Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Höllenhunde

 

Der König liegt im Sterben. Die dutzend Tänzer der Compagnie Eastman aus Antwerpen rütteln sich und schütteln sich, führen schwingende Bewegungen aus. Der Chor spreizt bei „Non“ die Hände geziert von sich. Im klassizistischen Kastenbild, das Henrik Ahr anlässlich einer der raren Produktionen von Glucks Alceste auf die Bühne der Bayerischen Staatsoper gestemmt hat, herrscht edle Einfalt und schlichte Größe (Bluray C major 756804). Dann kommt Alceste, im gelben Kleid, schreitet durch wallende schwarze Tücher, die ihr die Tänzer ausbreiten und auf die sie von diesen wie auf einer Lotusblüte drapiert und anschließend hoch gehoben wird. Der Belgier Sidi Larbi Cherkaoui arrangiert Schmerz in edlen Posen, zelebriert die Trauer der Monarchin, deren Gatte Admète im Sterben liegt, mit wohlgefälligen Bildern und Schattenspielen unter fast durchgängiger Beteiligung des weiß- khaki-tarnfarbenen gekleideten Tanzensembles (Kostüme Jan-Jan van Esche), dem sein Hauptaugenmerk gilt, dabei jedes sinfonische Zwischenspiel, Pantomime, ausnützend. Gluck hatte die erste Fassung seiner Alceste 1766 mit dem italienischen Text des Calzabigi in Wien als Reaktion auf den Tod des Kaisers geschrieben und Alceste, die ihr Leben für das des Gatten opfern will, mit Maria Theresia assoziiert. Zwei Jahre nach der 1767 erfolgten Uraufführung stellte er der gedruckten Partitur einige Aussagen voran, die sie zu einem bedeutenden Manifest seiner Opernreform werden ließen, die sich in der französischen Zweitfassung mit dem Text von Du Roullet verwirklicht, „Ich dachte die Musik wieder auf ihre wahre Bestimmung zu beschränken, der Poesie durch den Ausdruck und durch die Situationen der Fabel zu dienen, ohne die Handlung zu unterbrechen oder sie durch unnütze, überflüssige Verzierungen zu erkälten.“

Ein Orakel verkündet der thessalischen Königin Alceste, dass ihr Gatte Admetos/ Admète am Leben bleibe, wenn sich ein anderer an seiner Stelle opfere. Alceste ist dazu bereit. Der König wird gesund, erfährt vom Opfer seiner Gattin und ist bestürzt. Ein Ehekonflikt bahnt sich an. Gastfreund Herakles/ Hercule richtet die Sache, worauf Apoll selbst eingreift und das Königspaar schont. So ziel- und ideenlos die Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper, so engagiert die musikalische Umsetzung der französischen Fassung von 1776 unter Antonello Manacorda, durch die Glucks Musik breit aufgefächert zwischen Schlichtheit und Pathos in dunkelleuchtenden Farben erscheint. Vor allem ist Dorothea Röschmann eine überzeugende Alceste. Mit ebenmäßig sattem Sopran, reifem Timbre und guter Diktion ist sie eine interessante Interpretin, wenngleich ihr die Partie nicht immer ideal liegt. Ich höre ihr gerne zu: fesselnd die Selbstverständlichkeit in ihrer großen Szene im ersten Akt mit der Arie „Non, ce n’est point un sacrifice“ und der nach einem Einwurf des Oberpriesters zum Ende des ersten Aktes anschließenden Arie „Divinités du styx“ mit pfeilscharf angepeilter Höhe und bemühter Tiefe. Gut sind Michael Nagy als Oberpriester und Hercule, der feine Manuel Günther als Évandre, Sean Michael Plumb als Herold und Apoll, gerne höre ich auch den ansonsten im französischen und italienischen Repertoire tätigen Charles Castronovo als beherzten, sicherlich nicht ganz stilechten Admète. Personenregie findet übrigens nicht statt. Dafür viel Rampensteherei. Zum Finale pure Hilfslosigkeit.

Leider dekoriert Sidi Larbi Cherkaoui diese handlungsarme Leidensgeschichte mit bestürzend platten Tanzaktionen und ärgerlich einlullendem Augenfutter der Eastman Truppe und herzigen Chorszenen, lässt den König über kniehohe Stufen schreiten oder bettet ihn wiegend auf die Arme der Tänzer und sorgt erst am Eingang zur Unterwelt mit den auf Stelzen staksenden Höllenhunden für magische Momente in der ansonsten enttäuschenden Aufführung (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.).  Rolf Fath

(Zu) Hochgelobt?

 

Ist es geschickt, eine Debüt-CD mit einem Booklet zu befrachten, dass einerseits bei einer so jungen Karriere wie der von Hera Hyesang Park bereits von einer Stimm- wie einer Lebenskrise berichtet und andererseits den Anspruch erhebt, mit eben diesem Erstlingswerk den Menschen in schwerer Zeit Zuspruch zu erteilen mit einem: „Ich bin für euch da, verliert nicht die Hoffnung“? Hätte es nicht gereicht zu schreiben: „Ich singe jetzt Arien aus Partien, die ich zu beherrschen glaube, und ich hoffe, dass ich euch damit Freude bereiten kann“.  Sogar „Ermutigung an eine Welt im Aufruhr senden“, möchte sie stattdessen mit ihrer CD,, und so  klaffen ein Versprechen, das auch große Stars kaum erfüllen könnten, und tatsächlich Geleistetes doch zu extrem auseinander, und man muss sich bemühen, von der Sängerin selbst gestellte Ansprüche nicht als Messlatte an die sehr anständige, aber nicht überwältigende Leistung anzulegen.

I am Hera  beginnt mit der Arie der Gluck-Eurydike, die wie die gesamte CD von Bertrand de Billy und den Wiener Symphonikern so einfühlsam wie souverän begleitet wird, und in der die Koreanerin einen lieblichen, weichen Sopran hören lässt, der einem Amore noch besser angestanden hätte, während die unglückliche Gattin akzentuierter hätte gesungen werden können. Als Pergolesis Serpina trifft sie das Neckische sehr gut, wäre etwas mehr Biss denkbar und führt das Intervall in die Tiefe ins Fahle. Eine feine Melancholie zeichnet Hänels Cleopatra aus, die Stimme wird sehr schön instrumental geführt. Über diesen Track kann man sich uneingeschränkt freuen. Mozarts Susanna kennt man auch beherzter, das Rezitativ klingt recht soubrettig, was die resche Kammerzofe nicht ist, der Arie hätte man mehr Erotik gewünscht, so wie auch Rossinis Rosina zu tändelnd klingt, zu behänd durch ihre Arie huscht und nicht einmal aus dem „ma“ wirklich etwas macht. So sehr man sich hier wie anderswo über die Intonationsreinheit des Gesangs freut, so schmerzlich vermisst man das Setzen von mehr Akzenten.

Einen feinen Kontrast zur rabiaten Elettra könnte Parks Ilia mit sensiblem, zartem Singen, mit schönen Bögen und dem Wissen um die Behandlung eines Mozartrezitativs darstellen. Mit kristallinem Sopran tröstet Zerlina ihren Masetto, den Schelm im Nacken des Bauernmädchens hört man leider nicht, eher eine leichte, aber nicht unangenehme Schärfe in der Höhe. Ist es Deutsch, was die Koreanerin als Pamina singt? Die ist nur im Orchester zu hören, in der Stimme vermisst man Wärme und Rundung.  Da springt Rossinis Fiorilla schon eher aus den CD-Rillen, und in gläserner Durchsichtigkeit und schönem canto elegiaco lässt sich die lebensfrohe Giulietta vernehmen, während Musetta zu keusch, zu wenig mit erotischer Raffinesse bedacht in ihrem Walzer zu vernehmen ist. So wie im Booklet beschrieben, wo allerdings fälschlicherweise als „Bravourstück des Belcanto“ apostrophiert, klingt Lauretta, der man hier nicht anhört, dass sie zwar echt Liebende, aber auch ein durchtriebenes kleines Biest ist. Den Schluss bilden zwei zeitgenössische, sehr westlich beeinflusste koreanische Kompositionen und lassen den Hörer im Nachdenken darüber zurück, wie man es anstellt, dem Rat der Sängerin zu folgen, „mit einem Fuß auf dem Boden zu bleiben“, und „dann kannst du fliegen“ (DG 486 0051). Ingrid Wanja       

Paris 1920

 

„Hier meine schönsten, meine allerschönsten Verse“, heißt es in dem sanftmütigen Gedicht Enfance, das zu den Trois poèmes de Léon-Paul Fargue gehört, die Georges Auric 1940 vertonte. Genau genommen gehört es damit nicht in das L’ Album des Six, das einzige Gemeinschaftswerk der sechs französischen Komponisten (fünf Männer, eine Frau), die sich um 1920 in Anlehnung an die russische Gruppe der Fünf Les Six nannten und mit modernen Formen der Musik beschäftigten. In wechselnden Zusammensetzungen arbeiteten die in den Jahren zwischen 1888 und 1899 geborenen Georges Auric, Louis Durey, Arthur Honegger, Darius Milhaud, Francis Poulenc und Germaine Tailleferre auch bei anderen Projekten zusammen, doch in diesem Album, dem sich die Schweizer Sopranistin Franziska Heinzen und der britisch-deutsche Pianist Benjamin Mead im Juli 2020 im SRF Studio Zürich widmeten, waren ein einziges Mal alle beteiligt. Louis Durey verließ die Gruppe bald daruf, blieb ihr aber freundschaftlich verbunden. „Georges Auric, Louis Durey, Arthur Honegger, Darius Milhaud, Francis Poulenc und Germaine Tailleferre repräsentieren mit ihren eigenen, heterogenen Kompositionsstilen die damalige Avantgarde der Metropole Paris anfangs des 20. Jahrhunderts. Alle sechs widmen sich mit unterschiedlichen Ansätzen der Erneuerung der französischen Musik …“

Heinzen und Mead haben das kurze Album quasi als Aufhänger benutzt und um die Quatre mélodies und das Premier Menuet von Erik Satie, der die Funktion eines Mentors übernahm, sowie kleine Liedzyklen der Komponisten zu einem 50minütigen Programm erweitert. Eine kluge Auswahl, die auch auf CD (Solo musica SM 357) überzeugt und bei aller Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten den Anspruch zu einer Abkehr oder Überwindung von romantischen und impressionistischen Traditionen zeigt. Louis Dureys siebenteiliger Zyklus Vergers nach Rainer Maria Rilke von – wie bei den Liedern Aurics handelt es sich um eine Ersteinspielung – könnte beispielsweise durchaus auch als ein Werk von Debussy durchgehen. Milhaud erteilt einen kleinen Moralkurs, Petit cours de moral, auf Gedichte von Jean Giradoux, in Élegie erinnert sich Satie an die lebenslange Freundschaft mit Debussy, Poulenc ist mit den beiden Liedern von Miroirs brulants nach Paul Éluard vertreten und Germaine Tailleferre zeigt in ihrem Liedzyklus Six Chansons françaises, bei dem sie auf ältere Verse aus dem 15. Bis 18. Jahrhundert zurückgriff, eine dezidiert emanzipierte und selbstbewusste Frau „Nein, nein, die Treu war nie was anderes als eine Dummheit“ oder „Mein Ehemann hat mich verleumdet wegen der Liebe zu meinen Liebsten“ usw. Heinzen fühlt sich, wie es auch im dt.-franz. Beiheft zu lesen ist, dem Französischen merklich verbunden, vermittelt Einsicht in die von ihr mit tiefem Stilgefühl gesungenen Lieder, deren unterschiedlichen Geist und Anspruch sie mit ihrem schwebenden Sopran überzeugend einfängt; hier und da mag eine tiefere Stimme wirkungsvoller klingen. Mead wird nicht nur durch die anspruchsvolle Lied-Begleitung, sondern auch die vielen kleinen Klavierstücke, darunter Poulencs brillante Valse in C oder Milhauds neoklassizistische Mazurka, herausgefordert – und macht das virtuos.

 

Vor etwa einem Jahr hatte die Mezzosopranistin Ekaterina Levental mit dem Pianisten Frank Petes ihre erste Ausgabe der auf fünf CDs angelegten Complete Songs von Nikolai Medtner mit Liedern aus den Jahren 1903-14 vorgestellt. In der zweiten Ausgabe (Brillant classics 96061) mit dem Untertitel Sleepless, bezogen auf op. 37/1, schließen sich vier Zyklen aus den Jahren 1915 bis 1924 an, darunter die beiden Puschkin-Zyklen op. 32 und op. 36, dazu die fünf Lieder op. 37 und die 4 Lieder op. 45 auf Gedichte von Tyutchev und Fet sowie wiederum auch Puschkin. Medtner, der sich 1935 endgültig in England niederließ, unterrichte 1915 bis 1919 Klavier am Moskauer Konservatorium, emigrierte nach der Oktoberrevolution 1921 nach Deutschland und lebte bis 1924 in Berlin. Auch ohne Kenntnisse der Gedichte vermögen Levental und Peters dem Zuhörer viel von der Faszination dieser altmodisch spätromantischen, mit Strauss-Anklängen aufwartenden, dabei oftmals eigenwillig einschmeichelnden und lange vernachlässigten Lieder zu vermitteln und im engen kammermusikalischen Miteinander eine besondere Atmosphäre zu schaffen.

 

Ob es Greensleeves oder The last rose of summer, Sail on, sail on oder The Foggy, Foggy Dew, die Benjamin Britten in Amerika an seine Heimat denken ließen, die der Pazifist 1939 verlassen hatte, um 1942 zurückzukehren und als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden, weiß man nicht. In jedem Fall beschäftigte er sich, angeregt durch Peter Pears, in diesen Jahren mit britischen Folksongs, die sich als beliebte Schlusstücke oder Zugaben bei den gemeinsamen Konzerten 1942 und 1943 herausstellten. Britten sammelte nicht einfach, sondern arrangierte und komponierte als seinen es Stücke von ihm. Ab 1943 erschienen bis Ende der 50er Jahre mehrere Ausgaben seiner Folksongs, dazu einzelne Lieder, die erst später in die Ausgaben eingefügt wurden. In Mark Milhofers Einspielung der Complete Folk Songs for voice and piano (2 CD Brillant Classics 96009) findet sich auch eines der beiden Duette, die Britten für Pears und dessen Kollegin Norma Procter schrieb, sowie die Bearbeitung des deutschen Volkslieds „Da unten im Tale“ als „The stream in the Valley“ für Tenor, Cello und Klavier, das für Konzerte mit dem Cellisten Maurice Gendron entstand. Dem vielseitigen Mark Milhofer kommt gewiss seine Purcell-Erfahrung zugute  – er singt genauso Händel, Mozart, Rossini und zeitgenössische Musik – denn er nuanciert fein, fängt die Eleganz der englischen Sprache und die Schönheit der schlichten Melodien ein und kommt in der geschmeidigen Verbindung von Wort und Ton Brittens Vorstellung von einer Wiedergeburt der englischen Musik nahe. Milhofers singt, nicht unapart, mit sentimental schmachtender Tenorsüße und säuselnden Höhen, die bei diesen Liedern einen Großteil der Wirkung ausmachen. Das kann so behutsam wie ein Windhauch im Schilf klingen (Greensleves) oder kauzig und skurril (Oliver Cromwell), breitbeinig (The Crocodile) oder keck (Fileuse) – Milhofer und sein zurückhaltender Pianist Marco Scolastra zeichnen durchgehend hübsche Genreszenen.  Rolf Fath

Szenisches Konzert

 

Händels Oratorium von 1743 Semele gibt EuroArts in einer ungewöhnlichen Fassung auf zwei DVDs heraus (2057618). Das von Thomas Guthrie inszenierte Konzert fand im Mai 2019 im Londoner Alexandra Palace Theatre statt und war Teil der Initiative Monteverdi  Choir & Orchestra. Deren Spiritus rector ist John Eliot Gardiner. 1978 gründete er die English Baroque Soloists, das Orchester wirkt auch in dieser Aufführung mit, ebenso der Monteverdi Choir, mit dem der Dirigent seit Jahrzehnten eng zusammenarbeitet.

Die von Patricia Hofstede kostümierten Gesangssolisten werden angeführt von Louise Alder in der Titelrolle, die in Ausdruck und Bravour gleichermaßen überzeugt. Im fließenden weißen Gewand führt sie sich mit dem Air „O Jove!“ ein und lässt einen klaren, leuchtenden Sopran hören. Ihr„Endless pleasure“ am Ende des 1. Aktes hat Gardiner seltsamerweise dem Wahrsager Augur zugeteilt, der im sportlichen Outfit mit Schiebermütze auf einem Fahrrad hereinfährt. Angharad Rowlands absolviert die berühmte Nummer mit lieblichem Sopran. Im 2. Akt singt Semele auf einer Ottomane das träumerische „O sleep“ und Louise Alder kann hier mit schönen lyrischen Valeurs aufwarten. Im folgenden „With fond desiring“ während Semeles Liebesspiels mit Jupiter bringt die Interpretin dagegen gurrend-sinnliche Töne ein. Mehrere Airs ganz unterschiedlichen Charakters hat die Titelheldin im letzten Akt zu bewältigen. Im kokett-selbstverliebten „Myself I shall adore“ bezaubert die Sopranistin mit fein getupften staccati, im innigen „Thus let my thanks be paid“ mit reicher Lyrik. Dem launischen „ I ever am granting“ folgt mit dem trotzigen „No, no, I’ll take no less“ der virtuose Höhepunkt der Titelpartie mit schier endlosen, rasenden Koloraturläufen, die Alder in stupender Manier meistert. Daneben ist Lucile Richardot in der Doppelrolle der Juno/Ino ein weiteres Ereignis der Aufführung. Die Altistin macht schon als griechisch gewandete Ino, Semeles Schwester, mit dem energischen dunklen Timbre auf sich aufmerksam, doch als Juno, Jupiters Gattin, nimmt sie dem Zuschauer durch ihre furios-keifende Tongebung und die donnernden Ausbrüche geradezu den Atem. So werden trotz unorthodoxer Stimmführung ihr rasendes  Air„Hence, Iris, hence away“ im 2. und das Air „Above measure“ im 3. Akt zu Höhepunkten der Aufführung.

Am Ende wird Ino auf Jupiters Beschluss mit dem Prinzen Athamas getraut, den Carlo Vistoli mit klangvollem Countertenor singt. Die Freude auf die bevorstehende Vermählung weiß er im Air „Despair no more shall wound me“ mit souverän geformten Koloraturgirlanden auszudrücken. Ungewöhnlich jugendlich besetzt ist der Jupiter mit Hugo Hymas, dessen Tenor jung und schwärmerisch klingt. Das Air „I must speed amuse her“ zeigt seine Koloraturversiertheit, das berühmte „Where’er you walk“ die lyrische Gesangskultur. Mit schmeichelnden, lockenden Tönen weiß er in „Come to my arms“ im 3. Akt sein Verlangen nach Semele zu formulieren. Gianluca Buratto gefällt mit seinem schlanken, kultivierten Bass in der Doppelrolle von Semeles Vater Cadmus und dem Gott des Schlafes Somnus. Ein zartes Geschöpf ist Angela Hicks als Liebesgott Cupid, die das lieblich wiegende Air „Come, zephyrs“ mit kindlicher Stimme singt.

Ungewöhnlich platziert bis an die Rampe ist der Monteverdi Choir, der wie stets für aufregende musikalische Momente sorgt – so mit dem dramatisch aufgepeitschten „Avert these omens“ im 1. oder dem auftrumpfenden „Now Love“ und dem feierlichen „Bless the glad earth“ im 2. Akt. In „O terror and astonishment“ drückt der Chor am Ende die Betroffenheit ob Semeles Schicksal aus, während das unmittelbar folgende „Happy, happy“ mit jauchzendem Schwung den glücklichen Ausgang preist. Denn Apollo prophezeit, dass aus Semeles Asche Bacchus aufsteigen wird – und alle sind in Sektlaune. Auch die Musiker bekommen ein Glas gereicht – mit ihrem differenzierten Spiel, ob von gravitätischem Ernst oder bewegter Munterkeit, haben sie es mehr als verdient (weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Bernd Hoppe

Cherubinis „Faniska“

Cherubinis deutsche Oper wird leicht übersehen, dabei spielt die kleinere Schwester der Lodoïska innerhalb der Gattung der Rettungsoper, pièce à sauvetage, eine nicht unbedeutende Rolle. Luigi Cherubini war 28 Jahre alt, als er sich für immer in Paris niederließ. Dort starb er 1842 im Alter von 81 Jahren, hoch dekoriert und geehrt. Surintendant de la musique du Roi, ab 1822 bis zu seinem Lebensende Direktor des Pariser Konservatoriums. Obwohl er etwa genauso viele italienische wie französische Opern schrieb, darf man ihn, nicht nur wegen seiner in Paris komponierten Messen und Requien, sondern seiner ganzen musikalischen Prägung als einen französischen Komponisten bezeichnen.

Eine kleine Besonderheit stellt die Faniska dar. Im Juni 1805 war Cherubini nach Wien gereist, wo er u.a. die Uraufführung des Fidelio erlebte, Beethoven und Haydn traf und den Auftrag für zwei Opern annahm, wovon Faniska am 25. Februar des folgenden Jahres uraufgeführt wurde. Zwei Wochen später verließ Cherubini Wien, ohne die zweite Oper in Angriff genommen zu haben. Wie bereits seine auch in Wien beliebte Lodoïska (Paris 1791), für die er im Frühjahr 1806 in Wien ans Pult trat, spielt auch Faniska in Polen, das für französische Autoren so exotisch gewirkt haben musste wie der Ardenner Wald für Shakespeare. Spielt Lodoiska um 1600, so bleibt bei Faniska alles im Ungefähren; man begreift, dieses Polen ist nur ein Dekor, das mit dunklen Wäldern und Kosaken und vielen -inski/inska-Namen aufgefüllt wird: Faniksa, ihr Gatte Rasinski, der böse Zamoski, Statthalter von Sandomirz, Oranski, Kosakenanführer in Diensten Zamoskis – entsprechend zuvor in Lodoïska die Pseudopolen Floreski, Dourlinski, Lysinka, dazu als Bösewicht der Tartarenführer Titzikan. Hier wie dort spielt ein Gefängnis eine wichtige Rolle. In Faniska residieren Zamoski und Rasinski in den benachbarten Woiwodschaften Sandomirz und Rawa. Zamoski hat sich in Rasinskis Gattin Faniska verliebt, lässt sie entführen und zusammen mit ihrer Tochter Hedwig/Edwige auf sein Schloss bringen. Natürlich eilt Rasinski zur Rettung seiner Frau herbei und wird, obwohl er sich als Bote versteckt hat, rasch entlarvt und zusammen mit Faniska in die unterirdischen Verließe des Schlosses gesteckt. Dort sehen die Eheleute ihrem Tod entgegen, da auch die Unterstützung der Zamoski-Angestellten, des Paares Moska und Rasno, fehlschlägt. Schließlich gelingt die Flucht. Rasinskis Truppen stürmen die Burg, Zamoski kommt in der Schlacht um und Oranski wird vor Gericht gestellt.

Für Faniska griff Joseph Sonnleithner auf das Stück Les mines de Pologne (1803) des ebenso erfolgreichen wie fleißigen Herstellers effektvoller Melodramen René-Charles Gealbert de Pixérécourt zurück. Anna Milder, Beethovens Leonore in allen drei Fassungen seines Fidelio, war die erste Faniska. Im Gegensatz zu Fidelio, wo Leonore ihren Florestan aus dem Gefängnis befreit, sind in Cherubinis die Aufgaben umverteilt: Faniska sitzt im Kerker, aus dem sie Rasinski befreit, doch der moralische Impetus bliebt erhalten und Cherubini feiert die Opferbereitschaft und Hingabe des verheirateten Paares. 50 Jahre lang erlebte Faniska Dutzende von Produktionen in Deutschland und Österreich, man kannte sie in Budapest, Prag und Breslau. Dann geriet sie in Vergessenheit.

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Faniska gehört nach Polen. Das dachten sich die Verantwortlichen des 24. Ludwig van Beethoven Oster-Festivals 2020, weshalb der umtriebige Lukasz Borowicz in Poznán mit den Posener Philharmonikern und dem Posener Kammerchor im August und Oktober diese Fußnote zu Fidelio zur Aufführung brachte und damit eine diskografische Lücke schloss. Das unergiebige zweisprachige (poln. /engl.) Begleitheft zu der schön verpackten Gesamtaufnahme (Dux 1694/1695) schweigt sich darüber aus, weshalb leider statt der originalen Sonnleithner-Texte die zeitgenössische italienische Fassung von Luigi Prividali gewählt wurde (und ohne Rezitative/Dialoge, warum??? G. H.). Borowicz, der im Rahmen des Festivals bereits auch Lodoïska präsentiert hatte, wirft sich mit dem Sturm und Drang-Impetus der Wiener Klassik in die Oper, lässt die umfangreiche Ouvertüre leidenschaftlich, auffahrend und die Vorspiele zum zweiten und dritten Akt, die Märsche und Finalis mit griffigem Theatertemperament erklingen, dabei kommt ihm zu Gute, dass nach dem gemächlichen ersten Akt und der auf der Stelle tretenden verinnerlichten Kerkerszene im zweiten Akt sich die Oper im dritten Akt musikalisch verdichtet und so grandios steigert, wie man es von Cherubini erwartet hätte. Natalia Rubis ist mit messerscharfem Sopran keine liebliche Faniska, unter ihren klirrenden Höheaufstiegen und Verzierungen duckt sich der Hörer ängstlich weg; zugleich merkt man ihrer Cavatine und ihrer Arie zu Beginn des zweiten Aktes einfach auch an wie zäh und uninspiriert Cherubinis Musik gelegentlich fließt, wobei er seiner Faniska dann im ersten Finale so bedeutungsvoll komponierte Zeilen wie „Il nostro, il nostro riposo, la tormba, la tomba sarà“ überlässt. Und Gatte Rasinski? In einer frühen deutschen Oper hat man ihn sich wohl als eine Mischung aus Mozart- und Rossini-Amoroso vorzustellen, was Krystian Adam elegant vermittelt. Schade, dass er keine Arie hat. Dagegen hat der zweite Tenor, der wackere Piotr Kalina als Rasno eine, was nicht nötig gewesen wäre. Robert Gierlach ist ein kompetenter Sänger, der mit hohem, gelegentlich nachtschwarz eingedunkeltem, etwas uneinheitlichem Bariton und fies knarzender Schärfe den Bösewicht Zamoski gibt, den in der Uraufführung der erste Rocco-Sänger Karl Weinmüller kreiert hatte. Tomasz Rak hat einen ganz leichten Bariton für den Oranski. Dazu kommen Katarzyna Belkius als Edwige und Justyna Orlow als Moska.

Die drei Akte sind in 19 Nummern unterteilt, darunter neben den drei großen Finali relativ viele Ensembles, jeweils ein Terzett im ersten und zweiten Akt, dazu ein Quintett sowie Quartett im dritten Akt und Chorszenen im ersten und dritten Akt, außerdem drei sinfonische Passagen (zwei Märsche und ein Ballett) und drei hübsche, kurze Melodramen. Die Musik hat die Lebendigkeit einer opéra comique, deren Floskelhaftigkeit sich erst im dritten Akt verzieht (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei https://www.note1-music.com/shop/). Rolf Fath

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Zur italienischen Fassung und dem Fehlen der Dialoge befragt, schrieb uns der Dirigent Lukasz Borowicz: Ich habe mich für die italienische Fassung entschieden (wir haben neue Aufführungsmaterialien vorbereitet), weil die Partitur des 19. Jh. die Breitkopf-Partitur auf Italienisch ist. Sie ist die einzige klare und vollständige Quelle. Meiner Meinung nach ist es besser, der gedruckten Fassung aus den 1840er Jahren zu folgen, als eine hypothetische deutsche Fassung zu erstellen (es gibt nur Klavierauszüge und ein unklares Autograph)… Cherubini sprach überhaupt kein Deutsch, so dass ich annehme, dass er nicht beleidigt wäre. Die italienische Übersetzung stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jh. (von der wichtigen Figur der Epoche Mo. Prividali). Wir haben auf die Dialoge verzichtet, weil es nicht sinnvoll ist, sie für die Konzertfassung zu verwenden. Außerdem sind die Dialoge (Italienisch, Französisch und Deutsch) nicht vollständig. Aus all diesen Gründen haben wir beschlossen, nur die Musik aufzunehmen/DeepL

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.Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier

Stefano Mazzonis de Pralafero

 

Mit einem Gedenkkonzert ehrt die Opéra Royal de la Wallonie den verstoprbenen  Intendanten,Stefano Mazzonis di Pralafera, am 7. März 2021 um 15 Uhr im Livestream Am 7. Februar 2020 verstarb  Stefano Mazzonis di Pralafera. Ihm zu Ehren findet am Sonntag, den 7. März 2021 um 15 Uhr ein Gedenkkonzert statt, das in einem kostenlosen Livestream auf www.operaliege.be abrufbar sein wird. Chefdirigentin Speranza Scappucci hat dieses Gedenkkonzert als einen Moment intensiver Meditation initiiert, bewusst soll vorab kein Programm bekannt gegeben werden. Im Konzert möchten Orchester, Chor und Solist*innenensemble der Opéra Liège – natürlich unter Einhaltung aller Vorschriften zur Pandemiebekämpfung – ihren langjährigen Intendanten und Regisseur Stefano Mazzonis di Pralafera würdigen und allen die Möglichkeit geben, per Stream an dieser Erinnerung teilzuhaben. Seit 2007 stand Stefano Mazzonis di Pralafera dem Königlichen Belgischen Opernhaus als Künstlerischer Leiter und Intendant vor. Unter seiner Leitung hat die Opéra Royal de Wallonie- Liège eine beispiellose Entwicklung in ihrer künstlerischen Qualität, ihrem internationalen Ruf und der öffentlichen Reputation erfahren. Aufgrund seiner hervorragenden Arbeit wurde Stefano Mazzonis di Pralafera vor einigen Jahren zum Ehrenbürger der Stadt ernannt, auch die Stadt
Liège trauert um einen großen Künstler. Die Opéra Royal de Wallonie-Liège ist eines der drei königlichen Opernhäuser Belgiens. Das Jubiläum feiert gleichzeitig eine alte, geschichtsträchtige Oper und ein nach vorne gewandtes Opernhaus im 21. Jahrhundert, das die Zukunft im Blick hat. Der Spielplan des Hauses besticht durch eine abwechslungsreiche Mischung aus Klassikern des Repertoires und spannenden Raritäten. Eine beständig hohe Auslastung weist auf die große Beliebtheit und Treue des heimischen Publikums hin. Die starke überregionale Ausstrahlung des Hauses zieht Besucher aus dem nahen Deutschland, den Niederlanden, Luxemburg und sogar Großbritannien an. Auch dank regelmäßiger Online Übertragungen, realisiert u.a. durch Culturebox und medici.tv, macht das Haus in immer weiteren Kreisen auf sich aufmerksam (Foto ORW)www.operaliege.be

Provinzielles Heimatdrama

 

Mit einer wunderbar atmosphärereichen Inszenierung von Rusalka, die eine Nachbildung einer der historischen Brücken der Stadt Bromberg in den Mittelpunkt gestellt hatte, konnte die Opera Nova der polnischen Stadt unlängst verzaubern, und nun geriet ausgerechnet zum 200. Geburtstag von Stanislaw Moniuszko dessen Nationaloper Halka 2019 zu einer Riesenenttäuschung. Eine billige Ausstattung (Bühne Diana Marszalek, Julia Skrzynecka) aus Massen von Goldpapier und zwei Ebenen für die beiden sozialen Schichten, stoffreiche, aber stillose Kostüme ( Paulina Czernek) eine nicht vorhandene Chorführung, stereotype Gestik und Mimik der Solisten (Regie Natalia Babinska), klischeestrotzende Ballettnummern (Iwona Pasinska) und ein an Kitsch nicht mehr zu überbietender Schluss in Form einer als die Seele von Halka mit Harfenklang ins Jenseits entschwebenden Ballerina (Angelika Wojciechowska) stellten zwar nicht das glücklich wirkende Publikum im Saal, wohl aber den häuslichen Betrachter vor eine arge Geduldsprobe. Und auch drei niedliche kleine Mädchen, die hin und wieder in Gesellschaft Halkas, ihr aber stets wieder entweichend, auftauchten, konnten nicht versöhnen, wirkten allzu sehr als der an den Blondhaaren herbeigezogene Versuch, letztendlich doch etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes auf die Bühne zu bringen. Verdienstvoll ist zwar die Bereitstellung von deutschen Untertiteln, allerdings nicht solchen, die manchmal geradezu lächerlich sinnentstellend  an einer korrekten Übersetzung vorbeigehen.

Als nicht mehr und nicht weniger als solide erweist sich die musikalische Ausführung, so die des Orchesters unter Piotr Wajrak, und auch der Chor unter Henryk Wierzchon macht seine Sache gut. Für die von ihrem adligen Verführer verlassene Halka hätte man sich eine etwas jüngere Sängerin gewünscht als Jolanta Wagner, die reichlich nackte Schultern und Schenkel zeigt, aber wahrscheinlich hätte auch eine kleidsamere Perücke schon das Ihre getan. Der Sopran verfügt über eine tragfähige Mittellage, eine sichere Höhe mit leichten Schärfen und kann besonders in seiner Klage um das verlorene Kind berühren. Einen leichten Mezzo hat Dorota Sobczak für die adlige Rivalin Zofia. Mit durchdringendem Charaktertenor und sympathischer Bühnenpräsenz verkörpert Tadeusz Szlenkier den treuen Jontek, während Lukasz Golinski überzeugend das Hin- und Hergerissensein zwischen Geliebter und Braut darstellt, seinen Bariton aber nicht immer frei strömen lassen kann, auch wenn die Tiefe auffallend präsent ist. Schneidend und durchdringend lässt Szymon Rona den Dudelsackspfeifer zu Wort kommen, weitere tiefe Stimmen sind mit Jacek Greszta als Vater des Bräutigams und Lukasz Jakubczak als Dziemba vertreten. Als Ensembleleistung eines mittelgroßen Theaters kann sich also diese Produktion zwar nicht sehen, aber durchaus hören lassen. Um die Oper kennen zu lernen, dürften hochkarätigere Aufführungen geeigneter sein (Dux 8331). Ingrid Wanja    

 

Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei https://www.note1-music.com/shop/.

 

Rarität

 

Nicht nur puren Hörgenuss verspricht und hält die neue CD von Daniel Behle, der bereits zum zweiten Mal Lieder von Richard Strauss eingespielt hat, sondern mit dem vorbildlichen Booklet, das das Label Prospero mit der Signatur 0011 vorstellt, werden auch den Augen und dem Intellekt viel geboten. Bereits der Titel UN-ERHÖRT lässt darüber nachgrübeln, ob es sich um Unverschämtheiten handelt, was das Bild des Eulenspiegel auf dem Cover nahelegt und was der freche Text des Krämerspiegel bestätigt. Es könnte damit aber auch der Block mit Texten von Hafis, dem dauerhaft und wohl un-erhört Schmachtenden gemeint sein. Der Eulenspiegel führt zunächst auf den Irrweg der gleichnamigen sinfonischen Dichtung des Komponisten, ist aber zugleich auch das absolut letzte Wort des absolut letzten Lieds, das wiederum mit dem Krämerspiegel-Zyklus den Spiegel gemeinsam hat. Mit einer kleinen Abwandlung kommt man auch auf ein UN-GEHÖRT, das davon kündet, wie selten die meisten der hier aufgenommenen Lieder zu hören sind, die es erst einer Anregung von Brigitte Fassbaender zu verdanken haben, dass sie der Tenor und sein Klavierpartner Oliver Schnyder 2007 für das Richard-Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen einstudierten und anschließend aufnahmen.

2020 sind die beiden Artikel im Booklet geschrieben worden, in denen der Leser und Hörer im Zusammenhang mit der Geschichte der Malven darüber aufgeklärt wird, dass sich Daniel Behle nicht nur als Sänger betätigt, sondern auch als Komponist mit dem Lied Der Schmetterling in das Programm geschmuggelt hat und in denen, was zum Verständnis des Krämerspiegels mit seinen vielen Anspielungen sehr wichtig ist, über die Entstehung des Zyklus berichtet wird, der als Affront gegenüber Musikverlegern im allgemeinen und dem Verlag Bote&Bock, dem der Komponist noch einen Liedzyklus schuldete, zu sehen ist. So sorgfältig wie die Machart der Texte ist, so gelang auch die Bild- und Fotoauswahl voller Witz und Anzüglichkeit.

Es beginnt mit Winterweihe, und mit dem ersten Ton erfreut der sanfte Tonansatz, der dem Stück eine feine Intimität verleiht, in dem „mild“ und „leise“ tatsächlich so klingen, Apostrophe zur Steigerung der Wirkung auch einmal aufgehoben werden können. Auch Winter-, aber Winterliebe vom selben Autor, dem Expressionisten Henkell, wird in seiner ganz anderen Charakteristik nicht nur erkannt, sondern noch verstärkt. In Demels Waldseligkeit macht sich besonders bemerkbar, wie vom Sänger gleichzeitig einzelne Worte wie „sacht“ (fast verhauchend) „allein“  (mit sehr langem Vokal) oder „dein“ (wie eine Umarmung durch Töne) aus dem Text zwar herausgehoben werden, aber doch stets der Zusammenhang gewahrt bleibt, die Gesamtstimmung durchgehalten wird. Gleichermaßen der Aussage des einzelnen Begriffs verpflichtet wie dem Fluss der Melodie, den Manierismus der einzelnen Lieder noch verstärkend, wird auch das populäre Traum durch die Dämmerung interpretiert. Im flatterhaften Vorspiel und wenn das Piano auch die Stimme quasi flügelschlagend begleitet, imitiert der Sänger den Komponisten mit seinem Der Schmetterling, und in Morgenrot wird der Beweis angetreten, dass auf „Strahl“ auch ein dunkles Glänzen möglich ist, so wie im ersten der Gesänge des Orients nach einem fast unhörbaren „deiner Augen wohnen“ aufbrausend „der Glanz“ zu schönster,strahlender Wirkung kommt. Auch in den folgenden Hafis-Liedern bleibt die Stimme stets schlank, der Eindruck von Volumen erwächst aus dem Agogikreichtum des Singens. Crescendi klingen nie gespreizt (so bei „Lebens“ in Die Allmächtige), ein falsettone lässt den „Himmel“ schwerelos erscheinen, die Höhe kann aber auch wie in Huldigung einer Fanfare gleichen.

Gleich alle denkbaren Musikverleger, nicht nur Bote&Bock, sondern Schott und Breitkopf&Härtel noch dazu bekommen ihr Fett ab als nimmersatte Ausbeuter der Künstler, auf deren Seite unübersehbar Alfred Kerr, Kritiker in der Weimarer Republik und Vater der Rosa-Kaninchen-Besitzerin, steht. Ganz besonders dankbar hat Strauss diesen Zyklus für das Klavier gestaltet, dass er in  Rosenkavalier- und Schicksals-Sinfonie-Anspielungen schwelgen lässt und das eigentlich ein Widerpart zum stets geistreichen, nie schroff beleidigenden Text für den Sänger ist, dem und damit dem Hörer seine beispielhafte Textverständlichkeit zugute kommt, die er mal mit einem schneidenden „Edelmut“ oder einem kontrastreichen Singen zwischen Pathos und Tändelei zu würzen weiß. Mindestens so viel Spaß wie die Künstler bei der Aufnahme (auch die Fotos künden davon) hat also der Hörer mit dieser so ungewöhnlichen wie rundum gelungenen Aufnahme (2020 Prospero 0011). Ingrid Wanja  

 

Strenger Sänger

 

Kaum eine mythologische Figur wurde so oft in Töne gesetzt wie der Sagen umwobene Sänger Orpheus. Als Orfeo errang er in Kompositionen von Monteverdi. Telemann, Graun, Gluck, Bertoni und Haydn klingende Unsterblichkeit. Auch dem italienischen Tonsetzer Luigi Rossi (1598 – 1653) ist ein Werk dieses Titels zu danken. Seine tragicommedia L’Orfeo in einem Prolog und drei Akten auf Francesco Butis Libretto wurde 1647 in Paris uraufgeführt und markiert die erste speziell für den französischen Hof geschriebene Oper. Neben der bekannten Handlung um den legendären Sänger und seine Gattin Eurydike, die durch einen Schlangenbiss stirbt und von Orpheus au der Unterwelt zurückgeholt wird, gibt es hier einen weiteren Handlungsstrang: Aristeo, Sohn des Apollo, liebt gleichfalls Euridice, doch finden seine Gefühle keine Erwiderung. Um sich an Apollo zu rächen, steht Venere Aristeo bei. Diesen sang bei der Uraufführung in Paris der gefeierte Kastrat Marcantonio Pasqualini.

In der jetzt von GLOSSA auf drei CDs veröffentlichten Neueinspielung (GCD 923903), die im August und Dezember 2019 in Bolzen entstand, wird diese Partie von einem Sopran wahrgenommen. Die sanft, zuweilen gar kindlich klingende Stimme von Paola Valentina Molinari lässt aber in keinem Moment an einen männlichen Helden denken. Auch der Orfeo ist en travestie besetzt mit Francesca Lombardi Mazzulli. Ihr Sopran weckt gleichfalls keine Assoziationen an einen Heroen. Aber Orfeos Arien zu Beginn des 3. Aktes geben im Ausdruck den tiefen Schmerz ob Euridices Tod eindrücklich wieder. Das Trio der Hauptpartien komplettiert ein weiterer Sopran: Emanuela Galli als Euridice. Sie singt mit jugendlicher Stimme von lieblicher Süße. Besonders in ihrer Arie „Mio ben“, in der sie Orfeo ihrer Liebe versichert, kann sie mit Wohllaut glänzen. Als ihr Vater Endimione lässt Alessio Tosi einen weichen Countertenor hören. Er wirkt zudem als betörend singender Apollo mit. Der Counter Alesssandro Giangrande wandelt auf den Spuren von Dominique Visse und liefert ein Kabinettstück als La Vecchia – die als alte Frau verkleidete Venere, die Aristeo in ihre Pläne einweiht. Angenehm dunkle Töne bringt Mauro Borgioni als Satiro ein, ebenso Rocco Lia als Plutone. Mit Clarissa Reali als Nutrice findet sich ein weiterer Sopran, der sich durch lamentierende Effekte abzusetzen versucht, mit der Canzonetta am Ende des 1. Aktes, „Belle Ninfe“, aber auch Gefälliges hören lässt. Sie singt auch die Giunone, bei der sie mit schmerzend bohrenden Tönen aufwartet. Arianna Stornello als keifende Venere und Sara Bino als Amore komplettieren die Sopranriege, letztere mit besonders exaltiertem Gesang. Das macht die Terzette mit ihr sowie Giunone und Apollo für den Hörer zu harten Prüfungen.

Am Pult des Ensembles Allabastrina steht eine Frau – Elena Sartori. Sie kann vor allem in der Ouverture und Sinfonia sowie den Balletten die monotone Stimmung, die sich beim Anhören der Aufnahme einstellt, aufmuntern, denn die Gesangsnummern (Arie, Canzonetta, Duetto, Terzetto, Quartetto) sind durch den durchgängigen Stil des recitar cantando einförmig. Zudem sind die vorwiegend strengen  Sopranstimmen zu monochrom im Klang, als dass sich die Charaktere der Figuren unterscheiden könnten. Die stärksten Eindrücke der Einspielung hinterlassen das mehrteilige, delikat musizierte Ballett im 3. Akt mit Les Passe-pieds d’Artus, Sarabande, Bourée und Bourée Figurée sowie der nachfolgende heitere Choro di Baccanti und der feierliche Choro celeste.. Bernd Hoppe

 

Andréa Guiot

 

In Frankreich war sie eine Institution, den deutschen Opernfreunden ist sie im allgemeinen nur als Micaela in der 1964 entstandenen „Carmen“-Aufnahme mit Maria Callas ein Begriff: Andréa Guiot, die am 15. Februar im Alter von 93 Jahren in Nîmes verstorben ist, war im Fach des lyrischen Soprans eine der wichtigsten Zeuginnen französischer Gesangstradition. Am 11. Januar 1928 im südfranzösischen Garons nahe Nîmes geboren, kam sie dort schon im frühen Kindesalter mit der Oper in Berührung, wodurch ihr Wunsch, Sängerin zu werden, geweckt wurde. Nach einigen Jahren Privat-Unterricht erhielt sie ihre weitere Ausbildung am Conservatoire de Paris, wo Janine Micheau zu ihren Lehrern zählte. 1955 gab sie ihr Debut in Nancy als Marguérite in „Faust“ und kam ein Jahr später an die Opéra comique (Antrittspartie: Antonia in „Hoffmann“), der sie bis 1972 angehörte. Von 1959 bis 1978 war sie auch Ensemblemitglied der Opéra, wo sie wiederum als Marguérite ihren Einstand gab. Mit dieser Partie und in anderen französischen Rollen wie Mireille, Micaela und Manon begann in den 60er Jahren ihre internationale Karriere, die sie auch in die Vereinigten Staaten (Chicago, Philadelphia, San Antonio) und nach Südamerika führte. In Buenos Aires sang sie 1965 Madame Lidoine in Poulencs „Dialogues des Carmélites“; von dieser Aufführung existiert auch ein Audio-Mitschnitt. Im deutschsprachigen Raum ist sie offenbar kaum aufgetreten. Ich konnte nur eine einzige „Faust“-Aufführung an der Wiener Staatsoper eruieren. In Strasbourg, also an der deutschen Grenze, war sie allerdings oft und vor allem in italienischen Partien zu erleben – als Desdemona, Elisabetta in „Don Carlo“ und Butterfly. 1977 übernahm sie als Nachfolgerin ihrer im Jahr zuvor verstorbenen Lehrerin Janine Micheau eine Professur am Conservatoire de Paris, der sich Lehraufträge an anderen Hochschulen anschlossen. Zu dieser Zeit begann sie sich schrittweise von der Bühne zurückzuziehen.

Auch wenn die erwähnte “Carmen” ihre einzige internationale Schallplattenproduktion blieb, so sind ihre wichtigsten Rollen doch auf Tonträgern (vor allem der französischen EMI) dokumentiert. Von „Mireille“ und „Faust“ gibt es Querschnitte, ebenso von „Guillaume Tell“ (mit Nicolai Gedda) und „Hérodiade“. Dazu eine gekürzte Version von Reyers „Sigurd“, wo sie die Rolle der Brunehilde singt. Beim Label Malibran kann man sie daneben als Donna Elvira, Desdemona und Liù erleben. Auch auf dem Gebiet der Operette hat sie sich hervorgetan. Nicht nur mit französischen Titeln, sondern auch in französisch gesungenen Querschnitten von „Die lustige Witwe“, „Land des Lächelns“ und „Csardasfürstin“, wobei Lehár und Kálmán ihrer Stimme und ihrem Temperament mehr liegen als Offenbach. Wie sie auf der Bühne gewirkt hat, kann man einem Video des „Falstaff“ aus der Pariser Oper von 1970 entnehmen (bei youtube eingestellt), wo sie in der etwas groben Regie von Tito Gobbi, der auch die Titelrolle singt, mit gediegen-bürgerlicher Ausstrahlung und einigem Spielwitz die Alice verkörpert. Diese Produktion ist auch wegen Christiane Eda-Pierre als Nanetta und Fedora Barbieri als Mrs. Quickly sehenswert. Guiot war ein lyrisch-dramatischer Zwischenfachsopran mit den Qualitäten eines „Falcon Soprans“, d.h. mit fundierter Tiefe und großer Leuchtkraft in der Höhe. Das kann man besonders in Brunehildes „Salut splendeur du jour“ und Mathildes „Sombres forêts“ bewundern. Der gesangliche Glanz verbindet sich hier mit einer emotionalen Intensität, die auch ihren Vortrag von Donna Elviras Arie „Mi tradì quell’alma ingrata“ zum Erlebnis macht (Foto Pinterest). Ekkehard Pluta  

Barries Bekenntnisse

 

Am besten liest man zuerst das Gespräch mit dem Titel More Ecstasy, das der (sehr einfühlsame) Übersetzer von Barrie Koskys Büchlein On Ecstasy geführt hat und das am Schluss steht. Man erfährt, dass es in einer Zeit der „Heimatlosigkeit“, Wien war bereits verlassen, Berlin noch nicht neues Zuhause, im Jahr 2007, entstand und dass es durchaus, so erfragt es Ulrich Lenz, Chefdramatrurg an der Komischen Oper Berlin, auch danach noch Zustände der Ekstase für den australischen Regisseur gegeben hat. Der Begriff selbst wird auf der ersten Seite des Buchs erklärt, für Kosky scheint Ekstase aus Sinneseindrücken, die sich ins fast Unerträgliche steigern und dann in eine neue Qualität münden, zu entstehen, und das können Tasten wie Hören, Schmecken wie Sehen und ebenso Riechen sein, so dass der Duft der Hühnersuppe der polnischen Großmutter (ihr und der zweiten, der ungarischen, ist das Buch gewidmet), ebenso zur Ekstase führt wie das Jahrzehnte später stattgefunden habende japanische Festessen, dem Kind und jungen Mann Barrie Kosky außerdem die Musik Mahlers, die  nassen Jeans auf einem strammen Hinterteil, der Geruch in einer Umkleidekabine  oder die erste Regie, die einer jüdischen Legende um den Dybbuk, Zustände der Ekstase erlauben. Auch die Stimme von Renata Tebaldi, die er in Australien als Butterfly erlebte, verhilft zur Ekstase, das Betasten der Tierfelle im Pelzgeschäft des Vaters beweist, dass auch der fünfte der Sinne ekstasefähig ist, wenigstens bei einem so sensiblen Kind, wie es Kosky gewesen sein muss. Der weiß davon so knapp wie anschaulich, so ehrlich wie den Leser zielsicher in seine Welt hineinziehend, zu erzählen, und am Schluss ist der erstaunt, wie viel er auf so relativ wenigen Seiten erfahren hat.

Erst im Nachwort erfährt man, dass Bayreuth kein Stimulans für Ekstase war, dass Kosky sich als Intendant zur Objektivität, zur Analyse verpflichtet sieht, als Regisseur jedoch dem Diktat der in die Ekstase führenden Sinne gehorchen darf, wenn er in der bei ihm blinden Elsa unterstellt, durch das Hören, Isolde durch das Schmecken, Senta durch das Sehen in den Zustand der Ekstase zu geraten. Da kann man sich dem Eindruck nicht entziehen, dass auch das Wieder- und Nacherleben bestimmter Situationen bei der Regiearbeit erneut in einen Ausnahmezustand geraten lässt, so wenn sich Kosky an Regiearbeiten wie Medea und den Mord an ihren Kindern, den von sterbenden Meerjungfrauen und einem überlaufenden Abort umgebenen Bariton in Ligetis Oper erinnert.

Interessant zu erfahren ist auch, dass der Regisseur sich  eines kleinen Dämons, der ihm Antisemitisches ins Ohr flüsterte, dadurch entledigte, dass er in Bayreuth inszenierte, sich selbst davon befreien konnte, einen Zusammenhang zwischen Wagners Musik und seinen antisemitischen Schriften herzustellen.

Nicht jeder Leser wird einige Schlussfolgerungen nachvollziehen können, die Kosky aus seinen Interpretationen zieht, so wenn Senta den Holländer ermordet. Sympathisch aber wird es jeder finden, dass Misserfolge zugegeben werden, so der Ring in Hannover, und dass Kosky einen neuen Anlauf nehmen wird mit der Neuinszenierung der Trilogie in London 2023.  Das Buch jedenfalls hat wegen seiner Unmittelbarkeit durchaus die Qualität, in Ekstase zu versetzen, weiterhin interessiert zu verfolgen, was wie Rameau oder die Weimarer Operette und einiges andere, Ekstase-Erzeugungsqualitäten hatte und hoffentlich haben wird (101 Seiten, Verlag Theater der Zeit 2021; ISBN 978 3 95749 342 2). Ingrid Wanja          

Peter Arnold Heises „Drot og Marsk“

Es ist – denken wir bei operalounge.de – doch die Aufgabe eines anspruchsvollen Opernmagazins, nicht nur auf seltene Titel der Theatergeschichte hinzuweisen, sondern als Europäer vor allem europäische Opern bekannt zu machen (und damit das akute und sträfliche Versäumnis unserer Opernhäuser mit ihren einseitigen Spielplänen zu korrigieren), die – wie viele der von uns bislang vorgestellten – ursächlich oder begleitend zum nationalen Selbstverständnis der jeweiligen Entstehungsländer beitragen,  dort nationale Entwicklungen zur Eigenständigkeit nach längerer Fremddominanz befördern. Dass Oper eine sozialpolitische Funktion zeigt und gleichzeitig auch ein Seismograph des nationalen Bewusstseins ist ausübt steht ja außer Zweifel. Zwar schlagen sich zwar wichtige politische Ereignisse meist nur mit Verzögerung in den Opernplots nieder, aber auch aktuelle Bestrebungen nach nationaler Einheit und Identität ((und dem Verlust derselben) finden sich in vielen Werken ganz aktuell, oft in Form der Verwendung von Folklore und/oder nationalem Liedgut, oft auch durch Reaktivierung glorioser Siege in der ferneren Geschichte des jeweiligen Landes (so zum Beispiel bei Gounod oder Saint-Saens um die Schmach des deutsch-französischen Krieges vergessen zu machen, auch in Ivan Zajcs Nicola Subic Zrinski, in dem zwar die Türken niedergemacht werden aber die Österreicher gemeint sind; gleiches gilt für Pavlo Carrers Marcos Botsaris oder Naumanns Gustav Wasa und natürlich auch Verdis Nabucco).

Kurz nach der kürzlich besprochenen Kleopatra von August Enna erscheint jetzt bei derselben Firma mit Peter Arnold Heises Drot og Marsk, also König und Marschall, (Dacapo 6.200006 im Vertrieb von Naxos) das zweite zentrale Werk aus der Anfangszeit der dänischen Oper, die nach ihrer Umklammerung durch deutsche Komponisten wie Kunzen, Kuhlau und Gläser ein eigenes Idiom entwickelte. Eigentliche gilt Drot og Marsk als die dänische Nationaloper schlechthin, zum einen, weil Heise (1830-79) der erste Däne war, der eine Nationaloper im Blick hatte, vor allem aber auch, weil er ein großes nationales Thema aufgriff und den einzigen Königsmord in der dänischen Geschichte behandelte: Am 22. November 1286 wurde der 37jährige König Erik V., genannt Erik Glipping, während der Jagd in der Nähe von Viborg durch 56 Messerstiche getötet. Ungeklärt ist, ob es auch Rache für eine Vergewaltigung oder aus politischen Gründen geschah. Neun Adelige wurden angeklagt und für vogelfrei erklärt; sie flohen nach Norwegen. Teil der Adelsverschwörung war auch Stig Andersen, auch Marsk Stig genannt, ein zunächst dem König treu ergebener Marschall, der sich bald mit ihm überwarf. In den späteren literarischen Überlieferungen wurde Marsk Stig zum Königsmörder stilisiert, der Rache für die Vergewaltigung seiner Frau Ingeborg nahm. Das Verbrechen blieb bis ins 19. Jahrhundert ein Thema der Malerei und Bühne, wobei die gegenüber einer Adelsverschwörung wirkungsvollere Verführung von Stig Andersons Frau durch den König in den Mittelpunkt rückte.

Heise: „Drot og marsk“: Szene der mitgeschnittenen Aufführung bei Dacapo/ Hansen, Schgou, Weller/ Booklet Dacapo

1850 erlebte der 20jährige Peter Heise am Königlichen Theater in Kopenhagen eine Aufführung von Marsk Stig des auch von Ludwig Tieck geschätzten Carsten Hauch. Ein Vierteljahrhundert später, nachdem er sich  vornehmlich durch seine Romanzen einen Namen gemacht und mit dem Singspiel Die Tochter des Paschas den Schritt auf die Bühne gewagt hatte – eine günstige Heirat enthob ihn der Mühe des Geldverdienen – erinnerte er sich an das dramatische Potenzial des Themas und überredete seinen Freund Christian Richardt auf der Basis von Hauchs Drama, einem Entwurf seiner mit dem Dichter und Politiker Carl Ploug verheirateten Schwägerin Elise Ploug und alten Balladen ein Libretto anzufertigen. 1877 war die Oper fertiggestellt. Die Uraufführung verzögerte sich wegen leidiger Besetzungsfragen, die viel über den Ehrenkodex des Theaters im 19. Jahrhunderts verraten, da sich der vor Heise vorgesehene ältere Tenorsänger des Erik weigerte als König von einem wesentlich jüngeren Kollegen auf der Bühne umbringen zu lassen. Die Partie des Erik wurde daraufhin einem Schauspieler anvertraut.  G. H.

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„Drot og Marsk“: Paul Wiedemann als Erik und Else Schioetz als Ingeborg in der Produktion der Königlichen Oper Kopenhagen 1940 (Foto Mydtskov Archiv/KOK/OBA)

Dazu einen Artikel unseres wunderbaren, verstorbenen  Kollegen Jörg Gräpel: Ein vergessener Komponist und seine einzige tragische Oper. Peter Heises Ruf – wie der der meisten seiner komponierenden und dichtenden Kollegen – ist kaum über Dänemarks Grenzen hinausgedrungen. Was sicher vor allem an der im Ausland kaum kursierenden Sprache liegt. Dabei zählt der 1830 in Kopenhagen geborene Komponist, der über 200 Lieder schrieb, zu den fruchtbarsten Komponisten dieses Genres. Als Schüler von Niels W. Gade konnte er 1852 zur Fortsetzung seines Musikstudiums nach Leipzig gehen, wo er bei Moritz Hauptmann lernte. Zurückgekehrt arbeitete er als Musiklehrer. Wie viele nord­europäische Künstler trieb ihn die Sehnsucht nach Italien und vor allem nach Rom, das er in fünf ausgedehnten Reisen kennenlernte; dort schloss er Freundschaft mit anderen Musikern, u. a. mit dem Cellisten Furino, für den er einen großen Teil seiner Kammermusik schrieb. Seiner Theaterliebe folgend schrieb Heise viele Werke für die Bühne, weniger Opern (neben Drot og Marsk komponierte er ein Singspiel, Paschaens datter, das1869 in Kopenhagen uraufgeführt wurde) als Theatermusiken, so zu Oehlenschlägers Tragödie Palnatoke, Ibsens Kongsemnerne und Reckes Bertran de Born.

Hauchs poetisches Drama um den König Erik und seinen Marschall Stig hat ihn schon seit seiner Jugend fasziniert. Zu diesem Werk schrieb er früh eine Musik zum Fest im l. Akt und 1856 eine Ouvertüre, die Gade 1858 in seinen Kopenhagener Konzerten auf­ führte. Das Andante dieser Ouvertüre verwandte er als Einleitung für seine zwanzig Jahre später entstandene Oper wieder. Heises langjähriger Freund Christian Richardt arbeitete in enger Anlehnung an Hauchs Drama das Libretto aus, das schon vor der Vollendung der Oper in mehrfacher Auflage Verbreitung fand und noch heute als bestes dänisches Libretto gilt. Richardt, ein begabter Dichter, straffte die Handlung, schuf verständliche Charaktere mit psychologischer Motivation, brachte die Geschichte in acht knappen Bildern zielgenau zur Katastrophe. Dabei bediente er sich einer ausgeprägt poetischen Sprache, die die balladesken Züge des Stoffes aufgreift und zusammen mit Heises Musik (z.B. in Aases Gesängen) einen künstlerisch überhöhten Volkslied ton einbringt, der zurecht als typisch dänisch begriffen wurde und die Oper in ihrer Gesamtheit zu einem Nationalwerk machte.

„Drot og Marsk“: Szene aus der Kopenhagener Prroduktion von 1954, 2.A kt,2. Bild (Foto Mydtskov Archiv/ KOK)

Kurzer Ausflug in die dänische Geschichte. Die in Heises Oper im Mittelpunkt stehende Ermordung von König Erik V., genannt Glipping, hat tatsächlich am 22. 11. 1286 in einer Scheune bei Finderup stattgefunden. Dieser Vorfall forderte seitdem in dänischen Geschichtsbüchern, Balladen, Gedichten, Dramen und Chroniken immer wieder zu Deutungen und Legenden heraus, denn ein Motiv ließ sich nie eindeutig finden, obwohl immer sicher war, wer die Mörder waren. Wahrscheinlich ist eine politische Motivation des Mordes, Rache des Adels an einem Herrscher, der ihre Rechte beschneiden wollte. Erst in späteren Überlieferungen kommt das David-und-Bathseba-Motiv der Verführung der Frau des Marschalls hin­ zu, wurde aus dem König eine Art mittelalterlicher Don Juan, dem die Jagd und die Frauen Lebensinhalt waren. Im 19. Jahrhundert, in einer Zeit romantischer Rückbesinnung auf die nationale Geschichte, nicht nur in Dänemark, wurde die legendenreiche Ermordung des Königs Erik wieder zum Inhalt einiger Dramen. Auch Dänemarks Nationaldichter Adam Oehlenschläger schrieb 1843 eine Tragödie über König Erik, Erik Glipping, die aber mit ihrer unverhohlenen Sympathie für den Souverän in eine ungünstige Zeit fiel, denn nach längerem Kampf wurde 1849 die dänische absolute Monarchie in eine konstitutionelle umgewandelt; Parteinahme für einen König war unangebracht. Zur gleichen Zeit hatte Carsten Hauchs Dramatisierung, Marsk Stig, den moderneren Ansatz, in­ dem der König hier gewissenlos und seinen Trieben blind gehorchend dargestellt wurde, obwohl auch seinem Stück kein Publikumserfolg beschieden war.

 

„Dot og Marsk“ Ib Hansen und Irene Graaener als Stig und Ingeborg/ Kopenhagen 1971/ Mydtskov Archiv/ KOK

Wer sich die Handlung von Drot og Marsk ansieht, wird verblüffende Parallelen zu einer anderen, berühmteren Oper feststellen: Verdis Ballo in Maschera. Es ist sicher, dass Heise diese Oper in Italien kennengelernt hat, so wie er auch andere Opern Verdis kannte. Musikalischen Einfluss hatten sie kaum, allerdings verstand auch Heise den Aufbau sich steigernder Ensembles, effektvoll an Aktschlüsse gestellt. Seine Studienzeit in Leipzig spie­ gelt sich in einem Klangbild, das die deutsche romantische Oper um Marschner und den frühen Wagner antizipiert. Auch Jahre nach dem Tod Mendelssohns prägte seine Musiksprache die Schüler und Lehrer des Leipziger Konservatoriums, so auch Heise, zumal der Däne Gade, ein Freund Heises, Nachfolger Mendelssohns war. Dennoch wäre es falsch, Heise als eklektischen Komponisten zu bezeichnen, denn die durchkomponierte Oper Drot og Marsk besitzt eine eigene, ja, eigenartige Tonsprache, die auf einem dunklen Streicherteppich spröde-schöne Volksliedmelodik mit chromatischer Motivik verarbeitet. Es ist, als seufze das Orchester beständig, kaum ein hellerer Gedanke leuchtet in dieser düsteren Musik-Saga. Das dunkle Klangbild schafft eine von Anfang an bedrohliche Stimmung, wie überhaupt die atmosphärische Dichte der Komposition Vorrang vor eingängiger Melodik hat. Dabei gab Heise einem lyrischen Sopran (Aase), einem lyrischen Tenor (Erik), einem dramatischen Sopran (Ingeborg), einem dramatischen Bariton (Stig) und einem Charaktertenor (Rane) dankbarste Partien, die auch schauspielerisch interessant sind, denn anders als z. B. Verdis Amelia ist Ingeborg ein aktiver und starker Charakter, Erik ein romantischer Nachklang des Don Giovanni, Stig in seinem Gewissenskonflikt ein nordisches Pendant vieler Verdi-Baritonpartien.

„Drot og Marsk“: Poul Elming und Tore Norholt als Erik und Aase, in Aarhus 1984/ Foto Jo/ DJO

Verbreitung: Die Kopenhagener Uraufführung der Oper am25.9. 1878 (der Komponist starb nur ein Jahr später, 1878) war begreiflicherweise ein großer Erfolg, denn nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen (1864) und dem unaufhaltsamen Verlust der politischen Machtstellung Dänemarks im nordeuropäischen Raum im Verlaufe des 19. Jahrhunderts, bot diese Oper mit ihrem nationalen Sujet und Kolorit eine dankbar angenommene Identifikationsmöglichkeit (vergleichbar mit den französischen Opern-Sujets für ein gedemütigtes Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts nach Versailles). Sicherlich ist dies aber nicht der einzige Grund für die regelmäßigen Wiederaufführungen in Dänemark, wo die Oper 1909, 1922, 1940, 1954 und 1971 in Kopenhagen, 1964 und auch 1984 (mit Poul Elming, Lars Waage, Gertrud Spliid, Ole Hedegaard und Tove Norholt) bei der Jyske Opera, Aarhus, aufgeführt wurde. Die deutsche Erstaufführung fand 1906 in Stuttgart statt. Neuere Aufführungen außerhalb Dänemarks sind mir nicht bekannt, was kaum zu glauben ist, denn die Oper ist mit ihrer span­nenden, geradlinigen Handlung und ihrer elegisch-schönen Musik von einem außergewöhnlichen Reiz, der auch heutige Zuhörer faszinieren wird.

Eine gut gesungene Schallplattenaufnahme neueren Datums verschaffte einen positiven Höreindruck, es gab sie längere Zeit bei Unicorn in der Serie „Dansk Musik Antologi“, mit dem Gemälde von Otto Bache auf dem Cover; John Frandsen dirigiert die dänischen Rundfunkkräfte, es singen Ole Jensen den König, lb Hansen den Marschall, Inga Nielsen die Aase, lrene Graaner die Ingeborg und Tonny Landy den Rane. Michael Schönwandt digierte 1993 für Chandos eine weitere Einspielung mit Poul Elming, Bent Norup, Eva Johansson und Inga Nielsen in den Hauptrollen am Pult des Dänischen Nationalen Radioorchester (Bild oben: Otto Baches Gemälde der Verschwörer, 1892/ WikipediaCommons). Jörg Gräpel

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Peter Arnold Heise schuf die Dänische Nationaloper „Drot og Marsk“/ Wikipedia

Zur Neuaufnahme bei Dacapo schreibt Rolf Fath: Die gesanglichen Anforderungen bleiben, auch ohne diesen Hintergrund, insgesamt nicht ungewöhnlich. In dem Vierakter, den Heise ein „Dramatisches Singdrama“ nannte, fließen die Szenen unaufgeregt ineinander, d.h. ohne herausgehobene Arien und entsprechende Virtuosität, was das Publikum mehr verstört haben dürfte als die fehlenden großen Ensembles; dagegen wertete Heise das Orchester beträchtlich auf. Obwohl die Aufnahme geteilt war, blieb das Werk der dänischen Opernbühne weitgehend erhalten (wovon mehrere ältere Aufnahmen zeugen), wo es zuletzt von Kasper Holten im April 2019 am Kongelige Teater in Szene gesetzt wurde. Im Zuge der Aufführungsserie entstand auch der Livemitschnitt unter Michael Schønwandt, der bereits im August 1992 mit dem Dänischen Rundfunkorchester eine mit Poul Elming als König Erik, Bent Norup als Stig Andersen, Eva Johansson als Ingeborg, Inga Nielsen als Aase und Kurt Westi als Rane ungleich prominenter besetzte Aufnahme vorgelegt hatte.

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In der Neuaufnahme spürt man den dramatischen Atem des Live-Erlebnisses, nicht nur wegen des Applauses. Die 2 ½ Stunden wirken spannender und oftmals leidenschaftlicher als es das Werk vermutlich ist, dem man vorwarf, dass es die Beziehung zwischen dem König und Ingeborg nicht hinreichen dramatisch vertiefe. Der erste Akt nach der zu einer Opernouvertüre verkürzten Konzertouvertüre Mars Stig von 1856 wirkt mit der kristallin dünnstimmigen Sofie Elkjaer Jensen als Köhlermädchen Aase und dem unverkennbaren, ein traditionelles Tanzlied zwitschernden Gert Henning-Jensen als Königlichem Quartiermeister Rane Johnsen wie die idyllische Einleitung zu einem Bournonville-Ballett, die Heise mit Volksszenen, Tanz und hübschen Nummern folkloristisch harmlos umspielt. Obwohl der u.a. 1852/53 in Leipzig ausgebildete Heise kein Wagner-Bewunderer war, denkt man im Folgenden eher an Wagner als an die von Heise bei seinen Italien- und Paris-Aufenthalten bewunderten Verdi oder Meyerbeer, insbesondere die schöne Szene zwischen dem Marschall und seiner Frau zu Beginn des zweiten Aktes bevor er in den Kampf aufbricht und sie der Obhut des König übergibt, lässt an den Lohengrin denken; hier spielt Johan Reuter als Stig seine Präsenz und Bühnenerfahrung aus und singt mit Überzeugungskraft, und Sine Bundgaard ist eine dunkel eindrucksvolle Ingeborg.

Zu Heises Drot og Marsk“/ Szene aus der Kopenhagener Aufführung, die nun bei Dacapo mitgeschnitten ist/ Kongl Operan/ Dacapo booklet/ Hansen,Schou, Weller

Die Szene der Verschwörer zu Beginn des dritten Aktes, zu der Verdi und Meyerbeer Vorlagen bieten, zeigt Heise auf dem Höhepunkt seiner deklamatorisch-dramatischen Kraft. In der Profilierung der Situationen zu einer politischen Intrige, einem Komplott der Adeligen zwischen Rache und Zwang wird auch Schønwandts Vertrautheit mit dieser Musik deutlich, die mit dem machvollen Royal Danish Orchestra Tiefe und Schärfe erreicht und wo die Männerchöre bedrohliche Wucht entfalten. Schønwandt gelingt es, Heises Musik, die sich nicht immer auf diesem Niveau einpendelt, als packendes Musikdrama und durchgehend interessant erscheinen zu lassen. Relativ wenig Profil gewinnt der skrupellose Verführer Erik, der anfangs Aase erobert, die ihn treu begleitet und dem Sterbenden sein Schwert auf die Brust legt, während dessen letzte Worte Ingeborg gelten. Das liegt auch an Heise, der für diesen Bruder des Herzogs von Mantua nicht die rechte Sprache findet, denn Peter Lodahl besitzt einen angenehmen, höhenklar durchdringenden Tenor und geht achtsam mit den Worten um. Rolf Fath

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier

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Wiederverwertung

 

Sechs Aufnahmen von Gluck-Opern hat Orfeo in den Jahren 1964 bis 1990 herausgebracht, teilweise in bizarrer, teilweise in spektakulärer und manchmal in einer Besetzung, die beide Attribute miteinander vereint. Die Highlights aus diesen sind nun als Gluck- Opera Gala auf zwei CDs vereint (im Vertrieb von Naxos)..

So bestellt ist es um die Alceste, in der zwei absolute Weltstars miteinander vereinigt sind, die so gar nicht zueinander passen wollen, wobei jeder in seiner Art eine Ausnahmeerscheinung ist. Jessye Norman singt ein dunkel loderndes „Divinetes du Styx“ die Unterwelt erschütternd, mit hochpräsenten Pianissimi, Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks unter Serge Baudo unterstützen sie dabei und zeigen Qualitäten, die dem Orchester in anderen Aufnahmen abgehen. Die französische Sprache sorgt für edle Prägnanz (andere Aufnahmen sind auf Italienisch), Nicolai Gedda ist stilsicher wie immer und elegant. Luxuriöser geht es eigentlich nicht, und doch scheint im Duett und insgesamt kein Feeling zwischen den beiden Stars zu entstehen, was man natürlich besonders im Duett bedauernd bemerkt, wenn ein kostbar üppiges, höchst persönliches und ein eher anonymes Timbre aufeinander stoßen.

Es geht weiter mit Iphigenie en Tauride und der Kombination Franco Bonisolli und Dietrich Fischer-Dieskau, die schon eher verzeihlich ist, da sie kein Paar, sondern einander in Gegnerschaft verbundene personaggi zusammenführt. Zwischen beiden steht Pilar Lorengar in der Titelpartie mit 1982 bereits unkontrolliertem Vibrato. Der italienische Tenor ist sein stimmprotzendes, sich keinen Deut um stilistische Feinheiten kümmerndes Selbst, der deutsche Bariton verbindet Noblesse mit gelegentlichem, rollengerechtem Auftrumpfen. Fast wie ein Tenor klingt Walton Grönroos als Oreste. Lamberto Gardelli kann mit dem gleichen Orchester wie dem der Alceste nicht Gleichwertiges erreichen. Die letzten beiden Tracks bringen Ausschnitte aus Le Cinesi mit einem sanftstimmigen Thomas Moser als Silango.

Die älteste Aufnahme ist die von Orfeo ed Euridice aus dem Jahre 1964. Da hatte Dietrich Fischer- Dieskau längst eine deutsche Version eingespielt, die damals bei der Examensvorbereitung in den knapp bemessenen Pausen besonders mit „So klag‘ ich ihren Tod“ und „Welch reiner Himmel deckt diesen Ort“ der Rezensentin ein willkommener Trost und eine Aufmunterung und immer wieder mit Andacht gehört war. Hier nun klingt die Stimme sehr dunkel, betört mit drei unterschiedlichen „Euridice“, zu der mit der von Elisabeth Söderström eine füllig farbige Sopranstimme mit rührenden Piani gehört. Das berühmte  und allzu bekannte „Che farò senza Euridice“ zeigt die hohe Kunst des mezza-voce-Singens, der feinen Crescendi und einen Gestaltungswillen, der  noch mehr in der deutschen Fassung überzeugte. Ein frischer Amor ist Ruth-Margret Pütz. Ferdinand Leitner dirigiert die Capella Coloniensis.

Statt eines empfindsam Liebenden tritt uns Franco Bonisolli im italienischen Paride ed Elena vor allem als um Stimmvergrößerung, wenig disziplinierter Paride entgegen, den ein italienischer Kritiker in diesem Zusammenhang „un bulletto di pereferia“ betitelte. Ihm steht im Vergleich dazu eine recht piepsig, aber wesentlich kultivierter  wirkende Elena mit Ileana Cotrubas gegenüber, Sylvia Greenberg fehlt das Maliziöse des Amore, aber sie singt nette Verzierungen, als Pallas kann Gabriele Fontana Temperament entfalten. Lothar Zagrosek und das ORF Symphonie Orchester hätten eine homogenere Besetzung verdient.

Zum Schluss wird es noch einmal komisch mit  Les  Pélerins de la Mecque und einem ungewohnt wattig klingenden Jan- Hendrick Rootering und einigen Ensembleszenen unter Leopold Hager und dem Münchner Rundfunkorchester (OrfeoMP2001  (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)Ingrid Wanja

Peter Alexander

 

Peter Alexander, der wohl größte Entertainer Europas, ist vor nun schon 10 Jahren (am 12. Februar 2011) im Alter von 84 Jahren gestorben. Seine Karriere war beispiellos. Mit Charme und einer gehörigen Portion lausbübischem Schalk begeisterte er ein Millionenpublikum.

Vier Jahrzehnte stand er ganz oben an der Spitze. In über 40 Filmen, oft mit Gunther Philipp an seiner Seite, wirkte er mit (darunter auch die Operettenfilme „Im weißen Rössl“, „Saison in Salzburg“, „Die Fledermaus“, „Die lustige Witze“ und „Hochzeitsnacht im Paradies“). Seine Fernsehshows (von 1969 bis 1996) waren eine einzige Erfolgsgeschichte. Dort begrüßte er internationale Showstars wie Liza Minelli, Nana Mouskouri, Caterina Valente, Johnny Cash, Tom Jones und viele andere.

Seine Schallplatten verkauften sich millionenfach. Neben Schlagern präsentierte er in seiner unvergleichlichen Art besonders Wiener und böhmische Lieder, aber auch Operetten (mehrfach unter der Leitung von Robert Stolz, früher auch in vielen Marszalek-Querschnitten), Musical-Songs oder internationale Hits. Alexander war übrigens auch ein hervorragender Pianist und hätte gern einmal eine Jazzplatte gemacht. Doch dazu ist es leider nie gekommen.

Peter Alexander war ein Künstler, der einfach alles konnte. Seine Vielseitigkeit war unvergleichlich: Ob Schlager, Operette oder Musical – seine Auftritte und Shows waren stets perfekt. Und er war ein begnadeter Parodist, wie er oft im Fernsehen oder auf seinen Tourneen bewies. Diese Tourneen (1969 bis 1991), die er zunächst mit dem Orchester Johannes Fehring und später mit Paul Kuhn bestritt, waren stets ausverkauft. Seine Live-Auftritte zeigten sein ungeheures Können und seine Bühnenpräsenz.

Paul Hörbiger und Peter Alexander und Anneliese Rothenberger beim Heurigen. Dreharbeiten für den TV-Film >Wiener Geschichten<. 1977. Photographie.

Peter Alexander liebte auch die Oper (in den siebziger Jahren war er sogar als Papageno für die Salzburger Festspiele im Gespräch). Die Liste der Opernsänger, die in seinen Sendungen auftraten, ist beeindruckend: Agnes Baltsa, Grace Bunbry, Montserrat Caballé, Lisa Della Casa, Ingeborg Hallstein, Peter Hofmann, Rene Kollo, Christa Ludwig, Anna Moffo, Lucia Popp, Hermann Prey, Anneliese Rothenberger, Rudolf Schock, Peter Schreier und andere.

Nach dem Tod seiner Frau zog sich Peter Alexander völlig zurück. Den Unfalltod seiner Tochter Susanne (2009) hat er kaum verkraftet. Auch sein Sohn Michael ist inzwischen (2019) verstorben.

„Peter der Große“ wurde er liebevoll genannt. Und er ist bis heute unvergessen. Einen wie ihn hat es nicht wieder gegeben (Foto cr-website). Wolfgang Denker

Verliebter Heroe

 

In der Nachfolge Claudio Monteverdis war Francesco Cavalli einer der berühmtesten und einflussreichsten italienischen Komponisten in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Von Kardinal Mazarin wurde er beauftragt, ein ganzvolles Werk zur Hochzeit des Sonnenkönigs Louis XIV. mit der spanischen Infantin, welche nach 25 Jahren Krieg den Frieden zwischen den Bourbonen und dem Habsburgischen Königreich sichern sollte, zu schaffen. Der Abbé Francesco Buti verfasste das Libretto mit dem Titel Ercole amante – ein großes Barock-Spektakel in einem Prolog und fünf Akten, das 1662 in Paris uraufgeführt wurde. Danach kam es zu keiner weiteren Produktion in der französischen Hauptstadt, erst 1981 inszenierte es Louis Martinoty im Châtelet mit Michel Corboz am Pult. Auf zwei DVDs gibt NAXOS nun eine spektakuläre Neuinszenierung aus der Pariser Opéra-Comique vom November  2019 heraus, die in Koproduktion mit dem Château de Versailles und der Opéra National de Bordeaux entstand (2.110679-80). Die aufwändige Produktion verantworteten Valérie Lesort und Christian Hecq (von der Comédie-Française).

Nach dem Prolog, in welchem das anwesende Königspaar anlässlich der Hochzeit mit Gesang und Pantomime begrüßt wird, führt das Geschehen in die griechische Mythologie. Ercole liebt Iole, Geliebte seines Sohnes Hyllo, und bittet Venere um Hilfe. Giunone will die Verbindung zerstören und lässt sich von den Winden zum Schlafgott Somno tragen. Während Ercole vernimmt, dass sein Sohn Hyllo sein Rivale ist, behauptet dieser plötzlich, Iole nie geliebt zu haben. Diese wiederum verspürt unerklärliche Zuneigung für Ercole. Auf Weisung Giunones versenkt Somno Ercole in den Schlaf. Iole soll ihn töten, doch Hyllo entreißt ihr die Waffe. Der erwachende Ercole lässt seinen vermeintlich schuldigen Sohn in den Kerker werfen. Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten im Tempel überreicht Iole Ercole ein vergiftetes Gewand, wodurch er verbrennt. Giunone verkündet, dass er in die Schar der Götter aufgenommen werde und Bellezza zur Gattin erhalte. Die himmlische Hochzeit erinnert alle Zuschauer an die irdische.

Zum spartanischen Bühnenbild von Laurent Peduzzi, das vor allem hohe weiße Mauern und Stufen zeigt, kontrastieren Vanessa Sanninos Kostüme von überbordender Phantasie. Sie erdachte monströse Fabelwesen und stattete die Personen mit originellen und witzigen Attributen aus.

Die Musik ist bei Raphaël Pichon am Pult des Orchestra PYGMALION in besten Händen. Er lässt ihre Festlichkeit mit Bläserglanz aufstrahlen und bringt ihren tänzerischen Rhythmus zu starker Wirkung. Nahuel Di Pierro als Titelheld profitiert von seiner attraktiven Erscheinung und einem substanzreichen Bass. Das großspurige Wesen des Mannes, den ein imposanter Helm mit Federbusch schmückt, zeichnet er stimmlich auftrumpfend und mit Raum greifender Gebärde. Seine Todesszene im vergifteten Gewand gestaltet er in existentieller Not. Seine Gattin Deianira im plissierten griechischen Gewand singt Giuseppina Bridelli mit klangvollem Mezzo. In ihrem Schmerz und ihrer Würde ist sie eine Figur in der Nähe von Monteverdis Ottavia.

In einem Blütenkokon fährt Venere (Giulia Semenzato mit farbigem Sopran) aus der Tiefe hervor. Später schwebt sie vom Himmel in einem wunderlichen Gefährt mit Flügelchen herab. Der über und über mit Grünpflanzen und Algen bewachsene Nettuno fährt in einem U-Boot aus der Tiefe hervor – Luca Tittoto verleiht ihm profunde Basswürde. Die im Belcanto- und Barock-Repertoire erfolgreiche Anna Bonitatibus ist Giunone mit doppeltem Augenpaar, die aus den Lüften herabsteigt, später auf einem Pfau reitet oder in einem Ballon hereinschwebt und mit ihrem expressiven wie sinnlichen Mezzo ein vokales Glanzlicht setzt. Vier Tänzer begleiten ihren Auftritt und illustrieren auch die stürmische Sinfonia, die zum 2. Akt überleitet.

Diesen eröffnet das junge Paar – Krystian Adam als Hyllo mit lyrischem, aber auch dramatisch ausladendem Tenor und Francesca Aspromonte als Iole mit lieblichem, aber auch strengem Sopran –, auf Säulen aus dem Boden herausfahrend mit dem gefühlvollen Zwiegesang „Amor ardor più rari“. In einem Käfig gefangen, hängt Hyllo zu Beginn des 4. Aktes über einem Meer aus barocken Theaterwellen in der Luft. Im Wasser tummeln sich Schwimmer in gestreiften Badeanzügen, in der Luft sorgen Springer für akrobatische Einlagen. Den munteren Pagen im Renaissance-Kostüm, der Iole Ercoles Einladung zu einem gemeinsamen Spaziergang überbringt, gibt der Countertenor Ray Chenez mit angenehmer, jugendlicher Stimme. An seiner Seite ein Urgestein der Barockszene mit Dominique Visse als Ercoles Diener Licco mit glänzender Kugel auf dem Haupt. Der  Countertenor ist vor allem bizarrer Charakter und bedient sich eines grotesken Sprechgesangs. In commedia dell’arte-Manier vereinen sich die beiden Counter am Ende des 3. Aktes vor dem Vorhang zu einem komischen Zwiegesang. Im Fatsuit mit Zipfelmütze wird der stumme Somno hereingefahren, seine Gattin Pasithea im Gouvernanten-Outfit ist Eugénie Lefebvre mit lieblichem Sopran. Die Schlussszene zeigt die Hochzeit von Ercole und Bellezza, die in Sternenwagen durch die Lüfte herein schweben und vom Chor gebührend gefeiert werden. Bernd Hoppe