Ein Liederzyklus in Gestalt einer Sinfonie

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Bereits vor knapp anderthalb Jahrzehnten legte Alpha eine formidable Einspielung der Sinfonie Nr. 14 von Dmitri Schostakowitsch vor. Es dirigierte Teodor Currentzis, seinerzeit noch weitestgehend unumstrittener Shootingstar der Klassikszene. Nun also eine Neuaufnahme desselben Labels, diesmal aus Frankreich (Alpha 918). Am Pult steht der finnische Dirigent Mikko Franck, seit 2015 musikalischer Leiter des Orchestre Philharmonique de Radio France, welches hier sinnigerweise auch zum Zuge kommt. Mit der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian und dem deutschen Bariton Matthias Goerne konnte man kongeniale Gesangssolisten beisteuern, die gerade in der Interaktion zu überzeugen wissen.

Die vierzehnte und somit vorletzte Schostakowitsch-Sinfonie genießt einen Sonderstatus, ist sie doch eher ein Liederzyklus und wurde vom Komponisten mitunter gar als Oratorium für Sopran, Bass und Kammerorchester bezeichnet. Der Tod spielt eine entscheidende Rolle in den elf russischsprachigen Liedvertonungen nach Vorlagen von Federico García Lorca, Guillaume Apollinaire, Wilhelm Küchelbecker und Rainer Maria Rilke. Mehr als die Hälfte, nämlich sechs davon (Loreley, Le Suicidé, Les Attentives I, Les Attentives II, À la Santé, Réponse des Cosaques Zaporogues au Sultan de Constantinople) beruhen auf Texten des französischen Dichters Apollinaire, der 1918 gerade 38-jährig der grassierenden Spanischen Grippe erlag (im Falle der Loreley nach Clemens Brentanos Vorlage). Vorangestellt sind diesen zwei Gedichte des 1936 von Franquisten ermordeten spanischen Lyrikers García Lorca (De profundis, Malagueña). Auf den Franzosen folgt der Russe Küchelbecker, der sich im Dichterkreis um Puschkin verdingte (und dessen Gedicht O Del’vig, Del’vig! als einziges im russischen Original erklingt). Den Abschluss bilden schließlich zwei Gedichte von Rilke (Der Tod des Dichters, Schlußstück).

Eine in der Summe überzeugende Neueinspielung, die zwar nicht ganz so drastisch daherkommt wie die alten sowjetischen Aufnahmen (besonders die 1969 erfolgte Weltpremiere unter Rudolf Barschai) und auch die besagte, immer noch sensationell zu nennende Interpretation von Teodor Currentzis. Gleichwohl kann man dieser Neuaufnahme aber letztlich keine gravierenden Schwachstellen bescheinigen. Klanglich gibt es weiterhin keinen Anlass zum Tadel (Aufnahme: Auditorium de Radio France, Paris, Juni 2021 und August 2022). Die sehr selten eingespielten Fünf Fragmente op. 42, gerade elfminütig, stellen eine begrüßenswerte Beigabe dar (21. 11.23). Daniel Hauser