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Geballte Frauenpower springt dem Betrachter des Covers wie dem Hörer der CD mit dem Titel Sisters in Augen und Ohr, nicht nur mit den Gesichtern von Dirigentin und Sängerinnen, sondern auch mit der Musik von Komponistinnen, die auf ihr vertreten sind, und so huldigt sie in extremer Weise dem Zeitgeist. Allerdings verwundert dabei umso mehr, dass von der französischen Komponistin Louise Bertin nur die Sinfonia ihrer Oper Fausto (nach Goethe), nicht aber die Arie des für Mezzosopran komponierten Titelhelden vertreten ist, und dass obwohl eine der beiden Solistinnen der CD diese Partie vor gar nicht langer Zeit gesungen hat. Sisters sind im übrigen nicht die Mezzosopranistinnen Karine Deshayes und Delphine Haidan, und auch die Dirigentin Débora Waldman kann sich verwandtschaftlicher Bande nicht rühmen, wohl aber sind Maria Malibran und Pauline Viardot Schwestern gewesen, letztere auch als Komponistin bekannt, während als dritte Komponistin Clémence Grandval mit Auszügen aus ihrem Mazeppa vertreten ist, leider nur mit Orchesterstücken, so dass schwesterliche Zusammenarbeit sich auch hier nicht auf die beiden Sängerinnen erstreckt.
Die männlichen Komponisten dominieren auch auf dieser CD, vor allem wenn die Sängerinnen gefragt sind, von denen nur der dunkleren Stimme von Delphine Haidan das Glück zuteil wird, mit Viardots Arie aus Le dernier sorcier ein von einer Geschlechtsgenossin komponiertes Werk darbieten zu dürfen.
In drei anspruchsvollen Rossini-Duetten aus La Donna del Lago, Elisabetta, regina d’Inghilterra und Semiramide ist die mit einer helleren Stimme begabte Deshayes jeweils Elena, Elisabetta und Semiramide, die mit der dunkleren aufwartende Haidan Malcolm, Matilde, Arsace, was man nicht dem Booklet entnehmen kann, das sehr sparsam mit Informationen ist, sondern was man sich irgendwie aus dem sonstigen Repertoire der beiden erschließt. In der Rolle der Elena funkelt die Stimme von Deshayes verführerisch, weiß sie sich als Elisabetta mit der ihrer Partnerin reizvoll zu umschlingen und ist sie als Semiramide klar dominierend, was vokale Energie und Strahlkraft angeht.
Aus Glucks Orphée et Eurydice singt Haidan geschmeidig, weich und doch mit vokalem Biss die berühmte Arie, während die heller getönte Deshayes in Amour, viens rendre behände durch die Koloraturen eilt, mehr auf die technische Bewältigung als tiefsinnige Gestaltung konzentriert ist und mit einer schönen Kadenz, aber auch stellenweise mit Schrillheit aufwartet.
Spätestens beim Anhören von Elviras Qui la voce sua soave fragt man sich, warum sich Karine Deshayes als Mezzosopran bezeichnet, denn hier offenbart die Sängerin vor allem Sopranqualitäten, eine weitere Frage dürfte die nach dem Warum des Überwiegens von Orchesterstücken der Komponistinnen sein, insbesondere, wie bereits erwähnt, den Fausto von Bertin betreffend , aber auch Mazeppa von Clémence de Grandval betreffend. Das Orchestre national Avignon-Provence unter Debora Waldman ist zwar ein solider, einfühlsamer Klangkörper, aber als Alibi für ihre Dominanz nicht geeignet, so wenig wie die Oper generell es sein kann, die zumindest gleichwertige Beteiligung und Bedeutung von Frauen in ihrer Geschichte zu demonstrieren (NNM 118). Ingrid Wanja.