Archiv für den Monat: Juni 2015

Opernhaft-Seltenes

Wie wenige kennen heute noch Musik von Saverio Mercadante (1795-1870). Als Konzertkomponist hat nur das Flötenkonzert in e-Moll eine gewisse Popularität behalten. Mit seinen Opern (ca 60 finden sich im Werkverzeichnis) war Mercadante zu seiner Zeit schnell erfolgreich, seine 1821 in der Mailänder Scala aufgeführte Oper Elisa e Claudio kam innerhalb eines Jahres 58 mal zur Aufführung und bescherte ihm europäische Aufmerksamkeit und Aufenthalte in London, Paris, Barcelona und Madrid. 1831 übernahm er als Maestro di cappella die Kathedrale von Novara im Piemont und komponierte Musik für den liturgischen Gebrauch bevor er dann die Musikkonservatorien von Bologna und ab 1840 von Neapel leitete, wo er bis zu seinem Tod 30 Jahre später Direktor blieb. Das verdienstvolle italienische Label Bongiovanni widmet ihm nun als Komponisten von Kirchenmusik seine Aufmerksamkeit. Die hier vorliegende Ersteinspielung der Messa a grande orchestra per quattro voci wurde durch Zufall in den Archiven der Diözese von Molfetta gefunden. Belegt ist eine Aufführung 1828 in Foggia – ob als Auftragswerk oder Nachspielung ist unklar. Die CD-Aufnahme erfolgte im Juli 2014 in der Chiesa della Misericordia in Foggia und belegt, dass Mercadante auch als Kirchenmusiker gerne Opernkomponist blieb: Die orchestrale Einleitung zum Gloria erinnert an Rossini, das Gratias agimus tibi an Donizetti. Zu hören sind opernhafte Arien, bei denen die Stimmen durch Einzelinstrumente kontrastiert werden und unmittelbare Belcanto-Assoziationen geweckt werden. Aber Mercadante kann auch anders: Im Kyrie eleison dominiert der Chor und erinnert an klassische Vorbilder nördlich der Alpen, das innige und schöne Qui tollis peccata mundi für vier Einzelsänger verzichtet ebenfalls auf opernhafte Momente. Will man diese Messe in einen zeitgeschichtlichen Kontext stellen, bietet sich zum Vergleich die 1828 komponierte und 1829 uraufgeführte Messe in Es-Dur D950 von Franz Schubert an, die im Gesamtausdruck allerdings unmittelbarer, tiefer und überzeugender trifft. Ergänzend ist ein a-capella-Werk Mercadantes auf der CD: das Requiem breve a quattro voci senza accompagnamento, zu dem sich das Beiheft ausschweigt. Es scheint 1836 während seiner Tätigkeit in Novara entstanden zu sein. Ein Werk mit gregorianischen Anklängen, das weit mehr als die Messa a grande orchestra Kirchenmusik ist und liturgische Normen befolgt und für den liturgischen Alltag geschaffen ist. Mercadante konnte auch dies. Eine CD, die zeigt, wie vielfältig das Schaffen des Komponisten war.
Musikalisch und sängerisch ist hier eine engagierte und schöne Einspielung gelungen: das Sängerquartett aus Sopran Annarita di Giovine Ardito, Mezzosopran Angela Bonfitto, Tenor Vincenzo di Donato und Bassist Matteo d’Appolito sowie Orchester und Chor der Capella Musicale Iconavetere unter Dirigent Agostino Ruscillo spielen und singen überzeugend. Ein gelungener Baustein  Bongiovannis, bei der Mercadante wieder und auf andere Weise neu entdeckt werden kann.  (Label: Bongiovanni, GB2471-2). Marcus Budwitius

Auf youtube kann man sich eine italienische Einführung des Dirigenten Agostino Ruscillo anhören, der auch den Autographen der Messe transkribierte.

Sanfte Triller

 

Metastasios Libretto Catone in Utica kennt der Opernfreund durch Vivaldis Vertonung, die in einer Einspielung mit Alan Curtis bei naïve vorliegt. Das Dramma per musica wurde 1737 am Teatro dell’Academica Filarmonica di Verona uraufgeführt. Neun Jahre früher erlebte die Version von Leonardo Vinci als Tragedia per musica in Rom ihre Premiere. Das Stück behandelt Ereignisse um Politik, Liebe und familiäre Verstrickungen zwischen Cäsar und Cato, einem ehemals republikanischen Senator, der nach Numidien, dem heutigen Tunesien, geflohen war. Die Hauptstadt Utica wird von Cäsar belagert; Cato will seine Tochter Marzia mit einem Freund, Prinz Arbace, vermählen. Sie jedoch liebt Cäsar, was zu ihrer Verbannung durch den Vater führt. Ein paralleler Handlungsstrang betrifft Emilia, Witwe des Pompeo, die Rache für ihren ermordeten Gatten fordert und sich dafür der Hilfe von Cäsars General Fulvio, der sie begehrt, bedient.

Decca bringt die Oper in Zusammenarbeit mit Parnassus Arts Productions als Weltersteinspielung auf drei CDs heraus (478 8194). Die Firma hofft, damit an den Sensationserfolg von Vincis Artaserse anknüpfen zu können, den Virgin 2012 als CD-Gesamtaufnahme und Erato als DVD-Mitschnitt einer Inszenierung in Nancy veröffentlicht haben. Eine Sensation war die Besetzung mit fünf Countertenören bzw. Sopranisten, womit an die Uraufführung erinnert wurde, in der Kastraten diese Rollen interpretierten, da Frauen von den Bühnen Roms verbannt waren. Fast identisch damit ist nun auch der Besetzungszettel von Vincis Catone mit diesmal vier Vertretern dieser Stimmgattung, ergänzt um zwei Tenöre. Einer davon ist der Spanier Juan Sancho in der Titelrolle, der bereits im Artaserse in Nancy mitgewirkt hatte, der andere der Österreicher Martin Mitterrutzner als römischer Gesandter Fulvio.

Beide Tenöre sind stilistisch exzellent und erfreuen mit  klangvollen Stimmen. Sancho verfügt für die Titelrolle über die nötige Attacke und Koloraturgeläufigkeit à la Idomeneo. Gleich die erste Arie verlangt ihm Töne in der Extremhöhe ab, die zweite in der Art einer aria di caccia lässt ihn viril auftrumpfen und mit virtuosen Koloraturgirlanden glänzen. Ein Glanzstück ist „Dovea  svenarti“ gegen Ende des 2. Aktes, wenn er den rasenden Zorn über seine ungehorsame Tochter mit geradezu explodierenden Affekten ausdrückt. Der junge Österreicher, bei den Salzburger Festspielen 2013 als Ferrando erfolgreich, überzeugt als Fulvio mit weichem, schmeichelndem Tenor in vorwiegend lyrischen Arien, kann aber zu Beginn des 3. Aktes bei „La fronda“ auch mit männlicher Energie auftrumpfen und mit mühelosen Koloraturläufen imponieren.

Die Idee zu diesem Projekt ist einmal mehr Max Emanuel Cencic mit seiner Agentur und CD-Firma Parnassus Arts Productions zu danken. Er selbst singt den Arbace, Catones Freund und Liebhaber von dessen Tochter Marzia. Die Stimme klingt ausgeglichen und gerundet, betört in den wiegenden, zärtlichen Nummern, hat aber im „Combattuta da tante vicende“ des 3. Aktes auch Gelegenheit, mit erregtem Duktus die seelische Verwirrung der Figur plastisch zu umreißen.

Valer Sabadus, der schon im Artaserse in einer weiblichen Rolle zu erleben war, gibt die Marzia und becirct erneut mit seinem kosenden Timbre, dem Liebreiz und kokett-verspielten Ausdruck, den virtuos getupften staccati, dem auch in der Extremlage mühelos jubilierenden Ton. Mit seiner weichen, zärtlichen Stimme hat er keinerlei Probleme, eine weibliche Rolle zu gestalten. Dennoch bekommt er im 3. Akt – bei „Confusa, smarrita“ – die Möglichkeit, einen Zustand höchster Erregung gesanglich impulsiv umzusetzen, was ihm bravourös gelingt. Neu in Cencic’Countergemeinde ist der Südkoreaner Vince Yi, der mit seiner Sopran-Tessitura und dem kindlichen Klang der Stimme die Emila glaubhaft darstellt. Aus den zärtlichen, sehnsuchtsvollen, lieblichen Arien sticht „O nel sen di qualche stella“ durch den beherzten vokalen Zugriff heraus. Und dann ist Franco Fagioli als Cesare, der schon in seiner ersten Arie, „Nell’ardire che il seno“, mit schmeichelndem Klang  und berückenden Trillern entzückt, in „Chi un dolce amor“ mit sanft wiegendem Ton  verzaubert. Bei „Soffre talor del vento“, einer im Barock typischen Arie mit den Sinnbildern von Meer und Sturm, kommt schließlich der Moment, wo Fagioli mit seiner unvergleichlichen Bravour und Emphase brillieren kann. Virtuose Koloraturläufe in halsbrecherischem Tempo, effektvoll eingesetzte Extremtöne in der Höhe wie Tiefe, zauberhaft getippt staccati und schier endlose legato-Bögen – der Sänger bestätigt erneut seinen Ausnahmerang unter den Vertretern seines Fachs. Im 2. Akt kann er das bei „Se in campo“, einer von Fanfarengeschmetter eingeleiteten aria di battaglia, nochmals unterstreichen durch den erregten Ausdruck, die flamboyanten Koloraturattacken – wahrhaft eine tour de force des barocken Ziergesangs.

Vincis Musik bietet vor allem im letzten Akt Arien von dramatischer Vehemenz, sorgt kurz vor Schluss mit dem Quartett der vier Hauptpersonen „Deh! in vita ti serba“ noch für eine ungewöhnliche Nummer, welche die gänzlich überraschende Scena ultima als Recitativo accompagnato noch toppt. Unspektakulärer verklingt wohl kein zweites Werk der Gattung. Riccardo Minasi lässt es mit dem Ensemble Il Pomo d’Oro dennoch in aller Pracht erklingen. Mit seinen rhythmisch markanten Einleitungen der Arien gibt er den Sängern eine inspirierende Vorgabe, sorgt aber auch in den wenigen instrumentalen Teilen – so der mit Donnerschlägen vehement einsetzenden dreiteiligen Sinfonia – für packende Wirkung. Bernd Hoppe

Leonardo Vinci: Catone in Utica (Sancho, Fagioli, Cencic, Sabadus, Yi, Mitterrutznerr; Il Pomo d’Oro, Riccardo Minasi)  3 CD Decca 478 8194

 

Contralto assoluto

„Wenn man sie zum ersten Mal hört, ist die Stimme nicht schön im üblichen Sinn: sie ist nicht weich, nicht sanft. Aber sie verfügt über Qualitäten, die weit seltener zu finden sind als das „Schöne“. Es gibt viele „schöne“ Stimmen, die dieses Repertoire singen können. Sie hat eine sehr umfangreiche Stimme, die sowohl in der Höhe wie in der Tiefe kraftvoll klingt. Sie ist außerordentlich“. So schwärmt Alberto Zedda, mit dem Ewa Podles eine ihrer Paraderolle, Rossinis Tancredi, aufgenommen hat (Naxos). Immerhin den Tancredi. Denn die offizielle Diskografie ist ausgesprochen übersichtlich angesichts einer derart außerordentlichen Stimme, die sich die großen Häuser bei ihren Rossini- oder Barock-Planungen sofort hätten sichern müssen. Haben sie aber nicht. In Brigitte Cormiers (bislang nur in Französisch geschriebener) Biografie Ewa Podles, contralto assoluto reihen sich Enttäuschungen und Rückschläge ebenso aneinander wie Erfolge und Höhepunkte. Zurück zu Zedda, der davon berichtet, wie die nach Pesaro geschickte Aufnahme auf ihn wirkte, „was für eine merkwürdige Stimme“, das französische drȏle, eigentlich komisch, ist sogar noch stärker. Doch er erkannte, was man/er mit dieser Stimme machen konnte.  Zugleich war ihm bewusst, dass man in Italien eine schönere 8i. e. konventionellere) Stimme bevorzugen würde. Noch 2006 versicherte er Cormier, „wenn man einen wirklich großen Kontra-Alt für Rossini möchte, gibt es heute keinen anderen Namen als Ewa Podles“.

„Sie lässt die Wände erzittern, die Berge sich erheben, sie schlägt Wellen. Ewa hat nie jedermann gefallen, weil ihre Kunst auch ein Schock ist, schreibt Marc Minkowski im Vorwort, „doch jeder Auftritt ist unvergesslich“. Marc Minkowski ist der andere Dirigent von Rang, der ihr zu großen offiziellen Aufnahmen verhalf, dem Ariodante bei der Archiv Produktion der Deutschen Grammophon und Orphée aux enfers bei der EMI, in letzter sang sie die Öffentliche Meinung, zu der sie der Maestro erst überreden musste.

Doch Cormier ist bemüht, nicht nur ein auf anbetenden Knien geschriebene Künstlerbiografie vorzulegen, sondern ein Bild vom aufgewühlten Polen, also Zeitgeschichte, zu vermitteln, und geht zurück zum Vertrag von Versailles, nach dem Ewas Mutter geboren wurde, die nach dem Zweiten Krieg am Teatr Wielki sang und ihre Laufahn aufgrund eines Unfalls aufgeben musste, bis hin zu Jaruzelski, dem von ihm verhängten Kriegsrecht, Lech Walesa und der Solidarnosc sowie dem Fall des Eisernen Vorhangs. Ohne diesen zeitgeschichtlichen Hintergrund, die Zeit der Mängel und der Entbehrungen, wäre manches nicht verständlich. Neben dem Preis, den Podles beim Moskauer Gesangswettbewerb errang, waren wahrscheinlich vor allem der Telefonanschluss, der ihr anschließend sofort gelegt wurde, und die Erlaubnis, einen Fiat zu kaufen, von Bedeutung. Ewa, 1952 geboren, atmete von Anfang an Theaterluft, saß als Kind der Butterfly von Alina Bolechowska auf dem Schoß und rührte durch ihr echtes Spiel nicht nur die eigene, in den Kulissen stehende Mutter. Die Belochowska wurde später am Warschauer Konservatorium ihre Lehrerin und Vertraute, die sie auch zu zentralen Aufgaben ins Ausland begleitete. Als Studentin sang Ewa 1975 die Dorabella, ab 1977 wurde sie zu Wettbewerben geschickt, u. a. nach Athen, Genf und eben auch Moskau, wo damals Ludmilla Semtschuk den ersten Preis erhielt, dann Rio, Toulouse. 1977 erfolgte am Teatr Wielki als Rosina ihr offizielles Debüt. Obwohl sie dem Haus über Jahre als festes Mitglied angehörte, dort anfangs Lola, Pauline, später Cenerentola, Isabella als Einspringerin für Bartoli, Kontschakowa, 1998 Ulrica, 2006 Tancredi und 2010 die Klytämnestra sang, war das Verhältnis kein ungetrübtes. Bei einem der Wettbewerbe lernte sie den Pianisten Jerzy Marchwinski kennen, den sie 1980 heiratete – ihr Anker und Felsen. Sie gab viele Liederabende, sang in Konzerten, freundete sich mit Penderecki an, dessen Werke sie allüberall sang, gab in ihrer Heimat Gastspiele als Carmen, sang 1994 in Posen Arsace, den sie wenige Jahre später auch am Teatr Wielki wiederholen konnte, oder später auch die Azucena. Es bleibt der Eindruck, dass Podles, trotz der unzähligen Auftritte in ihrer Heimat, vor allem am Wielki, nie die gebührende oder erhoffte Wertschätzung erfuhr.

Ewa Podles: Ciro in Babilonia, 2012/youtube

Ewa Podles: Ciro in Babilonia, 2012/youtube

Zunächst erstaunt es, doch dann stellt es sich als nicht ungeschickt heraus, dass Cormier erst das Polen-Kapitel abschließt, dann die Karriere in Frankreich sowie abschließend die weitere internationale Karriere beschreibt. Zu Frankreich gehört das wenig erfolgreiche Debüt in Aix-en-Provence 1984 als Rosina in einer offenbar insgesamt nicht sehr bemerkenswerten Produktion, nicht verhehlt werden die Enttäuschungen über Hugues Gall und Stéphane Lissner, dazu Rückschläge, weil man sie in Produktionen schlecht behandelte oder Zusagen nicht einhielt. Eine Tatsache, die sich auch später wiederholt. Von daher sind alle Auftritte, das Debüt an Covent Garden 1990, der Tancredi in Venedig und an der Deutschen Staatsoper (in dessen Zusammenhang Geerd Heinsen mit „Contra-Alt mit hohem C“ zitiert wird), der Rinaldo 1984 an der Met, dem erst 24 Jahre später wenige Auftritte als La Cieca folgten, die Isabella an der Deutschen Oper usw. und die schönen Erfolge in Kanada immer Momentaufnahmen. So auch Pesaro zuletzt mit dem hinreißenden Ciro in Babilonia. Doch nie – oder selten bzw. erst nach vielen langen Jahren – folgen neuerliche Einladungen. Podles: eine außerordentliche, bedeutende Sängerin mit einer gebrochenen Karriere. Vielleicht bringen ihr die Partien der späten Jahre, darunter die Klytämnestra, Madame de la Haltière, Ulrica, Erda, Jezibaba, Madame de Croissy, die Gräfin in Pique Dame und die Babuschka in Der Spieler so etwas wie eine Wiedergutmachung (Edition Symétrie, ISBN 978-2-914373-56-2). Rolf Fath

 

Ewa Podleś (Cesare), Alexandra Deshorties (Cleopatra) in Handel’s "Giulio Cesare in Egitto" in Seattle, 2006. © Chris Bennion

Ewa Podleś (Cesare), Alexandra Deshorties (Cleopatra) in Handel’s „Giulio Cesare in Egitto“ in Seattle, 2006. © Chris Bennion/Seattle Opera

Als Nachtrag sei mir gestattet, aus eigenem Erleben von ihr zu schwärmen, denn sie zählt nach der unvergessenen Lucia Valentini Terrani (und eben nicht der brassigen, wenngleich hochverdienstvollen Marilyn Horne) zu den stärksten Eindrücken meiner Rossini-Erlebnisse. Ich gestehe, ich bin ihr nachgereist und habe versucht, sie so oft wie möglich zu erleben, habe mit unterschiedlichem Erfolg versucht, CD-Firmen und Opernhäuser für sie zu interessieren, namentlich die beiden Häuser in Berlin, an denen sie als Tancredi, Arsace und Isabella mit unendlichem Aplomb augetreten ist. Besonders die Semiramide in der fragwürdigen Geranienproduktion der Hausherrin Harms zählt wegen ihr, Simone Alaimo und Darina Takova zu den Sternstunden meiines Opernlebens, wo sie – im ungünstigen Herrenanzug einen absurden Lidl-Einkaufswagen vor sich herschiebend und dazu mit elenden Ischiasschmerzen – über alle Widrigkeiten triumphierte und das Publikum in Frenesie versetzte. Ihr Tancredi im Wechsel mit Kathleen Kuhlmann und (weniger günstig) Jochen Kowalski am anderen Haus war für Berliner eine Lehrstunde in Belcanto/Rossini, ebenso die robuste Isabella in der lustigen DOB-Inszenierung. Das hatte man so noch nie gehört – drei Oktaven mit krönendem hohem C. Enorm. Ihre Auftritte in Pesaro, nicht nur ungewohnt humorvoll in der Rossini-Kantate, sondern vor allem in dem farbschönen Ciro in Babilonia, belegten erneut ihre hohe Kunst, nicht zu vergessen den originalsprachigen Orphée mit eingelegter Berlioz-Arie in Belgien (und später bei Forlane auf CD) – das war seit Alice Raveau das erste Mal in moderner Zeit. Was für eine Virtuosa, dazu eine mit viel Herz und Humor, der sich in privaten Gesprächen immer wieder zeigte. Als große Überraschung erreichten mich später ihre Dokumente als Erda aus Seattle oder ihre bejubelte Ulrica mit (endlich) sonorem Bass-Grund und ihre gruselige Klytämnestra aus Warschau. Insofern sieht ihre Karriere für ihre Fans (zu denen ich mich ungeschmälert zähle) sicher anders, glanzvoller, eindrücklicher aus als für sie selber. Und es ist mit Betroffenheit, dass ich von ihrer „gebrochenen“ Karriere lese, die sie selber ganz offensichtlich so empfand. Sie kam sicher spät erst in den Westen, vielleicht zu spät für ihre eigene Einschätzung. Daran ändert auch der (dto.) späte Jubel im eigenen Land nichts (den ich bei ihrem Arsace in Posen, in der schnell umfunktionierten Nabucco-Produktion im dortigen Wielki, sehr offiziell und mit Galaempfang endend, miterlebte). Es grämt mich, dass offenbar das Bedauern über das Nichtgehabte das glorreich Erreichte überwiegt. G. H.

http://symetrie.com/fr/titres/ewa-podles-contralto-assoluto

Margaret Juntwait

 

Margaret Juntwait, die Stimme der Met bei ihren Radio-Live-Übertragungen, starb am 2. Juni 2015 nach langem Krebsleiden. Für mehr als 10 Jahre war sie die Ansagerin, die Fans in aller Welt und vor allem Millionen Amerikanern die Matineen der Metropolitan Opera ankündigte. Im Nachfolgenden der Nachruf des Hauses. G. H.

The Metropolitan Opera mourns the death of our radio host Margaret Juntwait (Foto oben/Met Opera Archive), who passed away this morning after a long battle with ovarian cancer. For millions of listeners around the world, Margaret was the voice of the Met for the past decade. She was appointed to the post in October 2004, and her first Saturday matinee broadcast was a December 11, 2004 performance of Verdi’s I Vespri Siciliani. She went on to host a total of 229 live Saturday broadcasts, as well as 898 live broadcasts on the Met’s Sirius XM channel. Her final Sirius broadcast was the new production premiere of Lehár’s The Merry Widow on December 31, 2014. “Margaret Juntwait was the soul of the Met’s radio broadcasts,” said Met General Manager Peter Gelb. “She will be sorely missed by her loving colleagues here at the Met, as well as the countless opera stars who she so deftly interviewed over the years, and by the millions of devoted fans who listened to her mellifluous hosting of our broadcasts three or four times a week, season after season.”

Margaret was diagnosed with ovarian cancer more than ten years ago, but before January 2015, she missed only one Saturday matinee broadcast due to her illness. Even after she was unable to host live performances, Margaret retained her tremendous passion for the Met, and was in the building just a few weeks ago to pre-record content for future Sirius XM broadcasts.

Margaret, a trained singer and a former WNYC classical music radio host, loved opera and the Met. In her role as interviewer, she displayed a remarkable grace for putting artists at ease. Before and after the curtain went up for performances, her passion for the art form allowed her to convey to the audience the excitement of what would happen on the Met stage. She was justifiably proud of her role as one of only three regular hosts of the Met’s Saturday broadcast

series over the course of its 84-year history. She replaced Peter Allen as host in 2004 and joined the Met staff full-time in 2006, when the company’s Sirius XM channel launched. We extend our sincerest condolences to Margaret’s family and friends, including her husband Jamie Katz; mother Florence Grace; and children Gregory, Bart, and Steven Andreacchi, and Joanna Katz; on behalf of all those who loved her, in the Met company and in the radio audience around the world.

http://metopera.org/metopera/news/features/news-flash/remembering-margaret-juntwait

Ombra e luce

Dankbar ist man über jede neue Tenorstimme, die als möglicher neuer Stern am Opernhimmel aufgeht, und so freut man sich auch über die neueste CD von opus arte, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, junge Sänger vorzustellen. Diesmal handelt es sich um den Mexikaner Jesús León, der unter dem Titel Bel Canto Arien von Bellini, Donizetti und Verdi singt. Im Booklet erfährt man, dass er bereits in Berlin gesungen hat und erinnert sich nach einigem Nachdenken an eine konzertante Maria di Rohan, in der er unter Felix Krieger den Riccardo sang und einen positiven Eindruck hinterließ.

Das Gefallen oder Nichtgefallen eines Timbres ist teilweise Geschmackssache, und das Jésus Leóns wird vor allem Liebhabern sehr heller, leicht trockener Stimmen zusagen, die bei Donizetti durchaus gefallen können. In „Una furtiva lagrima“ fällt das gut gestützte Piano auf, in dem die Stimme besonders angenehm klingt, während sie ab dem mezzo forte einen leicht quäkenden Ton annimmt, außerdem recht übergangslos vom einen ins andere verfällt. Die Technik des Mexikaners ist nicht zu beanstanden, es fehlt lediglich die Poesie, die man gerade in dieser Arie erwartet. Auch die beiden Arien des Arturo aus I Puritani klingen zumindest stellenweise eher jämmerlich als melancholisch, für Bellini ist der Tenor nicht geschmeidig genug, beim Intervallsprung in die Höhe weicht er ins Falsettieren aus, obwohl die Höhe ansonsten eine sicher erreichte ist. Auch wünscht man sich für den Vortrag etwas mehr innere Gespanntheit, damit eine Eintönigkeit des Singens vermieden wird. Bei „A te, o cara“ erscheint das Verhältnis Solist-Chor nicht ausgewogen genug.

Klar, deutlich und präzise ertönt das Rezitativ der Arie des Ernesto aus Don Pasquale, auch bei der Arie kann man sich über mangelnde Akkuratesse nicht beklagen, wohl aber darüber, dass der povero Ernesto recht dröge klingt, dass man sich etwas mehr slancio trotz der traurigen Situation, in der er sich befindet, erwartet, wie auch und besonders in der Cabaletta, in der die Extremhöhe erreicht und gehalten wird, aber recht flach klingt. Gut bekommt der Stimme das schnelle Tempo von Tonios Bravourarie aus der Regimentstochter etwas spitz klingt der eine oder andere hohe Ton, auch wenn das Erreichen desselben keine Mühe zu verursachen scheint. In der großen Szene des Edgardo nimmt der Tenor einen etwas heroischeren Klang an, vermeidet den leicht lamentierenden Ton, der an einigen Stellen  der CD auffiel. Die Arie wird intelligent, weil variationsreich gestaltet.  Die beiden Arien des Duca gelingen unterschiedlich gut.  Während „La donna è mobile“ mehr Brillanz verträgt, wird „Parmi veder le lagrime“ gut phrasiert, vermittelt auch etwas vom Aufflammen wahrer Gefühle des Libertins. Die dritte Verdi-Arie ist die des Fenton aus Falstaff. Sie verklingt sehr fein, lässt in ihrem Verlauf aber lyrische Emphase und Poesie vermissen. Begleitet wird der Tenor vom Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter Toby Purser (OA CD9035). Ingrid Wanja 

Die fleissige Witwe

Es ist eine erfreuliche Tatsache, dass es endlich eine ernst zu nehmende Biographie der Witwe Mozarts gibt. Die Musikwissenschaftlerin Gesa Finke hat mit dem vorliegenden Band die leicht veränderte Druckfassung ihrer 2012 von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angenommenen Dissertation vorgelegt und diese nun im Böhlau Verlag herausgebracht. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass die eigentliche Biographie in einen wissenschaftlichen Kontext eingebunden ist, der den rein biographisch interessierten Leser fast erschreckt und die Lektüre des hervorragend recherchierten Buches nicht erleichtert So wird z. B. auf den ersten ca. 80 Seiten über die musikkulturelle Erinnerung um 1800 referiert, mit reichlich interessanten historischen Aspekten, aber es erfordert Geduld, sich bis zum Punkt vorzuarbeiten, an dem Constanze Mozart als Persönlichkeit vorgestellt und behandelt wird. Sicherlich erfährt man viel Wissenswertes über die Zeit und die Lebensumstände des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, aber der wissenschaftliche Apparat will auch durchgearbeitet werden.

Wichtig ist das Buch, weil es gründlich mit den Vorurteilen der größtenteils verkitschten und süßlichen Mozart-Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aufräumt. Die leichtfertige, oberflächliche Person, die da zumeist vorgestellt wurde, hat so nicht existiert. Wenig bekannt ist die Tatsache, dass Constanze nach dem frühen und unerwarteten Tod ihres Mannes nicht nur sich selbst, sondern auch zwei eheliche Söhne im Kindesalter durchzubringen hatte. Über Mozarts problematisches Finanzgebaren wurde viel Zutreffendes geschrieben, seine Witwe stand tatsächlich materiell mit dem Rücken zur Wand. Es spricht für ihr Verantwortungsgefühl gegenüber dem reichen Werk ihres Mannes, dass sie nicht versuchte, aus den zahlreich vorhandenen Autographen schnellen Profit zu schlagen, sondern von Anbeginn an für eine seriöse Herausgabe einer Gesamtausgabe der Werke Mozarts warb und stritt. Hilfreich war für sie dabei, dass ihr in dem Mozart-Forscher Georg Nikolaus Nissen, einem dänischen Diplomaten, ein kluger Berater zur Seite stand. Dass dieser später ihr zweiter Ehemann wurde, mit dem sie eine wohl glückliche Ehe führte, verbesserte natürlich Constanzes Lebensumstände erheblich. Mehrere Jahre lebte das Ehepaar in Kopenhagen, bevor es sich nach ausgedehnten Reisen in Salzburg niederließ.

Wenig bekannt ist, dass Constanze Mozart in Wien einen eigenen musikalischen Salon führte, in dessen Rahmen bedeutende Musiker auftraten, unter ihnen Beethoven. Die Vertragsverhandlungen mit den Verlegern Breitkopf & Härtel und Johann Anton Andre werden ausführlich behandelt und geben ein hoch interessantes Bild der Vermarktung von Musik in dieser Zeit. Überhaupt besticht die Autorin durch eine Fülle von Milieubeschreibungen, die jene Zeit und ihr Musikverständnis anschaulich abbilden. Ein ausführliches Kapitel widmet Finke der Entstehung der ersten Biographie Mozarts aus Nissens Feder, an deren Entstehung Constanze aber naturgemäß intensiv beteiligt war. Das Buch beschreibt auch noch die Umstände der Errichtung eines Mozart-Denkmals in Salzburg und der Gründung des Mozarteums. Besonders interessant ist die Auflistung aller Konzertaufführungen von oder für Constanze Mozart. In den ersten Jahren nach Mozarts Tod hatte seine Witwe ausgedehnte Konzertreisen unternommen. Als begabte Sopranistin trug sie in zahlreichen Konzerten mit wechselnden Partnern Werke ihres Mannes vor, was ihr Geld für den Lebensunterhalt einbrachte und für die posthume Rezeptionsgeschichte des Mozartschen Oeuvres wichtig war.   Peter Sommeregger

Gesa Finke: Die Komponistenwitwe Constanze Mozart. Musik bewahren und Erinnerung gestalten, Böhlau Verlag, 308 Seiten, ISBN-13: 978-3412210823

Magdalena Anna Hofmann

 

Sie zählt zu den aktuell spannendsten jungen Jugendlich-dramatischen und ist eine der wenigen Künstlerinnen, die mit tiefen, mitreißenden, anrührenden Rollenportraits vollkommen zu überzeugen vermögen: Die Sopranistin Magdalena Anna Hofmann. Diese Spielzeit stand sie in zwei wichtigen Rollendebüts in Lyon auf der Bühne, wo sie als Senta in Wagners Fliegendem Holländer und als Carlotta in Schrekers Gezeichneten zu erleben war. Im August folgt ihre erste Elsa in Lohengrin in Riga. Gegenwärtig steht sie am Aalto-Theater Essen als Fremde Fürstin in Rusalka auf der Bühne. Mit William Ohlsson sprach sie unter anderem über ihren Fachwechsel vom Mezzo zum Sopran, über spannende Zukunftspläne und über viel zu selten gespieltes Repertoire des 20. Jahrhunderts.

Maria Magdalena Hofmann/ Foto Stefan Panfil

Magdalena Anna Hofmann/ Foto Stefan Panfil

 

Vor vier Jahren haben Sie nach einer erfolgreichen „ersten Karriere“ als Mezzosopran mit der Contessa in Le nozze di Figaro den Wechsel zum Sopran vollzogen. Wann war für Sie klar, dass Sie wohl doch kein Mezzo, sondern Sopran sind und wie haben Sie sich dieses neue Repertoire technisch erarbeitet? Ich habe im Grunde schon immer geahnt, dass ich früher oder später einen Fachwechsel vollziehen werde, habe aber nicht damit gerechnet, dass es bereits so bald passieren würde. Ausschlaggebend war eine Produktion von Wozzeck in Wien, bei der ich die Rolle der Margret sang, neben Angela Denoke als Marie. Sie meinte dann irgendwann während der Proben, dass ich eindeutig Sopran sei, und nachdem wir zusammen einige Sopranarien ausprobiert hatten, war es mir klar geworden, dass dies mein Weg sein sollte. Dann ging alles ganz schnell: ich habe mit meiner Lehrerin in Wien (Carol Blaickner-Mayo) meine erste Sopranpartie, die Contessa, erarbeitet und gleich anschließend die Kundry. Eine zugegebenermaßen recht unkonventionelle Mischung, die mir aber wunderbar geholfen hat, die verschiedenen Möglichkeiten und meine Bandbreite innerhalb des neuen Stimmfachs abzustecken.

 

Maria Magdalena Hoifmann als Carlotta in Schrekers "Gezeichneten" in Lyon/Foto youtube

Magdalena Anna Hofmann als Carlotta in Schrekers „Gezeichneten“ in Lyon/Foto youtube

Momentan stehen Sie am Aalto-Theater Essen als Fremde Fürstin in Rusalka auf der Bühne… In einer wunderschönen Inszenierung von Lotte de Beer! Die Fremde Fürstin ist zwar keine sehr umfangreiche, aber dennoch äußerst anspruchsvolle Partie. Sie verlangt von der ersten Sekunde an eine unglaubliche stimmliche und darstellerische Präsenz. Und auch wenn die Fremde Fürstin charakterlich nicht ausgesprochen vielschichtig ist (oder vielleicht gerade deshalb!), so macht es doch großen Spaß, einmal solch eine egozentrische, bösartige Frau darzustellen!

Maria Magdalena Hoifmann in Schönbergs "Erwartung" in Wien/Foto youtube

Magdalena Anna Hofmann in Schönbergs „Erwartung“ in Wien/Foto youtube

Besonders intensiv beschäftigen Sie sich mit Werken des musikalischen Expressionismus. In Lyon haben Sie riesige Erfolge in Schönbergs Erwartung und zuletzt als Carlotta in Schrekers Die Gezeichneten (dazu die Kritik in Operalounge) feiern können. Wie würden Sie jeweils die stimmlichen Herausforderungen beschreiben? Bei Schönberg war mir wichtig, trotz großer Intervallsprünge eine Gesangslinie beizubehalten und ein Maximum an Textdeutlichkeit zu erreichen. Ich liebe dieses Stück besonders und freue mich sehr, dass Erwartung wieder öfter gespielt wird! Die Gezeichneten wiederum ist ein hochkomplexes Werk, und Carlotta eine sehr große und herausfordernde Rolle mit sehr vielen lyrischen und einigen dramatischen Momenten. Ich liebe die intensive Auseinandersetzung mit den Texten, das Entdecken verschiedener Farben und schließlich das Verschmelzen von Musik und Text. Das ist bei Franz Schreker eine besonders schöne und lohnende Aufgabe, die wohl auch mit jeder neuen Interpretation neue Aspekte zutage fördern wird.

Maria Magdalena Hoifmann als Sieglinde neben Thomas Moser/ Foto youtube

Magdalena Anna Hofmann als Sieglinde neben Thomas Moser/ Foto youtube

Können wir uns in Zukunft auf weitere Partien aus der Feder Schrekers oder auf andere Werke des frühen 20. Jahrhunderts freuen? Ein weiterer Schreker ist zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht in Aussicht, aber ich werde in Bonn in der kommenden Spielzeit eine Oper von Emil Nikolaus von Reznicek singen: Holofernes. Reznicek ist ja als Opernkomponist wenig bekannt und für mich eine Neuentdeckung, auf die ich mich sehr freue – wie auch auf die neue Partie im Repertoire!

Maria Magdalena Hoifmann als Senta im "Fliegenden Holländer"  in Lyon/Foto Christel Mauve

Magdalena Anna Hofmann als Senta im „Fliegenden Holländer“ in Lyon/Foto Christel Mauve

Im August wird nach der Senta in Lyon die Elsa konzertant in Riga kommen. Wie würden Sie diesen Charakter beschreiben?  Auf meine erste Elsa hab ich lange gewartet und daher ist auch die Vorfreude auf das Konzert in Lettland sehr groß! Elsa ist ein sehr unterwürfiger Charakter und mein Ziel ist hier eindeutig, diese Verträumtheit und Naivität ein wenig zu durchbrechen. Ich habe ja grundsätzlich ein Faible für die etwas offensichtlicher leidenschaftlichen, komplexen und schwierigen Frauenfiguren. Somit könnte das eine neue, willkommene Herausforderung werden! Richard Strauss müsste Ihnen ja ebenfalls bestens liegen… Absolut!! Ich habe auch bereits eine Wunschliste ans Universum geschickt. Diese beinhaltet eindeutig: Marschallin, Arabella, Ariadne und Chrysothemis!

Auch im italienischen Fach würde es ja eine Reihe von interessanten Partien geben. Gibt es Wünsche oder Pläne, die in diese Richtung gehen? Ach, Wünsche gibt es viele! Santuzza, Tosca und dann die vielen wunderschönen Verdi-Partien wie die Elisabetta im Don Carlos… Noch fühle ich mich dazu aber nicht bereit. Dieses Repertoire darf noch warten.

Maria Magdalena Hoifmann als Gräfin Helfenstein in "Mathis der Maler" in Wien/ Foto youtube

Magdalena Anna Hofmann als Gräfin Helfenstein in „Mathis der Maler“ in Wien/ Foto youtube

Besonders von der Presse gelobt wird auch Ihre unbedingte Hingabe auf der Bühne, die Intensität und Tiefe Ihrer Rollenporträts. Wie erarbeiten Sie sich eine neue Partie darstellerisch? Wie versetzen Sie sich in die Charaktere, um diese dann derart überzeugend darzustellen? Und welche Rolle spielt dann die Arbeit mit dem Regisseur? Die Interpretation kommt gleichzeitig mit dem Studium der Rolle. Sobald ich mich mit der Musik beschäftige, kommen Ideen ganz automatisch und da vertraue ich mittlerweile ganz meinem Instinkt. Natürlich gibt es immer offene Fragen und auch verschiedene Möglichkeiten der Interpretation. Diese erörtere ich mir dann mit dem Regisseur und im besten Falle hat er oder sie die richtigen Antworten und Lösungen. Es ist immer ein Prozess, und auch wenn ich meistens mit meiner Darstellung zufrieden bin, so denke ich mir manchmal mehrere Monate nach einer Produktion: „Ah, das würde ich jetzt ganz anders spielen!“ – Man entwickelt sich ja ständig weiter!

 

Magdalena Anna Hofmann als Venus in Wagners "Tannhäuser"/Foto Hofmann

Magdalena Anna Hofmann als Venus in Wagners „Tannhäuser“/Foto Hofmann

Sie wurden in Warschau geboren und haben am Wiener Konservatorium studiert. Könnten Sie uns Ihren persönlichen und musikalischen Werdegang bis zum professionellen Operndebüt näher beschreiben? Ich war schon immer sehr an Musik interessiert, auch wenn es anfangs mehr in Richtung Musical ging, was mir damals eher vorschwebte… Meine Lehrerin seinerzeit hat aber mein sängerisches Potenzial entdeckt und mit mir recht früh Altitalienische Arien gesungen. Glücklicherweise hat mich meine Mutter immer sehr unterstützt und so konnte ich das Konservatorium besuchen, während ich tatsächlich zunächst eine Ausbildung zur Kinderpädagogin machte. Nach vier Jahren in fester Anstellung in diesem Beruf entschloss ich mich, mich fortan ganz der Musik zu widmen. Was für ein Glück, dass sich alles so gut gefügt hat! William Ohlsson

Foto oben: Magdalena Anna Hofmann in „Erwartung“ in Wien/ Foto Armin Bardel; 

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Aus den Archiven: „Die Zauberin“

Mit zwei seiner preiswerten Boxen feiert The Intense Media den Komponisten Peter Tschaikowsky zu seinem 175. Geburtstag. Zusammen genommen sind das zwanzig CDs. Gemessen an dem, was aus diesem Anlass sonst noch auf den Markt gelangte, ist das sehr viel für ein einziges Label. Nun handelt es sich hier nicht um Neuproduktionen. Es wird ausschließlich nur in Archive gegriffen. Immerhin.  Schließlich muss man ja wissen, was es so alles zu heben gibt. Die Auswahl kann sich sehen – und hören lassen. The Most Popular Ballets & Opera ist eine Box betitelt (600223). Da kann nichts schief gehen. Bei Tschaikowsky ist vieles beliebt und populär. Nur die Die Zauberin nicht. Sie macht die Auswahl eher ungewöhnlich. Der Oper kann eine Neuauflage nicht schaden, denn sie wird selten gespielt und ist noch seltener aufgenommen. In jüngster Zeit wurden in Erfurt, Baden-Baden und Wien Belebungsversuche unternommen. Es bleibt fraglich, ob ihnen Wirkung beschieden sein wird. Denn das symbolträchtige Stück mit einem Schuss Schneewittchen hat es in sich und endet auf sehr unwahrscheinliche Weise. Die als Pilgerin verkleidete Fürstin Eupraxia trifft im Wald ganz zufällig auf Kuma, die Wirtshausbesitzerin, der Zauberkräfte nachgesagt werden und die sie für Nebenbuhlerin ihres Gatten, des Fürsten Kurtjatew, hält. Sie verabreicht ihr tödliches Gift. In Wahrheit aber ist Kuma die Geliebte ihres Sohnes Juri, wird aber gleichzeitig vom fürstlichen Vater begehrt. Der nun ersticht deshalb in rasender Eifersucht den eigenen Sohn und verfällt dem Wahnsinn.

Es gibt von dieser Oper nicht viele Aufnahmen. In der Box findet sich die erste, 1954 entstandene Einspielung mit Chor und Orchester des Moskauer Rundfunks unter Samuel Samosud. Für mich ist sie sehr stimmungsvoll und unverwechselbar in ihrem typisch russischen Idiom.  Die Geschichte kommt wie ein Märchen mit wunderbarer lyrischer Musik herüber. Für die damalige Zeit ist die Besetzung mit Natalia Sokolowa (Kuma), Veronika Borissenko (Fürstin), Georgi Nelepp (Juri) und Mikhail Kisselew (Fürst) höchst luxuriös. Alle vier vermitteln einen noch im 19. Jahrhundert verhafteten Gesangstil, der sich erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verlor. Obwohl nur ein Jahr später eingespielt, bringt die noch nicht ganz dreißigjährige Galina Wischnewskaja einen moderneren Zug in die Aufnahme von Eugen Onegin. Sie ist die Tatjana und für mich nach wie vor das Idealbild dieser Rolle. Mit Sergei Lemeschew als Lenski kommt ein Tenor ins Spiel, der mit Nelepp und Iwan Koslowski das legendäre, fast gleichaltrige russische Tenor-Dreigestirn bildete. Koslowski, 1900 geboren, war der Älteste, gefolgt von Lemeschew (1902) und Nelepp (1904). Die Titelrolle wird von Eugeni Bjelow gesungen, der Fürst von Iwan Petrow. Die Aufnahme ist unlängst auch beim originalen Label Melodija neu aufgelegt und bei dieser Gelegenheit von meinem Kollegen Rolf Fath bei operalounge.de besprochen worden.

Untrennbar mit dem Namen Tschaikowski verbunden sind seine drei großen Ballette. Schwanensee und Nussknacker werden vom L’Orchestre de la Suisse Romande unter Ernest Ansermet (1958/1959) sowie Dornröschen vom Minneapolis Symphony Orchestra unter Antal Dorati (1955) gespielt.

CD - Tschaikowsky Edition MembranDie andere Box (600211) enthält die sechs Sinfonien, beiden Klavierkonzerte, das Violinkonzert und diverse Orchesterstücke. Mehr passt nicht hinein. An Aufnahmen aus allen Zeiten mangelt es nicht. Tschaikowsky, der alle Genres bediente, ist hervorragend dokumentiert. Es ist eine gute Idee, mit der Zusammenstellung einen Querschnitt durch die Aufnahmegeschichte der Orchesterwerke anzubieten. Die älteste Aufnahme, nämlich die sinfonische Ballade Der Woyvode – Tschaikowski verarbeitete das Thema auch in seiner gleichnamigen ersten Oper – entstand 1941 mit dem NBC Symphony Orchestra unter Arturo Toscanini. Die jüngste ist die 1. Sinfonie von 2001 mit dem sehr poetischen Titel „Winterträume“, ein Opus voller Überraschungen, dirigiert von Herbert Blomstedt. Es spielt das Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden. Plötzlich wird klar, aus welcher Tradition Schostakowitsch kommt. Zwischen der Ballade und der Sinfonie liegen sechzig Jahre Annäherung an das Schaffen dieses Komponisten, um den kein Dirigent herumgekommen ist. Drei Namen sind schon gefallen. Georg Solti ist als nächster zu nennen. Er leitet die 2. Sinfonie. Wasilij Boyanov, im Westen wenig bekannt, hat mit der Dritten ein Heimspiel (1958). Wilhelm Furtwängler (1951) dirigiert die Vierte, Herbert von Karajan (1952/1953) die Fünfte. Die Pathétique, das so genannte Requiem, ist bei Evgeny Mravinsky (1956) in bester Obhut. Im Beginn ist die Nähe zum Vorspiel des dritten Tristan-Aufzuges unüberhörbar. Unter Mravinskys Händen klingen die Streicher unheimlich tief und dunkel. Er wühlt auf, ohne zu übertreiben.

CD Eugen Onegin (Querschnitt Memnbran)Bekanntes und Unbekanntes, Nähe und Ferne, Vertrautheit und Fremdheit – bei Tschaikowsky liegen die Pole mal nah, mal weit auseinander. Diese Intense-Media-Edition offenbart viele Facetten seines universellen Werkes. In diesem Kontext wird sogar der alles überstrahlende Beginn des b-Moll-Klavierkonzertes, den jedes Kind kennt, erträglicher. Schon deshalb finde ich diese Neuerscheinung höchst erbaulich und erfrischend. Und Van Cliburn schlägt ja auch ganz neue Töne an, die einem noch heute, mehr als fünfzig Jahre nach seinem kometenhaften Aufstieg, ins Ohr fahren. Der 23jährige Pianist aus Texas hatte 1958, mitten im Kalten Krieg, den Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau gewonnen und war von da an weltberühmt. Genau in diesem Jahr entstand die Einspielung mit den RCA Symphony Orchestra unter Kiril Kondraschin. Sie hat Kultstatus. Wo das Klavierkonzert ist, sind auch das Capriccio Italien (Antal Dorati mit den Minneapolis Symphony Orchestra/1954) und der Slawische Marsch (Royal Philharmonic Orchestra, dirigiert von Yehudi Menuhin/1994) nicht weit. In den Marsch hat Tschaikowsky ebenso wie in die Ouvertüre 1812 zum Kanonendonner die Zarenhymne eingebaut. Der Marsch ging später immer irgendwie durch bei den sowjetischen Machthabern, die vaterländische Konzertouvertüre in ihrer ursprünglichen Form nicht. Hier wurde die Hymne kurzerhand durch eine Melodie aus Glinkas Iwan Susanin (Ein Leben für den Zaren) ersetzt und dergestalt auch oft eingespielt. Schlecht klingt das nicht. Dorati lässt in seiner Produktion aber das Original spielen (ebenfalls Minneapolis/1954). Für die lärmende Francesca da Rimini ist Leopold Stokowski am Pult der New Yorker Philharmoniker (1947) genau richtig.

Tschaikowsky und Josif Kotek: Das Bild stammt aus dem jahr 1877 und zeigt tschaikowsky mit seinem vertrauten, dem Geiger Josif Kotek (1855 bis1885). Der war ein russischer Violinist und enger Vertrauter Tschaikowskis. Wiki: "Kotek studierte unter Jan Hřímalý am Moskauer Konservatorium Violine, sowie Musiktheorie und Komposition bei Tschaikowski und graduierte 1876. Auf Empfehlung von Nikolai Rubinstein wurde er von Nadeschda Filaretowna von Meck engagiert und spielte privat für sie auf ihrem Gut in Clarens. Dort half er Tschaikowski bei der Ausarbeitung seines Violinkonzertes, insbesondere bei der Ausgestaltung der Solopartien. Außer der gemeinsamen Arbeit verband die beiden auch eine romantische Liebesbeziehung." Nach dem Ende der Beziehung zog Kotek 1882 nach Berlin, studierte dort bei Joseph Joachim und Friedrich Kiel an der Königlich Akademischen Hochschule für ausübende Tonkunst. Anschließend lehrte auch dort. 1884 erkrankte er an Tuberkulose und kehrte nach Davos zurück, wo er am 4. Januar 1885 verstarb/ Foto Wiki

Tschaikowsky und Iosif Kotek/Wiki

Eines der persönlichsten Werke Tschaikowskys ist seine Manfred-Sinfonie nach Lord Byron. Angeregt hatte dazu hatte ihn der komponierende Dirigent Mili Balakirew. Zunächst lehnt er ab, auch aus Respekt vor dem verehrten Robert Schumann, der sich demselben Stoff in einem dramatischen Poem mit Musik zugewandt hatte. Der Stimmungswandel setzte ein, als Tschaikowsky im Oktober 1984 nach Davos gerufen wurde, wo der erst dreißigjährige Geiger Iosif Kotek mit Tuberkulose im Sterben lag. Beide hatten sich auf dem Gut der Frau von Meck kennengelernt und unterhielten zeitweise eine leidenschaftliche Beziehung. Jedem der vier Sätze schickt der Komponist eine kurze Inhaltangabe voraus, die in der schlicht und knapp gehaltenen Edition allerdings keine Erwähnung findet. Gleich zu Beginn heißt es: „Manfred irrt in den Alpen umher. Sein Leben ist zerschlagen, viele brennende Fragen bleiben unbeantwortet, nichts ist ihm geblieben außer den Erinnerungen. Paul Kletzki dirigiert das Philharmonia Orchestra (1954). Dass Kletzki mit den biographischen Hintergründen des Stückes vertraut war, ist eher unwahrscheinlich. Vieles liegt ja heute noch im Dunkeln – und in Russland unter Verschluss. Er war aber selbst ein Verfolgter, der vor den Nationalsozialisten fliehen musste. Schon deshalb vermag er die Not, die Sehnsucht und die Verzweiflung, die in der Musik stecken, zum Klingen zu bringen.

Immer noch im Programm hat das Label die hinlänglich bekannte Szenenfolge durch die Oper Eugen Onegin in deutscher Sprache von 1954 (Membran 231853). George London singt die Titelrolle, Valeri Bak die Tatjana, Anton Dermota den Lenski und Gottlob Frick den Gremin. Am Pult steht Richard Kraus, der in der Box mit den Orchesterwerken das 2. Klavierkonzert mit Shura Cherkassky und den Berliner Philharmonikern leitet (1955). Rüdiger Winter