Archiv für den Monat: Mai 2014

Noch eine Krönungsoper

Konsequent setzt naïve ihre Vivaldi-Edition im Rahmen der Serie Tesori del Piemonte fort und ist nunmehr bereits bei Vol. 58 angelangt. Es handelt sich bei dieser Neuveröffentlichung (OP 30553) um eine Einspielung nach der konzertanten Aufführung von L’Incoronazione di Dario in der Bremer Glocke am 14. 9.  in Kooperation mit dem NDR und dem Musikfest Bremen. Die Accademia Bizantina, ein auf Barockmusik spezialisiertes Ensemble, unter ihrem Leiter Ottavio Dantone ist der Garant für ein gespanntes, pulsierendes Musizieren mit reichem Farbspektrum. Der Dirigent fächert die Musik in großer dynamischer Vielfalt auf und sorgt insgesamt für die stärksten Eindrücke. Denn das Solistenensemble singt auf recht unterschiedlichem Niveau. Dessen Schwachpunkt ist leider Anders Dahlin in der Titelrolle. Der schwedische Tenor lässt eine schlanke, weiche Stimme mit deutlichen Grenzen in der oberen Lage hören, singt im Ausdruck zu verhalten und in den Koloraturen verhaucht. Schon die erste Arie, „Sarà dono del tuo amore“, klingt merkwürdig beiläufig, auch „Chi vantar può“ oder „Placami la mia bella“ zu Beginn des 2. Aktes bleiben ohne Kontur. Tiefpunkt seiner Gestaltung ist die Arie am Ende des 2. Aktes („Col furor ch’in petto io serbo“), deren furioser Duktus in seiner Interpretation völlig unterbelichtet wirkt. Bedauerlich war die Absage der beiden Counter Franco Fagioli und Yuri Minenko als die beiden Rivalen des Dario im Kampf um den Thron des verstorbenen Perserkönigs Ciro und die Hand von dessen Tochter Statira. Beide Partien wurden nun en travestie besetzt, was das Übergewicht der Frauenstimmen zu stark betont. Die beiden Counter hätten hier für reizvollere stimmliche Farbkontraste gesorgt. Und im Falle der ukrainischen Sopranistin Sofia Soloviy als Arpago wurde auch keine idiomatische Interpretin gefunden. Ihre dramatische, vibrierende Stimme von strengem, gutturalem Klang ist zwar voluminös und von starker Durchschlagskraft, findet aber beispielsweise für die heitere Arie im 2. Akt nicht den passend lieblichen Ton und scheint insgesamt fremd in diesem Repertoire. Die italienische Mezzosopranistin Lucia Cirillo als Oronte lässt immerhin eine solide, zuweilen allerdings etwas steife Stimme hören, die in ihrer Arie im 1. Akt, „ Lasciami in pace“ mit energischem Nachdruck auftrumpft und in der des 2. Aktes in wiegendem siciliano-Rhythmus mit stupenden Atemreserven besticht, was  sich in schier unendlichen Bögen offenbart. Als Statira, das Objekt beider Begierde, ist mit Sara Mingardo die prominenteste Sängerin der Einspielung aufgeboten. Ihr Alt mit warmem, rundem Ton betört mit großer Sinnlichkeit und suggestivem Vortrag. Die von Flöten lieblich umspielte Arie im 2. Akt, „Se palpotarti in sen“, und die lieblich kosende, virtuose Arie im 3. Akt mit fein getupften Tönen sind Zeugnisse großer Gesangskunst. Neben ihr kann sich Delphine Galou als ihre intrigante Schwester Argene mit starker Präsenz im Ausdruck behaupten. Der sinnliche, eloquente Alt bezaubert in der verspielten Arie des 1. Aktes, die von vielfältigen Herzensneigungen erzählt, sprüht in „Sarà tua la bella sposa“ vor vibrierender Erotik und lässt am Ende als zu lebenslanger Haft Verurteilte in „Ferri, ceppi, sangue, morte“ einen furios rasenden Gesang hören. Eine Überraschung ist die italienische Sopranistin Roberta Mameli als Orontes Verlobte Alinda, die mit expressivem, dunkel getöntem Sopran über betörende Kopftöne, reizvolle Echowirkungen und virtuos imitierte Vogelstimmen verfügt. Schillernd, reich schattiert und von enormer dynamischer Spannbreite ihre Arie zu Beginn des letzten Aktes – ein starker Gegensatz dazu sind die schmerzhaft bohrenden Töne im Rezitativ vor dem großen Lamento am Ende, welche die existentielle Situation Alindas als Gefangene Argenes widerspiegeln. Giuseppina Bridelli als Hofdame Flora ergänzt mit angenehmem und flexiblem Mezzo die Damenriege, in welche Riccardo Novaro als Hauslehrer Niceno mit resonant-sonorem, kraftvoll auftrumpfendem Bariton eine willkommene dunkle Farbe einbringt.

Bernd Hoppe

Antonio Vivaldi: L’Incoronazione di Dario (Dahlin, Mingardo, Novaro, Cirillo, Galou, Soloviy, Mameli, Bridelli; Accademia Bizantina, Ottavio Dantone) naïve OP 30553, 3 CD

 

 

 

 

Ideal für das französische Repertoire

Zügig auf dem Weg zum neuen Traum-Ehe-Opern-Paar voran schreiten offensichtlich, aber ohne die bekannten unangenehmen Begleiterscheinungen von Alagna-Gheorghiu, die Eheleute Ailyn Pérez und Stephen Costello, deren CD Love Duets  Ende Mai erscheinen wird. Mit Duetten aus französischen und italienischen Opern sowie aus Musicals zollen Sopran und Tenor ihrem Repertoire und ihrer jetzigen Heimat Tribut, dazu können sie sich rühmen, das einzige Ehepaar zu sein, das beiden Partnern bereits als Anerkennung für ihre Leistungen auf der Opernbühne einen Richard Tucker Award bescherte. Ailyn Pérez kann sich zudem über einen Plácido Domingo Award freuen. Sympathisch ist schon einmal, betrachtet man die Liste der Tracks, dass die beiden nur Duette aus Opern aufgenommen haben, mit denen sie auch auf der Bühne bereits bestehen können. Anders als ihr Bühnenrepertoire, das vor allem italienische Opern umfasst, ist auf der CD die französische Oper stark vertreten mit Massenets Manon und Gounods Faust. Die große Verführungsszene aus St. Sulpice wird von der Pérez geradezu phänomenal gestaltet, und ihr Niveau wird annähernd nur noch vom Duett aus Faust erreicht.  Ein ungemein apartes Timbre des Soprans, die leichte Melancholie, die gepaart ist mit einer sanften dolcezza, dazu die elegante Geschmeidigkeit des Singens und die leichte Höhe sind höchst beeindruckend. Deliziös bedeutet der schmeichlerische Gesang pure Verführung, und nur das „Enfin“ ernüchtert den Hörer etwas. Mit einer gut fokussierten Tenorstimme, die trotz nicht ganz korrekter Aussprache auch nicht zu italienisch klingt und die besonders in der oberen Mittellage sehr sonor klingt, ist ihr der Gatte ein guter Partner. Auch als Marguerite und Faust sind die Sänger in ihrem vokalen Element, sie mit zugleich süßem wie keuschem Klang, mit einem verzückten Schweben des Soprans, beide mit einem „Éternelle!“, das die Verzauberung der Liebenden hörbar macht. Man wundert sich darüber, dass die französische Oper einen relativ geringen Stellenwert für sie auf der Bühne hat, so wie man auch Desdemona und Contessa als bereits gesungene oder zu singende Partien mit Verwunderung konstatiert.

Im italienischen Repertoire gefällt besonders das Duett Nemorino-Adina, für das sie den neckischen wie den irritierten Ton im Gesang hat, er mit kleinem Glottisschlag und strahlender Höhe aufwarten kann. Ein kleines Bäuerchen ob des genossenen Liebestranks sowie feine Rubati machen das Hören so spaßig wie genussreich, eine etwas weichere Stimme als die seine würde die Sache noch netter erscheinen lassen. Im Kirschenduett aus Mascagnis L’amico Fritz klingt der Sopran angebracht unschuldiger als in Manon, erlangt aber nicht die Faszination wie im Französischen, während beim Tenor die für die stagione primaverile aufgebrachte Emphase erfreut. Beide Sänger haben bereits oft, auch gemeinsam, Traviata gesungen, aus der mit „Un di felice“ hier ein kurzer Auszug zu hören ist. Dem Tenor traut man die Partie, auch wenn er hier hässliche Vokalverfärbungen zeigt, ohne weiteres zu, sie dürfte eher eine Violetta des ersten als des dritten Akts sein und singt hier bewundernswerte staccati. Als Gilda und Duca überzeugen die mühelosen Höhen bei ihr, während man ihm eine schönere Phrasierung wünscht und insgesamt im lyrischen italienischen Fach noch mehr morbidezza. Das Duett aus La Bohème lässt durch ihren ausdrucksstarken Gesang auch den Unkundigen erkennen, worum es geht, während er sich mit nach unten gesungenem „Amor!“ als rechter Kavalier erweist.  Ohne Süßlichkeit und Zugeständnisse an billige Effekte werden noch vier Tracks aus Musicals, darunter West Side Story, geboten, alles kompetent begleitet vom BBC Symphony Orchestra unter Patrick Summers (Warner Classics 0825646334858).

Ingrid Wanja    

 

 

Star-studded

Traum in der Asche: Dass am Ende alles nur ein Traum gewesen sein soll, lässt den Zuschauer angesichts der knall- und quietschbunten Inszenierung von Rossinis La Cenerentola doch erstaunen. Joan Font vom Bühnenkollektiv Comediants hat das Stück so lustig, märchenhaft und turbulent gestaltet, dass man mit einem guten Ende fest rechnen konnte. Sogar eine Schar ulkiger Ratten hilfsbereiten Charakters gegenüber Angelina, die wohl die Tauben der deutschen Märchenfassung darstellen sollten, hatten zum diesbezüglichen Optimismus beigetragen. Dann aber kommt alles ganz anders: das gesamte Personal außer den putzigen Nagern verschwindet, und nur das Diadem in den feuerroten Haaren der Heldin bleibt als Zeugnis des wundersamen Geschehens zurück. Joan Guillén hatte ein schlichtes Bühnenbild entworfen, bei dem es reichte, die Kaminwand hoch zu ziehen, um eine Palasttür erscheinen zu lassen, dazu trug eine andere Beleuchtung als die für das armselige Heim Don Magnificos dazu bei, aus diesem einen Saal im Schloss werden zu lassen. Die Kostüme und Frisuren waren zugleich karikierend und charakterisierend in scheußlich grellen Farben und über das schon real beachtliche Ausmaß, was die Krinolinen und Perücken des Rokoko betrifft, noch weit hinaus gehend. Auch die Requisiten wie ein Pferd mit zwei Köpfen, die Maske, die allen Mitwirkenden bunte geometrische Figuren aufs Gesicht gemalt hatte, oder die winzig kleine Kutsche wiesen in keiner Weise auf ein trauriges Ende hin, von dem das Booklet allerdings geheimnisvoll geraunt hatte.

Nach Houston 2007 hatte Barcelona 2008 die Ehre, die Produktion aufführen zu dürfen und das mit einer an Qualität nicht zu übertreffenden Solistenriege. Juan Diego Flórez ist der optisch höchst ansehnliche Prinz Don Ramiro, dessen Tenor zwar in der Tiefe flach klingt, der aber ab der oberen Mittellage zu irrwitziger Virtuosität fähig ist, unermüdlich hohe Cs produziert und im Sextett des zweiten Akts sogar noch ein hohes D offeriert. Glanzvoll absolviert er „Si, trovarla io giuro“ und lässt das Publikum ins Delirium fallen, und auch das D bleibt natürlich nicht unbemerkt. Eine patente Angelina wird von Joyce DiDonato mit tadelloser Technik gesungen, mit einem einheitlich schönen Mezzotimbre von ganz unten bis ganz oben einer Stimme von dunklem Leuchten. Bei aller Virtuosität ist stets auch ein sinnerfülltes Singen zu konstatieren, und rührend ist das Zurücknehmen der Lautstärke auf „vendetta“. Der Einzige aus der prominenten italienischen Sängerriege für Rossini ist in dieser Produktion Bruno de Simone als zwar etwas matter, aber mit allen Buffowassern gewaschener Don Magnifico, der natürlich als Kellermeister in seinem Element ist. Um eine schlanke Führung seiner dunklen Bassstimme bemüht sich mit Erfolg Simón Orfila, der die schwierige Arie des Alidoro mit Anstand bewältigt. Eine weitere spanische Kraft wurde mit David Menéndez auch für den Dandini eingesetzt, er etwas spröde beginnt, im Verlauf der Vorstellung aber noch einen vollmundigen, angenehmen Bariton präsentieren kann. Angemessen zickig sind die bösen Schwestern Clorinda (Cristina Obregón) und Tisbe (Itxaro Mentxaka). Der Herrenchor bringt viel Brio für seine Auftritte mit, das Orchester wird unter Patrick Summers zu straffem Spiel angehalten und bewältigt die Steigerungen zu den rasanten Finali souverän (DECCA Blu-ray Disc 074 3333).

Ingrid Wanja 

Nachklang aus dem Wagner-Jahr

Zwar schmückt das Cover der im Mai des Wagner-Jahres für Capriccio (C 5174) aufgenommenen CD das schöne Gesicht von Anne Schwanewilms, aber der Titel ist schlicht und einfach Wagner, der schließlich optisch längst nicht so attraktiv war. Dem Sopran ist ungefähr die Hälfte der Aufnahme vorbehalten, die andere wird vom auch begleitenden ORF Vienna Radio Symphony Orchestra (so der das internationale Publikum berücksichtigende Name) unter Cornelius Meister bestritten. Es beginnt mit der Tannhäuser-Ouvertüre und dem Bacchanale, bei denen das schöne, stufenlose An- und Abschwellen des Klangs auffällt, die unterschiedlichen Welten kontrastreich einander gegenüber gestellt werden. So üppig schwelgend wie klar durchsichtig wird die Venusberg-Szene gestaltet. Das Vorspiel zum dritten Akt von Tristan scheut auch eine durchaus angebrachte Härte nicht, ist klug aufgebaut im immer drängender werdenden Variationsreichtum. Mit unangestrengtem Jubelton beginnt Anne Schwanewilms, sonst besonders mit der Musik von Richard Strauss verbunden, die Hallenarie der Elisabeth, eine im besten Sinne reife Stimme, rund und farbig und mit der Fähigkeit zu einem fein interpretierenden chiaro scuro ausgestattet. Den Liebestod der Isolde gestaltet der Sopran in zunehmender Weltabgewandtheit und Entrücktheit, die allmähliche Abwendung von allem Irdischen eindrucksvoll gestaltend und noch in den zartesten Tongespinsten durch die Farbigkeit des Klangs sehr präsent. Dieser Liebestod kann beim Hörer Gänsehaut erzeugen.

Das Herzstück der CD sind die Wesendonck-Lieder, über deren Verwandtschaft mit Tristan das Booklet zusätzlich zum Unüberhörbaren in der Partitur Auskunft gibt. Man verbindet sie eigentlich mit den Stimmen berühmter Mezzosoprane, aber die gute Mittellage der Sängerin lässt in keinem der fünf Lieder vermuten, sie würden nicht zu der Sopranstimme passen. In Der Engel macht sie das „niederschwebt“ ebenso deutlich wie das „hebt“, in Stehe still!  erfreut besonders die schöne Ruhe, das Getragene in der letzten Strophe, ebenso wie das Innehalten auf „lass mich sein“. Die schwere Süße von Treibhaus wird perfekt wiedergegeben, eindrucksvolle Pausen in der letzten Strophe zeugen vom Verständnis für den Gehalt des Werks so wie der sanft verklingende Schluss, den das Orchester zu verantworten hat. So fein konturiert wie kraftvoll ist der Beginn von Schmerzen mit  „Sonne“ gestaltet, ebenso das „O wie dank‘ ich“. Das letzte der Lieder, Träume, lässt auch durch die einfühlsame Orchesterbegleitung aufhorchen, dazu durch die variationsreiche Abwandlung des Schlüsselworts und die kleinen Pausen.

Ingrid Wanja  

Döhrings Ehrung aus gegebenem Anlass

Adieu Wagner/Verdi-Jahr und willkommen Strauss/Meyerbeer-Jahr – so denkt auch der Beck-Verlag (978 3 406 66003 0) und stellt pünktlich zum Jubiläum der beiden Komponisten neue Biographien vor, darauf zählen könnend, dass nicht wie im Vorjahr der Markt geradezu überschwemmt ist mit Veröffentlichungen über die beiden zu Feiernden.

Zwei besonders gute Kenner des in Berlin als Meier Beer geborenen Komponisten sind Sabine Henze-Döhring und Sieghart Döhring, die ihre Biographie Der Meister der Grand Opéra untertitelt haben und sich nicht nur dem Lebensweg, sondern auch einer Analyse der wichtigsten Werke des Komponisten gewidmet haben. Ob auch die Umwandlung des Nachnamens durch eine Zusammensetzung von Vor- und Nachnamen plus dem neuen Vornamen Jakob, sehr bald dann Giacomo, ein Zeichen der oft zitierten Eitelkeit und leichten Verletzbarkeit des jüdischen Wunderkinds am Klavier ist, scheint nicht genau zu ergründen zu sein. Jedoch scheint er zeitlebens „das ängtliche Genie“ seiner Anfänge geblieben zu sein. Was angenehm an dem Buch auffällt ist, dass stets die persönlichen Daten, Erfahrungen und Entwicklungen im Leben des Individuums Meyerbeer in den gesellschaftlichen Kontext gestellt und von daher erklärt werden. So erfährt man viel über das Leben der getauften oder nicht getauften Juden in Deutschland, insbesondere in Preußen im 19. Jahrhundert, über die Bedeutung der Salons, die besonders von emanzipierten Jüdinnen unterhalten wurden, über die verschiedenen Musikrichtungen der Zeit sowie über das Theater-, insbesondere das Opernleben in Berlin, später dann in Paris, aber auch in Italien, wo der junge Meyerbeer seine ersten Erfolge als Opernkomponist hatte. Die Einflüsse, die seine Musiklehrer auf ihn hatten, werden ebenso untersucht wie die des Idols und Freundes Rossini. Erwähnung finden die ersten Opern Romilda e Costanza und, Semiramide,  erstere eine für die Zeit typische Rettungsoper, die zweite mit einer Neuerung für die bereits in der Introduktion auftretende Primadonna.  Das ambivalente Verhältnis Meyerbeers zu Deutschland könnte u.a. in der kritischen Aufnahme seiner Oper Emma di Resburgo eine seiner Wurzeln haben.

Wie im Buch farbig und faktenreich zugleich geschildert, werden die Pariser Jahre zu denen der ganz großen Erfolge mit Robert le Diable, Les Huguenots, Le Prophète, Opern, deren Entstehung, Rezeptionsgeschichte und, ganz besonders wertvoll, musikalische und dramaturgische Struktur  Gegenstand sorgfältiger Untersuchungen sind.  Der Weg des Komponisten von der mythischen über die historische Oper wird ebenso nachvollzogen wie der zu einer Verbindung beider Sujets iIn der mythischen Sicht auf die Geschichte. Interessant ist es zu lesen, wie intensiv die Arbeit Meyerbeers wie wohl auch anderer Komponisten nach der Abgabe der fertigen Oper noch an der Aufführung derselben ist; mit der Auswahl der geeigneten Sänger, den Anweisungen an die Bühnenbildner, für Meyerbeers Monumentalwerke besonders wichtig, und oftmals auch das Dirigieren der eigenen Werke. Eine immense Reisetätigkeit ist die Folge, für Meyerbeer erst in der Postkutsche, bald aber auch mit dem neuen Verkehrsmittel Eisenbahn, im zersplitterten Deutschland mit vielen Etappen wegen des noch nicht einheitlichen Streckennetzes. Lebt der Komponist in Paris trotz langwährender Aufenthalte meistens im Hotel, so wird er in Berlin heimisch, nachdem er den Posten eines Generalmusikdirektors als Nachfolger Spontinis erhalten hat. Die Haltung der wechselnden preußischen Herrscher gegenüber der Kunst, Kompetenzstreitigkeiten mit dem Intendanten, Freundschaften wie die zu Alexander von Humboldt und das Ringen um die Friedrich-der-Große-Oper Ein Feldlager in Schlesien sind weitere Gesichtspunkte, denen sich das faktenreiche Buch widmet. Zwei Jahrzehnte lang verlieh der Komponist dem Berliner Musikleben Glanz, ebenso aber dem Hofleben, für das Hymnen, Fackeltänze, Trauermusiken geschaffen werden mussten.

Natürlich ist ein Kapitel auch dem Verhältnis zu Wagner und umgekehrt gewidmet. Auszüge aus Briefen Wagners zeigen dessen zunächst devotes Zugehen auf den Kollegen, das Umschlagen der ehrlich oder nicht positiv klingenden Meinung über dessen Musik und die schließliche Neuorientierung Wagners und seine Abwendung von der Grand Opéra zugunsten des Musikdramas. Aufschlussreich sind Aufzeichnungen Cosimas, die zeigen, dass sich Wagner auch in späteren Jahren zumindest innerlich noch mit Meyerbeer beschäftigte. Natürlich finden auch seine antisemitischen Schriften Erwähnung. Ein Zitat Richard Rothes aus dem Jahre 1919 ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich.

Nicht vergessen werden in dem vielseitigen Buch die vielen Ehrungen und Auszeichnungen, die Meyerbeer zuteil wurden, wobei seltsam berührt, dass er selbst mit Diamanten verzierte und von gekrönten Häuptern gesandte Tabakdosen beleidigt zurückschickte, wenn er sich einen Orden erhofft hatte, andererseits einen Adelstitel nicht benutzte. Problematisch wird die Arbeit an den beiden letzten Werken, der Umarbeitung des Feldlagers zu L’Etoile du Nord und L’Africaine, die wegen Besetzungsschwierigkeiten erst posthum aufgeführt wird. Ganz besonders interessant neben vielem, das hier nicht erwähnt wird, ist der Wandel in der Besetzung der Rollen in den drei Hauptwerken nach Meyerbeers Tod hin zum Leichten, Lyrischen, den die Verfasser unter anderem für den Rückgang der Aufführungszahlen verantwortlich machen, ebenso wie die Scheu, die Grand Opéra für das zu nehmen, was sie nun einmal ist. Das sollte ein Hinweis an zur Ehrung des Komponisten Bereite sein. Der Komik entbehrt es nicht, wenn die Afrikanerin immer noch als solche bezeichnet wird, obwohl sie eigentlich eine Inderin ist. Nach dem Lesen des Buchs teilt man die Hoffnung der Autoren, dass sich mit dem Wirken des 1991 gegründeten Meyerbeer-Instituts für kritische Ausgaben eine Wende zum Besseren vollzieht. Die Opernhäuser könnten ihr Repertoire endlich einmal wieder erweitern. Wenn sich das Buch als unterhaltsam und gut zu lesen erweist, sollte das nicht über seinen wissenschaftlichen Wert hinweg täuschen, der sich u.a. in umfangreichen Anmerkungen, einer Zeittafel, Literaturhinweisen und Werk- wie Personenregistern zeigt.

Ingrid Wanja 

 

Sabine Henze-Döhring und Sieghart Döring: Henze- Döhring: Giacomo Meyerbeer – Der Meister der Grand Opéra, C. H. Beck, 2014. 272 S.: mit 23 Abbildungen. Gebunden; ISBN 978-3-406-66003-0