„Ring“ zum Dritten aus München

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Das konzertante Ring-Projekt von Simon Rattle und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (dessen neuer Chefdirigent Rattle seit dieser Spielzeit ist) biegt allmählich in die Zielgerade ein. Auf dem Eigenlabel von BR-Klassik kommt dieser Tage nun Siegfried auf den Markt (900211). Über das „Stiefkind“ der Tetralogie wurde an anderer Stelle bereits einiges gesagt. Tatsächlich vollzieht sich im zweiten Tag ein gewisser Bruch zwischen dem zweiten und dritten Aufzug, als Wagner eine jahrelange Pause einlegte. Und doch, so scheint es, hat dieser Ring-Teil durchaus seine bedingungslose Anhängerschaft. Auffällig bei der Neueinspielung aus der Münchner Isarphilharmonie im Gasteig HP8 (Aufnahme: 3.-5. Februar 2023) ist das Faktum, dass sie auf nur drei CDs daherkommt. Mit einer Gesamtspielzeit von 3 Stunden 53 Minuten liegt Rattle indes eigentlich im Durchschnitt. Karl Böhm und Pierre Boulez (beide Philips) waren etwa 10 Minuten schneller unterwegs. Hans Knappertsbusch (Orfeo) und James Levine (DG) benötigten indes fast 20 Minuten mehr. Bei Rattle passen die drei Aufzüge jedenfalls auf jeweils eine Disc, was man als Vorteil betrachten kann.

Die Besetzung ist, Stand heute, prominent: Simon O’Neill in der Titelrolle, Michael Volle als Wanderer und Anja Kampe als Brünnhilde zählen zu den derzeit bekanntesten Wagnerinterpreten weltweit. Es gesellen sich hinzu Peter Hoare als Mime, Georg Nigl als Alberich, Franz-Josef Selig als Fafner, Gerhild Romberger als Erda sowie Danae Kontora als Waldvogel. Der neuseeländische Tenor Simon O’Neill ist wahrlich kein Anfänger in Sachen Siegfried, immerhin legte er bereits eine Gesamtaufnahme unter Jaap van Zweden vor (Naxos). Stimmlich ist er der Partie in all ihren Facetten mühelos gewachsen und hält sie dank heldischen Stimmmaterials bis zum Ende ohne erkennbares Nachlassen durch. Die Wortdeutlichkeit Michael Volles vermittelt in Zeiten, wo dies keineswegs mehr die Regel ist, diese Grundvoraussetzung für eine wirklich idiomatische Rollendurchdringung. Sein reichhaltiger Erfahrungsschatz aus dem Kunstlied kommen hier gewiss zugute und machen es verschmerzbar, dass er nicht ganz die Stimmgewalt früherer Interpreten erreicht. Dies gilt auch für Anja Kampe, für welche die Brünnhilde zwar eher eine Grenzpartie darstellt, die dies durch ihre für sich einnehmende Ausstrahlung und glaubhafte Darstellung aber vergessen macht. Beim aus England stammenden Peter Hoare stört die nicht ganz einwandfreie deutsche Diktion, obgleich er das Potential für den Mime grundsätzlich mitbringt. Georg Nigl, der hier sein Alberich-Debüt feiert, lässt hingegen vollumfänglich aufhorchen. Gerne hörte man seinen düsteren Alben auch in der weit ausgedehnteren Partie im Rheingold. Franz-Josef Selig bietet einen kaum weniger beeindruckenden Kurzauftritt als Fafner. Danae Kontora ist als Stimme des Waldvogels ohne Fehl und Tadel. Gerhild Romberger hinterlässt als Erda einen bleibenden Eindruck und kann sich mit den berühmtesten Vorgängerinnen messen.

Seine Wagner-Qualitäten hat der BR-Klangkörper bereits mehrfach bewiesen. Auch dieses Mal ist die Orchesterleistung stupend, weise geführt durch denjenigen Dirigenten, den man in Sachen Wagner unverdienterweise zu lange kaum auf dem Schirm hatte. Sir Simon Rattle lässt, unterstützt von diesem Weltklasse-Orchester, manche altbekannte Stelle geradezu aufblühen, etwa die hier sehr strahlende Erweckung Brünnhildes und den häufig als etwas aufgeblasen empfundenen Aktschluss in selten gehörter Transparenz. Der ausgezeichnete Klang unterstreicht dies noch. Eine stimmlich in der Summe überzeugende und orchestral herausragende Gesamtleistung. Daniel Hauser