Theater auf dem Theater

cavcavalle

„Viva Bajazzo“, „Evviva“ rufen die Zuschauer in den vorderen Reihen der Nederlandse Opera, springen zu den Trompetenklängen von ihren Sitzen auf und eilen mit den Kindern auf die Bühne. Es handelt sich um den Chor der Dutch National Opera, der aus der Mitte des Publikums ins Geschehen eingreift und den Eindruck vermittelt als seinen alle Zuschauer als Dörfler unmittelbar an den folgenden Ereignissen beteiligt. Zur Aufführung der Harlekinade der Pagliacci haben sie sich wieder auf ihren Plätzen eingefunden. Ein netter, vielfach praktizierter Kunstgriff zur Durchbrechung der vierten Wand und einer vorgeblichen Interaktion zwischen Bühne und Publikum, um das Theater als eigentlichen Handlungsort zu definieren. Robert Carsen hat das vielfach praktiziert, bereits in seinem Mefistofele 1988 in Genf, am elegantesten vielleicht in Les contes d’ Hoffmann 2000 an der Pariser Opéra, deren Kantine, Orchestergraben und Zuschauerraum als Stationen auf der Bühne detailliert nachgebildet waren, und vier Jahre später in Capriccio als Spiegelung des Palais Garnier. Der Effekt mit dem „Theater auf dem Theater“, dem sich am Ende in einer Spiegelrückwand wiedererkennenden Publikum usw., wirkte in Carsens Tosca und Die Sache Makropoulos bereits etwas abgegriffenNun also verband der Kanadier zum Spielzeitbeginn 2019/20 an der Dutch National Opera neuerlich Theaterräume und -Träume und -Metaphern zu einem aparten, gleichwohl vorhersehbaren und routiniert abgespulten und nach den Pagliacci nicht wirklich bündigen Abend. Das klappt wunderbar im Backstage-Bereich zwischen schwarzen Hängern und Boxen, Kulissen, Kleiderstangen und Schminktischen (Bühne: Radu Boruzescu), wo sich Nedda und Bühnenarbeiter Tonio, der anfangs im schwarzen Spielleiteroutfit mit Käppi à la Serebrennikov den Prolog sang, auf ihren Auftritt vorbereiten und Silvio als Fan mit Blumenstrauß hinzukommt, recht gut. Das klappt auch gut mit der Commedia, in der sich Schein und Realität durchdringen. Getragen wird das von Ailyn Perez, die mit schön durchgebildetem Sopran für die Nedda mit breiter Mittellage die ansonsten oft vermisste Dramatik und Stärke mitbringt, und für die lyrischen Momente ein duftiges Legato besitzt und süße Pianissimi verströmt. Hocherotisch ihr Duett mit dem smarten Mattia Olivieri als Silvio. Hier zeigen sich auch die Vorzüge des Marc Albrecht 2021/22 als Chefdirigent nachfolgenden Lorenzo Viotti, der bei seinem vorgezogenen Hausdebüt in solchen Momenten eine zauberisch innige Atmosphäre und leise Melancholie verströmt und ansonsten mit dem Netherlands Philharmonic Orchestra auf vitale Dramatik setzt. Der hinreichend zerrissen und leidenschaftlich agierende Brandon Jovanovich hatte am 18. und 28. September 2019 zwei nicht so gute Abende. Er klingt heißer, der Ton wie abgeschnürt, „Ridi, Pagliaccio“ in wüster Manier gepresst; auch an besseren Abenden ist er nicht für dieses Repertoire bestimmt. Marco Ciaponi wertet die Partie des Peppe mit gutem lyrischem Tenor auf.

In Cavalleria Rusticana geht des hinter der Bühne weiter: Der schreckensstarre Chor löst sich bei Turiddus Romanze langsam auf, die blutbesudelten Nedda und Silvio erheben sich, Canio geht ab. Die Chorist*innen platzieren sich hinter ihren beweglichen Schminktischen, zum Duft der Orangenblüten werfen sie sich ihre Alltagskleidung über die mehrheitlich schwarze Unterwäsche (Kostüme: Annemarie Woods). Nach dem Intermezzo darf man ihnen dann neuerlich beim Umziehen zuschauen, bevor Turiddu die Flaschen kreisen lässt. Elena Zilio, die seit zwanzig Jahren als starke Comprimaria die Ernte einer irgendwann um 1970 begonnenen Karriere einfährt, übernimmt als Mamma Lucia die Aufgaben einer Stage Managerin, erteilt Anweisungen und verteilt die Noten für die von Ching-Lien Wu geleiteten Chorprobe. Turiddu, Alfio und Lola sind Mitglieder des Chores. Santuzza ist offenbar die Diva der Truppe. Anita Rachvelishvili singt als ginge es um ihr Leben. Mit ihrem glockengleich gewaltigen, bruchlos bis zum hohen C geführten Mezzosopran von großer Schönheit und zarter Eleganz, ihrer raumgreifender Bühnenpräsenz und sich steigernden Intensität ist sie die Santuzza unserer Tage. Allein ihretwegen lohnt die DVD (Naxos 2.110670). Brian Jagde hat einen schönen, dunkel grundierten Tenor mit freier Höhe, der gut mit der Übergangslage des Turiddu zurechtkommt. Die Figur bleibt schwammig wie die des Alfio, den Roman Burdenko, wie zuvor auch den Tonio, mit wirkungsvoll robustem Bariton singt, Rihab Chaieb ist die Lola. Rolf Fath