Im Gegensatz zu seiner Calisto ist Francesco Cavallis 1659 in Venedig uraufgeführte Elena eine Rarität auf unseren Bühnen – umso verdienstvoller die Initiative des Festivals von Aix-en-Provence, 2013 das Dramma per musica in einer Inszenierung von Jean-Yves Ruf und der Ausstattung von Laure Pichat/Bühne sowie Claudia Jenatsch/Kostüme gezeigt zu haben. Ricercar hat die Produktion nun auf zwei DVDs und mit einem informativen dreisprachigen Beibuch veröffentlicht (RIC 346). Das Libretto von Nicolò Minato wechselt zwischen tragischen und komischen Szenen, weist düstere, aber auch sinnliche Stimmungen auf. Menelao, einer von vielen Verehrern der schönen Elena, verkleidet sich als Amazone, um sich der Ersehnten im Rahmen eines olympischen Wettkampfes, wofür sie eine Vorliebe hat, nähern zu können. Teseo jedoch versucht, sie zu entführen, was seine Verlobte Ippolita erzürnt. Nach einigen erotischen Verwicklungen finden sich am Ende zwei Paare – Elena/Menelao und Teseo/Ippolita – glücklich vereint.
Die Besetzung war vom Komponisten für hohe Stimmen – Soprane und Kastraten – gedacht. In den Duetten ist die Partie des Menelao sogar höher notiert als die der Elena (und die des Nerone in Monteverdis Poppea) und es ist ein Glücksfall der Besetzung, dass dafür der Sopranist Valer Barna-Sabadus gewonnen werden konnte. Mit ungemein farbigem und rhythmisch-tänzerischem Spiel beginnt der Prologo, in welchem die Göttinnen Juno, Pallas Athene und Venus beschließen, Elena mit Menelao zu vermählen. Ihre Kostümierung mit wallenden Umhängen, Federkopfputz und reichlich Klunkern rückt allerdings gefährlich in die Nähe eines Travestie-Kabaretts. Streng dagegen die Arena-artige Bühne mit einer hölzernen Umrandung. Im ersten Akt sieht man Teseo (Fernando Guimaraes mit energisch-prägnantem Tenor) und seinen Freund Peritoo (der hohe, wohllautende Counter Rodrigo Ferreira), von Nettuno (Scott Conner mit profundem Bass) geleitet, am Ufer von Sparta landen, um Elena zu entführen. Diese jedoch wird auch von Menelao begehrt, dem Barna-Sabadus schon im ersten Auftritt einen hinreißend virtuosen Umriss verleiht. Die Stimme klingt weich, schmeichelt und betört. Auch in der exponierten Lage gibt es nur gerundete und wohllautende Töne. Von seinem Diener Diomede (Brendan Tuohy) wird er als Amazone verkleidet, vom Narren Iro (Emiliano Gonzalez Toro mit flexiblem, charaktervollem Tenor und lebhaftem Spiel) zum König Tindaro (wiederum Scott Conner) geführt. Auch in der femininen Verkleidung macht Sabadus reizende Figur. In vital-buffonesken Szenen gefallen der Tenor Brendan Tuohy als Diomede und der Counter Christopher Lowrey als Diener Euripolo.
Der zweite Akt spielt im Königreich Kreons, wo Teseo und Peritoo Zuflucht gefunden haben und sich Prinz Menesteo (Anna Reinhold mit strengem, gewöhnungsbedürftigem Mezzo) sogleich in Elena verliebt. Sie jedoch ist von Teseo bezaubert, was Menelao bestürzt. Sabadus hat hier ein ausgedehntes Lamento, das aber bei aller Klage auch reichlich Gelegenheit für virtuoses Zierwerk bietet. Ippolita (Solenn’ Lavanant Linke) und ihre Dienerin Eurite (Majdouline Zerari), beide als Amazonen verkleidet und mit herben, aber sehr expressiven Stimmen, kommen an Kreons Hof, der sich in dieser Szene wie ein Wald aus roten Lianen ausnimmt, wo sie von Teseos Absichten, Elena zu erobern, Kenntnis bekommen. Menesteo wiederum, der von Elena abgewiesen wurde, plant, den Rivalen Teseo zu töten. Menelao schließlich entdeckt Elena seine wahre Identität und Leidenschaft – erneut eine Gelegenheit, für ein eindrucksvolles Solo in hoher Tessitura für Sabadus. Die ungarische Sopranistin Emöke Baráth becirct in der Titelrolle mit weicher, klangvoller Stimme und gefällt auch mit ihrem koketten, gewandten Spiel. In ihren Duetten mit Menelao umschlingen sich beider Stimmen hinreißend und verschmelzen zu einem schmeichelnden Zusammenklang. Das „Mia speranza“ im 3. Akt folgt stilistisch Poppeas und Nerones Schlussduett „Pur ti miro“ aus Monteverdis Oper. Am Ende des 2. Aktes landen die Argonauten mit Castore (Mariana Flores) und Polluce (Christopher Lowrey) an der Küste und beschließen, ihre entführte Schwester Elena zu befreien. Es ist dies orchestral eine besonders farbige und mitreißende Szene mit viel Bläsern und Schlagwerk sowie den Chören der Argonauti und Schiavi. Die Capella Mediterranea unter Leonardo García Alarcón erfreut mit vitalem Musizieren und kann gerade in solchen Passagen des Werkes wirkungsvoll auftrumpfen. Im 3. Akt erreichen die allgemeinen Verwirrungen mit diversen Mordabsichten ihren Höhepunkt, lösen sich aber schließlich in einem lieto fine auf, in welchem die beiden vereinten Paare ihr neues Glück feiern. Die Aufführung in Rufs diskreter Inszenierung ohne Auswüchse des Regietheaters, die gerade bei einem solchen Werk zu befürchten gewesen wären, wurde vom Publikum in Aix lebhaft akklamiert.
Bernd Hoppe