Franco Corelli zum 100.

 

Corelli zum Hundertsten: am 8. April 2021 hätte Franco Corelli (Ancona, 8. April 1921 – Mailand, 29. Oktober 2003) dieses Alter erreicht. Noch immer ist er  (der 1976 mit nur 55 Jahren zu singen aufhörte) in der Einschätzung seiner Fans und  – fast möchte man sagen – jedes Stimmenliebhabers ungeschlagen der beste, der wunderbarste, der unerreichte Tenor der Operngeschichte (und da zählt man seinen Pollione, Calaf, Cavaradossi, Rodolfo und viele andere im Geiste auf), zumindest solange die eigene Erinnerung reicht (als ganz junger Student sah ich Noma in Paris 1964 mit der eingeschränkten Callas und ihm, dies Erlebnis tief in der Seele eingebrannt). Die vielen Dokumente (besonders live und auch wie die zweite Callas-Norma im Studio) geben dem ja Recht. Diese Fanfarenstimme mit dem dunklen Gold darin (da werde ich jetzt ganz lyrisch), dieses unvergleichliche Timbre der typischen Italo-Männlichkeit, diese gewisse Nasalität der klingenden Konsonanten (eine vergessene Kunst!, was für eine Diktion!) und natürlich dieser Herzattacke-Appeal der Caesaren-Erscheinung mit dem markanten Profil und den langen Beinen machten und machen ihn zum Sex-Idol, einem Hollywood-Star gleich. Man merkt, auch ich schwärme.

Also fragten wir uns bei operalounge.de, wie erinnern wir – wo wie bei der Callas alles über ihn gesagt ist – an diesen Ausnahmetenor des heroischen italienischen Fachs? Und fanden ein historisches Interview, das unsere Freundin Cetty Amenta Gentile mit dem charmanten Sänger gemacht hat, als sie mit ihm 1993 anlässlich seines und nach ihm benannten Concorso für junge Sänger durch die Straßen von Ancona (wo eben dieser Wettbewerb stattfand und bis heute ausgeschrieben wird) bummelte. Gelegenheit zu einem langen, interessanten Schwatz. Danke Cetty. G. H.

 

Franco Corelli: Poliuto an der Scala/ Archivio storico dell Teatro alla Scala

In seiner Heimatstadt, wo er sich wegen des Wettbewerbes, der seinen Namen trägt, aufhielt, antwortet mir der Sänger auf Fragen auch außerhalb der üblichen Schemata von Erinnerungen und Anekdoten: die Oper als universelles, von Leidenschaft erfülltes Theater, die Ziele des Wettbewerbes, seine Pläne, den jungen Sängern zu helfen und dieser Kunstform ein neues Leben einzuhauchen.

Einerseits ist sich Corelli dessen bewusst, welch schwierige Zeit die Kunstform Oper gerade durchmacht, andererseits ist ihm klar, dass gerade jemand mit einer so glänzenden Karriere wie der seinen, mit Erfahrungen aus Amerika, die so wenig mit der italienischen Realität zu tun haben, sich darauf einlassen muss, einem Gesangswettbewerb seinen Namen zu geben und ihm vorzusitzen. „Wettbewerbe gibt es jede Menge, ihnen noch einen hinzufügen zu müssen, hat mich zunächst nicht überzeugt. Dann ist mir die Idee gekommen, dass ich aus diesem ‚meinen‘ Wettbewerb etwas Besonderes machen und den jungen Sängern etwas Besonderes bieten könnte, indem ich in die Jury Kollegen geholt habe, die sonst nicht so leicht für diese Art Tätigkeit zu gewinnen sind, zu denen ich aber noch sehr solide freundschaftliche Beziehungen unterhalte. So waren im vergangenen Jahr Anita Cerquetti und Rolando Panerai Jurymitglieder und in diesem Antonietta Stella und Giangiacomo Guelfi. Das sind alles Kollegen, die mit mir einer Meinung darüber sind, welche Qualitäten man von jungen Sängern erwarten sollte.“

Verbunden mit den Aktivitäten für den Wettbewerb ist der Wunsch, in seiner Heimatstadt Ancona wieder ein musikalisches Leben erwecken zu können, das mit der Zerstörung des Opernhauses im Zweiten Weltkrieg fast erloschen war. Die Marken sind in diesem Jahrhundert eine der Regionen gewesen, die Italien eine Vielzahl berühmter Sänger geschenkt haben: Beniamino Gigli, Renata Tebaldi, Anita Cerquetti, Sesto Bruscatini und natürlich Franco Corelli selbst. Corelli hat einen Traum – gleichzeitig Ancona wieder zu einer Stadt der Oper zu machen und jungen Sängern von Talent den Weg in eine Karriere zu ebnen. „Aus diesem Grund ist der ‚Concorso Corelli‘ geboren, um in den unterschiedlichen Stimmtypen jeweils ‚die Stimme‘ zu finden, schön, begabt, und dieser Stimme zu ermöglichen, das Bestmögliche aus sich zu machen. Die Gaben, die ein Sänger besitzen muss, sind vielfältiger Natur, und darüber hinaus muss er die besitzen, im Publikum die Begeisterung zu wecken, die bis vor kurzer Zeit noch selbstverständlich war und die zu den Fundamenten dieser Kunstgattung gehört, die so einzigartig ist, weil sie die menschlichen Leidenschaften widerspiegelt und von den ewigen und universellen Gefühlen erzählt.

Der ganz junge Franco Corelli als Enea in Guerrinis Oper/401DutchOperas.com, dazu auch unser Artikel zur Oper selbst

Die Oper lebt für und entsteht aus den Menschen, die diese Melodien als Ausdruck des eigenen Gefühls erfahren. Aber um die Herzen schneller schlagen zu lassen und diese Gefühle ausdrücken zu können, braucht man schöne Stimmen, die zum Legatosingen erzogen wurden und über eine korrekte Technik verfügen. Ein warmes, verführerisches Timbre reicht nicht, sowie auch die Beherrschung der Technik allein nicht ausreichend ist. Beides muss in gleichem Maße vorhanden sein, dazu noch schauspielerisches Temperament und absolute Disziplin. Kopf, Herz und Stimme müssen beim Künstler eine sich ergänzende Einheit bilden. Vom Gehirn hängt die notwendige Kontrolle ab und die Herrschaft über das eigene Gefühlsleben. Dieses wieder muss reich entwickelt sein, damit der Künstler sich in die Personen einfühlen kann, die er darstellt, ja zu denen er werden muss. Sich in eine fremde Person gleichsam ‚fallen‘ zu lassen, ist eine der wichtigsten Gaben, auch weil das Publikum nur dann das Gefühl hat, die Geschichte, die auf der Bühne erzählt wird, selbst zu erleben. Erst so entsteht das galvanische Feld, das Bühne und Parkett miteinander vereint. Ich habe es meiner Stimme abverlangt, mit dem Orchester zu singen, d. h., mir die Melodie aus den Klängen der Instrumente zu holen und sie zu der meiner Stimme zu machen. Ich glaube, dass man dann einen magischen Punkt erreicht, an dem man sich mit sich selbst völlig in Einklang befindet, weil man weiß, das Äußerste von dem, was möglich ist, erreicht zu haben. Die Oper kann nur dann das Publikum erreichen, wenn sie auf höchstem Niveau aufgeführt wird. Dazu braucht man große Stimmen und gute Dirigenten, die das Orchester mit dem Sänger atmen lassen und diesen auf die Farbe hinweisen, in der er singen muss. Karajan zum Beispiel sagte mir bei den Proben zur Blumenarie aus Carmen: ‚Hör dir die Takte vor deinem Einsatz an und versuche die Farben des Orchesters aufzunehmen.‘ Wenn du einen guten Dirigenten hast, wird deine Stimme schön, weil du mit dem Herzen singst. Caruso hatte eine schöne Stimme, aber seine wahre Größe lag darin, dass er mit dem Herzen sang, das noch größer als seine Stimme war, dass er die Stimme mit einer Wärme erfüllten konnte, die dich erschauern macht. Einen anderen Weg gibt es nicht: Die Stimme muss aus dem Herzen kommen. Das ist logisch, denn die Oper drückt Leidenschaften aus. Es gibt keine Oper, in der nicht die starken Gefühle vorherrschen: Liebe, Hass, Schuld, Vergeben oder Rache. Wenn du das Herz nicht sprechen lässt, das der Stimme ihre Farbe gibt, wenn du nicht mit Gefühl singst, dann kannst du nicht ausdrücken, was du singst. Und dann geht der Zauber verloren, der das Gefühl des Publikums anspricht.“

Es gab Rollen, die Corelli vor allem deswegen sang, weil sie ihn von ihrem Charakter her ansprachen, zum Beispiel Roméo, dessen romantischer Welt er sich nahe fühlte. Andere haben ihn wegen der vokalen Schwierigkeiten gereizt, aber alle wurden gesungen „mit viel Gefühl. Ständiges Lernen und die Technik helfen nur, die schwierigen Stellen zu beherrschen, aber der Instinkt sagt dir, wie du die Partie gestalten musst. Der Instinkt, das Temperament bewirkt es, dass keine Vorstellung wie die andere ist, auch wenn natürlich die Emotion nicht so stark sein darf, dass du die Kontrolle verlierst. Kontrolle muss sein, denn sonst verschließt dir das Gefühl die Kehle. Wenn du dich in schönem Einklang mit dem Orchester befindest, kann dich eine schöne Phrase zu Tränen rühren, und wenn du dieses Gefühl dem Publikum vermitteln kannst, sind das die schönsten Momente, die man sich denken kann.“ Wir kommen gerade am Dom vorbei, und das bringt mich auf die sehr persönliche Frage nach seinem Glauben. „Ich bin gläubig und habe daraus nie ein Geheimnis gemacht. Während der Karriere habe ich immer das Kreuzeszeichen gemacht, ehe ich die Bühne betreten habe, und oft habe ich Gott gebeten, mir in den schwierigen Momenten beizustehen und habe seine Gegenwart gefühlt. Meine Frau ist noch gläubiger und geht jeden Sonntag in die Kirche. Ich bin da etwas weniger konstant, aber ich wende mich oft an Gott und gehe gern in eine Kirche, auch ohne dass dort gerade ein Gottesdienst stattfindet. In den schönen Kirchen umfängt mich eine ganz besondere Atmosphäre. Ich empfinde auch geistliche Musik in einer besonderen Weise. Wenn ich in der Kirche eine Orgel höre, bin aufrichtig bewegt, ich will mich nicht dazu versteigen zu behaupten, dass ich mich Gott näher fühle, aber ein bisschen ist es schon so. Manchmal denke ich, dass meine Stimme für religiöse Musik besonders geeignet war, nachdem ich sie nach den ersten Karrierejahren zu einer dolcezza gebildet hatte, die sie am Anfang meiner Karriere noch nicht hatte. Ich habe den richtigen Klang zum Beispiel für das ‚Ingemisco‘ in Verdis Requiem gesucht, ein Werk, das für mich eine besondere Bedeutung hat. Ich habe es zum ersten Mal kurz nach dem Tod meiner Mutter gesungen, mit der ich durch ein tiefes Gefühl verbunden war, und habe das Gelübde abgelegt, so lange eine schwarze Krawatte zu tragen, bis ich Verdis Requiem gesungen und ihr diesen Abend gewidmet hätte. Bei den beiden Gelegenheiten, zu denen ich Verdis Werk gesungen habe, ist mir dies nicht gelungen, und so trage ich noch heute eine schwarze Krawatte, weil ich mein Gelöbnis nicht erfüllen konnte.“

Franco Corelli als Pollione in Paris 1964/ Fotp Opéra de Paris/Emi/Warnber

Ich bringe das Gespräch auf ein weniger persönliches Thema, nämlich die unterschiedliche Einschätzung der populären Werke durch Publikum und Kritik. „Ja, nicht alle Kritiker mögen die Werke, die das Publikum besonders liebt. Ich denke, dass Publikum und Kritik auf unterschiedliche Weise an die Oper herangehen. Die Leute gehen in die Bohème, weil sie ihr Gefühl anspricht. Ich glaube nicht, dass man eine Oper oberflächlich nennen kann, die die Menschen berührt. Anders ist es mit Wagner, der sehr tiefgründige Musik geschrieben hat, um deren Verstehen man sich bemühen muss, die aber zugleich unermesslich sensibel ist und die mich sehr ergreift. Wagner trägt dich wirklich in den Himmel, er hat die himmlische Liebe besungen, aber man lebt nicht nur von Geist. Außerdem kann man Wagners Musik nur genießen, wenn man eine gute musikalische Schulung durchgemacht hat. Und man braucht viel Geduld, um fünf Stunden lang im Theater auszuharren. Wir brauchen Bohème und Butterfly, so herrlich auch das Liebesduett aus Tristan sein mag, die uns mit Tränen in den Augen aus dem Theater kommen lassen, weil sie den direkten Weg zu unserem Herzen finden. Über die moderne Oper möchte ich nicht sprechen, weil ich zu wenig davon kenne. Was ich gehört habe, hat nicht den Eindruck auf mich gemacht, den die Musik, die bis zum Anfang unseres Jahrhunderts geschrieben wurde, auf mich ausübt. Mir scheint die moderne Musik nur für einen kleinen Kreis von Insidern bestimmt zu sein, nicht für das große Publikum. Letztendlich glaube ich, dass man nicht mehr und nicht weniger von der Oper erwarten kann, als dass die Leute glücklich und und bewegt aus dem Theater kommen. Gar nicht einverstanden bin ich mit der Übertragung von Opernhandlungen in eine andere Zeit oder ein anderes Ambiente. Wenn man das Publikum damit beeindrucken will, erzielt man eher den entgegengesetzten Effekt, indem man dem Werk einen Teil seiner Substanz nimmt, denn es ist die Poesie der Geschichte, die die Phantasie des Publikums weckt. Ganz bestimmt lassen diese Regieeinfälle nicht das Publikum, auch nicht das jüngere, in die Opernhäuser strömen. Heute scheinen die Stimmen etwas weniger hoch im Kurs zu stehen, aber meiner Meinung nach kommen die Menschen in erster Linie in die Oper, um schöne Stimmen zu hören und Interpreten zu sehen, die sich natürlich und angemessen auf der Bühne zu bewegen vermögen. Was aber hat es für einen Sinn, König Artus und seine Ritter in Straßenanzügen in der Bronx agieren zu lassen? Außerdem erfordert eine bestimmte Musiksprache auch die entsprechende Optik, beides dem Kontext verhaftet, in dem es geschaffen wurde. Ich glaube, die Oper wird dann den meisten Erfolg haben, wenn sie sich selbst treu bleibt. Man kann sie mit einer schönen Frau vergleichen: ein schönes, elegantes Kleid, das sich ihren Formen anschmiegt, lässt sie noch bewundernswerter erscheinen, ein Kleidchen wie für einen Teenager aber lächerlich.“

Franco Corelli mit Franca Duval im RAI-Film der „Tosca“/ COD

Wir sprechen über die Zukunft der Oper, über die erdrückenden Begleiterscheinungen wie Organisation, über Betriebskosten, über andere Wege, die Oper angesichts der schwindenden finaziellen Mittel und Einsparungen zu retten. Auch eine Reiseoper wäre eine gute Sache. Das würde das Repertoiretheater in die italienische Provinz zurückbringen. Aber natürlich müsste es sich um wirklich gute Produktionen handeln. Schließlich haben in der Vergangenheit ganz große Künstler wie Gigli oder die Caniglia in diesen Theatern gewirkt. Aber man muss auch den Opernzirkeln eine große Aufmerksamkeit widmen, denn sie gaben einmal jungen Sängern die Möglichkeit für Auftritte und zum anderen brachten sie die jungen Leute in die Vorstellungen.

Widmen sich Ihrer Meinung nach Schulen und die Medien genügend der Musik, insbesondere der Oper? „In Italien sicherlich nicht. Einzig das Radio tut dies wirklich kontinuierlich. Wenig Platz findet die Oper in der Presse, in den Tageszeitungen und Zeitschriften. Wenigstens gibt es Fachzeitschriften, aber die werden vor allem von denen gekauft, die sowieso die Oper als Teil ihres Lebens ansehen. Das Fernsehen ignoriert die Oper fast. Die Traviata, die gerade übertragen wurde, macht da eine Ausnahme. Die Ausrede ist, dass es zu wenig Zuschauer geben würde und die Plattenfirmen keine Werbung während der Opernübertragung wünschen. Im Satellitenfernsehen hat man das Problem damit gelöst, dass man immer wieder dieselben Programme wiederholt. Ich glaube aber, dass man der Kultur einen viel größeren Raum zugestehen müsste, und ich bin überzeugt, dass man mit etwas mehr Wissen darüber auch das heute so beklagte Fehlen überwinden könnte. Würde man mehr Kultur in Fernsehen und Radio verbreiten, würden auch andere Medien, beginnend mit der CD, davon profitieren.“

Franco Corelli mit Anita Cerquetti und Giulio Neri beim Applaus nach der berühmten römischen Normna 1958/ Archivio storico del L´Opera di Roma

Ich komme noch einmal auf die Traviata im Fernsehen, die ja als historisches Ereignis angekündigt wurde, zurück. Welches Urteil fällen Sie darüber? „Das, was ich davon gesehen habe, hat mich sehr erstaunt. Vor allem glaube ich nicht, dass die akustische Seite direkt übertragen wurde. Aber das ist nicht das Problem, vieles an der Produktion hat mich einfach kaltgelassen und hat mir nicht gefallen. Darüber hinaus glaube ich, dass es ein überaus teures Unternehmen war, von dem man bald überhaupt nicht mehr sprechen wird. Sehen Sie, die Oper wird für das Theater gemacht, und hier wird sie geboren. Diese Ansiedlungen im Freien mögen als Bilder faszinierend sein, aber sie leugnen die Einbildungskraft, aus der die Oper sich nährt. Ganz zu schweigen vom Klang, der so nie optimal sein kann, weil er nie die richtige pastosità erreicht und auch weil die Mikrofone, die man zwangsläufig braucht, wegen ihrer Nähe den Ton verändern und verfälschen. Da ist es dann besser, eine Theaterproduktion mit der Kamera aufzunehmend und anschließend zu senden.“

Am Beginn Ihrer Karriere haben Sie ein sehr ungewöhnliches Repertoire für einen italienischen Tenor gesungen, nämlich Händel, Prokofjew, Guerrini. Waren das Zufälle? „Wenn ein Theater einem Sänger drei oder vier Titel anbietet und darunter befindet sich auch einer außerhalb seines Repertoires, dann erfordert es einfach die Höflichkeit zu akzeptieren. Andere, bekanntere Opern habe ich deshalb nicht öfter gesungen, weil ich zur selben Zeit Rollen sang, die mit ihnen nicht vereinbar waren. Es ist immer klug, nicht gleichzeitig Rollen zu singen, die ganz unterschiedliche Anforderungen an die Stimme stellen.“

Franco Corelli und Leontyne Price mit Intendant Rudolf Bing nach dem Debüt Corellis im „Trovatore“/Foto Louis Melancon/Met Opera Archives

Haben Sie nach dem Ende Ihrer Karriere jemals den Wunsch gehabt, wieder auf die Bühne zurückzukehren? Man hörte von einigen Versuchen. „Singen ist eine wunderbare Sache, auf der Bühne zu stehen, geschminkt, in die Rolle einer bedeutenden Persönlichkeit geschlüpft zu sein. Es ist wie in einem Traum. Eine wunderbare Sache. Und man stelle sich vor, wie herrlich es ist, Musik zu machen, wunderbare Melodien, Töne an die Menschen zu vermitteln, wenn schon Musikhören so viel bedeutet. Für mich ist nicht der hohe Ton die wichtigste Sache – er ist eine Art Heldentat, wenn er gelingt, bist du glücklich –, sondern die Melodie. Die Liebe, die du in dir trägst, zu den Menschen zu bringen, ist wie eine allumfassende spirituelle Umarmung, und du fühlst dich aufs Schönste belohnt. Die Augenblicke zu finden, in denen die Stimme pure Melodie wird und sie zum Publikum gelangen lassen, ist das Höchste. Vibrieren und das Publikum vibrieren lassen, dass sich mit dir in einem Akt sublimer Liebe vereint, ist die schönste und erregendste Sache des Lebens. Du kannst dir selbst sagen: Der Komponist hat diese Süße geschaffen, und dir ist es gelungen, sie an das Publikum zu vermitteln. Es bedeutet, dass man die Fülle des Lebens spürt. Aber man singt auch für sich selbst, und das auch, wenn man sich noch mitten in der Karriere befindet. Es ist nicht so, dass ich heute nicht mehr singe, aber ich tue es nur für mich selbst. Ich will nicht verbergen, dass ich mich manchmal dabei überrasche, eine schöne Phrase aufnehmen zu wollen – aber wie würde sich das im Vergleich mit zwanzig Jahren zuvor wohl anhören? Ich glaube nicht, dass ich noch jemals vor Publikum singen werde, ich habe nicht einmal darüber nachgedacht, und deshalb halte ich die Stimme auch nicht fit. Aber einmal aufnehmen, was ich jetzt singe – wer weiß?“

Franco Corelli mit Maria Callas nach der „Tosca“ an der Met 1965/ Foto Melanco/Met Opera Archives

Eine letzte Frage: Welche nichtveröffentlichten Einspielungen können wir noch erhoffen? „Ja, einiges gibt es noch. Plattenfirmen, die etwas mit mir aufgenommen haben, habe ich nach dem Verbleib der Bänder gefragt und bekam die lakonische Antwort, sie seien verlorengegangen. Meine privaten Aufnahmen wurden leider nur gemacht, um die Stimme zu überprüfen. Ich habe auch Teile von schweren Parteien aufgenommen, um auszuprobieren, ob ich die Rollen würde singen können. Oft sind die Phrasen auch einen Ton höher gesungen. Wissen Sie, das Einstudieren ist wie die Vorbereitung zu einem Wettkampf. Wenn du ruhig in den Kampf gehen willst, musst du während des Trainings mehr erreicht haben, als für den Ernstfall notwendig ist. Das heißt aber auch, dass diese Aufnahmen keinen Versuch einer Interpretation enthalten (und dass das von mir überlebt, ist mir das Wichtigste). Es handelt sich bei diesen Versuchen um Rollen, die ich nie im Theater singen wollte. Sie zeigten mir nur, wie weit ich gehen konnte. Das sind Bände, die seit Jahren herumliegen. Man müsste erst einmal prüfen, ob sie überhaupt noch intakt sind. Vielleicht hat die Zeit sie schon für immer unbrauchbar gemacht. Einiges könnte man vielleicht herausziehen, aber es wäre eine große Gefühlsanstrengung, diese Bänder wiederzuhören und eventuell etwas auszuwählen.“ (Übers.: Ingrid Wanja; Transcript Daniel Hauser – Dank an beide!)

 

 Foto oben Corelli als Rodolfo an der Met/Foto Davidson; und für alles, was Corelli betrifft, auch die umfangreiche Discographie an Studio- und Live-Aufnahmen,  empfehle ich das ultimative Buch von René Seghers: „Franco Corelli – Prince of tenors“. In: Opera Biography. Nr. 17. Amadeus Press, New York 2008, ISBN 978-1-61774-684-0. und die Beiträge in operanostalgia.be; unbedingt habenswert wie auch die beiden Bücher, die wir woanders vorstellten. Dank auch an Jan Neckers, einem we<iteren Corelkli-Spezialisten, der bei operanostalgia.be einen bewegenden Artikel über seine Begegnungen mit Corelli schrieb.