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Voll und ganz dem spätbarocken Wiener Imperialstil verpflichtet und damit ein Fest für die Ohren ist Antonio Caldaras Oratorium Gioseffo che interpreta i sogni, zumindest wenn es in einer so hochkarätigen Besetzung wie der vom November 2024, als das Werk in Turin im Tempio Valdese mit Chor und Orchester Consort Maghini unter Alessandro De Marchi aufgeführt wurde. Kaiser Karl VI. hatte sich an den Werken des zunächst in Venedig, dann in Mantua und Rom tätigen Komponisten in Barcelona erfreut und holte ihn deswegen nach seiner Krönung zum Deutschen Kaiser als Vizekapellmeister der Kaiserlichen Hofkapelle hinter Johann Joseph Fux nach Wien. Oratorien verschönerten mit dem Alibi geistlicher Erbauung die ansonsten trübe Fastenzeit, standen aber, und dafür ist Gioseffo ein gutes Beispiel, an musikalischem Prunk den Opern in nichts nach.
Die „Handlung“ von Gioseffo allerdings weiß nichts von dem Verführungsversuch der Gattin des Potifar an Joseph, dem Sohn von Isaak und Rachel, sondern sieht ihn wegen der falschen Anschuldigung durch die Verschmähte bereits im Kerker, zusammen mit einem Bäcker und einem Mundschenk, denen er den Gehalt ihrer Traumphantasien erläutert. Als er den Pharao dessen Träume als die Prophezeiung der sieben fetten und sieben mageren Jahre deutet, befreit ihn dieser nicht nur aus dem Kerker, sondern setzt ihn zudem als König über Ägypten ein. Interessant ist die Figur des Testo, der erläutert, was den Rezitativen und Arien nicht zu entnehmen ist. Außerdem hat Caldara die Figur des untreuen Dieners Sedecia der biblischen Erzählung hinzugefügt. Das viersprachige Booklet liefert eine sehr ausführliche und erkenntnisfördernde Beschreibung des Inhalts, nicht nur den Text, sondern auch die musikalischen Formen betreffend.
Interessant ist das Oratorium nicht zuletzt durch den Einsatz so selten zu hörender Instrumente wie dem Psalterium, einer Art Zither, und dem Chalumeau, eines Holzblasinstruments.
Bereits die Sinfonia vermeidet jegliche Fastendürrheit, sondern lässt den Hörer über die Entfaltung weltlichen Glanzes staunen, über den Farbenreichtum, die Üppigkeit des Klangs, den das Orchester jubelnd oder trauernd erzeugt. Mit einem Alt ist die Titelfigur besetzt. Margherita Maria Sala hat für sie einen satten, stets engagiert klingenden Klang, kostet die Raffinessen der Partitur aus, klingt manchmal etwas affektiert, eher aber raffinert, so beim Ritardando und dem bewegten und bewegenden „Libertà cara“. Einen körperreichen Bariton hat Mauro Borgioni für den Testo, der mit einem breiten Farbspektrum aufwartet, sich in gewagte Verzierungen schmiegt und in bemerkenswerte Tiefen hinabsteigt. Den unglücklichen Panatiere singt Lorrie Garcia mit entsprechend tränenreichem Timbre, den glücklicheren Coppiere Eleonora Bellocci mit mädchen- bis jungenhaftem Sopran, der in seiner Jubelarie mit dem zitierten „dolce suono“ tatsächlich aufwarten kann. Autoritätsheischend und in „Non, più di me nun può“ Schärfen nicht vermeidend überzeugt Arianna Vendittelli ganz besonders mit einer fulminanten Kadenz. Viel vokale Autorität strahlt der Faraone von Luigi De Donato aus, gewagte Variationen auskostend und einen irrwitzig schwierigen Arienschluss nicht nur bewältigend, sondern hörbar genießend. So engagiert wie die Solisten und das Orchester lässt sich auch der Coro Maghini unter Claudio Chiavazza vernehmen und setzt einen leuchtenden Schlusspunkt (GCD 923543). Ingrid Wanja