Archiv für den Monat: Oktober 2024

Verismo-Szenen

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Die 2023 von der San Francisco Classical Recording Company produzierte und jetzt veröffentlichte CD enthält unter dem Titel SAIOA – IL VERISMO D‘ORO eher unbekannte Arien und Szenen des Verismo, interpretiert von Saioa Hernández. Unterstützt wird sie dabei in wenigen Stücken von Mercedes Arcuri (Sopran) und Francesco Pio Galasso (Tenor) sowie vom Coro de la Comunidad de Madrid, einstudiert von Josep Vila I Casanas. Das Orquesta Titular del Teatro Real unter Leitung von Carlo Montanaro gibt sicheren musikalischen Halt. Die spanische Sopranistin Saioa Hernández hat sich erfreulicherweise intensiv mit Unbekanntem aus dem Verismo auseinandergesetzt und eine kluge Auswahl getroffen. Im Fokus steht für sie Pietro Mascagni als Begründer der Musikrichtung durch seine Cavalleria rusticana, die noch heute allerorten höchst erfolgreich aufgeführt wird. So rahmt Hernández ihr Programm mit seinen Kompositionen ein: Mit Questo mio bianco manto aus Isabeau und Ah! Il suo nome… Flammen perdonami! aus Lodoletta setzt sie gleich deutliche Akzente mit üppiger Stimme, in der Höhe mit herausgeschleuderten Spitzen und satter Mittellage. Francesco Cilea ist mit Esser madre è un inferno aus L’Arlesiana vertreten, in der sie die Leiden der Mutterschaft eindringlich gestaltet; aus Adriana Lecouvreur überzeugt das intensiv vorgetragene Poveri fiori. Etwas Besonderes sind die beiden Beiträge von Franco Alfano: Mit Giunge il treno… Dio pietoso… aus Risurrzione nach Tolstois „Auferstehung“ gelingt der Sängerin eine erschütternde Gestaltung der verzweifelten Katyuscha; in der großen Szene O nuvola, nuvola leggera aus La Leggenda di Sakùntala greift auch der Chor mit prächtigem Klang ins Geschehen ein. Von Giacomo Puccini (nicht eigentlich ein Verist) präsentiert Hernández als Giorgetta gemeinsam mit Francesco Pio Galasso als Luigi È ben altro il mio sogno aus Il Tabarro, eindrucksvoll im Duett endend. Mit Umberto Giordanos È finita aus Marcella – ebenfalls eine nur ca. einstündige Oper wie Il Tabarro – und Ed ecco il suo ritratto aus Fedora zeigt Hernández, dass sie Piano-Passagen gut beherrscht und dynamisch abstufen kann, wenn mir auch insgesamt ihr häufiges Von-unten-Anschleifen der Töne nicht gefällt. Mit dem herzzerreißenden Nè mai dunque avrò pace? aus La Wally ist Alfredo Catalani vertreten. In der Szene O Biancofiore aus Francesca da Rimini von Riccardo Zandonai ergänzt Mercedes Arcuri das Duett sehr gut mit lyrischen Einwürfen ihres feinen Soprans. Die Schlussszene Ancora il triste sogno paurosa des 3.Aktes aus Mascagnis Iris bildet mit der Zusammenführung aller Protagonisten den gelungenen Abschluss der CD (EuroArts Music International 2011100)Marion Eckels

Roberto Alagna und eine CD zum 60.

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Roberto Alagna (* 7. Juni 1963), gestehe ich unumwunden, gehört zu den Heroen meines Opernlebens. Ich bin ihm als – als begeistert-voreingenommener – Fan in seinen frühen  Jahren nachgereist, nachdem er nach seinem Scala-Debüt 1990 als Alfredo Karriere machte, habe ihn mehrfach in Montpellier gesehen (u. a. als Roberto Devereux neben Daniela Longhi), habe seinen ersten Radames in Kopenhagen erlebt, seinen Amico Fritz in Monte-Carlo bewundert und frenetisch beklatscht, natürlich seinen Donizetti-Edgardo und andere in Berlin, London (ah, sein Romeo neben der entzückenden Leontina Vaduva ebendort), Paris bestaunt, den ersten CD-Aufnahmen bei der EMI beigewohnt, seinen Werther in Turin aufgewühlt durchlebt und ihn überhaupt vor allem im angestammten französischen Repertoire bewundert, von dem er leider zu wenig auf der Bühne gesungen, aber doch einiges eingespielt hat. Immerhin gibt’s die französische Lucie de Lammermoor und den Werther mit ihm auf DVD und CD, Lalos Fiesque, Massenets Jongleur de Notre-Dame,  Vladimir Cosmas Marius et Fanny und von seinem Bruders David Alagna dessen Le dernier jour d’un condamné, von Bizets Carmen auf DVD und CD ganz abgesehen.

Zu meinen tiefen musikalischen Erlebnissen zähle ich seinen Berlioz-Enée in Marseille und Berlin, ebendort auch seinen grandiosen Vasco da Gama Meyerbeers.  Nicht vergessend seinen Rodrigue/Le Cid in Marseille und Paris. Vieles, wie seinen bizarren Orphée aus Bologna (in der Fassung und Produktion seiner Brüder), gibt es als Radio- und natürlich Privat-Mitschnitte. Zu seinen späteren, bemerkenswerten Partien zähle ich auch seinen hochidiomatischen Lohengrin in Berlin, nachdem aus seinem Bayreuth-Auftritt neben Anna Netrebko nichts wurde.

Ich habe einige Interviews mit ihm gemacht und ihn als außerordentlich charmanten, liebenswürdigen und gebildeten Mann erlebt, mit dem ich wunderbar über Musik und alte Sänger, über Gesangstechnik und -Stil fachsimpeln konnte. Rundherum ein wirklich bezaubernder Mensch.

Nun hat er sich bei Aparté eine CD zu seinem 60. Geburtstag (bereits 2023) gegönnt – ein sehr breites Repertoire von Pergolesi über Flotow, Wagner bis zu Drigo und Alagna (-Bruder), dazu ein paar Russen und Polen, ganz bemerkenswert  und vielseitig (Arien & Lieder von Giuseppe Verdi, Charles Gounod, Adolphe Adam, Friedrich von Flotow, Richard Wagner, Stanislaw Moniuszko, Peter Tschaikowsky, Nikolai Rimsky-Korssakoff, Ambroise Thomas, Giacomo Meyerbeer, Giovanni Battista Pergolesi, Riccardo Drigo, Ruggero Leoncavallo, Vincenzo di Chiara, David Alagna, Nikolaus Brodszky, Roberto Alagna; Giorgio Croci leitet das Morphing Chamber Orchestra; Aparté AP 351).

Nachstehend leihen wir uns von der Firma Aparté mit Dank aus der CD-Beilage den Artikel von Bradley Bamberger und das kurze Interview mit Alagna, in dem er auf seine langte und schöne Karriere zurückblickt aber auch nach vorne schaut. 60 Jahre sind kein Alter für meinen Tenorschwarm. Alles Gute und herzlichen, späten Glückwunsch zum  61. Geerd Heinsen

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Wie jeder Sänger mit einer so langen Karriere hat Roberto Alagna einen berauschenden, Star-machenden Erfolg und die damit einhergehende Anerkennung von Publikum und Kritikern genossen (ganz zu schweigen von den Dramen, die er hinter den Kulissen durchgestanden hat). In mehr als vier Jahrzehnten hat der franko-sizilianische Tenor nicht nur sein Durchhaltevermögen in der Oper unter Beweis gestellt, sondern auch eine immer noch jung gebliebene Leidenschaft für Musik gezeigt, indem er seine künstlerische Entwicklung mit einer ansteckenden Freude am Singen in Einklang gebracht hat. Dieses Album, dessen Titel 60 wie ein stolzes Banner verkündet, erinnert an Alagnas 60. Reise um die Sonne, und das mit Begeisterung. Das Programm ist breit gefächert und umfasst Arien und Lieder in einer außergewöhnlichen Vielfalt an Sprachen und Stilen, wobei die meisten Stücke zum ersten Mal von Alagna aufgenommen wurden.

Alagna, der in der Nähe von Paris in eine Familie sizilianischer Einwanderer hineingeboren wurde, begann als Teenager in den Kabaretts der Stadt zu singen, beeinflusst durch die Filme von Mario Lanza. Obwohl er sich das Singen größtenteils selbst beigebracht hat, gewann Alagna 1988 den Internationalen Gesangswettbewerb Luciano Pavarotti. Innerhalb von ein paar Jahren nahm er

Einladungen von der Mailänder Scala, dem Londoner Covent Garden und der New Yorker Metropolitan Opera an und sang Verdi, Puccini und Gounod. Ein erster Plattenvertrag mit EMI unterstreicht seinen aufstrebenden Status. Der Kritiker der New York Times, Anthony Tommasini, befand 2020, dass Alagna nach Manhattan zurückkehrte, um den Rodolfo zu singen, die Rolle, in der der Tenor 24 Spielzeiten zuvor sein Met-Debüt gegeben hatte.

„Im Laufe der Jahre hat Alagna sein Repertoire absichtlich von lyrischen Tenorrollen wie Rodolfo, für die er ideal geeignet schien, auf stimmlich gewichtigere und riskantere Rollen wie Verdis Radames in Aida und die männliche Hauptrolle in Saint-Saens‘ Samson et Dalila verlagert“, schrieb Tommasini. „Er hat es geschafft, insgesamt ein großer Tenor zu bleiben… Und er ging in den nächsten zwei Jahrzehnten frech seinen eigenen Weg, indem er schwerere Rollen übernahm, die Kraft und Ausdauer erfordern… es brauchte also einigen Mut, um zum Rodolfo zurückzukehren. Würde Alagna noch über die lyrische Eleganz und den jugendlichen Überschwang verfügen, die die Rolle verlangt?“ Tommasini verwies auf „die immensen Gaben und das Charisma“, die Alagna in den 1990er Jahren auf die Bühne brachte, und wies darauf hin, dass sein In seiner jüngsten Aufführung als Rodolfo hat er „die Qualitäten beibehalten, für die er anfangs gefeiert wurde: stimmlicher Reichtum, stilvolle Phrasierung, leidenschaftlicher Vortrag.“

Um die anhaltende künstlerische Vitalität zu unterstreichen, reicht das Programm für Alagnas 60. Geburtstag von Pergolesi, Verdi, Leoncavallo und Riccardo Drigo bis zu Gounod, Meyerbeer, Flotow, Adolphe Adam und Ambroise Thomas sowie – vielleicht überraschend – Wagner, Tschaikowsky, Rimsky-Korsakow und einer polnischen Rarität aus dem19. Es gibt auch leichtere Lieder in spanischer, italienischer, englischer und französischer Sprache (darunter ein Stück, das von Alagnas Brüdern David und Frederico komponiert wurde, mit denen er oft zusammenarbeitet). Dieses anspruchsvolle Tenor-Recital endet mit „Sognare“, einem vom Sänger selbst geschriebenen Lied in italienischer Sprache.

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Das folgende Gespräch fand während Alagnas Proben für die Rolle des Calaf in Puccinis Turandot statt, die im April 2024 an der Met aufgeführt werden soll – und nur wenige Wochen nach den Aufnahmen zu diesem Album in Wien.

Was haben Sie als Jugendlicher in den Pariser Clubs gelernt, an das Sie sich jedes Mal erinnern, wenn Sie singen, sei es vor einem Studiomikrofon oder auf der Bühne?

Ich habe damals eine Menge gelernt! Es war eine Herausforderung, weil man jeden Abend improvisieren musste. Das Repertoire, das man sang, hing vom Publikum ab, und wir hatten viele verschiedene Nationalitäten im Publikum, weil es oft viele Touristen gab. Man musste praktisch in jeder Sprache ein Lied kennen – mein Repertoire umfasste 70 Lieder, damit ich für jede Situation das Richtige parat hatte. In verschiedenen Sprachen zu arbeiten, ein großes Repertoire zu kennen – das ist für einen Sänger unerlässlich. Etwas anderes, das man so früh lernen musste, war die Kommunikation mit dem Publikum. In den Clubs waren die Zuhörer sehr nah dran. Während man sang, musste man versuchen, ‚gut aussehend‘ zu bleiben, das Gesicht zu entspannen, ohne zu forcieren. Es war wichtig, sein Charisma zu bewahren, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen, damit die Leute – die vielleicht während des Auftritts gegessen und getrunken hatten – einem wirklich zuhörten. Um den Zuhörer zu fesseln, war das ein sehr gutes Training für mich. Ich musste auch Durchhaltevermögen entwickeln, weil ich oft jede Nacht von Mitternacht bis sechs Uhr morgens auftrat – und dann sang ich vielleicht an einem Sonntag bei einer Gala für wohltätige Zwecke.

Heute kann ich diese frühen Erfahrungen auf meine Arbeit in der Oper übertragen. Natürlich ist es sehr wichtig, die Stile von Puccini, Verdi usw. zu respektieren. Aber ich finde, man muss auch jeden Abend etwas Neues schaffen. Man kann nicht bei jeder Aufführung dieselbe Phrasierung, dieselbe Dynamik verwenden. Wie Verdi zu sagen pflegte, muss die Interpretation im Moment geboren werden. Das ist etwas, woran ich immer versucht habe, mich zu erinnern: die Spontaneität in meinen Aufführungen zu bewahren, im Moment zu atmen, die Emotionen zu verändern, die Nuancen zu variieren. Man kann nicht alles an einer Musikhochschule lernen. Jeden Abend vor Publikum zu singen, seine Reaktionen auf das, was man tut, zu spüren und darauf zu reagieren – das ist die ultimative Schule. Und ich behalte die Lektionen auch nach all den Jahren noch im Kopf.

Sie haben als Sänger viele Helden, von Mario Lanza über Pavarotti bis hin zu Luis Mariano, Caruso… Wen bewundern Sie als Tenor, der die 60 überschritten hat?

Da gibt es mehrere. Nicolai Gedda und Alfredo Kraus hatten besonders lange Karrieren, große Karrieren natürlich, aber auch Pavarotti – Luciano war tatsächlich bis fast 70 in guter Tenorstimme. Und Gigli, Beniamino, sang bis weit in seine 60er Jahre hinein und „starb mit seiner Stimme“, da er bis zum Schluss sowohl das leichte als auch das schwere Tenorrepertoire singen konnte. Aber

Ich bewundere nicht nur die Großen, sondern auch alle meine Kollegen, denn es gibt eine natürliche Auslese – nicht viele der Milliarden Menschen auf der Erde sind in der Lage, auf hohem Niveau auf der Bühne vor Publikum zu singen. Es ist ein Segen, und ich respektiere alle Opernsänger, die in der Lage sind, so viel gute Arbeit zu leisten und daraus eine lange Karriere zu machen. Es ist eine seltene Disziplin, dass man so arbeiten muss wie diejenigen, die das vor hundert, zweihundert Jahren getan haben, ohne Mikrofone, ohne Verstärkung usw. Das ist nicht leicht!

Was ich an den großen Tenören in jedem Alter liebe, ist dieser Glanz in der Stimme, das leichte, natürliche Schweben der Linie, die Morbidezza. Ich mag keine ‚Tricks‘ beim Singen. Ich bevorzuge Spontaneität und Aufrichtigkeit in der Stimme, und wenn man nicht an die Technik denkt, sondern nur an das Gefühl in der Musik. Caruso pflegte zu sagen, dass die beste Technik vor dem Publikum verborgen ist – es ist die Kunst, die Kunst zu verbergen. Der Gesang von Caruso, Gigli, Pavarotti, Franco Corelli und Mario Del Monaco ist so natürlich, dass man, wenn man ihnen zuhört, nur denken kann, dass diese Leute einfach dazu geboren wurden, dies zu tun. Aber natürlich haben sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet und viele Opfer gebracht, um diese Qualität zu erreichen. Das ist wirklich etwas, was man anstreben sollte, egal wie alt man ist. (Quelle Aparté/ Bradley Bamberger/DeepL)

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Die Kollegen von Klassik Heute hatten zu Alagna 60. Geburtstag 2023 eine umfassende Vita von ihm erstellt, die wir mit Dank „ausleihen“: Der französische lyrische Tenor Roberto Alagna wurde als Sohn sizilianischer Eltern am 7. Juni 1963 in einem Vorort von Paris geboren. Mir 18 Jahren erhielt er die französische Staatsbürgerschaft, konnte gleichzeitig aber auch die italienische beibehalten. Als Jugendlicher betätigte er sich in Paris als Straßenmusikant und sang Popsongs gegen Trinkgeld. Die Filme von Mario Lanza und Schallplatteneinspielungen von berühmten Tenören brachten ihn zum Operngesang. Seine Gesangsausbildung war weitgehend autodidaktisch. Gabriel Dussurget, der Mitbegründer des Festivals Aix-en-Provence, wurde auf ihn aufmerksam und förderte ihn. 1988 gewann Alagna den Internationalen Gesangswettbewerb Luciano Pavarotti und erhielt sein erstes Opernengagement in Modena. Mit der Glyndebourne touring company startete er als Alfredo Germont in Verdis La traviata schließlich seine Profikarriere. Es ergaben sich daraus zahlreiche Auftritte zunächst an kleineren Bühnen in Italien und Frankreich. Insgesamt hat Alagna diese Rolle wohl mehr als 150 mal verkörpert.

Schließlich wurden auch die großen Opernhäuser auf den jungen Tenor aufmerksam. 1990 feierte Alagna sein Debüt an der Mailänder Scala, 1992 im Covent Garden und 1996 gelang ihm mit seinem Debüt an der New Yorker Metropolitan Opera endgültig der internationale Durchbruch. 2007 kam es an der Scala zu einem Eklat, als Alagna als Radames in Verdis Aida von den oberen Rängen ausgebuht wurde und daraufhin die Bühne verließ. Antonello Palombi musste in Straßenkleidung einspringen, um die Vorstellung zu retten. Als Pinkerton in Madama Butterfly an der Met engagiert, sprang Alagna im selben Jahr (2007) als Romeo in Roméo et Juliette ebenfalls dort für den erkrankten Rolando Villazón an der Seite von Anna Netrebko ein. Und ebenfalls 2007 erntete Alagna standing ovations, als er in der Aufführung der Aida am 16. Oktober in der Met für den indisponierten Marco Berti einsprang. Die Aufführung von Roméo et Juliette am 15. Dezember mit ihm an der Seite von Anna Netrebko wurde von der Met in 447 Opernhäuser weltweit in HD übertragen und von schätzungsweise 97000 Zuschauern live verfolgt. Am 25. Juli 2018 hätte Alagnas Debüt bei den Bayreuther Festspielen als Lohengrin erfolgen sollen, wegen Überlastung musste er sein Debüt aber am 29. Juni absagen. Nachdem Alagnas erste Frau Florence Lancien 1994 an einem Gehirntumor gestorben war, war er von 1996 bis 2013 mit der rumänischen Sopranistin Angela Gheorghiu verheiratet. 2015 heiratete er die polnische Sopranistin Aleksandra Kurzak. Im Laufe seiner Karriere hat Roberto Alagna ca. 40 verschiedene Opernrollen verkörpert und kann auf eine stattliche Anzahl an Einspielungen und CD-Veröffentlichungen zurückblicken. Im Jahr 2008 wurde er von der französischen Regierung zum Ritter der Ehrenlegion erhoben. Quelle: Klassik Heute (Farbfotos Florian Bonfay; Aufnahmefotos Ana Fedisz/alle Aparté)

Männerliebe und Leben

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Ist es jetzt geschehen? Sollte sich ein Sänger an Schumanns Frauenliebe und -leben gewagt haben? Zumindest legt der Titel einer neuen CD für einen kurzen Moment diese Vermutung nahe. Eine Vermutung, die gewollt sein dürfte. Aufsehen erregt sie allemal. Männerliebe und Leben nennen Günther Groissböck und seine schottischer Pianist Malcom Martineau ihr jüngstes Album, das bei Gramola erschienen ist (99294). Im Innern, auf dem Aufschlagfoto des Booklets, sitzen beide dröhnend lachend an einem Bistrotisch, als würde sie sich Witze erzählen und weniger dem lyrischen Ich der zur Interpretation anstehenden Stück nachsinnen. Solche Ausgelassenheit hätte denn auch nicht gepasst zu Schumanns Liederzyklus nach Versen Chamissos. Das letzte, was einem angesichts des ungewöhnlich freien Nachsinnens einer jungen Witwe über den Verlust des heiß geliebten Gatten einfiele, wär eine fröhliche Herrenrunde.

Diese Frauenliebe also ist auch nicht kompatibel mit der Männerliebe, von denen die Lieder der neuen CD erfüllt sind: Beethovens An die ferne Geliebte und Schumanns Dichterliebe. Aus gegebenem Anlass – nämlich des 200. Geburtstages von Anton Bruckner, der bekanntlich ein sehr schwieriges und gehemmtes Verhältnis zu Frauen unterhielt, sind drei seiner selten zu hörenden Lieder berücksichtigt worden, die sich hören lassen können: Mein Herz und deine Stimme (August von Platen), Im April (Emanuel Geibel) und Herbstkummer (Ernst – Dichterpseudonym des bedeutenden Botanikers Matthias Jacob Schleiden, einem Mitbegründer der Zelltheorie). Beschlossen wird das Programm mit einer aus sechs Titeln bestehenden Liedergruppe von Johannes Brahms, darunter Wie bist du, meine Königin, Die Mainacht und „O wüsst‘ ich doch den Weg zurück“. Bis auf Bruckner eine sehr geläufige Auswahl.

Groissböck ist seit gut zwanzig Jahren international im Geschäft. Wagner steht mit Hunding, Fafner, Fasolt, Landgraf, Pogner, König Marke, Gurnemanz und König Heinrich im Mittelpunkt seiner Opernauftritte. Erfolg bescherte ihm auch der Ochs im Rosenkavalier bei den Salzburger Festspielen, den er dort in der Inszenierung von Harry Kupfer strichlos sang und der eine seiner zentralen Partien bleiben sollte. Er ist gut beraten, seinen schweren Bass mit Liedern flexibel zu halten. Diesem Genre gelten zahlenmäßig die meisten seiner bisher veröffentlichten Solo-Aufnahme. Zwei Jahre vor dieser Neuerscheinung kam ebenfalls bei Gramola die CD „Nicht Wiedersehen!“ mit Liedern von Strauss, Rott und Mahler heraus. Schon damals soll die Redakteurin Helene Breisach vom Österreichischen Rundfunk als Titel „Männerliebe und Leben“ ins Spiel gebracht haben. Nun wurde daraus Wirklichkeit. Verglichen mit Schumann und Carl Loewe, der die Chamisso-Verse ebenfalls vertont hat, ist die inhaltliche Konzeption eine ganz andere. Insofern bleibt der lockere Umgang mit dem Titel nicht mehr als ein Spiel.

Mit den Jahren ist Groissböcks Stimme schwerer geworden. Gestaltungsmöglichkeiten fliegen ihm nicht mehr ganz so leicht und reichlich zu wie beispielweise in der Lieder-CD „Herz-Tod“ von 2018 bei Decca. Eleganter könnte der Aufstieg zur Höhe klingen. Vokale wie das O beim mehrfach wiederholten „wonnevoll“ im ersten Brahms-Titel des aktuellen Programms haben nicht die Ruhe und Festigkeit, die zu wünschen wären. Das Schluss-T fällt mitunter etwas scharf aus. Und doch bringt er ein unverwechselbares Timbre ein, und er ist gut zu verstehen. Obwohl die CD an drei Tagen im Februar 2024 im Mozart-Saal in Salzburg produziert wurde, drängte sich mir gelegentlich der Eindruck auf, einer Liveveranstaltung beizuwohnen, in der gewisse Ungenauigkeiten nicht auf die Goldwaage zu legen sind. Rüdiger Winter

Korrektur des Verkannten

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Der Musikwissenschaftler Arnold Jacobshagen bricht in seiner neusten Publikation allen weitverbreiteten Vorurteilen zum Trotz – schon im Vorfeld seines hundertsten Todestages – eine Lanze für Giacomo Puccini: „Zweifellos zählt Puccini zu den umsatzstärksten und wertbeständigsten Klassikern des internationalen Kulturbetriebs. La Boheme, Tosca, Madama Butterfly und Turandot gehören zum Kanon der abendländischen Kulturgeschichte.“ Puccini sei“ neben William Shakespeare, Giuseppe Verdi und Henrik Ibsen der meistgespielte Tragödienautor des Welttheaters. Dieser Befund unterliegt keinen kurzfristigen Moden und konjunkturellen oder regionalen Schwankungen, sondern ist bereits seit mehr als einem Jahrhundert offenkundig und stabil.“ Die Gründe bekräftigt Jacobshagen in seinem weit ausholenden Buch mit Analysen der musikalischen Dramaturgie sowie einer präzisen Familien-, Werk- und Zeitdarstellung. Puccinis Leben reichte weit ins 20. Jahrhundert, auch wenn man ihn eher in der Nähe des fast 50 Jahre älteren Verdi verortet, als an der Schwelle zur Moderne. Ein Irrtum wie Jacobshagen klarstellt. Puccini war für Jacobshagen „ein Perfektionist singulären Ranges. Er schuf eine Reihe von Werken for die Opernbühne, die sich neben ihren offenkundigen dramaturgischen, melodischen, harmonischen und instrumentationstechnischen Qualitäten vor allem durch die äußerste Präzision sämtlicher musikalischer Strukturen und Details bei konsequentem Verzicht auf Randständiges und Ausuferndes, auf Leerlauf und Redundanz auszeichnen. Puccini war ein Meister des Zuspitzens wie des Maßhaltens – Eigenschaften, die sich übrigens nicht nur in seinen Werken, sondern auch in seiner Persönlichkeit zeigen.“ Es lässt sich nicht abstreiten: Puccinis Musik trifft den Zuhörer ins Herz, aber es lohnt sich, diese Musik zu reflektieren, um zu erkennen, wie raffiniert das vermeintlich Seichte, das vermeintlich Konventionelle bei Puccini ist. In seinem „Trittico, einer „retrospektiven Zeitreise von der Gegenwart zurück bis ins hohe Mittelalter“ gewährt Puccini Einblick in seine Arbeitsweise. Mit „Gianni Schicchi“ legte er nach Verdis „Falstaff“ eine meisterhafte Komödie vor und bewies, dass die italienische Opera buffa, die oft totgesagt wurde, noch erstaunliche Lebenskraft hat. Der humorvolle Höhepunkt des „Trittico“ erzählt eine Posse um einen Erbschaftsstreit. Lauretta und Rinuccio wollen heiraten, aber dies geht nur, wenn sie ein Vermögen erbt. Um ihren Vater zu manipulieren, singt sie völlig unvermittelt in diesem Commedia- dell’arte-Durcheinander die herzzerreißende Arie „O mio babbino caro“, in der sie droht, vom Ponte Vecchio zu springen, falls der Vater sich nicht für sie einsetze. Löst man diese Arietta mit ihrer lyrischen Melodie aus ihrem Kontext, liegt der Kitschverdacht nahe, bettet man sie hingegen richtig ein, ist nicht zu übersehen, dass Puccini sich selbst mit Augenzwinkern ironisierte. So arbeitet er, wenn er berühren und bewegen wollte, was ihm das Wichtigste war, wie er einmal in einem Brief bekannte. Nicht nur bei Laurettas Vater wirkt das süße Gift des Wohlklangs, auch bei den Zuhörern. Das Bemerkenswerte ist jedoch, dass, auch wenn man um die Manipulationsabsicht weiß, es trotzdem wirkt. Ja, es macht sogar noch mehr Freude, sehenden Auges dem Sirenengesang auf den Leim zu gehen. Es ist der Gesang eines Trotzdem. „In gewisser Weise“ so betont Jacobshagen, „präsentiert sich das gesamte Werk als eine einzige gewaltige Ensembleszene der fünfzehn am Stück beteiligten Figuren, von denen alle nahezu ununterbrochen auf der Bühne anwesend bleiben, wie René Leibowitz hervorgehoben hat: ‚Gleichwohl erzeugt diese ständige Präsenz der Figuren keinerlei Immobilität oder Statik, denn es ist die Musik, der es in überwältigender Weise gelingt, die Bewegung und Aktion des Dramas zu konstituieren.‘ Hierin unterscheidet sich das Stück fundamental von den üblichen Gepflogenheiten der Opera buffa, für die der rasche Wechsel von Soloszenen, Duetten und größeren Ensembles konstitutiv ist und in denen gewöhnlich nur in den Finalnummern das gesamte Bühnenpersonal vereinigt ist. Dieser ständige szenische Wechsel fehlt in Gianni Schicchi, und selbst Lorettas berühmte Kurzarie ‚O mio babbino caro‘ steht nicht für sich isoliert, sondern erweist sich als Bestandteil der übergeordneten Ensemblestrukturen. Puccini kompensiert die szenische Uniformität vor allem durch extreme Besetzungsunterschiede und äußerste Flexibilität in der Orchesterbehandlung. Seine motivisch-thematische Arbeit beruht überwiegend auf kurzen melodischen Zellen, die einem kontinuierlichen Repetitions- und Variationsprozess unterworfen werden. …Präsentiert sich Puccini in der virtuosen Durchgestaltung dieser motivisch-thematischen Arbeit gleichsam als Neoklassizist, so beindruckt das suggestive Insistieren auf solchen Elementarstrukturen im Kontext der musikalischen Moderne durch ein erhebliches Innovationspotenzial.“

Puccini, so zeigt Jacobshagen, erweist sich auch und gerade „in seiner einzigen komischen Oper als ein Seismograph der musikalischen Moderne.“ Aber die Trotzdem-Haltung ist allen Opern Puccinis eigen: Zum einen, damit das Denken nicht übergangen wird, denn es verhindert nicht, sondern intensiviert die Gefühle durch Bewusstwerdung. Zum anderen, weil Puccini selbst diesen Umweg macht, in den meisten seiner zwölf Opern. Indem bitterste Wirklichkeiten nicht mit bitterer Musik dupliziert werden, sondern im Wohllaut daherkommen, manifestiert sich der Wunsch nach einer Gegenwelt als einem Trotzdem. Ganz anders Kitsch. Er evoziert falsche Gefühle. Damit hat Puccini nichts zu tun. Trotzdem zu lieben (und zu singen), leidenschaftlich und überschwänglich, davon erzählt Puccini mit seiner Musik. Verismus bedeutet in diesem Sinne, die wahre Radikalität des Gefühls erkennen. Puccinis Werke fordern vom Publikum einen Protest gegen eine Wirklichkeit, die die Wahrhaftigkeit verunmöglichen will. Puccini zu lieben bedeutet, sich zu diesem Trotzdem zu bekennen. – Die Oper erlebte mit Puccini einen Paradigmenwechsel, was schon am Beispiel seiner Geschlechterrollen und Operntitel sichtbar wird. Viele weiblichen Bühnengestalten in den Opern Puccinis sind Frauen, die liebend leiden oder leiden lieben. Die sich selbst opfern oder geopfert werden.  Puccini zeigt in seinen Opern acht Frauen-, aber nur zwei Männernamen Bei den beiden Giganten unter den Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts, Giuseppe Verdi und Richard Wagner, dominieren noch Männer im Werktitel. Puccini blieb seinen Idealen zu Musik und Theater treu. Er entfernte sich nie von der chromatischen Vielschichtigkeit am Ende der Romantik. Und doch fand sein Werk das Lob zahlreicher Kollegen: Strawinsky, Ravel und Schönberg – für den Puccinis Werk dasjenige Verdis übertraf – brachten ihre Bewunderung zum Ausdruck. Ein deutscher Journalist schrieb nach der Premiere von „Turandot“: „Puccini hat hier sicherlich die raffinierteste Musik seines Lebenswerkes geschrieben – sie reicht von Strauss zu Strawinsky über Mahler und Schönberg. Er kannte alles, wusste alles und konnte ungeheuer viel, besonders in der „Turandot.“ Puccini wird in der Regel als Vertreter des Endes einer Tradition gesehen, aber er hat den Speer weit in die Zukunft geschleudert. Anspielungen auf seinen Stil lassen sich in Werken von Janáček, Korngold, Orff und Berio hören (letzterer veröffentlichte 2001 seine eigene Ergänzung von Turandot). Unzählige Komponisten von Musiktheater- Musical und Filmmusik, von Rodgers und Hammerstein bis zu John Williams haben sich von seinem Werk hörbar beeinflussen lassen, ebenso der Jazzmusiker Al Jolson oder der Musicalkomponist Andrew Lloyd Webber. ‚Ein guter Musiker muss alles können, aber nicht alles geben‘ hat Puccini einmal treffend formuliert. Er hat sich immer aufs Wesentliche beschränkt. Die technologische Präzision seiner Partituren weist ihn als einen der ersten Repräsentanten der europäischen Moderne im Bereich des Musiktheaters aus.“ Das haben nach vielen Jahren der Ignoranz in den letzten Jahrzehnten zunehmend auch die Interpreten (Regisseure und Musiker) seines Musiktheaters erkannt.  „Angesichts dieser Gegebenheiten sollte heute eigentlich Niemand mehr leichtfertig den Fehler begehen, Puccini als Komponisten zu unterschätzen. Zwar war es in gewissen High-Brow-Milieus lange Zeit üblich, Puccini mit Missachtung zu begegnen. Kurt Tucholskys Diktum, Puccini sei der ‚Verdi des kleinen Mannes‘ spiegelt besonders die Ansichten jener Kreise wider, die auch in Verdi bloß den reißerischen ‚Leierkastenmann‘ sehen wollten… Noch immer sind zahllose, darunter sehr namhafte Autoritäten aus allen Bereichen des Musik- und Wissenschaftsbetriebs recht anfällig für solche Fehleinschätzungen.“ Jacobshagen ist nichts hinzuzufügen. Er hat eine Summe der Auseinandersetzung mit Puccini von seiner Zeit bis heute ist gezogen. Eindrucksvolles Fotomaterial, ein Werkverzeichnis, eine informative Bibliographie und verschiedene Register machen das Buch zum neuen Standardwerk (Arnold Jacobshagen: Giacomo Puccini und seine Zeit; 408 Seiten mit 31 Abbildungen und 15 Notenbeispielen. Geb./ Große Komponisten und ihre Zeit 27; ISBN 978-3-89007-807-6). Dieter David Scholz

Aus gegebenem Anlass

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Genau neun Jahre ist es her, dass eine reine Puccini-CD mit Jonas Kaufmann auf dem Markt erschien, nun gibt es eine neue mit dem Titel Puccini : Love Affairs, als könnte es   bei Puccini noch um etwas bemerkenswert Anderes als die Liebe gehen. War 2015 die einzige Partnerin im vorwiegend mit Tenorarien bestückten Album  Kristina Opolais,  so begleiten heute gleich sechs Diven den deutschen Tenor, der nur zweimal mit einer Arie vertreten ist. Sang er zuvor „Recondita armonia“ aus Tosca, so nun “E lucevan le stelle“ mit seinen enormen Anforderungen an die Fähigkeit des Sängers, zwischen einem zum Forte führenden Crescendo und einem ins Pianissimo geleitenden Diminuendo zu wechseln, wobei die alten Stärken, eine hochpräsente, baritonal gefärbte tiefe Lage und eine darstellende Stimme sowie auch die Schwächen, ein Piano, das eigentlich keines, sondern eher ein leises Forte ist, zum Schluss der CD noch einmal Revue passieren. Unmittelbar davor zeigte sich beim Bohéme-Rodolfo und seinem „Che gelida manina“  , dass Kaufmann dieser Partie bereits entwachsen ist, dass er zwar um das für die Rolle Notwendige weiß, ohne es auszuführen, mit schwerer gewordener Stimme zu schwärmerisch beim Mitteilen von Informationen, zu sehr bemüht ist, in einer Phrase extreme Gefühlsregungen gleichzeitig unterzubringen, Gegensätze auszureizen.

Es beginnt mit dem den ersten Akt von Bohéme beschließenden „O soave fanciulla“, in dem der Tenor eine starke, dunkle Mittellage hören lässt, aus der die Stimme nicht bruchlos in eine flacher klingende Höhe klettert, begleitet von dem Sopran Pretty Yendes, der an dolcezza, wie sie einer Mimi gebührt, kaum zu überbieten ist.   Ein wesentlich dramatischeres Kaliber setzt Anna Netrebko für das Duett im zweiten Akt von Manon Lescaut ein, das auch auf der alten Puccini-CD zu hören war, das aber bei den jetzigen Stimmen weit besser aufgehoben ist, die angemessen dunkel, schwer und eine bittere Erfahrung hörbar machend sind. Das reiche Timbre des Soprans passt gut zum stählernen „ Non m’ami più“, zwei Hochdramatische ringen akustisch miteinander, können einander aber auch schmeichelnd anhimmeln im „È fascino d’amor“, und nur wenn es nach oben wie in „Nel occhio tuo profondo“ geht, wird es eng.

Heller, leichter, weicher, aber durchaus eine gestandene Tosca ist im Duett des ersten Akts Sonya Yoncheva, verführerisch im Ausmalen der nächtlichen Freuden,  während der Tenor reich an vokalen Facetten ist, um Belustigung, Ungeduld oder Schwärmerei auszudrücken, letzteres besonders im „Qual’occhio“.  Wie in der Manon erweist es sich als glückliche Entscheidung, längere Szenen vokal aufzuführen, die es dem Hörer ermöglichen, sich wirklich ein akustisches Bild zu malen. Dazu gehört auch der vernehmbar liebevolle Spott, mit dem der Sopran“ l’arte di farti amare“ argumentiert.

Aus dem ersten Akt der Fanciulla stammt das Duett, in dem auch noch die Walzermelodie  nachhallt, Malin Byström ist eine akustisch klare, helle, in der Höhe etwas schrille Minnie, er ein wie weichgespült klingender, sanfter, sehr kommunikativer Dick, der zu einem zärtlich-zarten „Quelle che tacete“ fähig ist, allerdings auch gern innerhalb einer Phrase die Extreme auslotet. Dem Luigi in Il Tabarro verleiht Kaufmann seinen unverwechselbaren Charakter im hochdramatischen Ausbruch, sie ist Asmik Grigorian mit geschmeidigem Sopran voller Sehnsucht. Das letzte Duett ist das aus dem ersten Akt der Butterfly, die Maria Agresta mit rundem, warmem Sopran schönster Pianissimi singt, er lässt alle Gedanken an „la sposa americana“ vergessen mit geradezu orgiastischem Aufblühen der Tenorstimme, selten hörte man den Schluss des ersten Akts derart üppig.

Das Orchestra del Teatro Comunale di Bologna unter Asher Fischer erweist sich als routinierter Begleiter der Creme de la Creme des Soprangesangs in Verein mit dem Ausnahmetenor in guter stimmlicher Verfassung (Sony 19802896702). Ingrid Wanja     

Perfekte Unterhaltung

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Beim roten Samtvorhang von Covent Garden fällt als erstes auf, dass er nicht mehr die Buchstaben E und R der verstorbenen Königin Elizabeth trägt, beim Cover der Blu ray für Donizettis L’Elisir d’Amore aus dem britischen Opernhaus, dass nicht Nemorino oder Adina das Cover zieren, sondern der Dulcamara. Dieser wird aber, und das erklärt alles, von keinem Geringeren als von dem Waliser Bryn Terfel gesungen und in noch bemerkenswerterer Weise dargestellt.

Laurent Pelly ging mit dem immer wieder durch seinen Melodienreichtum entzückenden Stück sehr sorgsam um, sein Nachfolger darin, Paul Higgins, hat die Produktion sorgsam wiederaufbereitet und lässt sich in dem Bühnenbild von Chantal Thomas ein munteres Landleben entfalten. Das spielt sich in einem eher kargen Landstrich Italiens ab, ohne südländische Üppigkeit, eher in der Emilia mit vielen Strohballen, auf denen man sich nach harter Arbeit ausruhen kann, auf denen sich Adina ein kleines Bücherregal aufgestellt hat und in das eine Landmaschine hereinragt, die eher an die Nachkriegsfilme des Neorealismus denken lässt als an Donizettis Zeit. Auch der zweite Akt mit der ärmlichen Taverne und dem Hochspannungsmast und die Kostüme weisen in die späten Vierziger des vergangenen Jahrhunderts. Ein Kunstwerk für sich ist das Plakat, mit dem Dulcamara für seine zweifelhaften Produkte wirbt.

Natürlich ist Bryn Terfel, längst ein Wotan und vieles andere Schwere, dem Dulcamara seit langem entwachsen, es fehlt ihm für den Belcanto die Leichtigkeit der Emission, er könnte eher aus den Pagliacci entsprungen sein, über Verzierungen wird gern hinweg gehuscht, aber dafür dem darstellerischen Affen ordentlich Zucker gegeben, insbesondere beim Rollenspiel als Senatore Tredenti und im listigen Beiseitesingen.

Ein rundliches Landei von Nemorino ist Liparit Avetisyan, trotzdem behände und beweglich, ein gewandter Darsteller und mit einer strahlenden Höhe begabt. Lediglich für „Una furtiva lacrima“ wünschte man sich noch mehr lyrisches Potential. Schlank, dunkel und schmuck ist der Belcore von Boris Pinkhasovich optisch wie vokal, der  besonders im Duett mit Nemorino sowohl geschmeidig wie markant erscheint.  Zauberhaft anzusehen ist die Adina von Nadine Sierra, hochpräsent, charmant und beweglich in Gestalt und Stimme. Sicher bewältigt sie die Intervallsprünge, sehr gefühlvoll erklingt „Prendi…“ und beim „Resta…“ baut sie raffinierte Verzierungen ein.

Am Schluss kann man sich nicht nur darüber freuen, eine szenisch perfekte, vokal zufriedenstellende Aufführung genossen zu haben, sondern auch noch über doppeltes Liebesglück, da sich Belcore mit Gianetta getröstet, diese sich schnell Belcore geschnappt hat. Chor und Orchester des Royal Opera House unter Sesto Quatrini sorgen dafür, dass das Vergnügen ein ungetrübtes ist (Opus arte 8073230). Ingrid Wanja  

Weltkriegs-Musik

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Das Echo der Zeit nennt sich ein 465 Seiten umfassendes Buch von Jeremy Eichler mit dem Untertitel Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege. In diese Zeitspanne fügen sich zumindest Teile des Lebens von vier ausgewählten Komponisten, nämlich Richard Strauss, Arnold Schönberg, Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch und vier Orte, die für ihr  Schaffen bedeutsam waren, nämlich Garmisch-Partenkirchen, Los Angeles, Coventry und Babyn Jar, dazu vier Werke, die vom Zweiten Weltkrieg geprägt wurden, Metamorphosen, Ein Überlebender aus Warschau, War Requiem und die 7. (Leningrader) und die 13. Sinfonie Schostakowitschs.

Es beginnt und endet jedoch mit der jüdischen Familie Mendelssohn-Bartholdy, insbesondere mit Moses und Felix, dessen vierzig Jahre nach seinem Tod errichtetes, von den Nazis geschleiftes und nach dem Krieg wiedererrichtetes Denkmal der Autor mehrmals aufgesucht hat und dessen Betrachtung ihn zu dem Fazit bringt, dass allein die Musik, nicht das Denkmal in der Lage sei, die „Sensibilität zu schaffen“, die verhindern könne, dass sich die Gräueltaten des 20.Jahrhunderts wiederholen.

Quasi als ein Gleichnis sieht er die aus der Grimmschen Märchensammlung stammende Geschichte vom Juden im Dorn an, in der der das eigentliche Opfer einer Untat schließlich gehenkt wird.

Ganz zu Beginn jedoch stellt der Verfasser einen verträumt an dem später als Goethe-Eiche verehrten Baum lehnenden Dichterfürsten einen KZ-Häftling gegenüber, der aus dem nach einem Luftangriff auf das KZ Buchenwald halb verkohlten Baumstumpf eine Totenmaske schnitzt. Hier und immer wieder wird deutlich, wie sehr dem Autor der hohe Anspruch und das große Ansehen der deutschen Kultur, insbesondere der Musik im Kontrast zu den unbeschreiblichen Gräueltaten von Angehörigen des Volks, das sie hervorbrachte, zu schaffen macht.

Der Autor ist ein amerikanischer Jude mit wohl deutschen Wurzeln, und so ist es verständlich, dass sein Buch sich mehr (Strauss) oder weniger mit dem Verhältnis der vier Komponisten zum Judentum oder zu einzelnen Juden beschäftigt. So wird, was Richard Strauss betrifft, das zu Stefan Zweig betrachtet, aber auch das Einspringen für den entlassenen Bruno Walter, wobei vergessen wird, dass das entsprechende Orchester Strauss darum bat und dieser dem Orchester seine Gage überließ. Hin und wieder schleichen sich in die umfassenden und von Leidenschaft für das Sujet geprägten Ausführungen auch Fehler ein, so die Annahme, dass Strauss seine beiden Enkelsöhne davor bewahrte, die Armbinde mit dem Judenstern, zu deren Tragen auch „Mischlinge ersten Grades“ verurteilt gewesen wären,  umbinden zu müssen. Da wird eine Armbinde mit dem anzuheftenden Judenstern verwechselt, den übrigens Menschen mit nur einem jüdischen Elternteil nicht trugen. Insgesamt aber ist der Leser von der Wissensfülle des Buches überwältigt, von der unüberlesbaren tiefen Liebe Eichlers für die Musik gerührt. Diese allerdings hindert ihn nicht daran, Verhaltensweisen während der Naziherrschaft vom Standpunkt dessen, der wusste, wie alles endete und was wirklich geschah, wesentlich schärfer zu beurteilen als zum Beispiel das Verhalten eines Schostakowitsch in der Diktatur Sowjetunion. Das wundert etwas, wenn er selbst mitteilt, dass die jüdische Schwiegertochter Strauss‘ nach dem Kriege versicherte, man habe erst nach Kriegsende von den Gräueln der KZs erfahren. Stellenweise hat man den Eindruck, der Autor leide selbst an einem Hin-und Hergerissensein zwischen der Bewunderung der Straussschen Musik und dem Abscheu gegenüber dessen Verhalten im Dritten Reich. Selbst bei der Betrachtung von Gedenktafeln für gefallene Garmischer, die deren Familien veranlassten, drängt sich ihm die Vorstellung auf, der eine oder andere hätte ein Täter sein können.

Es geht weiter mit Arnold Schönberg, dessen Bestreben es war, der deutschen Musik ihre Weltgeltung zu sichern und der doch fern von Wien oder Berlin im sonnigen Kalifornien sein Leben beschließen musste. Die Entstehungsgeschichte von A Surviver from Warsaw, die Luigi Nono als den dritten Akt der unvollendeten Moses und Aron ansah, die immerhin mit Sherill Milnes, aber ansonsten unzureichenden Kräften gestaltete Uraufführung in den USA, die über die Grundstein nicht hinausgelangende Errichtung eines amerikanischen Holocaust-Denkmals sind Gegenstand der Schönberg gewidmeten Kapitel, in denen auch eine Auseinandersetzung mit Adornos Meinung, man dürfe menschliche Qual nicht in ästhetischen Genuss umwandeln, ihren Platz hat. Mit dem Bericht von der Überführung der Asche Schönbergs von Los Angeles nach Wien endet der erste Teil des Buchs.

Im zweiten Teil geht es um Brittens War Requiem und Schostakowitschs 7. Sinfonie, auch Leningrader genannt, und seine Vertonung von Jewtuschenkos Babyn Jar , um die späte Freundschaft zwischen beiden Komponisten, deren einer von der Diktatur gequält, der andere durch Kriegsdienstverweigerung und Homosexualität stigmatisiert war. Obwohl sich Britten danach gedrängt hatte, Menuhin auf seiner Konzertreise für DPs zu begleiten und unter andrem das Konzentrationslager Bergen Belsen besucht hatte, blieb dieses Erlebnis ohne Folgen für die Gestaltung des War Requiems, was den Verfasser ebenso mit Verwunderung erfüllt wie die Tatsache, dass die Briten sich mit nur einem Gedenkstein für die Toten beider Weltkriege begnügen. Hier und immer wieder ist man über die hoch poetische Sprache des Autors erstaunt, wenn man Sätze liest wie: „Die Jahre zerschmolzen, und die Vergangenheit trieb einfach so dahin, befreit von der Herrschaft der Zeit.“

Der letzte Teil des Buches widmet sich Babyn Jar und der hier stattgefunden habenden Ermordung von 33 000 Juden aus Kiew durch die Nazis, der Verschweigung des Verbrechens durch die Sowjets und dem Gedenken durch Jewtuschenko und Schostakowitsch. Voraus geht jedoch der Beitrag über die 7. Sinfonie und das 2. Klavier-Trio, die Rolle Ilja Ehrenburgs wird erörtert, allerdings nicht sein in Deutschland bekannter Aufruf, die deutschen Frauen betreffend. Auch hier spürt der Verfasser jüdischen Elementen nach, so im Trio, ist enttäuscht über die Unauffindbarkeit der Schlucht, in der die Kiewer Juden starben, und deckt auf, wie die Sowjets sogar noch 1970 versuchten, neben den Nazis die „Zionisten“ für das Verbrechen verantwortlich zu machen.

Am Schluss findet der Leser den Autor am Fuß des Mendelssohn-Denkmals in Leipzig, an dem er noch einmal daran erinnert, wie der Komponist mit der Aufführung von Bachs vergessener Matthäus-Passion die „Grundlage für eine neue Kulturnation“ geschaffen habe, und er verabschiedet sich von dem Buch mit Staunen und Bewunderung für des Verfassers Wissen um und Liebe zur Musik und mit der Einsicht, dass eine gewisse Akzentsetzung mehr als nachvollziehbar ist.

Der reichhaltige Anhang umfasst Danksagung, Bildnachweise, Zitatgenehmigungen, Anmerkungen, Personenregister

Ausdrücklich hervorzuheben ist die einfühlsame Übersetzung ins Deutsche durch Dieter Fuchs (Jeremy Eichler: Das Echo der Zeit- Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege; Klett Cotta 2024; 463 Seiten; ISBN 978 3 608 96586 5). Ingrid Wanja