Très Mignonne

 

Sollte etwa Marianne Crebassa ihre schönen langen Haare zugunsten einer jungenhaften Kurzhaarfrisur nur wegen des Covers ihrer CD haben abschneiden lassen? Das wäre jammerschade und zudem noch überflüssig gewesen, denn auch ohne dieselbe und ohne schwarze Fliege zum weißen Hemd hätte sie allein durch ihren Gesang überzeugt und hätte alle die schwärmerischen Jünglinge, denen sie auf ihrer Aufnahme mit dem Titel Oh, Boy! ihren Mezzosopran verleiht, glaubwürdig verkörpert. Der deutsche Besitzer der CD denkt bei dem Namen zuerst einmal an einen Film gleichen Titels, in dem ein junger, ziemlich versumpfter Berliner vergeblich versucht, in seiner Stadt zu einer ganz normalen Tasse Filterkaffees zu kommen, aber es gibt überall nur die absurdesten Spezialitäten, keine einfach nur biedere Tasse Kaffee.

Um diesen halb liebenswürdigen, halb bedauernswerten Zeitgenossen geht es aber nicht, sondern um Mozarts eigentlich für Countertenöre oder wie Cherubino von Anfang an für Mezzosopran geschriebenen Partien oder um die jeunes hommes der französischen Oper, angefangen von Gluck und endend bei Hahn.

Es beginnt mit der letzten der vier Fassungen von Glucks Orphée/ Orfeo, der Bearbeitung durch Berlioz für Pauline Viardot-Garcia in der Stimmlage der Wiener Fassung. „Amour, viens rendre à mon ame“ offenbart eine durchaus androgyn dunkel-samtig klingende Mezzostimme, geschmeidig und Virtuosem gewachsen, mit wunderschönen Klanggirlanden und einer Super-Kadenz. Allen diesen Vorzügen tritt allerdings als Manko eine verwaschene Diktion an die Seite. Auf der CD wechseln sich Mozart und Französisches munter miteinander ab, was nicht ganz nachvollziehbar ist.

Als Page Urbain aus Meyerbeers Huguénots mischt die Crebassa ihrem Gesang ein Quentchen Frivolität und Zweideutigkeit bei und besticht durch eine generöse Phrasierung. Als Nicklausse kontrastieren interessant der rezitativartige Teil und der vokale Aufschwung danach im „C’est l’amour“ miteinander. In Thomas‘ vergessener Oper Psyche erfreuen deliziöse Piani der Stimme und eine zauberhafte Orchesterbegleitung. Der Stéphano aus Gounods Roméo et Juliette zeigt sich elegant und höhensicher, Le Prince Charmant aus Massenets Cendrillon macht seinem Namen Ehre mit einem zarten Gespinst der Wehmut. Konnte der Berliner Operngänger bereits zweimal in den letzten Jahrzehnten die Hugenotten genießen, vergönnte die Komische Oper den noch selteneren Fantasio von Offenbach (und mit Tenor-Helden) und die Staatsoper Chabriers Etoile. Für den Mezzo-Fantasio hat La Crebassa einen strahlenden Schlusston nach einfühlsamer Darstellung der zwielichtigen Stimmung seiner Arie und für den Lazuli einen feinen Chansonton. Siébel ist bei ihr gut aufgehoben wegen der zärtlichen Abgeklärtheit in der Stimme, eine absolute Rarität ist die Titelfigur  in Hahns Mozart auf das Libretto von Sascha Guitry mit einer Superarie für Mezzosopran.

Von Mozart selbst gibt es beide Arien des Cherubino. „Voi che sapete“ mit einem schönen Fluss der Stimme, die beim Wechsel in Moll eine Schattierung dunkler wird, „Non so più“ weiß Getriebensein und Jugendlichkeit gleichermaßen gut zu vermitteln. Der Cecilio aus Lucio Silla ist ebenfalls doppelt vertreten, in den „Pupille amate“ mit empfindsamer, gut tragender mezza voce und sehnsüchtig klingenden Verzierungen am Schluss, „Il tenero momento“ etwas zu weinerlich im Rezitativ, aber angemessen fröhlich in der Arie. Die Wutarie aus der Finta Giardiniera lässt die Sängerin den Ton angemessen beherzt attackieren, die Lieblingsarie aller Mezzosoprane, die des Sesto „Parto, ma…“ lässt sie sich natürlich nicht entgehen und enttäuscht damit keineswegs. Marc Minkowski und das Mozarteumorchester Salzburg sind die besten Begleiter, die man sich denken kann (Erato 0190295927622). Ingrid Wanja

Ingrid Wanja