Konsequent setzt naïve ihre Vivaldi-Edition im Rahmen der Serie Tesori del Piemonte fort und ist nunmehr bereits bei Vol. 58 angelangt. Es handelt sich bei dieser Neuveröffentlichung (OP 30553) um eine Einspielung nach der konzertanten Aufführung von L’Incoronazione di Dario in der Bremer Glocke am 14. 9. in Kooperation mit dem NDR und dem Musikfest Bremen. Die Accademia Bizantina, ein auf Barockmusik spezialisiertes Ensemble, unter ihrem Leiter Ottavio Dantone ist der Garant für ein gespanntes, pulsierendes Musizieren mit reichem Farbspektrum. Der Dirigent fächert die Musik in großer dynamischer Vielfalt auf und sorgt insgesamt für die stärksten Eindrücke. Denn das Solistenensemble singt auf recht unterschiedlichem Niveau. Dessen Schwachpunkt ist leider Anders Dahlin in der Titelrolle. Der schwedische Tenor lässt eine schlanke, weiche Stimme mit deutlichen Grenzen in der oberen Lage hören, singt im Ausdruck zu verhalten und in den Koloraturen verhaucht. Schon die erste Arie, „Sarà dono del tuo amore“, klingt merkwürdig beiläufig, auch „Chi vantar può“ oder „Placami la mia bella“ zu Beginn des 2. Aktes bleiben ohne Kontur. Tiefpunkt seiner Gestaltung ist die Arie am Ende des 2. Aktes („Col furor ch’in petto io serbo“), deren furioser Duktus in seiner Interpretation völlig unterbelichtet wirkt. Bedauerlich war die Absage der beiden Counter Franco Fagioli und Yuri Minenko als die beiden Rivalen des Dario im Kampf um den Thron des verstorbenen Perserkönigs Ciro und die Hand von dessen Tochter Statira. Beide Partien wurden nun en travestie besetzt, was das Übergewicht der Frauenstimmen zu stark betont. Die beiden Counter hätten hier für reizvollere stimmliche Farbkontraste gesorgt. Und im Falle der ukrainischen Sopranistin Sofia Soloviy als Arpago wurde auch keine idiomatische Interpretin gefunden. Ihre dramatische, vibrierende Stimme von strengem, gutturalem Klang ist zwar voluminös und von starker Durchschlagskraft, findet aber beispielsweise für die heitere Arie im 2. Akt nicht den passend lieblichen Ton und scheint insgesamt fremd in diesem Repertoire. Die italienische Mezzosopranistin Lucia Cirillo als Oronte lässt immerhin eine solide, zuweilen allerdings etwas steife Stimme hören, die in ihrer Arie im 1. Akt, „ Lasciami in pace“ mit energischem Nachdruck auftrumpft und in der des 2. Aktes in wiegendem siciliano-Rhythmus mit stupenden Atemreserven besticht, was sich in schier unendlichen Bögen offenbart. Als Statira, das Objekt beider Begierde, ist mit Sara Mingardo die prominenteste Sängerin der Einspielung aufgeboten. Ihr Alt mit warmem, rundem Ton betört mit großer Sinnlichkeit und suggestivem Vortrag. Die von Flöten lieblich umspielte Arie im 2. Akt, „Se palpotarti in sen“, und die lieblich kosende, virtuose Arie im 3. Akt mit fein getupften Tönen sind Zeugnisse großer Gesangskunst. Neben ihr kann sich Delphine Galou als ihre intrigante Schwester Argene mit starker Präsenz im Ausdruck behaupten. Der sinnliche, eloquente Alt bezaubert in der verspielten Arie des 1. Aktes, die von vielfältigen Herzensneigungen erzählt, sprüht in „Sarà tua la bella sposa“ vor vibrierender Erotik und lässt am Ende als zu lebenslanger Haft Verurteilte in „Ferri, ceppi, sangue, morte“ einen furios rasenden Gesang hören. Eine Überraschung ist die italienische Sopranistin Roberta Mameli als Orontes Verlobte Alinda, die mit expressivem, dunkel getöntem Sopran über betörende Kopftöne, reizvolle Echowirkungen und virtuos imitierte Vogelstimmen verfügt. Schillernd, reich schattiert und von enormer dynamischer Spannbreite ihre Arie zu Beginn des letzten Aktes – ein starker Gegensatz dazu sind die schmerzhaft bohrenden Töne im Rezitativ vor dem großen Lamento am Ende, welche die existentielle Situation Alindas als Gefangene Argenes widerspiegeln. Giuseppina Bridelli als Hofdame Flora ergänzt mit angenehmem und flexiblem Mezzo die Damenriege, in welche Riccardo Novaro als Hauslehrer Niceno mit resonant-sonorem, kraftvoll auftrumpfendem Bariton eine willkommene dunkle Farbe einbringt.
Bernd Hoppe
Antonio Vivaldi: L’Incoronazione di Dario (Dahlin, Mingardo, Novaro, Cirillo, Galou, Soloviy, Mameli, Bridelli; Accademia Bizantina, Ottavio Dantone) naïve OP 30553, 3 CD