Archiv für den Monat: März 2017

„Ah, che muso…“

 

„Sì, sì, sì, sì!“ singt Tisbe in der Introduzione von Rossinis Melodramma giocoso La Cenerentola – und so lautet auch der Titel eines neuen Albums von Marie-Nicole Lemieux bei Erato/Warner, das ganz dem Komponisten aus Pesaro gewidmet ist (0190295953263). Leider ist Angelinas berühmtes Schlussrondo aus dieser Oper nicht im Programm enthalten, dafür viele andere bekannte Perlen und auch einige seltener zu hörende Nummern. Mit Isabellas „Cruda sorte!“ aus der Italiana in Algeri beginnt die Auswahl, später folgt auch noch das kokette Rondo des 2. Aktes „Pensa alla patria“ mit seinem energischen Rezitativ „Amici, in ogni evento“. Lemieux gehört zur raren Spezies der contralti mit einer betörenden Stimme von profunder, satter Tiefe, sinnlichem Klang und souveräner, nur zuweilen etwas strenger Höhe, wie sie es seit den Zeiten von Lucia Valentini Terrani nicht mehr gegeben hat. Konsequent hat sie ihr Repertoire vorwiegend auf den Barock und Belcanto beschränkt, abgesehen von einigen Ausflügen in das Genre der französischen mélodies. Das hat ihrer Stimme das technische Finish und den Schmelz bewahrt, wie es auf dieser Platte eindrucksvoll zu hören ist. Ihr Gesang ist kultiviert, ihr Vortrag stets geschmackvoll, auch bei den wohldosiert eingesetzten Effekten im Brustregister. Lemieux findet zudem bei den Verzierungen in den Dacapi originelle Varianten, was beispielsweise eine so sattsam bekannte Nummer wie Rosinas „Una voce“ aus dem Barbiere wie neu erklingen lässt.

Die Platte ist der Mitschnitt zweier Konzerte in der Opéra Berlioz Montpellier am 2. und 5. Dezember 2015, bei denen die bekannte Sopranistin Patrizia Ciofi ihr in einigen Duetten assistiert. Deren erstes ist – nach Tancredis Auftrittsszene „O patria!/„Di tanti palpiti“  – das große Duett des Titelhelden mit Amenaide im 2. Akt„Fiero incontro!”/„Lasciami“. Die Italienerin ist eine erprobte Interpretin dieser zentralen Partie des Werkes (auch beim Rossini Festival Pesaro) und behauptet sich mit ihrem bekannt wehmütigen Timbre souverän neben der Altistin, die mir reichem Pathos und starker Empfindung aufwartet. Die Stimmen verblenden sich ideal, auch im effektvollen Schlussteil mit seinen virtuosen Koloraturen.

In einen weiteren Dialog stimmt die Lemieux mit dem Bariton Julien Veronèse aus der weniger bekannten Opera buffa La pietra del paragone ein, in welchem sie die junge Clarice gibt, die vom Conte Asdrubale auf eine Liebesprobe gestellt wird. In den einleitenden Takten lässt Pascal Scheuir feine Horn-Töne hören und auch das Orchestre national de Montpellier Occitaine spielt unter Enrique Mazzola außerordentlich delikat und einfühlsam, wie man es schon in der Einleitung zu Tancredis Auftritt hörte. Es weiß aber auch dramatische und spannende Akzente zu setzen, so im aufgewühlten Vorspiel zu Edoardos Szene „Sazia tu fossi alfine“ aus der Matilde di Shabran, in welcher ein weiterer hochklassiger Hornist (Sylvain Carboni) mit perfekten Trillern brilliert. Die Arie„Ah! Perché“ singt Lemieux mit schmerzlichem Ausdruck, den bewegten Schlussteil „Ah! se ancora“ mit stürmischer Emphase. In der großen Szene des Arsace im 2. Akt von Semiramide ist der Choeur des Hauses der Altistin ein inspirierender Partner. Einen Stimmungskontrast bringt das Duett zwischen der Dienerin Ninetta und dem jungen Bauernburschen Pippo aus La gazza ladra, das Ciofi und Lemieux in reizvolle Melancholie tauchen. Und beide Sängerinnen überraschen am Ende des Programms mit einem so noch nie gehörten „Duetto buffo di due gatti“, das gern als Schlussnummer oder Zugabe genommen wird. Das quietscht, gurrt und schnurrt, dass man gern das Lächeln auf den Gesichtern der Zuhörer im Saal sehen würde. Bernd Hoppe

Kompaktes Wissen auf 800 Seiten

 

„Der Leser dieses Lexikons sollte nicht vergessen, dass es sich um ein Nachschlagewerk und nicht um eine Anweisung zum Singen handelt. Es ist ein Lexikon für alle und es handelt vom Singen und Sprechen, insbesondere von den zahllosen faszinierenden und manchmal scheinbar nicht enden wollenden winzig kleinen Hinweisen darauf, wie wir singen und warum wir singen.“ Einer, der es wissen muss, ist der Bariton Thomas Hampson. Sein Markenzeichen ist die Vielseitigkeit. Mozart, Puccini, Wagner, Britten, Mahler, Lehár, Busoni sind nur einige Komponisten, denen er sich zuwandte. Lieder bilden einen festen Bestand seines Wirkens. Er hat das Geleitwort für das Lexikon der Gesangsstimme geschrieben, das im Laaber Verlag erschienen ist (ISBN 978-3-89007-546-4).

Äußerlich flößt das Buch mit seinen achthundert Seiten und fast zweieinhalb Kilogramm Gewicht durchaus Ehrfurcht ein. Das Papier ist relativ schwer, was einen gewissen Schutz bei häufiger Benutzung bietet. Denn dieses Werk will gebraucht und verwendet werden. Es gehört nicht hinter Glas oder in die oberste Reihe des Regals. Obwohl ich Bücher liebe und immer wieder neue und gebrauchte anschaffe, kann ich mir für später durchaus auch eine parallele Onlineausgabe vorstellen. Sie hätte den Vorteil, dass rasch aktualisiert und ergänzt werden kann. Auf einem Tablett ist sie transporttauglich. Immerhin gibt es im Anhang bereits Hinweise auf das Netz mit Adressen zum Thema allgemein, zu Datenbanken mit Tonaufnahmen, zu Wettbewerben, Festivals und Software. Alles solide. YouTube, wo sich mit den Jahren ein ganzes Gebirge von Dokumenten – nicht immer in bester Qualität und klarer Herkunft – aufgetürmt hat, kommt nicht vor. Wer sich für Gesang aller Gattungen interessiert, der ist mit diesem Buch hervorragend bedient. Eigenes Wissen kann abgefragt und überprüft werden.

Entscheidend aber ist der Zugewinn an neuen Fakten, Erkenntnissen und Sichtweisen. Geboten wird viel – nämlich „Geschichte, wissenschaftliche Grundlagen, Gesangstechniken, Interpreten“. So steht es im Untertitel, nicht als Versprechen, sondern als konkretes Angebot in schwarz auf weiß. Gesang als Teil der Kulturgeschichte. Eines dürften die Herausgeber Ann-Christine Mecke, Martin Pfleiderer, Bernhard Richter, Thomas Seedorf und die zahlreichen Autoren, die im Angang einzeln vorgestellt werden, nicht im Sinn gehabt haben, aus Besuchern von Opernvorstellungen und Liederabenden lupenreine Fachexperten zu machen. Es soll aber durchaus dazu ermuntert werden, persönliche Eindrücke gründlicher zu hinterfragen. Dazu gibt das Buch genügend Anstöße. Es kann nicht schaden, wenn an die Stelle von Enthusiasmus, der gewiss sein Gutes und Befreiendes hat, mehr kritische Wahrnehmung tritt. Das Publikum lässt manchen Sängern vor allem im hochdramatischen Wagner- und Strauss-Fach zu viele Freizügigkeiten durchgehen.

In das Lexikon sind, dem Alphabet folgend, zahlreiche Sängerbiographien eingebaut. Zwischen den Genres wird nicht getrennt. Frank Sinatra und Bessie Smith kommen ebenso vor wie Leo Slezak und Peter Schreier. Der Verzicht auf Anna Netrebko und Jonas Kaufmann dürfte der Absicht geschuldet sein, vornehmlich abgeschlossene und für den fachspezifischen Ansatz des Lexikons typische Karrieren heranzuziehen und sich nicht von populären Aktualitäten und Beliebtheitsskalen treiben zu lassen. Nicht einmal Hampson wurde für sein kluges Geleitwort mit einem eigenen Artikel bedacht. Das spricht für Objektivität bei der Auswahl. Schließlich ist das Lexikon in erster Auflage erschienen, der noch viele weitere folgen mögen.

Das Teatro Regio di Turino auf einem Gemälde von Giovanni Michele Graneri aus dem Jahr 1752. Das Bild findet sich im Lexikon auf Seite 714.

Zwischen „Schwa-Laut“ (Zentralvokal, schwachtoniges e, Murmelvokal, Reduktionsvokal – wie in der zweiten Silbe von „Blume“ … ) und „Schwellton“ (mit dem Verweis auf Messa di voce) findet sich Elisabeth Schwarzkopf. Nach einem so kurzen wie prägnanten biografischen Abrisse, der auch die Debatte um ihre Mitgliedschaft in der NSDAP nicht ausklammert, wird ihr zugestanden, dass sie in den lyrischen Strauss-Partien wenig Konkurrenz fürchten musste, „weil sie in exemplarischer Weise zwischen den Kantilenen und dem Parlando-Charakter der Musik zu wechseln verstand, ohne jemals die Wortgestaltung zu vernachlässigen“. Die „Balance zwischen musikalischer Gestaltung und sprachlicher Artikulation“ habe auch ihren Liedgesang geprägt und „insbesondere dazu beigetragen, dem Liedschaffen Hugo Wolfs einen festen Platz im Repertoire zu sichern“. Und dann folgt eine Passage, die der Sängerin vom unvoreingenommenen Standpunkt eines Lexikons aus, Gerechtigkeit widerfahren lässt. So habe ich das empfunden. „Häufig wurde Schwarzkopf dafür kritisiert, dass sie ihre Fähigkeiten zum Färben der Stimme manieristisch überzogen und im Ausdruck häufig distanziert gewirkt habe.“ Diese Einwände, die sie selbst einmal süffisant mit der Bemerkung wegwischte, einer schreibe sie vom anderen ab, beträfen „jedoch gestalterisch von Schwarzkopf selbst gewählte Wege der Interpretation und keine stimmtechnischen Defizite“.

Parlando oder Liedgesang – Begriffe, die im Artikel Verwendung finden, können im Lexikon direkt oder zumindest thematisch vertieft und weiterverfolgt werden. Solcherart sind die Verknüpfungen dieses Nachschlagewerkes. Fachbegriffe stehen nicht für sich. Sie werden – auch für musikalische Laien sehr verständlich – an praktischen Beispielen und Sängerbiographien, die zudem mit Literaturhinweisen versehen sind, verdeutlicht und abgehandelt. Insofern sprengt die Neuerscheinung sogar den Rahmen des klassischen Lexikons, das von seinen Nutzern in der Regel erst dann herangezogen wird, wenn ein Begriff oder Sachverhalt der Erklärung bedarf. Ich habe sofort einige Stunden damit verbracht, darin zu lesen oder auch nur zu blättern wie in einem ganz gewöhnlichen Sachbuch. Wenn Abbildungen nicht gerade den bei diesem Thema notwendigen Blick in den menschlichen Rachenraum eröffnen, verbreitet das Gesangsstimme-Lexikon durchaus Sinnlichkeit. Es ist ihm eine große Verbreitung zu wünschen. Singen habe ich bei der Lektüre – wie von Thomas Hampson im Geleitwort prophezeit – allerdings nicht gelernt. Rüdiger Winter

 

Das Bild oben zeigt Maria Malibran: Der belgische Maler Henri Decaisne hat die legendäre Sängerin auf seinem Gemälde von 1830 als Desdemona in Rossinis Oper Otello dargestellt. Es findet sich im Farbbildteil des Lexikons auf Seite 718. Im entsprechenden Artikel heißt es. „Malibran hat, wie zur damaligen Zeit üblich, einige Partien in transponierter Gestalt gesungen und Arien und ganze Szenen in die von ihr gesungenen Werke eingelegt. So ersetzte sie beispielsweise bei ihrer Darbietung von Bellinis Capuleti e i Montecchi das Finale der Oper durch die analoge Szene aus Nicola Vaccais Giulietta e Romeo.“ Das machte ihr in moderner Zeit die Kollegin Marilyn Horne nach, wie auf zwei Mitschnitten aus Dallas und New York zu hören ist….

Kurt Moll

 

Der große deutsche Bassist Kurt Moll (* 11. April 1938 in Buir bei Kerpen) starb am 5. März 2017, wie wir mit großem Bedauern hören.

Dazu schreibt die Bayerische Staatsoper München: Die Bayerische Staatsoper trauert um Kurt Moll, der am 5. März 2017 nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 78 Jahren verstorben ist. Der in Buir bei Köln geborene Bass war über Jahrzehnte einer der wichtigsten Interpreten seines Faches. Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper: „Wie kein anderer vermochte es Kurt Moll, die großen Bass-Partien von Wagner, Mozart und Strauss zum Leben zu erwecken. Sein Tod ist ein großer Verlust für die Bayerische Staatsoper und alle unsere Mitarbeiter, für sein Publikum in München, Deutschland und der ganzen Welt.“ Die Staatsoper widmet dem Bayerischen Kammersänger die Vorstellung von Mozarts Die Entführung aus dem Serail am 24. März 2017.

Nach dem Studium an der Kölner Musikhochschule führten erste Engagements Kurt Moll nach Aachen, Mainz und Wuppertal, der internationaler Durchbruch gelang 1970 bei den Salzburger Festspielen als Sarastro in Die Zauberflöte. Sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper feierte Moll 1971 als Einspringer in Die Meistersinger von Nürnberg. Die Partie des Veit Pogner begleitete ihn durch seine Karriere. Andere Wagner-Partien in München waren König Marke (Tristan und Isolde), Landgraf Hermann (Tannhäuser), Gurnemanz (Parsifal), Daland (Der fliegende Holländer), König Heinrich (Lohengrin), Fasolt (Das Rheingold), Hunding (Die Walküre). Mozarts Sarastro bleibt auch in München eine Lebensrolle, darüber hinaus sang er hier Osmin (Die Entführung aus dem Serail), Komtur (Don Giovanni), Don Alfonso (Così fan tutte) oder Bartolo (Le nozze di Figaro). Des Weiteren umfasste das Repertoire in seinen 45 Münchner Jahren unter anderem Rocco (Fidelio), Ochs auf Lerchenau (Der Rosenkavalier), Pimen (Boris Godunow), Sir Morosus (Die schweigsame Frau), Seneca (L’incoronazione di Poppea), Padre Guardino (La forza del destino), Ramfis (Aida), Sparafucile (Rigoletto), Gremin (Eugen Onegin) oder Schigolch (Lulu).

Am 31. Juli 2006 nahm Kurt Moll als Nachwächter in Die Meistersinger von Nürnberg Abschied von seinem Münchner Publikum. Gastspiele führten ihn an allen großen Opernhäusern der Welt, insbesondere sang er neben München in Hamburg, Wien, Bayreuth und Salzburg. Kurt Moll ist Bayerischer, Hamburger und Wiener Kammersänger und war Gesangsprofessor an der Kölner Musikhochschule. 2002 erhielt er den Maximilianorden.

 

Und Wikipedia ergänzt: Kurt Moll lernte in seiner Jugend Gitarre und Cello und war Solist im Schulchor. Dann studierte er an der Kölner Hochschule für Musik und privat bei Emmy Müller in Krefeld. Mit 20 begann er seine berufliche Laufbahn an der Kölner Oper und wurde kurz danach nach Aachen eingeladen. Darauf folgte das Mainzer Staatstheater und ein Vertrag als erster Bassist in Wuppertal.

Bei den Bayreuther Festspielen debütierte er 1967. Seinen internationalen Durchbruch hatte er 1970 bei den Salzburger Festspielen als Sarastro (Die Zauberflöte). 1972 hatte er sein Debüt an der Mailänder Scala als Osmin (Die Entführung aus dem Serail), 1974 sein USA-Debüt in San Francisco als Gurnemanz (Parsifal). An der Metropolitan Opera in New York trat er erstmals in der Saison 1979 auf und sang unter anderem den Rocco (Fidelio) und Sparafucile (Rigoletto).

Seine Karriere führte ihn auch nach Hamburg, Wien, Bayreuth, Salzburg und München. Er war Bayerischer, Hamburger und Österreichischer Kammersänger und Gesangsprofessor an der Kölner Musikhochschule.Am 31. Juli 2006 verabschiedete sich Kurt Moll in der Rolle des Nachtwächters in Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg bei den Münchner Opernfestspielen von der Opernbühne. Zuvor hatte er bekannt gegeben, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen von der Opernbühne zurückziehen müsse.
Im Zentrum von Kurt Molls Repertoire standen die großen Basspartien von Mozart, Wagner und Strauss, doch sang er auch Basspartien von Carl Maria von Weber wie den Eremiten in Der Freischütz oder den Inquisitor in Sergei Sergejewitsch Prokofjews Oper Der feurige Engel, op. 37. Partien wie Osmin, Sarastro, Falstaff oder Gurnemanz hat Kurt Moll auch in Platten-Produktionen unter u. a. Sir Georg Solti, Herbert von Karajan, Wolfgang Sawallisch und Karl Böhm gesungen.

Kurt Moll war auch Liedersänger. Er nahm 1983 den Liederzyklus Winterreise von Franz Schubert mit Cord Garben als Begleiter am Klavier auf. Darüber hinaus nahm er mit demselben Klavierbegleiter 1996 auch 2 CDs mit Balladen von Carl Loewe im Rahmen einer Gesamtaufnahme aller Loewe-Lieder auf (Foto oben Bruce Duffy). (Wikipedia)

Rossinis Champion

 

Alberto Zedda (* 2. Januar 1928 in Mailand),  italienischer Dirigent und Musikwissenschaftler starb am 5. März 2017. Nachstehend eine kurze Biographie von Wikipedia. Alberto Zedda studierte Musik an seinem Geburtsort und Musikgeschichte an der Universität Urbino. Von 1961 bis 1963 war er an der Deutschen Oper Berlin, von 1967 bis 1969 an der New York City Opera für das italienische Repertoire verantwortlich. Seit der Entwicklung des Rossini Opera Festival 1980 bis 1992 war er dessen künstlerischer Leiter. In der Saison 1992/1993 war er künstlerischer Leiter am Teatro alla Scala in Mailand. Er stand im Ruf, ein führender Rossini-Experte zu sein und lehrt Musikgeschichte an der Universität Urbino. Zusammen mit Rodolfo Celletti war er musikalischer Direktor des Festival della Valle d’Itria in Martina Franca. Er war Mitglied des künstlerischen Beirats der Fondazione Rossini in Pesaro und Ehrenpräsident der Deutschen Rossini-Gesellschaft (Foto Allmusic). (Wiki)

 

Und das Rossini Festival in Pesaro schreibt:  Il Rossini Opera Festival piange assieme alla famiglia la scomparsa di Alberto Zedda. Il Maestro Zedda è stato consulente e poi direttore artistico del ROF sin dai suoi inizi, protagonista della Rossini Renaissance e indimenticabile guida per una nuova generazione di cantanti all’interno dell’Accademia Rossiniana del Rossini Opera Festival, da lui ideata e diretta sin dalla sua fondazione.

Così lo ricorda il Sovrintendente Gianfranco Mariotti, amico di una vita: “Con Alberto ho condiviso una lunga esaltante avventura della conoscenza alla riscoperta del Rossini dimenticato, fatta di battaglie, speranze, ansie, emozioni e vittorie comuni. Ci ha unito anche un’amicizia fraterna e senza ombre, piena di comuni interessi e predilezioni. Nel momento del dolore mi consola pensare che Alberto ha avuto la fortuna di vivere la vita che voleva, si è realizzato in tutti i campi in cui ha operato, e ha potuto lavorare, come desiderava, fino all’ultimo giorno di vita”.

Alberto Zedda era nato a Milano, dove aveva compiuto studi umanistici e musicali. Vinto il Concorso della Rai per direttori d’orchestra (1957), è salito sui podi più prestigiosi del mondo. Si è dedicato alla didattica e alla musicologia. È stato membro del Comitato editoriale della Fondazione Rossini; Consulente artistico del Festival Valle d’Itria e del Festival Mozart de La Coruña; Direttore artistico del Teatro Carlo Felice di Genova, del Teatro alla Scala, del Festival Barocco di Fano e del Centro di Perfezionamento P. Domingo di Valencia.

Al Rossini Opera Festival è stato Consulente artistico dal 1981 al 1992 e Direttore artistico dal 2001 al 2015. E’ stato Direttore dell’Accademia Rossiniana dalla sua fondazione. Sarà possibile rendere omaggio ad Alberto Zedda all’Auditorium Pedrotti domani, mercoledì 8 marzo, dalle ore 10 alle 19, e giovedì 9 marzo dalle ore 10. La cerimonia di saluto si terrà giovedì alle ore 11.

 

Alberto Zedda/ Foto Bernd Uhlig/ Deutsche Oper Berlin

Dazu auch die Derutsche Oper Berlin: Keine kritische Rossini-Aufführungspraxis ohne ihn: Unzufrieden mit den Schlampigkeiten einer uninformierten Tradition, war es Alberto Zedda, der in den 1960er Jahren die internationale Wahr-nehmung seines italienischen Landsmannes auf völlig neue Füße stellte. Auf Grundlage des originalen Autografen erarbeitete er eine Neuausgabe des BARBIER VON SEVILLA und leitete so ein philologisch geschultes Rossini-Revival ein, das bis heute Früchte trägt. Zeddas Expertise räumte bald auch mit gängigen Vorurteilen von seichter Musik und sinnlosem Gesinge auf. Dem Stilgenie Rossini, Meistererfinder großer Melodien und Schöpfer eines einzigartigen, lebendigen Musiktheaters, verhalf Zedda mit seiner Arbeit zu neuen Ehren.
An der Deutschen Oper Berlin gab er sein Debüt 1961 – und nein, nicht mit Rossini, sondern mit Puccinis LA BOHEME. Bis 1963 war er hier für das italienische Repertoire zuständig und kehrte auch in den Folgejahren immer wieder an das Haus an der Bismarckstraße zurück, so etwa 2003 mit SEMIRAMIDE oder einem umjubelten TANCREDI 2012 sowie für zahlreiche konzertante Auffüh-rungen seines Lieblingskomponisten, darunter L’EQUIVOCO STRAVAGANTE (Eine verrückte Verwechslung) und LA SCALA DI SETA (Die seidene Leiter). Und auch beim Festkonzert zum 100-jährigen Bestehen der Deutschen Oper Berlin durfte er nicht fehlen! Ob Premieren oder Repertoirevorstellungen, stets leitete Alberto Zedda das Orchester mit der gleichen sanften Exaktheit.
Die Deutsche Rossini-Gesellschaft ernannte ihn nicht von ungefähr zum Ehrenpräsidenten und würdigte damit seine herausragenden Verdienste um das Werk des italienischen Komponisten. Als künstlerischer Leiter des Rossini-Festivals in Pesaro hatte er Gelegenheit, seine Vision mit immer neuen Ausgrabungen und lebendigen Neuinterpretationen zu verwirklichen. Die Opernorchester in New York und Mailand florierten unter seiner Leitung ebenso wie die Orchester in Antwerpen, Paris, München, Barcelona oder Madrid, wo er als gerngesehener Gast zahlreiche Aufführungen dirigierte. Auch als Herausgeber und Lehrer war Zedda einer der wichtigsten Vertreter einer kritisch-historischen Aufführungspraxis – übrigens auch für Komponisten wie Vivaldi, Händel oder Verdi! Seine musikphilologischen Studien machten ihn zum idealen Dozenten für Musikgeschichte an der Universität Urbino und gesuchten Mentor für junge Dirigenten und Musikwissenschaftler.
Im November 2016 dirigierte er seine letzten Opernaufführungen mit Rossinis ERMIONE in Lyon und Paris. Nun ist Alberto Zedda im Alter von 89 Jahren verstorben. Nicht nur die Welt der italienischen Oper verliert mit ihm eine ihrer verdientesten Persönlichkeiten. Die Deutsche Oper Berlin trauert um einen großen Künstler und hoch verehrten Kollegen. Kirsten Hehmeyer/ Ltg. des Pressebüros

Vis á vis: Doris Soffel

 

Auf eine außergewöhnlich lange und überaus erfolgreiche Karriere als Sängerin blickt die Mezzosopranistin Doris Soffel zurück, deren künstlerischer Lebensweg sie von Stuttgart, wo sie von 1973 bis 1982  festes Ensemble-Mitglied war, an die großen Opernhäuser der Welt geführt hat. Jetzt war sie als Klytämnestra in Peter Konwitschnys spannungsgeladener „Elektra“ ins Haus am Eckensee zurückgekehrt und wurde für ihre beeindruckend intensive Gestaltung dieser Rolle gefeiert wie einst für Rossinis koloraturensprühende „Cenerentola“ am selben Ort. Hanns-Horst Bauer traf die Sängerin nach der „Elektra“-Matinée-Vorstellung am 28. Februar 2017 – ein ganz wunderbares Wiedertreffen nach 32 Jahren mit Glücksgefühl auf beiden Seiten.

 

Doris Soffel: „Elektra“ in Stuttgart/ Szene mit Simone Schneider/ Foto: Martin Sigmund

Bei unserem letzten gemeinsamen Gespräch vor 32 Jahren in der Stuttgarter Oper hatten Sie sich gerade gegen das weitere Singen im Ensemble und für eine eigenständige internationale Karriere entschieden. Haben Sie das jemals bereut? Nein, denn für mich war damals alles schon unter Dach und Fach. Ich hatte bereits meine Engagements an anderen Opernhäusern, etwa an Covent Garden in London. Heute dürfte so etwas unvergleichlich schwieriger sein.

Was hat sich denn für  Sängerinnen und Sänger in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Oh Gott, so vieles. Heute ist alles sehr schnelllebig und unruhig geworden. Die Sänger werden häufig in Rollen verschlissen, die sie gar nicht singen sollten. Im Ensemble, wie es das in Stuttgart zum Glück immer noch gibt, können Stimmen noch wachsen und reifen.

Die Klytämnestra in der „Elektra“ von Richard Strauss, die Sie im Augenblick in Stuttgart und München parallel singen, ist sicher eine Ihrer Paraderollen. Gehört sie auch zu Ihren Lieblingspartien? Inzwischen ja. Meine erste Klytämnestra durfte ich bereits 1996 mit Lorin Maazel und den Wiener Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen singen, eingesprungen für die erkrankte Leonie Rysanek. Das war für mich damals etwas absolut Utopisches, habe  ich doch zugleich Charlotte in Massenets „Werther“ und die Judith in Bartoks „Herzog Blaubarts Burg“ gesungen. Danach habe ich die Rolle dann lange liegen gelassen, weil ich mich noch zu jung dafür fühlte. Klytämnestra war für mich die Krönung aller Frauenrollen, ein wahres Monster, wo man alle stimmlichen und schauspielerischen Facetten zeigen muss. Klytämnestras kamen dann zurecht erst wieder ab 2009, nachdem ich Kundry, Ortrud und die Amme in „Frau ohne Schatten“ gemacht hatte. Das war auch gut so. Es folgten die unterschiedlichsten „Elektra“-Produktionen, und jedesmal entdeckte ich eine neue Dimension meiner Klytämnestra. Das ist einfach eine tolle Partie, in der man sich so richtig ausleben kann.

Doris Soffel: „Elektra“ in Stuttgart/Szene mit Bernhard Conrad/Foto: Martin Sigmund

In Stuttgart hatten Sie am Beginn Ihrer Karriere unter anderem große Erfolge mit Belcanto-Partien. Wie hat sich Ihre Stimme im Lauf der Jahrzehnte entwickelt? Wie haben Sie sich darauf eingestellt? Ich habe ja schon mit 29 die Fricka im „Ring“ in Basel gesungen. Und als ich dieselbe Partie 1983 mit Georg Solti in Bayreuth gemacht habe, stand ich vor einer wichtigen Entscheidung, da ich fast zur gleichen Zeit Rossinis „Cenerentola“ in Schwetzingen und Stuttgart gesungen habe. Ich wollte in meinem Leben unbedingt einmal Primadonna sein, und das ist man bei Rossini und seinen Koloraturen wirklich. Koloraturen, Koloraturen, Koloraturen, das kann ich nur jedem Sänger empfehlen, da man so die Stimme nicht nur perfekt von unten bis oben und von oben bis unten unter Kontrolle, sondern sie auch frisch und elastisch hält. Zudem haben mich die Belcanto-Partien einfach glücklich gemacht.

Und was kam nach dem „Verzierungs“-Gesang? Eigentlich habe ich ja vier Karrieren nacheinander gemacht. Als junge Sängerin in Stuttgart musste ich alles singen, dann kamen italienische und französische Partien sowie viele Mahler-Konzerte, danach die großen Wagner-Knaller und jetzt die reiferen Rollen. Man muss einen sehr langen Atem und viel Geduld haben. Dabei bin ich doch sehr temperamentvoll.

Bekamen das auch die Regisseure von Rang und Namen  zu spüren, mit denen Sie zusammengearbeitet haben? Wenn mich ein Regisseur bremst, ist das für mich das Schlimmste. Wichtig bei der Zusammenarbeit ist, dass man offen und vernünftig miteinander über Probleme und Konzepte spricht. Als Sänger sollte man, wenn einem etwas nicht gefällt, immer gleich mindestens zwei Alternativen in petto haben. Oper ist zwar sehr emotional, aber diese Gefühlswelt sollte man nicht hysterisch Türen schlagend in einen Arbeitsprozess hineintragen.

Und wie sieht´s mit den Dirigenten aus? Da ist es leider so, dass es einige bisweilen gar nicht interessiert, was da auf der Bühne passiert. Wichtig für den Sänger ist deshalb immer, dass man äußerst präzise ist: Mit einem Auge natürlich schon immer beim Dirigenten, mit dem Kopf bei der Regie und mit dem Herzen bei sich selbst. Eigentlich bin doch ich derjenige, der da oben steht und seinen Kopf hinhalten muss. Das alles ist manchmal gar nicht so einfach zu vereinbaren.

Ihr Terminkalender reicht schon bis ins Jahr 2019. Wie halten Sie sich fit für die anstehenden Rollen? Ich ernähre mich gesund, und die Proben sind für mich der Sport. Ich fühle mich fit und freue mich auf viele spannende Herausforderungen.hhb 

 

Zur Person: Doris Soffel wurde in Hechingen geboren. Nach ihrer Zeit im Ensemble der Stuttgarter Oper von 1973 bis 1982 machte sie eine große internationale Karriere. Seit 1999 gehört sie zu den meistgefragten Wagner- und Strauss-Sängerinnen. Sie hat fast 100 Opernrollen gesungen und über 70 CDs und DVDs aufgenommen.

In Stuttgart ist Doris Soffel am Mittwoch, 8.März, ein letztes Mal als Klytämnestra zu erleben. Die Contessa di Coigny in Umberto Giordanos „Andrea Chénier“ singt sie im März nicht nur in München (Premiere am 12.3.), sondern auch in Paris. Es folgen Auftritte als Mme de Croissy in Poulencs „Dialogues des Carmelites“ und  in verschiedenen Strauss-Opern in Amsterdam, Zürich, Berlin, München und Turin. Im November gibt sie im Opernstudio Stuttgart einen Meisterkurs (Foto oben: Martin Sigmund).   hhb

Mascagnis „Guglielmo Ratcliff“

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Eine der aufregendsten Opern Mascagnis ist dessen Gugliemo Ratcliff – seine erste Oper überhaupt und nach eigenem Bekunden auch seine liebste, für die er immer eine Schwäche hatte, die aber kein Erfolg beim ersten Durchlauf 1895 an der Scala war. Und die er für seinen durchschlagenden Erfolg wenig später, Cavalleria rusticana, auch hörbar ausbeutete. Bonn und Livorno sind die die  Aufführungen, die mir zu dieser Oper in moderner Zeit spontan einfallen (die atmosphärische Produktion von Giancarlo Del Monaco 1997 in Bonn und wenig später in Livorno beim Mascagni Festival mit Maurizio Frusoni); die Mono-Standardaufnahme stammt von der RAI 1963 unter La Rosa Parodi (Nuova Era), in Newark dirigierte der tapfere Alfredo Silipigni, Verist par excellence, das Werk 2003 mit Lando Bartolini, und Catania brachte die Oper (mit Elena Suliotis als verrückter Margherita) 1990 – immerhin. So selten, wie man also glaubt, ist dieser Erstling nicht dokumentiert. Dennoch fehlt eine wirklich gute und weiträumige Aufnahme. Der Mitschnitt aus Wexford vom Festival 2015  (dessen Opernaufführungen Charles Jernigan in operalounge.de besprach) ging über das irische Radio rte lyric und begeistert nun als luxuriös aufgemachte CD (rte lyricCD 152/ Amazon, 2 CDs mit schönem Booklet) rundherum (man erinnert sich an den prachtvollen Falstaff Balfes aus Wexford, der ebenfalls bei rte herauskam – wie schön, dass Radioanstalten endlich an die Veröffentlichung ihrer Mitschnitte herangehen). G. H.

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Matthias Käther hat sich die Aufnahme angehört: Pietro Mascagni gehört zu den bedauernswerten Komponisten, von denen nur ein Werk überlebt hat – in seinem Fall Cavalleria rusticana. Jetzt hat das Irische Label RTE lyric eine frühe Mascagni-Oper veröffentlicht. Wenn man Mascagni glaubt, ist Guglielmo Ratcliff sein Opus Magnum. Allerdings hat sich dieser Meinung noch nie irgendjemand angeschlossen. Trotzdem, es ist ein hochinteressantes Stück. Es ist nämlich das eigentliche Erstlingswerk des Maestros. Mascagni schrieb gerade daran, als er von dem Wettbewerb hörte, für den er dann Cavalleria rusticana komponiert hat. Dafür wurde der Ratcliff weggelegt, und erst Jahre später als berühmter Mann hat er sich getraut, diese Erstlingsoper fertig zu schreiben und dem Publikum vorzustellen. Mit relativ geringem Echo.

Denn der Ratcliff ist eine äußerst sonderbare Oper und keinesfalls geeignet für einen großen Publikumserfolg. Mascagni, in den späten 1880er Jahren noch unerfahren mit Operndingen, nutzte hier kein echtes Libretto, sondern vertonte ein düsteres Jugendwerk von Heinrich Heine.

Ratcliff, ein Psychopath reinsten Wassers, er wird von einem Mädchen abgewiesen und schwört, dass er alle neuen Bewerber umbringen wird. Und das macht er dann auch, und nicht nur das, am Ende tötet er nicht nur seine Rivalen, sondern auch seine Braut, ihren Vater und sich selbst. Das Libretto ist fast schon eine Parodie auf die Schauerromantik, doch Mascagni nimmt das alles völlig ernst, angeblich soll er während der Komposition selbst schwer verliebt gewesen sein und sich stark mit Ratcliff identifiziert haben. Er hat an der italienischen Übersetzung von Heine nichts geändert, und das bedeutet, es gibt außer einem wütenden Tenor und einem kochenden Orchester nicht viel Drumherum; keine Ensemble, keine Duette, keine großen Finali. Sehr verrückt das alles, fast schon eine Anti-Oper, aber grade in ihrer Wildheit ein Vorausblick auf die Moderne.

Die hier mitgeschnittene Aufführung vom Wexford-Festival 2015 in Irland zeigt – man kann auch aus diesem kruden Frühwerk einen echten Opernkrimi machen. Der Jubel war denn auch frenetisch, und das ist vor allem der begeisterten Crew des Festivals zu danken, die hier wirklich eins der schwierigsten Opern des Verismo bravourös und mit Leidenschaft auf die Bühne gebracht hat – allen voran der Italienische Tenor Angelo Villari, der als Ratcliff eine Monsterpartie singen muss. Keine wirklich schöne Stimme, aber das ist ja auch keine wirklich schöne Rolle. Den Furor, diese wahnsinnigen brodelnden Gefühlswallungen des irren Ratcliff, all das transportiert dieser Tenor wirklich gänsehauterzeugend. Und auch die anderen Protagonisten wie Maria-Angela Sicilia und David Stout sind keine Weltstars, aber wen kümmert’s? Sie füllen ihre Partien mit Enthusiasmus aus, und das zählt hier. Dies ist für mich ein schönes Beispiel dafür, dass Festival-Opern-Leidenschaft mitunter genauso viel oder noch mehr Spaß macht, als gediegenen Studioaufnahmen zu lauschen.

Generell ist es erfreulich, dass das großartige und von Opernfans in aller Welt geliebte kleine Wexford-Festival (das es übrigens schon seit über 65 Jahren gibt!) nun anscheinend im Label des irischen Rundfunks wieder einen Partner gefunden hat (Balfes Falstaff kam ebenfalls auf rte heraus). Ich habe immer bedauert, dass lange Zeit keine offiziellen Aufnahmen vieler Produktionen zu haben waren – denn Repertoire wie Umsetzung waren in den letzten 20 Jahren immer bemerkenswert. Wexford hat – was den künstlerischen Rang der Aufführungen angeht – das überschätzte Opernfestival in Martina Franca längst überholt (mit Angelo Villari (Tenor) | Mariaangela Sicilia (Sopran) | David Stout (Bariton) | Orchester und Chor des Wexford-Opernfestivals | Francesco Cilluffo; 2 CD RTE lyric 152). Matthias Käther

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Wexford Opera Festival 2015: „Guglielmo Ratcliff“/ Szene/ Foto Clive Barda

Werk und Umfeld: Die Entstehungsgeschichte von Guglielmo Ratcliff ist ein Spiegelmärchen. Der deutsche Dichter Heinrich Heine hatte in den 1820er Jahren ein leidenschaftliches dramatisches Gedicht mit dem Titel William Ratcliff geschrieben, nachdem Heine von der Frau, die er liebte, zurückgewiesen worden war. Das Gedicht, die barbarische Geschichte von der Rache eines Mannes, der von seiner Geliebten zurückgewiesen wurde, basiert auf einer alten schottischen „Mordballade“ namens „Edward“: „Warum trieft dein Schwert so von Blut?/Edward, Edward….“ Das heißt, Heines Gedicht „spiegelt“ die Volksballade wider. Etwa siebzig Jahre nach Heine befand sich Pietro Mascagni als junger Mann in der gleichen Situation der Zurückweisung durch seine Geliebte in der Heimatstadt und fand Trost in Andrea Maffei’s italienischer Übersetzung des Heine-Gedichts.

Mascagni begann mit der Komposition seines Ratcliff, in dem sich Heine spiegelt, in dem sich die schottische Ballade spiegelt, als Student in Mailand und trug das Manuskript mehrere Jahre mit sich herum, bevor es 1895 fertiggestellt wurde. Wie die Kompositionsgeschichte von Ratcliff ist auch die Geschichte selbst eine Reihe von Spiegeln. Die Ouvertüre enthält Worte aus der Ballade, die von Mad Margaret, einer geheimnisvollen Bewohnerin des Macgregor-Schlosses, gesungen wird, aber wir kennen die Bedeutung noch nicht, und wir werden das Ende der Ballade erst im vierten Akt hören. Im ersten Akt, im Schloss, ist Macgregors Tochter Maria mit dem Grafen Douglas verlobt. Auf dem Weg zum Schloss wird Douglas von Räubern überfallen, aber von einem geheimnisvollen Mann gerettet. Als Maria in Ohnmacht fällt, erklärt ihr Vater, dass sie einst von Ratcliff umworben wurde, ihn aber abgewiesen hat. Bei zwei weiteren Gelegenheiten hatte sie Verlobte, die jeweils von Ratcliff getötet wurden, der ihr daraufhin die blutige Hand des Freiers mit dem Verlobungsring zukommen ließ. Jetzt, so fürchtet sie, wird Douglas an der Reihe sein. In der Räuberschänke im zweiten Akt treffen wir auf den verdammten und verstoßenen Ratcliff – einen byronischen, übermäßig melodramatischen, melancholischen, psychotischen, überdrehten Antihelden, der behauptet, er habe die Freier in einem fairen Kampf getötet. Nun hat er den letzten Freier, Douglas, zu einem Duell herausgefordert und macht sich auf den Weg zum Schwarzen Felsen, um gegen ihn zu kämpfen, begleitet von der beunruhigenden Vision zweier Geister – den Geistern der toten Freier. In einer „wilden und stürmischen Nacht“ treffen die beiden Kontrahenten aufeinander; Douglas erkennt den Mann, der ihn vor den Räubern gerettet hat, und bittet ihn um Freundschaft, doch Ratcliff lehnt das Angebot ab. Mit Hilfe der Geister der Freier gewinnt Douglas das Duell, verschont aber Ratcliffs Leben. Nach einem orchestralen Intermezzo namens „Ratcliff’s Dream“, das gespielt wird, während Ratcliff verwundet daliegt, macht sich unser psychotischer, mörderischer, besessener und zurückgewiesener Anti-Held auf den Weg zum Schloss der Macgregors, wo Akt IV stattfindet. Die alte Margaret, die zwischen den Welten der Lebenden und der Toten zu vermitteln scheint, vervollständigt die Opernversion der Mörderballade, der Geschichte von Marias Mutter, „der schönen Elisa“, die von Edvardo Ratcliff, Guglielmos Vater, geliebt wurde. Elisa hat Edvardo zurückgewiesen, so wie Maria Guglielmo zurückgewiesen hat. Als Edvardo zu Elisa zurückkehrte, die inzwischen mit Macgregor (Marias Vater) verheiratet war, hat Macgregor ihn getötet. Nun gibt es also zwei weitere Geister – die Geister von Edvardo und Elisa, die sich jenseits des Grabes nicht umarmen können. Plötzlich taucht Guglielmo blutüberströmt in der Gegenwart auf. Er bittet Maria, mit ihm zu gehen. Als sie sich weigert, tötet er sie und dann sich selbst, aber nicht bevor er ihren Vater Macgregor getötet hat. Der arme alte Douglas trifft auf zwei Generationen von Geistern, die sich endlich jenseits des Grabes umarmen können. Die Geschichte von Maria und Gugliemo spiegelt die Geschichte von Elisa und Edvardo (Edward aus der Ballade) wider; die Geister der heutigen Generation spiegeln die Geister der Vergangenheit.

Diese gotische Geister- und Mordgeschichte, die typisch für Heines Zeit und Ort ist (deutsche Romantik der 1820er Jahre), wird in Mascagnis 1890er Jahren zu einer Art psychologischem Realismus und sorgt für ein seltsames Libretto. Abgesehen von der wilden Handlung ist das Libretto in Blankversen verfasst (ebenfalls seltsam für eine italienische Oper des 19. Jahrhunderts) und enthält vier sehr lange Monologe (ich würde sie in diesem durchkomponierten Werk nicht als Arien bezeichnen), die uns über alle notwendigen Fakten aus der Vergangenheit informieren. Mascagni vertonte die italienische Übersetzung von Heines deutscher Lyrik und nicht ein darauf basierendes Libretto, was den unoperativen Charakter des Librettos erklärt, das sich auf diese vier langen, erzählenden Soli konzentriert. Macgregor erhält eines im ersten Akt, Ratcliff jeweils eines im zweiten und dritten Akt und Mad Margaret eines im vierten Akt. Vor allem die übertriebene, übermäßig intensive Rolle des Ratcliff verlangt vom Tenor, dass er lange, lange Zeit in einer sehr hohen Tessitura mit voller emotionaler Kraft agiert. Es ist eine Killerrolle. Maria, die weibliche Hauptrolle und die Hauptperson der Liebe, hat vor dem vierten Akt fast nichts zu singen (in den Akten II und III taucht sie überhaupt nicht auf). All dies erklärt, warum Guglielmo Ratcliff seit seiner Uraufführung an der Scala im Februar 1895 so selten aufgeführt wurde.

Wexford Opera Festival 2015: „Guglielmo Ratcliff“/ Szene/ Foto Clive Barda

Was die Oper auszeichnet, ist eine üppige, romantische Partitur voller schwungvoller Melodien, die alle auch in Cavalleria zu Hause wären. Insbesondere eine melodische Phrase ist der identische Zwilling des melodischen Dreh- und Angelpunkts des Liedes „Somewhere over the rainbow“ – die wehmütige Melodie, die die Worte „over the rainbow“ begleitet. In der Oper scheint diese Melodie mit Ratcliffs Sehnsucht nach Maria verbunden zu sein, und sie taucht von Anfang an in verschiedenen Formen auf. Sie wird in dem schönen Intermezzo voll entwickelt, das Ratcliff begleitet, wenn er nach seinem Duell mit Douglas von Maria und den Geistern träumt. (Das Intermezzo wurde übrigens in Martin Scorseses Film Raging Bull von 1980 verwendet.) Man muss sich fragen, ob Harold Arlen die Schlüsselmelodie für sein Lied im Intermezzo der Oper gefunden hat, das bei weitem das bekannteste Stück aus Mascagnis Werk ist. Das Lied steht regelmäßig an der Spitze der Listen der bekanntesten Lieder des zwanzigsten Jahrhunderts und des besten Filmsongs aller Zeiten. Hat Arlen das alles Mascagni zu verdanken? Wie in der Cavalleria verstärkt Mascagni seine melodische Linie, indem er sie bei vielen Gelegenheiten in den Streichern verdoppelt (damit war er unter den Komponisten seiner Generation nicht allein; auch Puccini ist schuldig). Aber abgesehen vom Intermezzo sind das Orchester und die Sänger durchweg im Forte oder lauter in kraftvoller, emotionaler, singbarer Melodie Charles Jernigan/DeepL/ Foto oben Clive Barda/ Wexford Festival 2015).Charles Jernigan

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Bisherige Beiträge in unserer Serie Die vergessene Oper finden Sie hier.

Tiefe Einblicke in Bruckners Seele

 

Gerd Schaller als Bruckner-Interpret: Der Dirigent Gerd Schaller, Leiter des von ihm gegründeten „Ebracher Musiksommers“, hat sich in den letzten Jahren zu einem Bruckner-Spezialisten entwickelt. Im Rahmen „seines“ Festivals entstanden in den Jahren 2007 bis 2011 Live-Aufnahmen der Sinfonien Nr. 1 – 4, 7 und 9 des österreichischen Tonsetzers. Gerd Schaller leitete in den Konzerten die „Philharmonie Festiva“, ein Orchester, dessen Kern die Münchner Bachsolisten sind, die inzwischen ihr Repertoire erheblich erweitert haben und nun gemeinsam mit Musikern und Solisten führender Orchester Münchens auftreten.  Die unvollendet gebliebene 9. Sinfonie wurde in der Aufnahme von 2010 mit einem Finale versehen, das William Carragan aus Material der nachgelassenen Kompositionsskizzen erstellt hat, eine Arbeit, die wegen des Rückgriffs auf Themen der ersten drei Sätze und vor allem wegen der Ausflüge in die Klangwelt Richard Strauss‘ umstritten ist.

Nun hat sich Gerd Schaller selbst in verschiedenste Bibliotheken begeben, die vielfältigen Kompositionsskizzen gesichtet und eine neue Fassung erstellt. Dabei hat Schaller sämtliche Entwurfsmaterialien bis hin zu frühesten Skizzen berücksichtigt. Von seiner Erfahrung als Bruckner-Interpret hat er sich auch insoweit leiten lassen, als er Ergänzungen stets in der typischen Bruckner-Stilistik vorgenommen hat. Nach Schallers Überzeugung ging es dem überaus frommen Bruckner darum, mit seiner „dem lieben Gott“ gewidmeten letzten Sinfonie noch einmal die Essenz des gesamten eigenen musikalischen Schaffens zu zeigen. Dies gab Schaller die Rechtfertigung, Material aus früheren Sinfonien und anderen Werken zu verwenden, zumal sich Bruckner im 3.Satz selbst zitiert („Miserere“ der d-Moll-Messe und Themen aus der 8.Sinfonie). Zur gewaltigen polythematischen Schluss-Apotheose im Finale nutzte Schaller neben Zitaten aus den Sinfonien 4 bis 8 auch Material aus den Chorwerken „Helgoland“ und – in einer fragmentarischen Skizze enthalten – aus dem „Te Deum“. So wird die Wandlung des im 1.Satz vorgestellten Moll-Themas der letzten Dinge in D-Dur erreicht, als wollte Bruckner so die Hoffnung auf siegreiches, ewiges Leben verdeutlichen.

Die Live-Aufnahme aus dem Juli 2016 zeigt erneut, wie das in allen Instrumentengruppen vorzügliche Orchester unter der kompetenten Leitung Gerd Schallers trotz der teilweise gewaltigen Klangballungen stets durchsichtig zu musizieren weiß. Zugleich flacht die Spannung der vielen lang gezogenen und ineinander verschränkten Melodiebögen niemals ab, ein Verdienst des erfahrenen Orchesterleiters. Das Scherzo mit seinen eruptiven Ausbrüchen, die im Trio die nur noch schwach durchscheinende  Ländler-Idylle fast verschwinden lassen, gelingt ebenso überzeugend wie Bruckners letzter vollständiger Sinfonie-Satz, das feierliche „Adagio“. Die in diesem Konzert uraufgeführte Neufassung des Finales wirkt durch die konsequente Beibehaltung des Brucknerschen Stils sehr geschlossen und hinterlässt in der ausgewogenen Interpretation durch Gerd Schaller und die „Philharmonie Festiva“ einen tief bewegenden Eindruck vom Kompositionsvermögen Anton Bruckners (PH16089, 2 CD).

 

Im Juli 2015 wurden ebenfalls im Rahmen des „Ebracher Musiksommers“ die so genannte „Große Messe“ f-Moll sowie die Vertonung des 146. Psalms aufgeführt. Gerd Schaller leitete den Philharmonischen Chor München und das bewährte Festival-Orchester, die „Philharmonie Festiva“.  In der unter Bruckners Leitung am 16.Juni 1872 zum Hochamt in der Wiener Hofkirche St. Augustin uraufgeführten Messe verschmilzt der Komponist Grundzüge des Barock mit denen der Romantik. So zeigt sich Bruckners enge Beziehung zu Bach in einigen Fugen, von denen die am Schluss des Gloria besonders hervorgehoben werden soll, eine kompositorisch komplizierte und chorisch anspruchsvolle, aber höchst ausdrucksstarke Passage. In den einzelnen Teilen der Messe gibt es immer wieder Hinweise auf Jenseitiges, die dieser Messe ihren unverwechselbaren Ausdrucksstil verleihen. So werden die „Christe“-Anrufe im Kyrie von der Solo-Violine umspielt, was ebenso wie das von Solostreichern umhüllte Tenorsolo im Credo „Et incarnatus est“ in der sphärischen Tonart E-Dur musikalisch über alles Irdische hinausweist. Ähnliches gilt für die Violin­-Skalen, die dem „Crucifixus“ ein geheimnisvolles Schweben verleihen, und den instrumental basslosen Beginn des Sanctus. Aber auch Glaubenshoffnung und jubelndes Gotteslob finden sich in der Großen Messe: Die erwähnte Fuge im Gloria mündet ein in strahlendes C-Dur. Im dritten Teil des Credo, der auf den Anfang zurückweist, wird mit den stetig eingeworfenen „Credo“-­Rufen fast die musikalische Form gesprengt, bis die „Amen“-­Zusammenfassung das Glaubensbekenntnis grandios abschließt. Sanctus und Benedictus werden wie üblich jeweils durch ein geradezu aufjubelndes Hosanna beendet. Im Agnus Dei gibt es noch einmal Brucknersche Klangfülle und fast trotziges Aufbegehren; schließlich aber wird sich dem Willen Gottes ergeben und um Frieden gebeten – ein ruhiger, versöhnlicher Schluss.

All dies findet in der Interpretation von Gerd Schaller beredten Ausdruck: Dabei imponiert der stets ausgewogene und zugleich transparente Klang des Philharmonischen Chors München (Einstudierung: Andreas Herrmann). Es wird ausgesprochen kontrastreich musiziert; meisterhaft sind die feinen Piani des Chors, die fast unverbunden neben gewaltigen Ausbrüchen stehen. Ein im Ganzen gutes Solisten-Ensemble trägt zum positiven Eindruck der Live-Aufnahme bei: Mit angenehm aufblühendem Sopran gefällt Ania Vegry, während Clemens Bieber mit glanzvollen Tenortönen und geschmeidiger Stimmführung aufwartet. Der charaktervolle Mezzo von Franziska Gottwald und der dunkle Bass von Timo Riihonen fügen sich sicher ein.

Weitgehend unbekannt ist die vermutlich um 1860 entstandene Vertonung des 146. Psalms, die erst 1971 uraufgeführt wurde. Auch in diesem gut halbstündigen Werk erkennt man den typischen Bruckner-Stil, der allerdings noch nicht so kunstvoll und kompliziert ist wie in seinen späteren Werken. Neben kompakten Chören enthält die Psalm-Kantate schöne solistische Ariosi sowie eine kunstvolle Schluss-Fuge. Alles erfährt eine gelungene Ausdeutung durch die genannten Künstler und Ensembles.

Die Doppel-CD wird durch sechs im September 2015 eingespielte Orgelstücke von Anton Bruckner ergänzt, die Gerd Schaller versiert auf der Eisenbarth-Orgel der Abteikirche Ebrach vorstellt (PH16034, 2 CD).  Gerhard Eckels

 

Anton Bruckner und Günter Wand, zwei Namen, die zusammengehören. Dennoch tut man Wand unrecht, ihn allein auf Bruckner festzulegen. Dieser Sinfoniker prägte aber nun einmal die letzte Phase seines erfolgreichen Wirkens. Bruckner begleitete ihn bis zum Schluss. Auch ich wollte ihn unbedingt mit Bruckner hören und erinnere mich mit Dankbarkeit an entsprechende Konzerte, die sich mir tief eingegraben haben und Maßstäbe setzten. Noch für 2002 war in Berlin ein Konzert mit den Philharmonikern geplant, bei der die 6. Sinfonie erklingen und aufgenommen werden sollte. Der Tod 2001 vereitelte dieses Vorhaben, was besonders zu beklagen ist, weil diese Bruckner-Sinfonie nie aus dem Schatten des übrigen Werkes herausgetreten ist. Wand hat nie einen Bogen darum gemacht. Es gibt mindesten zwei Einspielungen, die mit dem Deutschen Sinfonie-Orchester Berlin ist auch beim Label Profil Edition Günter Hänssler veröffentlicht worden, das dem Dirigenten große Aufmerksamkeit mit einer eigenen Edition gewidmet hat. Jetzt sind gebündelt nochmals sieben Teile erschienen (PH12044/ 1-7), darunter Bruckners Sinfonien Nummer 3, 7, 8 und 9. Es wurden ausschließlich Aufnahmen mit dem NDR Sinfonieorchester ausgewählt, dessen Chefdirigent Wand von 1982 bis 1991 war. 1987 wurde er zudem zum Ehrendirigenten berufen. Bis zum Ende seines Lebens blieb er diesem Klangkörper eng verbunden.

Die Edition legt ein eindrucksvolles Zeugnis für die Fruchtbarkeit und den hohen künstlerischen Standard dieser Zusammenarbeit ab. Neben Bruckner wurden die Posthorn-Serenade und die g-Moll-Sinfonie von Wolfgang Amadeus Mozart, das Oboenkonzert in c-Moll mit Paulus van der Merwe von Joseph Haydn und das Klavierkonzert von Robert Schumann mit Gerhard Oppitz aufgenommen. Eine sehr gute Mischung. Das späteste Dokument, die gigantische Achte von Bruckner,  stammt aus dem Jahre 2000. Aufnahmeort ist durchweg die Hamburger Musikhalle mit ihrer hervorragenden Akustik, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatte. Es wird nicht eindeutig ersichtlich aus den Booklet, ob es sich um Liveaufnahmen oder um Produktionen ohne Publikum handelt. Durch Bearbeitungen können heutzutage Beifall und sämtliche Nebengeräusche herausgefiltert werden. Für einige Werke wie die 3. Sinfonie von Bruckner gibt es nur eine Tagesangabe, im konkreten Fall den 23. Dezember 1985, die meisten anderen Aufnahmetermine erstrecken sich über mehrere Tage was für Studiobedingungen spricht. Einige vertiefende Informationen hätten dieser Edition gut getan.

Wands Bruckner ist monumental und lyrisch zugleich. Er nähert sich ihm nicht separat, sondern aus einer großen Traditionslinie heraus, als seien Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert und Brahms immer mit im Spiel. Selbst im groß angelegten ersten Satz der 8. Sinfonie gibt es Momente, die an Beethovens Pastorale oder die zarte Besonnenheit in der 3. Sinfonie von Brahms erinnern. Musikalische Steigerungen nehmen bei Wand ihren Ausgangpunkt oft aus fein gesponnenen Gedanken. Sein Bruckner ist durch und durch menschlich. Wer sehr genau hinhören kann und die erforderliche Ausdauer mitbringt, dem werden tiefe Einblicke in Bruckners Seele und seine Gefühlswelt offenbart. Da ist nichts Spektakuläres unterwegs. Dieser Dirigent verlangt, dass man sich einlässt. Deshalb werden ihm Tonträger, so wunderbar sie auch in dieser Edition sind, nicht ganz gerecht. Ich wollte ihn immer auch sehen bei der Arbeit. Ich werde nie vergessen, wie sich dieser zarte, durchgeistigte alte Mann mit sparsamen Bewegungen das riesige Orchester unterwarf, wie alle gleichermaßen in seinen Bann gerieten – die Musiker und die Zuhörer im Saal. AErfreulich ist, dass das Label Hänssler bei seinen Editionen die Zusammenarbeit mit dem öffentlich-rechtlichen Hörfunk sucht. Bei Günter Wand ist der Norddeutsche Rundfunk mit im Boot, sein Logo prangt auf allen CD-Hüllen.

Der Sender ist neben ZDF und 3Sat auch Partner bei Arthaus, wo Wands Deutung der 5. Sinfonie von Anton Bruckner herausgekommen ist (107 243). Es handelt sich um den Mitschnitt des Eröffnungskonzerts des 13. Schleswig-Hollstein Musik Festivals 1998 in Lübeck. Es spielt ebenfalls das NDR-Sinfonieorchester. Berührend an diesem Film ist, dass die nach außen hin sehr sparsame Arbeitsweise des betagten Dirigenten genau eingefangen ist. Das Auge hört sozusagen mit. Die Blumen am Schluss des umjubelten Konzerts überreicht die damalige Ministerpräsidentin Heide Simonis höchst selbst.

CD Thielemann dresden HänsslerNoch einmal zurück zu Hänssler. In der Editionen Staatskapelle Dresden, die inzwischen auf mehr als dreißig Teile angewachsen ist, wirkt der Mitteldeutsche Rundfunk MDR als Partner mit. Dies führt zu einer interessanten Erweiterung des Repertoires. Den Gebühren zahlenden Hörern wird auf diese Weise etwas zurück gegeben. Vol. 34 der Dresdner Reihe ist ein für den Chefdirigenten des Orchesters, Christian Thielemann, sehr typisches Programm mit Ferrucio Busonis Nocturne Symphonique, Hans Pfitzners Klavierkonzert in Es-Dur mit Tzimon Barto, und der Romantischen Suite von Max Reger (PH 12016). Die Werke sind zwar aus zwei unterschiedlichen Konzerten von 2011 zusammengestellt, sie hätten aber auch an einem Abend gespielt werden können. Diesmal lässt das Booklet keine Wünsche offen. Alle Werke werden analysiert und durch literarische Vorlagen wie bei der Reger-Suite nach Eichendorff ergänzt. Komponisten, Dirgent und Solist werden in Wort und Bild vorgestellt. So soll es sein. Rüdiger Winter

Vasily Petrenko lässt Wände wackeln

 

Vasily Petrenko arbeitet sich bei Naxos an Dmitri Schostakowitsch ab. Nach sämtlichen Sinfonien nun die beiden Klavierkonzerte (8.573666). Das Label hatte eine glückliche Hand, als es diesen Dirigenten für die Produktionen gewann. Am Klavier sitzt Boris Giltburg. Er wurde 1984 in Moskau geboren, ist also acht Jahre jünger als Petrenko. Seine Familie wanderte Anfang der 1990er Jahre nach Israel aus, dessen Staatsbürger der mehrfach ausgezeichnete Pianist nun ist. Wiederholt ist er auch in Deutschland aufgetreten. Es tut Schostakowitsch gut, dass sich noch relativ junge Musiker seiner Werke annehmen. Sie sind nicht in die historischen Wirren verstrickt, in denen sie entstanden und deren Ausdruck sie sind. Sie haben einen freieren Zugang. Obwohl zwischen der Entstehung der Konzerte ein Vierteljahrhundert liegt, wirken sie wie siamesische Zwillinge. Die Einfälle sind überbordend, mitunter grell. Im 1. Klavierkonzert von 1933 tritt als Soloinstrument noch eine Trompete (Rhys Owens) hinzu. Das 2. Konzert, etwas weniger schrill und frech, schuf Schostakowitsch 1957 für seinen Sohn Maxim, der es auch uraufführte. Wer an Schostakowitsch die langsamen Sätze schätzt, wird sie auch bei diesen Werken – ein Lento und ein Andante – als Höhepunkte empfinden. Sie sind sehr in sich gekehrt und jeweils an zweiter Stelle positioniert. Petrenko und Giltburg haben hörbare Freude an den Stücken, die sich auch auf die Zuhörer überträgt.

 

Die jüngste aktuelle Gesamteinspielung besorgte Vasily Petrenko für Naxos. Ihr entnahmen wir als Ausschnitt das Foto des jungen Komponisten oben.

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Mitglieder des Königlichen Chores in Liverpool mehrheitlich der russischen Sprache mächtig sind. Sie müssen sich die einschlägigen Passagen phonetisch beigebracht haben. Sonst wären ihnen womöglich einige Worte im Halse stecken geblieben. Was nämlich Dmitri Schostakowitsch durch den Textdichter seiner 2. und 3. Sinfonie den Damen und Herren zumutet, dürfte ihnen auch nach fast hundert Jahren noch bitter aufstoßen. Die Ermordung von Zar Nikolaus II. und seiner Familie durch die Bolschewiki im Jahre 1918 ist im Königreich nicht vergessen, wenngleich sich Georg V. geweigert hatte, dem bedrängten Zaren Asyl zu gewähren, was wiederum darauf zurückzuführen war, dass die Zarin eine auf der Insel verhasste hessische Prinzessin gewesen ist. Wie dem auch sei. Der Zar war ein Cousin des britischen Königs Georg V. Beide sahen sich sehr ähnlich und waren lange Zeit freundschaftlich eng verbunden.

Und nun das: „Oktober, Kommune, Lenin“, tönt der Schlachtruf im Chorsatz der 2. Sinfonie. Lenin selbst hatte die Ermordung des Zaren gebilligt, wenn nicht gar persönlich angeordnet. Das geht schwer runter. Und in der dritten Sinfonie, die dem 1. Mai, dem Kampftag der Arbeiter, huldigt, wird ausdrücklich daran erinnert, dass „unter dem Pfeifen zorniger Kugeln, Bajonett und Gewehr in den Fäusten“ der Zarenpalast genommen worden sei. Das Alte müsse niedergebrannt werden. Die Verse des stalinistischen Parteigängers Alexander Besymenski sind schwer erträglich und nur aus ihrer Zeit heraus zu erklären. Großbritannien und die Sowjetunion Stalins waren im Zweiten Weltkrieg Verbündete gegen Hitler. Nicht aus Liebe, sondern aus politischer Vernunft und historischem Zwang. Auf den heißen Krieg folgte der kalte. Der Sozialismus erwies sich als Irrweg. Er scheiterte an sich selbst, ist Geschichte. Das Königreich lebt fort.

Schostakowitsch Petrenko 3. SinfonieDer Komponist hatte sich nach seinem sinfonischen Erstling, einem kühnen Geniestreich, auf den sich Bruno Walter, Arturo Toscanini und Leopold Stokowski stürzten, als Auftragskomponist auf die Seite der bolschewistischen Regimes geschlagen. Im Westen wurde ihm das schwer verübelt. Es dauerte Jahre, bis hinter den pompösen Kulissen seiner Musik der Spott und der Sarkasmus an den Verhältnissen der Stalinzeit erkannt wurden. Trotz alledem bewahrten sich die Britten für Schostakowitsch eine merkwürdige Schwäche. 1958 wurde er Ehrendoktor der University of Oxford, schließlich Träger der Goldmedaille der Royal Philharmonic Society. Adrian Boult und John Barbirolli haben Sinfonien von ihm aufgeführt – allerdings aus dem textfreien Bestand.

Es braucht einen jungen Dirigenten, der sich über Befindlichkeiten hinwegsetzt, wenn er sich im Königreich an einen geschlossenen Zyklus macht. Vasily Petrenko ist so einer. Er hat für Naxos die kompletten Sinfonien mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, dessen Chef er ist, eingespielt (8.501111). Zunächst kamen die Aufnahmen einzeln heraus. Eingepackt in Schuber mit bunten Bildern des Dirigenten, wie ihn garantiert auch jede Modelagentur unter Vertrag nehmen dürfte. Jünger aussehend, als er in Wirklichkeit ist, selbstbewusst, von sich und seinem Talent überzeugt. Posen, die auch einiges über seinen musikalischen Stil ausdrücken. Sie machen sich gut. Ob derlei Fotos auch verkaufsfördernd sind, sei dahin gestellt. Nun sind die CDs in einer Box gebündelt worden, versehen mit Porträts des charismatischen Komponisten aus allen Lebensphasen, wie sie auch schon in der ersten Ausgabe unter der farbigen Verpackung zum Vorschein kamen.

Mitte des vergangen Jahres hatte ich Petrenko mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin in der Philharmonie gehört. Auf dem Programm stand die 11. Sinfonie. Es waren auffallend viele junge Leute im Publikum, was sehr ermutigend ist. Offenkundig hören sie Schostakowitsch gern. Auf dem Nachhauseweg klärte mich ein Bekannter auf. Schostakowitsch habe eben viel mit Techno zu tun, weil er so irre laut sei. Petrenko, nicht verwandt mit Kirill Petrenko, dem designierten Nachfolger von Simon Rattle am Pult der Berliner Philharmoniker, hat sich bereits weltweit einen Namen als Konzertdirigent gemacht, was auch zahlreiche preisgekrönte Einspielungen belegen. Seit 2013 leitet er die Osloer Philharmonie, parallel dazu seit 2006 das Liverpooler Orchester. Und als wäre das nicht genug, wirkt er noch als Erster Gastdirigent des Michailowski-Theaters in seiner Heimatstadt St. Petersburg, die bei seiner Geburt 1976 noch Leningrad hieß. Und die Geschichte dieser leidgeprüften Stadt, die auch die Heimat des Komponisten ist, bildet den thematischen Hintergrund einiger seiner Sinfonien. Im Booklet werden Analysen und Deutungen geliefert, versehen mit vielen historischen Details. Sie sind hochinteressant und wichtig. Wenn aber die Musik anhebt, ob von der CD oder bei einer Aufführung, wenn also der ganze große Saal tönt, die Wände wackeln und die musikalische Form regelrecht explodiert, regiert nur noch das Gefühl, weniger der Gedanke an neueste Forschungsergebnisse.

1-CD Schostakowitsch Naxos mit KatzeEine CD-Aufnahme kann dem Live-Eindruck nicht ersetzen. Auch die neueste Einspielung nicht, bei der die denkbar beste Technik zum Einsatz gelangt. Wie jetzt bei Naxos. Sie kommt an Grenzen und macht mit aller Deutlichkeit klar, dass Schostakowitsch seine Sinfonien nicht für Aufnahmestudios und Mikrophone komponiert hat. Seine Musik braucht den Raum, das Auditorium. In Wohnzimmern klingt sie wie eingesperrt. Noch die besten Lautsprechersysteme macht sie klein. Da nützt es auch nichts, den Regler bis zum Anschlag aufzudrehen. Es bleibt Schostakowitsch light. Einspielungen der Sinfonien werfen solche Fragen vor allem deshalb auf, weil die Besetzungen oft extrem sind. Sie sind nicht als Kritik zu verstehen, am wenigsten an der verdienstvollen Neuerscheinung. In der dritten Sinfonie kommt im Original sogar eine Sirene zum Einsatz, auf die Petrenko allerdings verzichtet. Er lässt deren eiskalten scharfen Klang, der auch in Großbritannien böse Erinnerungen weckt, durch das Blech simulieren. Eine Praxis, die sich durchzusetzen scheint. Petrenko versucht die Quadratur des Kreises, indem er die ausladenden musikalischen Dimensionen auf die Maße der Tonträger zurechtstutzt. Anders geht es nicht. Sonst wären derlei Aufnahmen, die einem die Werke näher bringen, durch die man sie genau kennenlernen kann, ja sinnlos.

Es gibt aber auch immer wieder diese ganz intimen Momente – vor allem in Spätwerken. Anstelle hämmernder Verse aus revolutionärer Zeit sind es jetzt Gedichte von Jewtuschenko in der 13. Sinfonie und von Garcia Lorca, Apollinaire, Küchelbecker und Rilke in der 14. Die ist kammermusikalisch besetzt. Schostakowitsch reduziert die Mittel. Gewidmet ist sie Benjamin Britten, der 1970 auch die erste Aufführung im Ausland – und zwar beim Aldeburgh Festival – leitete. Und schon wieder ist da ein Bezug zu England. Als Solist tritt in beiden Werken der Bassist Alexander Vinogradow, gleicher Jahrgang wie der Dirigent, in Erscheinung. In der 14. Sinfonie kommt noch die Sopranistin Gal James hinzu. Vinogradow, ein international sehr beschäftigter Opernsänger, bringt genau diese Erfahrungen in die sinfonischen Gesänge ein und beschwört auf diese Weise Erinnerungen an Mussorgskis Lieder und Tänze des Todes. Seine Auftritte gehören für mich zu den bewegendsten Momenten des ganzen Zyklus. Rüdiger Winter

 

Mit beiden Füßen im Wasser

 

Wer für „Jonas Kaufmann’s Make-up“ zuständig war erfahren wir ebenso wie den Namen des „Hairdresser“, der ihm die Locken gelegt hat. Eine Seite widmet das Beiheft zur aktuellen DVD den Mitwirkenden der Dokumentation „My Italy“, eine zweite den Zuständigen für das Konzert „Dolce Vita“, dies wiederum im historischen Teatro Carignano in Turin im Juli 2016 stattgefundene Konzert bildet den Hauptbestandteil der Dokumentation. Beide zusammen ergeben die rund 120 Minuten von „Dolce Vita. Jonas Kaufmann. A Live Concert Performance & The TV Documentaray MyIitaly“, zu denen Sony, wie angedeutet, einen sparsamen Zwölfseiter beisteuerte (Sony 88985371639). Nicht zu verwechseln mit der unter Asher Fisch entstandenen CD!

Das soll sich einer auskennen. Strohhut und Sonnenbrille aufgesetzt, ins rote Fiat 1500 Cabrio geschwungen – und schon geht’s gen Italien. Bereits in der gemeinsam mit Thomas Voigt verfassten Interview-Biografie Meinen die wirklich mich? hatte Kaufmann ausgiebig von den ersten Ferien geschwärmt, die er mit seiner Familie in Italien verbrachte und die – wenn die Erinnerung nicht täuscht – ihn ganz maßgeblich prägten. Das erzählt er jetzt auch in der Dokumentation, kommt auf Goethe und „das berühmte Land, wo die Zitronen blühen“ zu sprechen, Sonne, Meer und stundenlange Strandaufenthalte, auf ein anderes Lebensgefühl, und am Ende wird auch die Suche nach dem verlorenen Paradies bemüht. „Das ist großes Theater“, sagt der Italien-Zuschauer Kaufmann an einer Stelle, und großes Theater legt er in diese Titel, die er so ernst nimmt wie eine Verdi- oder besser Puccini-Arie. Das sind alles zweifellos Kaufmanns Erinnerungen, die ihn auch geprägt haben. Das ist glaubwürdig. Doch wie er das in den rund zwölf Minuten erzählt, die zwischen den Musiktiteln verbleiben, klingt es doch aufgeschrieben und aufgesagt, so echt wie die Samstagabend-Moderationen von Pflaume bis Silbereisen. Das ist schade. Kaufmann fährt also durch Italien. Es bleibt immerhin Zeit, Schuhe und Socken auszuziehen und ins Wasser zu waten, vom guten Eis zu erzählen und von dem Stück heile Welt, das Italien für ihn war. Kaufmanns Italien-Affinität beschränkt sich nicht auf Pasta und Eis, sondern schließt auch Schlager und Lieder ein, und – auch das war mir damals mir beim Lesen des Buchen aufgefallen – er hat sich offenbar von Caruso bis Corelli mit Italienischen Gesangskunst vertraut gemacht, er schwärmte von der Muzio und Ziliani; wer kennt den schon noch? Seine ganze Leidenschaft, „Passione“, um den populären Titel zu zitieren, der natürlich auch nicht fehlen darf, kann er nun in dieser Aufnahme zum Ausdruck bringen. Kaufmann singt, begleitet vom RAI National Symphony Orchestra unter Jochen Rieder, ältere und neuere Canzonen, Schlager und Klassiker von dem bereits vor der Wende zum vorigen Jahrhundert entstandenen „Musica Proibita“ von Gastaldon und „Torna a Surriento“ von de Curtis bis zum 1950er Jahre Schlager „Nel blu dipinto di blu“ und Lucio Dallas „Caruso“. Sozusagen die italienische Fortsetzung zur Benatzky-, Abraham-, Künneke-, Lehàr und vor allem Tauber-Hommage „Du bist die Welt für mich“. Es macht ihm spürbar Freude. Und die teilt sich dem Hörer mit. Kaufmann singt „Caruso“ mit greller Leidenschaft, die Kitsch nicht scheut, er wirft sich in diese Musik, ohne sich darin zu verlieren. Das Singen bleibt immer eine Spur kalkuliert, in der Höhe gedeckt und vorsichtig, vielleicht sogar ein bisschen müde, ein wenig gebremst, er gibt Gas und geht rasch vom Pedal. Aber Kaufmann ist ein so ernsthafter, kluger, kundiger Sänger und Stilist, dass man ihm alles gerne abnimmt, die Melancholie in Leoncavallos „Mattinata“, die große Leidenschaft in Nino Rotas „Parla Più Piano“ und die Sonne, die er mit seinem dunklen baritonalen Tenor über dem Golf von Neapel („Torna A Surriento“), beschwört, dabei ist die Stimme gefasst projiziert, als sende er sie über die gesamte Strandpromenade, rhythmisch sorgfältig und penibel in „Core ngrato“ und „Non tì scordar di me“, und „Ti Voglio Tanto Bene“ ist ein weitaus überzeugenderer Beleg für Kaufmanns Italien-Liebe als die vorgestanzten Worte. Rolf Fath