Ungewohnter Mozart

 

Nicht nur Teodor Currentzis und Yannick Nézet-Séguin stehen aktuell für Mozart-Zyklen. Auch der britische Dirigent Ian Page setzt bei Signum Classics seine Opernreihe fort. Mozarts Singspiel Zaide ist Fragment geblieben, Zaide war kein Auftragswerk, der Komponist legte die Gelegenheitskomposition beiseite, als er den Auftrag für Idomeneo erhielt; den Titel erhielt das Werk erst im 19. Jahrhundert. 2014 erschien bei harmonia mundi eine Einspielung von Nikolaus Harnoncourt mit dem Concentus Musicus und Diana Damrau in der Rolle der Zaide, bei der Schauspieler Tobias Moretti fehlende Stücke frei nacherzählt und so ein ergänztes Singspiel auf 2 CDs entstand. Ian Page setzt nun eine rein musikalische Aufnahme entgegen. Zaide ist ein Vorläufer der Entführung aus dem Serail, Mozart setzte 15 Nummern in Musik, viele Arien sowie jeweils ein Chor, Duett, Terzett und Quartett; eine Ouvertüre fehlen. Die christliche Sklavin Zaide wird von Sultan Soliman begehrt, liebt aber den Sklaven Gomatz. Beide fliehen, der Sultan wird wütend, die Geflohenen gefangen und die Situation beginnt zu eskalieren. Wie die Rettung vor dem Sultan und überhaupt ein glückliches Ende erfolgen sollte, bleibt unklar. Die Komposition bricht an einer Stelle ab, die weit von jedem Happy-End entfernt ist, und auch die gesprochenen Dialoge sind nicht überliefert. Dirigent Ian Page und sein Orchester Classical Opera stehen erneut für präzises, inspiriertes und beseeltes Musizieren, das sich nie in den Vordergrund drängt, Pages Mozart glänzt, ohne plakativ Funken zu schlagen. Akustisch geschieht dies bei dieser Studioaufnahme mit sehr gutem Klang. Anstelle der fehlenden Ouvertüre erklingt zu Beginn das Entr’acte aus Thamos (KV345), danach sind sehr gute Sänger zu hören. Zaide hat drei Arien, die die Sopranistin Sophie Bevan mit schönem, hellem Sopran und warmem Timbre singt, die bekannteste Arie “Ruhe sanft“, das Lamento „Trostlos schluchzet Philomele“ und die beherzte Antwort auf die Todesdrohung des Sultans „Tiger! wetze nur die Klauen“ erklingen mit viel Emphase. Tenor Allan Clayton als Gomatz überzeugt in den so unterschiedlichen Arien  „Rase, Schicksal, wüte immer“ und „Herr und Freund, wie dank‘ ich dir„. Tenor Stuart Jackson hinterläßt als Soliman  Eindruck, seine Stolz- und Rachearie „Der stolze Löw’ läßt sich zwar zähmen“ ist unmittelbar spannend. Allazim ist bei Bariton Jacques Imbrailo und Osmin bei Bassbariton Darren Jeffery in sehr guten Händen und Stimmbändern. Die Ensembles klingen tadellos, das Zuhören dieser Einspielung bereitet Freude. Eine wichtige Einschränkung besteht dennoch: Spätestens bei den zwei melodramatischen Stücken mit Textpassagen ist zu erkennen, dass man es nicht mit Muttersprachlern zu tun hat. Ein ausführliches Beiheft in Deutsch und Englisch mit Libretto wertet die CD weiter auf. (Signum Classics, SIGCD473)

Nun zu einem Mozart mit Ersatzteilen. Es ist einiges ganz anders bei dieser Mozart-Einspielung von La Clemenza di Tito, die bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik im Jahr 2013 entstand. Dirigent Alessandro De Marchi und die Academia Montis Regalis sind Spezialisten für Alte Musik, musiziert wird hier nicht die Originalversion Mozarts, sondern eine Bearbeitung, die so 1804 in Wien zu hören war und bei der die Oper mit neuen Arien anderer Komponisten ergänzt wurde, andere Passagen dafür gestrichen wurden. Vom Wiener Dirigenten Joseph Weigl stammen zwei neue Arien für Titus sowie ein Duett für Titus und Sextus, von Johann Simon Mayer stammt eine weitere Arie für Titus. Weigl hatte als junger Dirigent Mozart noch persönlich kennengelernt, seine neue Arien versuchen sich einzupassen, verwenden bspw. thematisches Material, Mayer liefert frühe Belcanto-Anklänge bei. Weiterhin werden die Rezitative von Cello und Kontrabass anstelle Cembalo oder Hammerklavier begleitet. Das ist als historische Praxis überliefert und als stilistische Eigenart aufschlussreich, man muss es aber so hören wollen, gerade auch deshalb, weil auch sängerisch nicht alles optimal klingt bei diesem kombinierten Mitschnitt verschiedener Aufführungen. Dem baritonalen Tenor Carlo Allemano mangelt es als Tito an Glanz, dem Bariton Marcel Bakonyi als Publio an Ausdruck. Bei den Sängerinnen wird differenzierter gesungen, Nina Bernsteiner als Vitellia und Kate Aldrich als Sesto lassen durch Ausdruck und Technik aufhorchen. Weiterhin sind Beth Solvang als Annio und Dana Marbach als Servilia zu hören. Chor und Orchester der Academia Montis Regalis bieten eine gute Interpretation, die Ouvertüre überschlägt sich fast, danach geht es dann aber eher überraschungsfrei weiter. (2CD cpo 777870-2)

Mozart – Last Masonic Words heißt eine Reprisen-CD der alten Columbia mit historischen Aufnahmen, die sich freimaurerischer Musik des Komponisten widmet. Besondere Erkenntnisse verbergen sich dahinter nicht, Mozart als Logen-Bruder ist nur eine lose Klammer für die Wiederverwertung alter Aufnahmen, die allerdings interessante Wiederbegegnungen ermöglichen. Zu hören sind die Ouvertüre zur Zauberflöte, „Eine kleine Freimaurer-Kantate“ K623 und der Maurergesang „Lasst uns mit geschlungenen Händen“ K623a. Diese ersten drei Stücke sind mit dem Chor und Orchester der Wiener Volksoper, dirigiert von Peter Maag sowie u.a. Kurt Equiluz, Rudolf Resen, Kurt Rapf, Franz Ellmar und Leo Hoppe. Weiterhin gibt es das Requiem mit den New Yorker Philharmonikern und Bruno Walter, als Sänger sind Irmgard Seefried, Jennie Tourel, Leopold Simoneau und Wiliam Warfield in einer getragen breit klingenden Interpretation zu hören. Die Aufnahmen von 1956 und 1959 sind SACD remastered, die Wiener Einspielungen haben eine den Umständen entsprechend akzeptable Akustik, das New Yorker Requiem klingt hingegen dumpf, als würde man aus einem anderen Raum zuhören. (Pragadigitals, PRD 350211)
Marcus Budwitius