Archiv für den Monat: September 2022

Knackige Arien

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Nicht mal der Titel dieser Serenata ist überliefert – sie bleibt bis heute eins der unbeachtetsten größeren Vokalwerke Vivaldis. Dabei hat diese Kurzoper durchaus etwas zu bieten: Schräge Handlung (Zwei Nymphen, ein Hirte, aber keine Dreiecksgeschichte), knackige Arien, hinreißende musikalische Einfälle. Manches ist genialer auf den Punkt gebracht als in den großen ausschweifenden Opern.

Dazu noch ein Top-Ensemble, das zu den besten Vivadi-Orchestern der Welt gehört. Schade, dass die beiden Sopranistinnen und der Tenor dagegen etwas verblassen – hübsche Stimmen, aber wenig Abenteuerlust in den Auszierungen. Und warum zwischen Rezitativen und Arien sekundenlange Stille herrscht, bleibt ebenso rätselhaft wie Anlass und Ort der Uraufführung (Antonio Vivaldi:Seranata a tre RV 690; Elisabeth Breuer, Sopran | Sonia Tedla, Sopran | Alessio Tosi, Tenor | Ensemble Modo Antiquo | Federico Maria Sardelli, Leitung; Glossa GCD 924602) / 15. 09. 2022) Matthias Käther

Blechs „Alpenkönig und Menschenfeind“

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Es ist tatsächlich eine „unglaublich schöne Musik“, wie Aachens GMD Christopher Ward vor der Premiere behauptete. In romantisch schwärmerischer Manier erklingt das umfangreiche Vorspiel, werden alle Instrumente schwelgerisch vorgestellt, tönen die Hörner so betörend als ginge es gleich in Carl Maria von Webers Wald. Romantisch, spätromantisch, immer wieder ein wenig nach Humperdinck klingt es, bei dem Leo Blech Mitte der 1890er Jahre seine Ausbildung vertieft hatte. Was Oskar Bie über Leo Blechs komischen Einakter Versiegelt von 1908 sagte, gilt im gleichen Maß für den 1903 unter Ernst von Schuch in Dresden uraufgeführten Alpenkönig und Menschenfeind, „Die Musik ist unbeschreiblich gut. … Alles, was wir ersehnten an Leichtigkeit des Rhythmus, liebenswürdiger Melodie, Geistreichtum des Orchesters, lebendiger Charakteristik, war hier gefunden. Kein falscher Ton, keine Verschiebung der Empfindungen, kein Schielen und Renommieren, es ist Champagnerblut darin und schwebende Laune“. Und so geht die Schwärmerei noch eine halbe Seite weiter und lässt sich ebenso auf den Alpenkönig münzen, der nun in Aachen, wo Blech 1871 geboren wurde, erstmals wieder auf eine Bühne gelangte.

Leo Blech auf einer Fotografie, die in der Sammlung Manskopf der Frankfurter Universitätsbibliothek aufbewahrt wird.

Rappelkopf ist, wie der Name verrät, ein rappeliger Hitzkopf und Haustyrann, der es seiner Frau Sabine (Irina Popova), seiner Tochter Marthe und seinen Bediensteten Lieschen und Habakuk alles andere als angenehm macht. Ständig müssen sie sich vor seinen Tobsuchtsanfällen in Sicherheit bringen. Beim österreichischen Volksdichter Raimund wird der Menschenfeind durch Zutun des Alpenkönigs Astragalus geheilt. Der wundertätige Berggeist hält Rappelkopf nicht einfach nur den Spiegel vor, sondern lässt ihn die unhaltbare Situation in seinem Hause hautnah erleben indem er ihm die Gestalt seines Schwagers verleiht, während der Alpenkönig höchstpersönlich in die Rolle des Rappelkopf schlüpft und genauso poltert und wütetet wie der richtige Rappelkopf. „Ich gehe mir lieber aus dem Weg“, witzelt der echte Rappelkopf deshalb, als er auf seinen Doppelgänger-Widerpart trifft. Rappelkopf ist auf einen Schlag geheilt, gibt seine Einwilligung zu Marthes Hochzeit mit dem Musikus Hans (Soon-Wook Ka kann seine tenoralen Trümpfe nur ansatzweise ausspielen), der im ursprünglichen Stück eigentlich ein Maler ist, und lässt Lieschen mit Habakuk glücklich werde. Eine zauberische Besserung. Das Thema von Blechs fünfter Oper war einigermaßen ungewöhnlich, scheinen doch die zutiefst im Wiener Volkstheater verankerten Zauberpossen und Zaubermärchen Ferdinand Raimunds eine speziell österreichische Angelegenheit zu sein, die zudem durch ihre Struktur mit Liedern und Couplets selbst schon halbe Liederspiele sind.

Vielleicht hatte ihn der Prager Librettist und Kritiker Richard Batka darauf gestoßen, der um 1900 ein Libretto nach Nestroys Der Zerrissene verfasst hatte und seit der Dorfidylle Das war ich! (uraufgeführt 1902 Dresden unter Ernst von Schuch) Blechs Hauslibrettist blieb.

Blechs „Alpenkönig und Menschenfeind“/ Szene/ Will van Iersel

Die Musik ist federleicht und gewaltig, zugleich volkstümlich, beispielsweise im Duett Marthe- Lieschen „So viele Blumen ziehen“, das die beiden jungen Frauen parlandierend unterbrechen, um es wieder und wieder aufzunehmen, während die lyrische Koloratursopranistin Netta Or als Marthe ein paar Verzierungen drüberstreut. Den Ton nehmen sie im dritten Akt in „Schön sind Rosen und Jasmin“ nochmals auf. Gefällig, nie einfältig. Hurtig geht es in Marthas Duett mit dem heimgekehrten Geliebten Hans weiter. Der Alpenkönig (würdevoll: Roman Collett) dagegen singdeklamiert geheimnisvoll wie ein Anzengruber‘scher Wotan, und Habakuk verweist mit der wiederkehrenden Zeile „Zwei Jahre war ich Diener in Paris“ nicht nur auf seine berufliche Laufbahn, sondern auch auf seine Herkunft aus der opéra comique, was Joshua Owen Mills mit seinem luftig leichten Tenor, der wie gemacht scheint für solche Partien, bestens gelingt. Sein Duettchen mit Lieschen (soubrettenspitz und flach: Anne-Aurore Cochet) im dritten Akt ist so eingängig wie die Gassenhauer der zeitgenössischen Operette. Altwiener Gemütlichkeit und böhmisches Musikantentum à la Smetana verbreitet die Szene beim Tischler und seiner musizier- und tanzfreudigen Familie. Im Original handelt es sich um eine Köhlerfamilie, doch das „musikalische Faulenzerpack“, wie die von Ayaka Igarashi wunderbar charakterisierte Tischlersfrau ihre Familie beschreibt, wird von Rappelkopf genauso kaltherzig bezahlt und aus seinem Heim vertrieben wie die armen Köhlersleute. Wunderbare Orchestermusik bringen die Vorspiele zum zweiten und dritten Akt, gelungen ist das Sextett am Ende des ersten Akts, großartig das Final-Sextett am Ende der Oper, wobei das Orchester fast schon straussisch anschwillt als ginge es um eine ganz andere Menschen- und Geisterwelt. Überhaupt greift das Orchester oft wirkungsvoller ins Geschehen als es die raschen Dialoge vermögen. Es fehlt, wenngleich die Schwurszene zwischen dem Alpenkönig und Rappelkopf ein wenig Schauerromantik verströmt, an Dramatik und spannender Entwicklung, worunter auch die undeutlich umrissene Figur des Rappelkopf leidet. Paul Armin Edelmann singt den Rappelkopf mit sanftem und weich timbriertem Bariton, fast zu schön als dass man vor ihm Angst haben könnte. Aber im Grund ist damit auch schon der komödienschnelle Heilungsprozess angedeutet, der im balsamischen Schlaflied am Ende des zweiten Aktes, wieder fällt einem Humperdinck und sein „Abendsegen“ ein, eingeleitet wird. Alles sehr gut gemacht, aber nicht unbedingt originell. Biedermeier dritte Zeit, wie es die Dame im Antiquitätenladen ausdrücken würde. Auch auf der Bühne Biedermeier dritte Zeit oder Biedermeier ironisch gebrochen. Schmetterlinge flattern allerliebst über die von Henriette Hübschmann im Kreis verteilten Erdhaufen, ein weißes Pferd erhebt als Statue freudig seine Vorderbeine, die Pferdeköpfe an Rappelkopfs überdimensioniertem Lehnsessel dampfen aus ihren den Nüstern, der Tischler hat Werkzeughände wie Edward mit den Scherenhänden und eine riesige Rose entfaltet zum Finale ihre Blätter. Ute Engelhardt arrangiert das Spiel auf der kreisrunden Fläche so übersichtlich und treffsicher wie es einer bürgerlichen Komödie gut ansteht, die das entfesselte Zaubertheater und die „Schaubühne ohne ideale Ansprüche“ hinter sich gelassen hat.

Christopher Ward hat das mit Pause gerade mal 2 ½ Stunden kurze Stück mit Liebe zum liedhaften Detail wie orchestralen Alpenglühen sorgfältig einstudiert, so dass es dem Sinfonieorchester Aachen im Lauf der Aufführung immer besser gelang der anspruchsvollen Musik gerecht zu werden (11. September 2022).  Ward hatte bereits im Vorjahr pünktlich zu Blechs 150. Geburtstag unter Coronabedingungen eine konzertante Aufführung in nahezu gleicher Besetzung realisiert, die nun bei Capriccio als Mitschnitt vorliegt und das Augenmerk auf den Opernkomponisten Blech lenken könnte, dessen Werke aufgrund seiner jüdischen Herkunft in den 1930er Jahren von den Konzert- und Opernbühnen verschwanden.

Blechs „Alpenkönig und Menschenfeind“/ Szene/ Will van Iersel

Mit Alpenkönig und Menschenfeind versucht das Theater Aachen jetzt eine Wiederentdeckung des vor allem als Dirigenten bekannten Leo Blech. Begonnen hatte er als zweiter, dann erster Kapellmeister in Aachen, wo auch seine erste Oper herauskam. Über Prag, wo er u.a. die UA von d‘ Alberts Tiefland leitete, kam er 1906 an die Berliner Hofoper, die ihn 1913 zum Generalmusikdirektor auf Lebenszeit ernannte. Nachdem er die Staatsoper 1923 wegen eines Zerwürfnisses mit dem Intendanten Max von Schillings verlassen hatte, kehrte er 1926 in seine alte Position zurück, die er unter der schützenden Hand von Göring und Tietjen bis 1937 innehatte. Blech wurde zur Emigration gezwungen. Er dirigierte in Riga, gastierte in Tallinn, Moskau und Leningrad und erlebte in Stockholm, wo er an der Königlichen Oper seit 1925 gastiert hatte und 1935 zum Hofkapellmeister ernannt worden war, eine erfolgreiche Alterskarriere. 1949 kehrte er für wenige Jahre als Generalmusikdirektor der Städtischen Oper nach Berlin zurück, bevor er 1953 nach einem Sturz seine Dirigententätigkeit aufgeben musste. Fünf Jahre später starb er in Berlin, wo er auch beerdigt wurde. Zu seinem 60. Geburtstag hatte ihm das Theater seiner Heimatstadt 1931 die Ehrenmitgliedschaft verliehen, für die er sich artig mit einer Aufführung seines Erfolgsstückes Carmen bedanke. Bereits 1937/38 tilgte das Jahrbuch des Deutschen Bühnenvereins jedoch den Hinweis auf Blechs Ehrenmitgliedschaft. Erst jetzt wurde diese Ehrenmitgliedschaft im Rahmen einer erfreulich gut besuchten Gedenkveranstaltung mit einer Ehrentafeloffiziell wiederhergestellt; Intendant Schmitz-Aufterbeck, die Oberbürgermeisterin und die Musikwissenschaftlerin Jutta Lambrecht beleuchteten dabei Blechs Wirken und Bedeutung und nahmen den Akt der Wiedergutmachung auch zum Anlass einer Aufarbeitung der Aachener Theatergeschichte. Mit zwei Chorwerken stimmte der Opernchor Aachen unter Jori Klomp auf die folgende Premiere und Blechs Musik ein, von der GMD Ward sagte, „Es ist eine unglaublich schöne Musik“.  Rolf Fath

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Halévys Oper „La Tempesta“

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Das 71. Wexford Festival Opera wurde am 21. 2022 Oktober eröffnet, und zwar wie üblich mit faszinierenden Werken, die aus dem Repertoire verschwunden sind (oder nie dazu gehörten), die aber musikalisch wertvoll sind.  Das diesjährige Festival stand unter dem Motto „Magie und Musik“, und die Werke sollen Magie beinhalten – und hervorrufen. Die wichtigsten Opern in diesem Jahr waren  La tempestavon Fromental HalévyLalla-Roukh von Félicien David und Armida von Antonin Dvorák.

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Fromenthal Halévy/ Foto Nadar/ Taschen

Charles Jernigan schreibt: La tempesta, mit der das Festival eröffnet wurde, hat eine interessante, wenn auch kurze Geschichte. In den 1840er Jahren befand sich das Her Majesty’s Theater, das lange Zeit der Schauplatz der italienischen Oper in London war, im Niedergang: Viele der Hauptsänger hatten das Haus verlassen, um ein neues Ensemble zu gründen, aus dem Covent Garden hervorging, und die Zuschauerzahlen am Her Majesty’s Theater gingen zurück. Der Impresario Benjamin Lumley wollte eine neue Oper produzieren, die Aufsehen erregen und das Publikum zurückbringen sollte: Er brauchte einen „Hit“. Er wollte ein Thema aufgreifen, das den Engländern sehr am Herzen lag, indem er das neue Werk auf ein Stück von Englands größtem Dramatiker, William Shakespeare, stützte. Es sollte in italienischer Sprache sein, der Sprache der meisten Opern, die seit Händel in London aufgeführt wurden. Lumley wollte auch einen bedeutenden Librettisten und Komponisten, und er plante, einige der größten Starsänger der damaligen Zeit zu engagieren. Der von ihm bevorzugte Librettist war Felice Romani (Autor von Norma, La sonnambula, Anna Bolena und vielen anderen Werken in den 1820er und 30er Jahren), und der gewünschte Komponist war Felix Mendelssohn. Mendelssohn bevorzugte jedoch Eugène Scribe, den größten französischen Librettisten seiner Zeit, und so beauftragte Lumley Scribe mit der Abfassung des Librettos, das von Pietro Giannone aus dem Französischen ins Italienische übersetzt wurde. Mendelssohn war unbeeindruckt – und verärgert darüber, dass Lumley ihn als Komponisten bekannt gemacht hatte, bevor jemand einen Vertrag unterschrieben hatte, und er starb ohnehin unerwartet im November 1847, bevor die Arbeit beginnen konnte. Lumley wandte sich daraufhin an Halévy, der bereits für La Juive (1835) und viele andere große Opern und Opéra-comiques berühmt war, von denen einige in London zu hören gewesen waren, und Halèvy erklärte sich bereit, Scribes Libretto zu vertonen. Als Starsänger hatte Lumley Jenny Lind für die Rolle der Miranda ins Auge gefasst, die damals auf dem Höhepunkt ihrer Popularität in England stand, und Luigi Lablache für die Rolle des Calibano. Schließlich ließ Linds Popularität nach, und sie zog sich 1849 im Alter von 29 Jahren von der Opernbühne zurück.  Lumley wandte sich an Henriette Sontag, die sich 1829 aus der Oper zurückgezogen hatte, als sie den Grafen Rossi heiratete, und Sontag willigte ein, wieder zu singen, weil sie und ihr Mann das Geld brauchten. Filippo Coletti war der Prospero und Michael Balfe dirigierte.

 

Halevys „La Tempesta“ in Wexford 2022/ Szene/ Foto Clive Barda

Ursprünglich sollte die Rolle der Ariele, Prosperos Zauberin, eine Sängerin sein, und Halévy komponierte die Vokalmusik für sie, doch als die verzögerte Inszenierung 1850 auf die Bühne kam, war Ariele zu einer stummen Rolle geworden, die der Tänzerin Carlotta Grisi, der wohl berühmtesten Ballerina der damaligen Zeit, übertragen wurde. Ein Teil von Halévys Gesangsmusik ging an einen „Air Sprite“, während für Grisi eine neue Tanzmusik komponiert wurde. Die Aufführung, die schließlich am 6. Juni 1850 im Her Majesty’s Theatre stattfand, war ein großer Erfolg und lief etwa dreizehn Vorstellungen lang, bevor Grisis Abgang die Show zur Schließung zwang. Dies reichte jedoch nicht aus, um das Her Majesty’s Theatre zu retten, das ein paar Jahre später geschlossen wurde. Als nächstes übernahm Lumley die Leitung des Thèâtre Italien in Paris und führte dort bald La tempesta ein. Bei der dortigen Erstaufführung stürzte eine neue Tänzerin, Carolina Rosati, die die Rolle der Ariele spielte, durch eine offene Falltür in der Bühne, und obwohl sie die Aufführung beendete, überschatteten der erschreckende Unfall und die dadurch verursachte Verzögerung alle anderen Aspekte der Aufführung, und die Oper fiel durch. Danach wurde La tempesta bis heute nicht mehr aufgeführt und nicht mehr gehört.

Halevys „La Tempesta“/ Henriette_Sonntag war die erste Miranda/Gemöälde von Carl Christian Vogel von Vogelstein 1830 /Blechen Gesellschaft /Wikipedia

Die Story in Scribes Libretto folgt zunächst getreu Shakespeare, weicht dann aber im letzten Teil des Werks davon ab. Prospero, der Herzog von Mailand, wurde von seinem Bruder Antonio mit dem Einverständnis von Alonso, dem König von Neapel, gestürzt, der Prospero mit seiner kleinen Tochter Miranda in einem Boot ausgesetzt hat. Sie haben sich auf einer Insel in Sicherheit gebracht, die von Calibano und seiner Mutter, der Hexe Sicorace, bewohnt wird. Prospero hat mit seiner Magie Sicorace in einem Felsen eingesperrt und den guten Geist Ariele von seiner Macht befreit, während Calibano sein Sklave geworden ist. Die Oper beginnt mit einem Prolog, der den titelgebenden Sturm“ schildert, der von Prospero und Ariele angezettelt wurde, um das Schiff mit Alonso und Antonio sowie Alonsos Sohn Fernando zu zerstören.  Diese Männer werden zusammen mit den Matrosen auf Prosperos Insel an Land geworfen. Im ersten Akt erfährt Miranda von ihrem Vater, wie es auf der Insel aussieht, und sie sieht zum ersten Mal Fernando und verliebt sich in ihn. Im zweiten Akt befiehlt die unsichtbare Stimme von Sicorace Calibano, einige magische Blumen zu sammeln, die ihm drei Wünsche erfüllen sollen. Sie möchte, dass ihr Sohn einen Wunsch benutzt, um sie aus dem Felsen zu befreien, aber er weigert sich. Stattdessen wird der erste Wunsch verwendet, um Ariele einzuschläfern und in einen Baum zu sperren; der zweite wird verwendet, um Miranda in einen Schlaf zu versetzen, weil Calibano sie begehrt und eine Vergewaltigung plant. Als er ihren schlafenden Körper trägt, trifft er auf die Matrosen des Schiffes, die ihn mit Rum betrunken machen; er schläft ein. Im dritten und letzten Akt stiehlt Miranda die Blumen und benutzt den letzten Wunsch, um die Matrosen schlafen zu lassen; sie entkommt.  Prospero befreit Ariele vom Baum (in dieser Inszenierung durch einen riesigen Steinkopf ersetzt) und schickt sie auf die Suche nach Miranda. Miranda begegnet der körperlosen Stimme des in einem Felsen gefangenen Sicorace, die ihr sagt, sie solle Fernando töten, den sie als Feind bezeichnet. Miranda bereitet sich darauf vor, den schlafenden Fernando zu töten, aber er erwacht rechtzeitig und seine glühende Liebe überzeugt sie, dass er kein Feind ist. Prospero, Ariele und die reumütigen Antonio und Alonso treffen ein, und alle versöhnen sich für das Happy End. Sie segeln nach Italien und lassen Calibano und Sicorace auf der Zauberinsel zurück.

 

Halevys „La Tempesta“ in Wexford 2022/ Szene/ Foto Clive Barda

Musikalisch ist Halévys Musik handwerklich einwandfrei und hebt sich gelegentlich von den allgemeinen Klischees ihrer Zeit (oder eigentlich der Zeit von Rossini, Donizetti und Bellini) ab, um in Ensembles und einprägsamen Melodien einen dramatischen Ausdruck zu finden, obwohl die Arien eher aus dem allgemeinen Stoff der Zeit geschnitten sind. Mirandas Auftritt („Parmi una voce il murmure“) spricht von der natürlichen Welt, die Miranda verzaubert, und lässt Insekten singen; die Cabaletta ist stark ausgeschmückt. Prosperos Romanza „Sorge un fiore“ fiel in unserer Aufführung weg, ebenso Fernandos Cavatina „Cara, soave aerea voce“, eine schwierige Arie, die hohe Töne und viel Fioratura des Tenors erfordert. Andererseits war der gesamte Prolog, der den Sturm auf dem Meer schildert und größtenteils aus Chorgesang bestand, gefolgt von dem unvermeidlichen Gebet, eine angemessene Beschreibung des Sturms und des Untergangs des Schiffes mit Alonso, Antonio und Fernando. Ein schönes Duett für Fernando und Miranda, das durch die Hinzufügung von Prospero zu einem Trio wird, beendet den 1 Akt.

Der 2. Akt, in dessen Mittelpunkt Calibans Auffinden der Zauberblumen und seine versuchte Vergewaltigung Mirandas durch das betrunkene Finale stehen, enthält die beste Musik der Oper und ist besonders gut, beginnend mit dem ausgelassenen Trinklied „Ci oppresse abbastanza de‘ mali il pensier“ bis zu der Szene, in der Calibano dem Rum verfällt. Im letzten Akt gibt es ein anmutiges Trio, und Miranda bekommt ein stark verziertes Rondo-Finale („Vinto, la nature e amor“), gerade so, als wäre dies eine Oper von Rossini oder dem frühen Donizetti.

 

Halevys „La Tempesta“ in Wexford 2022/ Szene/ Foto Clive Barda

Leider gelang es der Wexford-Produktion (eine Koproduktion mit dem Teatro Coccia in Novara) nicht, das Festivalthema „Magie und Musik“ zu beleben. Die Inszenierung von Roberto Catalano (Regie), Emanuele Sinisi (Bühnenbild), Ilaria Ariemme (Kostüme) und D. M. Wood (Beleuchtung) hatte keine Magie und stand oft im Widerspruch zu dem Gefühl von Magie, das die Musik haben könnte. Ein kostümierter Stelzenläufer, der die Besucher im Theater begrüßt, und eine als Zauberin verkleidete Dame, die sich im Foyer unter die Besucher mischt, kamen der Magie des Abends noch am nächsten. Das Problem lag sowohl im Gesang als auch in der Inszenierung. Die Sopranistin Hila Baggio (Miranda) und der Tenor Giulio Pelligra (Fernando) waren den Koloraturanforderungen ihrer Rollen einfach nicht gewachsen; insbesondere Pelligra gehört zur „can belto“-Gesangsschule, die vielleicht für den Verismo funktioniert, aber für diese Art von Oper völlig ungeeignet ist. Die junge Jade Phoenix hinterließ als Ariele einen positiven Eindruck, obwohl ihre Perücke und ihr Kostüm eher an eine alternde Witwe als an einen Luftgeist erinnerten, und der georgische Bass Nikolay Zemlianskikh sorgte in seinen beiden Arien für Totenstille. Das Beste an der ganzen Besetzung war der georgische Bass Giorgi Monoshvili als Calibano. Die Inszenierung kam sowohl stimmlich als auch theatralisch nur in den Szenen zur Geltung, in denen er der Hauptdarsteller war. (Die Kritiker des neunzehnten Jahrhunderts hielten Luigi Lalblaches Calibano-Darstellung ebenfalls für das beste Merkmal der ersten Aufführungen). Rory Musgrave, Richard Shaffrey, Gianluca Moro und Dan D’Souza waren gut als Alonso, Antonio, Stefano und Trinculo, und Emma Jüngling sang die unsichtbare Sicorace, wobei ihre Stimme aus zwei verbeulten Lautsprechern kam, die auf einem Metallrohr von oben herabgelassen wurden. Sicorace schien in der Beschallungsanlage eines Highschool-Fußballspiels gefangen zu sein, denn es war kein Rock in Sicht. Francesco Cilluffo, der hervorragende Arbeit mit Verismo-Opern geleistet hat, dirigierte, als ob es sich um ein weiteres veristisches Werk handelte; am Eröffnungsabend war das Festivalorchester laut, ohne viel Subtilität oder Schattierungen, aber es verbesserte sich bei der zweiten Aufführung (Foto oben David O´Brian als Ariel in der Stratforder Aufführung des Tempest/ RSC. Charles Jernigan

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Ehrenrettung

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Jahrzehntelang kam kein deutsches Opernhaus ohne sie aus, jahrzehntelang danach sind sie so gut wie von den Bühnen verschwunden, die Spielopern oder Singspiele der Flotow, Nikolai oder besonders Albert Lortzings, an dessen Undine, Wildschütz, Zar und Zimmermann oder Waffenschmied, etwas weniger an der Revolutionsoper Regine sich Generationen von Opernbesuchern erfreut haben. Nur gelegentlich taucht die eine oder andere wieder auf einem Spielplan auf, so Die Lustigen Weiber von Windsor an der Berliner Staatsoper oder in der kommenden Spielzeit in Brandenburg, doch ins Gedächtnis eingeprägt hat sich Martha in der liebevoll ironischen Inszenierung von Loriot in Stuttgart, auch schon Jahrzehnte her, und der Berliner wird sich an Winfried Bauernfeinds Inszenierungen von Zar und Zimmermann oder Die lustigen Weiber von Windsor an der Deutschen Oper mit ihren wunderschönen Bühnenbildern erinnern. Die heftigen Regie-Opernschlachten tobten um Wagner und Verdi, deren Werke das aushalten können, die Spielopern wurden des Kampfes nicht für wert befunden, hätten ihn wahrscheinlich auch nicht überlebt.

Da ist es schon verwunderlich, dass 2022 eine 2019 entstandene Aufnahme einer unbekannten Lortzing-Oper  mit dem Titel Zum Groß-Admiral auf dem Markt erschienen ist, immerhin gestaltet vom Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer und mit ansehnlicher Solistenbesetzung. Drei Paare bilden außer dem unvermeidlichen Bass à la klug und weisem Bürgermeister van Bett oder für 5000 Taler auf sein Gretchen verzichtendem Baculus das Personal: Prinz Heinrich von England und seine Gattin Catharina von Frankreich, Richard Graf von Rochester und seine allerdings nicht auf der Bühne erscheinende Clara, Betty, seine zunächst unerkannt ins Wirtshaus zum Groß-Admiral und dessen Wirt Copp Mavbrai verschlagene Nichte, und deren Liebhaber Edward, eigentlich Page, gegenüber Betty aber zunächst als Musiklehrer auftretend. Stoff für Irrungen und Wirrungen gibt es also genug, und wie vorauszusehen, gibt es am Ende drei glückliche Paare. Das Libretto nach Alexandre Duval von ist in einem  für uns heute  schwierigen Deutsch, Lortzing selbst anzulasten, gehalten, zu Glück hat sich der gesprochenen Dialoge Paul Esperanza angenommen.

Die Werkgeschichte ist keine glückliche, denn obwohl die Uraufführung in Leipzig 1847 und die Wiener Erstaufführung 1849 den Beifall des Publikums fanden, war der Erfolg kein nachhaltiger, wohl auch wegen der vernichtenden Kritik von Eduard Hanslick.

Die Ouvertüre ist ungeheuer rasant, das Orchester macht also durchaus erst einmal Lust auf das Stück. Amüsant ist auch ein Duett, in dem es ein Hin und Her zwischen Rokoko-Schäferromantik und Biedermeier gibt, Orchester und Chor holen alles an musikalischem Esprit aus dem Stück heraus, was darin zu finden ist. Es gibt aber auch lange, zu lange Duette und Ensembleszenen und nicht die Ohrwürmer, die man aus anderen Lortzing-Opern kennt.  Angemessen ist die Besetzung mit dem angenehmen lyrischen Tenor Bernhard Berchtold als Prinz Heinrich, der, als Seemann verkleidet, eine hübsche Barcarole singt. Jonathan Michie ist mit typischem, damit angemessenem Kavaliersbariton Rochester, Martin Blasius lässt als Capp Mavbrai durchaus  vernehmen, welch große Erfahrung er mit komischen Bassrollen hat, leider aber auch, dass die ermüdete Stimme nicht mehr allen Intentionen gehorcht. Von den drei Sopranen hebt sich die warm timbrierte Stimme von Julia Sophie Wagner in der Hosenrolle des Eduard am stärksten von den beiden anderen beiden Damen ab, von denen Lavinia Dames eher Soubrettenqualitäten als Betty, Anett Fritsch die eines lyrischen Soprans als Catharina aufweist. Höchst angenehm anzuhören sind sie alle drei.

Nach einer Wiederausgrabung einer historischen Aufnahme des Berliner Vorkriegsrundfunks von 1937 (im Tonarchiv des rbb; drastisch gekürzt und bearbeitet und vor ein paar Jahren auch im rbb gesendet) gab es in  Annaberg unter der Ägide von Ingolf Huhn vor einigen Jahren auch eine szenische Aufführung der rekonstruierten Fassung, eine Wiederentdeckung für das Repertoire hat sich daraus nicht ergeben, eher dürften die bekannten, in der letzten Zeit arg vernachlässigten Werke des Komponisten auf ein Revival hoffen (cpo 555 133-2). Ingrid Wanja