmet, füllt sie eine echte Lücke. Der erste Teil des Buches („Il baritono“, S. 13-76) verdient besondere Aufmerksamkeit. Darin wird die kurze Karriere Ghislanzonis als Bariton dargestellt. Sie begann 1847 in Lodi (40 km südlich von Mailand) mit dem Debut in der Luisa Strozzi des obskuren Komponisten Gualtiero Sanelli  (1816-1861) und endete abrupt , als Ghislanzoni 1855 in Mailand (in Teatro Carcano, nicht an der Scala) in Nicolais Templario ausgebuht wurde. Er war ein zweitrangiger Sänger, der mit wenigen Ausnahmen dazu verdammt war, schlecht bezahlte Engagements bei provinziellen Bühnen zu ergattern. Aber die Darstellung dieser wenigen Jahre, die Artuso mit akribisch zusammengestellten Quellen rekonstruiert, ist deswegen besonders spannend geraten, weil dadurch dem Leser auch die Schattenseiten der Opernindustrie im Goldenen Zeitalter vor Augen geführt werden, einer bunten Welt, in der sich allerlei Menschenschlag tummelte (ganz anders als heutzutage, versteht sich): zahllose schlecht ausgebildete Sänger, die nach wenigen Jahren ihre Stimme verloren (Ghislanzoni gehört wohl auch zu dieser Kategorie), rücksichtslose impresari und skrupellose Agenten (in jener  Zeit entstanden die Künstleragenturen modernen Zuschnittes, über die er schon damals Amüsantes zu berichten hat) und – so zumindest in Ghislanzonis Urteil – auch eine Horde von mäßig begabten Komponisten, deren Ehrgeiz in keinem Verhältnis zu ihrem Talent stand. Spätestens bei der Lektüre solcher Passagen  schlägt der Puls des Raritätensammlers höher, der sich heutzutage über jede Ausgrabung aus dem Ottocento freut und nun einsehen muss, dass Ghislanzoni manche dieser Wiederauferstehungen (etwa der Opern Paolo Carrers) in höchstem Masse überrascht hätte. Der zweite Teil des Buches („Gli artisti da teatro“, S. 76-125) ist einem weiteren Leben Ghislanzonis gewidmet, jenem als freier und äußerst produktiver Schriftsteller. In seinen Veröffentlichungen kam Ghislanzoni selbstredend gerne auch auf musikalische Sujets zu sprechen. Die Autorin stellt hier einen umfangreichen Roman über die Oper vor, die „Artisti da teatro“, 1865 veröffentlicht , in denen Ghislanzoni Selbstbiographisches, Historisches (so wenn er sachkundig über berühmte Sänger der Zeit berichtet) und Fiktives vermischt. In Artusos Darstellung sieht es fast so aus, als ob die tragische Geschichte der unglücklichen Liebe eines Tenors und eines Soprans, welche dem Roman zugrundliegt (und, wie es scheint, selbstironisch melodramatisch angelegt ist), eigentlich nur ein Vorwand war, um zum Opernbetrieb der Zeit Stellung zu nehmen. Bei der Lektüre von Artusos Ausführungen bekommt man große Lust, den ganzen Rom zu lesen, der offenbar nie in seiner Gesamtheit nachgedruckt wurde (er ist als Digitalisat über Google jedoch verfügbar). Wäre eine Neuedition nicht eine schöne Aufgabe für einen jungen Musikwissenschaftler, der außerhalb ausgetretener Pfade forschen möchte? Weniger interessant fand schließlich der Rezensent Artusos Beobachtungen zu Ghislanzoni und Verdi im dritten Teil des Buches („Verdi visto da Ghislanzoni“, S. 126-158). Pacifica Artuso ist insgesamt kein großer Wurf gelungen. Einige Leser werden sich über den disparaten Charakter dieser Publikation aufregen, die eher einer Aufsatzsammlung als einem durchkonzipierten Buch ähnelt; andere werden schmerzlich ein Register vermissen, wodurch die Fülle von Informationen zu Komponisten und Künstlern der Zeit, die geboten werden, nicht leicht greifbar sind; und niemand muss schließlich die Begeisterung der Verfasserin für den logorrhöischen Schriftsteller Ghislanzoni teilen. Er gehörte zur damaligen literarischen Avantgarde (der lombardischen Scapigliatura), aber seine Erzählungen und Romane sind oft literarische Ergüsse eines ungepflegt schreibenden Schreiberlings, der zum Überleben unentwegt veröffentlichen  musste. Trotzdem sei dieses Buch vor allem wegen der beiden ersten Kapitel allen Liebhabern der italienischen Oper in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts empfohlen.

Michele C. Ferrari

Pacifica Artuso, Antonio Ghislanzoni, non di solo Verdi…, 164 Seiten, Abb., Varenna, EurArte Edizioni 2013, ISBN 978-88-95206-32-5

Auf weiten Pfaden

Auf eine nahezu sechs Jahrzehnte währende Karriere, die extrem frühzeitig begann und extrem spät zu Ende ging, kann die Sängerin Anny Schlemm verweisen, die am 22.Februar dieses Jahres (2014) ihren 85. Geburtstag in Granz beging Und sie passt in kaum ein Schema. Mit 17 Jahren betrat Anny Schlemm in Halle erstmals die Bretter einer Bühne, welche für sie hinfort die Welt bedeuten sollten. Es begann, wie es sich für eine solide Karriere gehört, mit kleinen und kleinsten Partien. Sehr bald reifte das junge Talent zur Sängerdarstellerin und wurde eine Favoritin speziell des Regisseurs Walter Felsenstein.

Anny Schlemm: Boulotte/Schlemm

Anny Schlemm: Boulotte/Schlemm

Nicht zuletzt ihre Boulotte in Offenbachs Ritter Blaubart schrieb Geschichte. Die politischen Entwicklungen lockerten die Kontakte in Richtung Osten (aber doch manche der Darsteller der Komischen Oper waren stets aus dem Westen, seit Beginn über viele Jahre lang), aber nach der “Wende“ kam es noch zu einigen schönen Altersauftritten an der geliebten Komischen Oper (u.a. mit Orpheus in der Unterwelt an der Seite von Jochen Kowalski). Auch in Halle gastierte sie 1996 noch einmal in Rimsky-Korsakows Goldenem Hahn. Mit der Mamma Lucia (Mascagnis Cavalleria) zog sie sich dann von der Bühne zurück, ohne der Öffentlichkeit gänzlich abhanden zu kommen. So gab sie gelegentlich Lesungen in ihrer Geburtsstadt Neu-Isenburg in der Nähe Frankfurts.

Ungewöhnlich früh wurde Anny Schlemm auch zu Plattenaufnahmen herangezogen. In einer Fledermaus-Produktion unter Ferenc Fricsay beim RIAS (nachträglich auf CD veröffentlicht) sprang sie als Zwanzigjährige ein, im gleichen Jahr 1949 (Todesjahr von Hans Pfitzner) wirkte sie auch bei einer Einspielung des ersten Palestrina-Aktes mit, neben Elfride Trötschel, Rita Streich, Margarete Klose und Lorenz Fehenberger; Robert Heger leitete das Orchester der Komischen Oper Berlin, wo Anny Schlemm (neben Frankfurt) ihre künstlerische Heimstätte fand. Dann ging es mehr oder weniger Schlag auf Schlag. Die EMI verpflichtete Anny Schlemm mehrfach, doch zu Hause war sie bei der DG, wo sie u.a. an einer Reihe schöner Opernquerschnitte beteiligt war (Freischütz, Verkaufte Braut, Undine, Mignon, Hoffmanns Erzählungen sowie – wenn auch nur mit einer Arie – Die lustigen Weiber von Windsor). Anny Schlemms Kontakte in die DDR führten u.a. in Dresden zu einer Gesamtaufnahme von Smetanas Verkaufter Braut (1962 unter Otmar Suitner, mit Rolf Apreck als stimmschönem Partner) sowie Gustav Mahlers 4. Sinfonie 1957 unter Leopold Ludwig.

Mit einem Berliner Querschnitt von Leoncavallos Bajazzo (Janos Kulka, 1964) endete die Hochphase von Anny Schlemms Aufnahmetätigkeit. Bedeutsam waren zuvor aber noch Plattenrecitals 1957 in Berlin unter Wolfgang Rennert (Anny Schlemms zeitweiligem Ehemann) sowie unter Herbert Sandberg in Bamberg (1959). All diese Produktionen finden sich mehr oder weniger vollständig in einer sehr eindrucksvollen Edition des Hamburger Archivs für Gesangskunst, welcher ein außerordentlich kundiger Text von Klaus Ulrich Spiegel beigefügt ist. Der Autor macht aus seiner Bewunderung für Anny Schlemm keinen Hehl, lässt aber auch kritische Aspekte nicht unerwähnt.

Anny Schlemm/Schlemm

Anny Schlemm/Schlemm

In Vol. 1 (Oper) ist bei Bachs Kaffee-Kantate und einer Arie aus Der Streit zwischen Phoebus und Pan (Berlin 1950) eine ausgesprochen jugendfrische Stimme zu hören, mit der Anny Schlemm gewissermaßen frisch von der Leber weg singt. Drei Jahre später (Händels Messias unter Hans Schmidt-Isserstedt beim WDR) wirkt der Sopran bereits gereift, besitzt mehr Fülle und Rundung. Das mädchenhafte Timbre blieb der Sängerin allerdings erhalten, so dass die Figuren ihrer Querschnitte glaubwürdig wirken. Dennoch waren schon früh typische Schlemm-Charakteristika festzustellen: bei aller Süße war dem Timbre eine gewisse Herbheit eigen und Spitzentöne gelangen – möglicherweise bedingt durch Tageskondition – nicht immer mit voller Sicherheit. In der Hamburger Edition ist das bereits bei der Berliner Fledermaus feststellbar, auch das Bamberger Verdi/Puccini-Recital (sowohl in der Originalsprache als auch in Deutsch aufgenommen) ist in dieser Hinsicht wie auch stilistisch etwas durchwachsen. Die Desdemona (1959 zusätzlich in Live-Ausschnitten aus der Komischen Oper unter Václav Neumann mit dem intensiven, aber auch problematischen Hanns Nocker) liegt aber ganz auf Anny Schlemms lyrischer Linie, auch die Macht des Schicksals-Leonora (Friedensarie ohne den dramatischen Schlussteil) besitzt Charisma. Amelia (Maskenball) und Aida hingegen wirken, ohnehin etwas burschikos angegangen, leicht grenzwertig. Bei Puccini wirkt das italienische Idiom der Sängerin generell überzeugender. Die Ausschnitte aus der deutschsprachigen Stuttgarter Butterfly unter Ferdinand Leitner (1960, mit Hetty Plümacher und Sandor Konya) bieten also Hörgenuss.

Anny Sclemm: Madama Butterfly/EMI/Schlemm

Anny Sclemm: Madama Butterfly/EMI/Schlemm

Dass sich in der Stimme von Anny Schlemm schon recht früh Mezzo-Farben ausbreiteten (besonders deutlich bei Ich halte viel von Etiketten aus Lehárs Paganini, WDR 1952), führte bei der Künstlerin in späteren Jahren fast logischerweise zu einem Fachwechsel. Den hatte sich Anny Schlemm ohnehin schon immer angestrebt, weil ihr die entsprechenden Rollen für eine Darstellung grundsätzlich ergiebiger erschienen. In der Hamburger Schlemm-Ediition tauchen mit dem Maskenball, Jenufa und Arabella drei Opern auf, welche diese Entwicklung dokumentieren. Einen forschen Oscar bietet Anny Schlemm in der dem Maskenball-Mitschnitt des WDR vom 15.2.1951, bei dem Fritz Busch am Pult des noch jungen Sinfonieorchesters des Hauses stand. Amelia beim Bamberger Recital wurde bereits erwähnt, die Ulrica erlebt man sehr präsent mit „Re dell’ abisso“ in einer Frankfurter Bühnenaufführung von 1983. An diesem Hause verkörperte Anny Schlemm 1961 auch die Jenufa neben Christel Goltz (Dirigent: Lovro von Matacic). Zur Küsterin kam sie selber in den Jahren, als sie eine festere Verbindung mit dem Niederrheinischen Theater Krefeld/Mönchengladbach einging. Diese Produktion (unter Robert Satanowski) wurde gastweise am 4.9.1973 in Köln gezeigt (und wurde vom Rezensenten erlebt). An diesem Haus wiederholte Anny Schlemm diese Partie 1981 in einer Neuinszenierung von Harry Kupfer. In der Szene „Im Augenblick kämpft die Sängerin am Ende mit der Höhe (welche Interpretin, außer vielleicht Leonie Rysanek, hätte das nicht getan?). Wie sie diese Anstrengung aber in Ausdruck ummünzt, ist hinreißend.

Anny Schlemm: Octavian/Schlemm

Anny Schlemm: Octavian/Schlemm

Neben Christel Goltz stand Anny Schlemm schon einmal auf der Bühne, nämlich in Arabella von Strauss, 1950 an der Berliner Staatsoper unter Joseph Keilberth. Warum nach dem Duett „Aber der Richtige der Beifall nicht „anständig“ ausgeblendet wird, gehört zu den technischen Mankos der Edition. Anny Schlemms höchsteigene Arabella („Mein Elemer“) wird mit dem Radio-Sinfonieorchester Berlin unter Ralf Weikert annonciert. Aber selbst am Ende der „1950er“Jahre wäre der Dirigent noch nicht einmal Zwanzig gewesen. Das Rätsel löst sich, wenn man ein wenig googelt und beim Deutschen Rundfunkarchiv landet. Die Aufnahme leitete Rolf Kleinert, und sie entstand am 27.1.1958, wofür auch die Stimme von Anny Schlemm spricht. Das DRA hat zum 85. Geburtstag der Sängerin etliche ihrer Aufnahmen aufgelistet. Bei dieser Gelegenheit erfährt man weiterhin, dass Anny Schlemm auch beim (Ost)-Berliner Rundfunk sehr aktiv war; viele Arien entstanden unter der Stabführung von Horst Stein wie die der Marzelline aus Beethovens Fidelio. Bei zwei Operetten-Duetten mit Edgar Wählte (Hab‘ nur dich allein aus Lehárs Zarewitsch wird von der Hamburger Edition berücksichtigt) lässt das DRA selber Vorsicht walten und gibt das Jahr 1967 als Erstsendedatum, nicht als Aufnahmedatum aus.

Zurück zur Oper. Natürlich können nicht alle veröffentlichten Ausschnitte an dieser Stelle Erwähnung finden. Aber Felix Mendelssohns  Loreley sollte als Trouvaille genannt sein. Das erste Finale aus dieser fragmentarischen Oper gehört zu den schönsten romantischen Opernszenen überhaupt und ist doch bis heute relativ unbekannt geblieben. Die WDR-Einspielung von 1956 unter Franz Marszalek (erstaunlicherweise nicht mit dem Sinfonie-Orchester, wie angegeben, sondern mit dem Rundfunk-Orchester des Hauses) ist erstklassig. Die beiden Ausschnitte aus dem Barbier von Bagdad von Peter Cornelius (1951 unter Joseph Keilberth, Nurredin: Rudolf Schock) stammen aus einer Gesamtaufnahme, die nur Dank eines Privatmitschnitts existiert, denn offiziell ist die Einspielung gelöscht. Ähnliches gilt übrigens für Leo Falls musikalisch attraktiven Süßen Kavalier, was zur Operette überleitet.

Anny Schlemm: "Wozzeck"/Schlemm

Anny Schlemm: „Wozzeck“/Schlemm

Ähnlich wie ihr häufiger Kollege Rudolf Schock ist Anny Schlemm auf der Bühne nur gelegentlich in Operetten zu erleben gewesen. Ausnahme ist ihre legendäre Boulotte (Ausschnitte aus einer 1963er-Vorstellung der Komischen Oper Berlin unter Karl-Fritz Voigtmann sind in der Edition zu hören). Durch ihre entsprechende Tätigkeit am Rundfunk hat Anny Schlemm zur Operetten-Diva schlechthin werden lassen. Von der RIAS-Fledermaus (nochmals:1949 aufgenommen, nicht 1951) wurde bereits gesprochen. Letztlich müsste von allem die Rede sein, was die Hamburger Edition an bekannten und unbekannten Titeln offeriert. An dieser Stelle wenigstens die Werke, welche erlauben, die vielen Tenorpartner Anny Schlemm zu erwähnen (zugegeben: ein sehr äußerliches Auswahlprinzip). Beim Bayerischen Rundfunk, wo stets Werner Schmidt-Boelcke den Taktstock schwang, war es Rudolf Schock  u.a. in Lehárs Schön ist die Welt (1954), Heinz Hoppe in Straußens Cagliostro und Lehárs Wo die Lerche singt (1959). In Falls Geschiedener Frau stand Anny Schlemm mit Karl Friedrich 1953 vor dem Mikrophon, mit Herbert Ernst Groh 1957 in Kálmáns Zigeunerprimas.  Per Grundén sang mit ihr ebenfalls 1957 das Traum-Duett aus Offenbachs Schöner Helena. Die Angabe von Wilhelm Schüchter als Dirigent ist im übrigen ebenso in Zweifel zu ziehen wie die Behauptung bei Micaelas Arie aus Carmen, dass unter seiner Stabführung die Berliner Philharmoniker in Bielefeld  begleitet hätten). In Berlin (1954 West, Dirigent beim RIAS: Fried Walter) war bei Millöckers Dubarry Horst Wilhelm der Partner Anny Schlemm, in dem Hamburger Vetter aus Dingsda (Künneke) Rupert Glawitsch; am Pult stand hier Wilhelm Stephan. In Köln sang Anny Schlemm häufig mit Peter Anders bis zu dessen Tod 1954 zusammen („Zellers Vogelhändler, Lehárs Paganini).

Der häufigster Partner von Anny Schlemm war aber fraglos der hervorragende und gleichfalls unglaublich vielseitige Franz Fehringer, hauptsächlich beim WDR, wo Franz Marszalek, der „Karajan der Operette“ (AS) fast zwei Jahrzehnte lang für dieses Genre zuständig war. In diese Zeit fällt nota bene auch eine Gasparone-Aufnahme (1956), wo der Bariton Josef Metternich einen seiner nicht sehr häufigen Ausflüge ins Reich der „leichten“ Muse unternahm. Anny Schlemms Zusammenarbeit mit Marszalek endete (sieht man von ein paar Orchester-Liedern ab) 1958 mit dem Letzten Walzer von Oscar Straus. Das Chanson vom O la la“ demonstriert Operettengesang im besten Sinne: schönstimmig, prägnant, farbig, vielschichtig, mit erotischen Untertönen. Marszaleks besondere Liebe für Leo Fall, Walter W. Goetze und Eduard Künneke führte bei Anny Schlemm u.a. zu prickelnden Aufnahmen aus der Spanischen Nachtigall, Schach dem König und Lady Hamilton. Die Barcarole aus Zauberin Lola ist eine veritable Opernszene, bei der Anny Schlemm die Grande Dame herauskehrt.

Dem Hamburger Archiv für Gesangskunst ist für seine eindrucksvolle Anthologie nachdrücklich Lob auszusprechen. Zwar sind einige technisch Details (etwa leicht ruppige Ein- und Ausblenden) zu monieren, aber der dokumentarische Wert der Edition macht das vergessen. Christoph Zimmermann

Anny-Schlemm-Edition. Vol. 1-2 Oper, Vol; 3-4 Operette; 13 CDs; Hamburger Archiv für Gesangskunst 10494-10497 (www.vocal-classics.com)

Zwei sehr schöne Websites widmen sich Anny Schlemm mit vielen Fotos, zum einen ihre eigene und dann Bach Cantatas Website, lohnenswert! Dank an die Künstlerin und den Autor für die Fotos. G. H.

Erotische Verwirrungen

Im Gegensatz zu seiner Calisto ist Francesco Cavallis 1659 in Venedig uraufgeführte Elena eine Rarität auf unseren Bühnen – umso verdienstvoller die Initiative des Festivals von Aix-en-Provence, 2013 das Dramma per musica in einer Inszenierung von Jean-Yves Ruf und der Ausstattung von Laure Pichat/Bühne sowie Claudia Jenatsch/Kostüme gezeigt zu haben. Ricercar hat die Produktion nun auf zwei DVDs und mit einem informativen dreisprachigen Beibuch veröffentlicht (RIC 346). Das Libretto von Nicolò Minato wechselt zwischen tragischen und komischen Szenen, weist düstere, aber auch sinnliche Stimmungen auf. Menelao, einer von vielen Verehrern der schönen Elena, verkleidet sich als Amazone, um sich der Ersehnten im Rahmen eines olympischen Wettkampfes, wofür sie eine Vorliebe hat, nähern zu können. Teseo jedoch versucht, sie zu entführen, was seine Verlobte Ippolita erzürnt. Nach einigen erotischen Verwicklungen finden sich am Ende zwei Paare – Elena/Menelao und Teseo/Ippolita – glücklich vereint.

"Don Giovanni" in Macerata: Szene/RAI

„Don Giovanni“ in Macerata: Szene/RAI

Die Besetzung war vom Komponisten für hohe Stimmen – Soprane und Kastraten – gedacht. In den Duetten ist die Partie des Menelao sogar höher notiert als die der Elena (und die des Nerone in Monteverdis Poppea) und es ist ein Glücksfall der Besetzung, dass dafür der Sopranist Valer Barna-Sabadus gewonnen werden konnte. Mit ungemein farbigem und rhythmisch-tänzerischem Spiel beginnt der Prologo, in welchem die Göttinnen Juno, Pallas Athene und Venus beschließen, Elena mit Menelao zu vermählen. Ihre Kostümierung mit wallenden Umhängen, Federkopfputz und reichlich Klunkern rückt allerdings gefährlich in die Nähe eines Travestie-Kabaretts. Streng dagegen die Arena-artige Bühne mit einer hölzernen Umrandung. Im ersten Akt sieht man Teseo (Fernando Guimaraes mit energisch-prägnantem Tenor) und seinen Freund Peritoo (der hohe, wohllautende Counter Rodrigo Ferreira), von Nettuno (Scott Conner mit profundem Bass) geleitet, am Ufer von Sparta landen, um Elena zu entführen. Diese jedoch wird auch von Menelao begehrt, dem Barna-Sabadus schon im ersten Auftritt einen hinreißend virtuosen Umriss verleiht. Die Stimme klingt weich, schmeichelt und betört. Auch in der exponierten Lage gibt es nur gerundete und wohllautende Töne. Von seinem Diener Diomede (Brendan Tuohy) wird er als Amazone verkleidet, vom Narren Iro (Emiliano Gonzalez Toro mit flexiblem, charaktervollem Tenor und lebhaftem Spiel) zum König Tindaro (wiederum Scott Conner) geführt. Auch in der femininen Verkleidung macht Sabadus reizende Figur. In vital-buffonesken Szenen gefallen der Tenor Brendan Tuohy als Diomede und der Counter Christopher Lowrey als Diener Euripolo.

"Don Giovanni" in Macerata: Szene/RAI

„Don Giovanni“ in Macerata: Szene/RAI

Der zweite Akt spielt im Königreich Kreons, wo Teseo und Peritoo Zuflucht gefunden haben und sich Prinz Menesteo (Anna Reinhold mit strengem, gewöhnungsbedürftigem Mezzo) sogleich in Elena verliebt. Sie jedoch ist von Teseo bezaubert, was Menelao bestürzt. Sabadus hat hier ein ausgedehntes Lamento, das aber bei aller Klage auch reichlich Gelegenheit für virtuoses Zierwerk bietet. Ippolita (Solenn’ Lavanant Linke) und ihre Dienerin Eurite (Majdouline Zerari), beide als Amazonen verkleidet und mit herben, aber sehr expressiven Stimmen, kommen an Kreons Hof, der sich in dieser Szene wie ein Wald aus roten Lianen ausnimmt, wo sie von Teseos Absichten, Elena zu erobern, Kenntnis bekommen. Menesteo wiederum, der von Elena abgewiesen wurde, plant, den Rivalen Teseo zu töten. Menelao schließlich entdeckt Elena seine wahre Identität und Leidenschaft – erneut eine Gelegenheit, für ein eindrucksvolles Solo in hoher Tessitura für Sabadus. Die ungarische Sopranistin Emöke Baráth becirct in der Titelrolle mit weicher, klangvoller Stimme und gefällt auch mit ihrem koketten, gewandten Spiel. In ihren Duetten mit Menelao umschlingen sich beider Stimmen hinreißend und verschmelzen zu einem schmeichelnden Zusammenklang. Das „Mia speranza“ im 3. Akt folgt stilistisch Poppeas und Nerones Schlussduett „Pur ti miro“ aus Monteverdis Oper. Am Ende des 2. Aktes landen die Argonauten mit Castore (Mariana Flores) und Polluce (Christopher Lowrey) an der Küste und beschließen, ihre entführte Schwester Elena zu befreien. Es ist dies orchestral eine besonders farbige und mitreißende Szene mit viel Bläsern und Schlagwerk sowie den Chören der Argonauti und Schiavi. Die Capella Mediterranea unter Leonardo García Alarcón erfreut mit vitalem Musizieren und kann gerade in solchen Passagen des Werkes wirkungsvoll auftrumpfen. Im 3. Akt erreichen die allgemeinen Verwirrungen mit diversen Mordabsichten ihren Höhepunkt, lösen sich aber schließlich in einem lieto fine auf, in welchem die beiden vereinten Paare ihr neues Glück feiern. Die Aufführung in Rufs diskreter Inszenierung ohne Auswüchse des Regietheaters, die gerade bei einem solchen Werk zu befürchten gewesen wären, wurde vom Publikum in Aix lebhaft akklamiert.

Bernd Hoppe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Solist und Dirigent in einem

Karl Richter – Revealing Bach: Äußerlich lässt die mit achtzehn CDs bestückte Box kaum Erinnerungen an die schönen Schallplatten der Archiv Produktion der Deutschen Grammophon aufkommen (482 0959). In Inneren schon. Denn die Aufnahmen sind ja dieselben geblieben. In wiefern aber die Ordnung und Konzeption der Platten auf CD übertragen wurde, lässt sich nicht bis in alle Einzelheiten nachvollziehen. Da gibt es neue Zusammenlegungen, weil auf eine CD nun mal viel mehr passt als auf die Platte. Der Ursprung der Archiv Produktionen reicht in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zurück. Es sollte zunächst versucht werden, Orgeln und wertvolle Instrumente, die nicht den Zerstörungen anheim gefallen waren, akustisch zu dokumentieren. Daraus wurde mit den Jahren eine monumentale Sammlung, die immer weiter über das ursprüngliche Ziel hinaus wuchs. Die ersten Aufnahmen erschienen noch auf Schelllack, die Hülle am Rand vernäht. So waren sie unverwechselbar und sehr haltbar zugleich. Beigegeben waren umfängliche, musikwissenschaftlich fundierte Informationsblätter. Ein großer Teil des Plattenbestands wurde im Laufe der auf CD übernommen. Nicht alles, was sich in der neuen Box findet, ist also CD-Premiere.

Jetzt geht die Suchereich und Sortiererei los. Was hat man schon, was ist neu aufgelegt? Die erhabene und groß angelegte h-Moll-Messe mit Maria Stader, Hertha Töpper, Ernst Haefliger, Dietrich Fischer-Dieskau und Kieth Engen gibt es bereits als CD-Album. Warum wurde sie für die Box ausgewählt und nicht etwa die Matthäus-Passion? Ist da Zufall im Spiel? Eine Erklärung, für die auch das schmale Booklet Argumente liefert, könnte sein, dass Richter diesem Werk besonders zugetan gewesen ist. Er hat es im In- und Ausland um die neunzig Mal dirigiert. Erschwert wird die Übersicht, weil die Aufnahmedaten nicht den Tracklisten angefügt, sondern im Anhang versteckt sind. Wohl dem, der eine Lupe zur Hand hat! Muss das sein?

Für die neue Edition spricht, dass sie günstig zu haben ist. Das grenzt schon an Ausverkauf. Sale! So etwas zählt heutzutage auch – allerdings um den Preis, dass das ursprüngliche Konzept praktisch aufgegeben wurde, die Werke in mustergültigen Ausgaben vorzulegen und bekannt zu machen. Dieser Anspruch ist ohnehin nicht mehr haltbar, weil inzwischen Jahrzehnte ins Land gegangen sind. Mehr als fünfzig Jahre alt ist die Hohe Messe in h-Moll. Sie wurde 1961 in München produziert. Inzwischen ist die Bach-Forschung fortgeschritten, die Aufführungspraxis hat sich grundlegend geändert, die Erwartungen des Publikums sind anders geworden. Insofern ist aus der fortschrittlichen und maßstäblichen Archiv Produktion ein durch und durch historisches Monument geworden.

Für mich ist Bach ohne Karl Richter überhaupt nicht vorstellbar, denn ich bin mit ihm groß geworden. Er hat mein üppig gezeichnetes Bach-Bild geprägt. Dazu gehört auch die Vorstellung vom universalen Musiker, die ich in ihm immer verwirklicht sah. Mit dieser Archiv-Sammlung tritt dieses Phänomen deutlicher denn je hervor, weil Richter nicht nur als Dirigent der Messe, der Brandenburgischen Konzerte oder der Orchester-Suiten dokumentiert ist. Bei den Goldberg-Variationen sitzt er selbst am Cembalo. Er spielt und leitet zugleich die diverse Orchester-Konzerte, ist also Solist und Dirigent in einem.

Als Organist scheint er mir in seinem eigentlichen Element. An diesem Instrument machte sich Richter schon 1949 als Thomasorganist in Leipzig einen Namen. Da war er gerade mal Mitte zwanzig. Seine Vorliebe zu den Orgeln von Gottfried Silbermann mag seiner Herkunft geschuldet sein. Richter war wie Silbermann Sachse. Die Orgelkonzerte Nummer 1-6 (BWV 592-597) sind 1978 an der Silbermann-Orgel im Freiberger Dom aufgenommen worden. Damals gab es die DDR noch, der Richter 1951, also zwei Jahre nach ihrer Gründung, den Rücken gekehrt hatte. Seine Einkehr an der alten Wirkungsstätte für die Plattenaufnahme war also nicht selbstverständlich in Zeiten der deutschen Teilung. Sie hatte für ein gewisses Aufsehen gesorgt, das heute nur noch schwer nachzuvollziehen ist. Für die berühmte Toccata und Fuge in d-Moll, wählte Richter allerdings die Orgel in der Jaegersborg Kirche in Kopenhagen. In der Münchner Markus-Kirche, seinem „Stammhaus“, verfügte er gleich über zwei Orgeln, eine wurde extra für ihn gebaut. Sei üppiges und konzentriertes Spiel gefällt mir sehr. Es gibt Filme, die Richter an der Orgel zeigen. Sie sind sehr aufschlussreich, weil er mit einer solchen Leichtigkeit und Sicherheit das gewaltige Instrument zum Klingen bringt, als würde die Musik wie von selbst aus den Pfeifen strömen. Ich hatte bei ihm immer den Eindruck, als spiele sich die Orgel so einfach wie eine Blockflöte. Diese Mühelosigkeit ist ein Alleinstellungsmerkmal aller Aufnahmen der Sammlung. Sie ist unverwüstlich.

Bei den Sonaten für Flöte bzw. Violine und Cembalo holte sich Richter mit Auréle Nicolet (Flöte) und Wolfgang Schneiderhan (Violine) Partner erstens Ranges. Er hatte kein Problem mit solcher Konkurrenz. Es galt immer der Kunst. Einige Solisten, darunter auch Sänger wie die Töpper oder Engen, tauchen in seinem Umfeld und bei den Aufnahmen sehr oft auf. Er legte wohl Wert auf solche Verlässlichkeit. Wer einmal sein künstlerisches Vertrauen hatte, behielt es. Bei Richter habe ich eine Vorstellung davon bekommen, was Vollkommenheit in der Interpretation sein kann. Es geht nur so und nicht anders! Richter lässt da keinen Zweifel aufkommen. Man hört es ständig heraus, dass er von sich überzeugt gewesen ist. Es gibt keine Unsicherheiten, keine Ausrutscher. Deshalb ist er für mich nie eine Modeerscheinung gewesen, auch wenn sich Johann Sebastian Bach heute anders anhört als zu seiner Zeit. Nach seinem frühen Tod im Jahre 1981 ist er immer präsent geblieben durch seine vielen Aufnahmen, durch die starken Erinnerungen seines Publikums in aller Welt, durch Bücher und Filmdokumente. Seine Rastlosigkeit im künstlerischen Wirken bildet einen seltsamen Kontrast zur Ruhe seines musikalischen Stils. Und nun wieder eine umfängliche und empfehlenswerte Edition, die diesem Künstler neue Kränze flicht für die Ewigkeit.

Rüdiger Winter