Weder klassisch noch modern

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Keine Sorge, die gleich dreifach als Cover für Blu-ray-Kassette, Booklet und auf der Silberscheibe  abgebildete, für den Sopran recht unvorteilhafte Szene kommt während der im Jahre 2014 stattgefunden habenden Aufführungen im Liceu von Barcelona gar nicht vor, und auch sonst scheint Unentschlossenheit das Wirken des Regisseurs Vincent Boussard bestimmt zu haben. Die schlägt sich einmal schon in den Kostümen von Christian Lacroix nieder, der sich nicht zwischen Moderne, Rokokoperücken und Mühlsteinkragen aus dem späten Mittelalter entscheiden konnte, während die Szene ( Vincent Lemaire) eine extrem dürftige ist mit ab und zu einer Bank oder einem Tisch und im Vordergrund einem Thronsesselchen, keinem Choreographen für den letzten Akt, und im Hintergrund senkt und hebt sich immer mal wieder eine Wand, lässt oft nur Beine oder Körper ohne Kopf sehen, was gegenüber dem Sopran gegenüber äußerst uncharmant ist, weil es ihn nicht gerade optimal erscheinen lässt. Zur Ulrica begibt man sich, wohl weil es schon spät ist, in Schlafanzügen, und warum eine Glühbirne zum Mond mutiert, bleibt das Geheimnis des Regisseurs, der zwischen der Scylla der modernen und der Charybdis der klassischen Regie hilflos umhersegelt und die Sänger allzu oft völlig im Stich lässt. Dafür haben sie alle Möglichkeiten, sich für ihre Arien in Positur zu stellen, was sicher nicht nur sie selbst, sondern auch der Hörer zu schätzen weiß. Bevor man zu ihnen kommt, muss man noch zur Kenntnis nehmen, dass der Video Direktor Fabrice Castanier keine gute Arbeit geleistet hat, Großaufnahmen von Nasenlöchern oder verwackelte Aufnahmen vom Publikum lassen einmal mehr einen in Rente gegangenen, früher allgegenwärtigen Könner dieses Metiers vermissen.

Trösten kann man sich mit den Sängerleistungen, in erster Linie mit der von Piotr Beczala als Riccardo, der mit makellos strahlenden Höhen, großzügiger Phrasierung im Liebesduett, einem sehr schön-schmerzlichen „Invan tu celi, Amelia“ besticht, beim Intervallsprung nach unten allerdings im Fahlen landet und recht herbe „dolci canzoni“ vernehmen lässt. Wenn auch ein letztes Bisschen von melancholischem Schimmer in der Stimme fehlt, so ist seine Leistung doch eine überaus achtbare. Ein bewährter Verdisänger ist seit langem Carlos Álvarez, dessen Bariton großzügige Bogen spannen kann, der über eine vorzügliche Diktion verfügt, machtvoll den Ruf nach Vendetta anführt und fermatenreich sein „Eri tu“ bewältigt. Viel attraktiver, als das unselige Cover vermuten lässt, ist die Amelia von Keri Alkema, mit eine reichen, üppigen Sopranstimme begabt, die weich und melancholisch ihr „Morrò, ma prima in grazia“ singt, ihr Vibrato zu bändigen weiß und sogar das rote Spielzeugauto der Lächerlichkeit entreißt. Imponierender in der Tiefe als in der Höhe ist Dolora Zajick als Ulrica und orgelt eindrucksvoll damit, keinen bubenhaften, sondern sehr mädchenhaften Sopran besitzt Katerina Tretyakova für den Oscar, und Damián Del Castillo ist vehement bis ungehobelt der Silvano. Angemessen düster äußern sich Antonio Di Matteo und Roman Ialcic als Verschwörer. Der Chor kann sich wegen mangelnder oder fehlgeleiteter Regie weitgehend aufs allerdings sehr erfreuliche Singen konzentrieren (Conxita Garcia), Renato Palumbo weiß seine große Erfahrung im italienischen Fach (Wir sind ja nicht beim Freischütz in Berlin.) gewinnbringend einzusetzen und das Symphony Orchestra of  the Gran Teatre del Liceu (wie es im Booklet genannt wird) zum sicheren Sängerbegleiter zu machen (C-Major766804). Ingrid Wanja