Archiv für den Monat: Dezember 2016

Andachtsvoll

 

Der Venezianer Antonio Caldara (1670-1736) kam nach Stationen in Mantua, Rom und Barcelona 1716 nach Wien, wo er bis zu seinem Tod am Kaiserhof der Wiener Hofmusik angehörte. Die Anzahl seiner Kompositionen ist immens, man schätzt, mehr als 3400 Werke soll er während seines Lebens komponiert haben, über 80 Opern, viele Madrigale und Kanons sowie zahllose kirchenmusikalische Werke – Messen, Kantaten, Motetten und Oratorien. Die Vokalakademie Berlin unter der Leitung von Frank Markowitsch legt nun eine CD mit dem TitelSalve Regina vor – zehn Werke mit „Musik zum Lobe der Maria“ (drei davon als Ersteinspielung – das namensgebende „Salve Regina“, „Magnificat“ und „Ave maris stella“), darunter polyphone Chormusik und Stücke für Solostimme, sowie eine Triosonate als instrumentaler Zwischenpunkt. Die klug zusammengestellten Werke der im Februar 2016 in der Wilmersdorfer Lindenkirche aufgezeichneten CD folgen in der Anordnung dem Lebenslauf der Maria und zeigen das Spektrum an Werken, die um die Mutter von Jesus entstanden ist. Das „Magnificat“ für zwei vierstimmige Chöre beinhaltet zu Beginn die Verkündigung der Geburt Christi, im Gebet „Haec est Regina virginum“ hört man ein fein abgestimmtes Miteinander von Solo-Sopran und Violine, „Suscepit Israel“ wurde auch von Bach bearbeitet (BWV 1082), der Hymnus „Ave maris stella“  für Solosopran gehört zur Feier Maria Lichtmess, „Regina coeli laetare“ feiert die Himmelskönigin, die Anrufung Marias in „Salve Regina“ ist eine virtuose Solokantate, das „Crucifixus“ für sechzehnstimmigen Chor ist von intensiver Ernsthaftigkeit erfüllt, „Laboravi in gemitu meo“ für drei Solostimmen und Basso Continuo ist eine schwermütige Motette über Reue, „Tenebrae factae sunt“ für Chor accapella beschreibt die Finsternis in Jesus‘ Todesstunde und das abschließende „Stabat Mater“ für vierstimmigen Chor ist ein schmerzvolles Lamento.  Das Stabat Mater war aus der Liturgie verschwunden, 1727 wurde sie wieder eingeführt. Caldara gehörte zu den ersten, die das Gedenken neu in Töne fassten. 25 Chorsänger, die auch die Solisten stellen, und 11 Musiker sind in dieser gelungen angeordneten und tadellosen Aufnahme mit homogenem Klang zu hören. Das Bassano Ensemble Berlin ist ein historisches Blechbläserensemble, deren Mitwirkende auch in anderen bekannten Orchester spielen, bspw. im Freiburger Barockorchester oder der Lautten Compagney Berlin, es wird ergänzt durch Streicher und Basso Continuo mit Musikern aus Originalklang-Ensembles. Wann bzw. in welcher Reihenfolge diese Werke Caldaras entstanden, ist im Beiheft nicht aufgeführt, dafür ist ein kenntnisreicher und lesenswerter Beitrag zur kirchengeschichtlichen Herkunft der Werke der in Berlin lehrenden Musikwissenschaftlerin Susanne Fontaine enthalten. So geschickt und clever die abwechslungsreiche Zusammenstellung auch sein mag, wie engagiert die Berliner auch singen und musizieren, beim Anhören neigt man dazu, diese CD einem musikliebenden Katholiken empfehlen zu wollen. (ROP6118)

rondeau

rondeau

Eine weitere Veröffentlichung von Rondeau widmet sich zwei raren Werken. Gabriel Fauré schrieb zusammen mit seinem Schüler André Messager eine Missa brevis, dieMesse des pêcheurs de Villerville, eine Messe für die Fischer von Villerville, einem Ort in der Normandie, in dem beide 1881 ihren Urlaub verbrachten. „Kyrie“ und „O Salutaris“ sind von Messager, „Gloria“, „Sanctus“ und „Agnus Dei“ komponierte sein Lehrer. Fauré war zeitlebens Kirchenmusiker und komponierte doch nur 26 Werke für den liturgischen Gebrauch, Musik ohne Prunk, schlicht und andächtig, mit lyrischen Schönheiten und gelegentlichen Verklärungen, sein berühmtes Requiem ist repräsentativer Höhepunkt. Die vorliegende kleine Fischermesse ist eine Originalkomposition für Frauenchor und bietet sich durch Faurés spezifischen Stil für junge Stimmen an. Der Mädchenchor Hannover interpretiert diese Messe stimmschön in andachtsvoller Stimmung, die Leiterin des Chors Gudrun Schröfel leitet die musikalische Aufführung, die von 8 Mitgliedern des Niedersächsischen Staatsorchester (Klarinette, Oboe, Flöte und Streicher) sowie eines Kirchenorganisten tadellos musiziert wird. Der umfangreichere zweite Teil beinhaltet Johann Sebastian Bachs Kantate BWV 1083, „Tilge, Höchster, meine Sünden“, ein ungewöhnliches Werk, das eine Bearbeitung von Pergolesis „Stabat Mater“ für den protestantischen Gottesdienst ist. Pergolesis Werk entstand 1736, Bachs Adaption geschah bereits um 1745. Der Text des katholischen Werks wurde durch eine gereimte Fassung des 51. Psalms eines unbekannten Textdichters ersetzt, eine Bibelstelle über Buße. Bach komponierte um, stellte um, passte die Stimmführung an den neuen Text an – ein dankbares Feld für Musikwissenschaftler. So richtig passen wollen Text und Musik dennoch nicht, Pergolesis „Stabat Mater“ ist ein Meisterwerk, Bachs Bearbeitung läßt auch in dieser Neuaufnahme nicht die Begeisterung zu, die das Ursprungswerk ausstrahlt, die protestantisch-empfindsame Version erreicht nicht die klangsinnliche Intensität des Originals. Die vorliegende Version wird wiederum vom Mädchenchor Hannover sowie von Sopran Ania Vegry und Altistin Mareike Moor gesungen, beide Ensemblemietglieder der Staatsoper Hannover. Das Arte Ensemble musiziert mit zehn Streichern, Gudrun Schröfel leitet die schöne Aufführung mit unaufgeregter Phrasierung mit ruhigen Tempi in andachtsvoller Zurückhaltung. (ROP6119)
Marcus Budwitius

Branca Stilinovic

 

 „Wer war doch noch …?“:   In unserer Serie über weitgehend vergessene Sänger erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und  langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.

 

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Die dramatische Sopranistin Branka Stilinović (* 24. Oktober 1926 in Zagreb, Königreich Jugoslawien) starb am † 4. November 2016 in Rijeka. Sie absolvierte ihre Gesangsausbildung an der Musikschule Pavao Markovac , wo sie bei Nada Pirnat studierte. Ihr erstes Engagement erhielt sie, noch vor ihrer eigentlichen Bühnenkarriere, als Sängerin und Sprecherin bei der Rundfunkstation Radio Zagreb. Dort war sie von 1949 bis 1958 unter Vertrag. 1958, nach Kutsch/Riemens bereits im Jahre 1957, gab sie ihr Bühnendebüt als Opernsängern am Kroatischen Nationaltheater Rijeka als Santuzza in Cavalleria rusticana. 1959 wurde sie als Solistin an die Nationaloper Zagreb verpflichtet, der sie bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 1979 als festes Ensemblemitglied angehörte. Sie sang mit ihrer „brillanten“ Sopran-Höhe und der „suggestiven Ausdruckskraft ihrer Stimme“ schwerpunktmäßig das jugendlich-dramatische und das dramatische Sopranfach. Zu ihren Bühnenrollen gehörten: Donna Anna in Don Giovanni, Abigaille in Nabucco, Amelia in Un ballo in maschera, die Titelrolle in Aida, die Titelrolle in La Gioconda, Leonore in Fidelio, Senta in Der fliegende Holländer, Micaëla in Carmen, Floria Tosca in Tosca, Maddalena in Andrea Chénier, Tatjana in Eugen Onegin, Lisa in Pique Dame, Marie in Die verkaufte Braut und Jaroslawna in Fürst Igor. Neben den klassischen Partien interpretierte sie zahlreiche Rollen in Opern kroatischer und jugoslawischer Komponisten, so die Irmengarde in der Oper Porin von Vatroslav Lisinski, die beiden Sopran-Rollen der Eva und Jelena in der Oper Nikola Šubić Zrinjski von Ivan Zajc und die Đula in Ero der Schelm. Im Dezember 1964 sang sie an der Zagreber Oper in der Uraufführung der Oper Dalmaro von Jakov Gotovac. 1963 wurde sie für ihre außergewöhnliche Interpretation der Rollen Eva und Jelena in Nikola Šubić Zrinjski sowie für ihre Darstellung als Elisabetta di Valois in Verdis Oper Don Carlos mit dem Milka Trnina-Gesangspreis ausgezeichnet. Regelmäßig gastierte sie an der Nationaloper Belgrad. Sie gab internationale Gastspiele in Deutschland (Opernhaus Köln), in der DDR (Staatsoper Berlin, Komische Oper Berlin), in der Schweiz (Theater Basel), in Italien (Bologna, Neapel), Ungarn (Staatsoper Budapest) und in Polen. Außerdem trat sie bei den Opernfestspielen in Athen auf. Stilinović galt auch als außergewöhnliche Konzertsängerin, insbesondere in der Gestaltung von Oratorien und bei der Interpretation der Sopran-Partie im Verdi-Requiem. Nach Beendigung ihrer Bühnenkarriere lehrte sie als Professorin am Konservatorium von Zagreb. Tonaufnahmen mit Stilinović erschienen auf Schallplatte beim jugoslawischen Musiklabel Jugoton, dort unter anderem als vollständige Gesamtaufnahmen die beiden Opern Ero, der Schelm und Nikola Šubić Zrinjski. Außerdem wurde ein Solo-Recital mit ihr bei Jugoton veröffentlicht. Branka Stilinović starb am 4. November 2016 im Alter von 90 Jahren in Rijeka. Die Beisetzungsfeier fand am 9. November 2016 im Zagreber Krematorium statt. (Foto oben Opernhaus Zagreb/ Quelle Wikipedia)

Traumkarriere

 

Radamès an der Met, Cavaradossi in Covent Garden, der Berliner Staatsoper, der Bayerischen Staatsoper, der Semperoper und der Oper von Sydney, Calaf am Opernhaus Zürich und bei den Bregenzer Festspielen… Es geht nicht etwa um einen Sänger, der schon lange „im Geschäft“ ist, sondern um den jungen italienischen Tenor Riccardo Massi, der in gerade einmal sieben Jahren eine Traumkarriere hingelegt hat. Einem breiten Publikum wurde er 2015 als Calaf in der vom Fernsehen übertragenen und später auf DVD erschienenen Turandot-Produktion der Bregenzer Festspiele bekannt. Dieses Jahr trat er ebenfalls als Calaf in einer ähnlich spektakulären Open-air-Produktion aus dem Hafen von Sydney auf, die in vielen Kinosälen weltweit übertragen wurde. Für großes Aufsehen sorgte 2016 außerdem seine Interpretation des Milio in der Opera Rara Konzertaufführung und anschließenden CD-Neuerscheing von Zaza. Am Sonntag (4. Dezember 2016) steht Riccardo Massi nun in der neuen Manon Lescaut der Staatsoper im Schiller Theater in Berlin auf der Bühne. Mit operalounge.de sprach er über seine rasante Karriere, die gefürchtete Rolle des Des Grieux und über seine frühere Tätigkeit als Stuntman.

 

Riccardo Massi: "Tosca" mit Angela Gheorghiou an Covent Garden/ Foto Catherine Ashmore

Riccardo Massi: „Tosca“ mit Angela Gheorghiou an Covent Garden/ Foto Catherine Ashmore

Wann begann Ihre Leidenschaft für Oper und den Gesang? Wer waren Ihre Lehrer und wo haben Sie studiert? Mein Vater hatte eine große Leidenschaft für die Oper, auch wenn er kein Musiker war. Ich wuchs mit den Aufnahmen der großen Sänger der goldenen Jahre der Oper auf, ich kam also bereits in sehr jungen Jahren mit der Oper in Kontakt. Nachdem ich meinen Schulabschluss machte, zog ich nach Rom, weil mein Bruder mich David Holst vorgestellt hatte, mein damaliger und heutiger Gesangslehrer.

Laut Ihrer Biografie gingen Sie einem recht ungewöhnlichen Beruf nach: Vor Ihrer Gesangslaufbahn haben Sie als Stuntman gearbeitet. Wie kam es dazu? Ich habe seit ich ein Kind bin Kampfsportarten wie Karate, Boxen, Thai-Boxen und Gemischte Kampfkünste betrieben. Als ich nach Rom zog, lernte ich zwei Meister in mittelalterlichem Fechten kennen (Schwerter und jegliche Art von Waffen, die zwischen 950 und 1300 n.C. verwendet wurden, bevor Feuerwaffen und Armbrust erfunden wurden). Ich lernte diese Disziplinen einige Jahre lang und einer meiner Lehrer war Stuntkoordinator. Er vermittelte mich und andere Schüler als Stuntmen. Das erforderte dann nochmal spezielles Training, da echte Kämpfe und Kämpfe in Filmen zwei verschiedene Welten sind. Dank diesem Beruf konnte ich einen großen Teil meines Gesangsstudiums bezahlen und auch heute noch profitiere ich von dieser ehemaligen Tätigkeit.

Riccardo Massi: Rollendebüt als Des Grieux, Bolshoi-Theater Moskau, Oktober 2016, mit Ainhoa Arteta als Manon. Foto: Damir Yusupov/ Bolshoi Theatre

Riccardo Massi: Rollendebüt als Des Grieux, Bolshoi-Theater Moskau, Oktober 2016, mit Ainhoa Arteta als Manon. Foto: Damir Yusupov/ Bolshoi Theatre

Sie waren Mitglied in einem der angesehensten Opernstudios der Welt, dem der Mailänder Scala. Wie kam es dazu? Ich habe mich dort beworben und es durch alle Runden geschafft, bis zum Finale, nach dem ich dort aufgenommen wurde (wir waren insgesamt 11 junge Sängerinnen und Sänger). Und es hatten sich über 900 Sänger aus der ganzen Welt beworben…

Im Dezember 2009 gaben Sie dann Ihr Operndebüt, und in nicht einmal sieben Jahren haben Sie an so gut wie allen wichtigen internationalen Bühnen gesungen. Ihr MET-Debüt gaben Sie nach nur drei Jahren auf der Bühne. Wie geht man mit einem derart schnellen und steilen Aufstieg an die Spitze des Opernbetriebs um? Mit beiden Füßen auf dem Boden; Ich weiß, welch eine große Ehre es ist, in diesen heiligen Hallen der Oper zu singen und ich danke Gott dafür… Aber im selben Moment bin ich mir bewusst, dass ein Sänger immer hart arbeiten und versuchen muss, seine Fähigkeiten als Darsteller und Musiker zu verbessern und außerdem seine Technik verfeinern sollte. Man darf sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen!

Ihr Repertoire setzt sich aus einigen der schwierigsten Partien des italienischen Repertoires zusammen. Wie wählen Sie Ihre Rollen aus? Oft kommt es vor, dass die Agentur eine Rolle vorschlägt; ich bespreche das Angebot mit meinem Lehrer und wir probieren es erstmal zu Hause aus. Wenn wir uns dann beide einig sind, sage ich zu. Manchmal schlage ich aber auch meiner Agentur Rollen vor, die ich bereits studiert habe und von denen ich weiß, dass sie mir gut in der Stimme liegen.

Riccardo Massi: "Turandot" am Hafen von Sydney/ Foto Prudence Upton

Riccardo Massi: „Turandot“ am Hafen von Sydney/ Foto Prudence Upton

Sie haben gerade in einer besonders schweren Partie debütiert, die des Des Grieux in Puccinis Manon Lescaut, eine Rolle, vor der

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sich sogar große Spintotenöre der Vergangenheit scheuten. Franco Corelli beispielsweise wurde mehrfach gefragt, die Partie zu singen aber hat immer abgelehnt. Was sind Ihrer Meinung nach die besonderen Herausforderungen der Rolle, und was macht sie im Vergleich zu anderen Puccinipartien so besonders?

Des Grieux ist wohl die anspruchsvollste aller Puccinirollen. Sie verlangt nach einer bestimmten stimmlichen Reife und stellt dem Sänger interessante Fragen bzgl. der Stimmtechnik. Ich habe die Rolle mit meinem Lehrer vorbereitet und wir haben gemeinsam entschieden, diesen großen Schritt zu gehen. Mir bietet die Rolle die Möglichkeit, als Sänger und Künstler neue Horizonte zu entdecken.

Wenn Sänger nach ihrer Lieblingspartie gefragt werden lautet die Antwort meist, dass es die Rolle sei, die der Sänger im Moment singt. Trifft das auch auf Sie zu? Und welche Rolle abgesehen von Des Grieux sagt Ihnen besonders zu? Nun ja, ich muss sagen, dass das eigentlich auch auf mich zutrifft. Vor allem, wenn man komplett in eine solche Rolle eintaucht. Wenn man solchen Meisterwerken gegenübersteht ist es eigentlich unmöglich, nicht völlig von der Musik und der Rolle eingenommen zu werden! Andere Rollen, von denen ich mich unwiderstehlich angezogen fühle sind alle großen Verdipartien, auch Andrea Chénier, Enzo Grimaldo, Cavaradossi und Calaf sowie viele Partien des französischen Fachs, besonders von Gounod und Massenet.

Riccardo Massi: "Turandot" in Bregenz 2016/ Foto Weiler

Riccardo Massi: „Turandot“ in Bregenz 2016/ Foto Weiler

Was können Sie uns über die Manon -Lescaut-Produktion verraten, die am Sonntag an der Berliner Staatsoper im Schiller Theater Premiere haben wird? Jürgen Flimms Inszenierung ist sehr schön und vom Stil her sehr innovativ und faszinierend. Sie ist irgendwo zwischen den 20ern und 30ern in der schillernden Welt von Hollywood angesiedelt. Sowohl meine Kollegen, Dirigent und Regisseur sind wunderbar und es ist eine Freude für mich, mit ihnen zu arbeiten und Musik mit ihnen zu machen!

Was können Sie uns über Ihre Pläne nach Manon Lescaut in Berlin verraten? Welche neuen Rollen sind geplant? Nach dieser Manon Lescaut werde ich Weihnachten mit meiner Familie genießen, und Mitte Januar 2017 werde ich dann nach Tokyo fliegen, um mein Debüt am New National Theatre zu geben, als Pinkerton in Madama Butterfly. Im März reise ich nach New York, um als Radamès an die Metropolitan Opera zurückzukehren. Eine zukünftige neue Partie wird der Gabriele Adorno sein. Das Gespräch führte Dieter Schaffensberger

 

(Foto oben: Riccardo Massi/ Foto B. Ealovegak; der Tenor versichert, im Besitz der Fotorechte zu sein.)

Leoncavallos „Roland von Berlin“

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Auf den repräsentationsbewussten Kaiser Wilhelm II. hatte Ruggiero Leoncavallos Oper I Medici, die er erst 1894 in Berlin gehört hatte, einen großen Eindruck hinterlassen, möglicherweise nicht gerade wegen der musikalischen Qualitäten des Werkes, sondern wegen der „kulturhistorischen Arbeit“, in einer Oper die Geschichte einer bedeutenden Familie derart dargestellt zu haben.

Leoncavallos "Roland von Berlin"/ Leoncavallo und Mascagni/ Karikatur/ OBA

Leoncavallos „Roland von Berlin“/ Leoncavallo und Mascagni/ Karikatur/ Wiki

Dieser Eindruck deckte sich mit Wilhelms Intentionen, in einem Bühnenwerk größeren Ausmaßes die Geschichte des Herrscherhauses Hohenzollern zu verherrlichen und auf größtmöglich repräsentativem Niveau eine theatralische Darstellung der Geschichte Preußens zu betreiben. Ohnehin sah sich der Kaiser als Kulturmäzen seines Landes, wie an vielen Bauwerken und Einrichtungen der Zeit (Siegesallee etc.) abzulesen ist – wenngleich sein Geschmack dem der Zeit entsprach und für die Nachwelt auch eher verdächtig scheint. Neo, neo, neo – soweit das Auge reicht –, eine gewisse Kraftlosigkeit und epigonale Orientierung, wie man gerade im Berlin der Kaiserzeit feststellen kann und konnte. Rückwärtsorientierung eben.

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Die beim Hamburger Archiv für Musikgeschichte auf CD als Mitschnitt aus Berlin 1987 nachzuhören ist. Fritz Weisse dirigiert die Philharmonia Hungarica, und in den Hauptrollen singen Erwin Stephan, Andrea Trauboth, Vladimir de Kanel und manche andere – das Ganze aus der damals maßstabsetzenden Periode von Einhard Luther als Chef der Opernabteilung des damaligen SFB (HAFG 2 CD, 34017 mit angehängten historischen Dokumenten der Uraufführungssänger).

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Leoncavallos "Roland von Berlin"/ Theaterzettel/ OBA

Leoncavallos „Roland von Berlin“/ Theaterzettel/ OBA

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fasste Wilhelm II die Idee, eine Bühnentetralogie über die Hohenzollern schreiben zu lassen, deren erster Teil als Der Burggraf 1897 in Köln mit großem Aufwand durchgeführt wurde. Der zweite Teil sollte sich dem von Wilhelm besonders wegen seiner skrupellosen Durchsetzungsfreude verehrten Kurfürst Friedrich II. widmen; und in dem Stück Der Roland von Berlin von Joseph Lauff kam dieser Gedanke denn auch pflichtschuldig zum Ausdruck.

Als Opernsujet schien dieser Stoff dem Kaiser besonders geeignet. Leonvavallo war ihm eine natürliche Wahl, eben weil dieser sich bereits mit einer ähnlichen Oper in seinen Augen qualifiziert hatte und weil Leoncavallo zweifellos zu den bedeutenden Komponisten der Zeit zählte.

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1892 waren an dem Mailänder Teatro del Verme seine Pagliacci mit großem Erfolg aufgeführt worden¸1983 folgten I Medici ebendort, deren Libretto Leoncavallo selber geschrieben hatte. Auch wenn die Aufführung ein Fehlschlag war und der Komponist die folgenden zwei Teile der Trilogie (Savonarola und Cesare Borgia) nicht vollendete, so wurde die erste Oper dennoch auch im Ausland und eben in Berlin gespielt, wie später seine Zaza (1900).

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Leoncavallos "Roland von Berlin"/ Ensemble der Uraufführung/ Archiv Luther

Leoncavallos „Roland von Berlin“/ Ensemble der Uraufführung/ Archiv Luther

Einschub: Bis zum Ende der Hohenzollern-Monarchie war das Opernhaus Unter den Linden die Königliche Hofoper Berlin. Der preußische Monarch Wilhelm II., in der Historie ausgewiesen eher als nassforscher Parvenü mit imperialen Präferenzen für Industrie, Militär, Marine, war dem Institut zugetan, erkannte seine kulturelle Glanzwirkung, renommierte vor europäischen Gekrönten gern mit dessen berühmten Spitzenkräften – so mit „meine Lerche“ (für Hempel) und „mein Orlow-Diamant“ (für Jadlowker). Das von Friedrich II. begründete, von Schinkel erbaute Haus erreichte nach der Reichsgründung Weltrang, gebaut auf eine zunächst mediterrane Tradition mit den Zentralgestalten Spontini und Meyerbeer. Es stand seit den 1890er Jahren bis zum Weltkriegsende in respektabler Konkurrenz zu Opernmetropolen wie Wien, London, Milano. Eine konservative Spielplangestaltung folgte den musikhistorischen Entwicklungen nur zögernd, präsentierte ihr Repertoire aber durchwegs glanzvoll – nicht zuletzt durch Ensembles mit internationalem Flair und Niveau. Die Sängergarde zwischen 1890 und 1918 reihte Star an Star: Lilli Lehmann, Albert Niemann, Marianne Brandt, Julius Lieban, Robert Biberti, William Miller, Thila Plaichinger, Ernst Kraus, Wilhelm Grüning, Marie Goetze, Geraldine Farrar, Emmy Destinn, Ernestine Schumann-Heink, Hermann Bachmann, Carl Jörn, Theodor Bertram, Marie Dietrich, Rudolf Berger, Paul Knüpfer, Melanie Kurt, Robert Philipp, Frieda Hempel, Hermann Jadlowker … um eine schmale Auswahl zu nennen. (…) Klaus Ulrich Spiegel

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Leoncavallos "Roland von Berlin"/ Auftraggeber Kaiser Wilheim II/ Archiv

Zu Leoncavallos „Roland von Berlin“/ Auftraggeber Kaiser Wilheim II/ Wiki

Und nun weiter: Wilhelm gab also bei Leoncavallo nun diesen Friedrich-Stoff als Oper in Auftrag; und man muss nach Anhören des Werks sagen, dass Leoncavallo sich mit Fleiß in seine Hausaufgaben stürzte, dem deutschen Kaiser eine deutsch-orientierte Oper zu geben; man möchte geradezu sagen, in opportunistischer Weise – Wagners Einflüsse sind bis in die direkten Anleihen hinein unüberhörbar. Leoncavallo orientierte sich im Libretto, das er sich selber schrieb (er hatte ohnehin auch später als Librettist – so zum Beispiel für den portugiesischen Komponisten Augusto Machado und dessen Oper Mario Wetter – einen guten Namen) an der eigens für ihn auf Befehl des Kaisers ins Italienische übersetzten Novelle Der Roland von Berlin des Romantikers Willibald Alexis. Dieser Text dann wurde anschließend für die Berliner Uraufführung der Königlichen Hofoper, der Lindenoper, 1904 von dem Oberregisseur Georg Droescher nicht gerade genial ins Deutsche übertragen, wie die zeitgenössische Presse anmerkte.

Versuche, den Tenor Enrico Caruso für die schwere Partie des Hennings zu gewinnen, scheiterten, wie die Anekdote weiß. Man bekam zwar Caruso nach Berlin mit dem Lockmittel italienischer Partien, wohin die Berliner in dichten Scharen pilgerten, aber als der Tenor die Partitur sah, lehnte er diplomatisch ab. Der Komponist erfuhr nie den wahren Grund, aber Caruso hielt den Part für kaum singbar, zumindest nicht für seine Stimme. So kam Berlin zu Caruso, aber Leoncavallo nicht zu seinem erträumten Sänger der Hauptpartie. Die Premiere war ein großer repräsentativer Anlass und ein ebensolcher, gesellschaftlicher, wenn auch kein musikalischer Erfolg. Es kam zu 37 Aufführungen bis 1908, dann verschwand das Werk von der Bühne.

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Leoncavallos "Roland von Berlin"/ Ensemble der Uraufführung/ Archiv Staatsoper Berlin

Leoncavallos „Roland von Berlin“/ Ensemble der Uraufführung/ Archiv Luther

Verbreitung: 1905 hatte die Oper in ihrer originalen italienischen Fassung des Leoncavallo-Librettos in Neapel Premiere¸ auch in Italien hatte sie keinen Erfolg. Weitere Vorstellungen sind nicht festzustellen. Die USA scheinen das einzige Ausland zu sein, die den Roland wenigstens in Auszügen kennenlernten, wie einem Programmzettel eines Konzerts mit Teilen daraus aus Boston von 1906 zu entnehmen ist. Zumindest seit 1931 ist das Werk auch bei der italienischen Rundfunkanstalt RAI nicht gegeben worden. 1987 ist und war die Berliner Konzertaufführung die bislang einzige danach.

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Merkwürdigerweise hat Leoncavallo dieses Werk für eines seiner besten und für sein bedeutendstes gehalten. Das erstaunt, denn es wirkt doch im ganzen sehr uneinheitlich und wenig originell. Schon die große Ouvertüre drückt sich in Wagners Idiom aus, dem Tannhäuser nicht unähnlich; und das ganze Stück hindurch findet man immer wieder direkte Zitate aus Wagners Werk. Es scheint, als ob Leoncavallo geradezu einen Schnellkurs in herrschendem deutschen Operngeschmack erledigt hätte. Schon die Handlung erinnert sehr an die Meistersinger mit ihren Stände- und Klassenproblemen (und der obligatorische antisemitische Seitenhieb drückt wohl eher die damaligen Tendenzen in Preußen als Leoncavallos selbst aus). Die politische Seite des Stoffes scheint herzlich gleichgültig und wurde eher pflichtschuldig bearbeitet. Die Figuren erhalten kaum Konturen, die Liebesepisode zwischen Elsbeth und Henning (der auch noch aus Versehen erschlagen wird – kein glorreicher Tod für einen Bühnenhelden!) nimmt breiteren Raum ein als die Auseinandersetzung der freien Stadt Berlin mit dem imperialistischen Kurfürsten. Wagner begegnet dem Hörer auch im Motiv für den Kurfürsten selber, wenn ihn getragene Fanfaren ankündigen oder seine gütigen Worte untermalen. Sprechgesang im wagnerianischen Deklamationsstil unterstreichen diesen Eindruck, Lohengrin-Anklänge im ersten Akt, Nibelungen-Echos (Rheingold) für die Volksszenen, ein veritables Walküren-Duett, Holländer-Anleihe für eine Sturmmusik finden sich in allen vier Akten des Roland.

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Leoncavallos „Roland von Berlin“/ der Tenor Gruening als Lohengrin/ Archiv Mild-und-leise

Dazwischen aber gibt es andere Quellen der „Übernahme“, etwa Massenets Esclarmonde (Eröffnung 1. Akt und 4. Akt, 2. Teil), italienische Banda für die Totenmusik. Der 2. Akt fängt nicht nur mit den ersten Klängen eines bekannten Tangos an (!), sondern für die braven Bürger schrieb Leoncavallo sogar eine fesche Polonaise, und für Rathenows großes Solo erklingen im ausgesprochen orientalischen Stil Solobläser, während unverhohlene „Siegeskranz“-Klänge bei den Volksmärschen und der abschließenden Apotheose auf den (eigentlich gar nicht sehr freundlichen) Kurfürsten wallen, der gerade die Tore eintreten ließ. Viele Passagen des Soprans (Elsbeth) sind zudem derart dicht an der Operette angesiedelt, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt – Leoncavallo gab dem Kaiser, was des Kaisers war: große, repräsentativ angelegte Musik im Patchworkstil. In Erinnerung bleiben vielleicht das große Duett Henning-Elsbeth im 4. Akt, Rathenows Arie im 2. Akt, Elsbeths Arie im 4. Akt. Als historische Schallplatten-Dokumente gibt es einige, so die originalen Sänger Emmy Destin, Wilhelm Grüning und Baptist Hoffmann sowie auch Geraldine Farrar (auf IRCC CD 815/ Souvenir of Verismo Opera); Rathenows Arie ist vom italienischen Bariton der neapolitanischen Erstaufführung, Virgilio Bellatti von etwa 1910, erhalten. Geerd Heinsen

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Leoncavallos "Roland von Berlin"/ Emmy Destinn als Elspeth/ Archiv OBA

Leoncavallos „Roland von Berlin“/ Emmy Destinn als Elsbeth/ Archiv OBA

Die Handlung geht auf eine nicht belegte Episode in der Berliner Geschichte zurück: auf die Stürzung des Ronalds, einer Statue, wie sie viele Hansestädte als Zeichen ihrer Reichsunabhängigkeit hatten, einen Geharnischten im Stil des 12./13. Jahrhunderts, der auf den Marktplätzen dieser Städte aufgestellt war (Bremen hat noch heute ein solches Standbild; andere standen oder stehen noch in Brandenburg, Halle, Magdeburg, Nordhausen, Zerbst u. a.). Der Berliner Roland ist nur in einer einzigen Urkunde nachgewiesen und deutet auf einen Standort am heutigen Molkemarkt in der Nähe der Nikolaikirche. Die Schleifung- und Versenkung des Rolands durch Friedrich ll. im Jahre  1442 ist nicht belegt.

1. AKT: In das muntere Treiben der Menge hat sich unerkannt der Kurfürst mit seinem Gefolgsmann Conrad von Knipprode gemischt. Er hat allerlei Klagen über die Beziehung der Berliner Stände untereinander vernommen und will sich nun selbst ein Bild machen. Offenbar kommt er zur rechten Zeit. Gerade erscheint Hausierer Makensprung, der vergebens den Magistrat um Hilfe anging: Er ist bei Spandau von Raubrittern überfallen worden, hat aber beim hohen Rat nur Spott geerntet.

Die Menge tät ihm, sich beim Kurfürsten zu beklagen, aber Henning ist der Meinung, erst müsse man sich selbst helfen, ehe man den Landesherrn belästige. Begeistert will die Volksmasse Henning zum Anführer erwählen.

Leoncavallos "Roland von Berlin"/ Kaiser Wilheilm II und Gattin Augusta/ findagrave

Leoncavallos „Roland von Berlin“/ Kaiser Wilheilm II und Gattin Augusta/ findagrave

Das erregte Treiben wird vom Ausrufer unterbrochen, der ein Urteil des Magistrats zu verkünden hat: das Mädchen Salome soll für „ihr schamloses Treiben“ vor dem Stadttor fünfzig Rutenschläge erhalten.  Aber die Menge hat wenig Interesse daran. Offenbar ist auch Makensprung schon vergessen. Man zerstreut sich nach allen Seiten.

Dadurch gewinnt der Kurfürst Zeit, Henning zu beobachten, der ihm aufgefallen ist. Der impulsive junge Mann hat soeben die hübsche Bürgermeistertochter Elsbeth an der Kirchentür abgepasst. Galant hebt er ihr das Gebetbuch auf, das ihr vor Schreck heruntergefallen ist.

Henning war es Ernst mit seiner Absicht, die Raubritter zur Rechenschaft zu ziehen. Und Elsbeth reicht ihm das Gebetbuch: Wenn er heil zurückkommt, wird er es ihr wiedergeben.

Nun spricht der Kurfürst den jungen Heißsporn an und rät ihm, doch zuerst beim Landesherrn um Recht einzukommen. Aber Henning fürchtet, der Weg durch die Hofinstanzen sei zu schwierig, als dass er da zum Erfolg kommen könnte. Eine heiter-bösartige Volksszene unterbricht das Gespräch schon wieder. Ein Hanswurst bringt eine überdimensionale Puppe, die als Symbol für den geldgierigen Magistrat und den rechtsprechenden Rat steht. Dieses Monstrum wird vom Volk beschimpft und verhöhnt, die Menge ist auch durch den Bürgermeister selbst davon nicht abzubringen. Ehe es jedoch zum Streit kommt, sorgt das unglückliche Mädchen Salome für Beunruhigung: Sie wird soeben zur Bestrafung geführt – und das Schauspiel will sich denn doch niemand entgehen lassen. Das gibt dem Kurfürsten noch einmal Gelegenheit, mit Henning zu sprechen. Er lässt sich von dem tatkräftigen Handwerker einen unauffälligen Weg aus der Stadt zeigen und verspricht ihm die goldenen Rittersporen, wenn die Zeit dafür reif ist.

Leoncavallos "Roland von Berlin"/Postkarte mit der Besetzung der Berliner Uraufführung/ Archiv

Leoncavallos „Roland von Berlin“/Postkarte mit der Besetzung der Berliner Uraufführung/ Archiv

2. AKT: Es sind keine guten Nachrichten, die Ratsherr Ryke seinem Bürgermeister bringt: Der Rat hat es wiederum abgelehnt, die Schuld der Stadt Berlin an Henning Molnar zu bezahlen, die nun schon seit Jahren ansteht: Hennings Vater hat sich in der Schlacht von Kremmen den Feinden entgegen geworfen und dadurch die Truppen von Cölln und Berlin vor der Vernichtung bewahrt. Er selbst aber war in Gefangenschaft geraten und hat 20.000 Groschen Lösegeld bezahlen müssen, die er vergeblich von der Stadt zurückforderte. Inzwischen sind zwanzig Jahre vergangen, und nun ist Henning in das Recht seines Vaters eingetreten.

Rathenow ist von der Rechtmäßigkeit der Forderung überzeugt und will, wenn es nicht andres möglich ist, die Schuld selbst bezahlen. Dazu hat er sich den Juden Baruch bestellt, der ihm das Geld leihen soll. Eine peinliche Unterredung steht ihm bevor: Baruch ist der Vater der jungen Salome, die von Rathenows Sohn im Stich gelassen wurde.

Leoncavallos "Roland von Berlin"/der später geschleifte Roland von Berlin, 10905/ Archiv Taschen

Leoncavallos „Roland von Berlin“/der später geschleifte Roland von Berlin, 1905/ Archiv Taschen

Nachdem Baruch sich entfernt hat, gerät Rathenow ins Grübeln. Während er betet, bemerkt er nicht, dass Henning sich ins Haus geschlichen hat, um Elsbeth zu sehen. Aber zunächst kommt es zu keinem Zusammentreffen: Versteckt wird Henning Zeuge, wie Rathenow von den Cöllner Ratsherren Schum, Wintz und Bürgermeister Blankenfeld zu einem Fest eingeladen wird. Da will man anderntags die Verlobung Elsbeths mit Melchior Schum bekanntgeben. Endlich ist Ruhe eingekehrt, und Henning kann Elsbeth treffen. Beide gestehen sich ihre Liebe, so dass Henning sich siegessicher über die Balkonbrüstung auf die Straße schwingt: Er wird alle Hindernisse beseitigen.

3. AKT: Als fahrender Sänger hat sich Henning unter die Feiernden gemischt und trägt eine feurige Kanzone vor, in der er sich als König der Ballade bezeichnet. Die Stimmung wird ausgelassen. Es gibt Streit um die Wahl der Festkönigin: Die Cöllner wollen Schums Tochter Eva zur Königin machen, aber der nicht mehr ganz nüchterne Berliner Wintz trinkt auf Elsbeths Wohl.

Leider ist am Vortag Henning beobachtet worden, wie er von Rathenows Balkon sprang. Zudem hat sich Rathenow dafür eingesetzt, die alte Schuld an Henning zu bezahlen. Für die Cöllner steht es fest: Henning ist Elsbeths Liebhaber, und Rathenow will in die eigene Tasche wirtschaften. Von der für beide Städte so günstigen Verlobung der Bürgermeistertochter mit dem Ratsherrensohn ist keine Rede mehr: Unversöhnlich zerstritten geht man auseinander.

Leoncavallos "Roland von Berlin"/ Konzertzettel aus Boston, wo Leoncavallo Auszzüge auch aus "Roland de Berlkin" dirigierte/ Archiv

Leoncavallos „Roland von Berlin“/ Konzertzettel aus Boston, wo Leoncavallo mit dem Orchester der Mailänder Scala Auszüge auch aus „Roland de Berlin“ (sic) dirigierte/ Archiv

4. AKT/1. Bild: Elsbeth ist verzweifelt. Nicht nur wegen des Streits am Vortag, nein: Sie hat die goldene Kette verloren, die sie dem Vater nur für das Fest abgeschwatzt hatte. Zur rechten Zeit kommt Henning herein. Vertrauensvoll bittet Elsbeth ihn um Hilfe – aber da reicht er ihr schon die Kette, die sie ihm Gewühl verloren hatte. Aber er ist nicht gekommen, um ihr den Schmuck zu bringen: Bei ihrem Vater will er nun um sie werben. Er weiß ja, dass ihre Verlobung mit Melchior Schum in die Brüche gegangen ist. Nur hat er sich leider in ihren Gefühlen wohl doch getäuscht: Als Patriziertochter meint sie, ihm, dem Handwerker, nicht folgen zu können. Der hinzutretende Rathenow ist noch härter. 2. Bild: Der Kurfürst steht vor dem Stadttor und begehrt Einlass. Während das Volk öffnen will, befiehlt Rathenow, die Stadt zu verteidigen. Aber Henning hält das kurfürstliche Recht für wichtiger und beginnt, mit einem Beil das Stadttor zu zerschlagen. Niemand wagt, ihn zu hindern. Der Kurfürst zieht in die Stadt ein, um die Widerspenstigen zur Rechenschaft zu ziehen und alle Streitigkeiten zu beenden. Zum Zeichen eines neuen Rechts wird der Roland vom Sockel gestürzt. Der hohe Rat muss dem mächtigen Landesherrn auf Knien huldigen. Dann will der Kurfürst Elsbeth mit Henning vereinigen. Aber es ist zu spät: Der mutige junge Mann ist versehentlich von den Gefolgsleuten des Kurfürsten erschlagen worden, weil man ihn als einzig Bewaffneten für einen Feind gehalten hat. Bewegt nimmt Elsbeth Abschied von ihrem Freund.  Der Kurfürst ernennt Rathenow wieder zum Bürgermeister. Mit einem kurzen Lobgesang auf den gütigen, wenn auch gestrengen Landesherrn und auf die Stadt Berlin endet das Werk. Geerd Heinsen (Dank an Klaus Ulrich Spiegel und das HafG für die Text-Übernahmen; Foto oben: Leoncavallos „Roland von Berlin“/ Ensemble der Uraufführung/ Archiv Luther). Geerd Heinsen

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Unhandlicher Wanderpreis

 

Das Buch kommt wie bestellt: Am Samstag ist hier Die Nacht in Venedig. „Von Strauß’ Karneval in Rom (1873) und Nacht in Venedig (1883) bis zu Kálmáns Faschingsfee (1917) wird der Rausch maskierter Selbstvergessenheit und Verbrüdertheit gefeiert als beglückende Anarchie, die dem zugleich ordentlichen und eigensüchtigen Geschäftsleben trotzt“, heißt es, gleich einer nachdrücklichen Empfehlung, auf Seite 394 der vierten, durchgesehenen und erweiterten Auflage von Volker Klotz‘ Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst im Studio Verlag Das liest man wortgleich auf Seite 341 in der im Piper Verlag 1991 erschienenen Erstausgabe. Bewährtes muss man nicht ändern. Und der Klotz hat sich seit einem Vierteljahrhundert bewährt. Er ist auch konkurrenzlos. Keiner hat sich so eingehend und fundiert mit der Gattung beschäftigt. Da gibt es nichts zu deuteln. Was Schreiber für die Oper, ist Klotz für die Operette, die kluge Verbindung von Gattungs- und Kulturgeschichte, Werkbeschreibung und Deutung. Was Klotz an unbekannteren Werken gesichtet und für gut befunden hat, darf unbesehen auf die Bühne gelangen. Natürlich fehlt auch das Bekannte nicht, wobei wir uns sicher sein dürfen, dass Klotz gängige Klischees und Meinungen zurechtrückt, beispielsweise beim Zigeunerbaron von Strauß von 1885, den er brandmarkt, da er „die tolldreisten Inversionen der Offenbachiade wieder zurecht“ rücke, „Der Zigeunerbaron kann als Wegweiser gelten für die Abwege der Gattung. Als bemerkenswertes Vorbild der schon mehrmals erwähnten Fälle von abwegiger, schlechter Operette“, immerhin räumt er ein, „Schlechte Operette aber muss nicht heißen, dass allemal die Musik, an für sich, missraten sei“. Missraten finde ich die Ausgabe im Studio Verlag (ISBN 978-3-89564-180-0), die mit 1400 Gramm fast 400 Gramm schwerer als die Piper-Aufgabe ist, doch deren breiter Rücken bereits beim zweiten Griff nach dem neuen Klotz splittert. Sie ist eine getreue Übernahme der Neuausgabe von 2004 bei Bärenreiter und stellt damit ausführlich 127 Werke gegenüber 106.

Und handlich ist die klobige Ausgabe auch nicht. Ich überlege, ob ich nicht bei meiner kompakteren Erstausgabe bleibe. Dafür müsste ich dann auf Albinis Baron Trenck verzichten, auf Genées Nanon, Granichstaedtens Der Orlow, Moisés Simons’ Toi c’ est moi, über das ich gerne vor drei Jahren anlässlich der Aufführung in Gera/ Altenburg gelesen hätte („Zu einer Zeit, als die Gattung Operette sich allenthalben schon selbst einschläferte, wirkten Simons’ Stücke erfrischend neuartig. Einerseits durch den großen Anteil genuiner Volksmusik der Antillen, wie sie bis dahin in europäischen Theatern nie vernommen worden waren. Andererseits durch die nahezu kammermusikalische Verarbeitung jenes klanglichen und rhythmischen Materials sowie die stringente Dramaturgie, es komödiantisch einzusetzen.“), verzichten auch auf Beispiele von Audran, Dellinger, Diaz Giles, Moreno Torrobo, Penella, Szirmai; von Huszka hätte ich mich über die immer noch in Budapest gespielte Baroness Lili gefreut, auch Abrahams plötzlich wieder allüberall geliebter Ball im Savoy verdiente einen Eintrag. In der kommenden Woche gibt es bei uns Die Csárdásfüstin, schauen wir mal, was der Klotz dazu meint: „Kálmáns weltweit populärstes Stück. Sie ist auch Inbegriff jener zwiespältigen Sorte von Operetten, die um den Ersten Weltkrieg herum den längst heruntergekommenen Spätfeudalismus zugleich entkräften und bekräftigen, verlachen und verklären.“

Der Klotz ist ein Solitär. Ob neu oder alt – der alte war mehr als ein Jahr vergriffen, wie der Autor in einer vierzeiligen Erläuterung zur Neuausgabe mitteilt – am Klotz wird man nicht  vorbeikommen.  Rolf Fath

Dünn und hübsch

 

Bis ins späte 20. Jahrhundert hinein wurde der Komponist Antonio Salieri als eher mittelmäßiger Konkurrent zu Mozart betrachtet. Inzwischen hat sich das Bild geändert. Salieris Opern werden zumindest für die CD wiederentdeckt: Jetzt ist eine komische Oper von ihm bei der deutschen harmonia mundi erschienen, La Scuola de‘ Gelosi / Die Schule der Eifersüchtigen. Ich habe schon Inspirierteres von Salieri gehört, aber das Spannende an diesem Werk ist, dass es noch aus den 1770er Jahren stammt, also eigentlich aus der Zeit vor Mozarts Meisterwerken. Man kann hier eindrucksvoll hören, wie viel bei Salieri an großen formalen Einfällen schon vor dem Konkurrenten da ist, und wie viel Mozart ihm verdankt.

Riccardo Mutis einst so umstrittene These, Salieri sei im Grunde innovativer als Mozart, bestätigt sich ein weiteres Mal. Was natürlich nicht heißt, dass Mozart der schlechtere Komponist ist. Aber Mozart war eben vor allem ein Vollender des Bestehenden, selten ein Erfinder neuer Konzepte. Das ist die große Erkenntnis des 21. Jahrhunderts, den auch diese Aufnahme wieder bestätigt.

Die Ensembles sind hinreißend, besonders die beiden großen Finali, die nicht einfach mehr musikalisches Geplapper aneinanderreihen wie bei vielen Zeitgenossen. Stattdessen wird richtig musikalisch gearbeitet. Die Stimmen verschlingen sich, harmonische Finessen werden aufgeboten, die kaum daran zweifeln lassen, dass Mozart davon beeindruckt war. Denn er kannte das Werk mit großer Wahrscheinlichkeit.
Obwohl diese Opera buffa ursprünglich für den Karneval 1779 in Venedig geschrieben wurde, kam das Werk zusammen mit der Hofanstellung Salieris nach Wien, wurde dort von ihm wiederaufgeführt und war einer der größten Opernerfolge der frühen 1780 Jahre.
Etwas enttäuschend ist, dass diese revidierte, auch instrumentatorisch viel reichere Wiener Fassung nicht verwendet wurde, sondern die venezianische Erstfassung. Aber man wollte vermutlich zeigen, dass diese Musik von 1779 überhaupt nicht von Mozart beeinflusst wurde. Da kannten sich die beiden noch nicht, und trotzdem ist auch die Urfassung erstaunlich visionär.

Der Titel erinnert stark an Cosí fan tutte. Diese Mozart-Oper heißt ja im Untertitel „Die Schule der Liebenden“, und wer weiß, ob das nicht eine Anspielung ist auf Salieris Werk. Mozart liebte solche Scherze (man denke an die Sarti- und Martin y Soler-Zitate im Don Giovanni). Allerdings ist das Libretto dann doch wesentlich schwächer als die von da Ponte: Es ist ein albernes Spiel zweier Paare mit der Eifersucht des anderen. Sehr verwickelt! Das Ganze spielt zum Teil im Irrenhaus, wo man vermutlich auch hinkommt, wenn man versucht, jede Wendung dieser buffa genau zu erfassen. Kurz: Gegen diese Handlung ist Figaros Hochzeit geradezu geradlinig und durchschaubar.
Und es gibt auch noch eine andere Achillesverse. Die kleinen buffa-Arien, die hier doch den Hauptanteil ausmachen, sind hübsch, aber übertreffen nie das Niveau seiner Zeitgenossen wie Cimarosa, Paisiello und schon gar nicht Mozarts. Da klingt’s manchmal ein bisschen routiniert und von der Stange. Es fehlt das Doppelbödige, Boshafte zuweilen auch Fahle, das wir aus Mozarts Opernarien kennen. Ausgenommen werden davon muss die große Arie der Contessa aus dem 2. Akt (delikat gesungen von Francesca Mazulli Lombardi) – das ist nun wirklich unüberhörbares Vorbild für die Gräfinnen-Arien aus dem Figaro, bis in kleine Details hinein. Wir kennen das schöne Vehikel allerdings schon von Cecilia Bartolis berühmtem Salieri-Album bei Decca. Für manch einen Klassikfreund dürfte also die einzige bedeutende Arie der Oper keine freudig-schockierende Überraschung darstellen.

Das Werk gehört in eine sehr interessante Reihe mit dem Ensemble L’arte del mondo unter dem Dirigenten Werner Erhardt. Das Projekt widmet sich wichtigen Opern des Mozart-Umfelds, und hier ist schon sehr viel Spannendes erschienen. Dabei waren schon wirkliche Schätze wie Glucks Titus oder Anfossis Gärtnerin aus Liebe.

Erhardts Sänger-Ensemble wechselt oft, klingt aber meist durchaus passabel bis hervorragend. Hier ist mir kein Sänger als besonders positiv oder negativ aufgefallen. Was nicht schlecht sein muss. Wie schon bei Anfossi besticht die Aufnahme durch ausgewogene beste Ensemble-Arbeit. Die Akustik, obwohl sie auf Live-Mitschnitten beruht, ist superb, verglichen mit manchen  scheppernden Festival-Mitschnitten solcher Raritäten aus Italien.

Das Werk wurde würdevoll umgesetzt, mit historischen Instrumenten, sehr sorgfältig ediert. Erhardt nimmt es immer sehr genau mit der Werktreue. Vielleicht zu sehr. Für alle Nichtspezialisten, die nur neugierig sind auf faszinierende Musik aus dem 18. Jahrhundert (und dazu gehören wohl die meisten Hörer) dürften die endlosen rasselnden Rezitative eine Prüfung sein.

Das arme fragile Werk wird aufgespreizt auf zähe drei Stunden. Da hätte man auch ein bisschen Parlando kürzen können, um zwischen den Nummern etwas Zeit zu sparen. Die Schlagkraft der Oper hätte sich zweifelsohne erhöht mit etwas konziseren Seccos, deren Ödnis dadurch nicht kurzweiliger wird, indem man ihnen vier Tracks statt einem zuordnet. Aber das ist ähnlich wie im Restaurant – lieber zu viel auf dem Teller als zu wenig. Matthias Käther

 

Antonio Salieri: La scuola de‘ Gelosi (Die Schule der Eifersüchtigen); mit Emiliano d’Aguanno, Francesca Mazzulli Lombardi, Federico Sacchi; L’arte del mondo; Werner Ehrhardt; 3 CD Deutsche Harmonia Mundi 88985332282

Très Mignonne

 

Sollte etwa Marianne Crebassa ihre schönen langen Haare zugunsten einer jungenhaften Kurzhaarfrisur nur wegen des Covers ihrer CD haben abschneiden lassen? Das wäre jammerschade und zudem noch überflüssig gewesen, denn auch ohne dieselbe und ohne schwarze Fliege zum weißen Hemd hätte sie allein durch ihren Gesang überzeugt und hätte alle die schwärmerischen Jünglinge, denen sie auf ihrer Aufnahme mit dem Titel Oh, Boy! ihren Mezzosopran verleiht, glaubwürdig verkörpert. Der deutsche Besitzer der CD denkt bei dem Namen zuerst einmal an einen Film gleichen Titels, in dem ein junger, ziemlich versumpfter Berliner vergeblich versucht, in seiner Stadt zu einer ganz normalen Tasse Filterkaffees zu kommen, aber es gibt überall nur die absurdesten Spezialitäten, keine einfach nur biedere Tasse Kaffee.

Um diesen halb liebenswürdigen, halb bedauernswerten Zeitgenossen geht es aber nicht, sondern um Mozarts eigentlich für Countertenöre oder wie Cherubino von Anfang an für Mezzosopran geschriebenen Partien oder um die jeunes hommes der französischen Oper, angefangen von Gluck und endend bei Hahn.

Es beginnt mit der letzten der vier Fassungen von Glucks Orphée/ Orfeo, der Bearbeitung durch Berlioz für Pauline Viardot-Garcia in der Stimmlage der Wiener Fassung. „Amour, viens rendre à mon ame“ offenbart eine durchaus androgyn dunkel-samtig klingende Mezzostimme, geschmeidig und Virtuosem gewachsen, mit wunderschönen Klanggirlanden und einer Super-Kadenz. Allen diesen Vorzügen tritt allerdings als Manko eine verwaschene Diktion an die Seite. Auf der CD wechseln sich Mozart und Französisches munter miteinander ab, was nicht ganz nachvollziehbar ist.

Als Page Urbain aus Meyerbeers Huguénots mischt die Crebassa ihrem Gesang ein Quentchen Frivolität und Zweideutigkeit bei und besticht durch eine generöse Phrasierung. Als Nicklausse kontrastieren interessant der rezitativartige Teil und der vokale Aufschwung danach im „C’est l’amour“ miteinander. In Thomas‘ vergessener Oper Psyche erfreuen deliziöse Piani der Stimme und eine zauberhafte Orchesterbegleitung. Der Stéphano aus Gounods Roméo et Juliette zeigt sich elegant und höhensicher, Le Prince Charmant aus Massenets Cendrillon macht seinem Namen Ehre mit einem zarten Gespinst der Wehmut. Konnte der Berliner Operngänger bereits zweimal in den letzten Jahrzehnten die Hugenotten genießen, vergönnte die Komische Oper den noch selteneren Fantasio von Offenbach (und mit Tenor-Helden) und die Staatsoper Chabriers Etoile. Für den Mezzo-Fantasio hat La Crebassa einen strahlenden Schlusston nach einfühlsamer Darstellung der zwielichtigen Stimmung seiner Arie und für den Lazuli einen feinen Chansonton. Siébel ist bei ihr gut aufgehoben wegen der zärtlichen Abgeklärtheit in der Stimme, eine absolute Rarität ist die Titelfigur  in Hahns Mozart auf das Libretto von Sascha Guitry mit einer Superarie für Mezzosopran.

Von Mozart selbst gibt es beide Arien des Cherubino. „Voi che sapete“ mit einem schönen Fluss der Stimme, die beim Wechsel in Moll eine Schattierung dunkler wird, „Non so più“ weiß Getriebensein und Jugendlichkeit gleichermaßen gut zu vermitteln. Der Cecilio aus Lucio Silla ist ebenfalls doppelt vertreten, in den „Pupille amate“ mit empfindsamer, gut tragender mezza voce und sehnsüchtig klingenden Verzierungen am Schluss, „Il tenero momento“ etwas zu weinerlich im Rezitativ, aber angemessen fröhlich in der Arie. Die Wutarie aus der Finta Giardiniera lässt die Sängerin den Ton angemessen beherzt attackieren, die Lieblingsarie aller Mezzosoprane, die des Sesto „Parto, ma…“ lässt sie sich natürlich nicht entgehen und enttäuscht damit keineswegs. Marc Minkowski und das Mozarteumorchester Salzburg sind die besten Begleiter, die man sich denken kann (Erato 0190295927622). Ingrid Wanja

Ingrid Wanja      

Zeitgeist

 

Teodor Currentzis oder Yannick Nézet-Séguin? Perm oder Baden-Baden? Sony oder Deutsche Grammophon? Welcher Mozart-Zyklus des Jahrzehnts wird sich als wirkungsvoller erweisen? Die Strategien könnten nicht unterschiedlicher sein, doch eines kann man bereits feststellen: Teodor Currentzis und sein Originalklang-Ensemble MusicAeterna stehlen mit den neuen Don Giovanni erst mal allen die Schau. Es ist das orchestrale Hörerlebnis, das aufhorchen lässt und Begeisterung oder Ablehnung hervorruft. Die Konkurrenz bei DG in Form des Mahler Chamber Orchestra spielt historisch informiert auf modernen Instrumenten, Yannick Nézet-Séguin dirigiert, ohne dass sich jemand darüber in irgendeiner Form aufregen wird. Currentzis setzt bei seinen Einspielungen im Opernhaus des russischen Perm auf ca. 65 Orchestermusiker und starke Kontraste, wie mit einer Lupe vergrößert er Details, es knallt und quietscht, er beschleunigt und bremst und treibt den Klang auf die Spitze, ob das genial spannend oder überzogen affektiert ist, ist Geschmackssache, neu ist

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es nicht, in der historischen Aufführungspraxis gibt es ähnliche Ansätze seit ca. 25 Jahren.

Was für Currentzis spricht, sind seine Kompromisslosigkeit, Sorgfalt und Detailverliebtheit, er ging zweimal für diese Einspielung ins Studio, die erste Aufnahme 2014 überzeugte ihn nicht, Sony zog mit, Ende 2015 wurde sie nochmals eingespielt. Die Tontechnik spielt eine wichtige Rolle, ob Currentzis‘ Mozart bei einer Live-Aufführung dem Konservenklang gerecht werden kann, kann hier nicht beantwortet werden, eine konzertante Aufführung im Dortmund 2015 (kurz vor der 2. Aufnahme) scheint tatsächlich begeisternd gewesen zu sein. Currentzis wollte „einen Klang, der die Kühle der Salzburger Kirchenmusiktradition atmet, wie in den Messen und im Requiem. Es ist der Klang von Michael Haydn, der sich bis zu Biber zurückverfolgen lässt, eine geheimnisvolle Sonorität, in der die fromme Feierlichkeit der altehrwürdigen Salzburger Gotteshäuser heraufbeschworen wird… In den anderen, eher physischen Passagen wechseln wir zu einem sozusagen mediterranen, barocken Klang.” Das Ergebnis erfüllt die Erwartungen: Currentzis ist eigenwillig und individuell und nie langweilig. Der griechische Dirigent ist im Durchschnitt nicht überschnell, Nézet-Séguin wählt die langsameren Tempi, die historisch besetzte Aufnahme von Arnold Östman und dem Drottingholm Court Theatre Orchestra (Decca 1989) ist bspw. in höherem Grundtempo. Currentzis‘ Don Giovanni wirkt dennoch rasanter, weil er immer wieder einzelne orchestrale Stellen zusammenballt und schroff hervorklingen lässt, der Versuch des Dirigenten, sich selber zu übertreffen und den Erwartungen gerecht zu werten, geht schon mal mit einen leichten musikalischem Verlust an Deutlichkeit einher. Wenn Currentzis‘ Dirigat langsam wird, sogar langsamer als Nézet-Séguin, dann hat das einen Grund, bspw. „Non ti fidar, o misera“, das man selten so stockend hört oder „Lá ci darem la mano“, das ein Glücksversprechen sein soll, die Interpretation will laut Dirigent „Assoziationen an Leierkastenmusik, Trumscheit, Sackpfeife und Dudelsack“ wecken. Ein Höhepunkt der Aufnahme ist die Maskenballszene am Ende des ersten Akts: sie klingt verblüffend neu, die drei in unterschiedlichen Taktarten spielenden Orchester haben jeweils einen eigenen Verzierungsstil von Currentzis bekommen und erzielen so ein spannendes Gegeneinander. Don Giovannis Höllenfahrt zeigt sich ohne Überraschung auf hohem Niveau. Für die Rezitative und bei den Arien wird ein Hammerklavier verwendet, das auch auftrumpfen darf, wie in der Einleitung zu „Ah, ah, ah, questa è buona“, Currentzis will die Rezitative aufwerten und setzt auf Anschaulichkeit – das Bühnengeschehen wird akustisch aufgenommen und verstärkt, die Szenen zwischen Donna Anna und Don Ottavio gewinnen hier bspw. an Dramatik hinzu.

Die Deutsche Grammophon setzt bei ihrem Mozart-Zyklus auf Sängergrößen, der Don Giovanni, der 2011 in der badischen Kurstadt bei konzertanten Live-Aufführungen im Festspielhaus aufgenommen wurde, war prominent besetzt: Ildebrando d’Arcangelo, Luca Pisaroni und Rolando Villazón sowie Diana Damrau und Joyce DiDonato. Bei DG hört man reife und charaktervolle Stimmen, die Dramatik der Aufnahme liegt in der Qualität der Sänger begründet. Currentzis setzt überwiegend auf schlanke, junge Stimmen und verlegt die Dramatik in den Orchestergraben. Als Don Giovanni hört man den Bariton Dimitris Tikliakos, der mit hoher Stimmkultur alles richtig macht und doch gegen die sinnlich-dunkle Stimme von Ildebrando d’Arcangelo nicht ankommen kann. Ein Überraschung ist der Leporello des Bassisten Vito Priante, der ähnlich wie Luca Pisaroni bei DG einen hervorragenden Eindruck hinterlässt: eine bewegliche und ausdrucksstarke Stimme, die modellieren kann. Myrtò Papatanasiu ist eine sehr gute Donna Anna, doch auch hier hat DG mit Diana Damrau eine Stimme, die mehr zu leisten vermag. Ein Gewinn ist Kenneth Tarver, der als Don Ottavio keine Wünsche offen lässt, die Krisenszenen zwischen Papatanasiu und Tarver haben in dieser Aufnahme eine beeindruckende Intensität. (Currentzis wählt übrigens eine Prager/Wiener Mischfassung mit den Arien für Elvira und Don Ottavio). Karina Gauvin als opulent besetzte reife Donna Elvira fällt bei der Currentzis-Aufnahme fast aus der Reihe, sie singt in einer Liga mit Joyce DiDonato bei DG. Ohne Fehl und Tadel sind Christina Gansch als Zerlina sowie Guido Loconsolo als Masetto. Als Commendatore hört man den Finnen Mika Kares, einst Ensemblemitglied am Badischen Staatstheater in Karlsruhe, wo man ihm noch heute hinterher weint: einen Bass mit ähnlicher Stimmkultur findet man selten.
Zurück zur Anfangsfrage: Teodor Currentzis oder Yannik Nézet-Séguin? Der Verfasser dieser Zeilen glaubt (bisher) nicht an den einen, alles und alle überragenden Don Giovanni. Bei Östman hört man den vielleicht historisch authentischsten Mozart mit schlankem Klang, unaufgeregter Phrasierung und stetig raschen Tempi, Yannik Nézet-Séguin leitet eine opulente Aufnahme mit sängerischem Starensemble, Teodor Currentzis präsentiert die zeitgeistige Aufnahme par excellence: sie ist individuell und exzentrisch durch die Positionierung und Pose des Dirigenten als Star, akustisch spitzt sich etwas zu, die Oper ist aufregend, will unmittelbar wirken und ist doch unerbittlich im Gefühl der Krise und Bedrohung (Currentzis verwendet im Beiheft den Ausdruck „Terrorist“ für Don Giovanni). Es ist ein Mozart-Verständnis, das Folgen haben und sich in den Orchestergräben durch den Dirigentennachwuchs ausbreiten könnte. Seinem eigenen Anspruch wird Currentzis gerecht, er beschreibt diese Oper durch die „Dualität von verschleiertem Unbewussten und bewegter Realität“ – Attributen, die auf Oper und Aufnahme zutreffen. Als Kontrast und Innovation ist diese Aufnahme eine wichtige Bereicherung. (3 CDs, Sony 88983316032) Marcus Budwitius

DDR-Königin des Chansons

 

Die Schauspielerin und Sängerin Gisela May ist tot. Sie starb am frühen Freitagmorgen (2. 12. 2016) im Alter von 92 Jahren in Berlin, wie das Berliner Ensemble (BE) mitteilte. Sie spielte auch nach der Wende zahlreiche Theater- und Film-Rollen und trat als Chanson-Sängerin auf.

cd_02Gisela May – geboren am 31. Mai 1924 in Wetzlar – besuchte die Schauspielschule in Leipzig. Es folgten neun Jahre Engagement an verschiedenen Theatern, u. a. dem Staatstheater Schwerin und dem Landestheater Halle. Ab 1951 Engagement am Deutschen Theater in Berlin, der einstigen Wirkungsstätte Max Reinhards. Sie spielte die unterschiedlichsten Rollen von den Klassikern bis zur Moderne. 1962 wechselte Gisela May zum Brecht-Theater, dem Berliner Ensemble, dem sie 30 Jahre lang angehörte. Hier spielt sie u. a. Madame Cabet in „Die Tage der Commune“, Frau Peachem in „Die Dreigroschenoper“, Frau Kopecka in „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“. Der schauspielerische Höhepunkt auf der Brecht-Bühne wurde für sie die Verkörperung der Mutter Courage. Diese Aufführung stand über 13 Jahre bis Ende 1992 auf dem Spielplan des Berliner Ensemble. Seit 1992 ist die Künstlerin freischaffend und arbeitete u. a. am Berliner Renaissance-Theater.

Gisela Mays zweite Karriere als Diseuse verlief parallel zu ihrem schauspielerischen Weg. Der Komponist Hanns Eisler entdeckte sie für den speziellen Songstil Brechts und arbeitete mit ihr. Neben der Song-Interpretation besitzt Gisela May Erfahrungen im Musical-Bereich: in Hallo Dolly war sie als Titelfigur am Metropol-Theater Berlin zu erleben sowie als Fräulein Schneider in „Cabaret“ im Theater des Westens. Gastspielreisen durch ganz Europa, durch Amerika und Australien führten sie u. a. nach New York an die Carnegie-Hall, an das Opernhaus Sydney und die Mailänder Scala. Seit dem Jahr 2000 läuft im Berliner Ensemble, dem berühmten Brecht-Theater unter der Leitung von Claus Peymann, in regelmäßigen Abständen von zwei Monaten mit großem Erfolg der Abend „Gisela May singt und spricht Kurt Weill“.

buch1Die Buchveröffentlichung „Es wechseln die Zeiten“ im Militzke-Verlag in Leipzig im Jahr 2002 findet erfreuliche Käuferschaft, zumal bei Lesungen in Theatern oder großen Buchhandlungen, wo Gisela May in der Signierstunde die Bücher unterschreibt. Gisela May ist gefragte Dozentin bei Meisterkursen und Workshops. Anlässlich der diesjährigen Sommerakademie in Neuburg an der Donau findet der vierte Meisterkurs unter der Leitung von Gisela May statt. Gisela May ist offizielles Mitglied der Akademie der Künste. Im Dezember 2004 wird die repräsentative Eröffnung von Eislers Werk durch einen Workshop und ein Konzert von jungen Sängern, mit denen Gisela May das Programm einstudiert hat, im Konzerthaus Berlin gekrönt. Die TV-Serie „Adelheid und ihre Mörder“ erhielt Kultcharakter mit Evelyn Hamann und dem berühmten Dialog zwischen „Muddi“ und ihrer Tochter Adelheid: „Sag doch nicht immer Muddi zu mir!“ – „Ist recht, Muddi.“ (Quelle www.chanson.de)

May wurde mit zahlreichen Preisen überhäuft, darunter sind der Nationalpreis der DDR für Literatur und Kunst, das Filmband in Gold und das Bundesverdienstkreuz I. Klasse.  Als Chanson-Interpretin veröffentlichte sie in der DDR zudem viele LP-Alben und machte sich mit Auftritten an der New Yorker Carnegie Hall und Mailänder Scala auch international einen Namen. Am 24. Januar 2013 war May im Rahmen der Kurt-Weill-Woche an der Komischen Oper Berlin zum letzten Mal auf der Bühne zu erleben. Gisela May lebte seit 1951 in Berlin. Als ausdrucksstarke Interpretin von Brecht-Weill-Chansons wurde sie berühmt. Ihre Soloabende bescherten Gisela May über Jahrzehnte Triumphe – von der New Yorker Carnegie Hall bis zur Mailänder Scala. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem DDR-Nationalpreis 1. Klasse, dem Deutschen Kleinkunstpreis sowie dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Interpretationen von Brecht-Texten. Von 1978 bis 1992 spielte May die „Mutter Courage“ von Bertolt Brecht am Berliner Ensemble und trat damit in die Fußstapfen von Helene Weigel. Intendant Claus Peymann zeigt sich bewegt: „Für mich war Gisela May nach Helene Weigel die ‚Königin‘ des Brecht-Theaters“, sagte BE-Intendant Claus Peymann der Deutschen Presse-Agentur. „Mit ihr stirbt eine der großen Künstlerinnen der untergegangenen DDR. Das Berliner Ensemble ist in Trauer.“ (Quelle ARD Tagesschau)

 

Gisela May wurde am 31. Mai 1924 im hessischen Wetzlar geboren, kam aber schon als Vierjährige mit den Eltern nach Leipzig, wo sie Kindheit und Jugend verlebte. Befördert durch ihren Musiklehrer Alfred Schmidt-Sas, entdeckte Gisela schnell ihr musikalisches Talent. Doch ihr Lehrer und väterlicher Freund, ihre erste große Jugendliebe, wurde als Widerstandskämpfer gegen die Nazis enttarnt, verhaftet und in Plötzensee hingerichtet.Ihre Eltern unterstützten ihre Tochter dabei Schauspielerin zu werden. Dieses Erlebnis verstärkte ihre antifaschistische Haltung, die sie später auch in ihrer künstlerischen Arbeit nicht verleugnete. Nach zehn Jahren am Deutschen Theater in Berlin unter der Leitung von Wolfgang Langhoff wechselte sie 1961 zum Berliner Ensemble, zu Bert Brecht. In der Rolle der Mutter Courage ist sie unvergessen, ihre letzte Vorstellung im Berliner Ensemble wurde zu einem bewegenden Theatererlebnis. Ein Auftritt im Piccolo Teatro in Mailand ebnete Gisela May auch als Sängerin den Weg zu einer internationalen Karriere. (Quelle wdr)

 

Gisela May bei den Proben zu "Mutter Courage" im Berliner Ensemble mit Manfred Wekwerth, 1978/ Wiki Bundesarchiv Bild 183 T0927 019 Berliner Ensemble

Gisela May bei den Proben zu „Mutter Courage“ im Berliner Ensemble mit Manfred Wekwerth, 1978/ Wiki Bundesarchiv Bild 183 T0927 019 Berliner Ensemble

Die Komische Oper Berlin trauert um die Schauspielerin, Sängerin und Diseuse Gisela May, die in der Nacht zum 2. Dezember im Alter von 92 Jahren verstorben ist. May war
in ihrer langen Karriere vielen Bühnen Berlin verbunden, so auch der Komischen Oper Berlin. Sie trat mehrfach am Hause auf, zum letzten Mal in der Kurt Weill Woche im
Januar 2013, in Barrie Koskys erster Spielzeit. Barrie Kosky: »Gisela May war eine der größten deutschen Schau-Spielerinnen der Nachkriegszeit, die auch über die Grenzen Deutschlands hinaus eine Strahlkraft entfaltet hat. Als Musiktheaterschaffender habe ich sie stets dafür bewundert, dass sie – wie nur wenige – sowohl das gesprochene als auch das gesungene Wort bis zur Perfektion und doch immer mit Geist, Herz und Witz beherrschte. Die Theater-Götter werden sie mit tosendem Beifall im Himmel begrüßen!«
Gisela May (…) kam nach ersten Engagements 1951 ans Deutsche Theater Berlin unter der Intendanz von Wolfgang Langhoff. 1962 wechselte sie ans Berliner Ensemble, dem sie 30 Jahre lang angehörte. Ihre Verkörperung der Mutter Courage im gleichnamigen Stück von Bertolt Brecht gehörte dort zum Höhepunkt ihrer Karriere. Die Produktion aus dem Jahr 1978 (Regie: Peter Kupke) stand bis Ende 1992 auf dem Spielplan der Brecht-Bühne. Neben ihrer Schauspielkarriere machte sich May als Diseuse einen Namen. Hanns Eisler entdeckte sie und baute sie als Brecht-Interpretin auf. Sie trat als Musical-Sängerin u. a in der Titelpartie von Hallo Dolly am Berliner Metropol-Theater auf und interpretierte Chansons von Jacques Brel, Erich Kästner und anderen. Schwerpunkt blieb das Werk von Bertold Brecht. Unter Claus Peymann zeigte die große Bühnenkünstlerin am Berliner Ensemble ab 2000 regelmäßig ihr Programm »Gisela May singt und spricht Kurt Weill«. (Quelle Komische Oper Berlin)

Zu viel Henze, wenig Meyerbeer, kein Mayr

 

Ein gutes, erklärendes Handbuch kann sich für einen Opernbesuch mitunter als notwendiger erweisen als das schicke Abendkleid für die Dame oder der feiner Zwirn für den Herrn. Zumal heutzutage. Regisseure neigen dazu, Werke aus ihrem historischen Kontext zu reißen, Figuren des Mittelalters in Jeans zu stecken, statt eines Waldes eine gähnend leere Bühne zu präsentieren. Nicht immer wird auf Anhieb klar, wer denn nun wer ist, und warum jemand mit einer Maschinenpistole herumfuchtelt, statt das Schwer zu schwingen. Aktualisierungen der alten Stoffe erschließen sich nicht in dem Maße, in dem die Handlung voranschreitet. Und nicht immer passt es. Wer sich also vor einer Aufführung schlau machen beziehungsweise das eigenen Wissen überprüfen will, ist mit dem Handbuch der Oper gut bedient. Es ist in vierzehnter, grundlegend überarbeiteter Auflage als Gemeinschaftsproduktion der Verlage Bärenreiter (ISBN 978-3-7618-2323-1) und Metzler (ISBN 978-3-476-02586-9) erschienen. Mit der ISBN-Nummer 978-3-7618-7093-8 wird es auch als eBook angeboten. Für unterwegs ist das praktisch, denn das 950 Seiten umfassende Konvolut passt nicht in jede Handtasche. Es ist regaltauglich. Berücksichtigt sind nunmehr 340 Opern vom Frühbarock bis zur Gegenwart. Die frappierende Aktualität der neuen Ausgabe stellt sich bereits auf dem Einband dar. Gezeigt wird eine Szene aus Miroslav Srnkas Oper South Pole, die 2016 an der Bayerischen Staatsoper München uraufgeführt wurde, von Hans Neuenfels in Szene gesetzt und von Kirill Petrenko dirigiert. Sie kam ins Fernsehen und fand bei Publikum und Presse begeisterte Aufnahme. Das Werk selbst wird auch gebührend behandelt. So breit gefächert, wie es dieser brandneue Titel erwarten lässt, ist das Repertoire des Handbuches allerdings nicht.

Allenthalben klaffen schmerzhafte Lücken. Während von Rameau sechs Werke Berücksichtigung fanden, wird Meyerbeer mal eben nur mit zweien, nämlich Hugenotten und Prophet, abgespeist. Dabei ist gerade dieser Komponist in letzter Zeit erfreulich oft auf den Spielplänen erschienen. Mit Vasco da Gama wurde die ursprüngliche Fassung seiner Africaine neu entdeckt. Die Deutsche Oper Berlin hat ihren Meyerbeer-Zyklus mit Dinorah begonnen und mit  Les Huguenots fortgeführt. Nürnberg, Kiel und Würzburg stehen Meyerbeer-mäßig nicht nach.

Zudem kommen deutsche Opern  viel zu kurz. Zar und Zimmermann und Wildschütz reichen für Lortzing eben so wenig wie der Vampyr für Marschner, dem wenigsten noch sein Hans Heiling zu gönnen gewesen wäre. Otto Nicolai muss sich mit seinen ewigen Lustigen Weibern bescheiden, obwohl mit Aufführungen von Templario und Heimkehr des Verbannten endlich seine in Italien gewonnene Belcanto-Meisterschaft Anerkennung findet. Vergeblich sucht man auch Johann Simon Mayr, der inzwischen nicht mehr nur als Lehrer von Donizetti wahrgenommen wird. Bei allem Respekt für Hans Werner Henze stellt sich die Frage, ob es denn gleich neun (!!!) seiner Opern sein müssen. Und Manfred Trojahn ist mit fünf (!!!) Titeln auch mehr als gut bedient, während Wagner-Regény, Siegfried Wagner, Otmar Gerster oder Siegfried Matthus leer ausgehen. Die Reihe solcher Beispiele ließe sich fortsetzen.

Jene Werke aber, die Eingang in das Handbuch gefunden habe, sind exzellent und erschöpfend abgehandelt. In diesen gut lesbaren Texten offenbart sich die hohe Qualität dieser überarbeiteten Auflage. Bei allen Werken wird weitgehend nach dem gleichen Muster verfahren, was den raschen Zugang erleichtert. Es finden sich alle Personen, Orte und Schauplätze, es gibt Hinweise auf die Gliederung, die Zusammensetzung des Orchesters und die Spieldauer. Handlung, stilistische Stellung, Textdichtung und Geschichtliches werden getrennt und ausführlich behandelt, Unterschiede in einzelnen Fassungen verständlich herausgearbeitet. Sogar bei Verdis Don Carlos, dem Prüfstein für die genaue Dokumentation der unterschiedlichen Bearbeitungen in Opernführern, bleiben keine Fragen offen. Das Problem des Handbuches sind nicht die Texte, sondern die Proportionen.

Handbuch der OperDabei haben es sich die Herausgeber nicht leicht gemacht. Wo sollen sie anfangen, wo enden? Was aufnehmen, was weglassen? Ein Buch von fast tausend Seiten kommt auch an Grenzen. Beiträge früherer Auflagen und verstorbener Autoren waren mit neuen Texten zu verbinden. Im Vorwort wird das genau erklärt. Gleich am Beginn macht der Musikschriftsteller Robert Maschka deutlich, dass Opernführer letztlich nur die „in den Opernhäusern stattfindenden Veränderungen“ reflektieren. Das ist nachzuvollziehen, wird aber nicht konsequent genug durchgehalten, wie die Beispiele Nicolai, Meyerbeer oder Mayr zeigen. Eine Presse-Information zur Neuerscheinung versieht Bärenreiter mit der etwas altbackenen Überschrift „Oper zum Schmökern“. Und es werden einige Fragen aufgeworfen, die sich im Handbuch beantwortet finden sollen. „Wie heißt Wotans Schwester?“ Hm! Wer sollte das sein? Der hat ja gar keine. Freia, die am ehesten in Frage käme, kann es nicht sein. Die ist nämlich Frickas, der Gattin Wotans, Schwester und damit dessen Schwägerin. Fricka nennt sie denn auch im Rheingold ihr „holdes Geschwister“ und Freia selbst fleht Wotan als „Schwäher“ an. Er soll sie vor der Zudringlichkeit der Riesen schützen. Schwäher ist eine sprachlich veraltete Form für Schwager oder auch für Schwiegervater.

Und – so wird weiter gefragt – „Wer fordert seinen Herrn zum Tänzchen heraus?“ Ja, wer denn wohl? Der gestandene Opernfreund hat natürlich diverse deutsche Übersetzungen von Mozarts Figaro im Kopf. Er weiß, dass sich die Frage aus Figaros Kavatine im ersten Akt herleitet, mit der er dem Grafen den Kampf ansagt, weil er nicht von Susanna lassen will. Mal ist von Tanz, mal von Tänzchen die Rede. Je nach Übersetzer – ballare eben. Aus dem Buch erfährt man die Antwort auf die Frage jedenfalls nicht, zumal das Stück heute stets im italienischen Original gegeben wird. Während die Oper in der Erstnennung des Titels im entsprechenden Kapitel des Handbuches sehr richtig als Le nozze di Figaro gelistet ist, nennt es im Widerspruch dazu bei etlichen fremdsprachigen Werken den alten deutschen Titel zuerst – Iphigenie in AulisDer Barbier von SevillaDas Mädchen aus dem goldenen WestenDer TroubadourDie Macht des SchicksalsHugenotten und Prophet waren schon genannt. Diese verwirrende Handhabung, die den Lesern nicht nützt, erklärt sich auch aus der langen Entstehungsgeschichte des umfangreichen Nachschlagewerks. Bei Monteverdi konnten sich die Autoren nicht für ein einheitliches Verfahren entscheiden. Beim Ritorno di Ulisse wurde der deutsche Titel (Die Heimkehr des Odysseus) bevorzugt, bei L’incoronazione di Poppea der italienische. So unterschiedlich tauchen beide Stücke auch im Register auf. Angleichungen wären sinnvoll gewesen. Dem Handbuch ist also eine 15. grundlegend überarbeitete Auflage zu wünschen. Rüdiger Winter