Schöne Retro

 

Es gibt Stimmen, die im Verlaufe der Jahre und einer Sängerkarriere reifen und solche die welken oder sich zumindest nicht weiter entwickeln. Natalie Dessay, zudem nicht von Stimmkrisen verschont, musste sich in ihren Vierzigern eingestehen, dass ihr feiner,  zarter, extrem höhensicherer  Sopran nicht Schritt hielt mit ihrer sonstigen Entwicklung, dass sie fürchten musste, auf der Bühne in einen Widerspruch zwischen akustischem und optischem Eindruck zu geraten. Sie zog daraus die Schlussfolgerung, ihre Bühnenlaufbahn zu beenden und tritt seitdem nur noch als Konzertsängerin auf. Erato hat auf drei CDs Höhepunkte ihres Könnens aus den Neunzigern und frühen Zweitausendern vereint mit Ausschnitten aus französischen, italienischen und deutschen Opern, dazu auch Strawinsky und Bernstein.

Es beginnt mit dem französischen Repertoire, der ersten Arie der Gounod-Juliette, die mehr noch als die Lebensfreude die Kindlichkeit der Veroneserin betont. Es folgt eine kapriziöse, charmante Massenet-Manon voller  Übermut und funkelndem Charme. Der höchste Ton aller Zeiten und Aufnahmen dürfte mit der Arie der Dinorah aus Meyerbeers Oper bewältigt werden, dazu ein virtuoses Zwiegespräch mit dem Soloinstrument und reihenweise glitzernde Acuti. Sanfte Melancholie kennzeichnet Thomas‘ Ophélie, gläsern klingende Töne sprechen von Zerbrechlichkeit und Gefährdung. Mit funkelnden Spitzentönen bezaubert seine Philine und lässt den Hörer allmählich ermüden nicht angesichts, sondern angehörts dieser  Pracht. Da sind die sanft wogenden Beiträge aus Lakmé eine willkommene Abwechslung, ehe es mit Offenbach und seiner Olympia wieder ins Virtuose zurückgeht und die Sängerin auch ihren Sinn für Komik beweisen kann.

Bellini, Donizetti und Verdi machen die zweite CD aus, von Verdi natürlich nur die beiden „leichten“ Partien der Gilda und der Violetta. Letztere ist mit der großen Arie aus dem 1. Akt vertreten, wobei „Sempre libera“ mit Abstand am besten gelingt, für „È strano“ die leichte Melancholie, die wie ein Schatten über der Stimme liegt, überzeugt, dazu die Exaktheit, mit der die Anweisungen des Komponisten befolgt werden. Andere Sängerinnen lassen die Stimme effektreicherer aufblühen, die Dessay bleibt stets zart, manchmal bis zum Verhuschten hin. Gilda bezaubert durch hingetupfte Koloraturen, ihr steht noch ein langer Weg bevor bis zum selbstbewussten Opfertod für den ungetreuen Duca. Ein lustvoll klingendes Spiel mit dem virtuosen Vermögen kennzeichnet die Amina der Dessay, ein ganz leichter Tonansatz, manchmal scheint sich das Streben nach dem Ätherischen zu verselbständigen, bis ein siegreicher Spitzenton das Ensemble überstrahlt. Einem sanften canto elegiaco gibt sich die zweite Bellini-Heldin, Elvira (außerdem auch Giulietta), hin und lässt virtuosen Ziergesang als das Müheloseste auf der Welt erscheinen. Lucia ist natürlich mit der Wahnsinnsszene vertreten, in der Lieblich und Erschreckend eine kunstvolle Einheit eingehen, die Sängerin bzw. ihre Schöpfung schon nicht mehr von dieser Welt zu sein scheint.

Die dritte CD ist dem deutschen Repertoire und anderem gewidmet und beginnt mit Mozart. Die erste Arie der Königin der Nach klingt angestrengt, viele Töne werden nur angetippt, ehe es mit den Koloraturen losgeht. So ist es auch mit der zweiten Arie, die man nachdrücklicher gesungen gewohnt ist, aber auch hier betört natürlich die Virtuosität. Für Pamina wüncht man sich eine substanzreichere Stimme, auch Konstanzes  zarte „Traurigkeit“ wirft die Frage auf, wie die Sängerin mit anderen Teilen der Partie fertig werden konnte. Das gilt natürlich weder für Strauss‘ Sophie noch für seine Zerbinetta, für die das Silbrige, das den Sopran auszeichnet, ideal ist und wo die Stimme funkeln und leuchten und mit einem Superspitzenton verblüffen kann. Händel, der mit Giulio Cesare und Alcina vertreten ist, kann Geschmäcklerisches vertragen und fragil Verführerisches, Bitter-Süßes, was alles Dessay diesen Damen zuteil werden lässt (d.h. nicht Alcina, sondern Morgana). „Glitter and be gay“ beginnt etwas verhuscht, aber dann dreht die Sängerin doch noch mächtig auf und verhilft den drei CDs zu einem triumphalen Abschluss (Erato 3 CD 0190295057787)Ingrid Wanja