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Tamara Milaschkina

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Im grünen Samtkostüm war Tamara Milaschkina in den Siebzigern eine imposante Tosca, als sie mit dem Moskauer Bolschoi einen Gastauftritt in den West-Berliner Messehallen machte – Reisepappe und Ensemble (Ehemann Atlantow und Bariton Masurok) inklusive. Ich erinnere mich genau, wie beeindruckt ich von ihrer machtvollen Stimme war, auch amüsiert von ihren raumgreifenden Gesten und konventionellem Pathos (inklusive reichlichen Schluchzern). Auch ihr Gastspiel als Tatjana an der Deutschen Oper bleibt mir in Erinnerung. Russisch eben. Und das war eine bedeutende Komponente ihrer Karriere: Sie war doch das Aushängeschild der sowjetischen Kulturpolitik, die russische Künstlerin ihrer Zeit, anders als die sicher interessantere Kollegin Vischnevskaja, die spätestens nach ihrer Emigration in den Westen kein Gegenpol mehr und vorher eher nur in Russland ein Geheimtip war, trotz glanzvoller Gast-Auftritte in Paris und London (und ihrer zu späten Studioaufnahmen).

Die Milaschkina war, wie ihre Kollegin Bieshu, eine Sängerin des Russischen, Allgemeinen, Strömenden, Soliden, weniger aufregend als die erwähnte Vischnevskaja. Sie beherrschte den russisch-sowjetischen Sopranmarkt und war ein viel gefragter Export nach Europa und Amerika, sicher staatsnah und hochgeehrt, aber das war zu diesen (?) Zeiten ganz selbstverständlich und fast unumgänglich. Tamara Milaschkina starb im Januar 2024 im Alter von 90 in Wien, wo sie bemerkenswerter Weise seit langem wohnte. Weitere Details im Folgenden von Daniel Hauser. G. H.

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Am 13. September 1934 in Astrachan, seinerzeit RSFSR innerhalb der Sowjetunion, geboren, brillierte die russische Sopranistin Tamara Milaschkina zunächst bei Amateurauftritten, bevor sie ihr Gesangsstudium am Moskauer Konservatorium bei Jelena Katuslakaja 1959 abschloss. Bereits im Alter von 23 Jahren wurde sie Praktikantin am Bolschoi-Theater in Moskau und debütierte dort am 4. Mai 1958. Schon kurz darauf sang sie als Tatjana in Tschaikowskis Eugen Onegin an der Seite von Sergej Lemeschew. 1961/62 verbrachte sie an der Scala in Mailand und sang ungeplant die Rolle der Lida in Verdis La battaglia di Legnano. Am Bolschoi-Theater trat sie bis 1990 auf und sang dort 25 Opernrollen, darunter Lisa (Pique Dame von Tschaikowski), Donna Anna (Der steinerne Gast von Dargomyshski), Wolchowa (Sadko von Rimski-Korsakow), Fewronija (Die Legende der unsichtbaren Stadt Kitesh von Rimski-Korsakow) und Iolanta (gleichnamige Oper von Tschaikowski). Außerhalb ihres russischen Kernrepertoires verkörperte sie Tosca, Aida, Leonora (Il trovatore), Elisabetta di Valois (Don Carlo), später auch Desdemona (Otello) und Amelia (Un ballo in maschera). Auslandstourneen führten sie in die Tschechoslowakei und in die DDR, nach Polen, Italien, Österreich, Frankreich, Dänemark, Norwegen, Griechenland, Japan und Kanada sowie in die Vereinigten Staaten. An der Wiener Staatsoper war sie etwa zwischen 1966 und 1978 mehrfach als Gast beschäftigt. Im deutschsprachigen Raum konnte man sie zudem in Salzburg, Berlin, München, Stuttgart, Wiesbaden, Leipzig und Dresden erleben. Daneben hatte sie eine erfolgreiche Karriere als Konzertsängerin. Der Sängerin ist der sowjetische Dokumentarfilm Die Zauberin aus der Stadt Kitesh (1966) gewidmet. Bereits 1973 wurde sie zur Volkskünstlerin der UdSSR ernannt und erhielt 1978 den Glinka-Staatspreis der RSFSR. Nach ihrem Rückzug von der Bühne lebte sie mit ihrem Ehemann, dem Tenor Wladimir Atlantow, in Wien. Dort ist Tamara Milaschkina nun am 10. Jänner 2024 im 90. Lebensjahr verstorben. Daniel Hauser

Ein Liederzyklus in Gestalt einer Sinfonie

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Bereits vor knapp anderthalb Jahrzehnten legte Alpha eine formidable Einspielung der Sinfonie Nr. 14 von Dmitri Schostakowitsch vor. Es dirigierte Teodor Currentzis, seinerzeit noch weitestgehend unumstrittener Shootingstar der Klassikszene. Nun also eine Neuaufnahme desselben Labels, diesmal aus Frankreich (Alpha 918). Am Pult steht der finnische Dirigent Mikko Franck, seit 2015 musikalischer Leiter des Orchestre Philharmonique de Radio France, welches hier sinnigerweise auch zum Zuge kommt. Mit der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian und dem deutschen Bariton Matthias Goerne konnte man kongeniale Gesangssolisten beisteuern, die gerade in der Interaktion zu überzeugen wissen.

Die vierzehnte und somit vorletzte Schostakowitsch-Sinfonie genießt einen Sonderstatus, ist sie doch eher ein Liederzyklus und wurde vom Komponisten mitunter gar als Oratorium für Sopran, Bass und Kammerorchester bezeichnet. Der Tod spielt eine entscheidende Rolle in den elf russischsprachigen Liedvertonungen nach Vorlagen von Federico García Lorca, Guillaume Apollinaire, Wilhelm Küchelbecker und Rainer Maria Rilke. Mehr als die Hälfte, nämlich sechs davon (Loreley, Le Suicidé, Les Attentives I, Les Attentives II, À la Santé, Réponse des Cosaques Zaporogues au Sultan de Constantinople) beruhen auf Texten des französischen Dichters Apollinaire, der 1918 gerade 38-jährig der grassierenden Spanischen Grippe erlag (im Falle der Loreley nach Clemens Brentanos Vorlage). Vorangestellt sind diesen zwei Gedichte des 1936 von Franquisten ermordeten spanischen Lyrikers García Lorca (De profundis, Malagueña). Auf den Franzosen folgt der Russe Küchelbecker, der sich im Dichterkreis um Puschkin verdingte (und dessen Gedicht O Del’vig, Del’vig! als einziges im russischen Original erklingt). Den Abschluss bilden schließlich zwei Gedichte von Rilke (Der Tod des Dichters, Schlußstück).

Eine in der Summe überzeugende Neueinspielung, die zwar nicht ganz so drastisch daherkommt wie die alten sowjetischen Aufnahmen (besonders die 1969 erfolgte Weltpremiere unter Rudolf Barschai) und auch die besagte, immer noch sensationell zu nennende Interpretation von Teodor Currentzis. Gleichwohl kann man dieser Neuaufnahme aber letztlich keine gravierenden Schwachstellen bescheinigen. Klanglich gibt es weiterhin keinen Anlass zum Tadel (Aufnahme: Auditorium de Radio France, Paris, Juni 2021 und August 2022). Die sehr selten eingespielten Fünf Fragmente op. 42, gerade elfminütig, stellen eine begrüßenswerte Beigabe dar (21. 11.23). Daniel Hauser

Douglas Ahlstedt

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Geboren am 16. März 1945 in Jamestown im US-Bundesstaat New York, wandte sich der Tenor Douglas Ahlstedt schon früh der Musik zu. Er trat mit der American Boychoir School auf und sang noch im Kindesalter seine erste Opernrolle als Miles in der US-Premiere von Brittens The Turn of the Screw am New York College of Music im Jahre 1958. Studien an der State University of New York at Fredonia (Bachelor-Abschluss) und an der Eastman School of Music (Master-Abschluss) schlossen sich dem an. Sein offizielles Bühnendebüt machte Ahlstedt 1971 als Ramiro in Rossini La Cenerentola am Western Opera Theater in San Francisco. Bald schon trat er auch an der San Francisco Opera sowie beim Tanglewood Music Festival in Massachusetts auf. Infolge seines Sieges bei den Metropolitan Opera National Council Auditions erlangte er 1973 US-weite Bekanntheit. Noch im selben Jahr erfolgte sein Debüt an der Metropolitan Opera als Borsa in Verdis Rigoletto. Zahlreiche Rollen sollten an der Met bis 1988 folgen, darunter Almaviva in Rossinis Barbiere di Siviglia, Edmondo in Puccinis Manon Lescaut, Froh in Wagners Rheingold, Gastone in Verdis La traviata, der Erste Priester in Mozarts Zauberflöte und der Haushofmeister in Straussens Rosenkavalier. Die internationale Karriere ließ nicht lange auf sich warten. Von 1975 bis 1984 gehörte Ahlstedt dem Ensemble der Deutschen Oper am Rhein an, anschließend demjenigen der Wiener Staatsoper. Kurzzeitigere Kontrakte führten ihn nach Zürich (1980/81), Hamburg (1982-1984) und Karlsruhe (1984-1987). Zudem sang er beim Holland Festival, in Genf, an der Niederländischen Oper, in Bordeaux, in Rom, Avignon, Prag, Neapel, München, Stuttgart sowie bei den Salzburger Festspielen in den Jahren 1985 und 1987. In Nord- und Südamerika stand er auf den Bühnen in Philadelphia, Milwaukee, Dallas, Santiago de Chile und Rio de Janeiro. Von 1988 bis zu seinem Rückzug 2020 fungierte er als Professor an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh. Douglas Ahlstedt ist am 24. November 2023 im Alter von 78 Jahren verstorben. Er hinterlässt seine Frau Linda Foxx (Eheschließung 1969) und drei Kinder. Daniel Hauser

Ryland Davies

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Der walisische Tenor Ryland Davies wurde am 9. Februar 1943 als Sohn eines Stahlarbeiters in Cwm, Ebbw Vale, Wales, geboren. Bereits während seines Studiums am Royal Manchester College of Music (bei Frederic Cox) trat er in Manchester als Paris in Glucks Paride ed Elena auf. Sein professionelles Debüt erfolgte 1964 an der Welsh National Opera in Cardiff als Almaviva in Rossinis Barbiere di Siviglia. Davies setzte seine Studien in Italien fort und gewann als erster den John Christie Award des Glyndebourne Festival im Jahre 1965. Glyndebourne blieb er lange Jahre treu und sang dort bereits 1964 im Chor. Es schlossen sich Ende der 1960er Jahre zunehmend größere Rollen an, darunter der Nemorino in Donizettis Elisir d’amore, der Belomte in Mozarts Entführung aus dem Serail und der Ferrando in Così fan tutte. Mit dem Lenski sang er 1975 eine Tschaikowski-Partie, gefolgt von Komponisten wie Britten (Lysander in A Midsummer Night’s Dream), Prokofjew (der Prinz in Die Liebe zu den drei Orangen) und Janáček (Tichon in Katja Kabanowa). Zuletzt konnte man Ryland Davies in Glyndebourne 2001 als Don Basilio in Le nozze di Figaro erleben. Innerhalb des Vereinigten Königreiches sang er an der Scottish Opera (Debüt 1966 als Fenton in Verdis Falstaff), an der Sadler’s Wells Opera bzw. English National Opera in London (zwischen 1967 und 1999) und insbesondere am Royal Opera House, Covent Garden (von 1969 bis 2015). Auch außerhalb seines Heimatlandes konnte Davies eine internationale Karriere vorweisen, so etwa 1970 bei den Salzburger Festspielen als Cassio in Verdis Otello unter Herbert von Karajan sowie 1971 und 1974 an der Opéra de Paris in diversen Mozart-Rollen. In den USA debütierte er 1970 an der San Francisco Opera (wiederum als Ferrando) und sang später auch an der New Yorker Met und an der Chicago Lyric Opera. Weitere Gastspiele führten ihn nach Berlin, Hamburg und Montpellier. Daneben verfolgte Ryland Davies eine erfolgreiche Tätigkeit als Konzertsänger, u. a. in Bachs Messe in h-Moll, Mozarts Requiem, Haydns Jahreszeiten und der Nelson-Messe sowie Mendelssohns Elijah. Seine stimmlichen Qualitäten wurden als lieblich und lyrisch, insgesamt als spezifisch italienisch gerühmt, seine Diktion galt als tadellos. Er lehrte am Royal Northern College of Music in Manchester (1987-1994), am Royal College of Music in London (1989-2009) und an der Royal Academy of Music. Zu seinen Schülern gehörten Ian Bostridge, Sam Furness, Jacques Imbrailo, David Butt Philip, Stuart Jackson, Robert Murray und Andrew Staples. Diskographisch ist Ryland Davies seit den 1960er Jahren mannigfaltig dokumentiert. Darunter befinden sich im Studio entstandene Operngesamtaufnahmen von Mozart (Idomeneo unter Davis, Entführung unter John Pritchard, Così unter Georg Solti), Donizetti (Lucia di Lammermoor unter Richard Bonynge), Cimarosa (Il matrimonio segreto unter Daniel Barenboim), Berlioz (Les Troyens unter Colin Davis) und Massenet (Esclarmonde und Thérèse unter Bonynge, La Navarraise unter Henry Lewis), daneben Händels Messiah (unter Raymond Leppard) und Judas Maccabaeus (unter Charles Mackerras), Haydns Jahreszeiten (unter Davis) und das Mozart’sche Requiem (wiederum unter Davis). Er war zweimal verheiratet, zunächst mit der Mezzosopranistin Anne Howells (zwischen 1966 und 1981), ab 1983 mit der Sopranistin Deborah Rees, mit welcher er eine Tochter hatte. Ryland Davies erlag am 5. November 2023 im Alter von 80 Jahren den Folgen einer Tumorerkrankung. Daniel Hauser

Weit mehr als nur „Der Vampyr“

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Obwohl er einer der führenden romantische Opernkomponisten Deutschlands zwischen Weber und Wagner war, fristet Heinrich Marschner (1795-1861) seit langem ein Schattendasein und wird auf den Bühnen kaum aufgeführt. Dies drückt sich nicht zuletzt auch in der mageren Diskographie aus, wo selbst seine beiden populärsten Opern, Der Vampyr (1828) und Hans Heiling (1833), unzureichend vertreten sind. Wieder einmal ist es Naxos zu verdanken, sich eines zu Unrecht Vergessenen anzunehmen. Die kompletten Ouvertüren und die Bühnenmusik Marschners sollen sukzessive erscheinen. Nun ist bereits Vol. 2 auf dem Markt (Naxos 8.574482).

Eines der früheren Werke Marschners stellt die Bühnenmusik zu Heinrich von Kleists Drama Prinz Friedrich von Homburg dar. 1810 geschrieben, erfolgte die Uraufführung – gekürzt und unter dem Titel Die Schlacht von Fehrbellin (1675) – indes erst 1821, ein Jahrzehnt nach des Autors Suizid. Aus demselben Jahr 1821 stammen die fünf Instrumentalstücke des Komponisten, vier Entr’actes und eine sogenannte Schluss Symphonie. Besonders jenes Vorspiel zum ersten Akt hat mit bald neun Minuten Spielzeit das Gewicht einer echten Ouvertüre. Mit einer knappen halben Stunde Musik könnte man diese fünf Stücke fast als eine Art sinfonische Suite begreifen. Ein genuin romantischer Tonfall ist ihnen ganz unstrittig inhärent. Gekonnt changiert Marschner zwischen einfühlsamer Liebestollheit und aufpeitschender Dramatik.

Von der 1842 entstandenen weltliche Kantate Klänge aus dem Osten kommt die elfeinhalbminütige Ouvertüre zu Gehör. Die weiteren orchestrierten Lieder und Chöre des Werkes heißen sich wie folgt: Zigeuner Gesang, Assat’s Ständchen, Maisuna’s Lied, Räuberchor sowie Kampf der Räuber, Flucht Maisuna’s und Wiederfinden. Wiewohl eigentlich wenig orientalisches Flair verbreitet wird, hat Marschner doch ein beachtliches Instrumentalwerk geschaffen, das auch einer seiner Opern vorangestellt sein könnte.

Einen großen Misserfolg musste Marschner mit seiner ambitionierten hochromantischen Oper Kaiser Adolph von Nassau (1845) hinnehmen, deren Libretto der Geistliche Heribert Rau beisteuerte. Anlass der Komposition war die Vermählung des hannoverischen Kronprinzen (und späteren letzten Königs) Georg mit der Prinzessin Marie von Sachsen-Altenburg. Die Uraufführung fand kurioserweise indes nicht in Hannover, sondern in Dresden statt. Die musikalische Leitung oblag niemandem Geringeren als Richard Wagner. Die auf den ersten Blick erstaunliche Weglassung der monumentalen Ouvertüre in dieser Neuerscheinung erklärt sich offenbar dadurch, dass das zu Naxos gehörige Sublabel Marco Polo diese bereits Anfang der 1990er Jahre in einer mustergültigen Einspielung unter Alfred Walter auf den Markt brachte (Bestellnummer 8.223342). So sind diesmal allein das Ballett aus dem ersten Aufzug sowie der Marsch aus dem zweiten enthalten.

Der Dirigent Dario Salvi/Foto Salvi

Marschners vorletzte Oper Austin wurde zwar bereits in den Jahren 1850/51 fertiggestellt, gelangte indes aufgrund des Todes König Ernst Augusts von Hannover (1851) erst mit sechsjähriger Verspätung zur Erstaufführung. 1857 lediglich sechsmal auf der Bühne, verschwand sie danach in der Versenkung. Der Plot ist im Königreich Navarra des späten 15. Jahrhunderts angesiedelt und behandelt die dortigen Thronwirren. Die relativ überschaubare Einleitung (gut fünfminütig), der prachtvolle Krönungsmarsch (sechs Minuten) aus dem zweiten und das ausgedehnte, knapp viertelstündige Ballett aus dem dritten Akt bilden die musikalische Auswahl. Ein gewisser Einfluss der französischen Grand Opéra lässt sich ausmachen.

Für die formidable künstlerische Umsetzung sorgt einmal mehr der talentierte Dirigent Dario Salvi, längst mehr als ein Geheimtipp. Mit dem Philharmonischen Orchester Hradec Králové (Königgrätz) konnte ein weiterer renommierter tschechischer Klangkörper gewonnen werden. Auch klanglich gibt es keine Beanstandungen zu machen. Die Einspielung entstand im September 2022 im Konzertsaal der Philharmonie in Hradec Králové. Das englischsprachige Beiheft ist informativ genug, um den Wissensdurst des geneigten Hörers hinreichend zu stillen. Daniel Hauser

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Bereits vor geraumer Zeit erschien Vol. 1 der Reihe (Naxos 8.574449). Von den fünf inkludierten Werken sind sage und schreibe vier Weltersteinspielungen. Die einzige Nichtpremiere stellt die kaum fünfminütige Ouvertüre zur Oper Der Holzdieb nach Johann Friedrich Kinds Lustspiel (1823) dar. Mit der Ouvertüre zur Oper Der Kyffhäuser Berg (1816) – adaptiert nach der Volkslegende von August von Kotzebue – legt man erstmals die Einleitung zu Marschners frühestem Bühnenwerk überhaupt vor. Der damals gerade 21-Jährige zeigt indes schon hier eine unbestreitbare Befähigung zur Tonschöpfung. Bei den drei übrigen Werken handelt es sich um Schauspielmusik, wie sie im 19. Jahrhundert eine Hochblüte erlebte. Von Schön Ella – für Kinds Volkstrauerspiel nach der unheimlichen Ballade Lenore von Gottfried August Bürger – und Ali Baba, oder Die vierzig Räuber – für Karl Gottlob Theodor Winklers Schauspiel – (beide 1823) inkludiert das Label nicht bloß die hörenswerten Ouvertüren, sondern auch weitere Instrumentalstücke, darunter diverse Entr’actes und die recht umfängliche Ballettmusik. Die Ouvertüre zum Liederspiel Die Wiener in Berlin von Karl Eduard von Holtei (1825), humoristisch auf die kulturellen Unterschiede zwischen Österreichern und Preußen referierend, stellt den Abschluss der mit gut 71 Minuten ordentlich bestückten CD dar.

Eine wirkliche Individualität mag diesen frühen Werken aus des Komponisten Dresdner und Leipziger Phase zwar letztlich noch etwas abgehen, doch sind bereits hier das melodiöse Talent Marschners und sein Einfallsreichtum unverkennbar. Für die Einspielungen zeichnet abermals das sehr bewährte Tschechische Philharmonische Kammerorchester Pardubice unter dem Dirigenten Dario Salvi verantwortlich. Glücklicherweise tut sich bei den Pardubitzern zu keinem Moment das Gefühl eines zu dünnen Streicherklanges auf, wie es bei Kammerensembles teilweise der Fall ist. Dafür sorgt auch die von der Tontechnik sehr adäquat eingefangene Akustik im Hause der Musik zu Pardubice in der Tschechischen Republik (Aufnahme: 24.-26. und 31. Jänner 2022). Die Textbeilage (nur auf Englisch) ist ausreichend informativ. Daniel Hauser

Bruckner live aus München

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Zweifellos war der Niederländer Bernard Haitink (1929-2021) eine der prägenden Dirigentengestalten der zweiten Hälfte des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts, wozu insbesondere seine lange Zeit an der Spitze des Amsterdamer Concertgebouw-Orchesters (1961-1988) beitrug. Ein Zyklus der Sinfonien Anton Bruckners, eingespielt für Philips zwischen 1963 und 1972 (und auch die seinerzeit noch sehr periphere Nullte umfassend), begründete Haitinks Ruf als ernstzunehmenden Brucknerianer. In der Digitalära folgten, ebenfalls auf dem Philips-Label, Studioaufnahmen der Sinfonien Nr. 3, 4, 5 und 8 mit den Wiener Philharmonikern. Mittlerweile ist zudem eine zunehmend unüberschaubare Anzahl an Live-Mitschnitten aus Rundfunkarchiven von Bruckner-Sinfonien veröffentlicht worden, darunter am bemerkenswertesten vielleicht die Fünfte mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks von 2010 (BR-Klassik) sowie die Achte mit der Staatskapelle Dresden von 2002 nach der Elbhochwasserkatastrophe (Hänssler).

Die nunmehrige Neuerscheinung (2 CDs) kommt, wie im ersteren Falle, bei BR-Klassik (Bestellnummer 900212) mit dem entsprechenden BR-Klangkörper heraus und enthält, wie im letzteren, abermals die Sinfonie Nr. 8, zu der Haitink offenkundig eine besonders enge Verbindung pflegte. Es handelt sich um die Tonkonserve eines im Dezember 1993 aufgezeichneten Konzerts aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz. Haitink bedient sich, wie in seinen insgesamt drei Studioeinspielungen für Philips (Concertgebouw 1969 und 1981, Wien 1995), der Haas-Edition von 1939, dirigierte aber auch ab und an die Nowak-Edition von 1955, wie aus einer Auflistung bei abruckner.com hervorgeht. Die Fassungsfrage kann bei diesem Komponisten mitunter zu größten Unterschieden führen, doch halten sie sich im Falle der Achten in Grenzen. Ein Blick auf die Spielzeiten offenbart ein Tendenz zur Zurücknahme der Tempi. Kam der Dirigent in seiner ersten Einspielung 1969 noch mit 14 Minuten für den Kopfsatz aus, genehmigt er sich 1993 dreieinhalb Minuten mehr. Ähnliches lässt sich für die übrigen Sätze feststellen: Das Scherzo ist mit knapp 16 Minuten zweieinhalb Minuten langsamer als in den 1960er Jahren, das berühmte Adagio übertrifft in der Neuveröffentlichung mit einer geschlagenen halben Stunde alle anderen Haitink-Aufnahmen recht deutlich. Und auch der Schlusssatz kommt auf stattliche 25 Minuten Spielzeit und steht rein quantitativ an der Spitze. Das etwa 88-minütige Werk verteilt sich auf den beiden CDs, wie bei der Achten unumgänglich (CD-Wechsel zwischen dem zweiten und dritten Satz). Eine gewisse Verschiebung von einer vorwärtsdrängenden Dramatik hin zu einer kontemplativeren Lesart ist kaum abzustreiten. Das sehr luftige und andernorts verdeckte Details hörbar machende Klangbild aus Bayern, in der frühen Concertgebouw-Einspielung von 1969 recht kompakt und in jener von 1981 leider zu verwaschen, lässt auch die sehr ordentlich abschneidende Wiener Studioaufnahme aus den 90ern weit hinter sich.

Gewissermaßen als Zugabe wurde auf der ersten Disc das Te Deum beigesteuert, welches auf einem Konzertmitschnitt vom November 2010 aus der Münchner Philharmonie im Gasteig beruht. Dieses gewiss berühmteste Vokalwerk Bruckners spielte Haitink bereits 1966 im Concertgebouw Amsterdam sowie 1988 im Wiener Musikverein ein. Die Tempomaße unterscheiden sich in allen drei Aufnahmen eher unwesentlich (23:30 in der Neuerscheinung). Neben dem vorzüglichen Chor des Bayerischen Rundfunks konnte ein hochkarätiges Solistenquartett gewonnen werden: Krassimira Stoyanova (Sopran), Yvonne Neef (Mezzosopran), Christoph Strehl (Tenor) und Günther Groissböck (Bass). Klanglich profitiert die BR-Aufnahme von einer überlegenen Leistung der Tontechniker.

In der Summe künstlerische Leistungen ohne Fehl und Tadel und eine lohnende Anschaffung auch für diejenigen, die „ihren“ Haitink-Bruckner komplett im Regal stehen haben. Daniel Hauser

Klemperer-Box No. 1

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Unter den großen Dirigenten des 20. Jahrhunderts nimmt Otto Klemperer (1885-1973) ohne Frage eine besondere Stellung ein. Seine diskographische Hinterlassenschaft ist gewaltig, was mit der nunmehr vorgelegten, nicht weniger als 95 CDs umfassenden ersten Box Otto Klemperer: The Warner Classics Remastered Edition – Complete Recordings of Symphonic Works on EMI Columbia, HMV, Electrola & Parlophone (Warner 5 054197 257049) schon rein äußerlich demonstriert wird. Tatsächlich soll im Herbst 2023 noch eine zweite, gewiss ähnlich voluminöse Kollektion mit Opern und Sakralwerken nachfolgen.

Jon Tolansky nennt ihn in seinem sehr lesenswerten Einführungstext zurecht einen „stoischen Giganten der Musik“. Im schlesischen Breslau als Sohn jüdischer Eltern geboren, machte Klemperer schon in jungen Jahren von sich reden. Bei einer Aufführung von Gustav Mahlers Auferstehungs-Sinfonie 1905 in Berlin unter Oskar Fried, bei der er das Fernorchester dirigieren durfte, traf er den Komponisten höchstpersönlich, der ihm ein Empfehlungsschreiben mit auf den Weg gab und damit Klemperers frühen Aufstieg beförderte. 1907 wurde er nicht zuletzt aufgrund dieser Empfehlung Chorleiter und kurz darauf Kapellmeister am Deutschen Theater in Prag. 1910 durfte Klemperer gar Mahler selbst bei der Uraufführung von dessen Sinfonie der Tausend assistieren. Über Hamburg (1910-1912), Barmen (1912-1913), Straßburg (1914-1917), Köln (1917-1924) und Wiesbaden (1924-1927) kam Klemperer schließlich an die Berliner Krolloper. Seine kurze Amtszeit (bis 1931) brachte ihm aufgrund seiner Offenheit gegenüber zeitgenössischen Werken und modernen Regiekonzepten internationale Aufmerksamkeit, aber auch nachhaltige Anfeindungen ein. Nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten wurde er als „Kulturbolschewist“ mit eine Aufführungsverbot belegt, was zu seiner Emigration in die Schweiz führte. Über Zürich gelangte er schließlich in die Vereinigten Staaten, wo er bereits im Oktober 1933 sein Amt als Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic antrat, welches er bis 1939 innehaben sollte. Im selben Jahr wurde ein komplizierter operativer Eingriff wegen eines Hirntumors notwendig, der eine partielle Lähmung des Dirigenten zur Folge hatte. Dies und eine sich verstärkende bipolare Störung führten dazu, dass es in den folgenden Jahren zunächst still um Klemperer wurde. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte er nach Europa zurück und schlug sich mit Gastdirigaten bei verschiedensten Orchestern durch, bevor er zwischen 1947 und 1950 als Musikdirektor der Ungarischen Staatsoper in Budapest wirkte. Insgesamt hatte es seinerzeit gleichwohl den Anschein, als sei seine ganz große Zeit vorüber.

Klemperers kaum mehr für möglich gehaltener Indian Summer erfolgte infolge der so nicht vorhersehbaren Verpflichtung durch den legendären EMI-Produzenten Walter Legge ab dem Jahre 1954 im stattlichen Alter von 69. In den 17 Jahren darauf kam es zu denjenigen Studioeinspielungen, welche das Bild vom Dirigenten Otto Klemperer für die Nachwelt nachhaltig prägen sollten. Sie sind nunmehr sämtlich in dieser monumentalen Box zusammengefasst worden. Es gilt freilich zu bedenken, dass diese Aufnahmen in den späten Lebensjahren des Dirigenten entstanden sind und zumal nach seinem Brandunfall im Jahre 1958, der zu einer weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigung führte und ein einjähriges Pausieren nach sich zog, insofern seinen Spätstil wiedergeben. Es ist andererseits erstaunlich, wie flüssig und teilweise gar rasant Klemperer selbst Mitte der 1950er Jahre noch dirigieren konnte, nimmt man beispielsweise seine 1956 entstandene Einspielung von Mozarts kleiner g-Moll-Sinfonie (Nr. 25 KV 183), deren Feuer modernen HIP-Aufnahmen in nichts nachsteht. Auch die vier Sinfonien von Brahms, die Klemperer in den Jahren 1956/57 einspielte, atmen diese unerwartete Jugendlichkeit. Der Bruch, den das Jahr 1958 darstellt, wird am deutlichsten, wenn man den Beethoven-Zyklus betrachtet, der 1955 (zunächst noch in Mono) begonnen wurde. Die späteren, nach 1958 entstandenen Stereo-Einspielungen etwa der fünften und siebenten Sinfonie gerieten deutlich monumentaler und prägten den landläufig als solchen bezeichneten „Klemperer-Stil“, der durch zurückgenommene Tempi beinahe sprichwörtlich wurde. Legge selbst soll darob zunächst irritiert gewesen sein, worauf Klemperer, schlagfertig wie eh und je, erwidert haben soll: „Daran werden Sie sich schon noch gewöhnen.“

Freilich ist eine allzu pauschale Reduzierung des greisen Klemperer auf seine vermeintliche Langsamkeit nicht zielführend. Noch in den 1960er Jahren nahm der Dirigent die langsamen Sätze sinfonischer Werke vergleichsweise flott, betrachtet man etwa die fulminante Symphonie Pathétique von Tschaikowski von 1961, wo der larmoyante Schlusssatz im Vergleich zum vorangehenden, sehr breit genommenen marschartigen Scherzo geradezu flott daherkommt. Und auch in den ganz späten Einspielungen der Bruckner-Sinfonien Nr. 5, 8 und 9 (1967 bis 1970) lässt sich diese Tendenz beobachten, in der sich Klemperer in den Adagio-Sätzen jedwedem Ansatz von etwaiger Rührseligkeit versagt. Sich selbst hat er in einem Interview Anfang der 60er Jahre einmal einen „Immoralisten“ genannt, völlig anders geartet als der „Romantiker“ Bruno Walter. Nüchterne Sachlichkeit, klare Strukturierung und ausgezeichnete Durchhörbarkeit des Orchesterklangs blieben insofern Klemperers Maxime bis zuletzt, was wohl auch seine Begeisterung für den damals jungen und als Enfant terrible berüchtigten Dirigentenkollegen Pierre Boulez erklärt.

So breit das Repertoire Otto Klemperers gewiss war, so lassen sich doch eindeutige Schwerpunkte festmachen. Ein großer Fokus lag zweifellos auf dem deutsch-österreichischen Raum von der Wiener Klassik bis zur Spätromantik. Besonders als Interpret von Mozart, Beethoven, Brahms und Bruckner ist Klemperer zurecht berühmt geworden. Seine Affinität für die Musik Mahlers muss gewiss nicht weiter belegt werden, selbst wenn er nur einige ausgewählte Mahler-Sinfonien fest im Repertoire hatte (Nr. 2, 4 und 9) und sich der als Cinderella verschrienen Siebenten erst mit über achtzig annahm, freilich mit sensationellem Ergebnis, wie diese Einspielung von 1968 belegt. Aber auch für Haydn hatte Klemperer eine Schwäche und war zuletzt mit einer leider nicht mehr vollendeten Einspielung sämtlicher Londoner Sinfonien betraut gewesen. Die Oxford (Nr. 92) von 1971 stellt tatsächlich seine letzte Einspielung einer Sinfonie überhaupt dar. Ein Kleinod ist gerade auch Klemperers Lesart der wenig bekannten 95. Sinfonie, der einzigen in Moll-Tonart, eingespielt 1970.

Eine lebenslange Hingabe des Dirigenten galt Johann Sebastian Bach, wovon – neben den hier nicht weiter zu thematisierenden Vokalwerken – zwei Gesamtaufnahmen der sechs Orchestersuiten (1954 und 1969) sowie eine der sechs Brandenburger Konzerte (1960) zeugen. Eine wirkliche Durchdringung dieser Barockmusik muss dem alten Herrn zweifelsohne zugestandenen werden; wie blass und einzig technisch brillant wirkt dagegen so manche „historisch korrekte“ Bach-Aufnahme unserer Tage. Eine tiefe religiöse Verwurzelung mag Klemperers Bach-Begeisterung mitbestimmt haben, der die h-Moll-Messe einmal „das größte Werk, das jemals geschrieben wurde“ nannte. 1919 zum Katholizismus konvertiert, blieb er derselben die meiste Zeit seines Lebens verbunden, um ihr im hohen Alter von 82 Jahren 1967 doch abermals den Rücken zuzukehren. In seinen letzten Lebensjahren kam es zu einer Rückbesinnung auf seine jüdischen Wurzeln.

Daneben trat Klemperer auch als Fürsprecher Schumanns auf, dessen Orchestrierungen zumal seinerzeit als verbesserungswürdig galten, und spielte die vier Sinfonien und zwei der Ouvertüren ein. Ein Anliegen scheint ihm die bis heute verschmähte Zweite des Zwickauers gewesen zu sein, die er sogar auf eines seiner letzten Konzertprogramme setzte. Von Mendelssohn Bartholdy legte er immerhin die populärsten Werke vor: Die Schottische und die Italienische Sinfonie sowie die Bühnenmusik zum Sommernachtstraum von Shakespeare finden sich in seiner Diskographie. Zwar fand Klemperer die Finalcoda der Schottischen unbefriedigend und komponierte gar einen eigenen Alternativschluss, doch konnte Legge glücklicherweise zumindest in der Studioproduktion die Originalfassung des Komponisten erzwingen. Erstaunlicherweise klingt ausgerechnet Klemperers Einspielung mit dem gefühlt halbierten Tempo in dieser Coda mustergültig. Leider kam es zu keiner Produktion auch der Reformations-Sinfonie, die Klemperer mutmaßlich gelegen wäre. Schubert stand vergleichsweise wenig im Zentrum seines Interesses, auch wenn die hier vorliegenden Einspielungen der Fünften, der Unvollendeten und der Großen C-Dur fraglos ihre Meriten aufweisen. Erstmals wurde nun der 1963 eingespielte Kopfsatz der Tragischen (Nr. 4) veröffentlicht; eine Gesamtaufnahme des Werks existiert unter Klemperers Dirigat allerdings mitnichten. Hinzu gesellt sich eine zu Unrecht etwas im Schatten stehende, formidable Wiedergabe der Sinfonie Aus der Neuen Welt (Nr. 9) von Dvorák. Dass ihm das slawische Idiom durchaus behagte, belegen im Übrigen auch die weiteren Tschaikowski-Sinfonien Nr. 4 und 5, die als analytische Gegenpole zu hyperemotionalen Darbietungen durchaus bestehen können. Auch im französischen Fach gibt es zumindest zwei sinfonische Werke, denen Klemperer in seinen späten Jahren Aufmerksamkeit zukommen ließ. Sowohl die Symphonie Fantastique von Berlioz als auch César Francks Sinfonie d-Moll dürfen als unverhofft überzeugende Überraschungen gelten; letztere verkommt keineswegs zu einer bloßen Bruckner-Kopie. Unerwartet sein Einsatz für Strawinski, dessen Petruschka hier ebenfalls inkludiert wurde; zu LP-Zeiten wurde sie als nicht wirklich überzeugend von EMI zurückgehalten.

Vorspiele, Ouvertüren und sonstige Orchestermusik aus den Werken Richard Wagners standen in den Jahren 1960/61 im Fokus. Vom Rienzi bis zum Parsifal ist das wesentliche Orchestrale enthalten. Ein Wermutstropfen freilich, dass Klemperer einzig eine Gesamtaufnahme des Fliegenden Holländers vorlegen konnte. Eine erwogene Gesamteinspielung des Rings des Nibelungen musste sich angesichts des Alters des Dirigenten als illusorisch erweisen; einzig den ersten Walküren-Akt konnte Klemperer 1969 noch zu Ende bringen. Rein orchestral fällt auch die Beigabe an Werken von Richard Strauss aus, wo Don Juan, Till Eulenspiegel, Tod und Verklärung, der Tanz der sieben Schleier aus Salome und die Metamorphosen immerhin einen Eindruck vermitteln können. Auch der Namensvetter Johann Strauss ist immerhin mit zwei Walzern und der Fledermaus-Ouvertüre vertreten. Ausgezeichnet gelingt Klemperer die Kleine Dreigroschenmusik von Kurt Weill, gleichsam eine Reminiszenz an seine wilden Berliner Jahre.

Die in der Box enthaltenen Opernouvertüren von Weber (Der Freischütz, Euryanthe), Humperdinck (Hänsel und Gretel), Gluck (Iphigénie in Aulis) und erstmals auch Cherubini (Anacréon) sind in Klemperers überlegener Interpretation ein Labsal. Dass er allgemein ein bedeutender Operndirigent war, geht in der vorliegenden Box freilich unter und wird Gegenstand der nachfolgenden sein. Allerdings gibt es gleichwohl auch hier einige Werke mit Vokalanteil, angefangen bei Beethovens Neunter von 1957, wo interessanterweise nicht nur die landläufig bekannte Studioeinspielung inkludiert wurde, sondern auch der beinahe zeitgleich entstandene Live-Mitschnitt aus der Royal Festival Hall. Die hervorragenden Solisten sind dieselben: Aase Nordmo-Lövberg, Christa Ludwig, Waldemar Kmentt sowie Hans Hotter. Hinzutritt in beiden Fällen der von Wilhelm Pitz einstudierte Philharmonia Chorus. Der Konzertmitschnitt ist sogar noch lebendiger und verblüffend gut, ebenfalls bereits in Stereo, eingefangen. Christa Ludwig ist zudem mit den Wesendonck-Liedern und Isoldes Liebestod von Wagner, fünf Liedern von Mahler sowie der Brahms’schen Alt-Rhapsodie vertreten. Ebenfalls mehrfach berücksichtigt wurde die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf, und zwar sowohl in der zweiten als auch in der vierten Sinfonie von Mahler, zurecht legendär gewordenen Einspielungen. Ihre Partnerin in der Zweiten ist die Mezzosopranistin Hilde Rössl-Majdan.

Auch Instrumentalsolisten gesellen sich hinzu. Daniel Barenboim übernimmt den Solistenpart in den fünf Klavierkonzerten und der Chorfantasie von Beethoven sowie dem 25. Klavierkonzert von Mozart, das einzige dieses Komponisten, das unter Klemperers Dirigat vorliegt. Diese Aufnahmen erscheinen wie in Stein gemeißelt. Annie Fischer wird von ihm in den Klavierkonzerten von Schumann und Liszt (Nr. 1) begleitet, David Oistrach im Violinkonzert von Brahms (übrigens die einzige Einspielung Klemperers mit dem französischen Nationalen Rundfunkorchester) und schließlich Yehudi Menuhin im Violinkonzert von Beethoven. Hinzukommen die vier Hornkonzerte Mozarts mit Alan Civil.

Klemperer, der sich gerade auch als Komponisten sah, kommt in der Box auch als solcher zum Zuge. EMI spielte immerhin den Merry Waltz (1961), die Sinfonie Nr. 2 (1969) und das Streichquartett Nr. 7 (1970) im Studio ein. Auf zwei Bonus-CDs sind hier weitere Kompositionen Klemperers enthalten, zuvörderst die Sinfonien Nr. 3 (1970) und 4 (1969) wie auch das Streichquartett Nr. 3 (1969), die jeweils in einem einzigen Zuge aufgenommen wurden.

Primär von historischem Interesse sind die auf den ersten beiden CDs zusammengefassten 78er-Schellackaufnahmen aus den Jahren 1927 bis 1929 mit der Staatskapelle Berlin bzw. dem Orchester der Staatsoper Berlin, darunter eine komplette Einspielung der ersten Brahms-Sinfonie und sogar die Ouvertüren zu Aubers Fra Diavolo und Offenbachs La Belle Hélène, die der Dirigent später leider nicht mehr in Stereo wiederholte.

Die letzte Disc der Kollektion enthält schließlich eine 80-minütige Dokumentation vom bereits genannten Jon Tolansky, welche die Lebensstationen Otto Klemperers musikalisch durchschreitet.

Bei all der überreichlichen Fülle geht darüber beinahe unter, dass nicht wirklich alle ehemaligen EMI-Aufnahmen hier vertreten sind. Tatsächlich wurden diejenigen Live-Produktionen des Bayerischen Rundfunks ausgespart, die einst unter dem EMI-Label auf CD erschienen sind: Mahlers zweite Sinfonie (1965; mit Heather Harper und Janet Baker), Schuberts Unvollendete (1966), Mendelssohns Schottische (1969; mit Klemperers eigener Schlusscoda) sowie Beethovens vierte und fünfte Sinfonie (1969). Bedauerlich ist dies gerade deshalb, weil diese Aufnahmen künstlerisch besonders hervorragen und die entsprechenden Studioeinspielungen hie und da sogar noch übertreffen. Lizenzrechtliche Gründe sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache der Weglassung. Mit etwas Glück kann man diese Aufnahmen noch auf dem Gebrauchtmarkt erstehen.

Über das vom Art & Son Studio vorgenommene Remastering (192 kHz/24 Bit) sämtlicher Einspielungen von den Originaltonbändern kann voll des Lobes gesprochen werden. Besser klangen diese Aufnahmen in den bisherigen landläufigen Veröffentlichungen mitnichten. Es glückte sogar das Kunststück, bis dato klanglich problematische Produktionen wie Klemperers letzte Beethoven-Siebente von 1968 in einem deutlich günstigeren Licht erscheinen zu lassen. Die von Art & Son erzielte Klarheit geht Hand in Hand mit der vom Dirigenten angestrebten orchestralen Detailversessenheit. Auch aufgrund dieser technisch sehr geglückten Aufbereitung bleibt – trotz der fehlenden BR-Aufnahmen aus München – nichts weiter, als eine volle Empfehlung auszusprechen. Daniel Hauser

Reiner Goldberg

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Gebürtig aus Crostau im Landkreis Bautzen, Sachsen, erblickte der Tenor Reiner Goldberg am 17. Oktober 1939 das Licht der Welt. Zunächst erlernte er den Beruf eines Schlossers, ehe er sich der Musik zuwandte. Einem Gesangsstudium an der Musikhochschule Dresden (bei Arno Schellenberg) folgte 1966 das Debüt als erster Geharnischter in Mozarts Zauberflöte bei den Sächsischen Landesbühnen Dresden-Radebeul. Von da an ging es Schlag auf Schlag. 1969 erstmals Gast an der Dresdner Staatsoper, wurde Goldberg bereits 1973 reguläres Mitglied des dortigen Ensembles. An der Deutschen Staatsoper Berlin sang er zum ersten Mal 1972 und wurde 1981 auch dort Teil des Ensembles. Gastspiele führten ihn zu DDR-Zeiten nach Leipzig, Leningrad, Hamburg, London, Paris, Wien, Salzburg, Genf, Prag, Budapest, Lausanne, Mailand und Barcelona sowie 1981 mit der Dresdner Staatsoper bis nach Japan. Bereits zu Ostzeiten erfolgte Goldbergs Debüt in New York (1983 konzertant), nach der Wende ab 1991 auch an der Met. Ebenfalls schon vor dem Mauerfall sein erstes Einspringen bei den Bayreuther Festspielen (am 24. August 1986 als Tannhäuser für Richard Versalle). Ab dem Folgejahr gehörte er dann für sieben Jahre zur festen dortigen Besetzung, zunächst als Stolzing (1987/88), dann als Siegfried (1988/89, im ersten Jahr lediglich in der Götterdämmerung), abermals als Tannhäuser (1989) und vor allem als Erik (1990-1994). Im Heldenfach sang er beinahe alle wichtigen Wagner-Partien, widmete sich aber auch dem modernen Opernschaffen. Daneben war Goldberg als Konzertsänger und Gesangspädagoge großer Erfolg beschieden. Diskographisch ist er zuvörderst in Opern von Wagner und Richard Strauss festgehalten, daneben aber auch u. a. in Schönbergs Moses und Aron (unter Herbert Kegel) sowie in der neunten Sinfonie von Beethoven (unter Kurt Masur). 1985 erhielt er den Nationalpreis der DDR III. Klasse für Kunst und Literatur und wurde anlässlich seines 80. Geburtstages im Jahre 2019 zum Ehrenmitglied der Berliner Staatsoper Unter den Linden ernannt. Bis fast zuletzt wirkte er auf der Bühne mit, so noch 2019 als Eißlinger in den Meistersingern an der Berliner Staatsoper unter Daniel Barenboim sowie 2020 als erster Gefangener im Fidelio bei einer konzertanten Aufführung in Graz. Wenige Tage vor Vollendung seines 84. Lebensjahres ist Reiner Goldberg nun am 7. Oktober 2023 in Berlin verstorben (Foto oben: Reiner Goldberg als Peter Grimes am Opernhaus Graz 2002/Foto Toni Muir). Daniel Hauser

Norbert Orth

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Am 18. August 1939 in Dortmund geboren, schlug Norbert Orth zunächst eine Laufbahn als Industriekaufmann ein, ehe er sich dem Gesang zuwandte. Nach Studien in Hamburg, Köln und Dortmund debütierte er 1966 als Ferrando in Così fan tutte in Enschede. Über Kiel, die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf und Nürnberg kam er 1976 an die Bayerische Staatsoper in München, der er 20 Jahre als Ensemblemitglied angehörte. Gastspiele führten ihn u. a. nach Paris, New York, Berlin, Stuttgart, Hannover, Dresden, Chemnitz, Kassel, Essen, Zürich, Bordeaux, Lyon, Salzburg und Tokio. Auftritte bei den Bayreuther Festspielen (1973/74 als Augustin Moser und 1984 als Loge) waren frühe Höhepunkt in seiner Laufbahn. Ab den frühen 1980er Jahren wechselte Orth zunehmend ins Heldenfach. Sein letzter Auftritt an der Bayerischen Staatsoper am 26. Mai 1996 als einspringender Stolzing rettete die Vorstellung. Zu seinem Repertoire gehörte auch die Solopartie in Beethovens Sinfonie Nr. 9. Daneben trat er als Oratorien- und Liedersänger erfolgreich in Erscheinung. Auf Schallplatte ist er u. a. in der Entführung aus dem Serail (Eurodisc), in Hoffmanns Erzählungen (HMV) und Tiefland (RCA) festgehalten. Bereits am 27. August 2023 ist Norbert Orth kurz nach seinem 84. Geburtstag verstorben. Daniel Hauser

„Ring“ zum Dritten aus München

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Das konzertante Ring-Projekt von Simon Rattle und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (dessen neuer Chefdirigent Rattle seit dieser Spielzeit ist) biegt allmählich in die Zielgerade ein. Auf dem Eigenlabel von BR-Klassik kommt dieser Tage nun Siegfried auf den Markt (900211). Über das „Stiefkind“ der Tetralogie wurde an anderer Stelle bereits einiges gesagt. Tatsächlich vollzieht sich im zweiten Tag ein gewisser Bruch zwischen dem zweiten und dritten Aufzug, als Wagner eine jahrelange Pause einlegte. Und doch, so scheint es, hat dieser Ring-Teil durchaus seine bedingungslose Anhängerschaft. Auffällig bei der Neueinspielung aus der Münchner Isarphilharmonie im Gasteig HP8 (Aufnahme: 3.-5. Februar 2023) ist das Faktum, dass sie auf nur drei CDs daherkommt. Mit einer Gesamtspielzeit von 3 Stunden 53 Minuten liegt Rattle indes eigentlich im Durchschnitt. Karl Böhm und Pierre Boulez (beide Philips) waren etwa 10 Minuten schneller unterwegs. Hans Knappertsbusch (Orfeo) und James Levine (DG) benötigten indes fast 20 Minuten mehr. Bei Rattle passen die drei Aufzüge jedenfalls auf jeweils eine Disc, was man als Vorteil betrachten kann.

Die Besetzung ist, Stand heute, prominent: Simon O’Neill in der Titelrolle, Michael Volle als Wanderer und Anja Kampe als Brünnhilde zählen zu den derzeit bekanntesten Wagnerinterpreten weltweit. Es gesellen sich hinzu Peter Hoare als Mime, Georg Nigl als Alberich, Franz-Josef Selig als Fafner, Gerhild Romberger als Erda sowie Danae Kontora als Waldvogel. Der neuseeländische Tenor Simon O’Neill ist wahrlich kein Anfänger in Sachen Siegfried, immerhin legte er bereits eine Gesamtaufnahme unter Jaap van Zweden vor (Naxos). Stimmlich ist er der Partie in all ihren Facetten mühelos gewachsen und hält sie dank heldischen Stimmmaterials bis zum Ende ohne erkennbares Nachlassen durch. Die Wortdeutlichkeit Michael Volles vermittelt in Zeiten, wo dies keineswegs mehr die Regel ist, diese Grundvoraussetzung für eine wirklich idiomatische Rollendurchdringung. Sein reichhaltiger Erfahrungsschatz aus dem Kunstlied kommen hier gewiss zugute und machen es verschmerzbar, dass er nicht ganz die Stimmgewalt früherer Interpreten erreicht. Dies gilt auch für Anja Kampe, für welche die Brünnhilde zwar eher eine Grenzpartie darstellt, die dies durch ihre für sich einnehmende Ausstrahlung und glaubhafte Darstellung aber vergessen macht. Beim aus England stammenden Peter Hoare stört die nicht ganz einwandfreie deutsche Diktion, obgleich er das Potential für den Mime grundsätzlich mitbringt. Georg Nigl, der hier sein Alberich-Debüt feiert, lässt hingegen vollumfänglich aufhorchen. Gerne hörte man seinen düsteren Alben auch in der weit ausgedehnteren Partie im Rheingold. Franz-Josef Selig bietet einen kaum weniger beeindruckenden Kurzauftritt als Fafner. Danae Kontora ist als Stimme des Waldvogels ohne Fehl und Tadel. Gerhild Romberger hinterlässt als Erda einen bleibenden Eindruck und kann sich mit den berühmtesten Vorgängerinnen messen.

Seine Wagner-Qualitäten hat der BR-Klangkörper bereits mehrfach bewiesen. Auch dieses Mal ist die Orchesterleistung stupend, weise geführt durch denjenigen Dirigenten, den man in Sachen Wagner unverdienterweise zu lange kaum auf dem Schirm hatte. Sir Simon Rattle lässt, unterstützt von diesem Weltklasse-Orchester, manche altbekannte Stelle geradezu aufblühen, etwa die hier sehr strahlende Erweckung Brünnhildes und den häufig als etwas aufgeblasen empfundenen Aktschluss in selten gehörter Transparenz. Der ausgezeichnete Klang unterstreicht dies noch. Eine stimmlich in der Summe überzeugende und orchestral herausragende Gesamtleistung. Daniel Hauser

Stephen Gould

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Am 24. Jänner 1962 in Roanoke, Virginia, USA, als Sohn eines Methodistenpfarrers und einer Pianistin geboren, kam Stephen Gould über ein Studium am New England Conservatory of Music in Boston zunächst ins Musicalfach, in welchem er acht Jahre agierte. Einem Nachwuchsprogramm der Lyric Opera of Chicago verdankte er den erfolgreichen Wechsel zur Oper, der mit seinem Debüt als Argirio in Rossinis Tancredi 1989 in Chicago seinen Anfang machte. Besonders als Wagnersänger war Gould weltweit gefragt. 2001 erfolgte sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper in München in der kleinen Partie des Melot in Tristan und Isolde. Bald schon waren es indes größere Rollen, die ihm übertragen wurden. Seinen wirklichen Durchbruch schaffte Gould bereits 2004 bei den Bayreuther Festspielen in der Titelrolle des Tannhäuser, den er auch im Folgejahr, 2019 und zuletzt noch 2022 sang. In Bayreuth etablierte er sich generell schnell als wichtige Stütze und sang dort auch den Jung-Siegfried (2006-2008), den Götterdämmerungs-Siegfried (2006-2008, 2022) und den Tristan (2015-2019, 2022), jeweils einmalig auch den Siegmund (2018) und Parsifal (2021), womit er beinahe alle wesentlichen Wagner’schen Heldentenorpartien verkörperte. Sein Debüt an der Wiener Staatsoper erfolgte ebenfalls schon 2004 (als Paul in Korngolds Toter Stadt), wo er neben den nämlichen Wagnerrollen auch als Bacchus (Ariadne auf Naxos), Kaiser (Die Frau ohne Schatten), Otello und Peter Grimes brillierte. 2015 wurde er zum Österreichischen Kammersänger ernannt. Weitere Gastspiele führten ihn ans Londoner Royal Opera House, nach Berlin, Dresden, Hamburg, Karlsruhe, Mannheim, Linz (wo er 2000 als Florestan debütierte), Graz, Genf, Rom, Florenz, Turin, Madrid, Valencia, Las Palmas, Paris, New York und Tokio. Daneben hatte er auch die Gurre-Lieder von Schönberg und das Tenorsolo in Beethovens Sinfonie Nr. 9 in seinem Repertoire. Diskographisch ist Gould neben der Beethoven-Neunten (unter Donald Runnicles) in beiden Siegfried-Partien (unter Christian Thielemann) sowie als Jung-Siegfried und Tristan (unter Marek Janowski) verewigt. Gould lebte abwechselnd in den Vereinigten Staaten und in Wien und sprach fließendes Deutsch. Erst im August 2023 musste er aufgrund gesundheitlicher Probleme überraschend sein Karriereende bekanntgeben, was er Anfang September als unheilbare Krebsdiagnose präzisierte. Am 19. September 2023 ist Stephen Gould dieser schweren Krankheit im Alter von gerade 61 Jahren erlegen. Daniel Hauser

Finnlands größter Komponist vor Sibelius

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Die finnische Musiklandschaft trat erst spät ins Bewusstsein überregionaler Wahrnehmung und teilt insofern das Schicksal anderer Peripherien. Bis heute dominiert unstrittig der Name Jean Sibelius das Bild von der Musik Finnlands in geradezu omnipotenter Weise, was freilich dazu führt, dass andere Komponisten aus dem äußersten Nordosten Europas es schwer haben. Wenn das in Helsinki beheimatete, oft schon verdienstvoll hervorgetretene Label Ondine nun mit Bernhard Henrik Crusell (1775-1838) den „größten Komponisten finnischer Herkunft vor Jean Sibelius“ – so Janne Palkisto im (englischsprachigen) Einführungstext – bedenkt, kann dies gar nicht hoch genug gewürdigt werden. Obwohl die Neuerscheinung (Ondine ODE 1424-2) mit gerade 51 Minuten Spielzeit nur recht mäßig bestückt ist, soll dies mitnichten die Bedeutung dieser Veröffentlichung herabwürdigen.

Geboren wurde Crusell in der Kleinstadt Uusikaupunki (schwedisch: Nystad), im äußersten Südwesten des Landes, das seinerzeit noch zu Schweden gehörte. Glückliche Umstände führten ihn alsbald nach Stockholm, wo er als Erster Klarinettist der Königlichen Hofkapelle, als Komponist und Lehrer für Aufmerksamkeit sorgte. Drei Werke aus seiner späteren Schaffenszeit finden sich nun auf der CD versammelt. Bis Anfang der 1820er Jahre hatte Crusell vor allem für die Klarinette, sein eigenes Instrument, komponiert, darunter jeweils drei Konzerte und Quartette. Von da an widmete er sich anderen musikalischen Genres. Seine einzige Oper Den lilla slavinnan (Die kleine Sklavin) von 1824 erhielt ihren Impuls durch das tragische Ableben seiner gerade 17-jährigen Tochter Maria infolge einer banalen Erkältung. Thematisch beruht der Stoff auf Ali Baba und die vierzig Räuber von René-Charles Guilbert Pixerécourt. Inkludiert wurde die siebenminütige Ouvertüre, die an ihren düsteren Stellen an Webers Freischütz gemahnt, aber auch eine Verwandtschaft mit der Spritzigkeit von Haydns Sinfonik offenbart.

Das hochvirtuose Konzert für Fagott und Orchester entstand 1829 und galt seinem Schwiegersohn Franz Preumayr, dem Gemahl seiner anderen Tochter Sophie, der zudem Crusells Kollege in der Hofkapelle war. Das dreisätzige Werk mit einer Spielzeit von etwa 20 Minuten setzte sich in Kopenhagen, Hamburg, Ludwigslust und Paris rasch als „Schlachtross“ durch. Indem Crusell den seinerzeit sehr populären Boieldieu zitierte, schmeichelte er dem Ego der Pariser.

Noch unter Gustav III. aufgewachsen, erlebte Crusell die stürmische Zeit zwischen der Ermordung dieses Königs und der letztendlichen Etablierung der Dynastie der Bernadotte auf dem schwedischen Thron. Wiewohl Schweden Finnland an das Zarenreich abtreten musste, konnte es Norwegen (welches seinerseits den Dänen verlorenging) hinzugewinnen und auch nach dem Untergang Napoleons halten. Unter dem neuen König Karl XIV. Johann begann ab 1818 eine Rückbesinnung auf die mythologische Vergangenheit. Eine Idealisierung des nordischen Mittelalters ließ die Götter um Odin nach Jahrhunderten in der Versenkung wiederauferstehen. Eine gewichtige Rolle spielt ein diesem Zusammenhang der Historiker, Komponist und Poet Erik Gustaf Geijer. Sein Den siste kämpen (Der letzte Krieger) von 1811 setzte bereits einige Jahre zuvor den Beginn dieser Entwicklung, die sich mit den Gedichten Vikingen (Der Wikinger) und Odalbonden (Der Freibauer) fortsetzte. Crusells 1834 entstandene Vertonung von Den siste kämpen heißt sich etwas sperrig Declamatorium für Rezitation, Chor und Orchester. Die öffentliche Erstaufführung erfolgte indes erst im Dezember 1837 unter Anwesenheit des Kronprinzen (und späteren Königs) Oscar. Die Reaktionen waren eher gemischt und die Musikgeschichte ging bald über dieses eigentümliche Stück hinweg, wozu auch das nur kurze Zeit später, im August 1838, erfolgte Ableben Bernhard Henrik Crusells beitragen haben mag. Von den 23 Spielminuten werden bereits viereinhalb für die stimmungsvolle Introduktion eingenommen.Schon in dieser instrumentalen Einleitung tritt der Chor auf. Obwohl die Musik bereits romantische Anklänge hat, kommt die Rezitation noch klassisch daher, oft (nicht immer) streng abgesetzt vom Orchester. Ein merkliches Talent für einprägsame Melodien tritt immer wieder zutage. Apotheotisch wird das Werk mit dem Einzug des Kriegers in Odins Saal beschlossen und darf als Verherrlichung der sagenhaften Geschichte Skandinaviens verstanden werden.

Die Darbietung dieser nunmehrigen Weltersteinspielungen sind dazu geeignet, das Œuvre Crusells auf hohem Niveau wiederzuentdecken. Dafür sorgt die Darbietung des auf historischen Instrumenten spielenden Helsinki Baroque Orchestra unter Aapo Häkkinnen. Als Solist im Fagottkonzert tritt hinzu Jani Sunnarborg, als Rezitator im Declamatorium Frank Skog sowie die bestens aufgestellte Ingolstädter Audi Jugendchorakademie. Die Klangqualität der im Oktober 2022 im Musiikkitalo in Helsinki eingespielten Aufnahme lässt keine Wünsche offen. Der Text des Vokalwerks liegt im schwedischen Original sowie in englischer Übersetzung bei. Daniel Hauser

Robert Hale

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Am 22. August 1933 in Kerrville, Texas, geboren, machte der US-amerikanische Bassbariton Robert Hale bereits früh auf sich aufmerksam. Seine Studien beschloss er am Bethany-Peniel College sowie an der University of Oklahoma in Oklahoma City. Zu einen Lehrern gehörte kein Geringerer als Léopold Simoneau. Hales Operndebüt erfolgte 1967 an der New York City Opera, bevor sich seine Karriere nach Europa und vor allem in den deutschsprachigen Raum verlagerte. Engagements an der Oper Frankfurt, am Opernhaus Zürich sowie am Staatstheater Wiesbaden machten den Anfang. Zunächst im Belcanto-Fach gefragt, erfolgte Ende der 1970er Jahre der Wechsel ins Wagner-Fach, in welchem Hale sich internationales Renommee erarbeitete. Besonders als Wotan brillierte er an der Deutschen Oper Berlin, an der Wiener Staatsoper, in München, Hamburg, Köln, Paris, Tokio, Sydney, San Francisco, Washington sowie an der Metropolitan Opera in New York. Ferner sang er am Royal Opera House in London, an der Scala von Mailand, am Liceu in Barcelona, am Teatro Colón in Buenos Aires sowie am Bolschoi-Theater in Moskau. Dazu gesellten sich Auftritte bei den Festspielen in Salzburg, Wien, Ravenna, Lausanne, Bregenz, Bergen, Orange, Bordeaux, München, Savonlinna, Tanglewood, Ravinia, Cincinnati und beim Hollywood Bowl. Seine Diskographie ist beachtlich und dokumentiert neben Wagner-Partien auch Richard Strauss, Massenet, Händel und Schumann. Privat war er bis 2005 mit der dänischen Sopranistin Inga Nielsen verheiratet, ab 2012 mit amerikanischen Sopranistin Julie Davis. Am 23. August 2023, einen Tag nach seinem 90. Geburtstag, ist Robert Hale in seinem Haus in Kalifornien verstorben (Foto oben: Robert Hale als Wotan/Deutsche Oper Berlin/Kranichphoto). Daniel Hauser

Berit Lindholm

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Die schwedische Sopranistin Berit Lindholm, am 18. Oktober 1934 als Berit Maria Jonsson in Stockholm geboren, wollte zunächst Volksschullehrerin werden und hatte auch bereits ihr Examen abgelegt, bevor es sie an die Königlich Schwedische Opernschule in ihrer Geburtsstadt zog. Ihre Lehrerinnen waren Britta von Vegesack und Käthe Sundström. Im Mai 1963 erfolgte Lindholms Debüt an der Stockholmer Oper als Gräfin in Mozarts Figaro. Bis 1972 sang sie dort Elisabeth (Tannhäuser), Aida, Tosca, Leonore (Fidelio) und Chrysosthemis (Elektra). Auf Empfehlung ihrer Landsmännin Birgit Nilsson erfolgte 1966 Lindholms Engagement an der Wiener Staatsoper, im selben Jahr auch am Royal Opera House, Covent Garden, in London. Spätestens ab diesem Zeitpunkt galt sie als eine der wichtigsten Wagnersängerinnen ihrer Generation. Es folgten 1967 Gastspiele in München und Zürich sowie ihr erster Auftritt bei den Bayreuther Festspielen als Venus (Tannhäuser). Dort übernahm sie in der Folge auch die dritte Norn (1968 und 1969), vor allem aber alle drei Brünnhilde-Partien im Ring (zwischen 1968 und 1973). Weitere Gastspiele führten sie nach Barcelona, Amsterdam und New York. 1973/74 und ab 1977 war sie an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg verpflichtet. Bereits 1976 zur Königlich Schwedischen Hofsängerin ernannt, folgten weitere Auszeichnungen wie der Orden Litteris et artibus (1988). Nach ihrem 1993 erfolgten Rückzug von der Bühne wirkte sie als Gesangspädagogin. Ihre offizielle Diskographie ist überschaubar und vermittelt nur ansatzweise ihren Rang. Berit Lindholm ist am 12. August 2023 im 89. Lebensjahr in ihrer Heimatstadt Stockholm verstorben. Daniel Hauser

Graham Clark

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Der am 10. November 1941 in Littleborough, Lancashire, geborene englische Tenor Graham Clark kam in jungen Jahren über den Kirchenchor zur Musik. Nach Studien in London trat er 1973 erstmals beim Wexford Festival auf und hatte 1975 seinen Durchbruch bei einem Benefizkonzert am Royal Opera House in London, das im Fernsehen gesendet wurde und später auch auf Schallplatte erschien. Wenig später erhielt Clark einen Vollzeitvertrag der Scottish Opera in Glasgow und sang dort Rollen von Mozart (Pedrillo), Beethoven (Jaquino), Wagner (Zorn, David) und Richard Strauss (Brighella). Nach einem ersten Auftritt im Jahre 1976 wurde er zwei Jahre darauf Haustenor der English National Opera (bis 1985). Ab 1981 trat er bis 2004 regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen auf und machte sich im Wagnerfach international einen Namen (David, Melot, Junger Seemann, Loge, Mime). Mit 112 Auftritten war er an der New Yorker Metropolitan Opera langjähriger Gast. Weitere Gastspiele führten Clark u. a. nach Paris, Toronto, San Francisco, Chicago und Berlin. Bei den Festspielen von Salzburg, Edinburgh, Camden und York, Stockholm, Paris, Mailand, Tel Aviv, Kopenhagen und Luzern war er ebenfalls gegenwärtig. In seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten kämpfte der Sänger mit einer Krebserkrankung. Sein letzter Bühnenauftritt erfolgte gleichwohl noch 2019 in Brüssel. Am 6. Juli 2023 ist Graham Clark im Alter von 81 Jahren verstorben. Daniel Hauser