Horoskope können lügen

 

Der Sternenhimmel, den Chantal Thomas für Chabriers Komödie L´ètoile bereits während der spritzigen Introduction auf den Zwischenvorhang der Dutch National Opera wirft, macht deutlich, um was es geht. Um die schicksalshafte Beziehung der Gestirne. Denn das Schicksal des Königs Ouf I. ist eng verknüpft mit dem des Hausierers Lazuli, den der Herrscher des „Königreichs der 23 Königreiche“ gerne als Nebenbuhler ausschalten und als Lustbarkeit für die Bevölkerung anlässlich eines Geburtstages hinrichten lassen möchte. Lazuli hat sich nämlich in Laoula verliebt, die Prinzessin des Nachbarreiches, die Ouf selbst heiraten möchte. Was er nicht ahnt ist, dass sich Laoula samt Botschafter, dessen Frau und dem Sekretär bereits in seinem Land befindet. Nachdem der Hofastrologe Siroco den König auf die von den Sternen beglaubigte Verbindung zwischen ihm und Lazuli hingewiesen hat, werden Folter und Hinrichtung gestoppt, denn die Lebenszeit des Königs ist unmittelbar mit der Lazulis verbunden. Am Ende erkennt Ouf, dass auch Horoskope irren können, gibt aber seine Einwilligung zur Hochzeit von Lazuli und Laoula. Eugène Leterie und Albert Vanloo haben im Libretto des 1877 am Théatre des Bouffes-Parisiens uraufgeführten L’étoile von Emmanuel Chabrier ein burleskes, wortgeschliffenes Durcheinander voll ungebührlichen Verhaltens und frecher Anspielungen im Reich des diktatorischen Ouf angerichtet. Der 36jährige Emmanuel Chabrier erzielte mit seinem Opernerstling einen angenehmen Erfolg und wurde als neuer Offenbach gefeiert, dennoch hat sich das Werk nicht gehalten. Gardiner hat es 1984 in Lyon wiederentdeckt und mit Colette Alliot-Lugaz als Lazuli, Ghyslaine Raphanel als Laoula und Georges Gautier als König Ouf aufgenommen (Erato DVD und CD). Zürich und die Berliner Staatsoper spielten 2010 L’étoile, der erst in unserem Jahrhundert wieder richtig an Strahlkraft aufnimmt. Frankfurt zog im Jahr darauf nach. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Laurent Pelly nach seinen Offenbach-Exkursionen auf den Stern von Chabrier stoßen würde, dessen zehn Jahre jüngeren Roi malgré lui er bereits 2005 in Lyon herausgebracht hatte.

Nun also 2014 in Amsterdam (Naxos 2.110595), wo Pelly das bizarre Königreich im Grau einer osteuropäischen Diktatur verortete, in dem einzig der Laden des Lazuli für Buntheit sorgt und in der das über unzählige Lautsprecher verkündete Wort des Königs mit durchgehendem Kopfnicken der Bevölkerung und seiner hundsköpfigen Schwergen akzeptiert wird. Mit süßen Schmeichelworten lädt der König beispielsweise Lazuli ein, auf dem Hinrichtungsstuhl Platz zu nehmen als handele es sich um eine Einladung zu Diner. Erst im zweiten Akt lichtet sich das Grau, wenn sich die Hofdamen als rosafarbene Schneeflocken mit Lazuli im Schloss vergnügen. Über einem Irrgarten aus Treppchen und Türen entwirft Pelly das höfische Leben dieser surrealen Farce als Gegenentwurf zur Trenchcoat-Tristesse und dem bedrohlichen Räderwerk des Staatsapparates des Anfangs mit augenzwinkernden Details, Slapstick-Nummern, anzüglichen Drolerien und inszenatorischen Apercus und verlässt sich vor allem auf den Esprit und Raffinesse der Musik und die schauspielerischen Qualitäten seiner Darsteller.

Patrick Fournillier bringt mit dem Residentie Orkest The Hague sowohl die elegante Feingliedrigkeit und Anmut von Chabriers Musik mit ihren elegant gespickten kurzen Terzetten, Quartetten, Rondos, Couplets und Romanzen zum Klingen als auch die alerte Rage und den Schwung der Ensembles, die bei Chabrier nie reißerische Kraft entfalten, sondern sublim bleiben. Die Equipe ist gut aufgestellt: Stéphanie d’Oustrac ist in der Hosenrolle des Lazuli ganz niedlich, vor allem im Couplet „Quand in aime“, nur in der Tiefe, manchmal auch in der stark geforderten Mittellage der vielen Sprechtexte, wird ihr höhenstarker Mezzosopran etwas fahl. Die in diesem Repertoire versierte Hélène Guilmette gibt mit feiner Artikulation, kluger Diktion und angenehmen Höhe eine reizende Laoula. Roi Ouf, der bei Pelly wie eine Reminiszenz an Felsensteins Bobèche wirkt, ist bei dem schmalstimmigen Charaktertenor und eminenten Darsteller Christophe Mortagne gut aufgehoben, der zusammen mit dem recht profunden Bass Jérome Varnier als Siroco aus dem Duo de la Chartreuse verte ein Kabinettstückchen macht. Der kanadische Bariton Elljot Madore  als Botschafter Hérisson de Porc-Épic (=Stachelschwein) ist treffsicher besetzt. Dazu die rund klingende Mezzosopranistin Julie Boulianne als Botschaftergattin Aloés, der Tenor Francois Piolino als Sekretär Tapioca, die im Quatuor mit Lazuli und Laoula „Quand on veut ranimer sa belle“ von zuckriger Zartheit sind, und vor allem der minutiös instruierte Chorus of Dutch National Opera. Ein Teil der Amsterdamer Besetzung traf sich übrigens zwei Jahre später in London wieder zu Mariame Cléments L’étoile am Königlichen Opernhaus Covent Garden. Pellys Inszenierung kam bislang allerdings nicht über Amsterdam hinaus. Rolf Fath