Ein Klassiker der Moderne, ein in den ersten Jahrzehnten nach seinem Erscheinen zum Kultbuch avancierter Roman, an dem kein Jugendlicher einst vorbeiging, ist Salingers Der Fänger im Roggen. Darin zitiert Salinger die Zeile When a body meet a body coming through de rye („Trifft eine Jemand einen Jemand, der durch den Roggen gelaufen kommt“) aus dem Gedicht Comin‘ Thro‘ the Rye von Robert Burns, den er damit einem internationalen Publikum in Erinnerung rief. In seiner schottischen Heimat hingegen genießt der Dichter (1759-1796) – neben Walter Scott – als Sammler und Bewahrer schottischer Volksweisen, Legen und Märchen eine bis heute ungebrochene, geradezu kultische Verehrung. Burns eigene Gedichte und Lieder wiederum singen sich, wie echte Volkslieder, quasi wie von selbst, was die Ausgabe der 2003 erstmals veröffentlichten Complete Songs auf 12 CDs bei Linn Records, an der um die 80 Sänger und Instrumentalisten mitgewirkt haben, deutlich zeigt. Durch die Besetzung mit „unverbildeten“ Stimmen mit wenig oder keinem Vibrato und deren ungekünstelter Herangehensweise ergibt sich ein herber, aber auch natürlich schwingender Zugang ohne romantisierenden Zuckerguss, stellt sich eine bewegende, schlicht naive Einfachheit und klare Aussage ein, insbesondere bei den Sängern Rod Paterson und Tony Cuffe. Unterstrichen wird dies durch die Begleitung mit Fiedel, Gitarre oder Zither; einige der Sänger, etwa Ian Benzie, Janet Russell, Christine Kyyd und Tony Cuffe, spielen selbst auch Gitarre, alle treffen den „richtigen“ Ton aus rhythmisch tänzerischer Bewegtheit, klarer Diktion und direkter Kommunikation mit dem Zuhörer. Die Naturschilderungen, Beschreibungen der Highlands und anderer schottischer Orte, Balladen und Romanzen, der Gefühlsüberfluss und die Träumereien und Hoffnungen, aber auch politischen Lieder wurden ab 1780 in Salons und Gesellschaften gesungen und bewundert. Lieder und Musiken, von denen wir uns gut vorstellen können, dass sie in den von Jane Austen oder später den Brontës geschilderten Gesellschaften erklangen. Die vorliegenden vier CDs (CKD 801, 802, 803, 804) geben einen hinreichenden, schließlich den Hörer wirklich erschöpfenden Einblick in eine Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die bis ins 20. Jahrhundert Beachtung fand, etwa bei Ralph Vaughan Williams, der sich selbst mit der Sammlung und Veröffentlichung englischer Volkslieder beschäftigte und meinte, „there can be no ore original genius than Burns…“
Nur wenige Jahre nach Burns Tod kam in Deutschland Clemens Brentanos und Achim von Armins Sammlung von Volksliedtexten unter dem Titel Des Knaben Wunderhorn heraus. Die Wunderhorn-Welt regte Gustav Mahler zu einem Großteil seiner Lied-Vertonungen an und ist in der ersten Sinfonie oder Mahlers eigenen Texten zu den Liedern einen fahrenden Gesellen zu spüren. Nach Texten Aus des Knaben Wunderhorn entstanden zunächst neun Klavierlieder, dann von 1892-1898 zwölf Gesänge für Singstimme und Orchester, zu denen ursprünglich auch Urlicht und Es sungen drei Engel gehörten, die Mahler, nachdem sie Eingang in die zweite bzw. dritte Sinfonie gefunden hatten, durch Revelge und Der Tambourg‘ sell ersetzte. Zudem schuf er auch für diese zweite Folge eine Fassung für Singstimme und Klavier. Die von Hänssler vertriebene telos-Ausgabe bringt auf zwei CDs (PH14018) erstmals alle Wunderhorn-Lieder mit Klavier (auch Urlicht und Es sungen drei Engel), worin der wesentliche Vorteil gegenüber anderen prominenten Aufnahmen liegt. Aufgeteilt zwischen der leuchtend natürlichen Diana Damrau und dem beweglichen Iván Paley erklingen die von Stephan Matthias Lademann sehr nachdrücklich begleiteten Lieder, fünf davon als Duett-Aufnahmen, in ungewohnter Abfolge.
Ein Spezialist fürs Magyarische war Johannes Brahms, der sich in seiner Wahlheimat Wien gerne Zigeunerkapellen anhörte. Als Gegenstück zu den Ungarischen Tänzen entstanden Ende der 1880er Jahre seine Bearbeitung der auf originalen ungarischen Volksliedern basierenden Zigeunerlieder, die erstmals bei einem bürgerlichen Kaffeekränzchen befreundeter Familien erklangen. Die Zigeunerlieder sind – neben den Liebeslieder-Walzern – der bekannteste der sechs Zyklen für Vokalquartett und Klavier von Brahms, die obwohl ursprünglich fürs häusliche Musizieren, für gesellige Runden und private Rahmen bestimmt, bald auch von kleinen Chorbesetzungen übernommen wurden. Im März 2014 widmete sich der Norddeutsche Figuralchor unter Leitung seines Gründers Jörg Straube zusammen mit dem Pianisten Markus Bellheim fünf der Zyklen (also ohne die Liebeslieder-Walzer): Zigeunerlieder op. 103, dazu die sechs Quartette op. 112 von 1891, zu denen quasi als Zugabe vier weitere Zigeunerlieder gehören, sowie aus den frühen 1860er Jahren Drei Quartette op. 31, Quartette op. 64 und Quartette op. 92 (Dabringhaus und Grimm MDG 947 1867-8. Dreisprachiges Beiheft, alle Liedtexte). Der 1999 für seine Aufnahme der Geistlichen Chorwerke von Brahms mit dem Echo-Preis ausgezeichnete Chor lässt trotz großer Besetzung die intime Musizierlust, die Brahms vorgeschwebt haben mag, spüren
Rolf Fath