Archiv für den Monat: Februar 2015

From the British isles

Der britische Komponist Arthur Sullivan, im angelsächsischen Raum hoch gepriesen und viel gespielt, konnte in Deutschland im Repertoire nie wirklich dauerhaft Fuß fassen. Diese CD (Dutton CDLX 7310) nimmt sich zweier seiner frühen Werke an, entstanden, noch bevor seine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Librettisten Gilbert begann und das Markenzeichen Gilbert und Sullivan aufkam. Die dramatische Kantate On Shore and Sea war ein Auftragswerk für die Eröffnung der Royal Albert Hall in London im Mai 1871. Komponisten mehrerer Länder wurden um einen Beitrag gebeten, es scheint befremdlich, dass Sullivan keinen britischen Stoff, bzw. Schauplatz wählte, sondern eine Seefahrer-Romanze, mit orientalischen Stilelementen. Trotzdem wurde die Aufführung für ihn zu einem persönlichen Erfolg. Die Musik ist von einer operettenhaften Leichtigkeit, melodiös und durchaus anmutig, allerdings auch eher simpel in ihren musikalischen Einfällen. Ein gefälliges Werk, das gute Laune verbreitet, aber selbst in England nur höchst selten aufgeführt wird.

Die so genannte Masque Kenilworth, eine Art Singspiel mit Tänzen des erst 22-jährigen Sullivan war ebenfalls ein Auftragswerk, damals für das Birmingham Music Festival von 1864, bei dem es auch seine Uraufführung erlebte. Die Handlung nimmt Bezug auf den historischen Besuch von Elizabeth I. auf Schloss Kenilworth, ein Stoff, der auch Donizetti zu einer Oper inspirierte. Einige Nummern aus diesem Werk brachten es zeitweise zu einiger Popularität, inzwischen sind aber auch sie weitgehend vergessen. Als 1964 bei einem Brand fast das gesamte Orchestermaterial zerstört wurde, konnte man dieses aus dem Originalmanuskript Sullivans rekonstruieren.

Da es sich um die bisher ersten Aufnahmen der beiden Werke handelt, sind sie für die Sullivan-Diskographie natürlich von Bedeutung. Die Victorian Opera Northwest unter dem unverwüstlichen Richard Bonynge musiziert mit sehr viel Engagement und Spielfreude, auch der Chor der „John Powell Singers“ und die Solisten Saly Silver, Nico Darmanin, Louise Winter und Donald Maxwell tragen mit frischen, unverbrauchten Stimmen zum Gelingen dieser Einspielung bei. Dauerhaft im Repertoire werden sich die Werke aber wohl nicht halten können.

CD - Cecil ColesMusic from Behind the Lines: Diese im Zusammenhang mit dem Weltkriegsgedenken 2014 wieder aufgelegte CD von 2001 setzt dem 1918 im Alter von nicht ganz dreißig Jahren gefallenen Komponisten Cecil Coles ein spätes Denkmal. Der gebürtige Schotte erhielt seine musikalische Ausbildung in Edinburgh und London. Anschließend setzte er seine Studien in Stuttgart fort, wo er zeitweilig als musikalischer Assistent an der dortigen Hofoper beschäftigt war. Bei Ausbruch des ersten Weltkriegs kehrte er 1914 gezwungenermaßen nach England zurück und wurde zum Militär eingezogen. Im Norden Frankreichs ereilte ihn schließlich der Tod auf dem Schlachtfeld. Unmittelbar davor hatte er noch an seiner Komposition Behind the Lines gearbeitet, deren Originalmanuskript angeblich deutliche Spuren von Granatsplittern trägt. Coles‘ Kompositionen sind teilweise bis heute nicht im Druck erschienen und haben dementsprechend keine große Verbreitung gefunden. Der Tochter des Komponisten ist es zu danken, dass seine Manuskripte gesammelt wurden, und so das Aufführungsmaterial für diese CD (hyperion CDH 55464) zur Verfügung stand.

Wir hören eine durchgehend ansprechende, dem Ohr freundliche Musik, noch stark den Vorbildern Mendelssohn, Bruckner und Brahms verpflichtet. Die ersten Stücke auf der CD, eine Ouvertüre zu einem Shakespeare-Drama und eine Konzertszene für Bariton entstanden noch in der Schul- bzw. Studienzeit des Komponisten und sind ein Zeugnis großen Talents. Die späteren vier Lieder nach Verlaine, die Suite From the Scottish Highlands und das Torso gebliebene Stück Behind the Lines tragen schon eine eigene Handschrift und lassen es bedauern, dass auch dieses große Talent dem

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Irrsinn des Krieges geopfert wurde.

Das BBC Scottish Symphony Orchestra unter Martyn Brabbins spielt mit größter Hingabe, die Solisten Sarah Fox (Sopran) und Paul Whelan (Bariton) lassen stimmlich keine Wünsche offen und tragen nicht unwesentlich zum Gelingen dieser Liebesgabe an einen früh Vollendeten bei.

Peter Sommeregger

Volkstümliches

Ein Klassiker der Moderne, ein in den ersten Jahrzehnten nach seinem Erscheinen zum Kultbuch avancierter Roman, an dem kein Jugendlicher einst vorbeiging, ist Salingers Der Fänger im Roggen. Darin zitiert Salinger die Zeile When a body meet a body coming through de rye („Trifft eine Jemand einen Jemand, der durch den Roggen gelaufen kommt“) aus dem Gedicht Comin‘ Thro‘ the Rye von Robert Burns, den er damit einem internationalen Publikum in Erinnerung rief. In seiner schottischen Heimat hingegen genießt der Dichter (1759-1796) – neben Walter Scott – als Sammler und Bewahrer schottischer Volksweisen, Legen und Märchen eine bis heute ungebrochene, geradezu kultische Verehrung. Burns eigene Gedichte und Lieder wiederum singen sich, wie echte Volkslieder, quasi wie von selbst, was die Ausgabe der 2003 erstmals veröffentlichten Complete Songs auf 12 CDs bei Linn Records, an der um die 80 Sänger und Instrumentalisten mitgewirkt haben, deutlich zeigt. Durch die Besetzung mit „unverbildeten“ Stimmen mit wenig oder keinem Vibrato und deren ungekünstelter Herangehensweise ergibt sich ein herber, aber auch natürlich schwingender Zugang ohne romantisierenden Zuckerguss, stellt sich eine bewegende, schlicht naive Einfachheit und klare Aussage ein, insbesondere bei den Sängern Rod Paterson und Tony Cuffe. Unterstrichen wird dies durch die Begleitung mit Fiedel, Gitarre oder Zither; einige der Sänger, etwa Ian Benzie, Janet Russell, Christine Kyyd und Tony Cuffe, spielen selbst auch Gitarre, alle treffen den „richtigen“ Ton aus rhythmisch tänzerischer Bewegtheit, klarer Diktion und direkter Kommunikation mit dem Zuhörer. Die Naturschilderungen, Beschreibungen der Highlands und anderer schottischer Orte, Balladen und Romanzen, der Gefühlsüberfluss und die Träumereien und Hoffnungen, aber auch politischen Lieder wurden ab 1780 in Salons und Gesellschaften gesungen und bewundert. Lieder und Musiken, von denen wir uns gut vorstellen können, dass sie in den von Jane Austen oder später den Brontës geschilderten Gesellschaften erklangen. Die vorliegenden vier CDs  (CKD 801, 802, 803, 804) geben einen hinreichenden, schließlich den Hörer wirklich erschöpfenden Einblick in eine Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die bis ins 20. Jahrhundert Beachtung fand, etwa bei Ralph Vaughan Williams, der sich selbst mit der Sammlung und Veröffentlichung englischer Volkslieder beschäftigte und meinte, „there can be no ore original genius than Burns…“

mahler damrau telosNur wenige Jahre nach Burns Tod kam in Deutschland Clemens Brentanos und Achim von Armins Sammlung von Volksliedtexten unter dem Titel Des Knaben Wunderhorn heraus. Die Wunderhorn-Welt regte Gustav Mahler zu einem Großteil seiner Lied-Vertonungen an und ist in der ersten Sinfonie oder Mahlers eigenen Texten zu den Liedern einen fahrenden Gesellen zu spüren. Nach Texten Aus des Knaben Wunderhorn entstanden zunächst neun Klavierlieder, dann von 1892-1898 zwölf Gesänge für Singstimme und Orchester, zu denen ursprünglich auch Urlicht und Es sungen drei Engel gehörten, die Mahler, nachdem sie Eingang in die zweite bzw. dritte Sinfonie gefunden hatten, durch Revelge und Der Tambourg‘ sell ersetzte. Zudem schuf er auch für diese zweite Folge eine Fassung für Singstimme und Klavier. Die von Hänssler vertriebene telos-Ausgabe bringt auf zwei CDs (PH14018) erstmals alle Wunderhorn-Lieder mit Klavier (auch Urlicht und Es sungen drei Engel), worin der wesentliche Vorteil gegenüber anderen prominenten Aufnahmen liegt. Aufgeteilt  zwischen der leuchtend natürlichen Diana Damrau und dem beweglichen Iván Paley erklingen die von Stephan Matthias Lademann sehr nachdrücklich begleiteten Lieder, fünf davon als Duett-Aufnahmen, in ungewohnter Abfolge.

Norddeutsche Figuralchor Brahms MDGEin Spezialist fürs Magyarische war Johannes Brahms, der sich in seiner Wahlheimat Wien gerne Zigeunerkapellen anhörte. Als Gegenstück zu den Ungarischen Tänzen entstanden Ende der 1880er Jahre seine Bearbeitung der auf originalen ungarischen Volksliedern basierenden Zigeunerlieder, die erstmals bei einem bürgerlichen Kaffeekränzchen befreundeter Familien erklangen. Die Zigeunerlieder sind – neben den Liebeslieder-Walzern – der bekannteste der sechs Zyklen für Vokalquartett und Klavier von Brahms, die obwohl ursprünglich fürs häusliche Musizieren, für gesellige Runden und private Rahmen bestimmt, bald auch von kleinen Chorbesetzungen übernommen wurden. Im März 2014 widmete sich der Norddeutsche Figuralchor unter Leitung seines Gründers Jörg Straube zusammen mit dem Pianisten Markus Bellheim fünf der Zyklen (also ohne die Liebeslieder-Walzer): Zigeunerlieder op. 103, dazu die sechs Quartette op. 112 von 1891, zu denen quasi als Zugabe vier weitere Zigeunerlieder gehören, sowie aus den frühen 1860er Jahren Drei Quartette op. 31, Quartette op. 64 und Quartette op. 92 (Dabringhaus und Grimm MDG 947 1867-8. Dreisprachiges Beiheft, alle Liedtexte). Der 1999 für seine Aufnahme der Geistlichen Chorwerke von Brahms mit dem Echo-Preis ausgezeichnete Chor  lässt trotz großer Besetzung die intime Musizierlust, die Brahms vorgeschwebt haben mag, spüren

 Rolf Fath

Nicht überzeugend

„Ein Dichter, der die Dinge nur halb ausspräche und mir ermöglichte, meine eigene Klangpoesie zur Dichtung zu fügen – der Gestalten schüfe, die an keine Zeitlichkeit gebunden sind – der die Szenen nicht eindeutig festlegte und mir die Freiheit ließe, noch mehr Künstler zu sein als er und sein Werk zu vervollkommnen. Er bräuchte keine Angst zu haben“, schreibt Claude Debussy nach seinen ersten Wagner-Erlebnissen, „Ich würde nicht in die Verirrungen des théâtre lyrique verfallen, wo die Musik sich unverschämt vordrängt, wo die Dichtung durch die schwere musikalische Rüstung an die Wand gedrängt und erdrückt wird. In der Oper wird zu viel gesungen. …. Man müsste mehr Unterschiede im Ausdruck machen. Manchmal ist es notwendig, grau in grau zu malen….“ In seiner Beschreibung eines musikalischen Theaters nach seinem Gusto unterstreicht Debussy nachdrücklich die Bedeutung der Dichtung für seine Musik. Anregungen bezog er zunächst von Baudelaire. Die noch ganz im Banne Wagners entstandenen 5 Poèmes de Charles Baudelaire zeigen „eine Sparsamkeit der Ausdrucksmittel“, die, so Heinrich Strobel, „auf künftige Lieder deutet. Nirgends herrscht der Zwang der zyklischen Form. Die Musik wächst aus der Dichtung heraus“. Dies gilt ebenso für die Lieder auf Texte von Verlaine, dessen Gedichte Debussy von den 4 Chansons de jeunesse über die beiden Bände der Fêtes galantes bis zu den Ariettes oubliées begleiten, aber ebenso auf alle Dichtungen, seien sie von de Musset, de Banville oder Mallarmé .

Immer noch maßstäblich: die Debussy-Mélodies-Sammlung bei EMI (und man hofft, dass Warner diese wieder herausbring)

Immer noch maßstäblich: die Debussy-Mélodies-Sammlung bei EMI (und man hofft, dass Warner diese wieder herausbring)

Die vier CDs Claude Debussy Intégrale des Mélodies bei Ligia (Lidi 0201285-14) regen zur neuerlichen Beschäftigung mit Debussys Liedern an, die zwischen 1876 (Nuits d‘ étoiles) und 1915 entstanden, als Debussy mit dem ungemein traurigen Noël des enfants qui n‘ ont plus de maison auf seinen eigenen Text sozusagen die Stimme versagte. Im Sommer 2012 trafen sich fünf Sänger im Musée Labenche in Brive-la-Gaillarde und nahmen sich dieser Lieder an. Die Sopranistinnen Liliana Faraon und Magali Léger, die Mezzosopranistin Marie-Ange Todorovich, der Tenor Gilles Ragon und der Bariton Francois Le Roux treten, zusammen mit Jean-Louis Hageuenauer an Debussys Blüthner-Flügel, dabei in die Fußstapfen der von Dalton Baldwin begleiteten Elly Ameling, Mady Mesplé, Michèle Command, Frederica von Stade und Gérard Souzay auf der EMI-Aufnahme von 1980. Im Gegensatz zu jener Einspielung ist die Bezeichnung Intégrale des Mélodies diesmal angebracht: die Box enthält bei einer Spieldauer von rund 5 Stunden 101 Titel, 42 mehr als die Vorgänger-Aufnahme, darunter unterschiedliche Versionen einzelner Lieder (auch unterschiedlichen Sängern zugeteilt) sowie 14 Ersteinspielungen. Dazu ein dickes Beiheft: also eine musikwissenschaftliche Glanzleistung. Künstlerisch wird man dabei nicht so glücklich, egal ob man Vergleiche mit der EMI-Einspielung oder zahlreichen Einzelaufnahmen anstellt. Die Fünf singen ein schönes, sensibles und auf der Musik schwebendes Französisch und werden von Haguenauer, dem spiritus rector des Unterfangens, ausgezeichnet begleitet, doch die Qualität der Stimmen dämpft das Vergnügen beträchtlich: Gilles Ragon, u. a. mit Fêtes galantes I und der Zweiten Fassung der Ariettes oubliées, klingt einfach dumpf, reizlos und abgesungen, François Le Roux, einst eine erste Adresse auf diesem Gebiet, steht ihm kaum nach. Trotz glitzernder Koloraturen und Höhen lässt uns Liliana Faraon wehmütig zum schlichteren Ausdruck der Elly Ameling zurückkehren, Marie-Ange Todorovich verdanken wir zahlreiche prägnante Bühnenfiguren, und auch bei diesen Liedern (u. a. Chansons de Bilitis und Trois mélodies sur des poèmes de Paul Verlaine) trumpft sie mit szenischem Raffinement auf, doch die Stimme ist inzwischen ein leidiges Instrument, so dass einzig Magali Léger auf der vokalen Habenseite bleibt.

Rolf Fath

Erda aus Down Under

Vor sechs Jahren debütierte die australische Mezzosopranistin Deborah Humble mit großem Erfolg als Erda im Rheingold in Claus Guths Produktion des Ring des Nibelungen an der Hamburgischen Staatsoper. Seitdem war sie in zahlreichen weiteren Partien an ihrem Hamburger Stammhaus zu erleben und gab in ihrem Heimatland wichtige Rollendebüts wie beispielsweise als Amneris in Aida. Am 22. und 24. Januar 2015 war sie als Erda im Rheingold wieder in einem neuen Ring-Zyklus zu hören, dieses Mal konzertant mit dem Hong Kong Philharmonic Orchestra unter der musikalischen Leitung von Jaap van Zweden in Vorstellungen, die für eine spätere Veröffentlichung bei Naxos aufgezeichnet wurden. Im Interview mit William Ohlsson für operalounge.de spricht Deborah Humble unter anderem über ihre Zeit im Ensemble der Hamburgischen Staatsoper, ihre Liebe zur Musik Richard Wagners und ihre spannenden Zukunftspläne.

Bezaubernde Deborah Humble/Foto Andrew Keshan

Bezaubernde Deborah Humble/Foto Christian Tiger

Ende Januar waren Sie erneut in Ihrer bisher wohl wichtigsten Partie, der Erda in Wagners Rheingold zu hören, diesmal in Hong Kong. Welche Anforderungen bringt diese Rolle mit sich und welche Entwicklung hat Ihre Erda über die Jahre seit Ihrem Debüt durchlaufen? Man denkt bei den Partien aus Wagners Ring eher an lange, schwierige Rollen wie etwa Brünnhilde, Wotan oder Siegfried, die enorme Ausdauer erfordern. Erda ist da ganz anders. Sie spielt eine zentrale Rolle im Zyklus, allerdings steht sie nur für eine sehr kurze Zeit auf der Bühne. Was sie zu sagen hat, ist von entscheidender Bedeutung für die Handlung. Die Warnung im vierten Bild ist eine der Szenen des Ring, auf die das Publikum regelrecht wartet. Die große Herausforderung dieser Partie liegt in ihrer Kürze – man muss einen effektvollen und bleibenden Eindruck in weniger als fünf Minuten machen und hat nicht die Chance, sich erstmal an die Bühne zu gewöhnen, keine Zeit zum Aufwärmen. Wagner bringt im Moment ihres Auftritts plötzlich jegliche Handlung zum Erliegen. Sowohl die Aufmerksamkeit der Zuschauer, als auch die der Charaktere richtet sich ausschließlich darauf, was Erda zu sagen hat. Ich habe keine andere Rolle in meinem Repertoire, die derart effektvoll ist, wenn man sie gut singt. Meine Erda ist heute im Gegensatz zu vor sechs Jahren viel reifer, sie hat sich sehr entwickelt. Mit den Jahren und meiner stimmlichen wie persönlichen Entwicklung hat die Partie eine ganze Bandbreite an musikalischen Nuancen und viel Ausdruckskraft hinzugewonnen. Jeder Dirigent und Regisseur vermitteln neue Einblicke in eine Rolle, jede Vorstellung vertieft die Interpretation einer Partie. Eine Herausforderung des Ring-Zyklus in Hong Kong war es, dass es sich um konzertante Vorstellungen handelte, die für Naxos aufgenommen wurden.

Deborah Humble im Melbourne-"Ring" als Erda/Foto Jeff Busby/AO

Deborah Humble im Melbourne-„Ring“ als Erda/Foto Jeff Busby/AO/Humble

Als Erda gaben Sie vor sechs Jahren Ihr Wagner-Debüt, und zwar gleich in einer Neuproduktion an einem der wichtigsten deutschen Opernhäuser, in Claus Guths neuem Ring an der Hamburgischen Staatsoper. Ein solches Debüt ist sicher nichts für schwache Nerven… Wenn ich heute auf diese Zeit zurückblicke, bin ich dankbar für einen gewissen Grad an Naivität und sogar Ignoranz. Als Neuankömmling in Deutschland und der hiesigen Opernlandschaft hatte ich keine Ahnung, wie groß die internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung bei einer Neuproduktion von Wagners Ring-Zyklus sein würde. Wenn ich vorher gewusst hätte, welch ein riesiges Projekt das in den vier Jahren werden sollte, wäre ich sicher viel nervöser gewesen. Damals war ich derart damit beschäftigt, neue Rollen einzustudieren, mich an meine neue Heimat anzupassen und Deutsch zu lernen, dass das nur eine von vielen enormen Herausforderungen war. Ich war so aufgeregt, als ich plötzlich mit den besten Wagnersängern der Welt auf der Bühne stand: Deborah Polaski, Sir John Tomlinson, Falk Struckmann, Albert Dohmen. Es war, als ob man jeden Tag durchgängig Gesangsunterricht gehabt hätte, die gesamte Probenphase über. Letztendlich habe ich fünf Rollen in jedem der Ring-Zyklen gesungen und auf CD für Oehms eingespielt. Diese Produktion hat meine gesamte Karriere stark beeinflusst. Der internationale Erfolg damals hat zu vielen spannenden Angeboten geführt und mir eine Karriere als freischaffende Sängerin ermöglicht.

Deborah Humble: als Erda mit Albert Dohmen im "Ring" an der Hamburgischen Staatsoper/Foto Monika Rittershaus/Humble

Deborah Humble: als Erda mit Albert Dohmen im „Ring“ an der Hamburgischen Staatsoper/Foto Monika Rittershaus/Humble

War von Anfang an klar, dass Ihre Stimme für Wagner geeignet ist? Wie definieren Sie eine „Wagnerstimme“? Ich hörte schon immer von vielen Seiten, dass ich eine große Stimme hätte und „sicher eines Tages Wagner singen“ würde. Eine große Stimme ist sicherlich nötig in diesem Repertoire, und große Orchestermassen zu übertönen war nie ein Problem für mich. Eine gute plazierte Stimme mit vielen Resonanzen ist wichtig, genauso wie die Fähigkeit, zu wissen, wann man sich zurückhalten und seine Kräfte schonen muss. Wie einer meiner Lehrer mir richtigerweise sagte: „Man muss nicht laut singen, sondern klug.“ Wagner erfordert außerdem oft zarten Gesang und Stimmschönheit. Auch ist es elementar, den Text vollständig zu verstehen und zu verinnerlichen. Das ist wohl die größte Herausforderung für ausländische Sänger. Wagners Sprache, die Verwendung von Konsonanten, Alliterationen und Subtexte zu erlernen beziehungsweise zu verstehen sind große Aufgaben. Als Musikerin, die auch intellektuelle Herausforderungen wie geschichtliche, psychologische und politische Aspekte gerne näher erforscht, ist dieses Repertoire eine faszinierende Quelle, aus der man immer wieder viel lernt.

Deborah Humble a.s Amneris an der Australian Opera Melbourne/Foto Jeff Busby/Humble

Deborah Humble als Amneris an der Australian Opera Melbourne/Foto Jeff Busby/Humble

Als ich 26 war, habe ich in London Simone Young vorgesungen, und zwar Erdas Warnung aus dem Rheingold. Ich hatte das Stück nicht einmal zu Ende gesungen, als sie mir sagte, dass ich Wagner erstmal für ein Jahrzehnt ruhen lassen und in sechs Monaten mit einem passenderen Repertoire noch einmal wiederkommen sollte. Ich habe damals auf ihren Rat gehört und es war tatsächlich fast genau 10 Jahre später, dass ich als Erda in Hamburg debütierte. Junge Sänger denken oft, dass man sich beeilen sollte, um bestimmte Ziele zu erreichen. Terje Stensvold, der 2013 den Wotan im Melbourne-Ring sang, war zu diesem Zeitpunkt 70 Jahre alt und hat mir erzählt, dass er seine erste große Wagnerrolle erst mit über 50 gesungen hat. Die Stimme frisch und gesund zu halten ist das größte Geschenk, das wir Sänger uns selbst machen können, wenn wir eine lange Karriere haben wollen.

Deborah Humble a.s Amneris an der Australian Opera Melbourne/Foto Jeff Busby/Humble

Deborah Humble als Amneris an der Australian Opera Melbourne/Foto Jeff Busby/Humble

In Australien standen Sie im Wagnerjahr 2013 als Erda und Waltraute in allen vier Teilen eines vielbeachteten Ring in Melbourne auf der Bühne. Was können Sie über diese Produktion berichten? Die größte Herausforderung des Ring in Melbourne war sicherlich, dass er innerhalb von wenigen Monaten geschmiedet wurde. Normalerweise ist es ein Prozess von drei oder vier Jahren, bis ein neuer Ring-Zyklus komplett aufgeführt werden kann. Wir hatten circa fünf Monate Proben, bevor wir drei komplette Zyklen (und ein Zyklus, der als Generalprobe öffentlich aufgeführt wurde) auf die Bühne brachten. Ich war die Einzige aus dem Ensemble, die in allen vier Teilen auftrat und es war recht anstrengend, 16 Vorstellungen in 35 Tagen zu singen. Die Produktion hatte, was gewisse Elemente anbelangt, einen gewissen australischen „Touch“, war insgesamt szenisch recht karg, zurückgenommen und hat die Musik sprechen lassen. Wie fast immer bei einem neuen Ring löste die Inszenierung einige Kontroversen aus. Wagner-Fans sind gebildet, leidenschaftlich und fällen meist ein strenges Urteil über das, was sie sehen und hören. Einen Ring-Zyklus zu besuchen, ist eine große Investition, sowohl finanziell als auch zeitlich. Es ist deshalb nur logisch, dass die Zuschauer dann auch etwas zu sagen haben wollen. Die intellektuellen und künstlerischen Debatten im Foyer machen aber wirklich Spaß. In Australien waren die Tickets für den Ring (die 2.500 Dollar aufwärts kosteten) übrigens innerhalb von 72 Stunden ausverkauft!

Welche Entwicklung hat Ihre Stimme in den letzten Jahren durchlaufen und und welche neuen Rollen wollen Sie sich in Zukunft erarbeiten? Gibt es bestimmte Wunschpartien? Meine Stimme hat sich in den letzten drei oder vier Jahren in die Höhe entwickelt und ist dramatischer geworden. Mir hat sich damit ein neues Repertoire eröffnet, das vorher nicht möglich war. Das Schöne daran, ein dramatischer Mezzosopran zu sein, ist, dass ich merke, wie sich die Stimme immer weiter entwickelt und dabei das beste noch kommen wird. Partien, die ich unbedingt singen möchte, sind im Wagner-Repertoire Fricka, Brangäne, Venus und Kundry. Was Verdi-Partien anbelangt Azucena und Eboli. Dann wären da noch Rollen wie Dalila, Herodias und später einmal Klytämnestra.

Deborah Humble als Ulrika/"Un ballo in Maschera"/Humble

Deborah Humble als Ulrica/“Un ballo in maschera“/Humble

Welche Rolle spielt das Lied in Ihrer Karriere? In Sydney und Melbourne haben Sie 2014 überaus erfolgreiche Liederabende gegeben… Wenn man als junger Sänger ständig neue Opern-Partien lernen muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, spielt das Lied meist eine Nebenrolle. Ich habe mich sehr gefreut, als ich letztes Jahr, nach dem großen Erfolg im Melbourne-Ring gefragt wurde, ob ich eine Serie von Liederabenden mit dem Titel „Große australische Wagnersänger singen Lieder“ mitgestalten wolle. Ein ziemlich hochtrabender Titel! Ich habe zwei komplett deutsche Programme mit Liedern von Wagner und Brahms vorgetragen und tolle Kritiken bekommen, über die ich mich sehr gefreut habe. Das Lied ist eine ganz andere Kunstform als die Oper, alles ist viel intimer und man hat, verglichen mit der Oper, mehr Kontakt mit dem Publikum. Liederabende finden in einem viel intimeren Rahmen als Opernvorstellungen statt und man hat auch deshalb die Möglichkeit, eine Geschichte auf viel persönlichere Art und Weise zu erzählen. Der Text ist beim Lied elementar wichtig. Man muss die Welt, von der man singt, regelrecht in sich aufnehmen. In Australien sind Liederabende vielleicht eine größere Herausforderung als anderswo, weil das Publikum wenig Live-Erfahrungen mit dieser Kunstform hat und manche Nuancen im Text nicht versteht, wenn nicht auf Englisch gesungen wird. Es ist dann umso wichtiger, den Text mit Ausdruckskraft und vielen stimmlichen Farben zu vermitteln. Abgesehen von den Liederabenden in Australien habe ich letztes Jahr in Wellington in Neuseeland meine ersten Wesendonck-Lieder mit Orchester gesungen, auch das war eine tolle Erfahrung.

Arbeiten Sie weiterhin mit einem Gesangslehrer an Ihrer Technik? Ich arbeite nach wie vor mit einem Gesangslehrer in Hamburg, vor allem, wenn ich neue Partien einstudiere. Es ist wichtig, kontinuierlich an der Stimmtechnik zu arbeiten, da die Stimme wächst, sich verändert. Außerdem ist es wichtig, jemanden zu haben, dessen Urteil man wirklich vertraut, da es manchmal trügerisch ist, wie man sich selbst hört. Ich arbeite mit verschiedenen Repetitoren in Deutschland, Italien und Australien, die sich auf bestimmte Sprachen und Repertoirerichtungen spezialisiert haben. Stimmliche Entwicklung ist ein kontinuierlicher Prozess und eine stetige Herausforderung, die mir Spaß macht – man hört nie auf zu lernen!

Deborah Humble/Foto Andrew Keshan

Deborah Humble/Foto Andrew Keshan

In Ihrer Freizeit schreiben Sie an einem Reiseblog und Beiträge für das australische Onlinemagazin „Classic Melbourne“. Wie kam es zu diesem Hobby? Abgesehen von der Musik habe ich viele Interessen, aber es kann schwer sein, sich Hobbys wirklich zu widmen, wenn man immer unterwegs ist. In Australien bin ich bin mit viel Sport und an der frischen Luft aufgewachsen. Ich liebe Sportarten wie Tennis, Segeln, Wandern, Schwimmen oder Kayak fahren. Alles, was mit dem Meer oder den Bergen zu tun hat, mache ich sehr gerne. Wenn man so viel Zeit im Theater verbringt, ohne Fenster oder frische Luft, ist es umso wichtiger, ab und zu raus in die Natur zu gehen und so den Kopf frei zu bekommen! Ich werde dann oft gefragt, ob ich keine Angst habe, mich zu erkälten, aber ich bin der Überzeugung, dass es wichtig ist, ein normales, ausgewogenes Leben zu führen und auch Zeit mit Freunden, die nichts mit der Opernwelt zu tun haben zu verbringen. So verliert man den Bezug zur Realität nicht. Es gibt nichts Langweiligeres, als ständig über Gesang zu reden! In den letzten drei Jahren war ich fast ständig weg von zu Hause, und ich dachte, dass Schreiben etwas sei, das man überall machen kann. Ich habe eine Ausbildung zur Reise- und Fotojournalistin begonnen, um meine Fähigkeiten abseits des Gesangs weiterzuentwickeln. Ich reise viel sowohl aus persönlichen, als auch aus beruflichen Gründen. Das Reisen ist eine meiner Leidenschaften. Ich wollte deshalb über ein paar meiner Abenteuer in einem Blog berichten und mir wurde gesagt, dass ich gute Geschichten schreiben würde! In Zukunft würde ich gerne weiter auch im Kunst- und Musikjournalismus tätig sein. Zur Zeit schreibe ich eine Kolumne für die Webseite Classic Melbourne.

Und was steht 2015 auf Ihrem Terminkalender? Auch 2015 wird mein Auftrittskalender vom deutschen Repertoire dominiert sein. Ich habe gerade Mahlers 3. Symphonie in Australien gesungen, was ich rundum genossen habe. Mahlers 8. werde ich 2015 zum ersten Mal in Singapur, im Esplanade Theatre interpretieren. Diesen Monat kommt die oben erwähnte Erda im Rheingold mit den Philharmonikern von Hong Kong, als Auftakt eines neuen Ring-Zyklus, der auch für Naxos aufgenommen werden wird. Die Erda in Siegfried werde ich in den USA in der Symphony Hall von Boston singen. Außerdem werde ich in einem konzertanten Parsifal in Birmingham zu hören sein und als Judith in Herzog Blaubarts Burg nach Melbourne zurückkehren. In Deutschland werde ich ich beim Festival „Britannia in Bamberg“ Elgars Sea Pictures interpretieren. William Ohlsson

www.deborahhumble.com

 

Deborah Humble/Foto Andrew Keshan

Deborah Humble/Foto wie oben Andrew Keshan

Warum?

Geradezu unstillbar muss der Drang Plácido Domingos sein, sich unermüdlich auf dem Gebiet der Oper zu betätigen, sei es als Sänger, Tenor oder Bariton, als Intendant, Lehrer, als Begründer eines Gesangswettbewerbs oder als Dirigent, und da scheint es nur eine untergeordnete Rolle zu spielen, welche Qualität das dabei entstehende Produkt hat. Wäre es anders, hätte der Künstler sich nicht auf ein Unternehmen wie die Aufnahme von Puccinis Manon Lescaut  mit dem Tenor Andrea Bocelli als Des Grieux eingelassen. An der Seite von Ana Maria Martinez und mit vielen jungen Sängern des Centre de la Comunitat Valenciana Plácido Domingo in den kleinen Rollen gibt der Sänger eine peinliche Probe seines Könnens und der desolaten Verfassung seiner Stimme ab. Dem Dirigenten Domingo kann man keinen Vorwurf machen, denn das Orquestra de la Comunitat Valenciana spielt unter seiner Leitung frisch und spritzig, wie es die junge, elegante Partitur verdient, und der Meister weiß auch die lyrisch-emphatischen Teile voll auszukosten.

Ana Maria Martinez, die augenblicklich vor allem in Amerika singt und bei Puccini zu Hause ist, hinterlässt als Manon einen zwiespältigen Eindruck. Die Stimme hat den mädchenhaften Klang von einst verloren, klingt in den besseren Passagen, so des ersten und des ersten Teils des zweiten Akts, fraulich, warm und reich an Farben. Die Leichtfertigkeit des jungen Mädchens ist kaum zu vernehmen, am ehesten noch in ihrer Canzone, und in „In quelle trine morbide“ ist auch il canto morbido, in den schlechteren Passagen hört sich der Sopran bereits matronenhaft an, im vierten Akt ist er entschieden überfordert, und die Höhen klingen scharf. Bruder Lescaut findet in Javier Arrey einen viril klingenden Bariton, der nur im Piano etwas nasal klingt und in der Höhe nicht ganz frei erscheint, insgesamt aber eine ordentliche Besetzung ist. Der übliche Geronte mit Altherrenbass, was hier ja nicht unrecht ist, tritt mit Maurizio Muraro in Erscheinung. Etwas schüchtern, mit hübschem Mezzotimbre singt Mariam Battistelli den Musico.

Der erste Eindruck vom Tenor Bocellis ist der eines Reibeisens, die Stimme ist dunkel, die Höhen werden gestemmt, Legato und großzügige Phrasierung sind nicht zu vernehmen, viele Phrasen, die andere Tenöre auf einem Atem singen, werden gnadenlos zerhackt, „Nell‘ occhio tuo profondo io leggo il mio destin‘“ ist eines der vielen Beispiele dafür.  Die gesamte Partie wird nicht gestaltet, sondern das reine Bemühen um ihre technische Bewältigung steht im Vordergrund. Das führt zwangsläufig auch zu einer hölzern und hart wirkenden Monotonie. Dagegen ist sogar der nicht besonders stimmschöne Edmondo von Matthew Pena ein vokaler Lichtblick. Die Decca hat ihrem Star Domingo, dem sie sicherlich viel zu verdanken hat, mit dieser Aufnahme keinen Gefallen getan- und den Sängern auch nicht (Decca 478 7490).

Ingrid Wanja

Anna de Cavalieri

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„Ganz persönlich“:   In unserer Serie über weitgehend vergessene Sänger erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und  langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.

„Ah si la liberté“ ist eine jener unvergesslichen Arien aus Armide, die mir als Dauerohrwurm im Kopf hängen blieb, als ich neulich meinen Gluck-Bestand durchforstete. Viele haben diese Arie gesungen, natürlich Frida Leider unvergleichlich, aber eben auch Anna De Cavalieri auf der RAI-Aufnahme von 1958 unter Mario Rossi, der sich wie wenige andere italienischen Kollegen auch um das französiche Fach kümmerte. Die Cavalieri – sie wäre im Juli 2016 neunzig geworden – ist hier in Bestform zu hören, lockend aber auch kühl, versprechend aber auch definitiv, fraulich und doch auch amorph – viele Aspekte dieser schillernden Figur sind in ihrer Stimme auf der Aufnahme (Fiori FI-1040) abzuhören – was für eine Bandbreite hatte diese Sängerin, die eigentlich aus Amerika kam und für lange Zeit das Nachkriegsitalien mit ihrer aufregenden Sopranstimme ungemeiner Leistungsfähigkeit beherrschte. Ihre Hinterlassenschaft ist beeindruckend – aber eben „nur“ im Livebereich, ob nun als Elena in Boitos Mefistofele, als Loreley Catalanis, ob in Opern von Verdi (namentlich im Trovatore mit Labo`) oder Respighi (2 x Lucrezia), sogar als Bellinis Imogene ist sie von der RAI überliefert, wenngleich ihre Stärke wohl auch im zeitgenössischen Opernfach lag.  Deshalb ist es uns ein Bedürfnis, angesichts der reichlicher Dokumente bei Fiori, Myto oder Bongiovanni, an diese bedeutende Interpretin zu erinnern.

Anna De Cavalieri als Maddalena neben Mario Del Monaco/ "Andrea Chénier"/ operaclick

Anna De Cavalieri als Maddalena neben Mario Del Monaco/ „Andrea Chénier“/ operaclick

Kenntnisreichen Opernfans ist der Name der bedeutenden Sopranistin der Nachkriegszeit, Anna de Cavalieri, natürlich ein Begriff. Die amerikanische Sängerin (24 Juli 1926 – 29 August 2012) mit dem italienischen Künstlernamen lebte – hochbetagt – in Lugano. Sie war viele Jahre mit dem amerikanischen Bariton Fred Rogosin verheiratet. In den Fünfzigern und Sechzigern zählte sie wie Clara Petrella oder Caterina Mancini, Mafalda Favero und auch Anita Cerquetti und anderen zum italienischen Standard und nahm besonders viel bei der Radio-Gruppe der RAI auf. Ihre Stimme vergisst man nicht. Ihr herbe-veristisches Timbre ist ein ganz persönliches und expressiv-gestaltendes, wie man auf den vielen Rundfunkaufnahmen hören kann, die bei den verschiedenen Live-Firmen herausgekommen sind – immer noch gibt es viele unveröffentlichte. Ihr Repertoire war enorm und spannte sich vom Barock bis in die Moderne. Und es ist kein Geheimnis, dass wir, die Macher von operalounge.de dieser Stimme noch immer verfallen sind. Umso größer ist die Freude, dieser großen Künstlerin noch einmal in einem Interview zu begegnen, dass Gabriele Bucchi für OperaClick Italien gemacht hat und dass uns diese großzügiger Weise zur Verfügung gestellt haben. Danke an die italienischen Kollegen! Ingrid Wanja war wieder so freundlich, den Text ins Deutsche zu übersetzen. G. H.

Anna de Cavalieri als Tosca/isoldes-liebestod.net

Anna de Cavalieri als Tosca/isoldes-liebestod.net

Anna de‘ Cavalieri empfängt mich an einem wolkenreichen Nachmittag kurz vor ihrem Tod in ihrer schönen, wenige Schritte vom Luganer See entfernten Wohnung. Guten Tag, Signora, ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir dieses Treffen zugesagt haben. Wollen wir mit dem Beginn Ihrer Karriere anfangen?   Ich heiße Anne MacKnight und bin in Aurora (Ilinois) geboren. Meine erste Gesangslehrerin hieß Gladys Gilderoy Scott, die der wichtigste Mezzosopran in der englischen Theatergruppe „Moody-Manners Opera Group“ war. Nach zwei Jahren Studium an der Universität von Illinois bin ich nach New York übergesiedelt, um Musik an der Julliard School zu studieren. Ich war noch sehr jung, gerade 18 geworden, aber sie haben mich aufgenommen, weil sie spürten, dass meine Stimme ein gutes Potential hatte. Ich habe auch ein Stipendium bekommen, so dass ich damit fünf Jahre lang studieren konnte.

War es zu dieser Zeit, dass Sie mit 21 Jahren für die Bohème mit Toscaini engagiert wurden? Ja. Während der Studien an der Juilliard berichtete mir Maestro Willfred Pelletier, der die Opernaufführungen der Schule leitete das Toscanini eine neue Stimme für die Partie der Musetta  in Bohème suche. Man hatte ihn dafür gewonnen, die Oper für NBC zu dirigieren. Also hat Pelletier mir gesagt: „McKnight“ (er nannte mich immer mit dem Nachnamen) „Morgen gehst du zu Toscanini! Kennst du die Arie der Musetta?“ Ich antwortete ihm: “Nein, ich kenne sie nicht, ich singe Aida und Tosca!“ Und er: “McKnight, morgen gehst du zu Toscanini und singst ihm die Arie vor, verstanden?“ So ging ich also zu Toscanini.

Anna de Cavalieri/isoldes-liebestod.net

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Als ich in den zum Vorsingen bestimmten Saal eintrat, sah ich eine Reihe leerer Stühle und erkannte eine damals bekannte Sopranistin, Virginia McWatters, die zu dieser Zeit Zerbinetta am City Center sang, eine wundervolle Stimme! Ich war die Letzte beim Vorsingen dieses Morgens. Ich setzte mich in ihre Nähe und die McWatters fragte mich, ob wir unsere Reihenfolge in der audizione tauschen könnten. Sie war davon überzeugt, dass sie die Rolle bekommen würde, wenn sie als letzte sänge. Ich sagte ja, weil ich meinte, dass ich nichts zu verlieren hätte. Ich hatte bereits alle meine Unterrichtsstunden am Morgen und sogar das Mittagessen verloren, was mich am meisten ärgerte (sie lacht). Es öffnet sich die Tür der Garderobe und der Sohn Toscaninis, Walter, ruft mich auf… Toscanini hatte keinen Pianisten, er selbst begleitete die Sänger! Im Raum, dem berühmten Studio 8H (in ganz Amerika bekannt als das „Studio von Toscanini“) war ein großer Spiegel, in dem ich Walter sah, der mit dem Vizepräsidenten der NBC, Samuel Chotzinoff sprach. Letzterer zündete sich eine Zigarette an, und kaum hatte ich mit „Quando me’n vo“ begonnnen, fiel ihm die Zigarette aus dem Mund… Da habe ich mir gesagt: „Geh, Anna, das wars.“  Am Ende sagte Toscanini zu mir: „Ihr Italienisch ist sehr seltsam“ ( in Italienisch). Dann ist Walter gekommen und hat mich gefragt: “Kennen Sie die Rolle der Musetta?“ Und ich:“Nooo“ (mit amerikanischem Akzent). „Also lernen Sie sie schnell.“ Normalerweise lernte ich eine Partie in einem Monat. (…) Drei Mal in der Woche ging ich zu Toscanini, die anderen Tage zum Erlernen der Aussprache. Der Maestro brachte mir die Rolle bei, begleitete mich stets auf dem Klavier. Aber wir verstanden einander nicht. Er sprach fast kein einziges Wort Englisch, und ich sprach nicht Italienisch. Vielleicht konnte ich gerade einmal „Spaghetti“ sagen oder ähnliches. Aber das war nicht so schlimm, denn Walter machte den Dolmetscher. Ich erinnere mich daran, dass Toscanini wollte, dass ich das Lachen der Musetta als exakten Gesang anlegte, alle Noten und im vorgeschriebenen Tempo. (…)

Anna de Cavalieri als Norma/isoldes-liebestod.net

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Nach der Bohème rief Walter Toscanini mich an, der Meister wolle mich für die Aufnahme von Beethovens Neunter, die wir dann auch gemacht haben. Nachdem ich die Juilliard School beendet hatte, riet mir Toscanini, mich in Italien bei einem seiner Asistenten zu perfektionieren. Davon hatte er fünf, von denen ich drei kennen lernte: Pais, Colombini, Votto. Ich ging also zu Giuseppe Pais, der damals nicht mehr dirigierte (Votto war ja völlig überlastet). Im Sommer 1948 kam ich nach Como, und jeden Tag nahm ich den Bus nach Fermo, um mit Pais in dessen Sommerfrische zu studieren. Er war sehr streng und bemerkte auch den kleinsten Fehler. Auch mein Mann arbeitete mit ihm. Ich weiß nicht, wie oft ich ihn die Eingangsphrase von Padre Germont („Madamigella Valery“) habe wiederholen hören, es war nie gut genug. Wie bei Toscanini!

Eines Tages hielt in Como ein Rolls Royce neben mir: Walter Toscanini. Jetzt erzähle ich Ihnen einen Vorfall, den niemand kennt. Walter sagte mir dann, dass Toscanini eine Sopranistin suche, die mit ihm in Busseto Lady Macbeth singen sollte. Ich hatte sie bereits studiert und fühlte mich in der Rolle gut. Also fuhr ich zu ihm nach Mailand in die Via Durini, um vorzusingen. Er nannte mir die Daten von Busseto, aber leider war ich da bereits in Bergamo für einige Vorstellungen von Figaro mit Gavazzeni engagiert. Ich nicht in der Lage, eine Vertragsstrafe wegen Vertragsbruch zu zahlen und Gavazzeni abzusagen. Toscanini wurde sehr wütend, und wie Sie wissen, hat er nie mehr eine Oper im Theater dirigieren wollen. Heute bereue ich, nicht zugesagt zu haben. Und leider kam ich später nie zur Lady. Aber ich habe oft die Nachtwandlerszene gesungen, zum Beispiel bei den Concerti Martini e Rossi. Da haben Sie oft gesungen?  Sieben Mal. Und jedes Konzert umfasste vier Arien.

Anna de Cavalieri als Isolde/isoldes-liebestod.net

Anna de Cavalieri als Isolde/isoldes-liebestod.net

Wie ging es mit Ihrer Karriere in Italien weiter? In der Nachkriegszeit waren viele Amerikaner nach Italien gekommen, um sich wie ich zu perfektionieren und sich einen Namen zu machen. Viele junge Italiener hatten wegen des Kriegs nicht studieren können. Die Theater waren schwer beschädigt und deswegen oft noch geschlossen. Oper spielte man vor allem im Sommer auf der Piazza. Ich erinnere mich daran, dass in Lugo oder Pistoia meine Garderobe ein Wäschegeschäft war, während der Tenor und der Bariton sich beim Frisör und beim Fleischer umzogen. ..

Erinnern Sie sich an Ihr Debüt in Italien? Ja, natürlich, es war eine Aida, in Pesaro 1949. Ich wurde mit 25 000  Lire für eine Vorstellung bezahlt. Das war schon viel! Es gab praktisch keine Proben, und oft lernte man die Kollegen erst auf der Bühne kennen.  Nach der Premiere kam der Impresario zu mir und sagte: „Brava! Sind Sie morgen für eine weitere Vorstellung frei?“ Damals war das so. Ich hoffte auf weitere 25 000Lire, stattdessen gab er mir nur 5 000 Lire (der Preis für ein Doppelzimmer und Vollpension im Hotel): also zwei mal Aida für 30 000 Lire, alles inbegriffen. Bei der Premiere debütierte mit mir Aldo Protti als Amonasro in blendender Form. Im dritten Akt, nachdem er gesungen hatte „Dei faraoni tu sei la schiava“ wollte das Publikum ein Bis um jede Preis und ließ es nicht zu, dass die Vorstellung weiter ging. Also musste ich mich wieder erheben und ein zweites Mal zu Boden werfen lassen.. Ah ah!

Anna de Cavalieri als Fedora/isoldes-liebestod.net

Anna de Cavalieri als Fedora/isoldes-liebestod.net

Nach Aida habe ich oft die Gioconda gesungen. In Parma bekam ich für meine Verkörperung dieser Rolle sogar eine Art Oscar. Von dieser Gioconda gibt es aus Neapel eine Live-Aufnahme mit Barbieri und Di Stefano?  Ja, die habe ich gehört. Leider ist die Tonqualität nicht gut. Ich habe schöne Erinnerungen an die Barbieri, mit ihr gab es immer etwas zu lachen. Eine große Stimme und großartige Frau!

Wie bereiteten Sie ihre Rollen vor? Maestro Pais hatte mit mir vier oder fünf Partien einstudiert, die ich für das Vorsingen bereit hielt. Es waren Aida, Tosca, Chénier, Gioconda und Trovatore. Ich lernte neue Partien recht schnell, in etwa einem Monat.  Die Loreley habe ich in meinen ersten Karrierejahren oft gesungen. Ich kann sagen, dass in diesen Jahren Loreley in Italien gleichgesetzt wurde mit Anna de‘ Cavalieri. Ich habe sie in Lucca und auch in den Caracalla Thermen mit Bergonzi gesungen, und natürlich für die RAI.

Wann beschlossen Sie, Ihren Namen zu italianisieren? Zu Beginn meiner Karriere in Italien. McKnight war für das Italien von 1948 zu schwierig. Das erklärt, warum ich mit Toscanini als McKnight erscheine, in Italien aber als De‘ Cavalieri.. Als ich nach New York in das City Center für einige Toscas, für Aida, Don Giovanni (Donna Elvira) und Cavalleria zurückgekehrt bin, habe ich meinen eigentlichen Namen wieder angenommen. Ich war davon überzeugt, dass ich meine Karriere in den USA fortführen könnte. Erster Irrtum von so vielen…

Sprechen wir über Ihr Repertoire. Bedenkt man die relative Kürze meiner Karriere (ungefähr zwanzig Jahre, weil ich 1946 debütiert habe und mich 1967 von der Bühne zurück gezogen habe), habe ich doch einiges an Opern gesungen, mindestens an die fünfzig. Die häufigste Partie war die Tosca. Außer Rondine und Gianni Schicchi  (in Amerika), habe ich in Italien Manon Lescaut ( in San Remo) und Turandot gegeben. Aber die Rolle, die ich auf jeden Fall singen wollte, war die Minnie, für die ich mir schöne Kostüme hatte anfertigen lassen. Aber ich konnte sie nie zeigen, denn wenn man mir die Partie anbot, war ich bereits anderweitig engagiert oder war schwanger.

Anna de Cavalieri als Gioconda/isoldes-liebestod.net

Anna de Cavalieri als Gioconda/isoldes-liebestod.net

In jenen Jahren reisten Sänger oft mit ihren eigenen Kostümen. Vor allem, wenn man die üblichen Mode-Maße sprengte wie ich. Man ließ sich die Kostüme für jene Rollen anfertigen, die man am häufigsten sang. Einmal, 1961, war ich in Rio de Janeiro für eine Turandot und fragte nach, welche Opern sie noch im Repertoire hätten. An den folgenden Tagen gab man Tosca mit der Mancini und Tagliavini. Die Mancini wurde krank und ich sollte sie ersetzen. Nun hatte ich aber kein Kostüm dafür mit dabei, lediglich eins für die Turandot. Ich musste also eine blonde Perücke tragen und normale Kostüme, die mir nicht gut standen. Aber die Kritiker meinten, ich wäre die schönste Tosca, die man in den letzten Jahren erlebt habe, mit oder ohne Kostüm (lacht).

Ich habe als lirico spinto begonnen, habe aber oft auch das dramatische Fach gesungen. In Konzerten gab ich auch Auszüge aus der Walküre (Sieglinde) und besonders Isolde (in Italienisch). Turandot ist eine kurze Partie, aber sehr schwierig und gefährlich, weil dauernd im hohen Register. Das ist nichts für Anfänger.

In Ihrem Repertoire finden wir überraschenderweise auch einige Partien des Belcanto wie die Imogene in Il Pirata bei der RAI 1958 (neuerdings wieder auf dem Markt) und auch die Norma. Norma habe ich zum ersten Mal 1963 am Teatro La Pergola in Florenz mit Anna Maria Rota (Adalgisa) und Gastone Limarilli (Pollione) unter dem Dirigat von Wolf Ferrari gesungen und sie auch in Frankreich wiederholt. Es ist eine sehr schwierige, aber doch faszinierende Partie. Für Konzerte hatte ich auch einige Partien des 18.Jahrhunderts parat, zum Beispiel Alceste  und Armida/e von Gluck, aber sie passten nicht besonders gut zu meiner Stimme. Alceste hört man ja fast immer von einem Mezzosopran, weil die Tessitura für einen Sopran zu tief liegt. Aber aus Freude darüber, eine so edle Musik singen zu dürfen, habe ich sie mit dem größten Respekt davor gegeben. Armide habe wir Französisch für die RAI in Turin unter dem Dirigat des großen Mario Rossi 1958 aufgenommen (und auch die gibt es auf dem Markt).

Sie hatten auch etliche Opern des 20 Jahrhunderts im Repertoire, darunter Cyrano de Bergerac und La Legenda di Sakuntala von Franco Alfano. Kannten Sie den Komponisten persönlich? Ja, ich habe Alfano persönlich gekannt. Er suchte mich nach dem ersten Konzert von Martini e Rossi in San Remo auf und wollte, dass ich die Rolle der Roxane 1954 an der Scala (die ich dann auch sang) verkörpere. Er bestand darauf. Ich ging für eine Woche zu ihm nach San Remo, um die Rolle mit ihm zu erarbeiten. Er war ein eindrucksvoller Mann, zugänglich und sympathisch.

Anna de Cavalieri als Roxana/isoldes-liebestod.net

Anna de Cavalieri als Roxana/isoldes-liebestod.net

Die Titelpartie im Cyrano an der Scala sang Ramon Vinay, ein anderer Sänger Toscaninis. Er war ein schöner Mann, groß und stark. Ein Jammer, dass sie ihm für die Partie diese Nase angeklebt hatten. Welche Ausnahmemusikalität, was für ein wunderbarer Schauspieler! Ich erinnere mich daran, dass er vor dem Singen immer zwei Flaschen Coca Cola trank. Jeder hat so seine Methoden…

Vorhin haben wir gemeinsam Ihre bemerkenswerte Interpretation von „Du bist der Lenz“ aus der Walküre gehört (Konzert Martini e Rossi vom 13. Januar 1958), wo Sie auf Deutsch singen. Wagner auf Deutsch zu singen war selbst im Konzert in diesen Jahren ungewöhnlich, nein? Genau genommen habe ich auch die Isolde, allerdings in Italienisch, in Catania gesungen. Aber in Konzerten sang ich Wagner immer im Original, sei es „Du bist der Lenz“, sei es die Schlussszene aus der Götterdämmerung. Das war für mich nicht schwierig. An der Juilliard School hatten wir Deutsch und Französisch singen gelernt. Gegen Ende meiner Karriere kamen viele Angebote für Wagnerpartien in Deutschland, aber mein Mann war Jude, und die Erinnerung an den Krieg und die grauenhaften Vorfälle waren  noch zu lebendig. Deshalb habe ich nicht zugesagt. Vielleicht war das ein Fehler, denn bei Wagner fühlte ich mich wohl, sei es vom vokalen, sei es vom szenischen Standpunkt her.

Sie haben zwei Rollen von Strauss gesungen, Ariadne (für die RAI unter der Leitung von Peter Maag) und die Marschallin. An der New York City Opera gab ich 1952 zum ersten Mal die Tosca, was nicht gut lief. Der Regisseur hatte seltsame Vorstellungen, und ich konnte damit nichts anfangen. Sie haben mich rausgeworfen! Dann sang ich die Marschallin auf Deutsch, und sie war ein Triumph. In New York hatte ich auch dafür ein Vorsingen bei Bing um 10 Uhr morgens (!), mit „Casta diva“ und der Arie der Abigaille. Leider zog sich Bing aus Gesundheitsgründen vom Management zurück und wurde durch einen neuen Intendanten ersetzt. Addio amerikanische Träume…

Anna de Cavalieri als Loreley/isoldes-liebestod.net

Anna de Cavalieri als Loreley/isoldes-liebestod.net

Kommen wir zu den Kollegen, mit denen Sie gearbeitet haben. Da gibt es einen Mefistofele in Verona 1954, in dem Sie Elena und Maria Callas die Margherita sind; Di Stefano war Faust und Rossi Lemeni Mefistofele. Ich und die Callas haben uns während dieser Vorstellungen nicht oft gesehen, wir sangen ja in verschiedenen Akten. Ich hatte jedoch Gelegenheit, sie einige Male im normalen Leben zu erleben, besonders am Anfang ihrer Karriere, weil wir beide oft an den selben Provinztheatern auftraten. Einmal, so erinnere ich mich, sah ich die Callas in einem Restaurant in Brescia eine Riesenportion an Pasta, Fleisch, Dessert und Wein vertilgen und danach auf wunderbare Weise die Aida singen. Mein Mann und ich fragten uns, wie sie das mit all dem Zeug im Magen schaffte. Vor kurzem kam man zu mir, damit ich mich in einem Interview über die Callas äußere, aber ich hatte da nicht viel dem hinzuzufügen, was bereits vielfach gesagt wurde. An Meneghini habe ich eine lebhafte Erinnerungen. Er war überaus freundlich und machte oft Komplimente in der Garderobe. Und schickte immer Weihnachtsgrüße.

Ich bewunderte Mario del Monaco sehr. Ein wahrer gentiluomo. Wir traten oft gemeinsam in Andrea Chénier auf. Er war ein großartiger Chénier! Die Vorstellungen, die wir gemeinsam 1954 in Neapel unter Maestro Serafin machten, gehören zu den schönsten Erinnerungen meiner Karriere. Als wir am Schluss einer Vorstellung auf den Karren stiegen, umarmte er mich und sagte zu mir: „Die Hälfte meines Erfolges heute Abend habe ich dir zu verdanken“. Chénier habe ich auch mit Franco Corelli in Enghien Les Bains in Frankreich gemacht. Corelli hatte keine Stimmgabel in der Garderobe, und wenn er sich einsang, kam er zu mir und fragte:“ Bis zu welchem Ton bin ich gekommen?“ „Re bemolle“ , und er war zufrieden. Auch mit  Di Stefano bin ich viel aufgetreten. Der war weniger diszipliniert und recht chaotisch. Ich erinnere mich, dass er in San Remo  nicht zu den Proben kam, weil er im Kasino spielte…

Anna de Cavalieri als Trovatore-Leonore neben Mario Filipeschi/www.mariofilipeschi.com

Anna de Cavalieri als Trovatore-Leonore neben Mario Filipeschi/www.mariofilipeschi.com

Mit Lauri Volpi habe ich ein Konzert Martini e Rossi bestritten. Er war ein älterer Künstler, aber noch immer attraktiv und besaß eine Riesenstimme. Zunächst war er etwas pikiert, weil er mit einer Unbekannten zusammen auftreten sollte, aber dann sehr freundlich. Ich erinnere mich an einen Streit zwischen ihm und Serafin. Während einer Probe schlugen sie auf einander ein und rechtfertigten sich, als sie unsere erstaunten Blicke sahen, damit, sie seien alte Schulkameraden. Was für Schläge! Aber sie blieben für immer Freunde.

Ich erinnere mich an Ebe Stignani, eine sehr sympathische Künstlerin, mit der zu arbeiten ein Vergnügen war. Ich habe auch eine aufregende Sängerin gekannt, die sich Casazza nannte (Elvira Casazza, Mezzo-Sopran, Ferrara 1887 – Mailand 1965), sie kam nach einer Aida, um mir Komplimente zu machen und sagte mir eine schöne Karriere voraus. Damals wusste ich nicht, wer sie war, aber sie war oft mit Toscanini aufgetreten, als dieser Maestro an der Scala war. In Catania sang ich mit Gino Bechi in Guglielmo Tell. Eine außergewöhnliche Stimme. Seine Garderobe quoll zudem von  Medikamente und Flüssigkeiten über. Ehe er auf die Bühne ging, spritzte er sich das ganze Zeug in die Kehle und klang dann göttlich. Ich bin auch mit Tito Gobbi in Torre del Lago aufgetreten, in Tosca. Gobbi war etwas distanziert, ein sehr selbstsicherer Mann. Und ich habe eine wunderschöne Erinnerung an Ettore Bastianini und habe geweint, als ich von seinem Tod hörte… Ach, wie viele meiner Kollegen gibt es nicht mehr. Einmal sang ich Tosca in Modena und mich suchte ein (noch sehr schlanker) Luciano Pavarotti auf. Er schenkte mir seine signierte Photographie und meinte, er würde gern mit mir singen. Dazu kam es nicht – ich hörte auf, und er begann seine Karriere. Schade!

Sprechen wir etwas von den Dirigenten, mit denen Sie oft gearbeitet haben. Sie haben Serafin zitiert, der im Ruf stand, ein großer Stimmenversteher  zu sein. Ich kann es kaum ausdrücken, wie sehr ich diesen Mann bewunderte. Das erste Mal war ich seine Aida in der Arena Flegrea. Ich erinnere mich genau, dass er mich nach dem Vorsingen unterhakte und sagte: „Diese Stimme muss geführt werden.“ So fuhr ich mit meinem Mann in die Villa des Maestro in der Nähe von Florenz. Er studierte andere Partien auch mit ihm, so Gioconda, Trovatore, Chénier, Tosca. Serafin bestand darauf, dass der Gesang ausdrucksvoll geriet, dass man die Worte verstand: Für ihn gab es kein „reicht so…“. Er reiste immer mit seiner Schweizer Wirtschafterin Rosina, die für ihn kochte, auch im Hotel. Serafin aß nie mit den anderen zusammen.

Anna de Cavalieri als Alceste/isoldes-liebestod.net

Anna de Cavalieri als Alceste/isoldes-liebestod.net

Ich habe auch gute Erinnerungen an Mario Rossi, einen sehr feinen Musiker. Leider habe ich wenig mit Gavazzeni gearbeitet. Aber ich kann mich daran erinnern, dass er unzählige Male mit mir und der anderen Soprankollegin die Briefszene im Figaro probierte. Zunächst erschien uns das übergenau, aber dann begriff ich, dass wir eine außergewöhnliche Lektion in Interpretation erhalten hatten.

War die Atmosphäre in den Provinztheatern anders als am San Carlo und an der Scala? Außergewöhnlich, vielleicht noch warmherziger als in den großen Theatern. Es wurden Blumen mitgebracht, aber die aus dem eigenen Garten. Die Leute kamen eine Stunde vor Beginn ins Theater und brachten Essen und Trinkbares mit. Sie haben oft auf Freilichtbühnen gesungen: Verona, Caracalla, Arena Flegrea di Napoli. Erfordert das größere Anstrengungen und nicht allgemein verbreitete Begabungen eines Sängers? Was soll ich da sagen. Ich hatte eine kraftvolle Stimme und für mich machte es keinen großen Unterschied. Natürlich herrscht in den geschlossenen Theatern eine größere Konzentration. Ich erinnere mich, dass man mir einmal nach einer Turandot in Messina als Kompliment sagten, man habe mich bis nach Reggio Calabria gehört. Das hat mich natürlich gefreut! Die Claque war eine heimliche, aber unerbittliche Tatsache in den Theatern dieser Jahre… Und ob…Kaum war man am Bahnhof angelangt, waren sie auch schon da und forderten sofort Geld. Sie brachten Blumen, die sie wer weiß wo erworben oder besser gestohlen hatten…Das war nicht schön, und ich möchte nicht darüber reden…

Anna de Cavalieri als Aida/isoldes-liebestod.net

Anna de Cavalieri als Aida/isoldes-liebestod.net

Darf ich Sie nach den Gründen für Ihren vorzeitigen Rückzug aus der Karriere fragen?  Eines Tages hat mein Mann mir gesagt, er sei es müde, der „Signor de’Cavalieri“ zu sein. Von einem Tag auf den anderen machte ich Schluss und wollte von Musik nichts mehr wissen. Ich hörte nicht einmal mehr Radio. 1975 gründete mein Mann zusammen mit einem seiner Musikerfreunde einen gemischten Chor von ca. vierzig Personen hier in Lugano. Eines Abends bat er mich die Mezzosoprane, die etwas matter klangen, zu unterstützen. Er brauchte mich, und nun war ich es, die helfen konnte. 23 Jahre lang habe ich in seinem “Coro laureato“ Musik von Bach, Händel, Monteverdi, Bloch und sogar Bob Dylan gesungen! Ich entdeckte eine neue Welt in der Chormusik und neue Freunde unter den Sängern. Indem ich meinem Mann Fred half, wurde ich von der tiefen Traurigkeit, in die ich nach meinem Rücktritt gefallen war, geheilt. Und welche Rolle hat Ihr Mann Fred Rogosin in Ihrer Karriere gespielt? Er wusste alles über Musik. Er hatte zwei Doktortitel der Harvard Universität, als Bariton war er fünf Jahre lang Solist der Truppe „Glee Harvard Cluv“ gewesenund oft am Klavier Leonard Bernstein begleitet, mit dem er eng befreundet war. Fred war ein richtiger Techniker, mit einem außergewöhnlichen musikalischen Wissen. Eine Zeitlang studierte habe ich bei ihm Vokaltechnik. Er war immer an meiner Seite, beriet mich und verteidigte mich. Er war auch auch mein Manager. Er hat buchstäblich einen Teil seines Lebens meiner Karriere geopfert.

Wollen Sie ein paar Worte an die jungen Sänger von heute richten? An die Sänger im allgemeinen, junge und weniger junge: Zu meiner Zeit gab es die Regel „ sieben Jahre Studium und dann auf die Bühne“. Das heißt sieben Jahre regulären Unterrichts: Technik, Atem, Intonation, Musikalität, Interpretation. Wenn die Gesangstechnik den Künstler trägt, dann kann er die Sterne erreichen! In bocca al lupo!

Besonderer Dank geht an Susanna Toffaloni vom italienischen Website-Opernmagazins Operaclick.com und  Gabriele Bucchi, die uns die Übernahme dieses Interview gestatteten! Ein Besuch ebendort lohnt sich und gibt viele Einblicke in das italienische und internationale Opernleben. Grazie Signori! G. H.

 

Ingrid Wanja übersetzt tapfer und unverzagt aus dem Italienischen für uns - Danke Ingrid!

Ingrid Wanja übersetzt tapfer und unverzagt aus dem Italienischen für uns – Danke Ingrid!

Und im Anschluss noch eine Biographie von der schönen website der Freunde von Isoldes Liebestod: Cavalieri, Anna de, Sopran, * 1926; die Künstlerin war Amerikanerin, ihr eigentlicher Name war Anne McKnight. Sie erhielt ihre Ausbildung in den USA, kam aber in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nach Italien und hatte an den dortigen großen Opernbühnen bedeutende Erfolge; 1953 sang sie am Teatro San Carlo Neapel die Titelrolle in »Turandot« von Busoni, 1956 die Titelpartie in Glucks »Alceste« und wirkte dort 1959 in der Uraufführung der Oper »Pantea« mit. 1954 sang sie an der Mailänder Scala die Rossana in »Cyrano de Bergerac« von Alfano, 1958 die Elena in »Mefistofele« von Boito. 1955 gastierte sie auch an der Oper von Rom in Alfanos »Cyrano de Bergerac«, 1960 als Titelfigur in »Lucrezia« von O. Respighi, 1955 bei den Festspielen in den römischen Thermen des Caracalla in der Titelrolle von Catalanis Oper »Loreley«, 1954 bei den Festspielen in der Arena von Verona als Aida und als Elena in »Mefistofele«, 1957 am Teatro Regio von Parma. 1960 gastierte sie in ihrer amerikanischen Heimat unter ihrem eigentlichen Namen Anne McKnight an der New York City Centre Opera als Marschallin im »Rosenkavalier«. 1961 hörte man sie an der Oper von Rio de Janeiro als Turandot und als Tosca in den beiden Puccini-Opern gleichen Namens. Ihre größten Erfolge hatte sie jedoch in Italien. Dort sang sie 1960 an der Oper von Rom, 1962 in Turin, 1963 am Teatro Grande von Brescia die Mathilde in Rossinis »Wilhelm Tell«. Sie trat u.a. in Piacenza (1961 als Turandot von Puccini), Rovigo, Cremona (1964 als Fedora von Giordano) und noch 1968 in Padua (als Tosca) auf, 1962 am Théâtre de la Monnaie Brüssel, 1964 am Opernhaus von Toulouse als Norma. In Europa wie in Nordamerika hatte sie nicht zuletzt auch als Konzertsängerin eine bedeutende Karriere.

(Mit Dank an Sandro Wilhelm, dem die Seite bei Isoldes-liebestod.net gewidmet ist und der seit vielen Jahren der große Champion für Anna de Cavalieri war, ihm verdanke ich auch ein wirklich schönes signiertes Foto von ihr für meine Diven-Wand! Foto oben isoldes-liebestod.net. G. H.)