Archiv für den Monat: April 2017

Matthias Goerne Kompakt

 

Nach Schubert nun Schumann: Auf 12 CDs hat Matthias Goerne bei seiner Stammfirma harmonia mundi france das komplette Liedwerk von Franz Schubert eingespielt – nun wendet er sich einem weiteren bedeutenden Komponisten der deutschen Romantik zu und singt auf einer neuen Platte 19 Lieder von Robert Schumann (HMM 90223). Mit „Einsamkeit“ ist die Auswahl übertitelt und umfasst Ausschnitte aus verschiedenen Zyklen, wie Myrthen, oder Liedgruppen nach verschiedenen Dichtern. Sie alle sind in ihrem Charakter ähnlich – schwermütig, betrübt, melancholisch, traurig –, was die Gefahr der Eintönigkeit mit sich bringen könnte, aber Goernes subtiler Vortrag mit seinen Farben, Nuancen, Abstufungen  und Stimmungen macht solche Bedenken zunichte. Auch die überaus sensible, poetische Begleitung von Markus Hinterhäuser am Flügel hält die Aufmerksamkeit wach.

Mit Hunding-Grimm schaut Goerne vom Cover seiner CD auf den Betrachter, doch die Stimme tönt keineswegs rau oder polternd – im Gegenteil, sie klingt sanfter und betörender denn je. Das überrascht nach seinem Wotan, den er konzertant in Hong Kong gesungen hat und der durchaus eine stimmliche Veränderung hätte nach sich ziehen können. Seine Neuaufnahme beweist das Gegenteil – das Organ wirkt voluminös und dunkel, nicht aber grobkörnig oder strapaziert. Sogleich das erste Lied des Programms, „Meine Rose“ aus Sechs Gedichte und Requiem op. 90, trägt der Sänger geradezu zärtlich wie eine Liebeserklärung vor und lässt dabei träumerische piani hören. Die Titel dieser Sammlung erklingen fast vollständig – „Kommen und Scheiden“ mit leiser Wehmut, die in sanfte Klänge gefasste „Sennerin“, die geheimnisvoll raunende „Einsamkeit“, der düster dräuende „Schwere Abend“ und schließlich das „Requiem“, wo die Stimme den Hörer mit tröstlichen Tönen einhüllt.

Von den 26 Liedern nach verschiedenen Dichtern, die in den 1840 entstandenen Myrthen zusammengefasst sind, erklingen drei, welche zu den Höhepunkten der CD zählen. Selten hat man die „Lotosblume“ so kosend und duftig (mit herrlichem Aufschwung am Schluss) gehört. Und die sonore untere Lage der Stimme kommt hier zu starker Geltung. Ähnlich zart und fein gesponnen ertönen in purer Reinheit „Du bist wie eine Blume“ und „Was will die einsame Träne?“.

Abschied ist ein häufiges Thema dieser Anthologie – so in „Heimliches Verschwinden“, wo das Kommen und Vergehen des Frühlings besungen wird:  heiter, aber nicht ohne Traurigkeit. Eine andere Jahreszeit wird mit entsprechender Melancholie im „Herbstlied“ thematisiert. Und im „Abschied vom Walde“ klingt gleichfalls die Wehmut der Vergänglichkeit an. All diese Lieder stammen aus den Gesängen op. 89 auf Gedichte des Dresdner Theologen Wilfried von der Neun, wie auch „Ins Freie“, das in seinem energischen, kraftvoll-männlichen Duktus einen starken Kontrast einbringt und dem Interpreten markante, in dramatische Gefilde führende Aufschwünge abverlangt. Matthias Goerne bewältigt sie imponierend.

Töne voller Magie sind im „Nachtlied“ zu hören, das der Sänger wie ein Hauch beginnt und es mit entrücktem, jenseitigem Ausdruck konsequent im Schweben hält. Mit seinem tröstenden Ausdruck könnte es einen Sterbenden in den Tod begleiten. Eines von Eichendorffs typischen Gedichten in ihrer Wander- und Lebensmüdigkeit (man denke nur an „Im Abendrot“) ist „Der Einsiedler“. Goerne lässt in seiner Gestaltung aber auch hier hilfreichen Trost vernehmen. Schließlich ist der letzte Titel der Sammlung, das „Abendlied“ op. 107/6, als Gruß zur Nacht gleichfalls ein tröstlicher Beistand. Die neue CD von Matthias Goerne darf man schon jetzt zu den gelungensten Lied-Veröffentlichungen des Jahres zählen. Bernd Hoppe

 

Kompositionen von Franz Schubert und Johannes Brahms nehmen im Liedgesang des Baritons Matthias Goerne einen gewichtigen Raum ein. Bereits bei seiner früheren Stammfirma Decca hatte er mehrere CDs mit Schubert-Liedern aufgenommen. Nach seinem Wechsel zu hmf startete er 2007 das gewichtige Projekt der Einspielung von 12 CDs mit den Liedzyklen und etwa 150 Titeln des Komponisten, bei denen er von insgesamt sieben Pianisten (darunter Elisabeth Leonskaja, Helmut Deutsch, Christoph Eschenbach und Eric Schneider) begleitet wurde. Die zunächst in Einzelausgaben veröffentlichten CDs hat das Label nun als preiswerten Schuber mit informativem Begleitheft herausgegeben (HMX 2908750.61). Ungewöhnlich war die Konzeption dieser Edition, denn jede CD-Ausgabe erschien unter einem programmatischen Motto, dem die Auswahl der Lieder entsprach. Den Beginn machte 2007 „Sehnsucht“, es folgten solche Titel wie „An mein Herz“, „Heliopolis“, „Nacht und Träume“ oder „Wanderers Nachtlied“. Die Sammlung demonstriert eindrucksvoll Goernes singuläre Stimme mit ihrem unverwechselbaren, warmen Timbre und dem voluminös-resonanten Klang sowie seine enorme Gestaltungskunst. Nicht immer makellos ist die Diktion – es scheint, dass der Sänger gelegentlich dem Klang dem Vorzug gibt gegenüber dem Wort. Aber insgesamt ist die Ausgabe für Freunde der Liedkunst eine immense Bereicherung ihrer Sammlung.

goerne brahms hmfInteressant ist eine CD mit Werken von Brahms, die der Bariton 2013 mit Christoph Eschenbach am Klavier eingesungen hat (HMC 902174). Sie enthält die Lieder und Gesänge op. 32, Lieder nach Gedichten von Heine und die Vier ernsten Gesänge op. 121. Die neun Lieder op. 32, entstanden im Sommer 1864 auf Gedichte von Platen und Daumer, erklingen zu Beginn und markieren einen Wandel im Liedschaffen des Komponisten. Es sind melancholische, fatalistische, abgründige Schöpfungen, welche Todessehnsucht und Hoffnungslosigkeit ausdrücken. Einen wirklichen Zyklus bilden sie nicht, im Gegensatz zur im selben Jahr entstandenen Schönen Magelone (die Goerne im Sommer dieses Jahres bei den Salzburger Festspielen interpretierte), doch sind sie in ihrer inhaltlichen Dramaturgie durchaus als eine Einheit zu verstehen.

Düster und lastend beginnt „Wie rafft ich mich auf“ und Goerne malt hier fast dem „Erlkönig“ verwandte gespenstische Stimmungen. Erneut fällt auf, wie die Stimme des Baritons sich im Volumen und Farbspektrum weiter entwickelt hat. Von tiefer Traurigkeit erfüllt ist „Nicht mehr zu dir zu gehen“, von trotzigem Grimm erfüllt sind „Der Strom“ und „Wehe“. Lichtere Momente weisen „Du sprichst“ und „Bitteres zu sagen“ auf, doch kippt die Stimmung auch hier um in Wehmut. Von stiller Zärtlichkeit wird „So stehn wir“ getragen, aber alles übertrifft das letzte Lied der Gruppe, „Wie bist du, meine Königin“, welches der Sänger in einen betörenden, sanft kosenden Wohllaut bettet und mit der Formung des Wortes „wonnevoll“ den Himmel aufgehen lässt.

Die Lieder nach Heine-Gedichten tragen die Opuszahlen 85 und 96. Die beiden ersten, „Sommerabend“ und „Mondenschein“, lassen in romantischstem Empfinden Traum und Wachheit verschmelzen, was der Bariton in somnambulem Klang und entrückten piani einfängt. Dem entspricht auch „Der Tod, das ist die kühle Nacht“ in seiner visionären Stimmung. „Es schauen die Blumen“ ist im Tempo bewegter und im Ausdruck emphatischer, das abschließende Lied der Gruppe, „Meerfahrt“, im Rhythmus einer Barkarole zunächst von Hoffnung erfüllt, die sich freilich bald als trügerisch erweist.

Die Vier ernsten Gesänge sind ein reifes Alterswerk des Komponisten und Zeugnis seiner zunehmenden Vereinsamung. Goerne gelangt hier zu einem Gipfel seiner Liedkunst. Die Vielzahl von Empfindungen in diesen Texten wie Resignation, Aufbegehren, Todessehnsucht, Hoffnung und Liebe fängt er mit bewundernswert plastischem Ausdruck ein, der mit einer reichen stimmlichen Farbpalette korrespondiert. Eine solche bietet auch Eschenbach am Klavier, der dem Sänger seit vielen Jahren seit vielen Jahren eng verbunden ist und die Zusammenarbeit mit ihm in zahlreichen Liederabenden immer mehr vertieft hat.

 

Goerne Lieder aus finsteren ZeitenLieder aus finsteren Zeiten: Der Vielseitigkeit von Matthias Goernes künstlerischer Arbeit trägt seine Plattenfirma hmf dankenswerter Weise in hohem Maße Rechnung. Nach einigen Veröffentlichungen mit romantischem Liedgut legt sie nun eine CD mit Kompositionen von Hanns Eisler vor, die der Bariton 2012/13 aufgenommen hat (HMC 902134). Die Auswahl umfasst die Ernsten Gesänge für Instrumentalensemble & Bariton sowie Lieder mit Klavier auf Gedichte von Brecht, kombiniert mit der Klaviersonate op. 1. Der Sänger wird begleitet vom Ensemble Resonanz, das aus 22 Streichern besteht und in seiner Tätigkeit eine intelligente Gratwanderung zwischen Klassik und zeitgenössischer Musik beschreitet. Die Klaviersonate interpretiert Thomas Larcher, der den Solisten auch bei den Brecht-Liedern begleitet.

Die Ernsten Gesänge vollendete der Komponist im August 1962, wenige Wochen vor seinem Tode. Sie zeugen von Entbehrungen während seiner Exil-Jahre in Amerika, von Zweifeln über das Staatsregime der DDR, unter dessen Repression er zu leiden hatte. Komponiert auf Texte verschiedener Dichter, ist ihnen die Verbindung von Tonalität und Atonalität gemeinsam. Goerne erweitert seine Farb- und Ausdruckspalette hier in bedeutendem Maße, bezieht agitatorische Elemente in seine Interpretation ein, so in „Verzweiflung“ oder „An die Hoffnung“. Es gibt auch spätromantische und impressionistische Stimmungen, in denen die Sanftheit der Stimme zu schöner Wirkung kommt („Epilog“). Der warme Klangteppich des begleitenden Ensembles hebt dies noch hervor.

Die Lieder mit Klavier entstanden in den 1940er Jahren in Los Angeles, wo Eisler mit Brecht zusammentraf, was die gegenseitige künstlerische Produktion befruchtete. Es sind genial hingeworfene Miniaturen („An den kleinen Radioapparat“, „Ostersonntag“, „Vom Sprengen des Gartens“), die der Bariton mit leichtem Ton und wie beiläufig wiedergibt. Diese Schlichtheit brauchen die Stücke, jedes Pathos wäre hier fehl am Platz. Manche Lieder fangen auch das Leid der Nachkriegsjahre ein („Die Heimkehr“ oder „Über den Selbstmord“), was der Sänger in einen schmerzlichen Klang von abgrundtiefer Traurigkeit taucht. Zwei Songs aus Brechts Die Rundköpfe und die Spitzköpfe stehen als Beispiele für die kongeniale Zusammenarbeit von Komponist und Dichter. Das populäre „Solidaritätslied“ im Agitprop-Stil beendet die Sammlung – wie beim „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“ und bei der „Ballade vom Wasserrad“ ist die Diktion in diesen drei letzten Titeln wie gemeißelt, der Ausdruck beim „Solidaritätslied“ beinahe trotzig-aggressiv.

Eingeschoben zwischen die Titel 14 und 15 ist die frühe Klaviersonate von 1922/23 in drei Sätzen, die Eisler seinem Lehrer Arnold Schönberg widmete. Neben der einfühlsamen Begleitung des Sängers kann Larcher sich hier mit expressiv modellierten Tönen und virtuosen Läufen im Finale. Allegro auch solistisch beweisen.

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Ergänzt wird das Programm von Berios fünfsätziger Sinfonia, die das BBC Symphony Orchestra, welches bei den Mahler-Liedern nicht nur eine begleitende Funktion ausübt, sondern faszinierende Klangeffekte schafft, bereits 2012 in London einspielte. Das 1968/69 entstandene Werk verstört mit seiner Ballung von Wortfetzen, Vokalisen und Geräuschen (welche von The Synergy Vocals ausgeführt werden), zitiert im 3. Satz Mahlersche „Wunderhorn“-Motive, was die Kombination von Mahler und Berio auf der CD erklärt. Bernd Hoppe

Kathleen Casello

 

Mit Bedauern hören wir vom Tod Kathleen Casellos, in den Neunzigern eine der Three Sopranos zusammen mit Cynthia Lawrence und Kallen Esperian, die zusammen auf der Woge der renommierteren männlichen Kollegen durch die Konzertsäle tourten. Katleen Casello starb mit 59 Jahren am 12. April 2017 in München. Im Nachfolgenden eine Biographie (in Englisch) der verdienstviollen Bach-Cantata-website.

Born: 1958 – Delaware, USA; The American soprano, Kathleen Cassello, studied singing privately in Delaware with Dan and Nancy Gamble Pressley and won many competitions on the east coast, specifically the Austrian American Competition headed by Charlotte Shedd. It was this competition, which sent her to Salzburg in 1984 to study at the Sommerakademie from which she never returned to live in her home. She has since won prizes in a number of the most prestigious singing competitions, including the Pavarotti, Puccini, Vinas, Viotti and Belvedere competitions.

After winning first prize in the Salzburg Mozart competition in 1985, Kathleen Cassello made her European debut as the Queen of the Night in Die Zauberflöte at the Hamburg Staatsoper and during the next three years sang the role in more than 200 performances in Austria, Germany, Russia and Swizerland.

Kathleen Casello/ Foto Bach-Cantatas

From 1987 to 1989 Kathleen Cassello was engaged by the Badisches Staatstheater in Karlsruhe, where she built up a wide-ranging and extensive repertoire including Donna Anna in Don Giovanni, Mimi in La Bohème, and the title role in Lucia di Lammermoor, in which she later enjoyed an outstanding success in performances with Alfredo Kraus at the Rome opera and in Seville. It was her intense dramatic presence (work with Giancarlo del Monaco in La Boheme, Il Trovatore, La Traviata and Lucia di Lammermoor) as well as her brilliant vocal technique, which first brought Cassello to the attention of the Marseille opera. After her well received debut as Manon in Massenet’s opera in Metz, and a hugely successful Lucia di Lammermoor in Sao Paolo, Brazil and in the Nuits d’Eté in Marseille opposite Ramón Vargas, she was invited for the 1990-1993 seasons to make her debuts as Thais in Massenet’s opera at the Marseille opera with Jose Van Dam, Michelangelo Veltri conducting and with Nicolas Joel directing and as Elvira in the production of I Puritani. In 1991, Kathleen Cassello made her debut as Pamina in Die Zauberflöte at the Liceo in Barcelona, opposite Francisco Araiza, and her husband, baritone, Renato Girolami. She debuted at the Bayerische Staatsoper in Munich and at the Zürich opera as Konstanze in Entführung aus dem Serail and sang her first Leonore from Il Trovatore in Leipzig with Keith Olsen and Robert Overman under the stage direction of Giancarlo del Monaco. Cassello also sang Lucia in Malaga and in San Sebastian under the direction of Friedrich Haider and La Traviata in Oviedo under the direction of Bertrand de Billy.

After her Thais production with Nicolas Joel, Kathleen Cassello was invited to Toulouse to make her debut as Vitellia in Clemenza di Tito with Rockwell Blake and Martine Dupuy, conducted by Friedemann Layer and as Violetta in La Traviata with Franco Farina conducted again by Michelangelo Veltri. In August 1992, Kathleen Cassello took part in a marathon W.A. Mozart gala at the Arena di Verona where she came to the eye of the Italian theaters. In the fall of that year, she made her debut as Gilda in Rigoletto in Marseille opposite Leo Nucci and made her Italian theater debut in Treviso as Lucia, working with Leyla Gencer.

In 1993 Kathleen Cassello made her Rome opera debut with Alfredo Kraus, Giorgio Zancanaro and noted young conductor Daniel Oren as well as composer and stage director, Gian Carlo Menotti. This brought her to the attention of the opera La Fenice in Venice where she was engaged to sing Elettra in W.A. Mozart’s Idomeneo as well as to the festival at the Choregies d’Orange. After a successful Konstanze in Avignon, she made her debut live on France 2, the national television, in the Choregies as Violetta in La Traviata with Roberto Alagna, Paolo Coni and conductor Michel Plasson. She then returned to Marseille for a new production of Lucia opposite Jean-Luc Viala and Renato Girolami, conducted by Tiziano Severini, and made her debut at the Opera de Bellas Artes in Mexico City as Gilda with Ramón Vargas.

Kattleen Casello/ youtube

Kathleen Cassello made her Teatro alla Scala debut as Gilda under the baton of Riccardo Muti in June of 1994. Continuing her close association with Italy and France, in 1994 she made debuts as Amina in La Sonnambula under the musical direction of Evelino Pido, as Giulietta in I Capuleti e I Montecchi under the baton of Bruno Campanella, and as Giunia in Lucio Silla in concert for Radio France in Montpellier conducted again by Friedemann Layer.

In 1995 Kathleen Cassello began the year in Nales as Donna Anna in Don Giovanni with Michele Pertusi under the baton of Salvatore Accardo and then made her debut in Tokyo in as Violetta. She sang a concert for Katia Ricciarelli in Biarritz for the music festival and then returned to Marseille as Konstanze and to the Choregies as Gilda, with Jean-Philippe Lafont and Roberto Alagna, conducted by Pinchas Steinberg. Teatro alla Scala invited her back for Lucia di Lammermoor with Vincenzo La Scola, and she ended her year with La Traviata in Geneva conducted by Lawrence Foster.

Other leading conductors with whom Kathleen Cassello has worked include Christian Badea, Sylvain Cambreling, Carlo Rizzi (in Pesaro under the stage direction of Graham Vick), Peter Schneider, Stefan Soltesz, Leone Maggiera, Gunther Neuhold, Christoph Perrick, Marko Letonja and Lothar Zagrosek.

In January 1996, after a very successful South African debut appearance in two concerts with Luciano Pavarotti, Kathleen Cassello was engaged by the producer, Tibor Rudas, as one of „The Three Sopranos“ for a series of concerts beginning in Los Angeles in September 1996 and continuing throughout Europe and South Africa. She continued her operatic performances, singing Donna Anna in Dallas’s production of Don Giovanni with Leila Cuberli and a new production of La Sonnambula at the Rome opera under the stage direction of Pupi Avati, the noted film director. As well as her return to the Choregies d’Orange as Donna Anna opposite Ruggiero Raimondi and Ferruccio Furlanetto, and conducted by Jeffrey Tate, she also returned to Radio France in Montpellier for another concert performance as Elettra in Idomeneo, again under the baton of Friedemann Layer. At the Hamburg Staatsoper she performed Mimi in La Bohème and Violetta. She also opened the season in Toulouse with her role debut in Charpentier’s Louise opposite Gregory Kunde, conducted by Michel Plasson and directed by Nicolas Joel.

1997 brought a new series of „The Three Soprano“ concerts in Budapest, Kosice, Atlantic City and Reno as well as a revival of the Lucia di Lammermoor from the Rome opera in Seville, again with Alfredo Kraus and Gian Carlo Menotti as stage director. Kathleen Cassello returned to Toulouse as Gilda opposite Tito Beltran, conducted by Maurizio Arena, and then to her third consecutive year at the Choregies d’Orange in a televised production of Lucia di Lammermoor with Francisco Araiza, conducted by Louis Langree. Cassello was invited to participate in a Hommage to Callas in Paris where she performed the Lucia Mad Scene and „Addio del Passato“ from La Traviata. She sang a new production of La Traviata in Oviedo and then made her debut at the Teatro Teresa Carrena in Caracas as Lucia. In Karlsruhe she gave a gala Lucia performance and ended the year with a „The Three Sopranos“ concert in Memphis.

A gala of La Traviata opposite Renato Girolami in Switzerland, began 1998, then her second orchestral concert in Durban South Africa, as well as her debut as Elisabetta in Donizetti’s Roberto Devereux in Marseille, under the baton of Tiziano Severini. She returned to Hamburg for a concert of Chausson’s „Poème de l’Amour et de la Mer“ conducted by Serge Baudo. This seemed to be becoming a concert year for Kathleen Cassello. She performed in Frank Martin’s Golgothe in the Gewandhaus in Leipzig and in Berlin under the baton of Marcello Viotti, as well as performing Francis Poulenc’s Gloria and cantatas from Ravel, also with Viotti. As well as “The Three Sopranos“ concerts and a gala performance of Lucia in Karlsruhe with Renato Girolami, 1998 also brought Cassello’s return to the Opera de Bellas Artes in Mexico City as Elettra in Idomeneo singing again with Francisco Araiza. Cassello could also be heard in the “The Three Sopranos“ concerts in Aschaffenburg and Pretoria as well as in the Verdi Requiem conducted by Antonello Allemandi in the cathedral of Chartres which was televised on France 2.

1999 began with a gala Bohème in Karlsruhe opposite Vicente Ombuena and Renato Girolami. Kathleen Cassello made her debut as Violetta at the Teatro Colón in Buenos Aires after having performed the Verdi Requiem in Dresden under the baton of Gianluigi Gelmetti. After more „The Three Soprano“ concerts, she returned to the Semperoper Dresden as Donna Anna in Don Giovanni with Bo Skovhus conducted by Friedemann Layer. In June Cassello made a special appearance with “The Three Sopranos“ in concert with Luciano Pavarotti at Earl’s Court and continued the „Three Soprano“ tour in the USA and in August in Berlin. She then made her debut as Marguerite in Faust at the Opera in Marseille, operatic concerts in Durban and Lyon and performed Strauss‘ Four Last Songs in Tenerife.

Kathleen Cassello has also been heard in recital in Philadelphia, PA, Wilmington, Delaware, at the Opera in Rome, in the music festival in Biarritz, Lyon, Valence, Marseille, and Chartres, and in concert in Avignon, Montpellier, Paris, Cape Town, Stellenbosch, Hamburg, Leipzig, Berlin, Pretoria, Durban and with „The Three Sopranos„.

Kathleen Cassello’s 1999-2000 season included Konstanze in Die Entführung aus dem Serail and Donna Anna in Don Giovanni at the Semperoper in Dresden, as well as her role debut as Maria in Donizetti’s Maria di Rohan at the opera in Aachen. Kathleen’s Lucia di Lammermoor in Tenerife was so successful that they asked her back for the next two seasons and her role debut as Liù in Puccini’s Turandot in Marseille in November was highly praised by the critics. She made her role debut as Giselda in Verdi’s I Lombardi in Marseille in March of 2001. In the Spring of 2002, she is planning her debuts as Norma in Salzburg and as Cio cio san in Marseille.

Kathleen Cassello has become most noted for her portrayals of Lucia in Lucia di Lammermoor, Violetta in La Traviata and Gilda in Rigoletto due to her wide vocal range and the expressiveness of her vocal and dramatic presence.Contributed by Aryeh Oron (October 2002, October 2004)

Rita Orlandi-Malaspina

 

Am 8. April 2017 starb die italienische Sopranistin Rita Orlandi-Malaspina, in den sechziger bis achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine vor allem in Italien außerordentlich geschätzte Sängerin des Spinto-Fachs mit einer enormen Bandbreite an Partien (sogar Wagners Elsa). Ihre reife und eben sehr italienische Stimme besaß nicht so viel bemerkenswertes Timbre, aber reichlichen Aplomb, ohne wirklich nachdrückliche Portraits zu schaffen. Sie hatte das Pech, neben der Callas und der Tebaldi wie andere Kolleginnen im Schatten anderer zu stehen. Zudem wurde die zunehmende Globalisierung und Industrialisierung der Plattenaufnahmen und der internationalen Auftritte ihr zum Verhängnis. Wie bei ihrer Landsfrau Caterina Mancini (1924 – 2011) konzentrierten sich die großen Häuser Italiens auf nunmehr internationale Namen, und die Exklusivbindungen der Plattenfirmen schlossen die weniger illustren Künstler aus. Wie die Mancini oder Gabriella Tucci (geboren 1929) war die Malaspina vor allem ein solider Name eher denn ein glamouröser Star. Im Ausland und bei TV- und Radio-Aufnahmen der RAI und der italienischen Festivals wie Verona war sie ein gern gesehener Gast, so wie sie erstaunlich viel an der Met und anderen internationalen Häusern auftrat, nie wirklich mit einem ganz großen splash, aber stets doch rollendeckend und professionell. Viele offizielle Aufnahmen gibt es nicht mit ihr, aber unendlich viele Live-Mitschnitte, die auf dem grauen Markt die Anhänger der italienischen Oper bis heute erfreuen – stets an der Seite der Großen wie Bastianini oder Del Monaco. Bei youtube findet sich zudem Reichliches und Repräsentatives von ihr. Namen wie der Ihre machten die Faszination der italienischen Nachkriegsoper aus, ohne solche ist eben auch Italien eine völlig beliebig gewordene Gesangslandschaft geworden. G. H.

 

Rita Orlandi-Malaspina als Elvira in „Ernani“/ youtube

Im Folgenden ein Beitrag der englischen Wikipedia: Rita Orlandi-Malaspina (born 28 December 1937 – died 8 April 2017) was an Italian operatic soprano who had a major international career from the 1960s through the 1980s. She drew particular acclaim for her portrayals of Verdi heroines. She has also had a successful career as a concert soprano, particularly in performance of Verdi’s Requiem and Ludwig van Beethoven’s Symphony No. 9. She was married to bass Massimiliano Malaspina who also had an important opera career. Prior to her marriage she performed under the name Rita Orlandi.

Born in Bologna, Orlandi-Malaspina was a student of the famous Italian soprano and voice teacher Carmen Melis in Milan. She made her professional stage debut in Milan in 1963 at the Teatro Nuovo as Giovanna in Verdi’s Giovanna d’Arco. She quickly became a major figure in Italy’s most important opera houses during the 1960s.

Orlandi-Malaspina enjoyed a particularly fruitful partnership with La Scala, where she made her debut on 29 April 1966 as Leonora in Verdi’s La forza del destino under the baton of Gianandrea Gavazzeni with a cast that included Luigi Ottolini, Piero Cappuccilli, Nicola Zaccaria, Bianca Maria Casoni and Renato Capecchi. Other Verdi roles she was admired for at that house were Aida, Amelia in Un ballo in maschera, Elvira in Ernani, Leonora in Il trovatore, and Odabella in Attila. She also appeared as a guest artist at the Teatro dell’Opera di Roma, the Teatro di San Carlo, the Teatro Carlo Felice, La Fenice, the Teatro Regio di Parma, the Teatro Massimo, the Teatro Regio di Torino, the Teatro Comunale di Bologna, and the Teatro Comunale Giuseppe Verdi. She was a regular performer at the Arena di Verona Festival where she sang in 1968–1969 and 1971–1972. She also made several appearances at the Baths of Caracalla in Rome.

On the international stage Orlandi-Malaspina has sung as a guest at the Royal Opera, London at Covent Garden, the Bavarian State Opera, the Hamburg State Opera, the Palais Garnier, the Opéra de Nice, the Théâtre du Capitole, the Hessisches Staatstheater Wiesbaden, the Liceu, La Monnaie, the Vienna State Opera, the Teatro Colón, the Opéra de Montréal, and the Opera Company of Philadelphia. On 17 October 1968 she made a successful debut at the Metropolitan Opera in New York City as Amelia in Verdi’s Simon Boccanegra with Cornell MacNeil in the title role, Richard Tucker as Gabriele Adorno, Nicolai Ghiaurov as Jacopo Fiesco, Sherrill Milnes as Paolo Albiani, and Francesco Molinari-Pradelli conducting. She sang several more times with the company over the next 12 years portraying the roles of Elisabettta in Don Carlo (with Shirley Verrett) and Aida to the Radamès of such singers as Giorgio Lamberti, Giorgio Merighi, Ermanno Mauro, and William Johns.

Orlandi-Malaspina’s extensive stage repertoire includes such roles as Tosca, the title character in Giacomo Puccini’s Suor Angelica, Elsa in Richard Wagner’s Lohengrin, Maddalena de Coigny in Umberto Giordano’s Andrea Chénier, and a large number of Verdi roles (Luisa Miller, Abigaille in Nabucco, Desdemona in Otello, Elena in I Vespri Siciliani, Mina in Aroldo, and Lucrezia  in I due Foscari in addition to those already mentioned/ Foto oben: Rita Orlandi-Malaspina als Amelia/ „Un ballo in maschera“ an der Scala 1967/ Foto Piccagliani/ Achhivio Scala).

Ungewohnter Mozart

 

Nicht nur Teodor Currentzis und Yannick Nézet-Séguin stehen aktuell für Mozart-Zyklen. Auch der britische Dirigent Ian Page setzt bei Signum Classics seine Opernreihe fort. Mozarts Singspiel Zaide ist Fragment geblieben, Zaide war kein Auftragswerk, der Komponist legte die Gelegenheitskomposition beiseite, als er den Auftrag für Idomeneo erhielt; den Titel erhielt das Werk erst im 19. Jahrhundert. 2014 erschien bei harmonia mundi eine Einspielung von Nikolaus Harnoncourt mit dem Concentus Musicus und Diana Damrau in der Rolle der Zaide, bei der Schauspieler Tobias Moretti fehlende Stücke frei nacherzählt und so ein ergänztes Singspiel auf 2 CDs entstand. Ian Page setzt nun eine rein musikalische Aufnahme entgegen. Zaide ist ein Vorläufer der Entführung aus dem Serail, Mozart setzte 15 Nummern in Musik, viele Arien sowie jeweils ein Chor, Duett, Terzett und Quartett; eine Ouvertüre fehlen. Die christliche Sklavin Zaide wird von Sultan Soliman begehrt, liebt aber den Sklaven Gomatz. Beide fliehen, der Sultan wird wütend, die Geflohenen gefangen und die Situation beginnt zu eskalieren. Wie die Rettung vor dem Sultan und überhaupt ein glückliches Ende erfolgen sollte, bleibt unklar. Die Komposition bricht an einer Stelle ab, die weit von jedem Happy-End entfernt ist, und auch die gesprochenen Dialoge sind nicht überliefert. Dirigent Ian Page und sein Orchester Classical Opera stehen erneut für präzises, inspiriertes und beseeltes Musizieren, das sich nie in den Vordergrund drängt, Pages Mozart glänzt, ohne plakativ Funken zu schlagen. Akustisch geschieht dies bei dieser Studioaufnahme mit sehr gutem Klang. Anstelle der fehlenden Ouvertüre erklingt zu Beginn das Entr’acte aus Thamos (KV345), danach sind sehr gute Sänger zu hören. Zaide hat drei Arien, die die Sopranistin Sophie Bevan mit schönem, hellem Sopran und warmem Timbre singt, die bekannteste Arie “Ruhe sanft“, das Lamento „Trostlos schluchzet Philomele“ und die beherzte Antwort auf die Todesdrohung des Sultans „Tiger! wetze nur die Klauen“ erklingen mit viel Emphase. Tenor Allan Clayton als Gomatz überzeugt in den so unterschiedlichen Arien  „Rase, Schicksal, wüte immer“ und „Herr und Freund, wie dank‘ ich dir„. Tenor Stuart Jackson hinterläßt als Soliman  Eindruck, seine Stolz- und Rachearie „Der stolze Löw’ läßt sich zwar zähmen“ ist unmittelbar spannend. Allazim ist bei Bariton Jacques Imbrailo und Osmin bei Bassbariton Darren Jeffery in sehr guten Händen und Stimmbändern. Die Ensembles klingen tadellos, das Zuhören dieser Einspielung bereitet Freude. Eine wichtige Einschränkung besteht dennoch: Spätestens bei den zwei melodramatischen Stücken mit Textpassagen ist zu erkennen, dass man es nicht mit Muttersprachlern zu tun hat. Ein ausführliches Beiheft in Deutsch und Englisch mit Libretto wertet die CD weiter auf. (Signum Classics, SIGCD473)

Nun zu einem Mozart mit Ersatzteilen. Es ist einiges ganz anders bei dieser Mozart-Einspielung von La Clemenza di Tito, die bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik im Jahr 2013 entstand. Dirigent Alessandro De Marchi und die Academia Montis Regalis sind Spezialisten für Alte Musik, musiziert wird hier nicht die Originalversion Mozarts, sondern eine Bearbeitung, die so 1804 in Wien zu hören war und bei der die Oper mit neuen Arien anderer Komponisten ergänzt wurde, andere Passagen dafür gestrichen wurden. Vom Wiener Dirigenten Joseph Weigl stammen zwei neue Arien für Titus sowie ein Duett für Titus und Sextus, von Johann Simon Mayer stammt eine weitere Arie für Titus. Weigl hatte als junger Dirigent Mozart noch persönlich kennengelernt, seine neue Arien versuchen sich einzupassen, verwenden bspw. thematisches Material, Mayer liefert frühe Belcanto-Anklänge bei. Weiterhin werden die Rezitative von Cello und Kontrabass anstelle Cembalo oder Hammerklavier begleitet. Das ist als historische Praxis überliefert und als stilistische Eigenart aufschlussreich, man muss es aber so hören wollen, gerade auch deshalb, weil auch sängerisch nicht alles optimal klingt bei diesem kombinierten Mitschnitt verschiedener Aufführungen. Dem baritonalen Tenor Carlo Allemano mangelt es als Tito an Glanz, dem Bariton Marcel Bakonyi als Publio an Ausdruck. Bei den Sängerinnen wird differenzierter gesungen, Nina Bernsteiner als Vitellia und Kate Aldrich als Sesto lassen durch Ausdruck und Technik aufhorchen. Weiterhin sind Beth Solvang als Annio und Dana Marbach als Servilia zu hören. Chor und Orchester der Academia Montis Regalis bieten eine gute Interpretation, die Ouvertüre überschlägt sich fast, danach geht es dann aber eher überraschungsfrei weiter. (2CD cpo 777870-2)

Mozart – Last Masonic Words heißt eine Reprisen-CD der alten Columbia mit historischen Aufnahmen, die sich freimaurerischer Musik des Komponisten widmet. Besondere Erkenntnisse verbergen sich dahinter nicht, Mozart als Logen-Bruder ist nur eine lose Klammer für die Wiederverwertung alter Aufnahmen, die allerdings interessante Wiederbegegnungen ermöglichen. Zu hören sind die Ouvertüre zur Zauberflöte, „Eine kleine Freimaurer-Kantate“ K623 und der Maurergesang „Lasst uns mit geschlungenen Händen“ K623a. Diese ersten drei Stücke sind mit dem Chor und Orchester der Wiener Volksoper, dirigiert von Peter Maag sowie u.a. Kurt Equiluz, Rudolf Resen, Kurt Rapf, Franz Ellmar und Leo Hoppe. Weiterhin gibt es das Requiem mit den New Yorker Philharmonikern und Bruno Walter, als Sänger sind Irmgard Seefried, Jennie Tourel, Leopold Simoneau und Wiliam Warfield in einer getragen breit klingenden Interpretation zu hören. Die Aufnahmen von 1956 und 1959 sind SACD remastered, die Wiener Einspielungen haben eine den Umständen entsprechend akzeptable Akustik, das New Yorker Requiem klingt hingegen dumpf, als würde man aus einem anderen Raum zuhören. (Pragadigitals, PRD 350211)
Marcus Budwitius

Auf der Suche nach Heimat

 

Ein junger Mann, 1982 in Regenburg geboren, inzwischen vornehmlich in London lebend, ist auf der Suche nach Heimat. Was ist Heimat für einen, der noch ein Kind war, als der Eiserne Vorhang in Europa fiel, der sich immer völlig frei bewegen konnte, heute hier, morgen dort. Der nie etwas anderes gekannt hat als diese grenzenlose Freiheit. Ist Europa schon die Heimat geworden für einen wie ihn? Oder schwingt da im tiefsten Innern doch eine Sehnsucht nach einem ganz konkreten Ort mit? Nach einer Stadt, einem Dorf, einem Landstrich. Heimat ist ein schwieriges Wort. Es wurde und wird noch immer missverstanden und missbraucht. Dabei ist es ein schönes Wort.

Bei jungen Leuten, die sich nicht mit dem historischem Ballast der Großväter herumschleppen müssen, hat es wieder eine Chance, völlig unverkrampft gebraucht zu werden. Bei dem jungen Mann, den offenbar keine Schwierigkeiten mit dem Wort plagen, handelt es sich um den Bariton Benjamin Appl. Er hat seiner ersten CD bei Sony den Titel Heimat gegeben (88985393032). Seit einiger Zeit ist der Sänger Exklusivkünstler der Firma. Daran knüpfen sich viele Hoffnungen, für den Künstler wie auch für sein Publikum. Nach Überzeugung des Gramophone Magazins stieg er bereits zum „Spitzenreiter der neuen Generation der Liedersänger“ auf. So weit würde ich nicht gehen. Noch nicht. In diesen Blumenstrauß der Huldigung ist viel Vorschusslorbeer eingebunden. Appl steht am Anfang. Was auch zu hören ist. Die Register sind noch nicht ausgeglichen. Hohe Töne reißt er mitunter nach oben, anstatt sie aus den unteren Lagen anschwellen zu lassen. Dann klingt es hohl. Für sich genommen ist das Timbre sanft und eingängig. Appls Stimme verfügt auch über einen hohen Wiedererkennungswert, klingt etwas älter, als er in Wirklichkeit ist. Er ist sehr gut zu verstehen. Das sind beste Voraussetzungen für einen Liedsänger. Wenn er intensiv an der Vervollkommnung seiner Technik arbeitet, wird er zur Spitze aufsteigen, wo ich ihn noch nicht sehe. Mit Bedacht tastet er sich nach vorn. Respekt vor der Herausforderung drückt sich bei ihm in Vorsicht und Zurückhaltung aus. Nicht bitte jetzt schon die Winterreise!

So könnte der junge Franz Schubert ausgesehen haben. Bewiesen ist es nicht. Die Kreidezeichnung soll von Leopold Kuppelwieser stammen, der zum Freundeskreis Schuberts gehörte. Die meisten Lieder auf der neuen Appl-CD stammen von ihm/ Wiki

Und dennoch soll das vorauseilende Werturteil des Musikmagazins nicht kleingeredet werden. Vor allem jene Musikfreunde dürften es gern zur Kenntnis nehmen, die sich mit Liedern beschäftigen, die ihren Fischer-Dieskau, Prey, Wunderlich, Goerne oder Gerhaher sehr gut kennen und schätzen, die aber immer Ausschau nach neuen Talenten, Eindrücken und Stimmen halten. Es ist sehr erfreulich, dass sich Sängerinnen und Sänger verstärkt Liedern zuwenden. Auch die jungen. Der Musikmarkt bewegt sich in diese Richtung. Appl ist da nur ein Beispiel, wenngleich ein besonders gutes und hoffnungsvolles. Er lässt Gefühle zu, nicht nur sublimiert als Kunst, sondern in Wort und Schrift. Das ist sympathisch und nimmt ihn gewiss zusätzlich für ein. Für das Booklet hat er einen persönlichen Text verfasst: „Jeder von uns kennt aufgrund verschiedener Erfahrungen die Empfindung von Geborgenheit, die einen durch einen Ort, eine Situation oder Personen vermittelt wird. Manchmal erfährt man aber auch Einengung, Vorurteil oder Schmerz“, schreibt er. Dichter und Komponisten, hätten sich seit Jahrhunderten damit beschäftigt. „In unserer Zeit ist diese Thematik noch aktueller und drängender denn je, wo viele ihre Heimat verlieren oder aufgeben.“ Heimat sei etwas, was Menschen wirklich bewege. In den Liedern der CD sieht er ein Stück seiner „Lebensreise“. Es seien Texte, die trösteten, Freude bereiteten, Erinnerungen wachriefen, aber auch Lieder, die von Aufbruch und Findung berichteten, „nicht zuletzt aber als Wegbegleiter und Wegbereiter von Vertrautheit und Halt“. Andere wiederum spiegelten Momente wider, in denen ein Stück Heimat verloren gegangen sei. Entsprechend ist die Auswahl getroffen. Die Literatur zum Thema Heimat ist groß. Dichter und ihre Komponisten fühlten sich zu allen Zeiten ausgestoßen, an den Rand der Gesellschaft in Außenseiterpositionen gedrängt. Auf einen Prolog mit Franz Schuberts „Seligkeit“ folgen die Themen Wurzeln, Räume, Menschen, Unterwegs und Sehnsucht, ausschließlich von deutschsprachigen Komponisten bestritten.

Die neue CD von Benjamin Appl mit Schubert-Liedern hält einen Abend in der Londoner Wigmore Hall fest und erscheint in Kürze.

Zu Schubert, der mit Liedern am häufigsten vorkommt, treten Max Reger, Johannes Brahms, Franz Schreker, Hugo Wolf, Richard Strauss und Adolf Strauss hinzu. Adolf Strauss? Über diesen 1902 geborenen Komponisten ist wenig bekannt. Er schrieb den Tango „Ich weiß bestimmt, ich werd’ dich wiedersehen“ im KZ Theresienstadt unmittelbar vor dem Todestransport in die Gaskammern von Auschwitz. Musikalisch kann dieser Titel, der an Barmusik denken lässt, mit den anderen Liedern nicht mithalten, zumal er zwischen „Wanderer an den Mond“ und „Heimweh“ von Schubert geklemmt ist. Durch die tragischen Umstände seines Entstehens schon. Appl hat gut daran getan, in seinem Programm, das man sich auch als Liederabend vorstellen kann, mit diesem Lied auf nachdenkliche Weise innezuhalten bei seiner Suche nach Heimat. Zugleich aber empfiehlt er sich als Begabung für dieses leicht gestrickte und eingängige Genre jenseits der hohen Schule des Liedgesangs. Appl hat Sexappeal in der Stimme. Die abschließende CD-Abteilung „Grenzenlos“ wird vom Franzosen Francois Poulenc und den Engländern Benjamin Britten, Ralph Vaughan Williams, Sir Henry Bishop (1786-1855), Peter Warlock (1894-1930), John Ireland (1879-1962) bestritten, bevor das Programm mit einem Prolog ausklingt, bestehend aus zwei Liedern des Norwegers Edvard Grieg„An das Vaterland“ und „Ein Traum“. Hier schließt sich der Kreis. Heimat und Vaterland als immerwährender Traum. Ein schöner Gedanke.

 

Zuletzt hatte Benjamin Appl bei Champs Hill diverse Lieder aufgenommen. Dem Vernehmen nach soll er der letzte Schüler von Dietrich Fischer-Dieskau gewesen sein. Zwischen 2010 bis 2013 studierte er an der Guildhall School of Music and Drama in London, wodurch sich auch der Kontakt zu dem englischen Label ergeben haben dürfte. Appl ist nicht festgelegt auf eine Richtung. Er singt sowohl Opern als auch Oratorien und Lieder. Damit liegt er ganz auf der Linie seines berühmten Lehrers. Dem Aussehen nach ist er ehr der Popstar, dem die Fans zu Füßen liegen. Das muss im gediegenen Klassikgeschäft kein Nachteil sein. „Stunden, Tage, Ewigkeiten“ ist die CD mit Liedern nach Heinrich Heine betitelt (CHRCD112). Heine, der als der letzte Dichter, der Schlusspunkt der Romantik gilt, hat Komponisten magisch angezogen. Franz Schubert sind einige seiner bedeutendsten Lieder auf seine Texte gelungen: „Der Atlas“, „Ihr Bild“, „Die Stadt“, „Der Doppelgänger“. Diese vier Titel aus dem Schwanengesang hat Appl aufgenommen. Sie gelingen ihm gut. Appl lässt sich Zeit beim Singen. Dadurch kann er alle textlichen und musikalischen Details ausbreiten. Bei der Programmauswahl haben sich die Produzenten nicht nur auf Altbekanntes verlegt. Auftakt ist das Lied „Gruß“ in der Vertonung von Edvard Grieg, gefolgt von den Sechs Liedern von Heine des russischen Komponisten und Pianisten Anton Rubinstein, der viele Lieder hinterlassen hat. Die erweisen sich als Entdeckung und mehren den Wert dieser Neuerscheinung.

Heinrich Heines Dichtung hat Komponisten und ihre Interpreten immer wieder magisch angezogen. Auch Benjamin Appl hat ihm eine CD gewidmet. Foto: Wikipedia

Seinem Höhepunkt strebt die Programmauswahl mit Roberts Schumanns Dichterliebe zu. Begleiter ist – wie auch bei der ersten Sony-Produktion James Baillieu. Im hübsch aufgemachten Booklet kommt der Sänger, wie jetzt bei der Sony-CD ebenfalls zu Wort. Obwohl er ja durch seine Stimme und nicht durch das geschriebene Wort erklärend Eindruck machen soll, ist das für sich genommen eine gute Idee. Zumal Appl auch hier sehr persönlich wird: „Mit meinen Deutungen suche ich bewusst einen jungen, frischen Interpretationsansatz für die vorwiegend liebesbezogenen Textvertonungen.“ Und weiter: „Die Komponisten waren im vergleichbaren Alter, meistens jedoch noch jünger als ich jetzt. Ihre persönlichen Erlebnisse hatten sie sicher damals dazu bewegt, vorliegende Texte auszuwählen und in ihre musikalische Sprache einzukleiden. Durchlebt man doch in jungen Jahren erfüllte wie auch enttäuschende Stunden der Liebe besonders intensiv.“ Sein Vortragsstil auf dieser CD wirkt selbstbewusst und frisch, und doch nicht nassforsch. Er vergeht nicht vor Erfurcht vor diesen Meisterwerken, er nähert sich mit einer gewissen Lockerheit an. Das macht die Aufnahme zum Hörvergnügen. Nur hier und da hinterlässt er noch einen akademischen Eindruck. So, als würde er die Lieder in einem Seminar vortragen, in dem auch andere Studenten und Professoren sitzen. Habe ich alles richtig gemacht? Er hat! Dieser Sänger ist auf einem sehr guten Weg. Es besteht nicht der geringste Zweifel für mich, dass noch viel von ihm zu hören sein wird. Rüdiger Winter

Das große Foto oben ist ein Ausschnitt des Covers der Lieder-CD von Benjamin Appl, die bei Sony herausgekommen ist. Ohne Schriftzug findet es sich auch im Innern der Neuerscheinung. Foto: Lars Borges / Studio Borges

Gegen das Vergessen

 

„Mission Musik“  nennt sich das gerade erschienene Buch, das Gespräche des schwedischen Dirigenten Herbert Blomstedt mit Julia Spinola wiedergibt, ergänzt durch ein Vorwort und eine Einleitung sowie durch einen umfangreichen Anhang. Mutet der Begriff „Mission“ zunächst in Verbindung mit „Musik“ etwas befremdlich an, so wird dem Leser zunehmend klarer, dass das, was dem Vater noch Missionierung zum adventistischen Glauben bedeutete, für den Sohn, zwar auch tief gläubig, einen ganz anderen Sinn hat: Musik so aufzuführen, wie der Komponist sie geschrieben hat, und sie in einer Welt, die zunehmend den Versuchungen leichter konsumierbarer Popmusik verfällt, vor dem zunehmenden Vergessenwerden zu bewahren.

Im Vorwort berichtet Julia Spinola sachlich darüber, wie es zum Entstehen des Buches kam, und gibt einen Überblick über den Inhalt der einzelnen, in Gesprächsform gehaltenen Kapitel. In der Einleitung dann verfällt sie einer überschwänglichen Schwärmerei, entfernt sich damit vom Charakter der Persönlichkeit, die sich später im Verlaufe der Gespräche in einer ganz anderen, klareren und sachlicheren  Art und Weise darstellt und nimmt dem Leser damit fast die Möglichkeit, sich unbefangen selbst ein Bild von dem Portraitierten zu machen. „Alles Theatralische und Kostümierte ist ihm wesensfremd“, schreibt sie, wählt aber selbst eine Darstellungsweise, der das gar nicht fremd ist und die sich quasi vor den Dirigenten drängt. Es ist dem Leser also zu empfehlen, erst die Gespräche zu lesen und sie dann an dem in der Einleitung entworfenen Bild zu messen. Man kann dann durchaus zu einem ähnlichen Urteil kommen, aber es wird dem Leser nicht im Voraus aufoktroyiert.

Die einzelnen Kapitel beginnen jeweils mit einem Motto, einem Zitat des Dirigenten, der in so schlichter wie überzeugender Weise zunächst seine Jahre in Dresden schildert, den Zwiespalt zwischen der Liebe  für die Besonderheiten der Staatskapelle, deren „existenzielle Unbedingtheit“, und der Abneigung gegenüber einem Staat, der seine Bürger gefangen hält. Besonders sympathisch berührt nicht nur die Ehrlichkeit, die man in jedem Satz vermutet, so das Geständnis, dass zunächst Vorbehalte gegenüber der Musik von Richard Strauss bestanden. Es folgen Berichte über die Jahre in San Francisco, Hamburg und Leipzig, und man erfährt Interessantes über das Verhältnis von Kurt Masur zum Gewandhausorchester, über die unterschiedlichen Sitzordnungen innerhalb des Orchesters, so die von Blomstedt durchgesetzte „deutsche“, über den vielbeschworenen „deutschen Klang“ und fühlt sich so gut unterrichtet wie bisher noch nie zuvor, wie auch über die grundsätzlich unterschiedliche Herangehensweise an Kompositionen à la Mendelssohn oder Wagner.

Ein weiterer Gesprächskomplex ist Kindheit, Ausbildung und ersten Engagements gewidmet, den Konflikten, die durch den arbeitsfreien Sonnabend der Adventisten entstehen. Neben vielen anderen wird Bernstein erwähnt und einiges weniger oder gar nicht Bekanntes über ihn berichtet, wobei wie auch bei den Passagen über Furtwängler Respekt und Zuneigung auch dort unübersehbar sind, wo Blomstedt nicht mit allem einverstanden ist.

Wie sehr der Dirigent sich selbst weniger wichtig als die Musik, die er dirigiert, nimmt, zeigt sich darin, dass er weniger über sich selbst als über diese berichtet und so ein umfangreiches Kapitel über „Werkanalyse, Interpretation und den Umgang mit dem Orchester“ beiträgt. Sehr überzeugend klingt, dass das Orchester weniger temperamentvolle Zeichengebung als „geistige Energie“ als Hilfestellung  braucht, dass sein künstlerisches Ethos mit seinem Glauben zusammenhängt.

Auch wenn Blomstedt am 17. Juli 2017 seinen 90. Geburtstag feiern wird, hat er  bisher unerfüllte Wünsche wie den, den schwedischen Komponisten Stenhammar bekannter zu machen. Appetit darauf bekommt der Leser durch das, was der Dirigent über den Musiker zu sagen hat.

Bei einem Besuch in Göteborg kann Julia Spinola erleben, dass Blomstedt seine umfangreiche Bibliothek  der Allgemeinheit zugänglich gemacht hat. Ein Kapitel über Bach und besonders dessen h-Moll-Messe und über Beethoven und besonders dessen Tempovorstellungen beschließen die Gespräche, die man mit großem Gewinn lesen kann und die den Wunsch provozieren, der Dirigent möge noch recht lange als Anwalt der Komponisten tätig sein, auch den Plan ausführen, gemeinsam mit Barenboim Furtwänglers Klavierkonzert aufzuführen (Henschel Verlag 2017, ISBN 978 3 89487 950 1). Ingrid Wanja

Clement Harris und Siegfried Wagner

 

„Um seine wiege war sorgloser glänz, Ihm reiften rühm und huldigung, doch eitel War ihm ein trachten ohne frommes tun, Er half zum dank für nie erschöpfte wonnen Die Hellas schenkte — deren matten erben Im kriege … Jetzt beschämt noch unsre söhne Die sich in schaler Lust für künftige ämter Verstumpfen — seine wunde wie sein lorbeer“. „An Clemens, gefallen am 23. April 1897„, lautet die Widmung eines Gedichts in Stefan Georges „Siebentem Ring“, überschrieben „Pente Piagadia“, zu deutsch „Fünf Brunnen“. Wer war, so fragte sich lange Jahre die Literaturkri­tik, jener Clemens, der laut George zu einer Zeit fiel, da in Europa kein Krieg wütete? Gemeint ist der britische Kom­ponist Clement Hugh Gilbert Harris, der sich mit einem selbst angemieteten Söldnerheer für den griechischen Freiheitskampf stark machte, ein später Er­be von Lord Byron.

 

Zu Clement Harris/ Jugendbild/ entnommen dem Standardwerk zu Siegfried Wagner von Peter P. Pachl: „Siegfried Wagner – Genie im Schatten“, Nymphenburg 1988

Ein privilegiertes Leben: Kein unbedeutender Komponist, und auch keineswegs unbekannt, wenn auch lange Zeit vergessen, wurde Harris zu Lebzeiten in seinem Heimatland durch­aus Edward Elgar an Bedeutung gleich­gesetzt. Aber beginnen wir von vorn: Clement Hugh Gilbert Harris; geboren am 8. Ju­li 1871 in Wimbledon als fünftes von sechs Kindern. Die Eltern sind wohlhabend. Der Vater ist der Senior der Ree­derei Dixon and Harris. Obendrein ist er Zunftmeister und königlicher Friedens­richter für die Grafschaft Glamorgan. Als Harris 1885, im Alter von dreizehn Jahren, in Harrow eingeschult wird, fragt ihn der Rektor: Und was willst du einmal werden? „Berühmt!“ ist die Ant­wort des jungen Clement. Und in sei­nem Tagebuch erzählt er: „Die meisten freien Nachmittage verbrachte ich in der Bibliothek. Ein anderer Lieblingsaufenthalt war der Kirchhof. Ich mag mich besinnen, wie ich einmal auf dem­selben Stein, auf dem schon Byron ge­sessen und geträumt hatte, Tränen der Schwermut vergoss und wie dabei im Herzen die Sehnsucht erwachte, auch mein Name möge meinem Vaterland dereinst Ruhm und Ehre erwerben.“ Mit fünfzehn Jahren gibt er das Violin­spiel auf und übt stattdessen Klavier: Bereits im Juli 1889 sieht man ihn als Opernbesucher – an der Seite von Oscar Wilde und dessen Frau Constanze. Mit siebzehn Jahren, im September 1889, geht Harris an das Hoch’sche Konserva­torium in Frankfurt. Clara Schumann will keine Schüler mehr annehmen. Bereits seit einiger Zeit kann sie schnell aufeinanderfol­gende Harmonien nicht unterscheiden und hört oft ganz andere Töne, als ge­spielt werden. Aber auf Bitten des Di­rektors Bernhard Scholz hört Clara Schu­mann das Vorspielen von Clement Har­ris an — und sie akzeptiert ihn als Schüler.

Aber der Musik gilt nicht Clements aus­schließliches Interesse. Sein Studierzim­mer mit dem Klavier und Vasen frischer Rosen gemahnt an einen Alchemisten: „Am Fußboden ausgebreitet astronomi­sche Tabellen und — von früh auf Lieblingsspielzeug — elektrische Basteleien und Apparaturen.“ Mit Vorliebe magnetisiert Clement Harris seine Kom­militonen. Ganze Gesellschaften finden sich dazu in seinem Studierzimmer ein. Darunter auch der Komponist Hans Pfitzner und sein Librettist James Grun, der in jenen Kreisen selbst als Prophet gefeiert wird. „Ich magnetisierte den Propheten, diesmal mit so viel Erfolg, dass ich eine Nadel durch seinen Arm zog, um zu beweisen, dass keine betrü­gerische Täuschung vorläge. Imboden (einem Kommilitonen) wurde ganz übel dabei und musste mit Wasser erfrischt werden. Ich verfüge zweifellos über eine sehr wundersame Kraft.“ Clement genießt den Unterricht bei Clara Schumann: „O, dieser heutige Vormittag!! Sie spielte mir alleine vor, sie war so anmutig und gütig, und ihr Anschlag vollendet und rührend und doch so silbrig. Man wird beschämt über das Unzulängliche der eigenen Be­mühungen.“

 

Zu Clement Harris: Portrait Siegfried Wagners, signiert mit Harris´ Psyeudonym „R. Gilbert“ 1893/ entnommen aus dem Standardwerk von Peter P. Pachl: „Siegfried Wagner – Genie im Schatten“, Nymphenburg 1988

Wesensfreund Siegfried Wagner: Im Salon des ihm befreundeten Ehepaars Edward Speyer in Frank­furt erlebt Clement Johannes Brahms, der Frau Speyer bei einem Lied beglei­tet. Durch Speyer, der selbst Sohn eines Komponisten ist, lernt Clement auch die andere Seite der musikalischen Ge­genwart kennen. Denn hier verkehren auch der Direktor des Städel’schen Kul­turinstituts, Henry Thode, und seine Frau Daniela Thode, geborene von Bülow, und deren Halbbruder Siegfried Wagner. „Der Sohn des Riesen war auch da. Wir hatten ein langes Gespräch über Wagner. Er sieht seinem Vater sehr ähnlich, hat aber einen weniger mächtigen Kopf“, vermerkt das Tagebuch am 12. Dezem­ber 1889.

In seinen lesenswerten Erinnerungen „My Life and my friends“ berichtet Ed­ward Speyer, dass sich Clement Harris und Siegfried Wagner bei ihrer ersten Begegnung in seinem Haus sogleich an­gezogen fühlten. Bei den Künstlerfesten im Hause Speyer travestiert Siegfried Wagner gerne als Primaballerina, auch zu Musik von Jacques Offenbach. Cle­ment steht in einer Ecke des Saals mit dem Maler Hans Thoma und spricht plötzlich aus, was der denkt: „Wo wer­den all diese fröhlichen und lachenden Paare in hundert oder auch nur in fünf­zig Jahren sein? Sie sind heute so jung, so glücklich — unvorstellbar, dass sie je alt und traurig würden.“ Hans Thoma, erschreckt, dass jemand seine Gedanken lesen kann, lädt den jungen Engländer in sein Atelier ein. Clement weint ange­sichts der Bilder „Paradies“ und „Ruhe auf der Flucht“.

Zu Clement Harris: Siegfried Wagner/ Foto entnommen aus dem Standardwerk zu Siegfried Wagner von Peter P. Pachl: „Siegfried Wagner – Genie im Schatten“, Nymphenburg 1988

In der Neujahrsnacht 1890 vermerkt Harris in London in seinem Tagebuch: „Manchmal glaube ich, verrückt zu sein. Vielleicht bin ich es. In dem Leben ist man nie zufrieden; man will immer, was man nicht hat und das ist? Die Liebe.“ Er verspricht der besorgten Mutter, am kommenden Sonntag in die Kirche zu gehen, aber im Nebel verläuft er sich in der Stadt und gelangt in die Tite Street zur Wohnung Oscar Wildes: „Ich saß in Oscars Arbeitszimmer und las und un­terhielt mich mit ihm, bis Constanze – Wildes Frau – zur Mittagszeit aus der Kirche kam. Plötzlich durchfuhr es mich wie ein elektrischer Schlag: ich hatte mein gegebenes Versprechen gebrochen. Mir wurde eiskalt. Das Gespräch mit Oscar streifte viele und verschiedenar­tige Themen: Kant, Schopenhauer, das ewige Leben in einer anderen Welt, den Meister und anderes mehr. Er ist ein ausgeprägter Idealist, was ihn mir nahe bringt. Idealismus ist Kunst, Realismus Natur – aber – unter der Hand eines Genies gewinnt das Ideale die höchste Realität.“ Bereits am Tag darauf ist er zum Lunch erneut bei Oscar Wilde, der Clement zu Ehren Kaviar servierte: „,Kaviar‘ – wie er sich ausdrückte – von einem Geschmack, den man nur in Träumen kostet‘. Anschließend hatten wir ein langes Gespräch über das schönste und wunderbarste, was es gibt, Malerei, Musik, Liebe.“ Im Sommer 1891, als sich Clement Harris bei Oscar Wilde für dessen Buch der gesammelt erschienenen Aufsätze über Kunst bedankt, tut er dies mit den Worten: „Es bedeutet mir viel, jeman­dem zu begegnen, der meinen eigenen Kunstanschauungen so nahe steht.“

Kurz darauf sind Clement und Siegfried Wagner Duzbrüder. Und Wagner er­klärt Clement am 8. Juli 1890, seinem 19. Geburtstag, zum Vorbild: „Neun­zehn Jahre alt und noch nichts geleistet. Es gibt nur einen, den ich wage, zum Vorbild meiner Wünsche zu erheben. Ihn, der zwanzigmal mehr gelitten hat als ich; ihn, der in Kunst und Leben die Philister und Ungläubigen bekämpfte und zuletzt den Sieg errang. Er sei mein Leitstern, der Leuchtturm in branden­der See und ein Hafen, in dem ich an­kern kann. Ich bin jung, ich kann arbei­ten. Ich will sehen, wie weit ich es bringe.“ „O, könnte ich doch alle Geg­ner von der Echtheit und gigantischen Größe des Meisters überzeugen.“

Zu Clement Harris: Siegfried Wagners Travestieren als Ballerina ist leider nicht dokumentiert; hier doubelt Thomas Hailer in Edmund Gleedes 1986 uraufgeführtem Musiktheater „Cosima Notte oder Notre Dame de Bayreuth“/ Foto entnommen aus dem Standardwerk zu Siegfried Wagner von Peter P. Pachl: „Siegfried Wagner – Genie im Schatten“, Nymphenburg 1988

Im Spannungsfeld Clara Schumann – Bayreuth: Nun kann der Streit mit Clara Schu­mann nicht ausbleiben. Sie klassifiziert den „Tristan“ für das Widerwärtigste, was sie in ihrem Leben gesehen und ge­hört hat: „Den ganzen zweiten Akt hin­durch schlafen und singen die beiden, den ganzen letzten Akt stirbt der Tris­tan, volle 40 Minuten, und das nennen Sie dramatisch!!! Das sind ja nicht mehr Gefühle, das ist Krankheit, sie reißen sich förmlich das Herz aus dem Leibe, und die Musik versinnlicht das in den widerlichsten Klängen!“ Für Clement aber verschlingen sich im „Tristan„Gedankentiefe und besessene Ekstase, und wie abgerundet und präzise ist dabei das Ganze, ein gefasster Edelstein, der im Dunkeln blitzt. Ein geheimnisvolles Gruselmärchen mit einem strahlenden und zugleich grässlichen Ende. Worte können nicht schildern, wie der erste Eindruck auf mich war. Ich bin über­wältigt vom kolossalen Ausmaß des Ganzen. Dem Text vermochte ich nicht recht zu folgen, glaube aber, dass auch nur wenige Deutsche ihn wirklich ver­stehen. Ich hoffe, ihn eines Tages zu be­greifen und in seiner vollen Wucht auf mich wirken zu lassen.“ So schreibt er nach einer „Tristan“-Probe. Und nach der Aufführung: „O Tristan, Tristan, was für eine großartige Schöpfung du bist! Ich war völlig erschlagen nach der Aufführung, die mit Abstand die beste war, die ich von irgendeinem der Werke gesehen habe. Später ging ich in die Stadt, um eine Kleinigkeit zu essen, mochte aber vor Erregung nichts zu mir nehmen. Ich lief weiter in Richtung Ginnheim und kam erst um zwei Uhr in der Früh nach Hause. Dann lag ich wach im Bett, bis es dämmerte. Ich fand kei­nen Schlaf.“

Clement Harris: „Macao“/ Zeichnung aus Ostasien zu dem Tagebuch Siegfried Wagners/ Foto mit Dank von der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft

Im Juli 1891 tritt Harris seinen ersten Bayreuth-Besuch an. Cosima klassifiziert er als „eine wirklich sehr ungewöhnliche Frau von starker Faszination“. Den „Tris­tan“ erlebt er in der Familienloge der Wagners, „aufgeregt und völlig zer­mürbt“ und schluchzt wie ein Kind. Bei einem Bayreuther Juwelier erwirbt er eine Halskette, an der er ein ihm von Da­niela Thode geschenktes, in Lava ge­schnitztes Amulett trägt: „Zum Schutze unserer Freundschaft“. Es ist ein Fami­lienerbstück, das Richard Wagner seiner Frau in Neapel zum Geschenk gemacht hatte. Harris führt die englische Korrespondenz für die Festspielleitung. Er ver­kehrt mit den Familienmitgliedern der Wagners, Baron Clemens von Francken­stein, Houston Stewart Chamberlain und Richard Strauss. Nur an der Judenhatz, wenn der Berliner Hof- und Dompredi­ger Adolf Stöcker, der größte Antisemit seiner Zeit, bei Cosima zu Besuch ist, be­teiligt Harris sich nicht: „Seine Ansich­ten über Judaismus konnte ich nicht alle als ungetrübte Wahrheit akzeptieren.“

 

Clement Harris: „Hafen“/ Zeichnung aus Ostasien zu dem Tagebuch Siegfried Wagners/ Foto mit Dank von der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft – dieses und weitere Aquarelle im Original bis zum Juni 2017 zu besichtigen in der Siegfried-Wagner-Ausstellung im Schwulen Museum Berlin.

Die Ostasienreise: Kurz darauf lädt Clement Harris Sieg­fried Wagner zu einer Ostasienreise auf der „Wakefield“, einem der Kaufmanns­schiffe seines Vaters, ein. Wie Cosima im Brief einer Freundin mitteilte, begrüßte Siegfried die Auffor­derung zur Reise „wie eine Befreiung“. In einem Brief teilt Clement Clara Schu­mann mit, dass er seine Pianistenausbil­dung in Frankfurt abbrechen werde: „Ich übernahm mich während der letz­ten zwei drei Monate in Deutschland. Die häufigen Reisen nach Karlsruhe (zu Felix Mottl und zu dem dort am Po­lytechnikum studierenden Siegfried Wagner) und jene großartigen, aber er­regenden Aufführungen waren für mei­ne Nerven einfach zu viel. Als ich in London ankam, war ich ein Wrack. Ich werde jetzt auf einem von Vaters Schif­fen eine Seereise machen, um mich ge­sundheitlich wieder herzustellen.“ Die Trennung von Clara Schumann war die Folge von Harris‘ Bindung an Bayreuth. Denn in seinem Tagebuch ist zu lesen: „Mein großer Wunsch ist immer noch, Pianist zu werden. Möge das neue Jahr mir gute Fingerfertigkeit bescheren – und noch etwas andres, was ich nicht aufschreiben darf, nicht aufzuschreiben wage.“ Gleichzeitig reift aber auch sein Entschluss, sich „einer höheren und größeren Kunst zuzuwenden, ich meine die Kunst, ein Orchester zu dirigieren“. Über Singapur, Saigon, Hongkong, Kanton, Macao, Manila, Santa Cruz, Colombo, den Philippinen und zurück über Ceylon nach Neapel führt Harris und Siegfried Wagner die Ostasienreise. Vor China liest Harris Miltons „Paradise Lost“. „Die Sonne steht jetzt genau über mir: ich habe keinen Schatten mehr und vermisse diesen finstren Begleiter. Es ist, als verlöre man einen Teil seiner See­le.“ Und Siegfried Wagner vermerkt in seinem Reisetagebuch: „Auf der Batän Insel, unweit Formosa, „landeten wir, krabbelten wieder herum und suchten eine geeignete Stelle zum Baden […] Wir zogen uns aus, ließen unsre Sachen unter einem Busch und stürzten uns — zwei Adame — in die warme See und schwammen. Wir pfiffen und sangen, und die Kokospalmen werden wohl zum erstenmal ,Es gibt ein Glück, das ohne Reu‘ gehört haben.“

Clement Harris: Der griechische Befreiungskampf gegen die Türken/ Ölgemälde von Delacroix/ Wiki

Durch das unverhoffte musikalische Er­lebnis eines Chors aus Bachs Johannes- Passion, mitten im Straßenlärm von Singapur, durch mannigfaltige sinnliche Eindrücke, aber insbesondere durch den Zuspruch des englischen Freundes ent­schließt sich Siegfried Wagner, seine Pläne als Architekt aufzugeben und sich ganz der Musik zu widmen. („Wir sitzen den ganzen Tag in unseren Deckstühlen, nur in unsere dünnsten Pyja­mas gehüllt (nichts darunter als mich selbst). Ach ist das schön hier!“ schrieb Siegfried Wagner von seiner Schiffsreise mit Clement Harris nach Hause.) Während Clement Harris an Bord des Schiffes die Themen zu seinem sinfonischen Poem „Paradise Lost“ entwarf, keimte in Sieg­fried Wagner der Gedanke zu einer sin­fonischen Dichtung nach Schiller, die schließlich auch im selben Jahr beendet wurde wie Clement Harris‘  Komposition. Am 6 Juni 1895, seinem 26. Geburts­tag, brachte Siegfried Wagner sein ers­tes Orchesterwerk in London zur Urauf­führung. Die Jahre nach der Rückkehr von der Ostasienreise mit Siegfried Wag­ner sind geprägt durch weitere Reisen. Mit seinen Kompositionen will Harris „Werke schaffen, die das Niveau der englischen Musik über ihren heutigen Stand erheben sollen. Dies ist mein Ziel, mein Wunsch. Ob ich über die Bega­bung verfüge und fähig bin, sie zu reali­sieren, wird die Zukunft lehren.“ Im Juli 1893 interpretiert Harris seine vier Etüden für Pianoforte. Die Londoner „Times“ referiert: „unglaublich schwie­rig und höchst gekonnt. Der junge Komponist trug sie mit seltener Bril­lanz vor.“ Auf Empfehlung von Daniela Thode setzt Harris seine Kompositionsstudien bei Philipp Wolfrum in Heidelberg fort. Daneben besucht er die kunst­geschichtlichen Vorlesungen von Henry Thode.

 

Clement Harris: Frontespiece zu „Paradise Lost“/ Wiki

„Paradise Lost“: Sein im August 1893 vollendetes sinfo­nisches Poem „Paradise Lost“ erläutert der Komponist: „Die Themen entstan­den auf der Reise in den Fernen Osten, die meisten an Bord des Schiffs. Die lange Einleitung folgte dann Stück um Stück auf einsamen Gängen in Mitter­nachtsstunden auf der Terrasse vorm Heidelberger Schloss. Den Schlussteil schrieb ich diesen Sommer während meiner letzten drei Wochen in Heidel­berg […] Gegen Ende lebte ich aus­schließlich von Keksen und Selterwasser mit einem Schuss Wein; ich konnte keine feste Nahrung mehr zu mir neh­men, d.h. keine Eier und kein Gemüse.“ Fleisch aß Clement Harris ohnehin nicht. Laut seiner eigenen Analyse über­nimmt die sinfonische Dichtung „Para­dise Lost“ von Miltons Werk „den metaphysischen, nicht den deskriptiven Cha­rakter„.

 

Das griechische Abenteuer: Stefan George lernt Harris im August 1896 im Hause des Komponisten Cle­mens von Franckenstein, des späteren Münchner Staatsintendanten, kennen. Einen Monat später nimmt Harris 1896 in Korfu Griechisch-Stunden.  Die griechisch-türkische Auseinandersetzung um die Insel Kreta spitzt sich im Februar 1897 zu. 1897 setzt Harris mit dem Staatsanwalt von Korfu, Kyrgousios, zum Festland über. An Bord des Damp­fers ist Munition, die für die Front in Epirus bestimmt ist. Das Schiff ankert etwa zwei Kilometer vor der türkisch be­setzten Grenze. Ein Boot mit zwei Mann wird herabgelassen, sie sollen die Meer­enge erkunden. In Arta schallen Harris die Worte: „Anglos Philhellen! (Englän­der, Griechenfreund!)“ entgegen. Hoch­rufe bahnen ihm den Weg durch die Menge ins Lager.

Zu Clement Harris: Karte des befreiten Griechenlands auf einem zeitgenössischen Plakat; oben links der Freiheitskämpfer Eleftherios Venizelos/ OBA

Am 5. April 1897 erklärt Harris: „Ich handle, wohlverstanden, aus völlig freien Stücken. Keiner hat mich dazu beredet, mein Leben in den Dienst der Griechen zu stellen; vielmehr haben wohlmei­nende Freunde mich bisher daran gehin­dert, meine Absicht auszuführen {…]. Der Schritt, den ich tue, mag vielen als ein Akt des Wahnsinns erscheinen. Für mich, der ich die Sache gründlich erwogen habe, ist er das Wenigste, was ein Mann von Ehre für ein Land tun kann, das im Namen des Kreuzes nach Frei­heit ruft und der Reihe nach von jedem der so genannten zivilisierten Mächte beleidigt und gehindert worden ist.“ Der Dichter Lorenzo Mavilis und Clement fuhren einen Trupp von dreißig Mann an, begeistert von der Bevölkerung auf Korfu mit dem Ruf „Harris – Charis!“ („Harris-Liebreiz!“) angefeuert. An seine Mutter, Elizabeth Rachel Harris, schreibt er: „Liebe Mutter! Ich bin jetzt ganz in meinem Element, weit weg von all den sinnlosen Verbindlichkeiten der moder­nen Gesellschaft, und genieße es vollauf.“

Harris‘ Briefe an Siegfried Wagner wur­den leider vernichtet. Aber einige an Siegfrieds Halbschwester Daniela Tho­de gerichtete Briefe von Harris haben sich erhalten. Hier heißt es am 9. April 1897: „Wer weiß, ob wir uns je wieder­sehen. Ich möchte mit niemandem in der Welt tauschen, obschon ich mir der hiesigen Gefahren wohl bewusst bin. Ich hoffe nur, die Griechen gewinnen den Krieg, der jetzt unvermeidbar scheint, und wenn ich nicht mehr zurückkomme, so werden Sie zumindest wissen, dass ich mein Leben für die Freiheit eines Volkes gab, dem meine Bewunderung zu zollen ich gelernt habe und das ich als Kinder betrachte, die sich mit der Zeit zu edlen und großartigen Männern entwickeln und, als würdige Erben ihrer historischen Ahnen, dem Land Ehre er­weisen werden.“

Clement Harris kurz vor seinem Tod, wenngleich P. P. Pachl meint, der Dargestellte sei nicht Harris sondern der Großherzog von Hessen, bei dem Harris Vorleser war / sciencepole.com

Die Stadt Arta ist verwüstet. Die Häu­ser wurden von den abziehenden türki­schen Truppen in Brand gesteckt. Nur ein Türke soll in der Stadt zurückgeblie­ben sein. Harris gibt den Befehl, den Zurückgebliebenen zu suchen und ihn zu beschützen, die Plünderer zu verja­gen und für die Verwundeten zu sorgen. Er selbst springt auf einen Dachstuhl und bekämpft mit einer Axt den Brand. Vor dem Pass von Pente Pigadia hat die von Harris angeführte kleine „Rotte Korah“ ihre Gewehre in Pyramiden ab­gestellt und rastet, als ihnen eine Menge entgegenkommt, die sie für Epiroten halten und mit geschwenkten Armen begrüßen. Aber die Ankommenden eröffnen das Feuer — es sind Türken. Har­ris kriecht hinter einen Felsen und feu­ert zurück. Er wird getroffen. Die „Lon­don Times“ berichtet am 22. Mai 1897: „Die Verwandten von Mr. Clement Har­ris, der im Kampf mit den griechischen Truppen in Epirus verwundet wurde, haben über seinen Tod am 23. April bei Pente Pigadia authentische Nachricht erhalten.“

In Griechenland werden noch Dezen­nien nach Harris‘ Tod Ansichtskarten mit dem Porträt von Clement Harris verkauft. An der Englischen Kirche in Athen erinnert seit dem Dezember 1900 eine Gedächtnistafel an den Philhelle­nen Clement Harris. Siegfried Wagner aber komponierte zum Gedächtnis an Clement Harris im Jahre 1923 die Sinfonische Dichtung „Glück“. Sie ist ein kompositorisches Pendant zu Stefan Georges Gedicht „Pente Pigadia“. Beziehungsreich gibt Siegfried Wagner als Schlussdatum sei­ner Partitur den 10. Mai 1923 als „Himmelfahrtstag“ an. Bei Konzerten hat der Komponist es sich selten neh­men lassen, die Zuhörerschaft selbst in sein Werk einzuführen.

 

Das hinterlassene Werk: Harris‘ Sinfonisches Poem „Paradise Lost“ kam noch häufiger zur Aufführung: 1901 im Heidelberger Bach-Verein un­ter Philipp Wolfrum, im Dezember 1905 von der Haiford Concerts Society in Birmingham, 1937 im antiken Odeion in Athen und 1938, gespielt vom BBC-Orchester, erstmals im Rundfunk. 1993 wurde das beim Verlag Schotts Söhne in Mainz erschienene, dort aber nicht mehr auffindbare Aufführungs­material neu erstellt für mehrere Auf­führungen durch die Thüringer Sym­phoniker Saalfeld-Rudolstadt, die Har­ris‘ Orchesterwerke auch erstmals auf CD eingespielt haben (Marco Polo CD 8.223660). 1999 erfolgte im Megaro Musikis in Athen eine erneute Auffüh­rung mit dem Orchestra Chroomatoon unter Miltos Logiadis. Harris‘ Lieder und Romanzen kamen in den Jahren 1992 bis 1995 bei den Rudolstädter Festspielen zur Wiederauffüh­rung. Hier erfolgte im Sommer 1994 auch Ulrich Urbans erstmalige Inter­pretation von Clement Harris‘ „Ballade“.

Viele seiner Werke sind heute in keiner Bibliothek mehr vorhanden, auch nicht bei den Verlagen. Dennoch konnte ein Großteil seiner Kompositionen für die Einspielung auf der CD aufgefunden werden. Nur die Versuche, die (nach 1897) bei Metzler in London erschienenen Six Songs („Faith“, „Forget me not“, „Absence“, „The Return“, „Hope“, „Vision“) zu finden, waren vergeblich. Glückli­cherweise besaß Harris‘ Biograf Claus Victor Bock in Amsterdam eine Foto­kopie von Harris‘ Manuskript von ei­nem dieser sechs Lieder, „Forget me not“. Vielleicht findet sich mithilfe die­ser Publikation doch noch ein Exemplar der Druckausgabe der Six Songs? Die „Quatre Etudes de Concert“ erschie­nen 1893 bei Schott in London, Mainz, Brüssel und Paris. Sie sind gleichzeitig Stimmungsbilder, und ein zutreffender Titel wäre „Die vier Jahreszeiten“, denn jede der vier Etüden, die Harris Cosima Wagners Tochter Daniela, der Halb­schwester Siegfried Wagners, gewidmet hat, trägt eine Jahreszeit als Überschrift. Das „Lied de Peter Cornelius“ in der „Transcription de Concert pour Piano par Clement Harris“ erschien 1893 bei Schott in London, Mainz, Brüssel und Paris. Cornelius‘ Lied „In Lust und Schmerzen“ aus dem Jahre 1854 auf ein eigenes Gedicht ist Marie von Sayn-Wittgenstein, der Tochter von Liszts Lebensabschnitts-Gefährtin Caroline, gewid­met. Auch Franz Liszt hat Gedichte von Peter Cornelius vertont. Zwei Romanzen von Clement Harris bemühen sich offenbar, den in Richard Wagners OEuvre nahezu ausgeklammer­ten Bereich der Kammermusik in Denkungsart, Formgebung und Harmonik des Bayreuther Meisters einzubringen. „Das Meer ist ein Teil meiner selbst, und lange von ihm getrennt sein, macht mich ruhlos und schwermütig. Ich exis­tiere zu Land, zu Wasser aber lebe ich.“ Harris‘ letzte Komposition waren die „Songs of the Sea“ auf Gedichte von Auberton Herbert, die er seinen Eltern widmete.

Nachdem der Pianist Ulrich Ur­ban sich über fünf Jahre lang intensiv mit dem pianistischen Schaffen von Clement Harris auseinander gesetzt und die Werke des britischen Jugend­freundes von Siegfried Wagner häufig in die Programme seiner Klavieraben­de integriert hatte, war 2001 beim MDR Leipzig die Gesamteinspielung von Harris‘ Klavierwerken erfolgt. 2004 erschien diese Einspielung beim Label VMS als CD, ergänzt um weitere Kammermusik und Lieder von Cle­ment Harris, ebenfalls mit Ulrich Ur­ban als Pianisten und Begleiter. Das Beiheft zur CD enthält ausführliche Werkanalysen aus der Feder von Peter P. Pachl. Der Titel „The Complete Piano Et Chamber Music“ ist insofern zutreffend, als bis heute kein Exem­plar der „Six Songs“ in irgendeiner Bi­bliothek aufgefunden werden konnte, so dass diese Werkgruppe auf der CD nur mit einem Lied berücksichtigt werden konnte:   Clement Harris: The Complete Piano Et Chamber Music. Ulrich Urban, Klavier; Andreas Hartmann, Violine, Anna Nie- buhr, Violoncello, Alexander Roske, Klarinette, Henryk Böhm, Bariton; VMS 124 DDD. Peter P. Pachl

 

Wir danken Peter P. Pachl –  erfolgreicher Musikwissenschaftler, Theatermann, Regisseur und Autor mit Schwerpunkt Siegfried Wagner – für die wie stets sehr liebenswürdige Genehmigung zur Überlassung seines Textes.

Das große Foto oben ist ein Screenshot auf dem ZDF-Film „Der Wagner Clan – eine Familiengeschichte“, der in Kooperation mit dem ORF 2014 im deutschen ZDF lief und als DVD zu beziehen ist (Mona-Film). Heino Ferch, Lars Eidinger und viele mehr geben diesem Film Kontur. Iris Berben verkörpert Cosima Wagner, ihr Sohn Oliver Berben führt Regie. Im Berliner Tagelspiegel schrieb  Jörg Seewald: Im Geist von Visconti – das ZDF macht aus dem Wagner-Clan ein Schauspielerfest mit einem prachtvollen Bilderreigen….Für Produzent Oliver Berben war es zunächst undenkbar gewesen, einen Wagner-Film zu drehen. Erst die Biografie des Engländers Jonathan Carr „Der Wagner-Clan“, die ihm sein Kollege Gero von Boehm in die Hand drückte, brachte ihn zum Umdenken. Drehbuchautor Kai Hafemeister begriff laut Berben schließlich die Aufgabe, „nur kein Biopic zu schreiben, sondern in einer unterhaltsameren Form. Ohne Hafemeister würde es diesen Film nicht geben“, der ausdrücklich „kein Musikfilm ist“, wie Berben betont… Wie gesagt: Kein Film für Wagner-Fans, eher eine Chance für die vielen, die wie Iris Berben Vorbehalte gegen Wagners Gedankenwelt hegen, „das eigene Halbwissen zu überdenken“. Den Wissbegierigen, die mit den historischen Ungenauigkeiten von „Der Wagner-Clan“ nicht leben können, sei der anschließende Film von Gero und Felix von Boehm ans Herz gelegt: „Der Wagner-Clan – Die Dokumentation“ beleuchtet das weitere Schicksal der Familie Wagner.

Im Gesangsolymp

 

Erscheint am 14. April: In einer konzertanten Aufführung von Porporas Germanico Re di Germania im Januar dieses Jahres in Krakau sorgte Julia Lezhneva mit ans Unwirkliche grenzender Virtuosität für einen sensationellen Auftritt. Nun legt die Sopranistin bei DECCA ihr drittes Soloalbum vor, welches die Eindrücke vom Konzert in Polen bestätigt (483 1518). Das Programm ist dem Werk Carl Heinrich Grauns gewidmet und bringt nicht weniger als 11 (!) Weltersteinspielungen von Opernarien, die alle in Berlin uraufgeführt wurden. Einzige bekannte Nummer ist der letzte (12.) Track mit der Arie der Agrippina („Mi paventi il figlio“) aus Britannico. Damit beendet die Sängerin diese neue CD, die alle Chancen auf einen Echo hat, mit furioser Attacke und fulminanten Koloraturgirlanden.

Begonnen hatte sie mit einer Arie der Aspasia aus L’Orfeo, „Sento una  pena“, in der die thrakische Königin und Rivalin Eurydices in aufgewühltem Zustand ihr Los beklagt. Es ist sogleich zu Beginn eine Gelegenheit für die Solistin, ihre Bravour mit spektakulären Koloraturrouladen zu demonstrieren.

Später widmet sich die Interpretin noch zwei weiteren Figuren dieser Oper – der  Euridice mit „Il mar s’inalza e freme“, in der sie mit jenem berühmten Sinnbild von tobenden Meer die drohenden Gefahren einer Flucht mit Orfeo beschreibt,  und dem Aristeo mit „D’ogni aura al mormorar“, in welcher Orfeos Bruder den Verlust Eurydices beweint. Drei Arien – drei Rollen – drei Seelenporträts – drei Zeugnisse höchster Gesangskunst.

Auch aus Armida gibt es zwei Arien – wieder unterschiedlichen Partien zugehörig: Ubaldos „La gloria t’invita“, in der er dem Ritter Rinaldo mit energischem Nachdruck den richtigen Weg weist, während die Arie der Titelheldin „A tanti pianti miei“ den Schmerz über den drohenden Verlust ihres Geliebten Rinaldo ausdrückt – ein Wechselbad von Trauer und Furor.

Gleiches betrifft die beiden Ausschnitte aus Silla – Ottavias „Parmi“ ist eine jener berühmten ombra-Szenen, in welcher sie eine Vision ihres verblutenden Geliebten Postumio vor Augen hat, während dessen „No, no di Libia“  ihn in Raserei zeigt angesichts des Gedankens, seine Geliebte an den Kaiser Lucio Silla zu verlieren. Vom Affekt-betonten Orchester getragen, steigert sich die Sängerin hier in einen Ausnahmezustand, in welchem die ekstatischen Koloraturen höchsten seelischen Aufruhr widerspiegeln.

Aus weiteren drei Opern stellt die Sopranistin jeweils eine Nummer vor. Aus Ifigenia in Aulide hört man die Arie des Agamemnone, „Sforzerò di te“, in der er in gleichfalls rasendem Tempo dem Orakel, dass seine Tochter geopfert werden müsse, trotzt, was der Interpretin wiederum akrobatische Gesangskunststücke abverlangt. Die Arie der Volunnia aus Coriolano, „Senza di te“, bringt einen kontrastierenden Ruhepunkt. Es ist die Klage einer Mutter über die schandbaren Taten ihres Sohnes, welche die Sopranistin mit reicher Empfindung vorträgt. Rosmiris „Piangete“ aus Il Mithridate ist wiederum ein Lamento, das in Lezhnevas eindringlicher Gestaltung zu den Höhepunkten der Platte zählt. Einziges Instrumentalstück der Platte ist die einsätzige Ouvertüre zu Rodelinda, ein beschwingtes, stürmisches Allegro, in welchem das Concerto Köln unter Mikhail Antonenko mit musikantischer Lust und reicher Agogik aufwartet. Der Dirigent und die Sängerin haben in der Berliner Staatsbibliothek die Arien für dieses Programm ausgewählt und dabei auf kontrastreiche Anordnung Wert gelegt. Das macht das Hören abwechslungsreich und spannend, vernimmt man doch historische und mythologische Episoden, wird man konfrontiert mit Emotionen aller Arten – heroischen, tragischen, freudigen, klagenden – und ist einem ständigen Wechselbad von Gefühl und Bravour ausgesetzt. Die intensive Vorbereitung auf diese Einspielung spürt man in jedem Moment – Lezhneva und Antonenko sind ein eingespieltes Paar und haben mit dieser CD im gewiss nicht schmalen Barockrepertoire für eine denkwürdige Veröffentlichung gesorgt.  Bernd Hoppe