Es ist eine erfreuliche Tatsache, dass es endlich eine ernst zu nehmende Biographie der Witwe Mozarts gibt. Die Musikwissenschaftlerin Gesa Finke hat mit dem vorliegenden Band die leicht veränderte Druckfassung ihrer 2012 von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angenommenen Dissertation vorgelegt und diese nun im Böhlau Verlag herausgebracht. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass die eigentliche Biographie in einen wissenschaftlichen Kontext eingebunden ist, der den rein biographisch interessierten Leser fast erschreckt und die Lektüre des hervorragend recherchierten Buches nicht erleichtert So wird z. B. auf den ersten ca. 80 Seiten über die musikkulturelle Erinnerung um 1800 referiert, mit reichlich interessanten historischen Aspekten, aber es erfordert Geduld, sich bis zum Punkt vorzuarbeiten, an dem Constanze Mozart als Persönlichkeit vorgestellt und behandelt wird. Sicherlich erfährt man viel Wissenswertes über die Zeit und die Lebensumstände des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, aber der wissenschaftliche Apparat will auch durchgearbeitet werden.
Wichtig ist das Buch, weil es gründlich mit den Vorurteilen der größtenteils verkitschten und süßlichen Mozart-Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aufräumt. Die leichtfertige, oberflächliche Person, die da zumeist vorgestellt wurde, hat so nicht existiert. Wenig bekannt ist die Tatsache, dass Constanze nach dem frühen und unerwarteten Tod ihres Mannes nicht nur sich selbst, sondern auch zwei eheliche Söhne im Kindesalter durchzubringen hatte. Über Mozarts problematisches Finanzgebaren wurde viel Zutreffendes geschrieben, seine Witwe stand tatsächlich materiell mit dem Rücken zur Wand. Es spricht für ihr Verantwortungsgefühl gegenüber dem reichen Werk ihres Mannes, dass sie nicht versuchte, aus den zahlreich vorhandenen Autographen schnellen Profit zu schlagen, sondern von Anbeginn an für eine seriöse Herausgabe einer Gesamtausgabe der Werke Mozarts warb und stritt. Hilfreich war für sie dabei, dass ihr in dem Mozart-Forscher Georg Nikolaus Nissen, einem dänischen Diplomaten, ein kluger Berater zur Seite stand. Dass dieser später ihr zweiter Ehemann wurde, mit dem sie eine wohl glückliche Ehe führte, verbesserte natürlich Constanzes Lebensumstände erheblich. Mehrere Jahre lebte das Ehepaar in Kopenhagen, bevor es sich nach ausgedehnten Reisen in Salzburg niederließ.
Wenig bekannt ist, dass Constanze Mozart in Wien einen eigenen musikalischen Salon führte, in dessen Rahmen bedeutende Musiker auftraten, unter ihnen Beethoven. Die Vertragsverhandlungen mit den Verlegern Breitkopf & Härtel und Johann Anton Andre werden ausführlich behandelt und geben ein hoch interessantes Bild der Vermarktung von Musik in dieser Zeit. Überhaupt besticht die Autorin durch eine Fülle von Milieubeschreibungen, die jene Zeit und ihr Musikverständnis anschaulich abbilden. Ein ausführliches Kapitel widmet Finke der Entstehung der ersten Biographie Mozarts aus Nissens Feder, an deren Entstehung Constanze aber naturgemäß intensiv beteiligt war. Das Buch beschreibt auch noch die Umstände der Errichtung eines Mozart-Denkmals in Salzburg und der Gründung des Mozarteums. Besonders interessant ist die Auflistung aller Konzertaufführungen von oder für Constanze Mozart. In den ersten Jahren nach Mozarts Tod hatte seine Witwe ausgedehnte Konzertreisen unternommen. Als begabte Sopranistin trug sie in zahlreichen Konzerten mit wechselnden Partnern Werke ihres Mannes vor, was ihr Geld für den Lebensunterhalt einbrachte und für die posthume Rezeptionsgeschichte des Mozartschen Oeuvres wichtig war. Peter Sommeregger
Gesa Finke: Die Komponistenwitwe Constanze Mozart. Musik bewahren und Erinnerung gestalten, Böhlau Verlag, 308 Seiten, ISBN-13: 978-3412210823