Vor sechs Jahren debütierte die australische Mezzosopranistin Deborah Humble mit großem Erfolg als Erda im Rheingold in Claus Guths Produktion des Ring des Nibelungen an der Hamburgischen Staatsoper. Seitdem war sie in zahlreichen weiteren Partien an ihrem Hamburger Stammhaus zu erleben und gab in ihrem Heimatland wichtige Rollendebüts wie beispielsweise als Amneris in Aida. Am 22. und 24. Januar 2015 war sie als Erda im Rheingold wieder in einem neuen Ring-Zyklus zu hören, dieses Mal konzertant mit dem Hong Kong Philharmonic Orchestra unter der musikalischen Leitung von Jaap van Zweden in Vorstellungen, die für eine spätere Veröffentlichung bei Naxos aufgezeichnet wurden. Im Interview mit William Ohlsson für operalounge.de spricht Deborah Humble unter anderem über ihre Zeit im Ensemble der Hamburgischen Staatsoper, ihre Liebe zur Musik Richard Wagners und ihre spannenden Zukunftspläne.
Ende Januar waren Sie erneut in Ihrer bisher wohl wichtigsten Partie, der Erda in Wagners Rheingold zu hören, diesmal in Hong Kong. Welche Anforderungen bringt diese Rolle mit sich und welche Entwicklung hat Ihre Erda über die Jahre seit Ihrem Debüt durchlaufen? Man denkt bei den Partien aus Wagners Ring eher an lange, schwierige Rollen wie etwa Brünnhilde, Wotan oder Siegfried, die enorme Ausdauer erfordern. Erda ist da ganz anders. Sie spielt eine zentrale Rolle im Zyklus, allerdings steht sie nur für eine sehr kurze Zeit auf der Bühne. Was sie zu sagen hat, ist von entscheidender Bedeutung für die Handlung. Die Warnung im vierten Bild ist eine der Szenen des Ring, auf die das Publikum regelrecht wartet. Die große Herausforderung dieser Partie liegt in ihrer Kürze – man muss einen effektvollen und bleibenden Eindruck in weniger als fünf Minuten machen und hat nicht die Chance, sich erstmal an die Bühne zu gewöhnen, keine Zeit zum Aufwärmen. Wagner bringt im Moment ihres Auftritts plötzlich jegliche Handlung zum Erliegen. Sowohl die Aufmerksamkeit der Zuschauer, als auch die der Charaktere richtet sich ausschließlich darauf, was Erda zu sagen hat. Ich habe keine andere Rolle in meinem Repertoire, die derart effektvoll ist, wenn man sie gut singt. Meine Erda ist heute im Gegensatz zu vor sechs Jahren viel reifer, sie hat sich sehr entwickelt. Mit den Jahren und meiner stimmlichen wie persönlichen Entwicklung hat die Partie eine ganze Bandbreite an musikalischen Nuancen und viel Ausdruckskraft hinzugewonnen. Jeder Dirigent und Regisseur vermitteln neue Einblicke in eine Rolle, jede Vorstellung vertieft die Interpretation einer Partie. Eine Herausforderung des Ring-Zyklus in Hong Kong war es, dass es sich um konzertante Vorstellungen handelte, die für Naxos aufgenommen wurden.
Als Erda gaben Sie vor sechs Jahren Ihr Wagner-Debüt, und zwar gleich in einer Neuproduktion an einem der wichtigsten deutschen Opernhäuser, in Claus Guths neuem Ring an der Hamburgischen Staatsoper. Ein solches Debüt ist sicher nichts für schwache Nerven… Wenn ich heute auf diese Zeit zurückblicke, bin ich dankbar für einen gewissen Grad an Naivität und sogar Ignoranz. Als Neuankömmling in Deutschland und der hiesigen Opernlandschaft hatte ich keine Ahnung, wie groß die internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung bei einer Neuproduktion von Wagners Ring-Zyklus sein würde. Wenn ich vorher gewusst hätte, welch ein riesiges Projekt das in den vier Jahren werden sollte, wäre ich sicher viel nervöser gewesen. Damals war ich derart damit beschäftigt, neue Rollen einzustudieren, mich an meine neue Heimat anzupassen und Deutsch zu lernen, dass das nur eine von vielen enormen Herausforderungen war. Ich war so aufgeregt, als ich plötzlich mit den besten Wagnersängern der Welt auf der Bühne stand: Deborah Polaski, Sir John Tomlinson, Falk Struckmann, Albert Dohmen. Es war, als ob man jeden Tag durchgängig Gesangsunterricht gehabt hätte, die gesamte Probenphase über. Letztendlich habe ich fünf Rollen in jedem der Ring-Zyklen gesungen und auf CD für Oehms eingespielt. Diese Produktion hat meine gesamte Karriere stark beeinflusst. Der internationale Erfolg damals hat zu vielen spannenden Angeboten geführt und mir eine Karriere als freischaffende Sängerin ermöglicht.
War von Anfang an klar, dass Ihre Stimme für Wagner geeignet ist? Wie definieren Sie eine „Wagnerstimme“? Ich hörte schon immer von vielen Seiten, dass ich eine große Stimme hätte und „sicher eines Tages Wagner singen“ würde. Eine große Stimme ist sicherlich nötig in diesem Repertoire, und große Orchestermassen zu übertönen war nie ein Problem für mich. Eine gute plazierte Stimme mit vielen Resonanzen ist wichtig, genauso wie die Fähigkeit, zu wissen, wann man sich zurückhalten und seine Kräfte schonen muss. Wie einer meiner Lehrer mir richtigerweise sagte: „Man muss nicht laut singen, sondern klug.“ Wagner erfordert außerdem oft zarten Gesang und Stimmschönheit. Auch ist es elementar, den Text vollständig zu verstehen und zu verinnerlichen. Das ist wohl die größte Herausforderung für ausländische Sänger. Wagners Sprache, die Verwendung von Konsonanten, Alliterationen und Subtexte zu erlernen beziehungsweise zu verstehen sind große Aufgaben. Als Musikerin, die auch intellektuelle Herausforderungen wie geschichtliche, psychologische und politische Aspekte gerne näher erforscht, ist dieses Repertoire eine faszinierende Quelle, aus der man immer wieder viel lernt.
Als ich 26 war, habe ich in London Simone Young vorgesungen, und zwar Erdas Warnung aus dem Rheingold. Ich hatte das Stück nicht einmal zu Ende gesungen, als sie mir sagte, dass ich Wagner erstmal für ein Jahrzehnt ruhen lassen und in sechs Monaten mit einem passenderen Repertoire noch einmal wiederkommen sollte. Ich habe damals auf ihren Rat gehört und es war tatsächlich fast genau 10 Jahre später, dass ich als Erda in Hamburg debütierte. Junge Sänger denken oft, dass man sich beeilen sollte, um bestimmte Ziele zu erreichen. Terje Stensvold, der 2013 den Wotan im Melbourne-Ring sang, war zu diesem Zeitpunkt 70 Jahre alt und hat mir erzählt, dass er seine erste große Wagnerrolle erst mit über 50 gesungen hat. Die Stimme frisch und gesund zu halten ist das größte Geschenk, das wir Sänger uns selbst machen können, wenn wir eine lange Karriere haben wollen.
In Australien standen Sie im Wagnerjahr 2013 als Erda und Waltraute in allen vier Teilen eines vielbeachteten Ring in Melbourne auf der Bühne. Was können Sie über diese Produktion berichten? Die größte Herausforderung des Ring in Melbourne war sicherlich, dass er innerhalb von wenigen Monaten geschmiedet wurde. Normalerweise ist es ein Prozess von drei oder vier Jahren, bis ein neuer Ring-Zyklus komplett aufgeführt werden kann. Wir hatten circa fünf Monate Proben, bevor wir drei komplette Zyklen (und ein Zyklus, der als Generalprobe öffentlich aufgeführt wurde) auf die Bühne brachten. Ich war die Einzige aus dem Ensemble, die in allen vier Teilen auftrat und es war recht anstrengend, 16 Vorstellungen in 35 Tagen zu singen. Die Produktion hatte, was gewisse Elemente anbelangt, einen gewissen australischen „Touch“, war insgesamt szenisch recht karg, zurückgenommen und hat die Musik sprechen lassen. Wie fast immer bei einem neuen Ring löste die Inszenierung einige Kontroversen aus. Wagner-Fans sind gebildet, leidenschaftlich und fällen meist ein strenges Urteil über das, was sie sehen und hören. Einen Ring-Zyklus zu besuchen, ist eine große Investition, sowohl finanziell als auch zeitlich. Es ist deshalb nur logisch, dass die Zuschauer dann auch etwas zu sagen haben wollen. Die intellektuellen und künstlerischen Debatten im Foyer machen aber wirklich Spaß. In Australien waren die Tickets für den Ring (die 2.500 Dollar aufwärts kosteten) übrigens innerhalb von 72 Stunden ausverkauft!
Welche Entwicklung hat Ihre Stimme in den letzten Jahren durchlaufen und und welche neuen Rollen wollen Sie sich in Zukunft erarbeiten? Gibt es bestimmte Wunschpartien? Meine Stimme hat sich in den letzten drei oder vier Jahren in die Höhe entwickelt und ist dramatischer geworden. Mir hat sich damit ein neues Repertoire eröffnet, das vorher nicht möglich war. Das Schöne daran, ein dramatischer Mezzosopran zu sein, ist, dass ich merke, wie sich die Stimme immer weiter entwickelt und dabei das beste noch kommen wird. Partien, die ich unbedingt singen möchte, sind im Wagner-Repertoire Fricka, Brangäne, Venus und Kundry. Was Verdi-Partien anbelangt Azucena und Eboli. Dann wären da noch Rollen wie Dalila, Herodias und später einmal Klytämnestra.
Welche Rolle spielt das Lied in Ihrer Karriere? In Sydney und Melbourne haben Sie 2014 überaus erfolgreiche Liederabende gegeben… Wenn man als junger Sänger ständig neue Opern-Partien lernen muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, spielt das Lied meist eine Nebenrolle. Ich habe mich sehr gefreut, als ich letztes Jahr, nach dem großen Erfolg im Melbourne-Ring gefragt wurde, ob ich eine Serie von Liederabenden mit dem Titel „Große australische Wagnersänger singen Lieder“ mitgestalten wolle. Ein ziemlich hochtrabender Titel! Ich habe zwei komplett deutsche Programme mit Liedern von Wagner und Brahms vorgetragen und tolle Kritiken bekommen, über die ich mich sehr gefreut habe. Das Lied ist eine ganz andere Kunstform als die Oper, alles ist viel intimer und man hat, verglichen mit der Oper, mehr Kontakt mit dem Publikum. Liederabende finden in einem viel intimeren Rahmen als Opernvorstellungen statt und man hat auch deshalb die Möglichkeit, eine Geschichte auf viel persönlichere Art und Weise zu erzählen. Der Text ist beim Lied elementar wichtig. Man muss die Welt, von der man singt, regelrecht in sich aufnehmen. In Australien sind Liederabende vielleicht eine größere Herausforderung als anderswo, weil das Publikum wenig Live-Erfahrungen mit dieser Kunstform hat und manche Nuancen im Text nicht versteht, wenn nicht auf Englisch gesungen wird. Es ist dann umso wichtiger, den Text mit Ausdruckskraft und vielen stimmlichen Farben zu vermitteln. Abgesehen von den Liederabenden in Australien habe ich letztes Jahr in Wellington in Neuseeland meine ersten Wesendonck-Lieder mit Orchester gesungen, auch das war eine tolle Erfahrung.
Arbeiten Sie weiterhin mit einem Gesangslehrer an Ihrer Technik? Ich arbeite nach wie vor mit einem Gesangslehrer in Hamburg, vor allem, wenn ich neue Partien einstudiere. Es ist wichtig, kontinuierlich an der Stimmtechnik zu arbeiten, da die Stimme wächst, sich verändert. Außerdem ist es wichtig, jemanden zu haben, dessen Urteil man wirklich vertraut, da es manchmal trügerisch ist, wie man sich selbst hört. Ich arbeite mit verschiedenen Repetitoren in Deutschland, Italien und Australien, die sich auf bestimmte Sprachen und Repertoirerichtungen spezialisiert haben. Stimmliche Entwicklung ist ein kontinuierlicher Prozess und eine stetige Herausforderung, die mir Spaß macht – man hört nie auf zu lernen!
In Ihrer Freizeit schreiben Sie an einem Reiseblog und Beiträge für das australische Onlinemagazin „Classic Melbourne“. Wie kam es zu diesem Hobby? Abgesehen von der Musik habe ich viele Interessen, aber es kann schwer sein, sich Hobbys wirklich zu widmen, wenn man immer unterwegs ist. In Australien bin ich bin mit viel Sport und an der frischen Luft aufgewachsen. Ich liebe Sportarten wie Tennis, Segeln, Wandern, Schwimmen oder Kayak fahren. Alles, was mit dem Meer oder den Bergen zu tun hat, mache ich sehr gerne. Wenn man so viel Zeit im Theater verbringt, ohne Fenster oder frische Luft, ist es umso wichtiger, ab und zu raus in die Natur zu gehen und so den Kopf frei zu bekommen! Ich werde dann oft gefragt, ob ich keine Angst habe, mich zu erkälten, aber ich bin der Überzeugung, dass es wichtig ist, ein normales, ausgewogenes Leben zu führen und auch Zeit mit Freunden, die nichts mit der Opernwelt zu tun haben zu verbringen. So verliert man den Bezug zur Realität nicht. Es gibt nichts Langweiligeres, als ständig über Gesang zu reden! In den letzten drei Jahren war ich fast ständig weg von zu Hause, und ich dachte, dass Schreiben etwas sei, das man überall machen kann. Ich habe eine Ausbildung zur Reise- und Fotojournalistin begonnen, um meine Fähigkeiten abseits des Gesangs weiterzuentwickeln. Ich reise viel sowohl aus persönlichen, als auch aus beruflichen Gründen. Das Reisen ist eine meiner Leidenschaften. Ich wollte deshalb über ein paar meiner Abenteuer in einem Blog berichten und mir wurde gesagt, dass ich gute Geschichten schreiben würde! In Zukunft würde ich gerne weiter auch im Kunst- und Musikjournalismus tätig sein. Zur Zeit schreibe ich eine Kolumne für die Webseite Classic Melbourne.
Und was steht 2015 auf Ihrem Terminkalender? Auch 2015 wird mein Auftrittskalender vom deutschen Repertoire dominiert sein. Ich habe gerade Mahlers 3. Symphonie in Australien gesungen, was ich rundum genossen habe. Mahlers 8. werde ich 2015 zum ersten Mal in Singapur, im Esplanade Theatre interpretieren. Diesen Monat kommt die oben erwähnte Erda im Rheingold mit den Philharmonikern von Hong Kong, als Auftakt eines neuen Ring-Zyklus, der auch für Naxos aufgenommen werden wird. Die Erda in Siegfried werde ich in den USA in der Symphony Hall von Boston singen. Außerdem werde ich in einem konzertanten Parsifal in Birmingham zu hören sein und als Judith in Herzog Blaubarts Burg nach Melbourne zurückkehren. In Deutschland werde ich ich beim Festival „Britannia in Bamberg“ Elgars Sea Pictures interpretieren. William Ohlsson